L 4 KR 114/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 KR 4474/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 114/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin erhebt Anspruch auf Übernahme von Fahrkosten.

Die am 1932 geborene Klägerin, bei der Beklagten pflichtversichert, leidet seit Jahrzehnten an chronischer Polyarthritis. Sie ließ sich mehrmals ambulant und stationär mit operativen Eingriffen u.a. in der Rheumafachklinik Bad Aibling und im Rheumazentrum Schlangenbad behandeln. Die Beklagte erstattete jeweils nur die Fahrkosten bis zum nächst erreichbaren Krankenhaus mit anschließender wohnortnaher Heilbehandlung, lehnte jedoch Kostenerstattung für die Fahrten nach Bad Aibling oder Schlangenbad ab (erstmals Bescheid vom 21. Juni 1996, Widerspruchsbescheid vom 09. September 1996). Klage (Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe - SG - vom 19. März 1997 - S 3 KR 3222/96 -) und Berufung (durch Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg - LSG - vom 04. Dezember 1998 verworfene Berufung - L 4 KR 1396/97 ) blieben erfolglos. Ebenso entschied die Beklagte anlässlich einer stationären Behandlung in Bad Aibling vom 03. bis 24. Oktober 2000 mit Anschlussheilbehandlung dort bis 14. November 2000. Durch Bescheid vom 07. März 2000 wurden DM 152,20 anhand der Berechnung für Fahrten zum nächst erreichbaren Krankenhaus Heidelberg-Schlierbach mit Anschlussheilbehandlung in Bad Schönborn erstattet. Der Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 09. Juli 2002), Klage (Urteil des SG vom 12. Dezember 2003 - S 3 KR 2922/02 -), Berufung (durch Beschluss des LSG vom 12. Juli 2004 verworfene Berufung - L 11 KR 208/04 ) und Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung (Beschluss des LSG vom 20. September 2004 - L 11 KR 2866/04 NZB ) blieben erfolglos.

Die Klägerin suchte am 08. Februar 2002 die Gemeinschaftspraxis der Dres. N. und F. sowie des Prof. Dr. W. in Bad Aibling zur ambulanten Behandlung auf und hielt sich vom 19. März bis 14. April 2002 und vom 22. April bis 21. Mai 2002 erneut in den Kliniken Harthausen in Bad Aibling auf. Anlass war eine infizierte MTP-I-Alloplastik rechts. Am 21. März 2003 erfolgte eine Vorfußkorrektur rechts mit einem MTP-I-Spacer-Wechsel. Nachdem postoperativ eine Fistelung am medialen Grundgelenk aufgetreten war, erfolgte am 24. April 2002 ein Spacer-Ausbau MTP-I rechts mit offener Wundbehandlung. Mit Schreiben vom 04. Juni 2002 begehrte die Klägerin Erstattung von Fahrkosten in Höhe von EUR 556,00 und mit dem weiteren vom 23. Juni 2002 in Höhe von EUR 926,67 für die Hin- und Rückfahrten nach Bad Aibling zu den zuvor genannten ambulanten bzw. stationären Behandlungen unter Berücksichtigung der Kosten für eine Begleitperson, insgesamt fünf Hin- und Rückfahrten à 788 km x DM 0,46 je Kilometer. Für eine ambulante Behandlung in der Gemeinschaftspraxis der Dres. N. und F. sowie des Prof. Dr. W. am 13. August 2002 machte sie des Weiteren mit dem Schreiben vom 08. September 2002 weitere Fahrkosten in Höhe von EUR 185,33 geltend.

Die Beklagte schrieb mehrere Kliniken in Wohnortnähe an, ob die Operation grundsätzlich dort hätte durchgeführt werden können und welche Wartezeiten bestünden. Bejaht wurde die Anfrage von der Vulpius-Klinik Bad Rappenau (Wartezeit zwei bis drei Wochen), der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg (Wartezeit abhängig von der Schwere der Infektion), der DRK-Klinik Baden-Baden (Wartezeit ein bis zwei Wochen) und dem Klinikum der Stadt Mannheim (Wartezeit etwa vier bis sechs Wochen, bei Notfall sofort). Durch Bescheid (Schreiben ohne Rechtsbehelfsbelehrung) vom 24. Oktober 2002 bewilligte die Beklagte Fahrkosten in Höhe von EUR 80,64 für eine Hin- und Rückfahrt mit Begleitperson, insgesamt sechs Fahrten vom Wohnort G.-N. nach Heidelberg (56 km x EUR 0,24 = EUR 13,44 x 6 = EUR 80,64). Die Klägerin ließ mit Schreiben vom 12. November 2002 durch den VdK Widerspruch erheben. Nachdem dieser nicht verbeschieden wurde, erhob sie mit am 22. Oktober 2004 beim LSG eingegangenem Schreiben Klage mit dem Antrag, ihr EUR 959,52 zu erstatten. Laut handschriftlicher Auflistung waren ihr vom 07. Februar bis 14. August 2002 für Fahrten nach Bad Aibling und Bad Wildbad Kosten in Höhe von EUR 1.062,16 entstanden, wovon der erstattete Betrag von EUR 80,64 in Abzug zu bringen sei. In einer weiteren Aufstellung wurden die Kosten für die zwischen Februar und August 2002 erfolgten Fahrten nach Bad Aibling und zurück mit insgesamt EUR 1.134,72 beziffert Die Klage wurde an das SG abgegeben. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 09. August 2005. Notwendig im Sinne des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) seien nur die Fahrkosten bis zur nächst erreichbaren geeigneten Behandlungseinrichtung. Mehrere in der Nähe des Wohnorts der Klägerin liegende Kliniken wären auch unter zeitlichen Aspekten in der Lage gewesen, die notwendigen Behandlungen und Operationen durchzuführen. Zwingende Gründe, die die Inanspruchnahme der Klinik in Bad Aibling gerechtfertigt hätten, lägen nicht vor.

Durch Gerichtsbescheid vom 19. Dezember 2005 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung schloss es sich derjenigen des Widerspruchsbescheids an. Entsprechende Behandlungsmaßnahmen der Klägerin seien wohnortnah möglich gewesen.

Gegen den am 20. Dezember 2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 09. Januar 2006 beim LSG Berufung eingelegt. Sie fordert nunmehr die Erstattung von Fahrkosten in Höhe von EUR 1.054,08 abzüglich eines Eigenanteils von EUR 78,00, also EUR 976,08. Die Klägerin macht geltend, alle bisherigen, seit 1993 ergangenen Entscheidungen seien fehlerhaft und rechtswidrig. Da die Behandlung in Bad Aibling als Dienst- und Sachleistung in Übereinstimmung mit den behandelnden Ärzten, der Beklagten, dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) und dem Gesundheitsamt erbracht worden seien, müssten folgerichtig die Fahrkosten übernommen werden. Die Beklagte habe mit Schreiben vom 07. Dezember 2002 mitgeteilt, die im Zusammenhang mit einer Leistung der Kasse notwendigen Fahrkosten würden übernommen. Die Krankenkassen hätten keinen Ermessensspielraum, sondern müssten die geltenden Gesetze anwenden und vollziehen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Dezember 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheids vom 24. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09. August 2005 zu verurteilen, ihr EUR 976,08 zuzüglich 4 % Zinsen seit 13. Juli 2003 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und ihre Bescheide für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Es besteht kein Anspruch auf Übernahme weiterer Fahrkosten in Höhe von EUR 976,08 zuzüglich Zinsen.

Im vorliegenden Berufungsverfahren ist ausschließlich zu entscheiden über das Begehren der Klägerin auf Erstattung der zwischen dem 07. Februar 2002 und 14. August 2002 geltend gemachten Fahrkosten nach Bad Aibling und zurück zu ihrem Wohnort. Zu anderen Zeiten angefallene Fahrkosten sind nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens, zumal insoweit zum Teil bereits rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen vorliegen.

Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der hier anzuwendenden bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung übernimmt die Krankenkasse nach den Absätzen 2 und 3 die Kosten für Fahrten einschließlich Transportkosten nach § 133 SGB V (Fahrkosten), wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse notwendig sind. Die Krankenkasse übernimmt nach § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V in der hier anzuwendenden Fassung die Fahrkosten in Höhe des EUR 13,00 je Fahrt übersteigenden Betrages bei Leistungen, die stationär erbracht werden. Gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB V in dieser Fassung übernimmt die Krankenkasse die Fahrkosten in Höhe des EUR 13,00 je Fahrt übersteigenden Betrages bei Fahrten von Versicherten zu einer ambulanten Krankenbehandlung sowie zu einer vor- oder nachstationären Krankenhausbehandlung, wenn dadurch eine an sich gebotene vollstationäre oder teilstationäre Krankenhausbehandlung vermieden oder verkürzt wird oder diese nicht ausführbar ist, wie bei einer stationären Krankenhausbehandlung. Im Übrigen übernimmt die Krankenkasse nach § 60 Abs. 2 Satz 2 SGB V die Fahrkosten, wenn der Versicherte durch sie unzumutbar im Sinne des § 61 SGB V belastet würde.

Durch Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) vom 14. November 2003 (BGBl. I S. 2190) ist mit Wirkung vom 01. Januar 2004 klargestellt worden, dass (so jetzige Fassung des § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB V) die Fahrkosten "aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind". Bereits vorher ist jedoch dem Begriff "notwendig" entnommen worden, dass es sich um zwingend und unvermeidlich entstehende Aufwendungen handeln muss (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 23. März 1983 - 3 RK 3/82 - = BSGE 55, 37 = SozR 2200 § 194 Nr. 10). Andere Behandlungsalternativen, bei denen keine oder geringere Fahrkosten anfallen, dürfen daher nicht bestehen. Dies folgt auch aus § 76 Abs. 2 SGB V, wonach der Versicherte die Mehrkosten zu tragen hat, wenn ohne zwingenden Grund ein anderer als einer der nächsterreichbaren an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte oder ärztlich geleiteten Einrichtungen in Anspruch genommen wird. Zwar dürfen die Versicherten unter den zugelassenen Ärzten und den Krankenhäusern frei wählen (vgl. im Einzelnen § 76 Abs. 1 SGB V). Dies bedeutet aber nicht, dass die durch Inanspruchnahme einer weiter entfernt liegenden Behandlungsmöglichkeit entstehenden Mehrkosten von der Krankenkasse übernommen werden müssten.

Dieser gesetzlichen Vorgabe ist die Beklagte in den streitgegenständlichen Bescheiden zutreffend nachgekommen. Die in Bad Aibling durchgeführte Vorfußkorrektur mit einem MTP-I-Spacer-Wechsel mit offener Wundbehandlung hätte auch in Wohnortnähe der Klägerin erfolgen können. Auf die gleichlautenden Anfragen der Beklagten vom 08. August 2002 haben die Vulpius-Klinik Bad Rappenau, die Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg, die DRK-Klinik Baden-Baden und das Klinikum der Stadt Mannheim bejahend geantwortet, dass die bei der Klägerin in Bad Aibling durchgeführte Operation in diesen Häusern ebenfalls hätte durchgeführt werden können. Die vom Wohnort Graben-Neudorf der Klägerin nächste Behandlungsmöglichkeit, also die Universitätsklinik Heidelberg, hat die Wartezeit als "abhängig von der Schwere der Infektion" bezeichnet, was sinngemäß wie in der Antwort des Klinikums Mannheim "bei Notfall sofort" eine flexible Reaktion zusichert. Demgemäß hat die Beklagte die Kosten zutreffend nach einer Alternativberechnung von G.-N. nach Heidelberg errechnet und für sechs Fahrten mit Begleitperson einen Betrag von EUR 80,64 erstattet. Gegen die Höhe des Betrags sind Einwendungen nicht erhoben worden und auch nicht ersichtlich.

Ein zwingender Grund für die Inanspruchnahme der Klinik in Bad Aibling war nicht anzuerkennen. Die strenge Auslegung dieses Begriffs leitet sich aus dem Wesen der Krankenversicherung als Solidargemeinschaft her, die nach § 12 Abs. 1 SGB V nur die notwendigen Leistungen zur Verfügung stellt (vgl. BSG, Urteil vom 11. August 1983 - 5a RKn 12/82 - = BSGE 55, 241, 245 = SozR 2200 § 194 Nr. 11). Es mag sein, dass die Klägerin durch die über viele Jahre hinweg durchgeführten Behandlungen in Bad Aibling Vertrauen in die dortige Klinik und die Ärzte gewonnen hat und ihr im Alter ein Wechsel schwer vorstellbar gewesen sein mag. Dass die Fahrkosten nicht erstattet würden, war ihr aber aus mehreren vorhergehenden Verfahren bekannt. Dass eine seltene Krankheit vorläge, die im streitigen Jahr 2002 nur am gewählten Ort behandelt werden konnte, ist nicht erkennbar. Ebenso wenig war ein Wechsel der Klinik unzumutbar. Die vier zitierten Krankenhäuser haben auf die Anfrage der Beklagten vom 08. August 2002 die grundsätzliche Möglichkeit der erforderlichen Operation bejaht.

Aus dem Schreiben der Beklagten vom 07. Dezember 2002 ergibt sich nichts Günstigeres. Der Klägerin war aus dem anhängigen Verfahren bekannt, dass die Beklagte entsprechend der dargelegten Rechtslage den Begriff der "notwendigen" Fahrkosten auf die nächstmögliche Behandlungsmöglichkeit bezieht. Im Übrigen hat das Datum des Schreibens nach der hier streitgegenständlichen Behandlung gelegen, so dass die Klägerin eine Zusage oder einen Vertrauensschutz hieraus nicht herzuleiten vermag.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
Saved