L 8 AS 3055/07 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AS 1976/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AS 3055/07 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30. April 2007 wird zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren trägt die Antragsgegnerin.

Gründe:

Die gemäß den §§ 172ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens ergeben sich aus Art 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG), wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es - wie hier - im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens geht. Ist während des Hauptsacheverfahrens das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn die im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden (BVerfG 12.05.2005 NVwZ 2005, 927, 928).

Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG NJW 2003, 1236, 1237; BVerfG NVwZ 2004, 95, 96). Dies gilt insbesondere, wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Entschließen sich die Gerichte zu einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller eines Eilverfahrens nicht überspannen. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu orientieren, das der Antragsteller mit seinen Begehren verfolgt (BVerfG NVwZ 2004, 95, 96). Dies gilt insbesondere, wenn der Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Außerdem müssen die Gerichte Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen (BVerfG 12.05.2005 NVwZ 2005, 927, 928).

Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG NJW 2003, 1236, 1237). Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern. Diese besonderen Anforderungen an Eilverfahren schließen andererseits nicht aus, dass die Gerichte den Grundsatz der unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache vermeiden, indem sie zum Beispiel Leistungen nur mit einem Abschlag zusprechen (vgl. BVerfG 12.05.2005 NVwZ 2005, 927, 928; SG Düsseldorf, NJW 2005, 845, 847).

Das SG hat die Antragsgegnerin in dem angefochtenen Beschluss verpflichtet, der Antragstellerin für den Zeitraum vom 20.04.2007 bis zum 30.06.2007 vorläufig höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung zu gewähren, bis über die im Zeitraum vom 01.01.2007 bis 30.06.2007 zu gewährenden Leistungen bestandskräftig entschieden ist. Begründet hat es dies damit, dass im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht abschließend geprüft werden könne, ob ein Anordnungsanspruch bestehe. Die Antragsgegnerin werde daher im Rahmen des anhängigen Widerspruchsverfahrens u.a. den von der Antragstellerin geltend gemachten Einwänden, ihr sei aus gesundheitlichen Gründen ein Umzug nicht zuzumuten und es sei zu berücksichtigen, dass sie von ihrem derzeitigen Wohnort die ausgeübte Teilzeitstelle günstig erreichen könne, was bei den von der Antragsgegnerin übermittelten Wohnungsangeboten nicht der Fall sei, nachzugehen haben. Daher sei über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden. Diese Folgenabwägung gehe im vorliegenden Fall zu Gunsten der Antragstellerin aus.

Die vom SG gegebene Begründung rechtfertigt den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Dem steht nicht entgegen, dass der Widerspruch der Antragstellerin mit Widerspruchsbescheid vom 24.04.2007 zurückgewiesen worden ist. Den Akten lässt sich nicht entnehmen, dass die Antragsgegnerin diesen Umstand dem SG mitgeteilt hat. Da im Widerspruchsbescheid auf die vom SG für bedeutsam erachteten Gesichtspunkte nicht eingegangen wurde, ergibt sich hieraus eine gewisse Erfolgsaussicht für das Klageverfahren, welches die Antragstellerin am 24.05.2007 angestrengt hat (S 9 AS 2606/07).

Der Senat weist jedoch darauf hin, dass diese Beurteilung nur für die Zeit bis zum 30.06.2007 gilt. Sollten sich die Bemühungen der Antragstellerin weiterhin auf zu große Wohnungen (48 m2 bzw 49,8 m2) beschränken, müsste für die Zeit ab 01.07.2007 davon ausgegangen werden, dass sie sich nicht ernsthaft genug um angemessenen Wohnraum bemüht. In diesem Fall käme es dann wohl nur noch darauf an, ob der Antragstellerin aus anderen Gründen ein Umzug in eine andere Wohnung nicht zugemutet werden kann. Dabei geht der Senat davon aus, dass ein Umzug innerhalb der Stadt Pforzheim ohne weiteres verlangt werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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