L 4 P 5939/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 P 5/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 5939/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28. September 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist die Frage, ob der Klägerin Pflegegeld nach der Pflegestufe I ab 01. Januar 2003 zusteht und ob die Beklagte verpflichtet ist, ihr im Wege der Zugunsten-Entscheidung nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) entsprechende Leistungen zu bewilligen.

Die am 1921 geborene Klägerin ist Mitglied der Beklagten. Am 14. Januar 2003 beantragte sie Leistungen der Pflegeversicherung bei häuslicher Pflege (Pflegegeld bei privater Pflege). Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 13. März 2003 lehnte die Beklagte Leistungen nach der Pflegestufe I ab. Grundlage dieser Entscheidung war ein Gutachten des Medizinischen Diensts BEV (MDK), das Dr. M. am 03. März 2003 unter Berücksichtigung der Angaben der drei Pflegepersonen in einem Fragebogen vom 16. Januar 2003 erstellte. Er nannte als Diagnosen eine beginnende vaskuläre senile Demenz, eine angstgefärbte Involutionsdepression, eine inkomplette Harninkontinenz, eine Hypertonie, eine koronare Herzerkrankung, eine Herzinsuffizienz sowie eine unter Medikation gut kompensierbare Fettstoffwechselstörung. Inkontinenzeinlagen wechsele die Klägerin selber. Toilettengänge führe sie ohne fremde Hilfe aus. Es trete eine zunehmende Vergesslichkeit auf. Die Klägerin verwechsele Medikamente. Ängstlichkeit in alleiniger Situation in der alten Wohnungsumgebung habe dazu geführt, dass sie am 03. Januar 2003 in die Pflegeumgebung bei der Tochter umgezogen sei. Es bestehe Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege mit insgesamt 16 Minuten und im Bereich der Mobilität mit insgesamt 13 Minuten täglich. Im Bereich der Ernährung liege kein Hilfebedarf vor. Die beginnende senile Demenz bedinge einen Betreuungsaufwand, jedoch keinen Grundpflegebedarf.

Am 12. November 2003 wurde in die von der Klägerin bewohnten Wohnung ein Treppenlift entsprechend einem Angebot der Firma Lifta vom 28. Oktober 2003 mit der geschätzten Gesamtkosten von EUR 7.250,00 eingebaut. Einen bei ihr am 03. Dezember 2003 eingegangenen Antrag der Klägerin auf einen Zuschuss für den Einbau als Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes lehnte die Beklagte mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 08. Dezember 2003 ab. Da erhebliche Pflegebedürftigkeit nicht festgestellt sei, komme ein Zuschuss für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes nicht in Betracht.

Am 09. Februar 2004 beantragte die Klägerin erneut Pflegegeld bei der Beklagten. Die Beklagte veranlasste eine gutachterliche Stellungnahme des MDK. Der Gutachter Y. nannte in seinem Gutachten vom 24. Februar 2004 als Diagnosen eine beginnende senile Demenz mit verbreiteten, insgesamt aber noch mäßig ausgeprägten Defiziten, eine verminderte kardiale Leistung bei koronarer Herzkrankheit, Herzrhythmusstörungen und Hypertonie, eine Polyarthrose, eine Hypakusis sowie eine Sehminderung rechts. Seit der letzten Begutachtung sei eine stetige Zunahme des geistigen Abbaus erfolgt, insbesondere eine Vergesslichkeit und eine zunehmende Unselbstständigkeit bei den Verrichtungen des täglichen Lebens. Im Bereich der Körperpflege bestehe ein Hilfebedarf von 25 Minuten, im Bereich der Ernährung von fünf Minuten und im Bereich der Mobilität von 20 Minuten täglich. Die Voraussetzungen für eine Einstufung in Pflegestufe I lägen ab Januar 2004 vor. Mit Bescheid vom 09. März 2004 bewilligte die Beklagte der Klägerin Pflegegeld nach der Pflegestufe I in Höhe von EUR 205,00 ab 01. Februar 2004.

Mit Schreiben vom 03. April 2004 wandte sich in die Klägerin nochmals an die Beklagte und beantragte erneut einen Zuschuss zu dem am 12. November 2003 eingebauten Treppenlift. Seit dem 01. Februar 2004 sei sie in die Pflegestufe I eingestuft. Sie legte dem Antrag eine Rechnung der Firma Lifta vom 13. November 2003 über EUR 7.250,00 bei. Mit Bescheid vom 03. Mai 2004, dem keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt war, lehnte die Beklagte einen Zuschuss für den Treppenlifteinbau ab. Die Klägerin legte mit Schreiben vom 10. Mai 2004 Widerspruch ein. Der Treppenlift sei eine große Erleichterung. Ansonsten wäre sie von der pflegenden Tochter noch abhängiger. Mit der Schreiben vom 04. Juni 2004 erläuterte die Beklagte, dass Leistungen nach der Pflegestufe I erst ab dem 01. Februar 2004 festgestellt worden seien und erst seitdem Leistungen in diesem Rahmen bezuschusst werden könnten. Die Klägerin hielt an ihrem Widerspruch fest. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 2004 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch der Klägerin zurück. Grundlegende Voraussetzung für eine Bezuschussung sei es, dass schon zum Zeitpunkt der Wohnumfeldverbesserung das Vorliegen einer Pflegestufe durch die Pflegekasse festgestellt sei oder zumindest rückwirkend festgestellt werden könne. Der Einbau des Treppenlifts sei im November 2003 erfolgt. Die Pflegestufe I sei erst ab 01. Februar 2004 festgestellt worden. Hiergegen erhob die Klägerin am 17. August 2004 Klage beim Sozialgericht Freiburg - SG - (S 5 P 2892/04). Das SG setzte das Verfahren bis zur bindenden Entscheidung des nach § 44 SGB X anhängigen Verfahrens aus (Beschluss vom 26. Oktober 2004).

Am 13. August 2004 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheides vom 13. März 2003 nach § 44 SGB X. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom Bescheid vom 23. August 2004 ab. Der Bescheid vom 13. März 2003 sei nicht zu beanstanden. Die Begutachtung durch den MDK habe ergeben, dass ein Grundpflegebedarf von 29 Minuten täglich bestehe. Damit seien die Voraussetzungen für eine Einstufung in die Pflegestufe I nicht erfüllt gewesen. Die Klägerin legte gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 24. September 2004 Widerspruch ein. Eine wesentliche Veränderung in den Verhältnissen zwischen der ersten und der zweiten Begutachtung sei nicht eingetreten. Die Pflegebedürftigkeit, wie sie im zweiten Gutachten beschrieben worden sei, habe bereits zum Zeitpunkt des ersten Gutachtens bestanden. Zu Unrecht seien in diesem Gutachten Arztbesuche nur alle 14 Tage angegeben worden. Tatsächlich habe ihre Tochter mit ihr sämtliche Arztbesuche beim Augenarzt, Gynäkologen und Zahnarzt erledigt. Auch ein Hörgeräteakustiker sei aufgesucht worden. Im Obergeschoss des Hauses sei keine Badewanne vorhanden. Dort befinde sich auch keine Essgelegenheit. Beim Wechsel der Inkontinenzeinlagen habe darauf geachtet werden müssen, dass diese richtig eingelegt würden. Ihr Hören sei extrem beeinträchtigt. Es sei nicht zutreffend, dass sie bei der damaligen Untersuchung allseits orientiert gewesen sei. Bei der Zahnpflege habe die Pflegeperson dafür sorgen müssen, dass die Prothese überhaupt entfernt und gereinigt werde. Sie habe regelmäßig Zahnpasta mit dem Gebissreiniger verwechselt. Auch das Richten der Bekleidung sei erforderlich gewesen, da ansonsten etwa Winterbekleidung und Sommerbekleidung verwechselt worden wäre. Sie habe auch der Hilfe bei der Ernährung bedurft. Ohne entsprechende Motivationsanreize und konkrete Unterstützung hätte sie überhaupt keine Nahrung mehr zu sich nehmen können. Völlig unverständlich sei, wieso damals angegeben worden sei, dass Hilfe beim Treppensteigen und Verlassen der Wohnung nicht notwendig gewesen sei. Des Weiteren habe schon damals auch ein unsachgemäßer Umgang mit elektrischen Geräten, Medikamenten und überalterten Lebensmitteln bestanden. Sie leide unter Wahnvorstellungen, sodass von einer erhaltenen Sozialkompetenz nicht die Rede sein könne. Das zweite Gutachten beschreibe eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Eine solche Verschlechterung sei aber gerade nicht eingetreten. Weshalb die beiden Gutachten derart stark voneinander abwichen, sei nicht nachvollziehbar.

In einer von der Beklagte veranlassten Stellungnahme vom 14. Oktober 2004 führte Dr. G., MDK, aus, die Demenz habe allmählich zugenommen. Im Juni 2002 sei bei einer notariellen Beurkundung noch volle Geschäftsfähigkeit bestätigt worden. Die Demenz sei zwischenzeitlich überwiegende Ursache der Pflegebedürftigkeit. Bei der zweiten Untersuchung sei die Klägerin zeitlich nicht mehr orientiert gewesen und es sei eine vermehrte Vergesslichkeit und Unselbstständigkeit aufgefallen. Bei der Erstbegutachtung sei die Klägerin bei vielen Toilettengängen noch selbstständig gewesen und habe selbst die Inkontinenzeinlagen wechseln können. Auch das Richten der Bekleidung bei den Toilettengängen sei noch selbstständig möglich gewesen. Dies sei bei der zweiten Begutachtung im Februar 2004 nicht mehr der Fall gewesen. Zwischen den beiden Begutachtungen sei auch in körperlicher Hinsicht eine Verschlechterung festzustellen. Bei der ersten Begutachtung sei die Herzinsuffienz unter Medikamentengabe kompensiert gewesen. Dies sei dann bei der zweiten Begutachtung nicht mehr der Fall gewesen. Der Hausarzt sei zweimal wöchentlich zur Klägerin gekommen. Deshalb seien Arztbesuche einmal wöchentlich nicht notwendig gewesen. Bei der zweiten Begutachtung habe die Klägerin auch nicht mehr mit Brille lesen können. Den Widerspruch der Klägerin wies die Widerspruchsstelle der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 2004 zurück. Gegen die Behauptung, der Gesundheitszustand habe sich seit Januar 2003 nicht verändert, sprächen nicht zuletzt die Selbstauskunftsbögen der drei Pflegepersonen, die zusammen mit dem Erstantrag eingereicht worden seien. Daraus gehe eindeutig hervor, dass Anfang 2003 nur ein Hilfebedarf bei der Hauswirtschaft, der mundgerechten Nahrungszubereitung sowie dem Baden/Duschen bestanden habe. Der durch die beginnende Demenz zusätzliche Betreuungsbedarf habe nicht auf die Pflegezeiten angerechnet werden können. Seitdem habe sich die Demenz erheblich verschlimmert.

Gegen den am 01. Dezember 2004 zur Post gegebenen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 03. Januar 2005 Klage beim SG erhoben. Sie hat unter Bezugnahme auf die Begründung ihres Widerspruchs geltend gemacht, der Zustand im Februar 2004 habe bereits im Januar 2003 vorgelegen. Das notwendige Wechseln der Inkontinenzeinlagen, die Herzinsuffizienz und die Frequenz der Arztbesuche hätten sich nicht verändert.

Dem hat die Beklagte entgegengehalten, nach den Feststellungen des MDK habe die Klägerin die Inkontinenzeinlage selbst gewechselt und Toilettengänge ohne fremde Hilfe ausgeführt. Dies sei im Fragebogen vom 16. Januar 2003 von den drei Pflegepersonen mit ihren Unterschriften bestätigt worden. Die Diagnose Herzinsuffizienz sei auch im Gutachten vom 03. März 2003 festgestellt und berücksichtigt worden.

Das SG hat Dr. K. und Dr. B. als sachverständige Zeugen gehört. Dr. K., Facharzt für Allgemeinmedizin, hat in seiner Auskunft vom 09. Februar 2006 ausgeführt, bei der Klägerin liege eine Herzerkrankung mit Belastungsdyspnoe vor. Ein Diabetes mellitus sei schwer einstellbar. Daneben bestünden eine Schwerhörigkeit, eine Polyarthritis vor allem der großen Gelenke und degenerative Wirbelsäulenveränderungen. Es liege ein zunehmendes Demenzsyndrom mit ausgeprägten Gedächtnisstörungen und häufigen Wahnideen vor. Ergänzend hat er eine Aufstellung über Hausbesuche und sonstige Behandlungsdaten zu den Akten gereicht. Neurologe und Psychiater Dr. B. hat in seiner Auskunft vom 22. Februar 2006 angegeben, er habe die Klägerin in den Jahren 2002 und 2003 nicht behandelt. Konsultationen in der Praxis seien am 27. Februar 2004, 02. April 2004, 27. Mai 2004, 09. November 2004 und 01. Februar 2005 erfolgt. Die kognitiven Funktionen hätten sich verschlechtert. Es fehle die Orientierung zu Ort und Zeit. Es liege eine Alzheimer-Demenz mit rascher Progredienz vor. Die Untersuchung im Jahr 2004 habe einen erhöhten Aufsichtsbedarf wegen zunehmender motorischer Unruhe und gestörter Tag- und Nachtaktivität ergeben.

In der mündlichen Verhandlungen am 28. September 2006 hat das SG die Tochter der Klägerin, A. S., von Beruf Altenpflegerin, als Zeugin vernommen. Wegen der Angaben wird auf die Niederschrift vom 28. September 2006 verwiesen. Das SG hat die Klage durch Urteil vom 28. September 2006 abgewiesen. Es lasse sich nicht festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 13. März 2003 rechtswidrig sei. Ein Hilfebedarf entsprechend der Pflegestufe I sei für die damalige Zeit nicht festzustellen. Selbst bei wohlwollender Betrachtungsweise könne für den Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. M. am 03. März 2003 nur ein Grundpflegebedarf von 41 Minuten angenommen werden.

Die Klägerin hat am 27. November 2006 (Montag) gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 26. Oktober 2006 zugestellte Urteil Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, die Voraussetzungen für die Pflegestufe I hätten bereits am 01. Januar 2003 vorgelegen. Die Beweisaufnahme des SG sei unvollständig gewesen. Die Zeugin S. sei nicht zum notwendigen Hilfebedarf bei der Nahrungsaufnahme befragt worden. Sie hat ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten der Pflegesachverständigen H. S. vom 15. November 2006 mit der ergänzenden Stellungnahme vom 18. März 2007 vorgelegt. Frau S., die die Klägerin in, ihrer Wohnung am 11. November 2006 aufgesucht hat, hat ausgeführt, im Zeitraum vor März 2003 ergebe sich unter Vernachlässigung der Streitpunkte Arztbesuche und Duschen/Baden ein täglicher Pflegebedarf von 103 Minuten in der Grundpflege und von mehr als 45 Minuten in der Hauswirtschaft. Bereits vor März 2003 habe erhebliche Pflegebedürftigkeit bestanden. Die Voraussetzungen für eine Einstufung in die Pflegestufe I lägen seit August 2002 vor. Der anscheinend gute Allgemeinzustand der Klägerin bei einem Hausbesuch sei der Umsicht und Sorgfalt der geschulten Tochter zu verdanken und täusche über die Defizite hinweg.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28. September 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 23. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. November 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 13. März 2003 zurückzunehmen und ihr Pflegegeld nach der Pflegestufe I ab 01. Januar 2003 zu bewilligen, hilfsweise, die Zeugin S. ergänzend zu befragen, wie groß der Pflegebedarf bei der Nahrungsaufnahme im streitigen Zeitraum war und ob die Klägerin ohne die unterstützenden Leistungen überhaupt ausreichende und notwendige (Diät)Kost zu sich genommen hätte, weiter hilfsweise, die Einholung eines Pflegesachverständigengutachtens zur Frage der Pflegebedürftigkeit im streitigen Zeitraum.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Sie hat die Stellungnahme des Dr. Z., MDK, vom 11. Januar 2007 vorgelegt. Er hat das Gutachten der Frau S. für mangelhaft gehalten. Die Informationsquellen (Angehörigenbefragung nach 3,5 Jahren) seien unsicher. Die verwendeten Formulare und Richtlinien der Beurteilung seien nicht die, die im März 2003 gültig gewesen seien. Eine Untersuchung der Klägerin sei nicht erfolgt. Soweit Frau S. bei der Nahrungsaufnahme einen Hilfebedarf von 45 Minuten wegen einer notwendigen Aufsicht der Klägerin zur Verhinderung unkontrollierten Essens, Verstecken von Süßigkeiten und des Einhaltens der zuckerfreien Diät annehme, so seien diese Fähigkeitsstörungen nicht als der Hilfe zur Grundpflege zu berücksichtigen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten und Gerichtsakten des SG und des Senats, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Die Berufung ist auch nach § 144 Abs. 1 SGG statthaft. Die Klägerin macht in der Sache Pflegegeld nach Pflegestufe I für die Zeit ab 01. Januar 2003 bis einschließlich 31. Januar 2004 geltend, damit Leistungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen Der Bescheid der Beklagten vom 23. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. November 2004 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, den Bescheid vom 13. März 2003 zurückzunehmen und der Klägerin bereits ab 01. Januar 2003 Pflegegeld nach Pflegestufe I zu bewilligen ...

Anspruchsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Rücknahme des Bescheids vom 13. März 2003 ist § 44 Abs. 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem der unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass beim Erlass des Bescheids vom 13. März 2003 weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist. Ein Pflegebedarf der Klägerin, der eine Einstufung in die Pflegestufe I und damit die Bewilligung von Pflegegeld in Höhe von EUR 205,00 bereits ab 01. Januar 2003 rechtfertigen würde, ist nicht feststellbar.

Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 des Elften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Die niedrigste Pflegestufe I setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI voraus, dass Pflegebedürftige bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung erforderlich sind. Nach § 15 Abs. 3 SGB XI muss in der Pflegestufe I der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen. Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI). Zur Grundpflege zählt demnach ein Hilfebedarf beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung (Körperpflege), beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der Aufnahme der Nahrung (Ernährung) sowie beim selbstständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (Mobilität).

Der Senat vermag nicht festzustellen, dass diese Voraussetzungen in der Zeit vom Januar 2003 bis Januar 2004 erfüllt waren. Dr. M. stellte nach Untersuchung der Klägerin fest, dass eine beginnende senile Demenz sowie eine angstgefärbte Involutionsdepression vorliegt. Daneben besteht eine inkomplette Harninkontinenz, eine Hypertonie und eine Herzinsuffizienz. Die Klägerin war nach den Feststellungen des Dr. M. in der Lage, innerhalb der Wohnung mit Abstützung an Möbelgegenständen zwischen dem Wohnzimmer, dem Pflegezimmer, dem Badezimmer und der Toilette eigenständig und ohne fremde Beteiligung zu gehen. Transfers vom Sitzen und vom Liegen aus konnte sie allein bewerkstelligen. Der Nacken- und Schürzengriff war ausführbar. Die Inkontinenzeinlagen, die sie wegen der inkompletten Harninkontinenz benutzte, konnte die Klägerin noch selbst wechseln. Toilettengänge führte sie ohne Fremdhilfe selbstständig aus. Anzeichen einer kardialen Dekompensation konnte der Gutachter nicht feststellen. Die Eigenständigkeit bei der Pflege war noch vorhanden. Ausgehend von diesen Befunden hat Dr. M. schlüssig dargelegt, dass Hilfeleistungen im Bereich der Körperpflege bei der Teilwäsche des Oberkörpers und beim Duschen notwendig waren. Soweit er für diese Hilfen, die lediglich in Form der teilweisen Übernahmen erforderlich waren, einen Hilfebedarf von zehn Minuten pro Tag und sechs Minuten pro Tag (Hilfebedarf beim Duschen, umgerechnet auf den Tag) annimmt, ist seine Schlussfolgerung nicht zu beanstanden. Dasselbe gilt für seine Feststellung, dass im Bereich der Ernährung kein Hilfebedarf notwendig war. Ein solcher lässt sich aufgrund des vom Gutachter beschriebenen Leistungsvermögen nicht begründen. Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren, erforderlich seien die Beaufsichtigung bei der oralen Nahrungsaufnahme und unterstützende Leistungen zur ausreichenden und notwendigen Aufnahme von Diätkost. Dies gehört ebenso wie die Beaufsichtigung zur Verhinderung einer übermäßigen Nahrungsaufnahme (vgl. BSG SozR 3-3300 § 43a Nr. 5) nicht zu den in § 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI für den Bereich der Ernährung genannten Verrichtungen. Im Bereich der Mobilität bestand ein Hilfebedarf beim Ankleiden und Entkleiden mit acht bzw. vier Minuten täglich sowie beim Stehen, wobei die Klägerin bei Transfers Unterstützung benötigte. Soweit Dr. M. diesen Hilfebedarf zweimal täglich annimmt und mit insgesamt einer Minute bezifferte, ist auch diese Schlussfolgerung in sich schlüssig. Der Einwand der Klägerin, Arztbesuche habe er nicht berücksichtigt, greift nicht durch. Eine notwendige Begleitung bei Arztbesuchen kann zwar durchaus als Hilfe beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung berücksichtigt werden, allerdings nur dann, wenn die Arztbesuche regelmäßig, d.h. mindestens einmal pro Woche, anfallen. Dies lässt sich aufgrund der Angaben der vom Sozialgericht als sachverständige Zeugen gehörten Dres. K. und B. nicht feststellen. Denn zwischen dem 25. Februar 2003 und 03. Februar 2004 erfolgten keine Arztbesuche. Nach den Angaben des Hausarztes der Klägerin, Arzt für Allgemeinmedizin Dr. K., in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 09. Februar 2006 erfolgten Konsultationen im Januar und Februar 2003, zuletzt am 25. Februar 2003, und dann erst wieder am 03. Februar 2004. Auch den Neurologen und Psychiater Dr. B. suchte die Klägerin im Jahr 2002 und 2003 nicht auf. Erst am 27. Februar 2004 erfolgte eine weitere Behandlung. Dies ergibt sich aus der sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. B. vom 22. Februar 2006. Insgesamt ergibt sich deshalb bezogen auf die Grundpflege ein Hilfebedarf lediglich in einem zeitlichen Umfang von 29 Minuten pro Tag. Damit waren zum damaligen Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine Einstufung der Klägerin in Pflegestufe I nicht erfüllt.

Der gesundheitliche Zustand der Klägerin ist im Januar 2003 und Februar 2004 nicht unverändert geblieben, sondern hat sich verschlechtert. Deshalb lassen sich die tatsächlichen Feststellungen, die Dr. M. seinem Gutachten vom 03. März 2003 zugrunde legte, nicht widerlegen. Der Senat stützt sich insoweit zunächst auf die Tatsache, dass der gesundheitliche Zustand der Klägerin im Jahr 2003 keine häufigen ärztlichen Behandlungen erforderte. Die dargelegten suchte die Klägerin zwischen dem 25. Februar 2003 und dem 03. Februar 2004 ihren Hausarzt Dr. K. nicht auf. Dies spricht auch der am 03. Dezember 2003 bei der Beklagten eingegangenen Antrag der Klägerin auf den Zuschuss für den Einbau des Treppenlifts in der Wohnung. Dort wird zur Begründung ausdrücklich ausgeführt, dass durch die Verschlimmerung ihrer Beschwerden sie nicht mehr allein sicher die Treppe hinauf und hinab gehen könne. Beim Gehen in und auch außerhalb der Wohnung bedurfte die Klägerin demgegenüber zu Beginn des Jahres 2003 noch keiner Hilfe. In dem unter dem 16. Januar 2003 von den Pflegepersonen, u.a. auch der vom SG als Zeugen vernommenen Tochter der Klägerin, ausgefüllten Fragebogen wurde dies ausdrücklich verneint. Für eine Verschlimmerung des gesundheitlichen Zustandes der Klägerin im Laufe des Jahres 2003 spricht weiter, dass es sich bei der Demenz-Erkrankung der Klägerin um eine progrediente Erkrankung handelt. Auch der Neurologe und Psychiater Dr. B. gab in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 22. Februar 2006 an, bei seinen Untersuchungen, die sich auf die Zeit ab 27. Februar 2004 beziehen, dass die Klägerin ihn erstmals nach längerer Zeit an diesem Tag wieder aufsuchte und eine weitere Verschlechterung der kognitiven Funktionen mit fehlender Orientierung zu Ort und Zeit eingetreten sei. Damit in Übereinstimmung steht die Ausführungen des Arztes Y. in seinem Gutachten vom 24. Februar 2004, wonach sich die Demenz verstärkt hatte und eine stetige Zunahme des geistigen Abbaus eingetreten war.

Aus dem Gutachten der Frau S. vom 15. November 2006, dass als Parteivorbringen der Klägerin zu berücksichtigen ist, erfordert keine andere Beurteilung. Das Gutachten ist in sich nicht schlüssig und kann einer Entscheidungsfindung nicht zugrunde gelegt werden. Die Gutachterin hat sich zwar ein Bild von der häuslichen Umgebung der Klägerin gemacht, ihre weiteren Erkenntnisse, insbesondere zu Art und Umfang der Gesundheitsstörungen und den Fähigkeitsstörungen der Klägerin sowie den daraus resultierenden Hilfebedürfnissen, beruhen allerdings lediglich auf einem Aktenstudium und den Angaben der Angehörigen. Anhaltspunkte dafür, weshalb im Bereich der Körperpflege eine Hilfe beim Stuhlgang und bei der Intimpflege des Unterkörpers erforderlich gewesen sein soll, ergeben sich nicht. Dasselbe gilt für einen von der Gutachterin angegebenen Hilfebedarf bei der Zahnpflege sowie beim Richten der Bekleidung und beim Wechsel kleiner Vorlagen. Nach den Feststellungen des Dr. M. wurden diese Tätigkeiten, mit Ausnahme der Hilfe bei der Teilwäsche des Unterkörpers von der Klägerin zum damaligen Zeitpunkt noch selbst durchgeführt. Soweit Frau S. angibt, der anscheinend gute Allgemeinzustand beim Hausbesuch sei der Umsicht und der Sorgfalt der geschulten Tochter zu verdanken und täusche über die Defizite hinweg, handelt es sich um eine Spekulation, die durch nichts zu verifizieren ist. Soweit die Gutachterin S. einen Hilfebedarf im Bereich der Ernährung wegen der erforderlichen Aufsicht, um unkontrolliertes Essen zu verhindern, annimmt, kann ihr nicht gefolgt werden. Dieser Hilfebedarf kann - wie dargelegt - nicht berücksichtigt werden, weil es sich insoweit um eine allgemeine Aufsichtsmaßnahme handelt, die nicht in Zusammenhang mit einer der in § 14 Abs. 4 SGB XI aufgezählten Verrichtungen des täglichen Lebens steht. Im Übrigen gibt die Gutachterin S. keinerlei Begründung dafür, aus welchen Gründen sie den von ihr festgestellten Pflegebedarf als bereits im August 2002 gegeben annimmt. Zu diesem Zeitpunkt wohnte die Klägerin noch in ihrer eigenen Wohnung. Die im Fortschreiten der Erkrankung aufgetretene Erhöhung des Pflegebedarfs ist unter Zugrundelegung der Feststellungen der Gutachter Dr. M. und des Arztes Y. nachvollziehbar. Die Feststellungen der Gutachterin S. lassen sich mit dem dokumentierten Verlauf der Erkrankung dagegen nicht in Einklang bringen.

Auch aus den Angaben der Zeugin S. in der mündlichen Verhandlung vor dem SG anlässlich ihrer Zeugenvernehmung ergibt sich nichts anderes. Das SG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass zusätzlich weitere Hilfeleistungen beim Treppensteigen (dreimal pro Tag) mit insgesamt fünf Minuten, einer Hilfe beim Vorlagenwechsel (fünf mal täglich) mit einer Minute und einer zusätzlichen Hilfe bei der Teilwäsche des Unterkörpers mit drei Minuten berücksichtigt werden kann, ohne dass ausgehend von den Feststellungen zum zeitlichen Umfang der Pflege durch Dr. M. damit die Grenze für die nach Pflegestufe I erforderlichen zeitlichen Aufwand erreicht werden würden. Selbst wenn insoweit bei allen einzelnen Verrichtungen ein zusätzlicher Hilfebedarf vorläge, ergebe sich kein täglicher Zeitaufwand für Verrichtungen der Grundpflege in Höhe von mindestens 46 Minuten. Dies hat das SG zutreffend dargelegt, weshalb der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf Bezug nimmt.

Soweit die Klägerin sich dahingehend einlässt, die Befragung der Zeugin S. sei unvollständig gewesen, weil sie nicht danach gefragt worden sei, ob eine Aufsicht beim Einnehmen der Mahlzeit notwendig gewesen sei, greift dieser Einwand nicht durch. Die Zeugin hat geschildert, dass sie der Klägerin das Frühstück öfter ans Bett brachte und die Zeugin das Mittagessen und das Abendessen in der Wohnküche einnahm. Die Zeugin hat also den Vorgang der Nahrungsaufnahme geschildert, einen besonderen Hilfebedarf, der in der mundgerechten Zubereitung der Nahrung oder zur Aufnahme der Nahrung bestand, lässt sich dem eigenen Vorbringen der Klägerin schon nicht entnehmen ...

Einer weiteren Beweiserhebung bedurfte es nicht. Der Sachverhalt ist durch die vorliegenden Gutachten geklärt, sodass kein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen war. Die Tochter der Klägerin war nicht erneut als Zeugen zu hören. Den Umfang des Pflegebedarf bei der Nahrungsaufnahme hat das Gericht auf Grund der tatsächlichen Umstände festzustellen. Darauf, dass die Klägerin ihrer Behauptung nach bei der oralen Nahrungsaufnahme beaufsichtigt wurde und unterstützende Leistungen zur ausreichenden und notwendigen Aufnahme der Diätkost erhielt, kommt es wie dargelegt nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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