S 26 R 33/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
26
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 26 R 33/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 169/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1.Die Klage wird abgewiesen. 2.Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).

Die am 00.0.1923 in l in Polen geborene Klägerin ist Jüdin und Verfolgte des Nazi-Regimes und lebt seit 1950 in Israel mit der dortigen Staatsangehörigkeit.

Sie beantragte am 04.11.2002 die Gewährung einer Regelaltersrente aus der Deutschen Rentenversicherung, unter Berücksichtigung von Zeiten nach dem ZRBG. Eine schriftliche Erklärung einer Zeugin S wurde vorgelegt (Bl. 29 der Rentenakte), wonach die Klägerin in einer Schuhwerkstatt im Ghetto Krakau gearbeitet habe. Die Klägerin selbst gab in einer schriftlichen Erklärung an, dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört zu haben. Sie habe vom Frühjahr 1941 bis Anfang 1943 während ihres Aufenthaltes im Ghetto von Krakau außerhalb des Ghettos Tätigkeiten als Helferin bei einer Schuhwerkstatt verrichtet. Sie habe dafür Hilfsarbeiten verrichtet und zu- gearbeitet. Sie habe 9 Stunden täglich gearbeitet. Bei der Arbeit sei sie nicht bewacht worden. Die Arbeit sei freiwillig zustande gekommen, bei Vermittlung durch den Judenrat. Erhalten habe sie dafür wöchentliches Entgelt und Essen (Bl. 13 ff der Rentenakte).

Was den Zeitraum danach angeht, so hatte die Klägerin in einem Entschädigungsverfahren nach dem BEG in den 60er Jahren angegeben, sie sei dann später in das Zwangsarbeitslager Plaszow gekommen, 1944 in die Konzentrationslager Auschwitz und Stutthof. Von dort aus sei sie in das Zwangsarbeitslager Neustadt-Holstein gekommen, und am 05. Mai 1945 befreit worden. Über Bergen-Belsen sei sie wieder nach Polen gegangen und später über Italien nach Israel ausgewandert und lebe seit Juni 1950 in Israel (Bl. 50 Rückseite der Rentenakte).

Die Beklagte zog für ihre Zwecke die Entschädigungsvorgänge nach dem BEG von dem Amt für Wiedergutmachung in Saarburg bei, mit den früheren Angaben zu dem Aufenthalt im Ghetto von Krakau, wertete diese Vorgänge aus und nahm Kopien zur Akte.

Die Beklagte schrieb auch die Claims Conference an. Diese teilte mit, dass die Klägerin die Entschädigung aufgrund des Verfolgungsschicksals im Ghetto Krakau im Jahre 1942 erhalten habe. Dafür habe man die Entschädigungsakte vor Ort beim israelischen Finanzministerium eingesehen und habe keine eigenen Unterlagen, aus denen sich die genaue Schilderung des Verfolgungsschicksals ergebe.

Mit Bescheid vom 15.09.2005 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab. Zur Begründung führte sie aus, vom für eine Rente notwendigen Vorliegen einer entgeltlichen aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen freiwilligen Beschäftigung habe sich die Beklagte nicht überzeugen können. Eine solche Beschäftigung sei nicht glaubhaft gemacht. Im Einzelnen heißt es dort, aus dem Inhalt der Entschädigungsakte ergäben sich zumindest zeitliche Abweichungen, was den Aufenthalt im Ghetto Krakau angehe. Danach sei die Klägerin schon im August 1942 in das Zwangsarbeitslager Plaszow verbracht worden, und habe vorher in einem "Außenkommando" gearbeitet (Bl. 45, 46, 50 Rückseite der Rentenakte). Anders als die Klägerin gebe die Zeugin S in ihrer schriftlichen Erklärung an, die Klägerin habe im Ghetto Krakau gearbeitet, und nicht außerhalb des Ghettos (Bl. 29 Rentenakte). Im Widerspruch zu den jetzigen Angaben habe die Klägerin auch in dem Entschädigungsverfahren angegeben, nach einem Aufenthalt im Gefängnis in Krakau im September 1940 habe sie danach in der Folge im Schusterressort "Zwangsarbeit" verrichten müssen; die Beklagte halte daher eine Arbeit im Außenkommando oder im Schusterressort aus eigenem Willensentschluss nicht für wahrscheinlich. Ein weiteres Indiz für das Vorliegen von Zwangsarbeit sei auch die Entschädigungsleistung der Claims Conference, die der Klägerin für Zwangsarbeiten im Ghetto Krakau gewährt worden sei. Zwangsarbeiten würden aber von dem ZRBG nicht erfasst und begründeten deshalb keinen Rentenanspruch.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 28.09.2005 Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie im wesentlichen vor, sei bleibe dabei, von März 1941 bis März 1943 in der Schuhwerkstatt außerhalb des Ghettos freiwillige Tätigkeit gegen Entgelt ausgeübt zu haben. An zusätzliche Lebensmittel für zu Hause und ein kleines Gehalt erinnere sie sich noch, nur nicht an die Höhe. Eine eigene Erklärung dazu gab sie auch ab (Bl. 140 Rentenakte). Erst im März 1943 sei sie in das Zwangsarbeitslager Plaszow überführt worden. Dort habe sie auch in einer Schuhwerkstatt gearbeitete, aber unter ganz anderen Bedingungen.

Die Beklagte zog noch ihre Akte über die Zeugin S aus deren Rentenverfahren zu Vergleichszwecken bei (Bl. 114 ff der Rentenakte). Für diese Zeugin hatte die Beklagte auch eine Rente abgelehnt, wegen widersprüchlicher Angaben und dort angegebener Zwangsarbeit (Bl. 122 Rentenakte - ein insoweit laufendes Klageverfahren von Frau S ist inzwischen im Berufungsverfahren beim Landessozialgericht NRW unter dem Aktenzeichen L 00 R 00/00, für welches dortige Verfahren das Landessozialgericht vorübergehend die hiesigen Akten beigezogen hatte).

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.01.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung gab sie ihre bisherige Begründung ausführlicher wieder und führte noch ergänzend aus, auch die nachgereichte Erklärung der Klägerin entkräfte nicht die bisherige Auffassung der Beklagten. Im übrigen gehe sie davon aus, dass für die Tätigkeiten im Ghetto allenfalls geringfügiges Entgelt gewährt worden sei, es könne allenfalls von Bezahlung in Form von Essen und Sachbezügen zur Unterhaltssicherung im Sinne von § 1227 RVO ausgegangen werden, nicht aber von Zahlung eines ausreichenden Entgelts im eigentlichen Sinne.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 08.02.2007 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben.

Zur Begründung nimmt die Klägerin sinngemäß Bezug auf ihr bisheriges Vorbringen und vertieft dieses. Ergänzend macht sie geltend, für ihre Tätigkeit habe sie wie alle jüdischen Arbeiter den gleichen Lohn bekommen, auf den im Generalgouvernement auch ein Anspruch bestanden habe, was auch das Gutachten von H bestätige, das dem Gericht und den Beteiligten bekannt sei. Nach dem Gesetzeszweck des ZRBG müsse ihr dafür eine Beitragszeit in der Rentenversicherung zukommen, eine weitere Erklärung reichte sie ein (Bl. 12 Gerichtsakte). Durch das jüngste Urteil des 4. Senats des Bundessozialgerichts vom 14.12.2006 fühle sie sich in ihrer Auffassung bestätigt.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

1.die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.01.2007 zu verurteilen, ihr unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG - für die von ihr anlässlich des Aufenthalts im Ghetto von Krakau von März 1941 bis März 1943 zurückgelegten Zeiten einer Beschäftigung - und unter Berücksichtigung von wegen Verfolgung anzuerkennenden Ersatzzeiten nach Entrichtung ggf. noch erforderlicher freiwilliger Beiträge eine Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen seit dem 01.07.1997 zu zahlen, 2.hilfsweise sie ergänzend in Israel anzuhören.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Ergänzend macht sie geltend, sie sehe weiterhin ein relevantes Entgelt als schon nicht nachgewiesen an. Der eigene Vortrag der Klägerin zur Form der Entlohnung lasse es nicht zu, hier von einem Beschäftigungsverhältnis auszugehen.

Das Gericht hat den Beteiligten mit Verfügung vom 16.05.2007 die Mitteilung der Claims Conference vom 09.09.2005 über die Zahlung einer Entschädigung für das Ghetto Krakau noch mal ausdrücklich zur Kenntnis gebracht (Bl. 23 Gerichtsakte).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte in Abwesenheit des Bevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil dieser in der ordnungsgemäß zugestellten Terminsmitteilung auf diese Verfahrensmöglichkeit hingewiesen worden ist, die sich aus §§ 124 Abs. 1, 126 und 127 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergibt.

Die Klage ist zwar zulässig, sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten, nämlich der Bescheid vom 15.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.01.2007, sind jedenfalls im Ergebnis nicht rechtswidrig und beschweren die Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG, weil die Beklagte mit diesen Bescheiden zu Recht die Gewährung einer Rente aus der deutschen Rentenversicherung abgelehnt hat. Der dahingehenden begehrten Verpflichtung der Beklagten (§ 54 Abs. 4 SGG) war damit nicht zu entsprechen, und es war auch nicht dem Hilfsantrag der Klägerin zu entsprechen, sie ergänzend in Israel anzuhören vor einer Entscheidung, weil es aus Rechtsgründen keiner weiteren Aufklärung der im Ghetto ausgeübten Tätigkeiten bedarf.

Die Klägerin hat hier gegen die Beklagte nämlich schon allein deshalb keinen Anspruch auf eine Rente nach den Vorschriften des SGB VI in Verbindung mit evtl. Beitragszeiten in Krakau nach den Vorschriften des ZRBG oder den Vorschriften des Fremdrentengesetzes (FRG), weil der Geltendmachung einer Rentenleistung aus der gesetzlichen deutschen Rentenversicherung schon entgegensteht, dass die Klägerin für die Zeit im Ghetto bereits entschädigt wurde, und zwar nach dem EVZStiftG. § 16 dieses Gesetzes besagt in Abs. 1 Satz 1 und 2: "Leistungen aus Mitteln der öffentlichen Hand einschließlich der Sozialversicherung sowie deutscher Unternehmen für erlittenes nationalsozialistisches Unrecht im Sinne von § 11 können nur nach diesem Gesetz beantragt werden. Etwaige weitergehende Ansprüche im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Unrecht sind ausgeschlossen". Diese Vorschriften schließen also hier, da die Klägerin ausweislich des Schreibens der Claims Conference vom 09.09.2005 bereits Leistungen nach dem EVZStiftG erhalten hat für Zeiten im Ghetto Krakau, weitere Ansprüche aus Tatbeständen im Zusammenhang mit der Verfolgung im Ghetto Krakau aus. Die 26. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf schließt sich damit der Auffassung des LSG NRW im Urteil vom 07.06.2005 (L 4 R 3/05) an, wonach der Ausschluss von Ansprüchen nach § 16 Abs. 1 Satz 2 EVZStiftG auch Forderungen gegenüber der Sozialversicherung enthält bzw. solche ausschließt. Diese Leistungsausschluss hätte nämlich praktisch keinen Anwendungsbereich und würde ausgehebelt, wenn über die nicht näher substanziierte floskelhafte Regelung des § 16 Abs. 3 EVZStiftG auf diesem Umweg doch wieder Ansprüche nach anderen Rechtsvorschriften möglich sein sollten. Dies kommt indirekt zum Ausdruck auch in der Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Fraktion "Die Linke" (BT-Drucksache 16/1955 Seite 5). Dort hat die Bundesregierung klargestellt, es sei zu unterscheiden zwischen rentenrechtlichen Beschäftigungen und Entschädigungsleistungen für Zwangsarbeit, die eben nach anderen Gesetzen erbracht würden. Ist die Klägerin somit wie hier entsprechend dem Schreiben der Claims Conference vom 09.09.2005 für ihr Verfolgungsschicksal im Ghetto Krakau nach dem EVZStiftG für damit ggf. verbundene Tätigkeiten im Ghetto auch wegen etwaiger Arbeiten entschädigt worden, die als Zwangsarbeit nach dem EVZStiftG qualifiziert wurden (gleich ob dies richtig war oder nicht), so hat dies den Ausschluss von Abgeltungen nach anderen Gesetzen wie hier nach dem ZRBG bzw. SGB VI bzw. FRG zur Folge. Dabei ist es nach Auffassung der Kammer auch ohne Bedeutung, ob die nach dem EVZStiftG gewährte Zwangsarbeiterentschädigung für Tätigkeit im Ghetto Krakau auf das Jahr 1942 beschränkt wurde, während hier Beitragszeiten nach dem ZRBG für einen Gesamtzeitraum von März 1941 bis März 1943 geltend gemacht werden; denn es handelt sich bei den Entschädigungen nach dem EVZStiftG um Pauschalentschädigungen für zwangsweise ausgeübte Tätigkeiten im Ghetto, so dass auch alle sonstigen Tätigkeiten im Ghetto vom Anspruchsausschluss erfasst werden, wenn es um Tätigkeiten geht, die bereits von der Claims Conference als Zwangsarbeit qualifiziert wurden (gleich ob dies materiell richtig war oder nicht). Ob und dass ggf. die Zeit und die Tätigkeit im Ghetto von der Klägerin nicht auf den Gesamtzeitraum von 1941 bis 1943 erstreckt wurde, im Rahmen der Anspruchsprüfung nach dem EVZStiftG, fällt in den Verantwortungsbereich der Klägerin. Außerdem hatte die Klägerin in dem früheren Entschädigungsverfahren nach dem BEG damals wesentlich zeitnäher angegeben, schon in 1942 in das Zwangsarbeitslager Plaszow verbracht worden zu sein, worauf die Beklagte auch in dem angefochtenen Bescheid vom 15.09.2005 bereits hingewiesen hat.

Damit kann letztlich dahinstehen, ob die Klägerin überhaupt im Ghetto Krakau Tätigkeiten verrichtete, die materiell-rechtlich auch als entgeltliche Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zu werten gewesen wäre; gleich ob man zur Anspruchsprüfung das den Beteiligten bekannte Urteil des 13. Senats des Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 (B 13 RJ 59/03 R) heranzieht oder das jetzt kürzlich ergangene Urteil des 4. Senats des Bundessozialgerichts vom 14.12.2006 (B 4 R 29/06 R), mit dem der 4. Senat des Bundessozialgerichts zur Überraschung der Richter des Sozialgerichts Düsseldorf und zur Überraschung auch für Richter des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen davon abgesehen hat, zuvor den 13. Senat des Bundessozialgerichts anzurufen oder aber den Großen Senat des Bundessozialgerichts, was der Rechtsfortbildung und Rechtsvereinheitlichung nur positiv gedient hätte, gleich zu welcher Entscheidung man gekommen wäre. Mit dem etwaigen Ausschluss von Rentenleistungen aus der deutschen Rentenversicherung durch § 16 EVZStiftG haben sich aber jedenfalls bisher weder der 4. noch der 13. Senat des Bundessozialgerichts entscheidungserheblich auseinandergesetzt.

Die Kammer verkennt nicht das Verfolgungsschicksal der Klägerin, sieht aber nach Lage von § 16 EVZStiftG keine Möglichkeit, dem geltend gemachten Anspruch der Klägerin zu entsprechen. Das ZRBG bzw. das SGB VI wie auch das FRG und das EVZStiftG geben hier weitergehende Ansprüche für die Klägerin nicht her, so dass letztlich dahinstehen kann, ob überhaupt eine entgeltliche und aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung in welcher Tätigkeit im Ghetto Krakau vorgelegen hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG.
Rechtskraft
Aus
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