Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 15 R 71/05
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 R 141/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
I m Streit ist der Anspruch der 1954 geborenen Klägerin auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).
Die Gewährung von Rente hatte sie am 26. März 2004 beantragt. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 25. Mai 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2004 ab, weil die Klägerin noch über ein Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden für leichte bis mittelschwere Arbeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes verfüge. Die hiergegen erhobene Klage vor dem Sozialgericht Hamburg blieb erfolglos. Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 22. Mai 2006 abgewiesen. Wegen des Sachverhalts bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens wird Bezug auf den Tatbestand des Urteils des Sozialgerichts genommen.
Das Sozialgericht hat sich gestützt auf ein Gutachten, das der Neurologe/Psychiater Dr. R. nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 18. April 2006 erstattet hatte. Es hat festgestellt, die Klägerin könne noch leichte körperliche Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen geistiger Art und durchschnittlicher Verantwortung, in wechselnder Körperhaltung, nicht unter besonderem Zeitdruck, nicht in Akkord-, Schicht- und Nachtarbeit, zu ebener Erde vollschichtig verrichten. Es bestünden Wege- und Umstellungsfähigkeit. Die Klägerin sei in der Lage, möglicherweise bestehende Hemmungen gegenüber einer leidensgerechten Tätigkeit aus eigenem Antrieb zu überwinden. Die Einschränkungen bestünden seit Antragstellung. Änderungen im Leistungsvermögen seien seither nicht eingetreten. Eine Besserung sei unwahrscheinlich.
Gegen das am 24. Juli 2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 7. August 2006 Berufung eingelegt und mit dieser unter anderem vorgetragen, das Gutachten von Dr. R. sei ungeeignet, als Grundlage der Urteilsfindung zu dienen, denn er habe ihre aktenkundigen und vorgetragenen qualitativen Leistungsprobleme bis auf den Teilbereich der Konzentration offensichtlich nicht untersucht. Auch zur Konzentrationsfähigkeit habe er keine nachvollziehbaren Testdaten vorgelegt. Zudem lasse sich seinem Gutachten nicht entnehmen, auf welcher methodischen Grundlage er zur Beurteilung gekommen sei, das quantitative Leistungsvermögen sei nicht aufgehoben oder wesentlich eingeschränkt. Angezeigt sei eine Nachfrage zu ihrem Leistungsvermögen bei den sie behandelnden Ärzten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 22. Mai 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Mai 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. April 2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren, höchsthilfsweise eine weitere testpsychologische Begutachtung zur Feststellung ihrer Leistungsfähigkeit einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Das Gericht hat zunächst eine ergänzende Stellungnahme von Dr. R. eingeholt. Dieser trug unter Vorlage der Testdaten nach, dass der im Rahmen seiner Untersuchung durchgeführte Zahlen- und Buchstabennachsprechtest für Einschränkungen der konzentrativen Belastbarkeit der Klägerin gesprochen hätte, wenn sich hier bei ihr deutliche Einschränkungen gezeigt hätten. Doch habe sich insoweit ein regelrechtes Testergebnis gefunden. Das Gericht hat sodann einen Befundbericht des Psychologischen Psychotherapeuten B. eingeholt, bei dem die Klägerin in verhaltenstherapeutischer Einzeltherapie bis zu deren Beendigung nach Erreichung des Stundenkontingents im Jahr 2005 gewesen ist.
Das Gericht hat ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von der Ärztin für Psychiatrie und Neurologie B. eingeholt, die die Klägerin am 26. März 2007 ambulant untersuchte und unter dem 6. Mai 2007 ihr Gutachten erstattete. Sie sah bei der Erhebung des psychopathologischen Befundes die Klägerin in der Orientierung, im Denken und in der Konzentrations- sowie der Gedächtnisleistung nicht eingeschränkt. Der neurologische Status sei regelrecht; es gäbe keinen Hinweis auf eine Nervenwurzelreiz- oder Kompressionssymptomatik. Verdeutlichungsmechanismen seien festzustellen. Sie diagnostizierte eine rezidivierende depressive Störung vor dem Hintergrund einer kombinierten Persönlichkeitsstörung und ein Lendenwirbelsäulensyndrom. Die Persönlichkeitsstörung begleite die Klägerin bereits Zeit ihres Lebens. Doch hätten unter sozialmedizinischen Gesichtspunkten nur sehr schwer ausgeprägte Persönlichkeitsstörungen einen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit. Eine derartige Störung liege bei der Klägerin nicht vor. Durch die Persönlichkeitsstörung ergäben sich keine Leistungseinschränkungen. Vor dem Hintergrund dieser Persönlichkeitsauffälligkeiten habe sich eine depressive Symptomatik mit schwankendem Verlauf, zeitweilig mittelgradig und bei der Untersuchung eher leicht ausgeprägt, eingestellt. Hirnorganische Auffälligkeiten lägen nicht vor. Auch kognitive Auffälligkeiten ließen sich nicht feststellen; die angegebenen Störungen von Konzentrationsfähigkeit und Gedächtnis sowie Durchhaltevermögen blieben im Subjektiven und seien letztlich Ausfluss der Persönlichkeitsauffälligkeiten, insbesondere der Versagensängste. Aus den vorliegenden psychiatrischen Störungen ergäben sich durchaus Einschränkungen der Leistungsfähigkeit, allerdings nur qualitativer Art. Die Klägerin könne aus psychiatrischer Sicht leichte, zeitweilig mittelschwere körperliche sowie dem Ausbildungsstand entsprechende, d. h. durchschnittliche geistige Tätigkeiten durchschnittlicher Verantwortung, in wechselnder Körperhaltung, ohne erhöhten Zeitdruck sowie Akkord- oder Nachtarbeit, ohne besondere seelische Belastung vollschichtig leisten. Aus neurologischer Sicht sei das Wirbelsäulenleiden bezüglich der Leistungsfähigkeit insofern zu berücksichtigen, als Tätigkeiten mit länger dauernden Wirbelsäulenzwangshaltungen nicht gefordert werden könnten. Eine quantitative Leistungseinschränkung ergäbe sich durch dieses Leiden nicht. Weitere sozialmedizinisch relevante Leiden lägen bei der Klägerin nicht vor; Schilddrüsen- und Bluthochdruckleiden seien medikamentös eingestellt. Bei der Klägerin liege auch kein Leiden vor, durch das die Wegefähigkeit eingeschränkt würde. Aus psychiatrischer Sicht sei sie in der Lage, mit zumutbarer Willensanspannung Hemmungen gegenüber einer Arbeitsleistung zu überwinden. Diese Einschränkungen hätten bereits bei Antragstellung vorgelegen. Weitere Gutachten seien nicht erforderlich.
Zu diesem Gutachten hat die Klägerin unter anderem dahingehend Stellung genommen, die bisherigen gutachterlichen Erhebungen wiesen Diagnoselücken auf. Erforderlich wären eine testpsychologische Abklärung und eine objektive Messung der definitiv vorhandenen quantitativen Leistungsmöglichkeiten. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der zum Gegenstand der Beratung und Entscheidung des Senats gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben. Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 25. Mai 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2004 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Versicherte haben Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).
Die wartezeit- und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen werden von der Klägerin zum Zeitpunkt der Antragstellung erfüllt. Seit dem Jahr 2004 enthält ihr Versicherungsverlauf keine rentenrechtlich erheblichen Zeiten mehr. Doch dass die Klägerin nicht mehr in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auch in nur leichten Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, lässt sich nicht feststellen. Der Senat hält die Bewertungen von Dr. R. und von Frau B. für nachvollziehbar, stimmig und überzeugend und folgt ihren Leistungsbeurteilungen.
Entgegen der Kritik der Klägerin sprechen gegen die Einschätzungen der beiden Sachverständigen nicht die von ihr vorgetragenen Beschwerden und Einschränkungen und nicht die Bewertungen ihrer behandelnden Ärzte. Diese Kritik verkennt, dass es bei der medizinischen Begutachtung im Rentenstreitverfahren nicht in erster Linie um Diagnostik und Behandlung sondern um Funktionsbegutachtung geht. Und sie verkennt, dass die auf die Beschreibung von zumutbar nicht kompensierbaren Leistungseinschränkungen gerichtete Funktionsbegutachtung nicht allein an den geklagten Beschwerden und auch nicht an den Diagnosen der behandelnden Ärzte anknüpfen kann, sondern sie in erster Linie an durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen selbst erhobene Befunde anknüpfen muss.
Auch die methodologische Kritik der Klägerin gegen die Gutachten von Dr. R. und Frau B. überzeugen den Senat nicht und geben keine Veranlassung, das von ihnen beschriebene Leistungsvermögen anzuzweifeln. Zutreffend hat Frau B. darauf hingewiesen, dass eine psychologische Testung im Rahmen einer psychiatrischen Begutachtung nicht zweckdienlich sei; vielmehr seien psychopathologische Befunde zu erheben, aus denen sich die Diagnosen auf psychiatrischem Fachgebiet nachvollziehen lassen müssten und damit letztlich auch die Aussagen zur Leistungsfähigkeit. Dies gilt uneingeschränkt jedenfalls für den vorliegenden Fall, in dem eine psychologische Testung bereits stattgefunden hatte und relevante psychische Einschränkungen nicht zu zeigen vermochte.
Der Klägerin ist zuzugeben, dass sie von ihrem Psychotherapeuten, von den Behandlern im Krankenhaus G., in dem sie 1999 und 2003 stationär behandelt worden war, und auch von Dr. L., der sie im Jahr 2004 in einem Familiengerichtsverfahren begutachtet hatte, hinsichtlich ihrer Erkrankungen und ihres Leistungsvermögens – teilweise – anders eingeschätzt worden ist. Doch liegen diesen Gutachten und Einschätzungen andere Fragestellungen zugrunde. Demgegenüber gründen die Leistungseinschätzungen von Dr. R. und von Frau B. auf den durch sie erhobenen, weithin übereinstimmenden psychopathologischen Querschnittsbefunden, an deren Erhebung die Klägerin durchgreifende Kritik nicht vorgebracht hat, und diese Leistungseinschätzungen sind von beiden, für Begutachtungen auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts ausgewiesenen Sachverständigen unter Berücksichtigung sozialmedizinischer Standards abgegeben worden, die Anlass zu methodologischer Kritik und inhaltlichen Zweifeln nicht geben und die der Senat daher der Entscheidungsfindung zugrunde legt.
Für deren Leistungseinschätzung spricht auch, dass die Klägerin sich durchaus in der Lage gezeigt hat und zeigt, ihr Leben zu strukturieren und selbstfürsorgend zu handeln. So stellt sich zur Überzeugung des Senats auch ihr Umzug Mitte 2006 von Hamburg nach Hohenhorn nicht als ein durch eine Persönlichkeitsstörung bedingter sozialer Rückzug sondern als ein positiver Versuch der Lebensgestaltung dar. Die Klägerin lebt dort zwar allein mit einem Hund und Katzen. Sie nimmt aber auch gelegentlich Pensionshunde auf und hatte den Umzug mit der Vorstellung verbunden, das selbständige Betreiben einer Tierpension würde auf dem Land leichter fallen.
Die im Termin am 27. Juni 2007 durch die Klägerin höchsthilfsweise beantragte testpsychologische Begutachtung war zur Überzeugung des Senats entbehrlich. Nach den Gutachten von Dr. R. und Frau B. waren die gerichtlichen Ermittlungen abgeschlossen und der Rechtsstreit auch im Ergebnis der mündlichen Verhandlung entscheidungsreif. Die Klägerin hat nichts vorgetragen, durch das sich der Senat zur Durchführung der beantragten weiteren Ermittlung von Amts wegen hätte gedrängt sehen müssen. Ihr Vortrag beschränkt sich im Wesentlichen darauf, es gäbe weitere Test- und Messmethoden, die vorliegend noch nicht angewendet worden seien. Dass und warum diese hier anzuwenden und die vorliegenden Gutachten und Leistungsbeurteilungen also unzureichend seien, lässt sich ihrem Vortrag nicht entnehmen und ist auch sonst nicht ersichtlich. Gewiss gibt es zahlreiche Test- und Messmethoden. Doch ist für den Senat entscheidend, dass sowohl Dr. R. als auch Frau B. nach eigener Anamneseerhebung und auf der Grundlage des von ihnen erhobenen psychopathologischen Befunds sowie unter Auseinandersetzung mit der Schwierigkeit, bei einer depressiven Symptomatik das Ausmaß dieser Störung genau zu beschrieben, schlüssige Leistungsbeurteilungen abgegeben haben. Es ist nicht ersichtlich, durch welchen Test oder welche Messmethode sich welche relevante Tatsache ermitteln ließe, die durch die Gutachter im Rahmen ihrer Würdigung bislang keine Berücksichtigung gefunden hat. Die Einholung eines testpsychologischen Gutachtens war daher nicht erforderlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
I m Streit ist der Anspruch der 1954 geborenen Klägerin auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).
Die Gewährung von Rente hatte sie am 26. März 2004 beantragt. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 25. Mai 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2004 ab, weil die Klägerin noch über ein Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden für leichte bis mittelschwere Arbeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes verfüge. Die hiergegen erhobene Klage vor dem Sozialgericht Hamburg blieb erfolglos. Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 22. Mai 2006 abgewiesen. Wegen des Sachverhalts bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens wird Bezug auf den Tatbestand des Urteils des Sozialgerichts genommen.
Das Sozialgericht hat sich gestützt auf ein Gutachten, das der Neurologe/Psychiater Dr. R. nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 18. April 2006 erstattet hatte. Es hat festgestellt, die Klägerin könne noch leichte körperliche Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen geistiger Art und durchschnittlicher Verantwortung, in wechselnder Körperhaltung, nicht unter besonderem Zeitdruck, nicht in Akkord-, Schicht- und Nachtarbeit, zu ebener Erde vollschichtig verrichten. Es bestünden Wege- und Umstellungsfähigkeit. Die Klägerin sei in der Lage, möglicherweise bestehende Hemmungen gegenüber einer leidensgerechten Tätigkeit aus eigenem Antrieb zu überwinden. Die Einschränkungen bestünden seit Antragstellung. Änderungen im Leistungsvermögen seien seither nicht eingetreten. Eine Besserung sei unwahrscheinlich.
Gegen das am 24. Juli 2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 7. August 2006 Berufung eingelegt und mit dieser unter anderem vorgetragen, das Gutachten von Dr. R. sei ungeeignet, als Grundlage der Urteilsfindung zu dienen, denn er habe ihre aktenkundigen und vorgetragenen qualitativen Leistungsprobleme bis auf den Teilbereich der Konzentration offensichtlich nicht untersucht. Auch zur Konzentrationsfähigkeit habe er keine nachvollziehbaren Testdaten vorgelegt. Zudem lasse sich seinem Gutachten nicht entnehmen, auf welcher methodischen Grundlage er zur Beurteilung gekommen sei, das quantitative Leistungsvermögen sei nicht aufgehoben oder wesentlich eingeschränkt. Angezeigt sei eine Nachfrage zu ihrem Leistungsvermögen bei den sie behandelnden Ärzten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 22. Mai 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Mai 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. April 2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren, höchsthilfsweise eine weitere testpsychologische Begutachtung zur Feststellung ihrer Leistungsfähigkeit einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Das Gericht hat zunächst eine ergänzende Stellungnahme von Dr. R. eingeholt. Dieser trug unter Vorlage der Testdaten nach, dass der im Rahmen seiner Untersuchung durchgeführte Zahlen- und Buchstabennachsprechtest für Einschränkungen der konzentrativen Belastbarkeit der Klägerin gesprochen hätte, wenn sich hier bei ihr deutliche Einschränkungen gezeigt hätten. Doch habe sich insoweit ein regelrechtes Testergebnis gefunden. Das Gericht hat sodann einen Befundbericht des Psychologischen Psychotherapeuten B. eingeholt, bei dem die Klägerin in verhaltenstherapeutischer Einzeltherapie bis zu deren Beendigung nach Erreichung des Stundenkontingents im Jahr 2005 gewesen ist.
Das Gericht hat ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von der Ärztin für Psychiatrie und Neurologie B. eingeholt, die die Klägerin am 26. März 2007 ambulant untersuchte und unter dem 6. Mai 2007 ihr Gutachten erstattete. Sie sah bei der Erhebung des psychopathologischen Befundes die Klägerin in der Orientierung, im Denken und in der Konzentrations- sowie der Gedächtnisleistung nicht eingeschränkt. Der neurologische Status sei regelrecht; es gäbe keinen Hinweis auf eine Nervenwurzelreiz- oder Kompressionssymptomatik. Verdeutlichungsmechanismen seien festzustellen. Sie diagnostizierte eine rezidivierende depressive Störung vor dem Hintergrund einer kombinierten Persönlichkeitsstörung und ein Lendenwirbelsäulensyndrom. Die Persönlichkeitsstörung begleite die Klägerin bereits Zeit ihres Lebens. Doch hätten unter sozialmedizinischen Gesichtspunkten nur sehr schwer ausgeprägte Persönlichkeitsstörungen einen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit. Eine derartige Störung liege bei der Klägerin nicht vor. Durch die Persönlichkeitsstörung ergäben sich keine Leistungseinschränkungen. Vor dem Hintergrund dieser Persönlichkeitsauffälligkeiten habe sich eine depressive Symptomatik mit schwankendem Verlauf, zeitweilig mittelgradig und bei der Untersuchung eher leicht ausgeprägt, eingestellt. Hirnorganische Auffälligkeiten lägen nicht vor. Auch kognitive Auffälligkeiten ließen sich nicht feststellen; die angegebenen Störungen von Konzentrationsfähigkeit und Gedächtnis sowie Durchhaltevermögen blieben im Subjektiven und seien letztlich Ausfluss der Persönlichkeitsauffälligkeiten, insbesondere der Versagensängste. Aus den vorliegenden psychiatrischen Störungen ergäben sich durchaus Einschränkungen der Leistungsfähigkeit, allerdings nur qualitativer Art. Die Klägerin könne aus psychiatrischer Sicht leichte, zeitweilig mittelschwere körperliche sowie dem Ausbildungsstand entsprechende, d. h. durchschnittliche geistige Tätigkeiten durchschnittlicher Verantwortung, in wechselnder Körperhaltung, ohne erhöhten Zeitdruck sowie Akkord- oder Nachtarbeit, ohne besondere seelische Belastung vollschichtig leisten. Aus neurologischer Sicht sei das Wirbelsäulenleiden bezüglich der Leistungsfähigkeit insofern zu berücksichtigen, als Tätigkeiten mit länger dauernden Wirbelsäulenzwangshaltungen nicht gefordert werden könnten. Eine quantitative Leistungseinschränkung ergäbe sich durch dieses Leiden nicht. Weitere sozialmedizinisch relevante Leiden lägen bei der Klägerin nicht vor; Schilddrüsen- und Bluthochdruckleiden seien medikamentös eingestellt. Bei der Klägerin liege auch kein Leiden vor, durch das die Wegefähigkeit eingeschränkt würde. Aus psychiatrischer Sicht sei sie in der Lage, mit zumutbarer Willensanspannung Hemmungen gegenüber einer Arbeitsleistung zu überwinden. Diese Einschränkungen hätten bereits bei Antragstellung vorgelegen. Weitere Gutachten seien nicht erforderlich.
Zu diesem Gutachten hat die Klägerin unter anderem dahingehend Stellung genommen, die bisherigen gutachterlichen Erhebungen wiesen Diagnoselücken auf. Erforderlich wären eine testpsychologische Abklärung und eine objektive Messung der definitiv vorhandenen quantitativen Leistungsmöglichkeiten. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der zum Gegenstand der Beratung und Entscheidung des Senats gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben. Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 25. Mai 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2004 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Versicherte haben Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).
Die wartezeit- und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen werden von der Klägerin zum Zeitpunkt der Antragstellung erfüllt. Seit dem Jahr 2004 enthält ihr Versicherungsverlauf keine rentenrechtlich erheblichen Zeiten mehr. Doch dass die Klägerin nicht mehr in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auch in nur leichten Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, lässt sich nicht feststellen. Der Senat hält die Bewertungen von Dr. R. und von Frau B. für nachvollziehbar, stimmig und überzeugend und folgt ihren Leistungsbeurteilungen.
Entgegen der Kritik der Klägerin sprechen gegen die Einschätzungen der beiden Sachverständigen nicht die von ihr vorgetragenen Beschwerden und Einschränkungen und nicht die Bewertungen ihrer behandelnden Ärzte. Diese Kritik verkennt, dass es bei der medizinischen Begutachtung im Rentenstreitverfahren nicht in erster Linie um Diagnostik und Behandlung sondern um Funktionsbegutachtung geht. Und sie verkennt, dass die auf die Beschreibung von zumutbar nicht kompensierbaren Leistungseinschränkungen gerichtete Funktionsbegutachtung nicht allein an den geklagten Beschwerden und auch nicht an den Diagnosen der behandelnden Ärzte anknüpfen kann, sondern sie in erster Linie an durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen selbst erhobene Befunde anknüpfen muss.
Auch die methodologische Kritik der Klägerin gegen die Gutachten von Dr. R. und Frau B. überzeugen den Senat nicht und geben keine Veranlassung, das von ihnen beschriebene Leistungsvermögen anzuzweifeln. Zutreffend hat Frau B. darauf hingewiesen, dass eine psychologische Testung im Rahmen einer psychiatrischen Begutachtung nicht zweckdienlich sei; vielmehr seien psychopathologische Befunde zu erheben, aus denen sich die Diagnosen auf psychiatrischem Fachgebiet nachvollziehen lassen müssten und damit letztlich auch die Aussagen zur Leistungsfähigkeit. Dies gilt uneingeschränkt jedenfalls für den vorliegenden Fall, in dem eine psychologische Testung bereits stattgefunden hatte und relevante psychische Einschränkungen nicht zu zeigen vermochte.
Der Klägerin ist zuzugeben, dass sie von ihrem Psychotherapeuten, von den Behandlern im Krankenhaus G., in dem sie 1999 und 2003 stationär behandelt worden war, und auch von Dr. L., der sie im Jahr 2004 in einem Familiengerichtsverfahren begutachtet hatte, hinsichtlich ihrer Erkrankungen und ihres Leistungsvermögens – teilweise – anders eingeschätzt worden ist. Doch liegen diesen Gutachten und Einschätzungen andere Fragestellungen zugrunde. Demgegenüber gründen die Leistungseinschätzungen von Dr. R. und von Frau B. auf den durch sie erhobenen, weithin übereinstimmenden psychopathologischen Querschnittsbefunden, an deren Erhebung die Klägerin durchgreifende Kritik nicht vorgebracht hat, und diese Leistungseinschätzungen sind von beiden, für Begutachtungen auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts ausgewiesenen Sachverständigen unter Berücksichtigung sozialmedizinischer Standards abgegeben worden, die Anlass zu methodologischer Kritik und inhaltlichen Zweifeln nicht geben und die der Senat daher der Entscheidungsfindung zugrunde legt.
Für deren Leistungseinschätzung spricht auch, dass die Klägerin sich durchaus in der Lage gezeigt hat und zeigt, ihr Leben zu strukturieren und selbstfürsorgend zu handeln. So stellt sich zur Überzeugung des Senats auch ihr Umzug Mitte 2006 von Hamburg nach Hohenhorn nicht als ein durch eine Persönlichkeitsstörung bedingter sozialer Rückzug sondern als ein positiver Versuch der Lebensgestaltung dar. Die Klägerin lebt dort zwar allein mit einem Hund und Katzen. Sie nimmt aber auch gelegentlich Pensionshunde auf und hatte den Umzug mit der Vorstellung verbunden, das selbständige Betreiben einer Tierpension würde auf dem Land leichter fallen.
Die im Termin am 27. Juni 2007 durch die Klägerin höchsthilfsweise beantragte testpsychologische Begutachtung war zur Überzeugung des Senats entbehrlich. Nach den Gutachten von Dr. R. und Frau B. waren die gerichtlichen Ermittlungen abgeschlossen und der Rechtsstreit auch im Ergebnis der mündlichen Verhandlung entscheidungsreif. Die Klägerin hat nichts vorgetragen, durch das sich der Senat zur Durchführung der beantragten weiteren Ermittlung von Amts wegen hätte gedrängt sehen müssen. Ihr Vortrag beschränkt sich im Wesentlichen darauf, es gäbe weitere Test- und Messmethoden, die vorliegend noch nicht angewendet worden seien. Dass und warum diese hier anzuwenden und die vorliegenden Gutachten und Leistungsbeurteilungen also unzureichend seien, lässt sich ihrem Vortrag nicht entnehmen und ist auch sonst nicht ersichtlich. Gewiss gibt es zahlreiche Test- und Messmethoden. Doch ist für den Senat entscheidend, dass sowohl Dr. R. als auch Frau B. nach eigener Anamneseerhebung und auf der Grundlage des von ihnen erhobenen psychopathologischen Befunds sowie unter Auseinandersetzung mit der Schwierigkeit, bei einer depressiven Symptomatik das Ausmaß dieser Störung genau zu beschrieben, schlüssige Leistungsbeurteilungen abgegeben haben. Es ist nicht ersichtlich, durch welchen Test oder welche Messmethode sich welche relevante Tatsache ermitteln ließe, die durch die Gutachter im Rahmen ihrer Würdigung bislang keine Berücksichtigung gefunden hat. Die Einholung eines testpsychologischen Gutachtens war daher nicht erforderlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
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