Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 2374/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 5726/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. Oktober 2004 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Anerkennung der Erkrankungen des am 5. September 1975 geborenen Klägers als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1317 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) und die Gewährung einer Verletztenrente.
Der Kläger war nach Abschluss seiner Schulausbildung zunächst als Sportartikelverkäufer tätig, absolvierte von April 1994 bis August 1997 bei der Firma S. eine Ausbildung zum Maler und Lackierer, war anschließend dort in diesem Beruf zwei Monate in Teilzeit tätig, absolvierte anschließend bis Dezember 1998 seinen Zivildienst, war danach bis Mai 1999 arbeitslos und war sodann bis Anfang Juni 1999 bei der Firma Z.C. als Lageraushilfe beschäftigt.
Gegenüber dem Arbeitsamt G. machte er unter dem 27. Oktober 1999 geltend, er könne aufgrund einer chronisch-toxischen Encephalopathie durch organische Lösungsmittelgemische seinen Beruf als Maler und Lackierer nicht mehr ausüben. Das Arbeitsamt G. setzte die Beklagte hiervon unter Vorlage des arbeitsamtsärztlichen Gutachtens von Dr. B. vom 7. Oktober 1999 in Kenntnis. In seinem unter dem 13. Dezember 1999 ausgefüllten Fragebogen gab der Kläger an, seine Erkrankung habe sich kurz nach Beginn der Lehre Anfang 1995 erstmals bemerkbar gemacht. Bei Kontakt mit organischen Lösemittelgemischen habe er erhebliche Beschwerden, beispielsweise Kopfschmerzen, Schwindelgefühl und Übelkeit, bekommen. Die Beklagte holte das Leistungsverzeichnis der AOK E. ein. Am 20. Januar 2000 zeigte die Firma Z.C. eine BK an.
Sodann holte die Beklagte den Bericht ihres Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) vom 4. Februar 2000 ein, in welchem Dipl.-Ing. S. und Dipl.-Ing. F. die vom Kläger während seiner Ausbildung und beruflichen Tätigkeit bei der Firma S. verwendeten Stoffe beschrieben und ausführten, technische oder persönliche Schutzmaßnahmen seien nicht ergriffen worden, ca. 70 % der regelmäßigen Arbeitszeit seien Arbeiten in geschlossenen, zum Teil auch sehr engen, schlecht gelüfteten Räumen gewesen und repräsentative Messungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen hätten gezeigt, dass die spezifischen Grenz- bzw. Schichtmittelwerte bei Lackierarbeiten mit Kunstharzlacken in engen Räumen und bei Abbeizarbeiten überschritten werden könnten. Dipl.-Ing. S. und Dipl.-Ing. F. gelangten zu dem Ergebnis, dass von einer gesundheitsgefährdenden Einwirkung durch organische Lösemittel ausgegangen werden müsse.
Der Nervenarzt Dr. B. zeigte unter dem 24. März 2000 unter Beifügung seines Arztbriefes vom 18. März 2000, des Berichts des Dipl.-Psych. K. über die testpsychologische Untersuchung vom 30. August 1999 und des Arztbriefs des Arztes für Radiologie Dr. H. vom 12. Mai 1999 eine BK an. Auf Anfrage der Beklagten teilte der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. S. unter dem 12. Juni 2000 unter Beifügung des arbeitsamtsärztlichen Gutachtens von Dr. S. vom 11./26. Januar 1999 mit, dass er den Kläger nicht wegen einer Polyneuropathie oder Encephalopathie behandle und alle ihm diesbezüglich gemeldeten Beschwerden während des Zivildienstes im Jahr 1998 aufgetreten seien.
Die Beklagte holte vom Facharzt für Arbeitsmedizin Dr. S. die arbeitsmedizinischen Gutachten vom 16. August 2000 nach Aktenlage und vom 17. Mai 2001 nach ambulanter Untersuchung ein. Dr. S. führte aus, bei der von ihm durchgeführten Untersuchung, einschließlich einer neurologischen Untersuchung und neuropsychologischen Testung, hätten die von Dr. B. und von Dipl.-Psych. K. erhobenen Befunde einer Polyneuropathie, beginnender Leistungsstörungen und deutlicher Störungen der Hirnperfusion nicht nachvollzogen werden können. Die Diagnose einer Polyneuropathie und einer beginnenden Hirnleistungsstörung könne er daher nicht stützen. Im Vergleich zur testpsychologischen Untersuchung durch den Dipl.-Psych. K. habe der Kläger jetzt ein um 17 IQ-Punkte besseres Resultat erreicht. Diese Steigerung könne nicht mit einem Lerneffekt oder einem Wiederholungseffekt interpretiert werden. Die kognitive Informationsverarbeitungsfähigkeit sei besser geworden. Welche Gründe die damals schlechtere Leistungsfähigkeit letztlich gehabt habe, lasse sich im Nachhinein nicht klären. Man müsse allerdings festhalten, dass zum Zeitpunkt der Untersuchung bei Dr. B. die letzte Lösemittelexposition bereits ca. 1 ½ Jahre zurückgelegen habe, sodass sich eine leichte Encephalopathie nach dieser Expositionskarenz wieder zurückgebildet haben müsste. Der Befund einer Polyneuropathie bilde sich üblicherweise erst nach längerer Lösemittelexposition aus, sodass eine Lösemittelbedingtheit schon aus diesem Grund zum damaligen Zeitpunkt äußert unwahrscheinlich erscheine. Andere Ursachen, wie beispielsweise ein Stoffwechseldefekt, ließen sich weder anamnestisch noch laborchemisch sichern. So müsse es letztlich offen bleiben, was Dr. Binz zu seinen damaligen Befunden geführt habe.
Dr. H. schlug in der gewerbeärztlichen Feststellung vom 13. Juli 2001 eine BK nicht zur Anerkennung vor. Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger in ihrem Bescheid vom 26. Oktober 2001 mit, es liege keine durch die versicherte Tätigkeit verursachte Polyneuropathie oder Encephalopathie durch organische Lösungsmittel und damit keine BK nach der Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV vor.
Hiergegen erhob der Kläger am 1. November 2001 Widerspruch. Bezüglich der Feststellungen des Dr. S. zur Frage der Erkrankung der Polyneuropathie bestünden keine Einwände. Bezüglich der Frage der lösemittelbedingten und damit toxisch verursachten Encephalopathie sei dessen Gutachten nicht schlüssig. Nach herrschender Meinung in der Arbeitsmedizin genügten unter Umständen sogar nur wenige Tage bestehende hohe Belastungen für eine toxische Encephalopathie. Die weitere Entwicklung dieser Krankheit sei schwer zu beurteilen. Es seien Fälle beschrieben worden, in denen diese hirnorganische Erkrankung erst lange Zeit nach Beendigung der Exposition manifest geworden sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. Mai 2002 zurück. Toxische Encephalopathien träten nach der medizinischen Fachliteratur in der Regel noch während des Expositionszeitraums auf. Eine Latenz von mehreren Monaten oder gar Jahren nach Expositionsende spreche gegen die lösungsmittelbedingte Encephalopathie, ebenso eine geringe Expositionsdauer von weniger als 10 Jahren. Beim Kläger liege eine relativ kurze Einwirkungszeit von Berufsstoffen vor. Auch seien erst deutlich nach der Einwirkung gesundheitliche Veränderungen festgestellt worden. Dies alles sowie die Inkonsistenz der beschriebenen Befunde sprächen gegen das Vorliegen einer beruflich verursachten Encephalopathie.
Hiergegen erhob der Kläger am 21. Mai 2002 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG). Die Feststellung des Dr. S. könne bereits deshalb nicht Grundlage einer Entscheidung sein, weil wesentliche arbeitsmedizinische Untersuchungen, insbesondere die hier erforderliche Psychometrie, unterblieben seien. Demgegenüber trug die Beklagte vor, Dr. S. habe die erforderlichen Testungen sehr wohl durchgeführt.
Das SG holte auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten von Dr. S. vom 28. Mai 2003 ein. Der Sachverständige führte unter Beifügung des arbeitsamtsärztlichen Gutachtens von Dr. R. vom 8. Mai 2003 und des Arztbriefs von Dr. H. vom 25. April 2003 aus, der Kläger leide an den Folgen einer chronisch-toxischen Encephalopathie und an den Folgen einer weiteren toxischen Organschädigung bei hochgradiger Unverträglichkeit, verursacht durch die erworbene Disposition eines toxisch-induzierten Verlustes der Toleranz insbesondere gegenüber Spuren von toxischen Lösemittelgemischen in Innen- und Außenräumen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 20 bis 30 vom Hundert (v. H.).
Hierzu legte die Beklagte die Stellungnahme von Dr. S. vom 2. September 2003 vor. Er führte aus, die von Dr. S. beschriebenen neuropsychologischen Befunde seien von diesem weder selbst erhoben noch durch Tests abgesichert worden. Im Gegensatz zu seiner eigenen Begutachtung habe Dr. S. in seinem Gutachten lediglich die Befunde des Dipl.-Psych. K., der im Auftrag von Dr. B. die Testung durchgeführt habe, wiederholt und durch eine eigene Anamnese ergänzt. Die übrigen von Dr. S. erhobenen Befunde hätten keine neuen Aspekte ergeben.
Mit Gerichtsbescheid vom 29. Oktober 2004 wies das SG die Klage ab. Die von Dr. S. angenommenen Gesundheitsstörungen seien nicht durch objektiv nachvollziehbare Untersuchungs- und Testergebnisse belegt. Vielmehr habe sich Dr. S. weitgehend fachfremd, auf Vorbefunde des Dipl.-Psych. K., des Dr. H. sowie des Dr. B. gestützt. Diese seien jedoch weder überzeugend noch nachvollziehbar.
Gegen den ihm am 19. November 2004 zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat der Kläger am Montag, den 20. Dezember 2004 Berufung eingelegt. Das Gutachten von Dr. S. beruhe hinsichtlich der im Streit stehenden toxischen Encephalopathie nicht auf einem durch einen Psychologen durchgeführten Testverfahren. Demgegenüber sei die durch Dipl.-Psych. K. vorgenommene Psychometrie umfassend und aussagekräftig. Des Weiteren ergebe sich aus dem neu gefassten Merkblatt zur BK nach der Nr. 1317 der Anlage zur BKV, dass entgegen der bisher herrschenden Meinung in der Arbeitsmedizin eine am Arbeitsplatz verursachte toxische Encephalopathie nach Beendigung der Exposition nicht nur fortbestehen, sondern möglicherweise sogar unter Umständen erst längere Zeit nach Beendigung der Exposition manifest werden könne.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. Oktober 2004 und den Bescheid vom 26. Oktober 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Mai 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, eine Polyneuropathie und/oder Encephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische als BK nach der Nr. 1317 der Anlage zur BKV anzuerkennen und ihm eine Verletztenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Beim Kläger sei weder das Krankheitsbild der Polyneuropathie noch dasjenige der Encephalopathie mit dem erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen.
Der Senat hat das neurologisch-psychiatrische Gutachten von Prof. Dr. S. vom 30. Mai 2006 eingeholt. Der Sachverständige hat zusammenfassend ausgeführt, es hätten jetzt keine Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet erhoben werden können. Insbesondere ergäben sich keine Befunde, die typisch für eine lösungsmittelbedingte toxische Encephalopathie seien. Kognitive Beeinträchtigungen seien vom Kläger bei der nun durchgeführten Begutachtung auch gar nicht geltend gemacht worden. Des Weiteren habe der Kläger keine akuten oder schleichenden Intoxikationen in Form von akuten Schleimhautreizungen und Bewusstseinsstörungen, Wahrnehmungsstörungen oder Veränderungen der Affektlage geltend gemacht. Hinweise hierfür hätten sich auch nicht fremdanamnestisch oder aufgrund des Leistungsverzeichnisses der Krankenkasse ergeben. Nach den vorliegenden empirischen Untersuchungen seien chronische Belastungen gegenüber Lösungsmitteln ohne Zeichen akuter Intoxikationen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage, Schäden am Nervensystem hervorzurufen. Außerdem träten toxische Polyneuropathien nur nach erheblicher, langjähriger Exposition mit einer durchschnittlichen Expositionsdauer von 30 Jahren auf. Schließlich sei der Beschwerdevortrag mit einer veränderten, unangenehmen Wahrnehmung von Aromaten und gelegentlichen Kopfschmerzen untypisch für eine lösungsmittel-induzierte BK. Ferner seien die geltend gemachten Beschwerden durch eine Exposition gegenüber Aromaten nicht zu provozieren gewesen, sodass sich Zweifel an ihrem tatsächlichen Vorhandensein bzw. der geltend gemachten Intensität ergäben. Eine toxische Verursachung des vom Kläger angegebenen Spannungskopfschmerzes sei nicht bekannt. Hierzu führte der ursprünglich als Gutachter beauftragte Prof. Dr. Dipl.-Chem. T., Direktor des Instituts und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin des Universitätsklinikums H., in seiner Stellungnahme vom 28. Juni 2006 aus, die Ausführungen von Prof. Dr. S. seien aus arbeitsmedizinischer Sicht plausibel und nachvollziehbar. Ein BK-typisches Krankheitsbild liege beim Kläger nicht vor. Eine weitere Untersuchung auf arbeitsmedizinischem Fachgebiet sei daher entbehrlich. Demgegenüber hält der Kläger eine Belastungszeit von etwa 5 Jahren für die Auslösung bleibender Schäden am zentralen Nervensystem, wozu auch seine Spannungskopfschmerzen gehörten, für ausreichend. Außerdem habe er während seiner Beschäftigungszeit als Maler und Lackierer in erheblichem Maße unter einseitigem Nasenbluten gelitten.
Die Beteiligten haben sich unter dem 30. November und 6. Dezember 2006 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten und der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist unbegründet.
Beim Kläger liegt eine BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV nicht vor. Er hat daher keinen Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII]). Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII).
BKen sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BK bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BK zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann BKen sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können (§ 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB VII).
Eine BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV ist eine Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), d. h. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (BSG, Urteil vom 4. August 1955 - 2 RU 62/54 - BSGE 1, 174, 178; BSG, Urteil vom 14. November 1984 - 9b RU 38/84 - SozR 2200 § 581 Nr. 22).
Für die Gewährung einer Rente wegen einer BK ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Für die Beurteilung des Zusammenhangs zwischen versicherter Einwirkung und Erkrankung gilt bei einer Berufskrankheit ebenso wie beim Arbeitsunfall die Theorie der wesentlichen Bedingung. Danach genügt abweichend von einer naturwissenschaftlich-philosophischen Kausalitätsbetrachtung nach der Bedingungs- und Äquivalenztheorie nicht jedes Glied in einer Ursachenkette, um die Verursachung zu bejahen, weil dies zu einem unendlichen Ursachenzusammenhang führt. Als kausal und im Sozialrecht erheblich werden vielmehr nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Gesundheitsschaden zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Das heißt, dass nicht jeder Gesundheitsschaden, der durch eine Einwirkung naturwissenschaftlich verursacht wird, im Sozialrecht als Folge einer BK anerkannt wird, sondern nur diejenige, die wesentlich durch die Einwirkung verursacht wurde. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besonderen Beziehungen der Ursache zum Eintritt des Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSG, Urteil vom 14. Juli 1955 - 8 RV 177/54 - BSGE 1, 150; BSG, Urteil vom 1. Dezember 1960 - 5 RKn 66/59 - BSGE 13, 175).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat zu dem Ergebnis gelangt, dass eine BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV nicht gegeben ist. Denn das Vorliegen einer Polyneuropathie oder Encephalopathie beim Kläger ist nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen.
Typisch für eine neurotoxische Polyneuropathie sind symmetrisch-distale, arm- und beinbetonte, sensible, motorische oder sensomotorische Ausfälle mit strumpf- bzw. handschuhförmiger Verteilung (Merkblatt, Mehrtens/Perlebach, Die BKV, M 1317, Seite 2). Ein derartiges Erkrankungsbild liegt beim Kläger nicht vor. Zwar hat Dr. B. in seinem Arztbrief vom 18. März 2000 ausgeführt, es bestehe eine handschuh- und sockenförmige Hypästhesie und Hyperpathie, also eine Polyneuropathie. An keiner Stelle seines Arztbriefs hat er jedoch argumentativ begründet, wie er zu dieser Einschätzung gelangt ist. Objektive Untersuchungsergebnisse, die die Einschätzung von Dr. B. belegen, sind nicht aktenkundig. So haben sowohl Dr. S. in seinem Gutachten vom 17. Mai 2001 als auch Prof. Dr. S. in seinem Gutachten vom 30. Mai 2006 einen unauffälligen und damit nicht pathologischen neurologischen Befund erhoben.
Eine toxische Encephalopathie äußert sich durch diffuse Störungen der Hirnfunktion. Konzentrations- und Merkschwächen, Auffassungsschwierigkeiten, Denkstörungen sowie Persönlichkeitsveränderungen, oft mit Antriebsarmut, Reizbarkeit und Affektstörungen, stehen im Vordergrund. Der psychopathologische Befund muss durch psychologische Testverfahren objektiviert werden, die das Alter des Patienten berücksichtigen. Bei diesen Testverfahren sollen die prämorbide Intelligenz, Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleistungen, Psychomotorik, Wesensveränderungen und Empfindlichkeitsstörungen untersucht werden. Erhöhte Werte im Biomonitoring können die Diagnose stützen (Merkblatt, Mehrtens/Perlebach, Die BKV, M 1317, Seite 4 und 5). Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass beim Kläger das so umschriebene Krankheitsbild einer Encephalopathie vorliegt. Zwar ist Dr. B. in seinem Arztbrief vom 18. März 2000 aufgrund der von Dipl.-Psych. K. durchgeführten Psychometrie von beginnenden Leistungsschäden ausgegangen. Diese Schlussfolgerung des Dr. B. kann der Senat jedoch nicht nachvollziehen. Denn Dipl.-Psych. K. hat in seiner testpsychologischen Untersuchung vom 30. August 1999 ein allgemeines (prämorbides) Intelligenzniveau sowie ein aktuelles (fluides) Intelligenzniveau im durchschnittlichen Bereich, eine durchschnittliche kurzfristige Merkspanne, eine gut durchschnittliche Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit, keinen Hinweis auf eine auffällige Minderung der kognitiven Informationsverarbeitungskapazität und keinen Hinweis auf eine zerebrale Insuffizienz beschrieben. Dipl.-Psych. K. hat lediglich im Benton-Test einen Hinweis auf eine erworbene zerebrale Schädigung in den kognitiven Leistungsbereichen der kurzfristig visuellen Merkfähigkeit und den visuo-konstruktiven Fähigkeiten ausgemacht. Gerade dies hat sich jedoch in der testpsychologischen Untersuchung, die dem Gutachten von Dr. S. vom 17. Mai 2001 zugrunde gelegen hat, nicht bestätigt. Diese Untersuchung hat keinen Anhalt für das Vorliegen einer lösungsmittel-induzierten Encephalopathie ergeben. Dasselbe ergibt sich aus der fachpsychologischen Untersuchung, die dem Gutachten von Prof. Dr. S. vom 30. Mai 2006 zugrunde gelegen hat. Zwar hat sich dort ein leicht unterdurchschnittliches Ergebnis in der konzentrativen Belastbarkeit gefunden, welche Prof. Dr. S. aber für den Senat nachvollziehbar mit anfänglichen Einstellungsschwierigkeiten auf das doch recht anspruchsvolle Arbeitstempo und die ungewohnte Testsituation zurückgeführt hat. Da somit der testpsychologische Befund nicht für eine Encephalopathie spricht, war auch der gegenteiligen Einschätzung von Dr. S. in seinem Gutachten vom 28. Mai 2003 nicht zu folgen. Er hat seine Einschätzung weder durch eigene oder selbst veranlasste testpsychologische Untersuchungen untermauert, noch argumentativ begründet, warum eine toxische Encephalopathie vorliegen soll. Etwas anderes ergibt sich für den Senat auch nicht aus den Arztbriefen von Dr. H. vom 12. Mai 1999 und 25. April 2003. Das von ihm beschriebene Ergebnis der durchgeführten Emissions-Tomographie ist nach Überzeugung des Senats nicht beweisend für das Vorliegen einer Encephalopathie. In diesem Zusammenhang folgt der Senat den Ausführungen von Prof. Dr. S. in seinem Gutachten vom 30. Mai 2006. Danach handelt es sich bei der von Dr. H. eingesetzten Substanz, dem radioaktiv markierten Bicisat, um einen generellen Marker der Hirndurchblutung bzw. einer Störung der Bluthirnschranke. Für diese Substanz liegen Daten lediglich zum Nachweis von Schlaganfällen vor. Daher können die Ergebnisse von Dr. H. für die vorliegend zu entscheidende Frage, ob eine Encephalopathie vorliegt, nicht nutzbar gemacht werden.
Nach alledem ist das Vorliegen einer Polyneuropathie oder Encephalopathie beim Kläger nicht nachgewiesen. Die Beklagte hat daher zu Recht mit Bescheid vom 26. Oktober 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Mai 2002 die Feststellung einer BK nach der Nr. 1317 der Anlage zur BKV und die Gewährung einer Verletztenrente abgelehnt. Zu Recht hat daher auch das SG mit Gerichtsbescheid vom 29. Oktober 2004 die hiergegen erhobene Klage abgewiesen.
Daher war die Berufung zurückzuweisen.
Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Anerkennung der Erkrankungen des am 5. September 1975 geborenen Klägers als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1317 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) und die Gewährung einer Verletztenrente.
Der Kläger war nach Abschluss seiner Schulausbildung zunächst als Sportartikelverkäufer tätig, absolvierte von April 1994 bis August 1997 bei der Firma S. eine Ausbildung zum Maler und Lackierer, war anschließend dort in diesem Beruf zwei Monate in Teilzeit tätig, absolvierte anschließend bis Dezember 1998 seinen Zivildienst, war danach bis Mai 1999 arbeitslos und war sodann bis Anfang Juni 1999 bei der Firma Z.C. als Lageraushilfe beschäftigt.
Gegenüber dem Arbeitsamt G. machte er unter dem 27. Oktober 1999 geltend, er könne aufgrund einer chronisch-toxischen Encephalopathie durch organische Lösungsmittelgemische seinen Beruf als Maler und Lackierer nicht mehr ausüben. Das Arbeitsamt G. setzte die Beklagte hiervon unter Vorlage des arbeitsamtsärztlichen Gutachtens von Dr. B. vom 7. Oktober 1999 in Kenntnis. In seinem unter dem 13. Dezember 1999 ausgefüllten Fragebogen gab der Kläger an, seine Erkrankung habe sich kurz nach Beginn der Lehre Anfang 1995 erstmals bemerkbar gemacht. Bei Kontakt mit organischen Lösemittelgemischen habe er erhebliche Beschwerden, beispielsweise Kopfschmerzen, Schwindelgefühl und Übelkeit, bekommen. Die Beklagte holte das Leistungsverzeichnis der AOK E. ein. Am 20. Januar 2000 zeigte die Firma Z.C. eine BK an.
Sodann holte die Beklagte den Bericht ihres Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) vom 4. Februar 2000 ein, in welchem Dipl.-Ing. S. und Dipl.-Ing. F. die vom Kläger während seiner Ausbildung und beruflichen Tätigkeit bei der Firma S. verwendeten Stoffe beschrieben und ausführten, technische oder persönliche Schutzmaßnahmen seien nicht ergriffen worden, ca. 70 % der regelmäßigen Arbeitszeit seien Arbeiten in geschlossenen, zum Teil auch sehr engen, schlecht gelüfteten Räumen gewesen und repräsentative Messungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen hätten gezeigt, dass die spezifischen Grenz- bzw. Schichtmittelwerte bei Lackierarbeiten mit Kunstharzlacken in engen Räumen und bei Abbeizarbeiten überschritten werden könnten. Dipl.-Ing. S. und Dipl.-Ing. F. gelangten zu dem Ergebnis, dass von einer gesundheitsgefährdenden Einwirkung durch organische Lösemittel ausgegangen werden müsse.
Der Nervenarzt Dr. B. zeigte unter dem 24. März 2000 unter Beifügung seines Arztbriefes vom 18. März 2000, des Berichts des Dipl.-Psych. K. über die testpsychologische Untersuchung vom 30. August 1999 und des Arztbriefs des Arztes für Radiologie Dr. H. vom 12. Mai 1999 eine BK an. Auf Anfrage der Beklagten teilte der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. S. unter dem 12. Juni 2000 unter Beifügung des arbeitsamtsärztlichen Gutachtens von Dr. S. vom 11./26. Januar 1999 mit, dass er den Kläger nicht wegen einer Polyneuropathie oder Encephalopathie behandle und alle ihm diesbezüglich gemeldeten Beschwerden während des Zivildienstes im Jahr 1998 aufgetreten seien.
Die Beklagte holte vom Facharzt für Arbeitsmedizin Dr. S. die arbeitsmedizinischen Gutachten vom 16. August 2000 nach Aktenlage und vom 17. Mai 2001 nach ambulanter Untersuchung ein. Dr. S. führte aus, bei der von ihm durchgeführten Untersuchung, einschließlich einer neurologischen Untersuchung und neuropsychologischen Testung, hätten die von Dr. B. und von Dipl.-Psych. K. erhobenen Befunde einer Polyneuropathie, beginnender Leistungsstörungen und deutlicher Störungen der Hirnperfusion nicht nachvollzogen werden können. Die Diagnose einer Polyneuropathie und einer beginnenden Hirnleistungsstörung könne er daher nicht stützen. Im Vergleich zur testpsychologischen Untersuchung durch den Dipl.-Psych. K. habe der Kläger jetzt ein um 17 IQ-Punkte besseres Resultat erreicht. Diese Steigerung könne nicht mit einem Lerneffekt oder einem Wiederholungseffekt interpretiert werden. Die kognitive Informationsverarbeitungsfähigkeit sei besser geworden. Welche Gründe die damals schlechtere Leistungsfähigkeit letztlich gehabt habe, lasse sich im Nachhinein nicht klären. Man müsse allerdings festhalten, dass zum Zeitpunkt der Untersuchung bei Dr. B. die letzte Lösemittelexposition bereits ca. 1 ½ Jahre zurückgelegen habe, sodass sich eine leichte Encephalopathie nach dieser Expositionskarenz wieder zurückgebildet haben müsste. Der Befund einer Polyneuropathie bilde sich üblicherweise erst nach längerer Lösemittelexposition aus, sodass eine Lösemittelbedingtheit schon aus diesem Grund zum damaligen Zeitpunkt äußert unwahrscheinlich erscheine. Andere Ursachen, wie beispielsweise ein Stoffwechseldefekt, ließen sich weder anamnestisch noch laborchemisch sichern. So müsse es letztlich offen bleiben, was Dr. Binz zu seinen damaligen Befunden geführt habe.
Dr. H. schlug in der gewerbeärztlichen Feststellung vom 13. Juli 2001 eine BK nicht zur Anerkennung vor. Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger in ihrem Bescheid vom 26. Oktober 2001 mit, es liege keine durch die versicherte Tätigkeit verursachte Polyneuropathie oder Encephalopathie durch organische Lösungsmittel und damit keine BK nach der Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV vor.
Hiergegen erhob der Kläger am 1. November 2001 Widerspruch. Bezüglich der Feststellungen des Dr. S. zur Frage der Erkrankung der Polyneuropathie bestünden keine Einwände. Bezüglich der Frage der lösemittelbedingten und damit toxisch verursachten Encephalopathie sei dessen Gutachten nicht schlüssig. Nach herrschender Meinung in der Arbeitsmedizin genügten unter Umständen sogar nur wenige Tage bestehende hohe Belastungen für eine toxische Encephalopathie. Die weitere Entwicklung dieser Krankheit sei schwer zu beurteilen. Es seien Fälle beschrieben worden, in denen diese hirnorganische Erkrankung erst lange Zeit nach Beendigung der Exposition manifest geworden sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. Mai 2002 zurück. Toxische Encephalopathien träten nach der medizinischen Fachliteratur in der Regel noch während des Expositionszeitraums auf. Eine Latenz von mehreren Monaten oder gar Jahren nach Expositionsende spreche gegen die lösungsmittelbedingte Encephalopathie, ebenso eine geringe Expositionsdauer von weniger als 10 Jahren. Beim Kläger liege eine relativ kurze Einwirkungszeit von Berufsstoffen vor. Auch seien erst deutlich nach der Einwirkung gesundheitliche Veränderungen festgestellt worden. Dies alles sowie die Inkonsistenz der beschriebenen Befunde sprächen gegen das Vorliegen einer beruflich verursachten Encephalopathie.
Hiergegen erhob der Kläger am 21. Mai 2002 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG). Die Feststellung des Dr. S. könne bereits deshalb nicht Grundlage einer Entscheidung sein, weil wesentliche arbeitsmedizinische Untersuchungen, insbesondere die hier erforderliche Psychometrie, unterblieben seien. Demgegenüber trug die Beklagte vor, Dr. S. habe die erforderlichen Testungen sehr wohl durchgeführt.
Das SG holte auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten von Dr. S. vom 28. Mai 2003 ein. Der Sachverständige führte unter Beifügung des arbeitsamtsärztlichen Gutachtens von Dr. R. vom 8. Mai 2003 und des Arztbriefs von Dr. H. vom 25. April 2003 aus, der Kläger leide an den Folgen einer chronisch-toxischen Encephalopathie und an den Folgen einer weiteren toxischen Organschädigung bei hochgradiger Unverträglichkeit, verursacht durch die erworbene Disposition eines toxisch-induzierten Verlustes der Toleranz insbesondere gegenüber Spuren von toxischen Lösemittelgemischen in Innen- und Außenräumen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 20 bis 30 vom Hundert (v. H.).
Hierzu legte die Beklagte die Stellungnahme von Dr. S. vom 2. September 2003 vor. Er führte aus, die von Dr. S. beschriebenen neuropsychologischen Befunde seien von diesem weder selbst erhoben noch durch Tests abgesichert worden. Im Gegensatz zu seiner eigenen Begutachtung habe Dr. S. in seinem Gutachten lediglich die Befunde des Dipl.-Psych. K., der im Auftrag von Dr. B. die Testung durchgeführt habe, wiederholt und durch eine eigene Anamnese ergänzt. Die übrigen von Dr. S. erhobenen Befunde hätten keine neuen Aspekte ergeben.
Mit Gerichtsbescheid vom 29. Oktober 2004 wies das SG die Klage ab. Die von Dr. S. angenommenen Gesundheitsstörungen seien nicht durch objektiv nachvollziehbare Untersuchungs- und Testergebnisse belegt. Vielmehr habe sich Dr. S. weitgehend fachfremd, auf Vorbefunde des Dipl.-Psych. K., des Dr. H. sowie des Dr. B. gestützt. Diese seien jedoch weder überzeugend noch nachvollziehbar.
Gegen den ihm am 19. November 2004 zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat der Kläger am Montag, den 20. Dezember 2004 Berufung eingelegt. Das Gutachten von Dr. S. beruhe hinsichtlich der im Streit stehenden toxischen Encephalopathie nicht auf einem durch einen Psychologen durchgeführten Testverfahren. Demgegenüber sei die durch Dipl.-Psych. K. vorgenommene Psychometrie umfassend und aussagekräftig. Des Weiteren ergebe sich aus dem neu gefassten Merkblatt zur BK nach der Nr. 1317 der Anlage zur BKV, dass entgegen der bisher herrschenden Meinung in der Arbeitsmedizin eine am Arbeitsplatz verursachte toxische Encephalopathie nach Beendigung der Exposition nicht nur fortbestehen, sondern möglicherweise sogar unter Umständen erst längere Zeit nach Beendigung der Exposition manifest werden könne.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. Oktober 2004 und den Bescheid vom 26. Oktober 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Mai 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, eine Polyneuropathie und/oder Encephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische als BK nach der Nr. 1317 der Anlage zur BKV anzuerkennen und ihm eine Verletztenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Beim Kläger sei weder das Krankheitsbild der Polyneuropathie noch dasjenige der Encephalopathie mit dem erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen.
Der Senat hat das neurologisch-psychiatrische Gutachten von Prof. Dr. S. vom 30. Mai 2006 eingeholt. Der Sachverständige hat zusammenfassend ausgeführt, es hätten jetzt keine Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet erhoben werden können. Insbesondere ergäben sich keine Befunde, die typisch für eine lösungsmittelbedingte toxische Encephalopathie seien. Kognitive Beeinträchtigungen seien vom Kläger bei der nun durchgeführten Begutachtung auch gar nicht geltend gemacht worden. Des Weiteren habe der Kläger keine akuten oder schleichenden Intoxikationen in Form von akuten Schleimhautreizungen und Bewusstseinsstörungen, Wahrnehmungsstörungen oder Veränderungen der Affektlage geltend gemacht. Hinweise hierfür hätten sich auch nicht fremdanamnestisch oder aufgrund des Leistungsverzeichnisses der Krankenkasse ergeben. Nach den vorliegenden empirischen Untersuchungen seien chronische Belastungen gegenüber Lösungsmitteln ohne Zeichen akuter Intoxikationen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage, Schäden am Nervensystem hervorzurufen. Außerdem träten toxische Polyneuropathien nur nach erheblicher, langjähriger Exposition mit einer durchschnittlichen Expositionsdauer von 30 Jahren auf. Schließlich sei der Beschwerdevortrag mit einer veränderten, unangenehmen Wahrnehmung von Aromaten und gelegentlichen Kopfschmerzen untypisch für eine lösungsmittel-induzierte BK. Ferner seien die geltend gemachten Beschwerden durch eine Exposition gegenüber Aromaten nicht zu provozieren gewesen, sodass sich Zweifel an ihrem tatsächlichen Vorhandensein bzw. der geltend gemachten Intensität ergäben. Eine toxische Verursachung des vom Kläger angegebenen Spannungskopfschmerzes sei nicht bekannt. Hierzu führte der ursprünglich als Gutachter beauftragte Prof. Dr. Dipl.-Chem. T., Direktor des Instituts und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin des Universitätsklinikums H., in seiner Stellungnahme vom 28. Juni 2006 aus, die Ausführungen von Prof. Dr. S. seien aus arbeitsmedizinischer Sicht plausibel und nachvollziehbar. Ein BK-typisches Krankheitsbild liege beim Kläger nicht vor. Eine weitere Untersuchung auf arbeitsmedizinischem Fachgebiet sei daher entbehrlich. Demgegenüber hält der Kläger eine Belastungszeit von etwa 5 Jahren für die Auslösung bleibender Schäden am zentralen Nervensystem, wozu auch seine Spannungskopfschmerzen gehörten, für ausreichend. Außerdem habe er während seiner Beschäftigungszeit als Maler und Lackierer in erheblichem Maße unter einseitigem Nasenbluten gelitten.
Die Beteiligten haben sich unter dem 30. November und 6. Dezember 2006 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten und der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist unbegründet.
Beim Kläger liegt eine BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV nicht vor. Er hat daher keinen Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII]). Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII).
BKen sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BK bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BK zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann BKen sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können (§ 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB VII).
Eine BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV ist eine Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), d. h. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (BSG, Urteil vom 4. August 1955 - 2 RU 62/54 - BSGE 1, 174, 178; BSG, Urteil vom 14. November 1984 - 9b RU 38/84 - SozR 2200 § 581 Nr. 22).
Für die Gewährung einer Rente wegen einer BK ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Für die Beurteilung des Zusammenhangs zwischen versicherter Einwirkung und Erkrankung gilt bei einer Berufskrankheit ebenso wie beim Arbeitsunfall die Theorie der wesentlichen Bedingung. Danach genügt abweichend von einer naturwissenschaftlich-philosophischen Kausalitätsbetrachtung nach der Bedingungs- und Äquivalenztheorie nicht jedes Glied in einer Ursachenkette, um die Verursachung zu bejahen, weil dies zu einem unendlichen Ursachenzusammenhang führt. Als kausal und im Sozialrecht erheblich werden vielmehr nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Gesundheitsschaden zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Das heißt, dass nicht jeder Gesundheitsschaden, der durch eine Einwirkung naturwissenschaftlich verursacht wird, im Sozialrecht als Folge einer BK anerkannt wird, sondern nur diejenige, die wesentlich durch die Einwirkung verursacht wurde. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besonderen Beziehungen der Ursache zum Eintritt des Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSG, Urteil vom 14. Juli 1955 - 8 RV 177/54 - BSGE 1, 150; BSG, Urteil vom 1. Dezember 1960 - 5 RKn 66/59 - BSGE 13, 175).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat zu dem Ergebnis gelangt, dass eine BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV nicht gegeben ist. Denn das Vorliegen einer Polyneuropathie oder Encephalopathie beim Kläger ist nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen.
Typisch für eine neurotoxische Polyneuropathie sind symmetrisch-distale, arm- und beinbetonte, sensible, motorische oder sensomotorische Ausfälle mit strumpf- bzw. handschuhförmiger Verteilung (Merkblatt, Mehrtens/Perlebach, Die BKV, M 1317, Seite 2). Ein derartiges Erkrankungsbild liegt beim Kläger nicht vor. Zwar hat Dr. B. in seinem Arztbrief vom 18. März 2000 ausgeführt, es bestehe eine handschuh- und sockenförmige Hypästhesie und Hyperpathie, also eine Polyneuropathie. An keiner Stelle seines Arztbriefs hat er jedoch argumentativ begründet, wie er zu dieser Einschätzung gelangt ist. Objektive Untersuchungsergebnisse, die die Einschätzung von Dr. B. belegen, sind nicht aktenkundig. So haben sowohl Dr. S. in seinem Gutachten vom 17. Mai 2001 als auch Prof. Dr. S. in seinem Gutachten vom 30. Mai 2006 einen unauffälligen und damit nicht pathologischen neurologischen Befund erhoben.
Eine toxische Encephalopathie äußert sich durch diffuse Störungen der Hirnfunktion. Konzentrations- und Merkschwächen, Auffassungsschwierigkeiten, Denkstörungen sowie Persönlichkeitsveränderungen, oft mit Antriebsarmut, Reizbarkeit und Affektstörungen, stehen im Vordergrund. Der psychopathologische Befund muss durch psychologische Testverfahren objektiviert werden, die das Alter des Patienten berücksichtigen. Bei diesen Testverfahren sollen die prämorbide Intelligenz, Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleistungen, Psychomotorik, Wesensveränderungen und Empfindlichkeitsstörungen untersucht werden. Erhöhte Werte im Biomonitoring können die Diagnose stützen (Merkblatt, Mehrtens/Perlebach, Die BKV, M 1317, Seite 4 und 5). Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass beim Kläger das so umschriebene Krankheitsbild einer Encephalopathie vorliegt. Zwar ist Dr. B. in seinem Arztbrief vom 18. März 2000 aufgrund der von Dipl.-Psych. K. durchgeführten Psychometrie von beginnenden Leistungsschäden ausgegangen. Diese Schlussfolgerung des Dr. B. kann der Senat jedoch nicht nachvollziehen. Denn Dipl.-Psych. K. hat in seiner testpsychologischen Untersuchung vom 30. August 1999 ein allgemeines (prämorbides) Intelligenzniveau sowie ein aktuelles (fluides) Intelligenzniveau im durchschnittlichen Bereich, eine durchschnittliche kurzfristige Merkspanne, eine gut durchschnittliche Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit, keinen Hinweis auf eine auffällige Minderung der kognitiven Informationsverarbeitungskapazität und keinen Hinweis auf eine zerebrale Insuffizienz beschrieben. Dipl.-Psych. K. hat lediglich im Benton-Test einen Hinweis auf eine erworbene zerebrale Schädigung in den kognitiven Leistungsbereichen der kurzfristig visuellen Merkfähigkeit und den visuo-konstruktiven Fähigkeiten ausgemacht. Gerade dies hat sich jedoch in der testpsychologischen Untersuchung, die dem Gutachten von Dr. S. vom 17. Mai 2001 zugrunde gelegen hat, nicht bestätigt. Diese Untersuchung hat keinen Anhalt für das Vorliegen einer lösungsmittel-induzierten Encephalopathie ergeben. Dasselbe ergibt sich aus der fachpsychologischen Untersuchung, die dem Gutachten von Prof. Dr. S. vom 30. Mai 2006 zugrunde gelegen hat. Zwar hat sich dort ein leicht unterdurchschnittliches Ergebnis in der konzentrativen Belastbarkeit gefunden, welche Prof. Dr. S. aber für den Senat nachvollziehbar mit anfänglichen Einstellungsschwierigkeiten auf das doch recht anspruchsvolle Arbeitstempo und die ungewohnte Testsituation zurückgeführt hat. Da somit der testpsychologische Befund nicht für eine Encephalopathie spricht, war auch der gegenteiligen Einschätzung von Dr. S. in seinem Gutachten vom 28. Mai 2003 nicht zu folgen. Er hat seine Einschätzung weder durch eigene oder selbst veranlasste testpsychologische Untersuchungen untermauert, noch argumentativ begründet, warum eine toxische Encephalopathie vorliegen soll. Etwas anderes ergibt sich für den Senat auch nicht aus den Arztbriefen von Dr. H. vom 12. Mai 1999 und 25. April 2003. Das von ihm beschriebene Ergebnis der durchgeführten Emissions-Tomographie ist nach Überzeugung des Senats nicht beweisend für das Vorliegen einer Encephalopathie. In diesem Zusammenhang folgt der Senat den Ausführungen von Prof. Dr. S. in seinem Gutachten vom 30. Mai 2006. Danach handelt es sich bei der von Dr. H. eingesetzten Substanz, dem radioaktiv markierten Bicisat, um einen generellen Marker der Hirndurchblutung bzw. einer Störung der Bluthirnschranke. Für diese Substanz liegen Daten lediglich zum Nachweis von Schlaganfällen vor. Daher können die Ergebnisse von Dr. H. für die vorliegend zu entscheidende Frage, ob eine Encephalopathie vorliegt, nicht nutzbar gemacht werden.
Nach alledem ist das Vorliegen einer Polyneuropathie oder Encephalopathie beim Kläger nicht nachgewiesen. Die Beklagte hat daher zu Recht mit Bescheid vom 26. Oktober 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Mai 2002 die Feststellung einer BK nach der Nr. 1317 der Anlage zur BKV und die Gewährung einer Verletztenrente abgelehnt. Zu Recht hat daher auch das SG mit Gerichtsbescheid vom 29. Oktober 2004 die hiergegen erhobene Klage abgewiesen.
Daher war die Berufung zurückzuweisen.
Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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