S 4 SB 94/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
4
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 4 SB 94/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 SB 74/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1.) Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 16.09.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.06.2005 verurteilt, einen GdB von 40 ab 16.09.2004 festzustellen. 2.) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 3.) Der Beklagte trägt die Hälfte der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers

Tatbestand:

Streitig ist die Herabsetzung des GdB s wegen Eintritts der Heilungsbewährung.

Bei dem am 00.00.1954 geborenen Kläger trat im Mai 2002 ein Nierenzell-Carzinom auf. Am 23.05.2002 wurde eine Nierenpolresektion links durchgeführt. Mit Bescheid vom 10.02.2003 stellte der Beklagte einen Gesamt-GdB von 50 und folgende Behinderungen fest: 1.) Teilverlust der linken Niere im Stadium der Heilungsbewährung (Einzel-GdB 50) 2.) Gelenkverschleiß (Einzel-GdB 10) 3.) degenerative Wirbelsäulenveränderungen (Einzel-GdB 10) 4.) Bluthochdruck (Einzel-GdB 10).

Im Juli 2004 leitete der Beklagte eine Nachprüfung von Amts wegen ein. Auf Anfrage des Beklagten berichtete der behandelnde Internist und Nephrologe X1 im Bericht vom 09.07.2004, dass bei dem Kläger eine Niereninsuffizienz mit Kreatininanstieg bei funktioneller Einnierigkeit vorläge. In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 21.07.2004 wurde der Teilverlust der linken Niere nach Ablauf der Heilungsbewährung und bei bestehender Nierenfunktionseinschränkung nunmehr mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet. Als weitere Behinderung wurde ein Diabetes mellitus mit einem Einzel-GdB von 10 aufgeführt. Mit Anhörungsschreiben vom 03.08.2004 wurde der Kläger davon in Kenntnis gesetzt, dass wegen Eintritts der Heilungsbewährung der Gesamt-GdB von 50 auf 30 herabgesetzt werden solle. Mit Bescheid vom 16.09.2004 setzte daher der Beklagte den Gesamt-GdB auf 30 herab. Die Behinderungen wurden wie folgt neu bezeichnet:

1.) Teilverlust der linken Niere nach Ablauf der Heilungsbewährung, Nierenfunktionseinschränkung, 2.) Gelenkverschleiß 3.) degenerative Wirbelsäulenveränderungen 4.) Bluthochdruck 5.)Diabetes mellitus.

Den dagegen am 22.10.2004 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger u.a. damit, dass der bei ihm bestehende Zustand nach Verlust einer Niere mit Funktionseinschränkung der verbliebenen Niere nach den Anhaltspunkten mit einem Teil-GdB von 40 bis 50 zu bewerten sei. Weitere Leiden wie die Hypertonie seien zusätzlich zu bewerten. Insgesamt sei daher nach wie vor ein Gesamt-GdB von 50 gerechtfertigt.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10.06.2005 als unbegründet zurückgewiesen.

Die dagegen am 06.07.2005 erhobene Klage begründet der Kläger damit, es sei nicht berücksichtigt, dass bei ihm starke Verwachsungen im Bereich der Narben mit Schmerzen bei Witterungswechsel und einer depressiven Verstimmung vorläge. Des Weiteren sei der Bluthochdruck unterbewertet. Es seien Werte gemessen worden, von 200/150 und 140/100 mm Hg. Auch die Wirbelsäulenbeschwerden wären unterbewertet.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 16.09.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.06.2005 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten und Gutachten. Auf den Inhalt der Befundberichte der behandelnden Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Frau L vom 02.09.2005, des Orthopäden W vom 05.09.2005 und des Internisten I1 vom 10.10.2005 wird verwiesen. Bezug genommen wird außerdem auf das Gutachten des Internisten X2 vom 18.04.2006 und des Orthopäden B vom 21.02.2006. Der Hauptgutachter X2 bewertete den Gesamt-GdB mit 40.

Der vom Beklagten mit Schreiben vom 02.06.2006 unterbreitete Vergleichsvorschlag mit einem Gesamt-GdB von 40 wurde vom Kläger nicht angenommen. Es sei nicht berücksichtigt, dass der Kläger außerdem unter Depressionen und Angstzuständen wegen der Krebsrezidivgefahr leide.

Das Gericht hat daraufhin einen weiteren Befundbericht der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie C eingeholt. Frau C berichtete u.a., dass die Behandlung seit dem 07.08.2006 bei ihr stattfinde, nachdem zuvor die Behandlung an gleicher Stelle durch Herrn I2 durchgeführt worden wäre. Frau C berichtete, dass sich der Gesundheitszustand unter empfohlener psychopharmakologischer Medikation deutlich gebessert hätte und wieder eine uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit bestünde. Auf den weiteren Inhalt wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Verwaltungsakten des Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.

Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 16.09.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.06.2005 im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) insofern beschwert, als der Beklagte den GdB von 50 auf 30 herabgesetzt hat. Unbegründet ist die Klage insoweit, als der Kläger die Beibehaltung des mit Bescheid vom 10.02.2003 festgestellten GdB s von 50 begehrt. Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung eines GdB s von 40.

Gemäß § 48 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung abzuändern, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine solche Änderung im Ausmaß der Behinderung ist u.a. dann nach Nr. 24 Abs. 2 der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AP) wesentlich, wenn der Vergleich gegenwärtig mit dem des verbindlich festgestellten Gesundheitszustandes des Klägers eine Differenz von mindestens 10 ergibt.

Maßgeblich für die Feststellung des GdB s von 50 mit Bescheid vom 10.02.2003 war der Teilverlust der linken Niere im Stadium der Heilungsbewährung, der auch mit einem Einzel-GdB von 50 zum damaligen Zeitpunkt bewertet worden ist. Zum damaligen Zeitpunkt war die Heilungsbewährung (Rezidivgefahr) noch nicht abgelaufen. Das im Mai 2002 festgestellte Nierenzell-Carzinom befand sich im Stadium pT1, G1, NO, MX, RO. Nach den o.g. Anhaltspunkten beträgt die Heilungsbewährung zwei Jahre, sofern sich der maligne Nierentumor im Stadium T1, NO, MO (Grading G1) befindet und ist mit einem GdB von mindestens 50 zu bewerten. Ein Heilungsbewährung von fünf Jahren ist abzuwarten, sofern sich das Nierenzell-Carzinom im Stadium ab Grading G2 oder T2 NO, MO befindet. Die hier maßgebliche zweijährige Heilungsbewährung war somit im Mai 2004 abgelaufen. Ein Rezidiv oder Metastasen sind in der Zwischenzeit nicht aufgetreten. Nach Ablauf der Heilungsbewährung ist der GdB nach dem Ausmaß der Funktionseinschränkung zu bewerten. Entgegen den Angaben des behandelnden Arztes X1 im Bericht vom 09.07.2004 besteht keine Niereninsuffizienz bei "funktionaler Einnierigkeit". Eine funktionale Einnierigkeit würde bedeuten, dass die Restniere links praktisch nicht mehr arbeiten würde. Der Sachverständige X2 hat jedoch überzeugend dargelegt, dass sich sowohl aus den von X1 angegebenen Befunden als auch durch die bei der Begutachtung erhobenen Befunde keine weiteren Hinweise oder Erklärungen für eine solche funktionale Einnierigkeit ergeben. Die für die Diagnose: "Funktionale Einnierigkeit" maßgebliche Untersuchungsmethode der seitengetrennten Nierenclearance wurde offensichtlich vom behandelnden Arzt nicht durchgeführt; entsprechende Befunde werden jedenfalls nicht wiedergegeben. Der Serumkreatininwert befindet sich sowohl bei der Untersuchung durch den Sachverständigen X2 als auch nach den Angaben des X1 unter 2 mg/dl. Das Allgemeinbefinden ist nicht wesentlich reduziert. Die Anhaltspunkte sehen für Nierenfunktionseinschränkungen leichten Grades (Serumkreatininwerte unter 2 mg/dl), Allgemeinbefinden nicht oder nicht wesentlich reduziert, keine Einschränkung der Leistungsfähigkeit, Einzel-GdB s von 20 bis 30 vor. Der Sachverständige hat für die Nierenfunktionseinschränkung zutreffend einen Einzel-GdB von 20 vorgeschlagen.

Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass bei dem Kläger eine Hypertonie in mittelschwerer Form mit Organbeteiligung (Linkshypertrohie des Herzens, diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mm Hg trotz Behandlung) ebenfalls einen Einzel-GdB von 20 vor.

Des Weiteren liegt ein Diabetes mellitus Typ 2 vor, durch Diät allein oder durch Diät und Kohlenhydratresorptionsverzögerer ausreichend einstellbar, der mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten ist. Die Erhöhung der Harnsäure und die Adipositas bedingen keinen Einzel-GdB von mindestens null.

Erschwerend ist des Weiteren zu berücksichtigen, dass als Folge der Operation Narbenschmerzen im Bereich der linken Flanke bestehen. Da die Nierenfunktionsstörung der Bluthochdruck und die Narbenschmerzen sich gegenseitig ungünstig und nachteilig beeinflussen, muss der Gesamt-GdB mit 40 bewertet werden. Die orthopädischen Leiden bedingen keinen GdB von jeweils mindestens 10 und haben somit keinen Einfluss auf den Gesamt-GdB.

Entgegen der Auffassung des Klägers erhöht sich der Gesamt-GdB nicht durch bei ihm vorliegende Depressionen und Angstzustände. Insofern ist das Vorliegen einer Behinderung nicht nachgewiesen. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Im Gutachten des X2 ist von einer ausgeglichenen Stimmungslage die Rede. Hinweise auf eine Depression finden sich im Gutachten nicht. In dem nachträglich eingeholten Befundbericht der Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherpie C wird berichtet, dass sich der Kläger dort seit dem 07.08.2006 in psychiatrischer Behandlung befände und sich der Gesundheitszustand in dem einmonatigen Behandlungszeitraum unter empfohlener psychopharmakologischer Medikation deutlich verbessert hätte und seit dem 21.08.2006 wieder eine uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit bestünde. Es handelt sich somit um eine Gesundheitsstörung, die der Behandlung fähig ist. Ein Nachweis einer mehr als sechs Monate anhaltenden Behinderung besteht nicht. Diese Gesundheitsstörung hat somit im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht mindestens sechs Monate zu einer dauerhaften Beeinträchtigung geführt.

Der Gesamt-GdB ist somit in Übereinstimmung mit der Einschätzung des Sachverständigen X2 mit 40 einzustufen. Die Feststellung eines höheren GdB s ist nicht berechtigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved