S 16 U 60/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 16 U 60/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 147/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten ist zwischen den Beteiligten, ob die beim Kläger als Berufskrankheit anerkannte Lärmschwerhörigkeit ein entschädigungspflichtiges Ausmaß erreicht hat.

Im Juli 1997 zeigte der HNO-Arzt C1 bei der Beklagten den Verdacht auf eine Lärmschwerhörigkeit des 1948 geborenen Klägers an. Nach den Feststellungen der Fachstelle "Lärm" war der Kläger, der seit 1983 bei der E1 D AG und ihrer Rechtsvorgängerin, der N-C2 GmbH, in E2 als Schleifer, Wagenfertigsteller und -lackierer arbeitete, Lärmpegeln von 84 dB(A) ausgesetzt. Der beratende Arzt der Beklagten hielt die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer lärmbedingten Schwerhörigkeit grenzwertig für erfüllt. Der Empfehlung ihres beratenden Arztes folgend holte die Beklagte ein Zusammenhangsgutachten von L, E2, ein. Dieser berichtete nach einer Untersuchung des Klägers am 02.02.1999 von einer beiderseitigen Hochtonsenkenbildung, die rechts etwas stärker als links ausgeprägt sei und äußerte, die vom Kläger angegebenen Ohrgeräusche hätten durch die Tinnitus-Analyse nach Feldmann nicht lokalisiert werden können. L nahm eine durch beruflicheN Lärm verursachte geringgradige Schwerhörigkeit beiderseits an und bewertete die dadurch bedingte MdE unter Berücksichtigung des Ohrgeräusches mit einer MdE von 15 vom100. Auf dieser medizinischen Grundlage erkannte die Beklagte eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV an, lehnte aber die Bewilligung von Rente wegen Fehlens einer rentenberechtigenden MdE ab (Bescheid vom 09.03.1999). Im sich daran anschließenden Widerspruchsverfahren schaltete die Beklagte erneut ihre Fachstelle "Lärm" ein, die den Arbeitsplatz des Klägers am 17.03.1999 im Beisein des zuständigen Meisters und des Sicherheitsingenieurs besichtigte und äußerte, der Kläger führe an Transportern mit einem kleinen Pinsel Farbausbesserungen durch, die einzigen Lärmquellen im Arbeitsbereich des Klägers seien die von einigen Arbeitnehmern eingeschalteten Autoradios und das Zuschlagen der Fahrzeugtüren nach Fertigstellung der Farbausbesserungen. Am Bandanfang würden an einigen Fahrzeugen Drück- und Beirichtarbeiten an den Transportertüren vorgenommen. Der Abstand dieser Arbeiten zum Arbeitsplatz des Klägers sei aber so groß, dass Auswirkungen ausgeschlossen werden könnten. Es könne davon ausgegangen werden, dass üblicherweise der Lärmpegel an allen Arbeitstagen unter 80 dB(A) liege. Die Widerspruchsstelle bei der Beklagten wies daraufhin den Widerspruch des Klägers durch Bescheid vom 01.07.1999 zurück. In der Folgezeit ließ sich der Kläger von L behandeln. Dieser zeigte im März 2004 der Beklagten unter Beifügung von Audiogrammen an, beim Kläger liege neben der bekannten Hochtonschwerhörigkeit nunmehr auch ein Tinnitus vor. Die Beklagte holte daraufhin eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes ein, der ausführte, bei Vergleich der früheren mit den jetzigen Audiogrammen liege keine wesentliche Änderung im Sinne einer Verschlimmerung der Lärmschwerhörigkeit vor. Eine solche sei auch bei Beurteilspegeln von unter 80 dB(A) ohnehin nicht zu erwarten. Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit, die durch l veranlasste Hörkontrolle habe keine vom Vorbefund wesentlich abweichenden Werte ergeben, so dass von einer Begutachtung abgesehen werden könne (Bescheid vom 19.05.2004). Seinem Widerspruch fügte der Kläger eine Stellungnahme von l bei, in der es u. a. heißt, die Innenohrschwerhörigkeit des Klägers habe seit der letzten Begutachtung nicht zugenommen. 1999 habe das Ohrgeräusch zum Untersuchungszeitpunkt nicht lokalisiert werden können, jetzt sei es ständig vorhanden und belaste den Kläger stark. Im Hinblick darauf, dass ein lärmbedingter Tinnitus mit einer MdE von10 vom Hundert berücksichtigt werde könne, sei nunmehr von einer lärmbedingten Innenohrschwerhörigkeit mit chronischem Tinnitus bei einer MdE von insgesamt 20 vom Hundert auszugehen. Die Beklagte holte daraufhin ein HNO-ärztliches Gutachten von H, HNO-Klinik der Universitätskliniken E2 ein. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass die berufsbedingte Schwerhörigkeit des Klägers seit der Begutachtung durch L im Jahr 1999 nicht zugenommen habe. Anders verhalte es sich mit dem Ohrgeräusch. 1999 habe der Kläger unter keinem berufsbedingten Tinnitus gelitten, dafür sprächen dessen Angaben es habe sich um ein "knacken" gehandelt. Ein lärmbedingtes Ohrgeräusch werde regelmäßig als kontinuierlich vorhandener Ton mit hoher Frequenz bezeichnet, niemals als "knacken". Heute gebe der Kläger ein solches Ohrgeräusch an. Dies sei jedoch erst in den letzten Jahren entstanden und habe sich danach verschlimmert, in einem Zeitraum, in dem der Kläger keinem gehörschädigendem Lärm mehr ausgesetzt gewesen sei, deshalb müsse davon ausgegangen werden, dass das Ohrgeräusch nicht lärmbedingt sei. Im Übrigen sei fragllich, ob beim Kläger überhaupt ein Lärmschaden bestehe. Jedenfalls könne die über den Hörverlust des linken Ohres hinausgehende Schwerhörigkeit des rechten Ohres sowie der beiderseitige Tinnitus nicht auf berufliche Lärmbelastung zurückgeführt werden. Nachdem L an seiner Beurteilung festgehalten hatte, wies die Widerspruchsstelle bei der Beklagten den Widerspruch des Klägers unter Bezug auf das Gutachten von H zurück (Widerspruchsbescheid vom 18.02.2005). Mit seiner am 22.03.2005 eingegangenen Klage bezieht sich der Kläger im Wesentlichen auf das Gutachten von L und meint im Übrigen, bis Mai 2004 sehr wohl gehörgefährdendem Lärm ausgesetzt gewesen zu sein.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 19.05.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2005 aufzuheben und bei ihm aufgrund der anerkannten lärmbedingten Schwerhörigkeit eine MdE von mindestens 20 % festzustellen und die hieraus sich ergebenden gesetzlichen Leistungen in voller Höhe zu erbringen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat HNO-ärztlicherseits C3 gehört, der die Voraussetzungen einer beruflichen Lärmschwerhörigkeit verneint hat. Auf Veranlassung der Fachstelle "Lärm" ist am 10.03.2006 erneut eine Arbeitsplatzbesichtigung - im Beisein des Klägers - erfolgt, die einen mittleren Pegel von 76 dB(A) ergeben hat.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf die Gerichtsakten und die Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 19.05.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2005 ist rechtmäßig. Die beim Kläger als Berufskrankheit anerkannte Lärmschwerhörigkeit hat noch kein rentenberechtigendes Ausmaß erreicht. Gemäß § 56 SGB VII setzt die Gewährung von Rente eine versicherungsfallsbedingte (berufskrankheitsbedingte) MdE von mindestens 20 vom Hundert voraus. Daran fehlt es hier. Zwar ist der den Kläger behandelnde Arzt L gegenteiliger Ansicht. Er hat vorgeschlagen, eine durch Lärmschwerhörigkeit bedingte MdE um 20 vom Hundert anzunehmen. Diesem Vorschlag kann jedoch nicht gefolgt werden. Davon hat sich die Kammer insbesondere aufgrund der schlüssigen Darlegungen von C3 und H überzeugt. Zunächst ist festzuhalten, dass alle im Verfahren gehörten HNO-Ärzte darin übereinstimmen, dass die Hörminderung des Klägers seit dem 02.02.1999 - dem Zeitpunkt der Erstbegutachtung durch L - nicht zugenommen hat. Auf der Grundlage des Königsteiner Merkblatts beträgt der prozentuale Hörverlust aus dem Sprachaudiogramm unter Berücksichtigung des gewichteten Gesamtwortverstehens rechts unverändert fast 30 % und links 10 %. Da die Lärmschwerhörigkeit stets ein symmetrisches Bild zeigt, kann der berufskrankheitsbedingten MdE nur der Hörverlust auf dem linken Ohr zu Grunde gelegt werden. Nach der Tabelle von Feldmann kann deshalb keine berufskrankheitsbedingte MdE von 20 vom Hundert angenommen werden. Der vom Kläger beklagte Tinnitus kann dabei keine Berücksichtigung finden. Auch wenn man zu Gunsten des Klägers unterstellt, er sei gehörgefährdendem Lärm ausgesetzt gewesen, lässt sich das Ohrgeräusch nicht auf Lärmbelastungen zurückführen. Bei der Erstbegutachtung durch L hat der Kläger das Geräusch als "knacken" beschrieben. Später bei der Untersuchung durch H ist das angegebene Geräusch bei 10.000 Hz geortet worden, also im ganz hohen Frequenzbereich; bei der Untersuchung durch C3 jedoch bei 750 Hz, also im mittleren Frequenzbereich. C3 hat darauf hingewiesen, dass von einem lärmbedingten Ohrgeräusch bekannt ist, dass es frequenzstabil ist und im Übrigen ein "knacken" in den Ohren nie als Lärmschaden aufgefasst werden kann. Unabhängig davon sind aber auch die beruflichen Voraussetzungen des Ohrgeräuschs nicht nachweisbar, da der Kläger nach den Ermittlungen der Fachstelle "Lärm" nicht gehörgefärdendem Lärm ausgesetzt gewesen ist: Die lärmverursachenden Drück- und Beirichtarbeiten an den Fahrzeugtüren sind mit einem Abstand zum Arbeitsplatz des Klägers durchgeführt worden, der zu groß ist, um lärmbedingte Auswirkungen beim Kläger begründen zu können. Darüber hinaus - so ist den Feststellungen über die Arbeitsplatzbesichtigung am 10.03.2006 zu entnehmen - ist bereits wegen der Arbeitsaufteilung auszuschließen, dass es zu einem regelmäßigen Zusammentreffen der Mitarbeiter, die Richtarbeiten durchführten und der Mitarbeiter, die wie der Kläger Farbausbesserungsarbeiten auszuführen hatten, gekommen ist. Bei einem äquivalenten Dauerschallpegel von festgestellten 76 dB(A) kann sich ein lärmbedingter Hörschaden nicht verschlimmern und ein Ohrgeräusch nicht verursacht oder verschlimmert werden. Damit lässt sich eine rentenberechtigende, berufskrankheitsbedingte MdE nicht begründen. Dahingestellt bleiben kann, ob beim Kläger überhaupt eine berufskrankheitsbedingte Lärmschwerhörigkeit vorliegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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