L 1 KR 27/03

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 13 KR 45/02
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 27/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum Anspruch der von hochgradiger Sehschwäche oder Blindheit akut bedrohten Versicherten auf Übernahme der Kosten der Photodynamischen Therapie ohne vorangegangene Entscheidung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesauschuss).
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 15. No-vember 2002 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung der Kosten für die Behandlung ih-res linken Auges mittels Photodynamischer Therapie (PDT).

Bei der Klägerin wurde am linken Auge eine subretinale Neovaskularisationsmembran bei hoher Myopie diagnostiziert. Da eine herkömmliche thermische Laserbehandlung nicht möglich war, war die Durchführung einer PDT vorgesehen, um eine womöglich innerhalb weniger Wochen eintretende Erblindung der Klägerin zu verhindern. Dem entsprechenden Antrag vom 07.11.2001 fügte die Klägerin einen Befundbericht von Prof. Dr. Dr. W. vom Universitätsklinikum ob eine Kostenübernahme in diesem Einzelfall wegen der dramati-schen Entwicklung der Erkrankung der Klägerin empfohlen werden könne. Dr. F. teilte im MDK-Gutachten vom 08.11.2001 (eingegangen bei der Beklagten am 13.11.2001) mit, der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen habe eine Zulassung von Verteporfin für die altersabhängige feuchte Makuladegeneration mit subfoveolärer klassischer chorioidaler Neovaskularisation vorgesehen, darüber hinaus gehe die Zulassung durch die European Medicines Agency (EMEA) für die pathologische Myopie (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 20.03.2001). Solange jedoch der Bundesausschuss der Ärzte und Kran-kenkassen diese Erweiterung der Indikation für eine PDT nicht anerkenne, bleibe aus sozialmedizinischer Sicht kein Beurteilungsspielraum für die Vergütung dieser diagnostischen und therapeutischen Leistungen zu Lasten der Krankenkassen. Die Beklagte lehnte darauf-hin den Antrag der Klägerin ab (schriftlicher Bescheid vom 13.11.2001).

Die Klägerin ließ die streitgegenständliche Behandlung am 14.11.2001 ambulant durchfüh-ren. Die Kosten der ärztlichen Behandlung in Höhe von 544,12 DM bezahlte sie privat. Das für die PDT notwendige Medikament Visudyne® hatte die Klägerin am 12.11.2001 für 3.329,03 DM in einer Apotheke gekauft. Über die Ablehnung ihres Kostenübernahmeantrages war sie vorab telefonisch am 13.11.2001 von der Beklagten informiert worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2002 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. In der vertragsärztlichen Versorgung dürften neue Untersuchungs- und Behand-lungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen nur abgerechnet werden, wenn sie in ihrer Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprächen. Der Anspruch erstrecke sich dabei zunächst auf solche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die Gegenstand des einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) seien. Methoden, die dort keine Berücksichtigung gefunden hätten, dürften als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 135 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetz-buch (SGB V) zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erst dann erbracht werden, wenn sie vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen anerkannt seien. Insoweit sei der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen gemäß § 135 Abs. 1 SGB V in Verbindung mit § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V ermächtigt, Beschlüsse zur Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu fassen. Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen habe in seiner Sitzung am 16.10.2000 beschlossen, dass die PDT bei altersabhängiger feuchter Makuladegeneration mit subfoveolärer klassischer cho-rioidaler Neovaskularisation als anerkannte Behandlungsmethode gelte. Dieser Beschluss sei am 18.01.2001 im Bundesanzeiger veröffentlicht und damit am 19.01.2001 in Kraft gesetzt worden. Die PDT gehöre ab diesem Zeitpunkt bei dieser bestimmten Indikation zu den anerkannten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (Nr. 8 der Anlage A der Richtlinie zur Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden [BUB-Richtlinie]). Die PDT mit Visudyne® (Wirkstoff: Verteporfin) könne daher grund-sätzlich zu Lasten der Kasse durchgeführt werden. Im Falle der Klägerin komme jedoch keine Kostenübernahme in Betracht, da dem Befundbericht der Universitätsklinik dass es sich um keine altersbedingte Makuladegeneration und somit um keine Indikation für eine PDT entsprechend der BUB-Richtlinie handele.

Die 1935 geborene Klägerin hat am 14.03.2002 Klage vor dem Sozialgericht Leipzig (SG) erhoben. Aufgrund ihres Lebensalters sei das Vorliegen einer altersbedingten Makuladege-neration zu bejahen, weshalb die Indikation für eine PDT gegeben sei. Außerdem sei ihr zu Beginn von der Beklagten die Übernahme der Kosten zugesagt worden.

Auf Anfrage des SG hat der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen am 03.07.2002 mitgeteilt, dass die PDT bei altersabhängiger Makuladegeneration abrech-nungsfähig sei. Ihm liege seit dem 06.05.2002 ein Antrag auf Zulassung der PDT bei pa-thologischer Myopie vor.

Das SG hat der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, die der Klägerin entstande-nen Kosten für das Medikament Visudyne® sowie für die ärztlichen Behandlungsleistun-gen zu übernehmen (Urteil vom 15.11.2002). Die Voraussetzungen des Kostenerstattungs-anspruchs nach § 13 Abs. 3 SGB V lägen vor, da die Beklagte die Leistung zu Unrecht abgelehnt habe. Die fehlende Anerkennung der streitgegenständlichen Behandlungsmethode beruhe auf einem Mangel des gesetzlichen Leistungssystems, der in diesem Fall in dem nicht zeitgerecht durchgeführten Anerkennungsverfahren durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen zu sehen sei. Eine sich daraus ergebende Versorgungslücke müsse zu Gunsten des Versicherten gemäß § 13 Abs. 3 SGB V geschlossen werden, zumal die betroffenen Patienten zu erblinden drohten. Dabei sei zu berücksichtigen, dass im November 2001 die Ergebnisse einer randomisierten Studie der Evidenzstufe I zugänglich gewesen seien und die EMEA eine erweiterte Zulassung für Verteporfin zur Behandlung der pathologischen Myopie im Mai 2001 erteilt habe. Vor diesem Hintergrund genüge es nicht, sich zur Ablehnung der Kostenerstattung auf den noch fehlenden oder mangelnden Wirksamkeitsnachweis zu berufen.

Gegen das ihr am 07.02.2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 06.03.2003 Berufung zum Sächsischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Die Voraussetzung zur Annahme eines Systemversagens lägen nicht vor. Der Antrag auf Zulassung der PDT bei pathologi-scher Myopie sei erst im Mai 2002 beim Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen gestellt worden, während die Behandlung der Klägerin bereits im November 2001 erfolgt sei. Dass der Bundesausschuss aus sachfremden Erwägungen nicht über den Zulassungsan-trag entschieden habe, sei nicht ersichtlich. Wegen des weiteren Vorbringens der Beklag-ten wird auf deren Schriftsätze vom 23.05.2006 und 22.08.2006 verwiesen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 15. November 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Auf Anfrage des Senats hat der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen am 23.09.2003 sowie am 20.10.2004 der Gemeinsame Bundesausschuss über den Sachstand des Verfahrens zur Erweiterung der Zulassung berichtet. Hierauf wird Bezug genommen. Am 21.02.2006 hat der Gemeinsame Bundesausschuss beschlossen, die PDT mit Vertepor-fin bei subfovealer chorioidaler Neovaskularisation infolge pathologischer Myopie als Un-tersuchungs- und Behandlungsmethode unter bestimmten dort näher konkretisierten Vor-aussetzungen anzuerkennen und diese in die Anlage A der BUB-Richtlinie aufzunehmen. Die EMEA hat auf Anfrage des Senats am 22.09.2004 darauf hingewiesen, dass die von der Europäischen Kommission ausgesprochene Zulassung des Medikaments Visudyne® nur für das Arzneimittel gelte, nicht jedoch für die Lichtquelle. Prof. Dr. B. (Direktor der Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde des Universitätsklinikums dass die Operation der Klägerin am 14.11.2001 wegen des Risikos einer (weiteren) akuten deutlichen Seh-minderung bis hin zur Gefahr der Erblindung unaufschiebbar gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen der Behandlungsunterlagen des Universitätsklinikums der Stellungnahme von Prof. Dr. Dr. W. vom 14.08.2003 und des Gutachtens von Prof. Dr. S. vom 20.02.2004 wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die Beklagte verurteilt, die Kosten der Klägerin für die am 14.11.2001 durchgeführte PDT zu erstatten, und zwar sowohl hinsicht-lich der Kosten des Medikaments als auch hinsichtlich der Kosten der ambulanten ärztli-chen Behandlung.

Insbesondere steht dem von der Klägerin geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch für das von ihr selbst beschaffte Medikament Visudyne® nicht entgegen, dass die Klägerin dieses schon vor den ablehnenden mündlichen und schriftlichen Verwaltungsakten vom 13.11.2001 erworben hatte. Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V hat die Krankenkasse die dem Versicherten entstandenen Kosten für eine selbst beschaffte notwendige Leistung zu erstat-ten, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht nicht erbracht hat. Zwar fehlt es an der vom Ge-setz geforderten Kausalität zwischen der ablehnenden Verwaltungsentscheidung der Be-klagten und den aufgewandten Kosten, da die Klägerin diese Entscheidung nicht zunächst abgewartet hat, bevor sie sich das Medikament gekauft hat. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sind Versicherte grundsätzlich gehalten, sich an ihre Kran-kenkasse zu wenden, die Leistungsgewährung zu beantragen und die Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten (vgl. z. B. BSG, Beschluss vom 15.04.1997 – 1 BK 31/96 - SozR 3-2500 § 13 Nr. 15; Urteil vom 25.09.2000 – B 1 KR 5/99 RSozR 3-2500 § 13 Nr. 22; Urteil vom 19.06.2001 – B 1 KR 23/00 RSozR 3-2500 § 28 Nr. 6; Urteil vom 20.05.2003 – B 1 KR 9/03 RSozR 4-2500 § 13 Nr. 1). Dies gilt nur dann nicht, wenn es dem Betroffenen nicht möglich oder nicht zuzumuten war, sich vor der Leistungsbeschaf-fung mit der Krankenkasse in Verbindung zu setzen, die Leistungsbeschaffung mithin un-aufschiebbar war (BSG, Urteil vom 20.05.2003 – B 1 KR 9/03 RSozR 4-2500 § 13 Nr. 1 Rn. 10; Urteil vom 25.09.2000 – B 1 KR 5/99 R – a.a.O. S 105 f.).

Ein solcher Fall der Unaufschiebbarkeit liegt hier vor. Die Klägerin hat zwar am 07.11.2001 bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für die streitgegenständliche PDT beantragt, das dafür notwendige Medikament Visudyne® aber bereits am 12.11.2001 ge-kauft, ohne die Entscheidung der Beklagten abgewartet zu haben. Diese ist ihr erst am dar-auf folgenden Tag, am 13.11.2001, telefonisch vorab mitgeteilt worden. Damit ist die ab-lehnende Entscheidung der Beklagten nicht ursächlich für die von der Klägerin aufge-wandten Kosten für das Medikament Visudyne®. Gleichwohl hat die Beklagte auch die Kosten für dieses Medikament zu übernehmen, da die PDT am 14.11.2001 unaufschiebbar gewesen ist und der Behandlung die Beschaffung des Arzneimittels vorausgehen musste, da die Augenklinik des Universitätsklinikums die Entscheidung der Beklagten abzuwarten. Den Befundunterlagen des Universitätsklinikums weshalb die unverzügliche Operation mittels PDT angezeigt gewesen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die behandeln-den Ärzte die Entscheidung für die PDT nicht leicht gemacht haben. So ist in der erwähn-ten Dokumentation vermerkt, dass der Befund im linken Auge "sehr versteckt" und dieser für die PDT nicht "ideal geeignet" sei. Der Klägerin wurde empfohlen, zunächst abzuwar-ten, da eine spontane Besserung möglich sei. Am 17.10.2001 wurde in der Dokumentation ein "sehr viel schlechterer" Visus des linken Auges festgestellt (0,16), woraufhin Prof. Dr. Dr. W. während der Untersuchung am 06.11.2001 – dort wurde dann wieder ein Visus von 0,25 ermittelt – schließlich die Notwendigkeit der PDT bescheinigte. Erschwerend kommt hier hinzu, dass die Klägerin auf dem rechten Auge im Rechtssinne zumindest nahezu blind war. Mit dem rechten Auge konnte sie nur noch Lichtschein erkennen und war zum Fingerzählen unmittelbar vor dem Auge in der Lage (Arztbrief des Universitätsklini-kums025 nach. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass die Klägerin nach der Antragstellung auf Kostenübernahme am 07.11.2001 nicht weiter zugewartet und das Me-dikament schließlich am 12.11.2001 gekauft hat, ohne die Entscheidung der Beklagten abzuwarten.

Dem steht nicht entgegen, dass der Beklagten nicht der Vorwurf gemacht werden kann, sie habe nicht schnell reagiert. Wie der im Tatbestand geschilderte Geschehensablauf belegt, hat die Beklagte vielmehr noch am Tag des Antrags, dem 07.11.2001, einem Mittwoch, umgehend unter Hinweis auf die Dringlichkeit des Falls ein Gutachten beim MDK angefordert. Dieses ist der Beklagten, gemessen an den sonstigen Bearbeitungszeiten, mit dem 13.11.2001 auch sehr schnell zugänglich gemacht worden. Hierbei ist jedoch einerseits zu berücksichtigen, dass die Klägerin die verwaltungsinternen Vorgänge nicht kannte und daher auch nicht wissen konnte, ob die Entscheidung der Beklagten noch vor dem 14.11.2001 ergeht. Andererseits ist es nicht als übereilt anzusehen, dass die Klägerin am Montag, den 12.11.2001, zwei Tage vor der PDT das Medikament erworben hat, um sicher zu gehen, dass das Medikament am Tag der Operation, dem 14.11.2001, bereitstand. Der Klägerin war nicht zumutbar, bis zum voraussichtlichen Ende des Dienstschlusses bei der Beklagten am 13.11.2001 auf deren Entscheidung zu warten. Insbesondere durfte sie das Medikament so frühzeitig beschaffen, dass bei eventuellen Lieferschwierigkeiten noch ausreichend Zeit für eine anderweitige Sicherstellung der Lieferung bestand. Im Hinblick auf die Dringlichkeit der Operation musste sie sich auch nicht auf einen späteren Termin verweisen lassen.

Hiernach kann auch dahingestellt bleiben, ob der Erwerb des Medikaments vor den ableh-nenden Verwaltungsakten der Beklagten vom 13.11.2001 und die ärztliche Behandlung danach im Rahmen des § 13 Abs. 3 SGB V als eine einheitlich zu beurteilende, schon vor dem 13.11.2001 begonnene Leistungsverschaffung oder als ein in zwei rechtlich selbstän-dige Teile aufgespaltener Vorgang anzusehen sind (vgl. dazu BSG, Urteil vom 22.03.2005 – B 1 KR 3/04 R – USK 2005-68).

Die Beklagte hat die Übernahme der Kosten der PDT zu Unrecht abgelehnt.

Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsan-spruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse. Er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BSG, Urteil vom 24.09.1996 – 1 RK 33/95BSGE 79, 125, 126 f. = SozR 3-2500 § 13 Nr. 11 Seite 51 f. m. w. N.; Urteil vom 07.11.2006 – B 1 KR 24/06 R – juris Rn. 11). Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für eine PDT mit Verteporfin hängt wegen der Eigenart dieser Therapie im Grundsatz sowohl von einer im Inland wirksamen arzneimittelrechtlichen Zulassung ab, die im Behandlungszeitpunkt auch zur Behandlung der pathologischen Myopie aufgrund der Entscheidung der Europäischen Kommission vom 20.03.2001 vorgelegen hat (zu den damals maßgeblichen Rechtsgrundlagen vgl. BSG, Urteil vom 18.05.2004 – B 1 KR 21/02 RBSGE 93, 1 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 1 Rn. 12 f.), als auch von einer Empfehlung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (seit 01.01.2004: der Gemeinsame Bundesausschuss), die hier jedenfalls im maßgeblichen Zeitraum fehlt.

Neue ärztliche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (wie die streitgegenständliche PDT) sind nur dann von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung um-fasst, wenn der Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2, § 135 SGB V – insbesondere in der hier maßgeblichen, bis zum 31.03.2006 geltenden BUB-Richtlinie, die zuvor noch hieß: Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behand-lungsmethoden und über die Überprüfung erbrachter vertragszahnärztlicher Leistungen (NUB-Richtlinien); ersetzt durch die ab 01.04.2006 geltende Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung (Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung) – bereits eine positive Empfehlung über deren diagnostischen und therapeutischen Nutzen abgegeben hat (ständi-ge Rechtsprechung, vgl. z. B. BSG, Urteil vom 26.09.2006 – B 1 KR 3/06 R zitiert nach juris, Rn. 15). Durch derartige Richtlinien wird sowohl geregelt, unter welchen Vorausset-zungen zugelassene Leistungserbringer neue Behandlungsmethoden zu Lasten der Kran-kenkassen erbringen und abrechnen dürfen, als auch der Umfang der vom Versicherten geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (ständige Rechtsprechung seit BSG, Urteil vom 16.09.1997 – 1 RK 32/95BSGE 81, 73, 75 f. = SozR 3-2500 § 92 Nr. 7).

Eine ärztliche Untersuchungs- oder Behandlungsmethode ist neu, wenn sie zum Zeitpunkt der Behandlung nicht als abrechnungsfähige Leistung im EBM aufgeführt wird (BSG, Ur-teil vom 16.09.1997 – 1 RK 28/95BSGE 81, 54, 58 = SozR 3-2500 § 135 Nr. 4; Urteil vom 16.09.1997 – 1 RK 32/95BSGE 81, 73, 75 f. = SozR 3-2500 § 92 Nr. 7). Der EBM sah im Jahre 2001 die PDT zur Behandlung einer pathologischen Myopie nicht als ver-tragsärztliche Leistung vor. Da es zur Begründung der Leistungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung damit zunächst eines positiven Votums des Bundesausschusses be-durfte, ein solcher Beschluss jedoch erst 2006 amtlich erging, wäre die Übernahme der streitgegenständlichen ärztlichen Behandlungskosten durch die Beklagte mithin grundsätz-lich ausgeschlossen. Verwaltung und Gerichte sind an die Entscheidungen des Bundesausschusses über bestimmte Methoden im Grundsatz ebenso gebunden, wie wenn der Gesetzgeber die Entscheidung selbst getroffen hätte (BSG, Urteil vom 26.09.2006 – B 1 KR 3/06 R – a. a. O., Rn. 20; Urteil vom 28.03.2000 – B 1 KR 11/98 RBSGE 86, 54, 56 = SozR 3-2500 § 135 Nr. 14). Bereits zum Zeitpunkt der Behandlung in dem dafür jeweils vorge-sehenen Verfahren muss zweifelsfrei geklärt sein, ob die erhofften Vorteile einer Therapie die möglicherweise zu befürchtenden Nachteile überwiegen (BSG, Urteil vom 26.09.2006 – B 1 KR 3/06 R – juris Rn. 20).

Ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin ergibt sich im Gegensatz zur Ansicht des SG nicht aus den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen eines so genannten Systemversagens. Ungeachtet der in §§ 135, 138 SGB V statuierten Verbote mit Erlaubnisvorbehalt kann nach der Rechtsprechung des BSG eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde ("Systemversagen"). In Fällen, in denen die im Gesetz vorausgesetzte Aktualisierung der Richt-linie rechtswidrig unterblieben ist, muss die Möglichkeit bestehen, das Anwendungsverbot auf andere Weise zu überwinden (vgl. BSG, Urteil vom 16.09.1997 – 1 RK 28/95 – a.a.O.). Ein solcher Systemmangel kann vorliegen, wenn das Verfahren vor dem Bundesausschuss von den antragsberechtigten Stellen bzw. dem Bundesausschuss selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß betrieben wurde und dies auf eine willkürliche oder sachfremde Untätigkeit bzw. Verfahrensverzögerung zurückzuführen ist (vgl. BSG, Urteil vom 16.09.1997 – 1 RK 28/95 – a.a.O.; Urteil vom 03.04.2001 – B 1 KR 22/00 RBSGE 88, 51, 61 = SozR 3-2500 § 27 a Nr. 2). In einem derartigen Fall wider-sprechen die einschlägigen Richtlinien einer den Anforderungen des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V genügenden Krankenbehandlung, die erfordert, dass Qualität und Wirksamkeit der streitbefangenen Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, welche sich wiederum in zuverlässigen, wissenschaftlich nachprüfbaren Aussagen niedergeschlagen haben müssen (ständige Rechtsprechung seit BSG, Urteil vom 05.07.1995 – 1 RK 6/95BSGE 76, 194, 199 = SozR 3-2500 § 27 Nr. 5). Für den Fall einer derart unterbliebenen Aktualisierung erkennt die Rechtsprechung Lockerungen hinsichtlich des Wirksamkeitsnachweises in dem Sinne an, dass dann ggf. die bloße Verbrei-tung einer Methode für die Pflicht zur Leistungsgewährung ausreichen kann (vgl. dazu die zusammenfassende Wiedergabe der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG, Urteil vom 22.03.2005 – B 1 A 1/03 RBSGE 94, 221 = SozR 4-2400 § 89 Nr. 3 Rn. 24).

Nach diesen rechtlichen Maßstäben liegt kein Systemversagen vor.

Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat bereits in seinem Bericht vom 22.01.2001 über die PDT bei altersabhängiger feuchter Makuladegeneration auch die PDT bei pathologischer Myopie in den Blick genommen. Dies beruhte auf seiner Einschätzung, dass die Krankheitsbilder der altersabhängigen Makuladegeneration sowie der pathologi-schen Myopie für 30 bis 40 % der Erblindungen in Deutschland verantwortlich seien (Seite 46 des zusammenfassenden Berichtes des Arbeitsausschusses "Ärztliche Behandlung" des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Beratungen gemäß § 135 Abs. 1 SGB V zur Photodynamischen Therapie (PDT) mit Verteporfin bei altersabhängiger feuch-ter Makuladegeneration mit subfoveolären klassischen chorioidalen Neovaskularisationen). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass ein erster Antrag auf Zulassung der PDT bei pathologischer Myopie erst im Mai 2002 gestellt wurde und dem Bericht des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 23.09.2003 sowie dem Bericht des Gemein-samen Bundesausschusses vom 20.10.2004 gegenüber dem Senat zu entnehmen ist, dass dieser Antrag später noch erweitert worden ist. Nach dem zusammenfassenden Bericht des Arbeitsausschusses "Ärztliche Behandlung" des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 22.01.2001 wird auf Seite 55 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Einjahresdaten einer auf zwei Jahre angelegten Studie zur Anwendung der PDT bei Patien-ten mit neovaskulärer pathologischer Myopie nach Überzeugung des Bundesausschusses nicht geeignet seien, den Nutzen bei dieser Indikation zu belegen. Unter Berücksichtigung des Spontanverlaufes der pathologischen Myopie mit der Möglichkeit einer Verlangsamung oder einem Sistieren der Progression ohne Therapie, wären selbst Zweijahresergeb-nisse nicht als aussagefähig anzusehen, um einen dauerhaften Behandlungserfolg abschätzen zu können. Für die Anwendung der PDT bei pathologischer Myopie waren daher sei-nerzeit nach Auffassung des Ausschusses längerfristige Nachbeobachtungszeiten erforder-lich. Vor diesem Hintergrund ist die Dauer des Anerkennungsverfahrens nicht zu beanstanden, zumal eine rechtliche Verpflichtung zum Handeln zu einem früheren Zeitpunkt nicht bestand.

Da nach Schätzungen des Bundesausschusses zur Prävalenz der pathologischen Myopie rund 38.000 bis 115.000 Fälle (bezogen auf die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutsch-land im Jahr 1998; Seite 49 des zusammenfassenden Berichtes vom 22.01.2001) betroffen sind, kann auch nicht von einer seltenen, einzigartigen Krankheitssituation gesprochen werden, die sich der systematischen Erforschung entzöge und die ausnahmsweise eine Leistungsverpflichtung der Beklagten begründen würde (vgl. dazu BSG, Urteil vom 19.10.2004 – B 1 KR 27/02 RBSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr.1).

Allerdings folgt die Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme der ärztlichen Behand-lungskosten aus den Grundsätzen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98SozR 4-2500 § 27 Nr. 5 = NZS 2006, 84 = NJW 2006, 891). Danach ist es mit den Grundrechten aus Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar, wenn "insbesondere" (!) für eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende medizini-sche Behandlung nicht zur Verfügung steht, den davon betroffenen gesetzlich Krankenver-sicherten von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungs-methode auszuschließen, sofern eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

Die vom BVerfG betonten verfassungsrechtlichen Schutzpflichten bestimmen jedoch nicht nur die leistungserweiternde Konkretisierung der Leistungsansprüche der Versicherten. Diese Schutzpflichten sollen die Versicherten auch davor bewahren, auf Kosten der gesetz-lichen Krankenversicherung mit zweifelhaften Therapien behandelt zu werden, wenn auf diese Weise eine nahe liegende, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht wahrgenommen wird. Ebenso wenig darf die Rechtsprechung des BVerfG dazu führen, dass unter Berufung auf sie im Einzelfall Rechte begründet werden, die bei konsequenter Ausnutzung durch die Leistungsberechtigten institutionelle Sicherungen aushebeln, die der Gesetzgeber gerade im Interesse des Gesundheitsschutzes der Versicherten und der Ge-samtbevölkerung errichtet hat (BSG, Urteil vom 04.04.2006 – B 1 KR 7/05 R – juris, Rn. 25). Diese Sicherungen dürfen nicht auf eine vermeintlich "großzügige", im Interesse des einzelnen Versicherten erfolgende richterrechtliche Zuerkennung von Leistungsansprüchen faktisch und systematisch unterlaufen und umgangen werden. Ein solches Vorgehen wäre sowohl mit einem inakzeptablen unkalkulierbaren Risiko etwaiger Gesundheitsschäden für den betroffenen Versicherten behaftet als auch mit einer nicht gerechtfertigten Ausweitung der Leistungspflicht zu Lasten der übrigen Versicherten verbunden. Solche Auswirkungen dürfen einer Versichertengemeinschaft nicht aufgebürdet werden, die die Behandlung – typischerweise unter Anwendung des Instruments der Versicherungspflicht, also zwangs-weise – finanziert (vgl. BSG, Urteil vom 04.04.2006 – B 1 KR 7/05 R, a. a. O.; Urteil vom 19.03.2002 – B 1 KR 37/00 RBSGE 89, 184, 190 = SozR 3-2500 § 31 Nr. 8 Seite 34). Die Ausweitung derartiger Ansprüche für Versicherte der gesetzlichen Krankenversiche-rung muss daher auf eng umgrenzte Sachverhalte mit notstandsähnlichem Charakter be-grenzt bleiben (BSG, Urteil vom 19.10.2004 – B 1 KR 27/02 R – a.a.O.).

Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 19.10.2004 – B 1 KR 27/02 RBSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 1 Rn. 27) im Falle einer 1994 geborenen Versicherten, die an einem angeborenen Aderhautdefekt (sog. Kolobom) leidet, der Ursache für eine im Sommer 2000 aufgetretene massive Sehverschlechterung des rechten Auges gewesen war (Sehvermögen zuletzt 0,04 nach ursprünglich 0,4) und die – ebenfalls ohne entsprechenden positiven Be-schluss des Bundesausschusses – auch mittels PDT behandelt worden war, u.a. ausgeführt, den Einsatz einer derartigen Therapie außerhalb des vom SGB V vorgegebenen Leistungsrahmens sei nur in notstandsähnlichen Situationen zuzulassen, wenn eine schwerwiegende (lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende) Er-krankung zu behandeln sei, für die keine andere Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung stehe. Im entschiedenen Fall hat das dortige LSG diese Voraussetzungen bejaht. Aus revi-sionsrechtlicher Sicht hat das BSG dies nicht beanstandet und in diesem Zusammenhang auf seine Entscheidung vom 19.03.2002 (B 1 KR 37/00 RBSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr. 8) zum Off-Label-Use (Sandoglobulin) verwiesen (zu den dort aufgestellten Vor-aussetzungen siehe BSGE 89, 184, 191 f.).

Mit Urteil vom 14.12.2006 (B 1 KR 12/06 R – juris) hat das BSG in einem Fall der Fried-reich-Ataxie, der den Einsatz eines Arzneimittels betraf, das in Deutschland überhaupt nicht und in anderen Ländern nur für Indikationen, die im dortigen nicht streitgegenständ-lich waren, ausgeführt: Mit dem Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer le-bensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung ver-gleichbar sei, sei eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfor-dernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des sog. Off-Label-Use formuliert sei. Denn hieran knüpften weitergehende Folgen an. Ohne einschränkende Aus-legung ließen sich fast beliebig bewusst vom Gesetzgeber gezogene Grenzen überschrei-ten. Entscheidend sei, dass das vom BVerfG herangezogene Kriterium bei weiter Ausle-gung sinnentleert würde, weil nahezu jede schwere Krankheit ohne therapeutische Einwir-kung irgendwann auch einmal lebensbedrohende Konsequenzen nach sich ziehe. Das kön-ne aber nicht ausreichen, das Leistungsrecht des SGB V und die dazu ergangenen unterge-setzlichen Regelungen nicht mehr als maßgebenden rechtlichen Maßstab für die Leistungs-ansprüche der Versicherten anzusehen. Bereits die Anforderungen an das Bestehen einer "schwerwiegenden" Erkrankung seien erheblich. Nicht jede Art von Erkrankung könne den Anspruch auf eine Behandlung mit dazu nicht zugelassenen Arzneimitteln begründen, son-dern nur eine solche, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebe. Denn der Off-Label-Use bedeute, Arzneimittel ohne die arzneimit-telrechtlich vorgesehene Kontrolle der Sicherheit und Qualität einzusetzen, die in erster Linie Patienten vor inakzeptablen unkalkulierbaren Risiken für die Gesundheit zu schützen hätten. Ausnahmen könnten schon insoweit nur in engen Grenzen auf Grund einer Güter-abwägung anerkannt werden, die der Gefahr einer krankenversicherungsrechtlichen Um-gehung arzneimittelrechtlicher Zulassungserfordernisse entgegenwirke, die Anforderungen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung an Qualität und Wirksamkeit der Arz-neimittel (§ 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V) beachte und den Funktionsdefiziten des Arz-neimittelrechts in Fällen eines unabweisbaren, anders nicht zu befriedigenden Bedarfs Rechnung trage.

Über diese Anforderungen gehe es deutlich hinaus, wenn als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung nicht bloß der Off-Label-Use eines mit anderer Indikation in Deutschland zugelassenen Fertigarzneimittels, sondern im Rahmen verfassungskonformer Auslegung der Einzelimport eines überhaupt nicht in Deutschland zugelassenen Mittels nach § 73 Arzneimittelgesetz (AMG) in Rede stehe. Der institutionelle Schutz, den das für Deutschland erforderliche Arzneimittelzulassungsverfahren biete, fehle in solchen Fällen vollständig. Damit drohten den Versicherten Gesundheitsgefahren, vor denen sie das Zu-lassungsverfahren gerade schützen wolle. Wolle man trotzdem unter Berufung auf den verfassungsrechtlich gebotenen Gesundheitsschutz ein Anspruch auf Einzelimportarznei-mittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung begründen, könne nicht unberück-sichtigt bleiben, ob sich die Gefahr eines tödlichen Krankheitsverlaufs schon in näherer oder erst in ganz ferner, noch nicht genau absehbarer Zeit zu konkretisieren drohe. Verbleibe durch einen langen, verzögerten Krankheitsverlauf jahrzehntelang Zeit zur The-rapie, sei in Rechnung zu stellen, dass die im Zeitablauf typischerweise voranschreitenden medizinischen und pharmakologischen Erkenntnisse in Zukunft Therapiemöglichkeiten eröffnen und (positive wie negative) Ergebnisse zu Tage fördern könnten, welche aktuell noch nicht verfügbar seien. Dann aber sei es auch verfassungsrechtlich hinnehmbar, den von einer schweren Krankheit betroffenen Patienten bei fehlender Akut-Problematik trotz der damit verbundenen Belastungen und Unzuträglichkeiten in der Regel abzuverlangen, vor der Inanspruchnahme der gesetzlichen Krankenversicherung für unkonventionelle Pharmakotherapien zunächst das Vorliegen einer auf solchen Forschungsergebnissen ge-stützten Zulassung der beanspruchten Fertigarzneimittel abzuwarten. Dementsprechend habe das BSG die qualifizierten Erfordernisse einer lebensbedrohlichen Krankheit verneint z. B. bei einem Prostata-Karzinom im Anfangsstadium (Urteil vom 04.04.2006 – B 1 KR 12/05 R – juris Rn. 36 zur interstitiellen Brachytherapie mit Permanent-Seeds ) und bei einer erst in 20 bis 30 Jahren drohenden Erblindung (Beschluss vom 26.09.2006 – B 1 KR 16/06 B ).

Gerechtfertigt sei eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen daher nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem ge-wissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliege, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch sei. Das bedeute, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen müsse, dass sich der voraussicht-lich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen werde. Ähnliches könne für den gegebenenfalls gleichzustellenden, nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder ei-ner herausgehobenen Körperfunktion gelten.

Diesen Ausführungen schließt sich der erkennende Senat an. Zwar lag hier – wie bereits ausgeführt – aufgrund der Entscheidung der Europäischen Kommission vom 20.03.2001 auf der Grundlage der Begutachtung durch die EMEA im Behandlungszeitraum eine euro-paweite Zulassung des Arzneimittels Verteporfin im Rahmen der PDT auch für die subfo-veale chorioidale Neovaskularisation infolge pathologischer Myopie vor (Schreiben der EMEA vom 22.09.2004). Insoweit unterscheidet sich der Rechtsstreit hier vom zuvor dar-gestellten Fall, den das BSG zum Einsatz eines Arzneimittels bei Friedreich-Ataxie ent-schieden hat. An die Stelle der nur unter besonderen Voraussetzungen überwindbaren arz-neimittelrechtlichen Zulassungshürde tritt hier der im streitgegenständlichen Zeitraum feh-lende, aber grundsätzlich notwendige Beschluss des Bundesausschusses über die Zulas-sung der PDT als qualifizierte ärztliche Behandlung (vgl. dazu BSG, Urteil vom 19.10.2004 – B 1 KR 27/02 RBSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 1 Rn. 15 ff.) für die hier maßgebliche Indikation. Insofern gelten die Ausführungen des BSG entsprechend. Es genügt nicht, dass "nur" eine schwerwiegende Erkrankung behandelt werden soll, viel-mehr muss eine akute extreme notstandsähnliche Situation vorliegen, so dass es dem Ver-sicherten schlechterdings nicht zumutbar ist, sich – bei fehlender anderweitiger eigener finanzieller Leistungsfähigkeit – ohne einen Heilversuch entweder mit dem Schicksal einer eventuell irreparablen Gesundheitseinbuße abzufinden oder ihn auf den zukünftigen medi-zinischen Fortschritt zu verweisen.

Bereits in seinem Urteil vom 19.10.2004 hat das BSG – wie bereits ausgeführt – die sich rasch zur hochgradigen Sehbehinderung, fast bis an die Grenze zur Blindheit entwickelnde Visusverschlechterung auf nur einem Auge eines Kindes als notstandsähnliche Situation gebilligt, dort allerdings nicht strikt zwischen einer "einfachen" schwerwiegenden Erkran-kung und einer "besonders" schwer wiegenden Erkrankung mit erheblichem zeitlichen Handlungsdruck differenziert. Es hat jedoch auch im Urteil vom 14.12.2006 hinreichend deutlich gemacht, dass der nicht kompensierbare akut drohende Verlust eines wichtigen Sinnesorgans eine derartige akute extreme notstandsähnliche Lage darstellen kann.

Die Sehfähigkeit stellt die mit weitem Abstand wichtigste Sinnesleistung des Menschen dar. Die Fähigkeit, Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten, wird durch die Sehfä-higkeit maßgeblich geprägt und bei trotz Korrektur hochgradiger Sehschwäche oder gar Blindheit dramatisch reduziert. Die soziale Interaktion wird bei hochgradiger Sehschwäche und Blindheit zudem deutlich erschwert. Das hat unter anderem im Sozialrecht seinen Nie-derschlag darin gefunden, dass in einer Reihe von Landesgesetzen zunächst wegen der Blindheit, zum Teil später auch wegen anderer gesundheitlicher Einschränkungen, ergän-zende, rentenähnliche Sozialleistungen geschaffen worden sind (so genannte Zivilblinden-gesetze). Auch wird Blindheit nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht immer mit einem Grad der Behinderung von 100 bewertet. Die zentrale Bedeutung der Sehfähigkeit für die Alltagskompetenz der Menschen rechtfertigt es daher, ihr auch im vorliegenden Zusam-menhang eine herausragende Stellung einzuräumen.

Unter Berücksichtigung der aus den vom BVerfG aufgestellten verfassungsrechtlichen Vorgaben, die einen Vorrang des Leistungsanspruchs des Versicherten nicht ausschließlich bei lebensbedrohlichen Erkrankungen, sondern "insbesondere" bei solchen Erkrankungen statuieren, und den aus den vorgenannten Entscheidungen des BSG abzuleitenden Wertun-gen geht der Senat daher davon aus, dass eine akute extreme notstandsähnliche Situation auch dann vorliegt, wenn der Versicherte – wie hier – auf einem Auge nahezu blind ist, das auch keiner weiteren Behandlung zugänglich ist, und auf seinem anderen Auge eine erhebliche Sehbehinderung vorliegt, bei der aufgrund des vorausgegangenen schwankenden Verlaufs das Risiko einer weiteren akuten deutlichen Sehminderung besteht, so dass nach ärztlichem Ermessen nur noch eine nach Tagen oder Wochen bemessene Handlungsfrist und keine sonstige Behandlungsalternative innerhalb des von der gesetzlichen Krankenver-sicherung zur Verfügung gestellten Leistungsspektrums mehr besteht.

Hier hat Prof. Dr. B. in seiner Stellungnahme vom 20.03.2007 klargestellt, dass bei der auf dem rechten Auge nahezu blinden Klägerin, die dort nur noch zur intakten Lichtprojektion und zur Wahrnehmung von Handbewegungen in der Lage war, auch auf dem linken Auge bei einem zuletzt gemessenen Visus von nur 0,25 das Risiko einer akuten deutlichen Seh-minderung bestand. Damit bestand die nahe liegende Gefahr, dass die sehbehinderte Klä-gerin zumindest akut von der Gefahr betroffen war, eine dauerhafte hochgradige Sehbe-hinderung hinzunehmen. Insoweit hat Prof. Dr. B. die Auffassung vertreten, dass eine – insoweit alternativlose – Behandlung maximal zwei Wochen hätte aufgeschoben werden dürfen. Zugleich hat Prof. Dr. B. zwar klargestellt, dass im Operationszeitpunkt eine Blindheit nicht unmittelbar drohte, aber auch die Gefahr des Eintritts der Blindheit in naher Zukunft bestanden hat. Hierzu hat er für den Senat überzeugend ausgeführt:

"Bis zum Stadium der gesetzlichen Blindheit wäre sicherlich einige Zeit vergangen, die ich evtl. in Wochen definieren würde. Allerdings ist die deutsche Definition der gesetzlichen Blindheit sehr streng im Vergleich zu andern Ländern, z.B. Schweiz, Dänemark und USA. Auf jeden Fall bestand für ... [die Versicherte] das Risiko ei-ner akuten deutlichen Sehminderung."

Aufgrund der vorliegenden wissenschaftlichen Studien und der klinischen Erfahrung be-stand, wie Prof. Dr. S. in ihrem Gutachten vom 20.04.2004 und Prof. Dr. B. in seiner Stellungnahme vom 20.03.2006 hervorgehoben haben, auch schon im Jahre 2001 die gute Möglichkeit, dass die PDT auf subfoveal gelegene chorioidale Neovaskularisations-membranen infolge hoher Myopie erfolgreich eingesetzt werden konnte.

Soweit die Beklagte nunmehr geltend macht, es sei offen, ob die vom Gemeinsamen Bun-dessausschuss in seinem Beschluss vom 21.02.2006 vorgegebene erweiterte Indikation auch den Fall der Klägerin erfasse, ist dies hier rechtlich nicht relevant, weil die Klägerin nicht aufgrund dieses Beschlusses einen Anspruch auf Kostenerstattung hat, sondern auf-grund einer akuten extrem notstandsähnlichen Lage bei insoweit danach noch fehlendem Beschluss. Was zu gelten hat, wenn sich der Gemeinsame Bundesausschuss mit einer The-rapie im Hinblick auf einen bestimmen Indikationsbereich befasst hat und die neue Thera-pie zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung diesem Bereich nur mit Einschränkungen unter bewusstem Ausschluss bestimmter Indikationen bei ansonsten gleichwohl fortbestehender akuter extremer notstandsähnlicher Lage zugänglich gemacht hat, bedarf hier keiner Entscheidung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Die Nichtzulassung der Revision folgt aus § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved