L 2 U 114/05

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 5 U 378/03
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 114/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch ist auch gegeben, wenn ein Arzt einen begründeten Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit nicht unverzüglich anzeigt und dadurch ein Verwaltungsverfahren erst nach dem Tod des Versicherten eingeleitet wird.
I. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialge-richts Dresden vom 14.04.2005 sowie der Bescheid der Beklagten vom 05.08.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2003 auf-gehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin als Sonderrechtsnach-folgerin des am 15.06.2001 verstorbenen Hellmut A. wegen der Folgen der BK-Nr. 4105 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung Verletz-tenrente für die Zeit vor dessen Tod zu gewähren.
II. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläge-rin für beide Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin Ansprüche ihres verstorbenen Ehemannes gegen die Beklagte aus den Folgen einer Berufskrankheit (BK) nach der Berufskrankhei-tenverordnung (BKV) zustehen.

Die Klägerin ist die Witwe des 1935 geborenen und 2001 verstorbenen A., der bei der Be-klagten versichert war (Versicherter). Dieser war von 1950 bis 1953 in den C.-Werken C. als Hilfsarbeiter in der Produktion mit Asbestkontakt tätig. Nach weiteren Tätigkeiten war der Kläger von 1959 bis 1960 als Lokheizer beschäftigt, wobei auch bei dieser Tätigkeit eine Asbestexposition annehmbar ist.

Der Versicherte befand sich nach erstmaligem verdächtigen CT-Befund vom 09.10.2000 aufgrund eines angenommenen Pleuramesotheliom rechts vom 27.11.2000 bis zum 22.12.2000 im Fachkrankenhaus C ... In der Epikrise vom 09.01.2001 ist ausgeführt: "Für eine berufliche Verursachung des anzunehmenden Pleuramesothelioms haben wir keine Hinweise gefunden." Aufgrund zunehmender Atemnot und Verschlechterung des Allgemeinzustandes begab sich der Versicherte ab 22.03.2001 in die Behandlung ins Krankenhaus A ... Am 01.06.2001 wurde der Versicherte auf eigenen Wunsch im in A. zur Palliativbehandlung aufgenom-men, dort verstarb er 2001.

Mit Datum vom 28.07.2001 teilte die Zeugin G., Fachärztin für Innere Medizin am in A., Oberärztin, dem Sächsischen Landesinstitut für Arbeitsschutz und -medizin einen Verdacht auf Vorliegen einer BK mit. Der Versicherte sei am 15.06.2001 verstorben und habe im Bremsbelägewerk gearbeitet. Diagnostiziert worden sei ein Pleuramesotheliom rechts. Das Sächsische Landesinstitut für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin leitete diese BK-Anzeige an die Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie weiter, die nach eigenen Ermittlungen am 15.01.2003 das Verfahren an die Beklagte abgab.

Der Beratungsarzt PD Dr. D. bestätigte mit Datum vom 13.12.2001 die Diagnose eines Pleuramesothelioms, ebenso der Gewerbearzt Dr. B., der am 04.03.2002 die Anerkennung einer BK-Nr. 4105 BKV ab Oktober 2000 unter Einschätzung der Minderung der Erwerbs-fähigkeit (MdE) um 100 v.H. empfahl, die zur Anerkennung empfohlene BK sei zudem Todesursache. Prof. Dr. M. vom Institut für Pathologie an den Berufsgenossenschaftlichen Kliniken B. in B. bestätigte am 02.10.2002 ebenfalls das Vorliegen eines primären malig-nen Pleuramesothelioms und erachtete in einer ergänzenden Stellungnahme vom 05.11.2002 eine berufliche Verursachung aufgrund einer Exposition gegenüber Asbestfein-stäuben als wahrscheinlich.

In der Folge erhielt die Klägerin Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung in Form von Sterbegeld (Bescheid vom 25.03.2003) sowie eine Witwenrente (Bescheid vom 01.04.2003), ferner eine entsprechende Verzinsung der Leistungen (Bescheid vom 06.05.2003).

Mit Schreiben vom 07.05.2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten über die gewährten Leistungen hinaus die dem Versicherten zustehenden Lebzeitleistungen, insbesondere eine Rentenzahlung. Aus dem Schriftwechsel mit dem Fachkrankenhaus C. ergebe sich, dass dort bereits der Verdacht einer BK bestanden habe. In einem in Kopie beigefügten Schreiben vom 13.05.2002 sei ausgeführt, dass aufgrund der Asbestexposition des Patienten während seiner Tätigkeit in dem asbestverarbeitenden C.-Werk C. die Diagnose eines Pleuramesothelioms gestellt worden sei. Das Krankenhaus C. hätte bereits eine BK-Anzeige veranlassen müssen. Das Versäumnis eines Arztes, eine entsprechende Anzeige zu erstatten, falle dem Versicherten nicht zur Last. Unter Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs habe sie Anspruch auf die Lebzeitleistungen.

Mit Bescheid vom 05.08.2003 lehnte die Beklagte einen Anspruch der Klägerin auf Ent-schädigung zu Lebzeiten des Versicherten wegen des Versicherungsfalles vom 01.12.2000 ab. Das BK-Feststellungsverfahren sei aufgrund der am 28.07.2001 erstatteten ärztlichen Anzeige über eine BK eingeleitet worden, der Versicherte sei bereits am 2001 verstor-ben. Gemäß § 59 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) würden Ansprüche auf Geldleistungen erlöschen, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig gewesen seien. Zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten am 2001 sei ein Verwaltungsverfahren nicht anhängig gewesen, Ansprüche auf eine Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu Lebzeiten des Versicherten seien erloschen.

Diesen Bescheid griff die Klägerin mit ihrem Widerspruch vom 07.08.2003 mit der Begründung an, dass ein Verfahren nur deswegen nicht anhängig gewesen sei, weil die Fachklinik C. eine rechtzeitige BK-Anzeige unterlassen habe. Das Bundessozialgericht (Urteil vom 08.10.1998, Az.: B 8 KN 1/97 U R) habe für einen solchen Fall den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch für anwendbar erachtet.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.11.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Das Urteil des BSG setze einen begründeten Verdacht einer BK voraus. Unabhängig davon sei gemäß § 59 SGB I die tatsächliche Verfahrenslage im Zeitpunkt des Todes maßgeblich. Das Fehlen eines Verfahrens könne nicht mit dem Hinweis ersetzt werden, dass der Leis-tungsträger verpflichtet gewesen wäre, von Amts wegen zu handeln.

Mit der am 19.12.2003 zum Sozialgericht Dresden (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Ziel weiterverfolgt, zur Begründung die Argumente aus dem Widerspruchsverfahren im Wesentlichen wiederholt und auf die Stellungnahme des Fachkrankenhauses C. vom 13.05.2002 verwiesen.

Auf Veranlassung des SG haben Prof. Dr. H. und die Zeugin Dr. C., Oberärztin, für das Fachkrankenhaus C. am 09.11.2004 erneut Stellung genommen und ausgeführt, dass retro-spektiv davon auszugehen sei, dass der Verdacht auf das Vorliegen einer BK zum Ende der stationären Behandlung in der Einrichtung (22.12.2000) gegeben gewesen sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 14.04.2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Klägerin stünden die begehrten Leistungen nicht zu. Im Zeitpunkt des Todes des Versicherten habe weder eine entsprechende Leistungsfeststellung vorgelegen, noch sei ein Verwaltungsverfahren anhängig gewesen. Auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch komme nicht in Betracht, da eine Pflichtverletzung der Beklagten nicht ersichtlich sei. Unabhängig davon, ob ein Fehlverhalten Dritter, also der Ärzte der Fachklinik C., ausschlaggebend sei, habe eine solche Pflichtverletzung nicht vorgelegen. Nach dem Arztbericht vom 09.01.2001 hätten die behandelnden Ärzte in der Fachklinik C. keinen Verdacht gehabt, dass eine BK vorliege. Auch wenn die behandelnden Ärzte nunmehr im Schreiben vom 09.11.2004 mitgeteilt hätten, dass retrospektiv davon auszugehen sei, dass der Verdacht auf das Vorliegen einer BK zum Ende der stationären Behandlung gegeben gewesen sei, belege dies nicht, dass entgegen der deutlichen Formulierung im Bericht vom 09.01.2001 der Verdacht auf das Vorliegen einer BK tatsächlich bestanden habe.

Gegen den den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 31.05.2005 zugestellten Gerichtsbescheid haben diese am 28.06.2005 Berufung beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegt. Der Versicherte habe im Krankenhaus C. mit der Zeugin Dr. C. ein Gespräch über die Asbestexposition geführt. Neben der Tatsache, dass im Schreiben vom 09.11.2004 entgegen der Aussage in dem Entlassungsbericht vom 09.01.2001 ein BK-Verdacht be-standen habe, sei zudem von einem BK-Verdacht im Krankenhaus A. auszugehen, wobei auch durch dieses Krankenhaus eine BK-Anzeige nicht veranlasst worden sei. Bei einer Pflichtverletzung der behandelnden Ärzte, in Bezug auf die unterlassene BK-Anzeige, sei die Klägerin mit Hilfe des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen wie sie stünde, wenn die BK-Anzeige rechtzeitig erstattet worden wäre.

Auf Veranlassung des Senats hat die Zeugin Dr. C. für das Fachkrankenhaus C. am 23.05.2006 erneut schriftlich Stellung genommen und ausgeführt, dass bei Entlassung des Versicherten aus der Einrichtung die Angabe, dass der Versicherte von 1950 bis 1954 bei dem VEB C.-Werk in C. tätig war, offenbar nicht bekannt gewesen sei und folgerichtig im Abschlussbericht darauf verwiesen worden sei, dass für eine berufliche Verursachung des anzunehmenden Pleuramesothelioms keine Hinweise gefunden worden seien. Möglicher-weise seien die Angaben durch die Ehefrau nach Entlassung ergänzt worden.

Die Klägerin hat dem Senat eine Abschrift der Krankenakte des Versicherten des Krankenhauses A. zur Verfügung gestellt, wonach der Versicherte bei Aufnahme in dieses Krankenhaus zur Berufsanamnese angegeben hat, in einer Bremsbelägefabrik tätig gewesen zu sein, aktenkundig ist in diesem Zusammenhang der Vermerk "Asbest".

Mit Datum vom 01.09.2006 haben Prof. Dr. F. und Oberarzt Dr. P. für das Krankenhaus A. schriftlich Stellung genommen. Bei der Diagnose "malignes Pleuramesotheliom" müsse immer an das Vorliegen einer asbeststaubbedingten BK gedacht werden; nach Aktenlage hätten sie bei der Anamnese die Tätigkeit in einer Bremsbelägefabrik mit möglicher Asbeststaubgefährdung abgefragt, den Verdacht auf eine asbeststaubbedingte BK aber nach der Epikrise der erstbehandelnden Klinik, Fachkrankenhaus C., wonach für eine berufliche Verursachung keine Hinweise gefunden worden seien, nicht weiter verfolgt bzw. fallen lassen.

Auf weitere Veranlassung des Senats haben Dr. S. und die Zeugin G. vom A. am 17.08.2006 und am 23.10.2006 erneut schriftlich Stellung genommen und ausgeführt, dass aufgrund der Berufsanamnese des Versicherten als Schleifer im D. Bremsbelägewerk bereits zu Lebzeiten des Versicherten dem Verdacht auf Vorliegen einer Berufskrankheit habe nachgegangen werden müssen. Sie seien davon ausgegangen, dass diesem Verdacht bereits vom Fachkrankenhaus C. nachgegangen worden sei; erst nach Erhalt der Arztberichte aus dem Fachkrankenhaus C. sei deutlich geworden, dass bis dahin keine Anzeige über eine BK erfolgt sei, so dass sie sich verpflichtet gesehen hätten, diese am 28.07.2001 auszulösen. Der Verdacht auf Vorliegen einer BK habe mit der Befragung zum Aufnahmezeitpunkt bestanden. In einer weiteren schriftlichen Stellungnahme vom 08.03.2007 hat die Zeugin G. ergänzt, dass prinzipiell bereits bei der Diagnosestellung eine detaillierte Berufsanamnese zu erheben sei. Im konkreten Fall habe die Klägerin am Tag des Ablebens des Versicherten über dessen beruflichen Werdegang berichtet, anschließend sei Kontakt zu den vorbehandelnden Kollegen aufgenommen worden.

Vor dem Senat hat die Zeugin G. am 22.03.2007 ausgeführt, dass der Versicherte am 01.06.2001 in das in A. aufgenommen wurde, mangels freier Betten sei er aber bis zum 13.06.2001 in der Inneren Abteilung untergebracht gewesen. In erster Linie sei der Versicherte dort durch den Zeugen Dr. D. behandelt worden. In der Krankenakte sei mit Datum vom 08.06.2001 "C.-werk C. 1950 – 1953" mit der Handschrift des Dr. D. aufgeführt. An diesem Tag sei somit die Berufsanamnese erfragt worden. Erst mit der Verlegung am 13.06.2001 auf die Palliativabteilung habe sie persönlichen Kontakt mit dem Versicherten gehabt. Erstmals nach dem Tode bei Aushändigung der Sterbeunterlagen an die Klägerin habe sie mit ihr den beruflichen Werdegang des Versicherten erörtert und von der Tätigkeit im C.-werk in C. erfahren. Dadurch sei ihr klar geworden, dass sie durch Befragung der vorbe-handelnden Ärzte klären musste, ob diese einer gefährdenden Tätigkeit nachgegangen wa-ren. Dann habe sie erfahren, dass dies verneint worden sei. Sie sei dann zum Ergebnis ge-langt, dass eine mögliche Verbindung zwischen gefährdender Tätigkeit und der Erkrankung bestanden haben könnte und habe die entsprechende Anzeige erstattet. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Zeugenvernehmung wird auf die Sitzungsnie-derschrift vom 22.03.2007 Bezug genommen.

In der mündlichen Verhandlung vom 26.04.2007 hat der Senat die Zeugen Dr. D. vom in A. und Dr. C. von der Fachklinik C. vernommen. Dr. D. hat gegenüber dem Senat ausgeführt, dass er den in der Krankenakte enthaltenen handschriftlichen Vermerk über die Berufstätigkeiten des Versicherten gefertigt habe und diesem ein entsprechendes Gespräch am 08.06.2001 zugrunde gelegen habe. Bei der Diag-nose eines Pleuramesothelioms liege die Prüfung einer Asbestexposition nahe. Die Angabe einer Tätigkeit im Cosidwerk C. sei mit einer Asbestbelastung gleichzusetzen; bei einer Tätigkeit etwa im Büro dieses Werks hätte er diese Beschäftigung nicht aufgenommen. Anträge auf Berufskrankheiten habe er zu jenem Zeitpunkt nicht veranlasst. Ohne konkrete Erinnerung an den Einzelfall habe er üblicherweise eine Mitteilung an die entsprechende Oberärztin gemacht. Ob dies konkret geschehen sei, könne er nicht sagen. Er wisse auch nicht, ob die weiteren Unterlagen aus den Vorbehandlungen vorgelegen hätten. Ihm sei zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst gewesen, dass es aus unfallversicherungsrechtlicher Sicht auf eine BK-Meldung noch zu Lebzeiten ankomme; für ihn habe im Vorder-grund der sehr schlechte medizinische Zustand des Patienten und die Besserung der Le-bensqualität in dieser Situation gestanden. Die unfallversicherungsrechtlichen Gesichts-punkte hätten keine Rolle gespielt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Beweisaufnahme durch die Vernehmung des Zeugen Dr. D. sowie der Zeugin Dr. C., die im Wesentlichen bestätigt hat, für den Zeitraum der ärztlichen Betreuung im Krankenhaus das Vorliegen einer BK nicht bejaht zu haben, wird auf die Sitzungsniederschrift vom 26.04.2007 Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 14.04.2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 05.08.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr als Sonderrechtsnach-folgerin des 2001 verstorbenen A. wegen der Folgen der BK-Nr. 4105 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung Verletztenrente für die Zeit vor dessen Tod zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

In dem Fachkrankenhaus C. habe zu Lebzeiten des Versicherten kein Verdacht auf das Bestehen einer BK bestanden, so dass dieser auch nicht hätte mitgeteilt werden müssen. Im Fachkrankenhaus C. sei noch nicht einmal die Diagnose des Mesothelioms gesichert gewe-sen. Auch müsse in Betracht gezogen werden, dass dem Versicherten selbst eine Asbestexposition unbekannt gewesen sei.

Dem Senat liegen die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Be-klagten und die kopierte Krankenakte des Krankenhauses A. vor. Ihr Inhalt war Gegens-tand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 05.08.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2003 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der Gerichtsbescheid des SG vom 14.04.2005 ist aufzuheben.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Leistungen, die dem Versicherten zu Lebzeiten zugestanden hätten, insbesondere auf eine Verletztenrente nach einer MdE um 100 v.H. Der von der Klägerin begehrte Rentenanspruch des Versicherten ergibt sich aus § 56 Sozi-algesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) in Verbindung mit dem so genannten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Dieser Anspruch ist auf die Klägerin übergegangen.

I.

1. Der Übergang ergibt sich nicht bereits aus §§ 56, 59 SGB I. Zwar ist die Klägerin ist Sonderrechtsnachfolgerin des Verstorbenen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1 SGB I. Der Aufenthalt des Versicherten zum Zeitpunkt des Todes im A. hat nicht zu einer Auflösung des gemeinsamen Haushalts geführt. Obwohl grundsätzlich ein Wegfall des gemeinsamen Haushalts in Betracht zu ziehen ist, wenn eine Person dauerhaft aus diesem auszieht, bleibt jedoch der gemeinsame Haushalt bei einer vorübergehenden Abwesenheit, z. B. aufgrund einer Krankheit, bestehen (KassKomm – Seewald, SGB I § 56 Rn. 7; vgl. auch BSG, Urteil vom 30.08.2001, Az.: B 4 RA 109/00 R).

Gemäß § 56 Abs. 1 SGB I stehen der Klägerin fällige Ansprüche des Versicherten auf laufende Geldleistungen als Sonderrechtsnachfolgerin zu. Voraussetzung ist jedoch, dass ge-mäß § 59 Satz 2 SGB I der Anspruch auf die Geldleistung entweder bereits festgestellt oder ein Verwaltungsverfahren hierüber im Zeitpunkt des Todes des Versicherten anhängig gewesen ist. Beides ist im Fall der Klägerin nicht gegeben. Festgestellt sind Ansprüche dann, wenn über sie durch Verwaltungsakt oder durch öffentlich-rechtlichen Vertrag dem Grunde nach wirksam entschieden worden ist (KassKomm Seewald, § 59 SGB I Rn. 10). Da ein entsprechender Verwaltungsakt oder ein öffentlich-rechtlicher Vertrag bis zum 15.06.2001 nicht aktenkundig ist, scheidet diese Variante aus. Ein Verwaltungsverfahren ist anhängig, wenn eine Behördentätigkeit mit dem Ziel einer Außenwirkung gegeben ist; der Versicherte muss entweder einen erforderlichen Antrag zu Lebzeiten gestellt haben oder der Leistungsträger muss noch zu Lebzeiten des Versicherten mit dem Verfahren zur Feststellung des Anspruchs von Amts wegen begonnen haben, wo-bei hierbei eine interne Bearbeitung ausreichend ist (KassKomm Seewald, § 59 SGB I Rn. 11). Weder die Klägerin noch der Versicherte haben bei der Beklagten zu Lebzeiten des Versicherten einen entsprechenden Antrag gestellt, auch ist die Beklagte nicht von Amts wegen tätig geworden.

2. Unabhängig davon ist jedoch unter Heranziehung der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 08.10.1998, Az.: B 8 KN 1/97 U R) für den Zeitpunkt des Todes die Anhängigkeit eines Verwaltungsverfahrens zu fingieren; die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sind gegeben. Ein Herstellungsanspruch besteht auch dann, wenn sich die Beklagte ein evtl. Fehlverhalten Dritter zurechnen lassen muss, wobei "Dritte" in diesem Sinne auch die den Versicherten behandelnden Ärzte sind. Als Fehlverhalten gilt dabei auch, dass eine BK-Anzeige nicht mehr zu Lebzeiten des Versicherten bei der Be-klagten eingegangen ist (BSG, a.a.O.). Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat an. Nicht überzeugend sind die Argumente der Beklagten im Schreiben vom 18.08.2003 an die Klägerin. Das alleinige Abstellen auf die tatsächliche Verfahrenslage entspricht zwar dem Wortlaut von § 59 SGB I, übersieht jedoch, dass der sozialrechtliche Herstellungsanspruch gerade darauf gerichtet ist, eine versäumte Antragstellung oder eine anderweitige Einlei-tung eines Verwaltungsverfahrens zu fingieren, also gerade vom Tatsächlichen abzuweichen. Im Ergebnis ist damit unter den engen Voraussetzungen des sozialrechtlichen Her-stellungsanspruchs die Verfahrenslage dahingehend zu korrigieren, dass die Klägerin so zu stellen ist, wie sie bei pflichtgemäßem Handeln aller maßgeblich Beteiligter stehen würde.

Voraussetzung für die Annahme eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs im vorlie-genden Fall ist, dass einer der den Versicherten behandelnden Ärzte bei einem begründeten Verdacht auf Vorliegen einer BK gemäß § 202 Satz 1 SGB VII diesen dem Unfallversicherungsträger oder der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stelle in der für die Anzeige von BKen vorgeschriebenen Form nicht unverzüglich angezeigt hat.

a) Ein begründeter Verdacht setzt ernsthafte und konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer BK voraus; völlige Gewissheit muss nicht bestehen, bloße Vermutungen sind aber auch nicht ausreichend (BSG, Urteil vom 02.05.2001, Az.: B 2 U 19/00 R). Klarzustellen ist jedoch, dass es nicht darauf ankommt, ob ein Arzt einen Verdacht hätte haben müssen, sondern allein darauf, ob er ihn hatte (BSG, a.a.O.).

Dahinstehen kann, ob bei den Ärzten des Fachkrankenhauses C. oder bei denen des Krankenhauses A. ein entsprechender begründeter Verdacht auf das Vorliegen einer BK noch zu Lebzeiten des Versicherten gegeben war.

Jedenfalls bei der Behandlung des Versicherten im A. durch den Zeugen Dr. D. ist nach dessen Aussage bei ihm ein konkreter Verdacht auf das Vorliegen einer BK ab dem 08.06.2001 zur Überzeugung des Senats anzunehmen. Dr. D. wusste von dem naheliegen-den Zusammenhang zwischen Asbestexposition und Pleuramesotheliom und er hat noch zu Lebzeiten des Versicherten von einer asbestbelasteten Tätigkeit erfahren. Eine nicht entsprechend exponierte Tätigkeit hätte er nach seinen Ausführungen nicht vermerkt. Ferner war ihm bekannt, diesen Verdacht dem zuständigen Oberarzt anzeigen zu müssen. Die Aussagen des Zeugen Dr. D. waren für den Senat glaubhaft und in sich widerspruchsfrei. Auch wenn sich der Zeuge nicht an den Versicherten konkret erinnern konnte, so hat er doch den in der Krankenakte befindlichen Vermerk über die berufliche Tätigkeit vom 08.06.2001 als von ihm stammend identifiziert und überzeugend erläutert, dass er die an-gegebene Tätigkeit im C.-werk C. mit einer Asbestbelastung gleichgesetzt hat, da er eine unbelastete Tätigkeit im Büro nicht eingetragen hätte. Auch der von ihm angenommene Zusammenhang zwischen einem Pleuramesotheliom und einer Asbestexposition ist plausi-bel, da dies von den anderen Zeugen gegenüber dem Senat übereinstimmend ausgesagt wurde.

b) Eine Anzeige des begründeten Verdachts auf eine BK erfolgte durch die Ärzte des Krankenhauses St. Joseph-Stift A. nicht unverzüglich. Unverzüglich bedeutet ohne schuldhaftes Zögern, wobei notwendige Rückfragen bei unklaren oder unvollständigen Anzeigen vor Weiterleitung zulässig sind (KassKomm – Ricke, § 202 SGB VII Rn. 5). Damit ist den behandelnden Ärzten zwar grundsätzlich zuzugestehen, zunächst die Unterlagen der vorbehandelnden Einrichtungen hinzuzuziehen und die dort ermittelten Erkenntnisse in die eigene Beurteilung einfließen zu lassen. Andererseits ist bei einer bedrohlichen Erkran-kung mit typischerweise geringer Lebenserwartung auch ein außergewöhnlich beschleunigtes Vorgehen erforderlich (BSG, Urteil vom 08.10.1998, Az.: B 8 KN 1/97 U R).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der bei Dr. D. bestehende begründete Verdacht auf das Vorliegen einer BK nicht unverzüglich angezeigt worden ist. Dr. D. hat nachweislich nur die Tätigkeit im C.-werk C. in der Krankenakte vermerkt, wo-bei der Bezug zu einer Asbestbelastung nur aus seinen ergänzenden Erläuterungen gegenüber dem Senat offenkundig wird. Ob zusätzlich ein Gespräch mit der Zeugin G. als Oberärztin der Palliativstation oder einem anderen Oberarzt stattfand und der Zeuge Dr. D. dar-in seinen Verdacht ergänzend erläutert hat, war nicht aufzuklären. Weder der Zeuge Dr. D. noch die Zeugin G. konnten sich an ein solches Gespräch erinnern. Möglich sind für den Senat daher drei Varianten: Es kann sein, dass der Zeuge Dr. D. neben dem Eintrag in die Krankenakte – aus welchen Gründen auch immer – nichts weiter veranlasst hat (Variante 1), dass er neben dem Vermerk entweder mit der Zeugin G. (Vari-ante 2) oder dass er mit einem anderen Oberarzt (Variante 3) gesprochen hat. Für den vorliegenden Fall sind die konkreten Umstände jedoch nicht von entscheidender Bedeutung, da bei keiner dieser Varianten eine unverzügliche Anzeige des BK-Verdachts gegeben ist: Wenn der Zeuge Dr. D. nichts weiter veranlasst hat als den Eintrag in die Krankenakte, liegt darin eine von ihm zu vertretende Verzögerung, zumal er noch nicht einmal ausdrück-lich Asbest als den Stoff bezeichnet hat, gegenüber dem der Versicherte exponiert war. Wenn der Zeuge Dr. D. jedoch seinen Verdacht der Zeugin G. als Oberärztin mitgeteilt hat, so hat diese erst nach dem Tod des Versicherten, also nach Ablauf von einer Woche, ange-fangen, diesem weiter nachzugehen. Dies ist angesichts der zu diesem Zeitpunkt nur noch geringen Lebenserwartung des Versicherten, der gerade zur palliativen Behandlung im Krankenhauses St. J.-S. A. aufgenommen wurde, nicht mehr unverzüglich. Wenn der Zeuge Dr. D. seinen Verdacht einem anderen Oberarzt angezeigt hat, so führte dies zu keinerlei erkennbaren Reaktionen. Ein unverzügliches Handeln ist auch in diesem Fall nicht ersichtlich.

II.

Der auf die Klägerin übergegangene Rentenanspruch des Versicherten gem. § 56 SGB VII ergibt sich aus einer BK als Versicherungsfall sowie einer MdE um 100 v.H. ab Oktober 2000. Ausweislich der übereinstimmenden Stellungnahmen von PD Dr. D. vom 13.12.2001, der gewerbeärztlichen Stellungnahme von Dr. B. vom 04.03.2002 sowie den Stellungnahmen von Prof. Dr. M. vom 02.10.2002 und 05.11.2002 lag bei dem Versicher-ten eine BK-Nr. 4105 BKV vor. Der Senat sieht keine Ansatzpunkte, an diesen überein-stimmenden Bewertungen zu zweifeln, zumal auch die Beklagte mit der Bewilligung von Hinterbliebenenleistungen vom Vorliegen einer BK ausgeht. Die MdE ist unter Heranzie-hung der gewerbeärztlichen Stellungnahme von Dr. B. ab Oktober 2000 mit 100 v.H. zu bewerten (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auf-lage, S. 1188). Der Zeitpunkt korrespondiert mit der CT-Untersuchung vom 09.10.2000, deren Ergebnisse zu weiteren Untersuchungen und zur ersten stationären Behandlung im Fachkrankenhaus C. mit der Diagnosestellung Pleuramesotheliom geführt haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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