Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SB 996/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 4447/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 9. August 2006 abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, den GdB mit 40 seit 1. Oktober 2003 festzustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt ein Viertel der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens erster Instanz. Außergerichtliche Kosten im Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht der Grad der Behinderung (GdB) der Klägerin.
Die 1964 geborene Klägerin beantragte am 1. Oktober 2003 die Feststellung ihres GdB. Das Versorgungsamt Rottweil (VA) holte den ärztlichen Befundschein der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. L. vom Oktober 2003 ein. Diese gab unter Vorlage der Arztbriefe der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des Klinikums der Stadt V.-S. vom 31. Juli 2003, des Arztes für Orthopädie Dr. J. vom 24. Juni 2003, des Arztes für Radiologie Dr. H. vom 25. Februar 2003 und des Sportmediziners Dr. B. vom 18. Februar 2003 sowie des ärztlichen Entlassungsberichts der Z.-Klinik St. B. vom 1. Juli 2003 über die vom 22. Mai bis zum 18. Juni 2003 durchlaufene stationäre Rehabilitationsmaßnahme als Diagnosen eine Depression bei hormoneller Dysregulation, eine Ruptur der Supraspinatussehne mit Begleitbursitis, eine Fettstoffwechselstörung, einen Zustand nach Strumaresektion und einen Zustand nach einer CTS-Operation rechts an. Dr. P. brachte in der versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme vom 10. November 2003 als Behinderungen ein Schulter-Arm-Syndrom, eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und eine Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks (Teil-GdB 20), ein psychovegetatives Erschöpfungsyndrom und eine depressive Verstimmung (Teil-GdB 20) sowie eine Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks (Teil-GdB 10) in Ansatz und bewertete den Gesamt-GdB mit 30. Hierauf gestützt stellte das VA mit Bescheid vom 19. November 2003 den GdB mit 30 seit 1. Oktober 2003 fest.
Hiergegen erhob die Klägerin am 4. Dezember 2003 Widerspruch. Sie legte das Attest von Dr. L. vom 13. Januar 2004 vor. Dr. A.-F. hielt in der vä Stellungnahme vom 15. Februar 2004 an der bisherigen Bewertung fest. Daher wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. März 2004 zurück.
Hiergegen erhob die Klägerin am 5. April 2004 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG). Sie legte den Bericht des Facharztes für Allgemeinmedizin V. vom 19. Juli 2004 vor.
Das SG holte die sachverständige Zeugenauskunft des Facharztes für Allgemeinmedizin V. vom 20. Januar 2005 ein. Dieser legte u. a. seinen Arztbrief vom 30. Juli 2004, die Arztbriefe von Dr. H. vom 7. Mai 2002, 21. März 2003, 1. September 2003 und 7. Dezember 2004, von Dr. J. vom 19. Februar 2003 und 22. April 2003, des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. vom 29. Januar 2004 und 19. Januar 2005, der Internistin und Rheumatologin Dr. H. vom 9. Dezember 2004 und der Z.-Klinik St. B. vom 17. Juni 2003 sowie die Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 22. Juli 2004 und 16. August 2004 vor und gab als Diagnosen ein schweres chronisches Schmerzsyndrom vom Typ der Fibromyalgie, eine länger dauernde mittelschwere Depression, massive Schlafstörungen, ein chronisches Erschöpfungssyndrom, ein subacromiales Impingement und einen Rotatorenmanschettendefekt links, ein chronifiziertes Cervical- und Lumbalsyndrom bei Skoliose mit Beckenschiefstand, eine Hypothyreose bei Zustand nach Schilddrüsenresektion wegen eines autonomen Adenoms, sowie atypische Gesichtsschmerzen bei Bruxismus, evtl. im Rahmen des Fibromyalgiesyndroms bzw. des generalisierten Lymphödems, an. Dr. B. brachte in der vä Stellungnahme vom 14. April 2005 als Behinderungen eine seelische Störung und ein chronisches Schmerzsyndrom (Teil-GdB 40) eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Teil-GdB 10), eine Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks (Teil-GdB 10) sowie eine Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks (Teil-GdB 10) in Ansatz und bewertete den Gesamt-GdB mit 40. Die Klägerin nahm das auf der Grundlage dieser Stellungnahme vom Beklagten unterbreitete Vergleichsangebot, den GdB mit 40 seit 1. Oktober 2003 festzustellen, nicht an.
Das SG zog die im Rahmen eines Rentenverfahrens eingeholten Gutachten von Dr. M., Chefarzt der Fachabteilung Innere Medizin/Rheumatologie an der F.klinik B. B., vom 22. April 2005 und des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. vom 16. September 2005 bei. Dr. F. führte in der vä Stellungnahme vom 19. Dezember 2005 aus, die psychische Beeinträchtigung und das chronische Schmerzsyndrom seien nur schwer voneinander zu trennen. An der gemeinsamen Tenorierung und Bewertung werde daher festgehalten.
Das SG holte die sachverständige Zeugenauskunft der Dipl.-Psych. K. vom 28. Januar 2006 ein. Sie berichtete über ein nunmehr nicht mehr vorhandenes depressives Syndrom und über eine somatoforme Schmerzstörung. Das SG zog das im Rahmen eines Rentenverfahrens eingeholte Gutachten der Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie Dr. R. vom 17. März 2006 bei. Dr. B. hielt in der vä Stellungnahme vom 11. Mai 2006 an der bisher getroffenen Bewertung fest.
Mit Urteil vom 9. August 2006 verurteilte das SG den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 19. November 2003 und Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2004, den GdB mit 50 ab 1. Oktober 2003 festzustellen. Zur Begründung führte das SG aus, es sei zwischen den Beteiligten unstreitig, dass für die ganz im Vordergrund stehende durch ein chronisches Schmerzsyndrom akzentuierte seelische Störung, unabhängig davon, ob dieser Leidenskomplex als schweres chronisches Schmerzsyndrom vom Typ der Fibromyalgie, begleitet von länger dauernden mittelschweren Depressionen, massiven Schlafstörungen und chronischem Erschöpfungssyndrom (so der Facharzt für Allgemeinmedizin V.) oder als somatische Form einer primären Fibromyalgie (so Dr. M.), begleitet von einer länger dauernden mittelgradig bis schwer ausgeprägten depressiven Störung mit Chronifizierungsneigung (so Dr. S.) bezeichnet werde, mit einem Teil-GdB von 40 zu bewerten sei. Entsprechend der vä Stellungnahme vom 14. April 2005 sei die anhaltende somatoforme Schmerzstörung nicht von der daneben bestehenden Anpassungsstörung mit länger dauernder depressiver Reaktion zu trennen. Es handle sich dabei um eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, für die ein GdB-Rahmen von 30 bis 40 eröffnet werde. Gerade wegen der Wechselbezüglichkeit von ausgeprägteren Depressionen und somatoformen Schmerzstörungen sei es zutreffend, den höchsten Wert dieses Rahmens in Ansatz zu bringen. Neben diesem Leidenskomplex bestünden bei der Klägerin im Bereich der Wirbelsäule, der linken Schulter und der Arme Behinderungen, die mit einem Teil-GdB von 20 einzuschätzen seien. Es sei durchaus angezeigt, die Funktionsbehinderung im Bereich der Wirbelsäule und des damit verbundenen Schultergürtels mit einem einheitlichen Teil-GdB einzuschätzen. Es möge im Anschluss an die vä Stellungnahme vom 14. April 2005 formal korrekt sein, beide Bereiche getrennt zu sehen und jeweils mit einem Teil-GdB von 10 zu bedenken. Wegen der doch starken Wechselbezüglichkeit der Behinderungen in den benachbarten Funktionssystemen Rumpf und Arme sei es ausnahmsweise sachgerecht, einen einheitlichen GdB hierfür von zusammen 20 anzunehmen. Schließlich bestehe bei der Klägerin im Bereich des rechten Kniegelenks eine Behinderung, die zutreffend mit einem Teil-GdB von 10 bewertet sei. Zusammenfassend betrage der Gesamt-GdB 50. Das Vergleichsangebot des Beklagten werde dem Gesamtleidenszustand der Klägerin nicht gerecht. Die zweifelsfrei bei der Klägerin imponierenden Beeinträchtigungen auf orthopädischem Gebiet könnten nicht der Funktionsbeeinträchtigung seelische Störung und chronisches Schmerzsyndrom zugeordnet werden und bei der Bildung des Gesamt-GdB vollends außer Ansatz bleiben. Gerade angesichts der psychischen Beeinträchtigung der Klägerin, die durch die chronifizierte somatoforme Schmerzstörung akzentuiert werde, entstehe ein Circulus vitiosus zwischen psychischer Beeinträchtigung und Schmerzstörung, was bedeute, dass die Leidenskomplexe sich noch gegenseitig verstärkten.
Gegen das Urteil des SG hat der Beklagte am 31. August 2006 Berufung eingelegt. Er hat die vä Stellungnahme von Dr. W. vom 28. August 2006 vorgelegt. Bei einem Teil-GdB von 40 für die seelische Störung und das chronische Schmerzsyndrom könnten die weiteren Teil-GdB-Werte von jeweils 10 für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und des linken Schultergelenks zu keiner Erhöhung des Gesamt-GdB auf 50 führen. Die Funktionsminderung der Wirbelsäule und der Schultergelenke verstärkten sich gegenseitig nicht in einem solchen Maße, dass deswegen integrierend für die Wirbelsäule und Schultergelenke zusammen ein Teil-GdB von 20 begründet werden könne. Allein die Tatsache, dass die Funktionssysteme Rumpf und Arme benachbart seien, könne nicht bedeuten, dass eine Funktionsbehinderung des einen Systems zu besonders schweren Auswirkungen im anderen Organsystem führe.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 9. August 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit er zur Feststellung eines GdB von mehr als 40 verurteilt worden ist.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auf Anfrage des Senats hat der Beklagte die vä Stellungnahme von Dr. W. vom 25. Oktober 2006 vorgelegt. Der bisherige Teil-GdB von 20 für die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule und der linken Schulter sei von Anfang an überhöht gewesen. Bei der Möglichkeit der freien GdB-Bewertung ergebe sich für die Wirbelsäule und die linke Schulter bei einer geringgradigen Funktionseinschränkung jeweils nur ein nicht additionsfähiger Teil-GdB von 10.
Die Beteiligten haben unter dem 21. November 2006 und 9. Januar 2007 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte den Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist begründet.
Zu Unrecht hat das SG mit Urteil vom 9. August 2006 den Beklagten verurteilt, den GdB mit 50 festzustellen. Die Klägerin hat nur einen Anspruch auf Feststellung ihres GdB mit 40.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die Beurteilung des GdB sind seit 1. Juli 2001 die Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63 und 68 SGB IX vom 19. Juni 2001, BGBl. I S. 1046).
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie weitere gesundheitliche Merkmale aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).
Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden.
Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 3 und 6 SGB IX). Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)", Ausgabe 2004 (AP) niedergelegt sind (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 7. November 2001 – B 9 SB 1/01 R - VersorgVerw 2002, 26). Die AP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Sie sind daher im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285, 286; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 91, 205; BSG, Urteil vom 29. August 1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). In den AP ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Sie ermöglichen somit eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB. Die AP stellen dabei ein einleuchtendes, abgewogenes und geschlossenes Beurteilungsgefüge dar (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22).
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Dabei dürfen die einzelnen Werte bei der Ermittlung des Gesamt-GdB nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet (AP, 19 Abs. 1, S. 24). Vielmehr ist darauf abzustellen, ob und wie sich die Auswirkungen von einzelnen Beeinträchtigungen einander verstärken, überschneiden oder aber auch gänzlich voneinander unabhängig sein können (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19). Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (AP, 19 Abs. 3, S. 25). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass, von Ausnahmefällen abgesehen, leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte. Dies auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (AP, 19 Abs. 4, S. 26). Zu beachten ist auch, dass im Allgemeinen die folgenden Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden: Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut einschließlich blutbildendes Gewebe und Immunsystem; innere Sekretion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf (AP, 18, Seite 22).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat zur der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin lediglich Anspruch auf Feststellung ihres GdB mit 40, nicht aber mit 50, hat.
Zutreffend ist die Funktionsbehinderung seelische Störung und chronisches Schmerzsyndrom mit einem Teil-GdB von 40 bewertet worden. Denn hierbei handelt es sich um eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit im oberen Bereich (AP, 26.3, Seite 48), ohne dass es darauf ankommt, ob es sich dabei um eine im Vordergrund stehende seelische Störung, ein Fibromyalgiesyndrom oder eine somatoforme Schmerzstörung handelt. Der Teil-GdB für die Funktionsbeeinträchtigung des rechten Kniegelenks beträgt allenfalls 10 (AP 26.18, S. 126). Insoweit stützt sich der Senat im Wesentlichen auf die vä Stellungnahme von Dr. B. vom 14. April 2005.
Der Senat lässt es offen, ob die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule und des linken Schultergelenks zusammen mit einem oder jeweils getrennt mit zwei GdB-Werten anzusetzen sind. Denn jedenfalls gehen von diesen Behinderungen keine derartigen Funktionseinschränkungen aus, dass sich unter Berücksichtigung des Teil-GdB von 40 für die seelische Störung und das chronische Schmerzsyndrom und dem Teil-GdB von 10 für die Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks ein Gesamt-GdB von 50 ergeben würde. Der Senat stützt sich dabei im Wesentlichen auf die in den Gutachten von Dr. M. und Dr. R. niedergelegten Befunde in Bezug auf die Wirbelsäule und das linke Schultergelenk.
Dr. M. hat in Bezug auf die Wirbelsäule auf S. 26 seines Gutachtens ausgeführt, im Bereich der Halswirbelsäule sei die Rotationsbewegung beidseits bis 70 Grad sowie die Seitneigung nach rechts bis 40 Grad und nach links bis 45 Grad möglich, im Bereich der Brustwirbelsäule seien die Torsionsbewegungen beidseits altersbezogen etwa um ein Drittel reduziert und es betrage die Atemexkursion 15 cm und das Ott’sche Maß 30/32,5 cm, und im Bereich der Lendenwirbelsäule liege eine Einschränkung von Inklination, Reklination und Seitneigung nach rechts etwa um ein Viertel des alterstypischen Maßes und nach links in der Seitneigung knapp auf die Hälfte des alterstypischen Maßes vor und es betrage das Schober’sche Maß 10/12,5 cm sowie der Finger-Boden-Abstand 20 cm. Dr. R. hat auf S. 4 ihres Gutachtens das Schober’sche Maß mit 4 cm, das Ott’sche Maß mit 4 cm und den Finger-Boden-Abstand mit 10 cm angegeben und auf S. 12 ihres Gutachtens ausgeführt, es lägen keine Einschränkungen der Gelenk- und Wirbelsäulenbeweglichkeit vor. Mithin liegen lediglich Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen vor, welche mit einem GdB von 10 zu bewerten sind (AP, 26.18, Seite 116).
Dr. M. hat in Bezug auf die linke Schulter auf S. 25 seines Gutachtens eine Außen-/Innenrotation mit 90 Grad und angehobenem Arm von 70/0/70 Grad sowie mit anliegendem Arm von 40/0/90 Grad und eine Abduktion/Adduktion von 160/0/40 Grad angegeben. Dr. R. hat auf S. 4 ihres Gutachtens für die Außen-/Innenrotation 60/0/90 Grad, die Ante-/Retroversion 160/0/40 Grad und für die Abduktion/Adduktion 160/0/20 Grad angegeben. Mithin kann die Klägerin ihren linken Arm noch über 120 Grad erheben, sodass weder nach den AP eine Bewegungseinschränkung im linken Schultergelenk vorliegt, die einen Teil-GdB von mindestens 10 entspricht (AP, 26.18, Seite 119) noch, würde man ausnahmsweise von einem gemeinsamen GdB-Wert für die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule und des linken Schultergelenks ausgehen, hierdurch der für den Wirbelsäulenschäden vergebene Teil-GdB von 10 eine Erhöhung erfahren könnte.
Nach alledem war das Urteil des SG dahingehend abzuändern, dass der Beklagte nur zu verurteilen war, den GdB mit 40 ab 1. Oktober 2003 festzustellen. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung. Dabei war der Umstand, dass die Klage insoweit erfolgreich war, dass der GdB mit 40 seit 1. Oktober 2003 festzustellen war, zu berücksichtigen.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt ein Viertel der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens erster Instanz. Außergerichtliche Kosten im Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht der Grad der Behinderung (GdB) der Klägerin.
Die 1964 geborene Klägerin beantragte am 1. Oktober 2003 die Feststellung ihres GdB. Das Versorgungsamt Rottweil (VA) holte den ärztlichen Befundschein der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. L. vom Oktober 2003 ein. Diese gab unter Vorlage der Arztbriefe der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des Klinikums der Stadt V.-S. vom 31. Juli 2003, des Arztes für Orthopädie Dr. J. vom 24. Juni 2003, des Arztes für Radiologie Dr. H. vom 25. Februar 2003 und des Sportmediziners Dr. B. vom 18. Februar 2003 sowie des ärztlichen Entlassungsberichts der Z.-Klinik St. B. vom 1. Juli 2003 über die vom 22. Mai bis zum 18. Juni 2003 durchlaufene stationäre Rehabilitationsmaßnahme als Diagnosen eine Depression bei hormoneller Dysregulation, eine Ruptur der Supraspinatussehne mit Begleitbursitis, eine Fettstoffwechselstörung, einen Zustand nach Strumaresektion und einen Zustand nach einer CTS-Operation rechts an. Dr. P. brachte in der versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme vom 10. November 2003 als Behinderungen ein Schulter-Arm-Syndrom, eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und eine Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks (Teil-GdB 20), ein psychovegetatives Erschöpfungsyndrom und eine depressive Verstimmung (Teil-GdB 20) sowie eine Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks (Teil-GdB 10) in Ansatz und bewertete den Gesamt-GdB mit 30. Hierauf gestützt stellte das VA mit Bescheid vom 19. November 2003 den GdB mit 30 seit 1. Oktober 2003 fest.
Hiergegen erhob die Klägerin am 4. Dezember 2003 Widerspruch. Sie legte das Attest von Dr. L. vom 13. Januar 2004 vor. Dr. A.-F. hielt in der vä Stellungnahme vom 15. Februar 2004 an der bisherigen Bewertung fest. Daher wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. März 2004 zurück.
Hiergegen erhob die Klägerin am 5. April 2004 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG). Sie legte den Bericht des Facharztes für Allgemeinmedizin V. vom 19. Juli 2004 vor.
Das SG holte die sachverständige Zeugenauskunft des Facharztes für Allgemeinmedizin V. vom 20. Januar 2005 ein. Dieser legte u. a. seinen Arztbrief vom 30. Juli 2004, die Arztbriefe von Dr. H. vom 7. Mai 2002, 21. März 2003, 1. September 2003 und 7. Dezember 2004, von Dr. J. vom 19. Februar 2003 und 22. April 2003, des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. vom 29. Januar 2004 und 19. Januar 2005, der Internistin und Rheumatologin Dr. H. vom 9. Dezember 2004 und der Z.-Klinik St. B. vom 17. Juni 2003 sowie die Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 22. Juli 2004 und 16. August 2004 vor und gab als Diagnosen ein schweres chronisches Schmerzsyndrom vom Typ der Fibromyalgie, eine länger dauernde mittelschwere Depression, massive Schlafstörungen, ein chronisches Erschöpfungssyndrom, ein subacromiales Impingement und einen Rotatorenmanschettendefekt links, ein chronifiziertes Cervical- und Lumbalsyndrom bei Skoliose mit Beckenschiefstand, eine Hypothyreose bei Zustand nach Schilddrüsenresektion wegen eines autonomen Adenoms, sowie atypische Gesichtsschmerzen bei Bruxismus, evtl. im Rahmen des Fibromyalgiesyndroms bzw. des generalisierten Lymphödems, an. Dr. B. brachte in der vä Stellungnahme vom 14. April 2005 als Behinderungen eine seelische Störung und ein chronisches Schmerzsyndrom (Teil-GdB 40) eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Teil-GdB 10), eine Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks (Teil-GdB 10) sowie eine Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks (Teil-GdB 10) in Ansatz und bewertete den Gesamt-GdB mit 40. Die Klägerin nahm das auf der Grundlage dieser Stellungnahme vom Beklagten unterbreitete Vergleichsangebot, den GdB mit 40 seit 1. Oktober 2003 festzustellen, nicht an.
Das SG zog die im Rahmen eines Rentenverfahrens eingeholten Gutachten von Dr. M., Chefarzt der Fachabteilung Innere Medizin/Rheumatologie an der F.klinik B. B., vom 22. April 2005 und des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. vom 16. September 2005 bei. Dr. F. führte in der vä Stellungnahme vom 19. Dezember 2005 aus, die psychische Beeinträchtigung und das chronische Schmerzsyndrom seien nur schwer voneinander zu trennen. An der gemeinsamen Tenorierung und Bewertung werde daher festgehalten.
Das SG holte die sachverständige Zeugenauskunft der Dipl.-Psych. K. vom 28. Januar 2006 ein. Sie berichtete über ein nunmehr nicht mehr vorhandenes depressives Syndrom und über eine somatoforme Schmerzstörung. Das SG zog das im Rahmen eines Rentenverfahrens eingeholte Gutachten der Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie Dr. R. vom 17. März 2006 bei. Dr. B. hielt in der vä Stellungnahme vom 11. Mai 2006 an der bisher getroffenen Bewertung fest.
Mit Urteil vom 9. August 2006 verurteilte das SG den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 19. November 2003 und Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2004, den GdB mit 50 ab 1. Oktober 2003 festzustellen. Zur Begründung führte das SG aus, es sei zwischen den Beteiligten unstreitig, dass für die ganz im Vordergrund stehende durch ein chronisches Schmerzsyndrom akzentuierte seelische Störung, unabhängig davon, ob dieser Leidenskomplex als schweres chronisches Schmerzsyndrom vom Typ der Fibromyalgie, begleitet von länger dauernden mittelschweren Depressionen, massiven Schlafstörungen und chronischem Erschöpfungssyndrom (so der Facharzt für Allgemeinmedizin V.) oder als somatische Form einer primären Fibromyalgie (so Dr. M.), begleitet von einer länger dauernden mittelgradig bis schwer ausgeprägten depressiven Störung mit Chronifizierungsneigung (so Dr. S.) bezeichnet werde, mit einem Teil-GdB von 40 zu bewerten sei. Entsprechend der vä Stellungnahme vom 14. April 2005 sei die anhaltende somatoforme Schmerzstörung nicht von der daneben bestehenden Anpassungsstörung mit länger dauernder depressiver Reaktion zu trennen. Es handle sich dabei um eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, für die ein GdB-Rahmen von 30 bis 40 eröffnet werde. Gerade wegen der Wechselbezüglichkeit von ausgeprägteren Depressionen und somatoformen Schmerzstörungen sei es zutreffend, den höchsten Wert dieses Rahmens in Ansatz zu bringen. Neben diesem Leidenskomplex bestünden bei der Klägerin im Bereich der Wirbelsäule, der linken Schulter und der Arme Behinderungen, die mit einem Teil-GdB von 20 einzuschätzen seien. Es sei durchaus angezeigt, die Funktionsbehinderung im Bereich der Wirbelsäule und des damit verbundenen Schultergürtels mit einem einheitlichen Teil-GdB einzuschätzen. Es möge im Anschluss an die vä Stellungnahme vom 14. April 2005 formal korrekt sein, beide Bereiche getrennt zu sehen und jeweils mit einem Teil-GdB von 10 zu bedenken. Wegen der doch starken Wechselbezüglichkeit der Behinderungen in den benachbarten Funktionssystemen Rumpf und Arme sei es ausnahmsweise sachgerecht, einen einheitlichen GdB hierfür von zusammen 20 anzunehmen. Schließlich bestehe bei der Klägerin im Bereich des rechten Kniegelenks eine Behinderung, die zutreffend mit einem Teil-GdB von 10 bewertet sei. Zusammenfassend betrage der Gesamt-GdB 50. Das Vergleichsangebot des Beklagten werde dem Gesamtleidenszustand der Klägerin nicht gerecht. Die zweifelsfrei bei der Klägerin imponierenden Beeinträchtigungen auf orthopädischem Gebiet könnten nicht der Funktionsbeeinträchtigung seelische Störung und chronisches Schmerzsyndrom zugeordnet werden und bei der Bildung des Gesamt-GdB vollends außer Ansatz bleiben. Gerade angesichts der psychischen Beeinträchtigung der Klägerin, die durch die chronifizierte somatoforme Schmerzstörung akzentuiert werde, entstehe ein Circulus vitiosus zwischen psychischer Beeinträchtigung und Schmerzstörung, was bedeute, dass die Leidenskomplexe sich noch gegenseitig verstärkten.
Gegen das Urteil des SG hat der Beklagte am 31. August 2006 Berufung eingelegt. Er hat die vä Stellungnahme von Dr. W. vom 28. August 2006 vorgelegt. Bei einem Teil-GdB von 40 für die seelische Störung und das chronische Schmerzsyndrom könnten die weiteren Teil-GdB-Werte von jeweils 10 für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und des linken Schultergelenks zu keiner Erhöhung des Gesamt-GdB auf 50 führen. Die Funktionsminderung der Wirbelsäule und der Schultergelenke verstärkten sich gegenseitig nicht in einem solchen Maße, dass deswegen integrierend für die Wirbelsäule und Schultergelenke zusammen ein Teil-GdB von 20 begründet werden könne. Allein die Tatsache, dass die Funktionssysteme Rumpf und Arme benachbart seien, könne nicht bedeuten, dass eine Funktionsbehinderung des einen Systems zu besonders schweren Auswirkungen im anderen Organsystem führe.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 9. August 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit er zur Feststellung eines GdB von mehr als 40 verurteilt worden ist.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auf Anfrage des Senats hat der Beklagte die vä Stellungnahme von Dr. W. vom 25. Oktober 2006 vorgelegt. Der bisherige Teil-GdB von 20 für die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule und der linken Schulter sei von Anfang an überhöht gewesen. Bei der Möglichkeit der freien GdB-Bewertung ergebe sich für die Wirbelsäule und die linke Schulter bei einer geringgradigen Funktionseinschränkung jeweils nur ein nicht additionsfähiger Teil-GdB von 10.
Die Beteiligten haben unter dem 21. November 2006 und 9. Januar 2007 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte den Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist begründet.
Zu Unrecht hat das SG mit Urteil vom 9. August 2006 den Beklagten verurteilt, den GdB mit 50 festzustellen. Die Klägerin hat nur einen Anspruch auf Feststellung ihres GdB mit 40.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die Beurteilung des GdB sind seit 1. Juli 2001 die Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63 und 68 SGB IX vom 19. Juni 2001, BGBl. I S. 1046).
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie weitere gesundheitliche Merkmale aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).
Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden.
Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 3 und 6 SGB IX). Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)", Ausgabe 2004 (AP) niedergelegt sind (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 7. November 2001 – B 9 SB 1/01 R - VersorgVerw 2002, 26). Die AP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Sie sind daher im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285, 286; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 91, 205; BSG, Urteil vom 29. August 1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). In den AP ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Sie ermöglichen somit eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB. Die AP stellen dabei ein einleuchtendes, abgewogenes und geschlossenes Beurteilungsgefüge dar (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22).
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Dabei dürfen die einzelnen Werte bei der Ermittlung des Gesamt-GdB nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet (AP, 19 Abs. 1, S. 24). Vielmehr ist darauf abzustellen, ob und wie sich die Auswirkungen von einzelnen Beeinträchtigungen einander verstärken, überschneiden oder aber auch gänzlich voneinander unabhängig sein können (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19). Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (AP, 19 Abs. 3, S. 25). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass, von Ausnahmefällen abgesehen, leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte. Dies auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (AP, 19 Abs. 4, S. 26). Zu beachten ist auch, dass im Allgemeinen die folgenden Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden: Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut einschließlich blutbildendes Gewebe und Immunsystem; innere Sekretion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf (AP, 18, Seite 22).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat zur der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin lediglich Anspruch auf Feststellung ihres GdB mit 40, nicht aber mit 50, hat.
Zutreffend ist die Funktionsbehinderung seelische Störung und chronisches Schmerzsyndrom mit einem Teil-GdB von 40 bewertet worden. Denn hierbei handelt es sich um eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit im oberen Bereich (AP, 26.3, Seite 48), ohne dass es darauf ankommt, ob es sich dabei um eine im Vordergrund stehende seelische Störung, ein Fibromyalgiesyndrom oder eine somatoforme Schmerzstörung handelt. Der Teil-GdB für die Funktionsbeeinträchtigung des rechten Kniegelenks beträgt allenfalls 10 (AP 26.18, S. 126). Insoweit stützt sich der Senat im Wesentlichen auf die vä Stellungnahme von Dr. B. vom 14. April 2005.
Der Senat lässt es offen, ob die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule und des linken Schultergelenks zusammen mit einem oder jeweils getrennt mit zwei GdB-Werten anzusetzen sind. Denn jedenfalls gehen von diesen Behinderungen keine derartigen Funktionseinschränkungen aus, dass sich unter Berücksichtigung des Teil-GdB von 40 für die seelische Störung und das chronische Schmerzsyndrom und dem Teil-GdB von 10 für die Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks ein Gesamt-GdB von 50 ergeben würde. Der Senat stützt sich dabei im Wesentlichen auf die in den Gutachten von Dr. M. und Dr. R. niedergelegten Befunde in Bezug auf die Wirbelsäule und das linke Schultergelenk.
Dr. M. hat in Bezug auf die Wirbelsäule auf S. 26 seines Gutachtens ausgeführt, im Bereich der Halswirbelsäule sei die Rotationsbewegung beidseits bis 70 Grad sowie die Seitneigung nach rechts bis 40 Grad und nach links bis 45 Grad möglich, im Bereich der Brustwirbelsäule seien die Torsionsbewegungen beidseits altersbezogen etwa um ein Drittel reduziert und es betrage die Atemexkursion 15 cm und das Ott’sche Maß 30/32,5 cm, und im Bereich der Lendenwirbelsäule liege eine Einschränkung von Inklination, Reklination und Seitneigung nach rechts etwa um ein Viertel des alterstypischen Maßes und nach links in der Seitneigung knapp auf die Hälfte des alterstypischen Maßes vor und es betrage das Schober’sche Maß 10/12,5 cm sowie der Finger-Boden-Abstand 20 cm. Dr. R. hat auf S. 4 ihres Gutachtens das Schober’sche Maß mit 4 cm, das Ott’sche Maß mit 4 cm und den Finger-Boden-Abstand mit 10 cm angegeben und auf S. 12 ihres Gutachtens ausgeführt, es lägen keine Einschränkungen der Gelenk- und Wirbelsäulenbeweglichkeit vor. Mithin liegen lediglich Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen vor, welche mit einem GdB von 10 zu bewerten sind (AP, 26.18, Seite 116).
Dr. M. hat in Bezug auf die linke Schulter auf S. 25 seines Gutachtens eine Außen-/Innenrotation mit 90 Grad und angehobenem Arm von 70/0/70 Grad sowie mit anliegendem Arm von 40/0/90 Grad und eine Abduktion/Adduktion von 160/0/40 Grad angegeben. Dr. R. hat auf S. 4 ihres Gutachtens für die Außen-/Innenrotation 60/0/90 Grad, die Ante-/Retroversion 160/0/40 Grad und für die Abduktion/Adduktion 160/0/20 Grad angegeben. Mithin kann die Klägerin ihren linken Arm noch über 120 Grad erheben, sodass weder nach den AP eine Bewegungseinschränkung im linken Schultergelenk vorliegt, die einen Teil-GdB von mindestens 10 entspricht (AP, 26.18, Seite 119) noch, würde man ausnahmsweise von einem gemeinsamen GdB-Wert für die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule und des linken Schultergelenks ausgehen, hierdurch der für den Wirbelsäulenschäden vergebene Teil-GdB von 10 eine Erhöhung erfahren könnte.
Nach alledem war das Urteil des SG dahingehend abzuändern, dass der Beklagte nur zu verurteilen war, den GdB mit 40 ab 1. Oktober 2003 festzustellen. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung. Dabei war der Umstand, dass die Klage insoweit erfolgreich war, dass der GdB mit 40 seit 1. Oktober 2003 festzustellen war, zu berücksichtigen.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
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