L 4 P 808/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 P 1831/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 808/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen nach Pflegestufe I im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Elften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) streitig.

Der am 1921 geborene Kläger ist bei der Beklagten pflegeversichert. Er leidet an einer Innenohrschwerhörigkeit mit Gleichgewichtsstörungen, einer Bewegungseinschränkung im linken Kniegelenk, einem chronischen LWS-Syndrom, einer koronaren Herzerkrankung bei Zustand nach Aortenklappenersatz und Bypassoperation sowie an einem hirnorganischen Psychosyndrom. Er ist mit folgenden Hilfsmitteln versorgt: Brille, Zahnprothese, Hörgerät und Handgehstock. Zusammen mit seiner Ehefrau bewohnt er eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit Küche und Bad (Badewanne) in einem mit einem Lift ausgestatteten Mehrfamilienhaus. Die Ehefrau des Klägers bezieht seit 01. Dezember 2002 Leistungen nach Pflegestufe I und seit 01. März 2004 nach Pflegestufe II, wobei die Pflege durch einen ambulanten Pflegedienst und die Tochter durchgeführt wird. Der Kläger wird durch seine Tochter unterstützt.

Nachdem die Beklagte einen ersten Antrag des Klägers auf Gewährung von Leistungen aus der Pflegeversicherung abgelehnt hatte, beantragte dieser am 08. September 2003 erneut die Gewährung entsprechender Leistungen. Dabei gab er an, Hilfe bei der Körperpflege sowie beim Einkauf und bei Arztbesuchen zu benötigen. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) in W., wobei die Pflegefachkraft B. den Kläger am 20. November 2003 im häuslichen Bereich untersuchte. In ihrem Gutachten vom 04. Dezember 2003 führte sie aus, der Kläger könne innerhalb der Wohnung ohne Hilfsmittel gehen, selbstständig Zubettgehen/Aufstehen sowie sich Hinsetzen und wieder Aufstehen. Das Bücken im Sitzen sei ihm aufgrund von Schwindelanfällen erschwert. Allerdings sei es ihm möglich, im Sitzen den mittleren Wadenbereich zu erreichen. Der Nacken-/Schürzengriff sei möglich, die grobe Kraft seitengleich unauffällig, der Faustschluss komplett möglich, die Greiffunktion vorhanden und der Armanhebeversuch nach vorn möglich, nach oben jedoch leicht erschwert. Auf dieser Grundlage ermittelte die Gutachterin im Bereich der Körperpflege einen Hilfebedarf bei der Ganzkörperwäsche (einmal täglich) von zwölf Minuten sowie bei der Teilwäsche des Unterkörpers (einmal täglich) von zehn Minuten täglich und im Bereich der Mobilität beim An- bzw. Auskleiden des Unterkörpers von drei bzw. einer Minute täglich (jeweils einmal täglich Schuhe und Strümpfe bis zum mittleren Wadenbereich). Im Bereich der Ernährung sei der Kläger selbstständig. Gestützt auf dieses Gutachten lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 16. Dezember 2003 ab. Im Widerspruchsverfahren veranlasste die Beklagte das weitere Gutachten des Dr. H. vom MDK in W., der den Kläger am 05. Februar 2004 erneut im häuslichen Bereich untersuchte. Dieser erhob ausweislich seines Gutachtens vom 11. März 2004 im Wesentlichen die bereits im Vorgutachten beschriebenen Fähigkeitsstörungen. Er ging davon aus, dass der Kläger Hilfe beim Waschen von Rücken und Haaren benötige; darüber hinaus sah er keinen Unterstützungsbedarf. Der Kläger könne sich Gesicht, Hals, Körpervorderseite und Intimbereich sowie Beine und Füße selber waschen. Auf dieser Grundlage ermittelte Dr. H. einen Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen (Teilwäsche des Oberkörpers - einmal täglich) von drei Minuten sowie beim Baden (einmal wöchentlich) von einer Minute täglich, woraus ein Gesamthilfebedarf von vier Minuten täglich resultiere. Im Bereich der Mobilität sah er beim Anziehen von Strümpfen, Schuhen und Hosen allerdings einen weiteren Unterstützungsbedarf für den Fall, dass sich der Kläger entgegen seiner Gewohnheit täglich anziehe und sich nicht nackt in der Wohnung aufhalte. Mit Widerspruchsbescheid der bei der Beklagten gebildeten Widerspruchsstelle vom 27. April 2004 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Dagegen wandte sich der Kläger mit seiner am 26. Mai 2004 beim Sozialgericht (SG) Freiburg erhobenen Klage, mit der er geltend machte, durch seine im Weltkrieg erlittene Verletzung an Gleichgewichtsstörungen zu leiden, die ihn im Straßenverkehr sowie durch plötzlich auftretende Schwindelanfälle sehr behindere. Eine andere Kriegsverletzung beeinträchtige ihn beim Gehen. Seine Lage werde noch zusätzlich dadurch erschwert, dass bei seiner Ehefrau die Erhöhung der Pflegestufe abgelehnt worden sei. Er könne nicht gleichzeitig für seine Frau sorgen, kochen und einkaufen. Hausarbeiten und Einkäufe könne er nicht mehr erledigen; dies habe zu seinem Antrag auf Leistungen aus der Pflegeversicherung geführt. Zu dem Umstand, dass seine Ehefrau seit März 2004 nunmehr Pflegestufe II erhalte, sei zu bemerken, dass er ebenfalls zum Haushalt zähle, jedoch links liegengelassen werde. Er benötige unbedingt eine Badehilfe, da er selbst nicht mehr baden könne, eine Hilfe bei der Säuberung der Wohnung sowie eine "Bekleidungshilfe", da er sich aufgrund mehrerer Kriegsverletzungen nicht mehr bekleiden könne. Seine Gebrechen beruhten auf Gleichgewichtsstörungen und Schwindelanfällen, weshalb er auch nicht mehr in der Lage sei, Strecken von mehr als einem Kilometer zu Fuß zurückzulegen. Nachdem die Pflegepersonen seiner Ehefrau nur einen Teil von deren Pflege übernähmen, liege der größte Teil ihrer Pflege in seiner Obhut. Deshalb halte er es für "unverschämt", ihm Leistungen nach Pflegestufe I zu verweigern. Die Beklagte trat der Klage unter Aufrecherhaltung ihres bisherigen Standpunktes entgegen. Das SG zog die beim früheren Versorgungsamt Freiburg - Außenstelle Radolfzell - über den Kläger geführten Schwerbehindertenakten zu dem Verfahren bei und wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 15. Februar 2005 im Wesentlichen mit der Begründung ab, bei den grundpflegerischen Verrichtungen benötige der Kläger nicht wenigstens mehr als 45 Minuten täglich Unterstützung durch dritte Personen.

Gegen diesen zum Zwecke der Zustellung an den Kläger am 21. Februar 2005 mit Übergabe-Einschreiben zur Post gegebenen Gerichtsbescheid wandte sich der Kläger mit seiner am 25. Februar 2005 beim Landessozialgericht (LSG) eingegangenen Berufung. Er verweist auf seine Sehbehinderung, die kriegsbedingte Trommelfellverletzung beidseits sowie den Kniegelenkssteckschuss und seine Herzoperation. Er könne sich nicht einmal mehr 50 Meter in der Öffentlichkeit bewegen, weder einkaufen noch die Wohnung in Ordnung halten. Dass er sich nackt in der Wohnung aufhalte, beruhe darauf , dass ihm die nötige Hilfe zum Anziehen fehle. Er müsse mindestens einmal pro Woche gebadet werden; selbst könne er dies nicht mehr durchführen. Schon hierdurch sei die Pflegestufe I gerechtfertigt. Erschwerend komme hinzu, dass er "noch einen gewissen Teil der Pflegestufe II zu übernehmen habe", was ihm aber nicht mehr möglich sei.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 15. Februar 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 16. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. April 2004 zu verurteilen, ihm Leistungen nach Pflegestufe I ab 08. September 2003 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Zu weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 16. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. April 2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe I.

Das SG hat die rechtlichen Grundlagen des geltend gemachten Anspruchs im Einzelnen dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass der Hilfebedarf des Klägers nicht den Umfang erreicht, wie dies für eine Zuordnung zu Pflegestufe I erforderlich wäre. Zwar ist der Kläger in gewissem Umfang auf die Unterstützung dritter Personen angewiesen, doch erreicht der entsprechende Hilfebedarf im Bereich der grundpflegerischen Verrichtungen (Körperpflege, Ernährung, Mobilität) nicht den erforderlichen Mindestaufwand von mehr als 45 Minuten täglich. Dies hat das SG auf der Grundlage der auf Veranlassung der Beklagten im Verwaltungsverfahren erhobenen Gutachten sowie des eigenen Vortrags des Klägers zutreffend ausgeführt, weshalb zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die entsprechenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen wird. Das SG hat sämtliche pflegerelevanten Gesundheitsstörungen berücksichtigt und daraus zutreffende Schlussfolgerungen gezogen. So führt namentlich die Sehbehinderung sowie die kriegsbedingte Hörminderung ebenso wenig wie die Herzerkrankung dazu, dass der Kläger die hier maßgeblichen grundpflegerischen Verrichtungen nicht mehr eigenständig durchzuführen vermag. Entsprechendes gilt für das kriegsbedingte Knieleiden; dieses führt zwar zu einer Gehstörung, doch ist diese nicht so gravierend, dass der Kläger bei der Verrichtung "Gehen" auf die Unterstützung dritter Personen angewiesen wäre. Die erforderliche Unterstützung bei der Körperpflege (Ganzkörperwäsche bzw. Baden, Teilwäsche des Unterkörpers) und der Mobilität (An- bzw. Auskleiden) ist im Wesentlichen auf die Fähigkeitsstörungen im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates zurückzuführen, die in Verbindung mit den Gleichgewichtsstörungen einen Hilfebedarf beim Waschen im unteren Beinbereich und den Füßen sowie beim An- bzw. Auskleiden von Schuhen, Strümpfen und Hosen bedingen. Soweit der Kläger geltend macht, er könne den Haushalt nicht mehr in Ordnung halten und auch nicht mehr selbstständig einkaufen, sind Verrichtungen der hauswirtschaftlichen Versorgung betroffen. Der insoweit anfallende Unterstützungsbedarf kann daher nur dort, nicht aber bei den grundpflegerischen Verrichtungen (Körperpflege, Mobilität, Ernährung) Berücksichtigung finden.

Da die Berufung des Klägers nach alledem keinen Erfolg haben konnte, war diese zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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