L 6 VS 909/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 V 4534/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VS 909/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. Dezember 2003 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung der Folgen einer Schussverletzung als Wehrdienstbeschädigung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) streitig.

Der 1977 geborene Kläger, ausgebildeter Industriemechaniker für Feingerätebau, leistete ab 01. November 1997 als Wehrpflichtiger seinen Dienst bei der Bundeswehr, wobei er nach der Grundausbildung als Luftfahrzeugmechaniker Tornado in der Störbehebung in der Instandsetzungsstaffel des Jagdbombergeschwaders 34 im Fliegerhorst M., Standort M., eingesetzt wurde.

Am 27. Februar 1998 war der Kläger ab 8.00 Uhr als Wachsoldat an der Hauptwache eingesetzt. Als Torposten hielt er sich gegen 20.40 Uhr in dem verglasten und überdachten, zwischen den Ein- und Ausfahrtsspuren des Kasernengeländes gelegenen Wachhäuschen (Größe ca. 1,50 m x 3,00 m) gegenüber dem Wachgebäude auf. Die übrigen Wachsoldaten befanden sich in dem Wachgebäude in dem mit einer Glasscheibe versehenen und zum Eingangsbereich gelegenen Wachraum bzw. dem nach hinten gelegenen Aufenthaltsraum. Als der sich in dem Wachraum befindende Unteroffizier W. plötzlich einen Knall hörte und nach draußen blickte, sah er in dem von außen gut beleuchteten Wachhäuschen den Kläger mit dem Rücken zum Wachgebäude an der Scheibe gelehnt stehen, den Oberkörper leicht nach vorne gebeugt. Er verständigte die anderen Wachsoldaten von seiner Wahrnehmung, worauf der Obergefreite S. mit ihm zusammen das Gebäude verließ und zum Wachhäuschen ging. Nach dem Öffnen der Tür fanden sie den Kläger im gesamten Gesichtsbereich blutend vor. Die Dienstwaffe (Walter P 1) hielt er in der rechten Hand mit der Mündung auf den Boden gerichtet. Unteroffizier W. begab sich sofort zurück zum Wachlokal, um die Sanitätsstaffel und den Notarzt zu verständigen. Obergefreiter S. hielt sich noch beim Kläger auf, während ein weiterer Schuss fiel, der in einem sich im Wachhäuschen befindeten Ölradiator einschlug. Der Kläger schwankte, stützte sich noch ab und sank dann zu Boden, während bereits die ersten Rettungskräfte eintrafen.

Nach der Erstversorgung durch den Notarzt wurde der Kläger ins Krankenhaus M. verbracht, wo eine drittgradig offene (Gesichts-)Schädel-Hirn-Verletzung (Schussverletzung) diagnostiziert wurde. Der Kläger wurde sodann mit dem Rettungshubschrauber ins Bundeswehrkrankenhaus U. verlegt, wo er bis 19. März 1998 zunächst intensivmedizinisch behandelt wurde. Als Diagnosen sind in dem entsprechenden Arztbrief vom 19. März 1998 ein offenes Schädelhirntrauma 3. Grades mit Hirnaustritt frontal, spritzende arterielle Blutung aus dem Ast der A. meningea media, Zerstörung Siebbeinschacht links und Orbitawand links, Ober- und Unterkiefermehrfragmentfraktur und Zungenzerreißung nach Schussverletzung angegeben. Noch am 27. Februar 1998 erfolgte die operative Versorgung der Hirnverletzung mit Entfernung von Geschoss- und Knochensplittern und Duradeckung, eine Frontobasis- und Siebbeinrevision rechts mit Debridement der Nasennebenhöhlen, eine Schusskanalrevision mit plastischer Deckung, eine Unterkiefer-Drahtfixierung, Zungennaht, Tamponade des Gaumens, Weichteilversorgung extra-oral sowie eine plastische Tracheotomie. Eine weitere Operation wurde am 06. März1998 durchgeführt (Plattenosteosynthese Unter- und Oberkiefer, Weichteilversorgung der Zunge). Am 19. März 1998 wurde der Kläger zur Frührehabilitation in das Klinikum K. - L. verlegt, wo er zunächst bis 07. April 1998 und hiernach erneut vom 27. April bis 27. Juli 1998 behandelt wurde. Während des dazwischen liegenden Zeitraums vom 07. bis 27. April 1998 befand sich der Kläger wiederum im Bundeswehrkrankenhaus U., HNO-Abteilung, wo am 08. April 1998 eine Frontobasisrevision mit frontobasaler intraduraler Deckung mit Galea-Lappen durchgeführt wurde. Vom 28. Juli bis 29. September 1998 wurde der Kläger in der Abteilung Neurologie und Psychiatrie des Bundeswehrkrankenhauses U. behandelt.

An Spuren wurden im Deckenbereich des im Übrigen unbeschädigten Wachhäuschens zwei beieinander liegende Durchschussstellen festgestellt; aufgefunden wurden im Übrigen drei Patronenhülsen. Von den sich bei Übergabe der Pistole im Magazin befindenden sieben Patronen fehlten aus dem Magazin der Waffe vier Schuss. Die weiteren polizeilichen Ermittlungen erbrachten keine Hinweise auf ein Fremdverschulden; ebenso wenig ergaben sich Anhaltspunkte für familiäre oder persönliche Probleme bzw. eine mögliche Suizidgefährdung. Dem Kläger selbst fehlt das Erinnerungsvermögen für den Zeitraum von einer Woche vor bis drei Wochen nach dem Ereignis.

Am 19. Juni 1998 beantragte der Kläger durch seine seinerzeit als Betreuerin bestellte Mutter beim Versorgungsamt Stuttgart (VA) die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG). Diesen Antrag bearbeitete das VA auch als Antrag auf Versorgung nach dem SVG. Den Antrag nach dem OEG lehnte das VA mit Bescheid vom 30. November 1998 und Widerspruchsbescheid vom 06. Mai 1999 mit der Begründung ab, nach dem Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft Memmingen hätten sich keine Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden finden lassen. Die dagegen beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobene Klage (S 6 VG 6916/00) nahm der Kläger am 12. Dezember 2003 zurück.

Ausgangspunkt des vorliegenden Verfahrens ist der Bescheid des VA vom 24. November 1998, mit dem nach Beiziehung der Verwaltungsakte des Wehrbereichsgebührnisamts V in Stuttgart der Antrag des Klägers auf Beschädigtenversorgung nach dem SVG mit der Begründung abgelehnt wurde, dieser habe sich nach den kriminalpolizeilichen Ermittlungen die Verletzungen selbst beigebracht, was eine Versorgung nach dem SVG ausschließe. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch, der zunächst im Wesentlichen damit begründet wurde, dass die polizeilichen Ermittlungen beanstandet worden und noch immer nicht abgeschlossen seien. Er wandte sich ferner gegen die Annahme eines Selbsttötungsversuchs, da sich hierfür keine Anhaltspunkte ergäben; insoweit handele es sich um eine reine Spekulation. Von einer absichtlich herbeigeführten Schädigung im Sinne des § 81 Abs. 7 SVG könne daher nicht ausgegangen werden. Der Unterstellung, er habe etwa aus Langeweile mit der Waffe hantiert, fehle jeglicher Grund. Ein vernünftiger Grund für das Hantieren mit der Waffe könne allerdings darin gelegen haben, dass er die Waffe noch habe durchladen wollen und dabei die gebotene Sicherheit vernachlässigt habe. Die erlittene Schussverletzung stelle sich dann aber gerade als klassischer Fall eines durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse erlittenen Schadens dar. Für die Annahme einer "selbstgeschaffenen Gefahr", die nach der Rechtsprechung eine Wehrdienstbeschädigung ausschließe, gebe es demgegenüber keine Anhaltspunkte. Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2001 wurde der Widerspruch im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, es habe nicht ermittelt werden können, in welcher Weise der Kläger bei dem Vorfall zu Schaden gekommen sei. Es könne weder ein anspruchsausschließender möglicher Geschehensablauf ausgeschlossen werden, noch ein möglicher anspruchsbegründender Ablauf unterstellt werden. Da die anspruchsbegründenden Tatsachen für den geltend gemachten Anspruch nachgewiesen sein müssten, dies jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit möglich sei, ginge dies nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Klägers.

Dagegen erhob der Kläger am 28. August 2001 beim SG Klage und machte geltend, bei den von dem Beklagten in Betracht gezogenen Möglichkeiten des Geschehensablaufs (Verletzung in suizidaler Absicht bzw. selbst geschaffener Gefahrenbereich durch Hantieren mit der Waffe) handele es sich um lediglich entfernt liegende theoretische Möglichkeiten, die bei der Beweiswürdigung außer Betracht zu bleiben hätten. Eine Selbsttötungsabsicht könne nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden, da die Ermittlungen hierfür keine hinreichenden Anhaltspunkte erbracht hätten. In seinem Umfeld seien für ein mögliches Selbsttötungsmotiv keine Ansatzpunkte gefunden worden. Auch dass er aus Langeweile mit der Waffe hantiert haben könnte, sei eine reine Spekulation, die angesichts der Aussage des Unteroffiziers W., wonach er Erfahrung im Umgang mit Handfeuerwaffen gehabt habe, einer Grundlage entbehre. Demgegenüber habe es einen vernünftigen Grund gegeben, mit der Waffe zu hantieren. Möglicherweise sei die Waffe, die bei Dunkelheit nach den Dienstvorschriften durchgeladen zu tragen sei, nicht durchgeladen gewesen und er habe dies nachgeholt und dabei die gebotene Sicherung der Waffe vernachlässigt. Dass die Lade- und Entladetätigkeiten an der Dienstwaffe grundsätzlich überwacht würden, schließe nicht aus, dass ein Durchladen der Waffe tatsächlich oder vermeintlich versäumt worden sei. Was die Fallgestaltungen des § 81 Abs. 1 SVG anbelange, könne dahinstehen, welcher Tatbestand erfüllt sei, da sämtliche Tatbestandsalternativen einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung begründeten. Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage seiner Verwaltungsakten und unter Aufrechterhaltung seines bisherigen Standpunktes entgegen. Gegen einen Unfall beim Hantieren mit der Waffe spreche, dass der Kläger insgesamt drei Schüsse abgegeben habe und alle Lade- und Entladetätigkeiten an der Waffe durch den Wachvorgesetzten überwacht würden. Da zum Zeitpunkt des Vorfalls weder Personen- noch Fahrzeugverkehr geherrscht habe, der Kläger demnach ohne dienstliche Veranlassung mit der Waffe hantiert habe, habe er damit einen selbst geschaffenen Gefahrenbereich begründet, so dass es zur Lösung vom Wehrdienst gekommen sei. Das SG nahm die Örtlichkeiten des Geschehens in Augenschein, fertigte Lichtbilder von den dortigen Verhältnissen und vernahm die seinerzeit Wachhabenden W., S. und F. als Zeugen. Mit Urteil vom 12. Dezember 2003 verurteilte das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 24. November 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2001, die Schussverletzung vom 27. Februar 1998 als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen und wegen deren Folgen Beschädigtenversorgung zu gewähren. Das SG hielt es für in hohem Maße wahrscheinlich, dass der Kläger nach einer ¾ Stunde Einzeldienst aus Langeweile, Neugier oder ähnlichen Gründen mit der Dienstwaffe hantiert und sich dabei ein Schuss gelöst habe, der die konkrete Verwundung herbeiführt habe. Die weiteren Schüsse hätten sich dann als Folge einer unwillkürlichen und nicht mehr willensbezogenen Zugbewegung des Abzugsfingers gelöst. Für die Annahme eines Selbstmordversuchs fehlten plausible Anhaltspunkte. Damit stelle sich das Geschehen als Konkretisierung einer spezifisch wehrdiensteigentümlichen Gefahr dar. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des dem Beklagten am 04. Februar 2004 zugestellten Urteils verwiesen.

Dagegen hat der Beklagte am 03. März 2004 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und geltend gemacht, wie in allen Zweigen des sozialen Entschädigungsrechts seien auch im Recht der Soldatenversorgung die anspruchsbegründenden Tatsachen nachzuweisen, so insbesondere die geschützte Tätigkeit, also die Wehrdienstverrichtung oder die Ausübung einer gleichgestellten Tätigkeit. Demgegenüber unterstelle das SG als schädigendes Ereignis den fahrlässigen Umgang mit der Dienstwaffe und lege als Beweismaßstab den Grad der Wahrscheinlichkeit zugrunde. Das schädigende Ereignis bedürfe jedoch eines Vollbeweises. Nachgewiesen sei vorliegend lediglich die versorgungsrechtlich geschützte Tätigkeit, nämlich der Wachdienst als solcher, sowie die gesundheitliche Schädigung, also die Schussverletzung. Nicht nachgewiesen sei das eigentliche schädigende Ereignis, hinsichtlich dessen das SG sich in Vermutungen ergehe. Letztlich blieben die Geschehnisse im Wachhäuschen unaufgeklärt, weshalb sich das Hantieren mit der Dienstwaffe auch nur als eine von mehreren Möglichkeiten darstelle, wie die Verletzung hervorgerufen worden sein könne. Selbst bei Unterstellung des vom SG zugrunde gelegten Geschehensablaufs sei die Klage unter dem Gesichtspunkt der "selbstgeschaffenen Gefahr" abzuweisen. Denn mit dem Hantieren einer scharfen Dienstwaffe hätte der Kläger zumindest grob fahrlässig, wenn nicht sogar vorsätzlich gegen die einschlägigen Wachdienstvorschriften verstoßen, weshalb sein Verhalten auch als grob vernunftwidrig und gefährlich anzusehen sei. Ein solches Verhalten könne nicht als spezifisch wehrdiensteigentümliche Gefahr angesehen werden.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. Dezember 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für richtig. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei der Vollbeweis für das schädigende Ereignis erbracht. Dem stehe nicht entgegen, dass der genaue Ablauf des Geschehens am Abend des 27. Februar 1998 letztlich unaufgeklärt geblieben sei. Denn jeder vernünftigerweise in Betracht zu ziehende Geschehensablauf stelle sich als gesundheitliche Schädigung entweder durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse und damit als ein den Tatbestand des § 81 Abs. 1 SVG erfüllendes Geschehen dar. Da alle anderen noch denkbaren Möglichkeiten des Geschehensablaufs bei vernünftiger Würdigung aller Umstände als unwahrscheinlich auszuschließen seien, könne der tatsächlich stattgefundene Geschehensablauf dahingestellt bleiben und eine Wahlfeststellung getroffen werden. Zutreffend sei das SG davon ausgegangen, dass das Hantieren mit der Dienstpistole als in hohem Maße wahrscheinlicher Geschehensablauf anzusehen sei und deshalb eine gesundheitliche Schädigung durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse vorliege. Unerheblich sei, dass er durch sein Verhalten möglicherweise gegen gesetzliche oder dienstliche Bestimmungen verstoßen habe. Denn ebenso wie in der gesetzlichen Unfallversicherung sei ein verbotswidriges Handeln im Versorgungsrecht unbeachtlich. Soweit der Beklagte von einer selbst geschaffenen Gefahr ausgehe, habe die Rechtsprechung eine solche in völlig anders gelagerten Fällen bejaht, etwa beim Hantieren mit explosionsgefährlichen Stoffen aus Privatbesitz oder beim leichtfertigen Gebrauch eines ungeeigneten Mittels zur Reinigung einer Feldflasche. Durch ein Hantieren mit der beim Wachdienst getragenen Dienstpistole habe er sich aufgrund einer Unsicherheit über den durchgeladenen Zustand der Waffe, sei es aus Langeweile oder Neugier, nicht außerhalb des typischen Gefahrenbereichs des bewaffneten Wachdienstes begeben.

Mit Beschluss vom 24. April 2007 hat der Senat die Bundesrepublik Deutschland zu dem Verfahren beigeladen. Diese hat sich zur Sache nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

Der Senat hat im Übrigen die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Memmingen sowie die WDB-Akte des Wehrbereichsgebührnisamts V in Stuttgart zu dem Verfahren beigezogen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist statthaft und zulässig; sie ist auch begründet.

Das SG hätte der Klage unter Aufhebung des Bescheids vom 24. November 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2001 nicht stattgeben und den Beklagten nicht verurteilen dürfen, die Schussverletzung des Klägers vom 27. Februar 1998 als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen und wegen deren Folgen Beschädigtenversorgung zu gewähren. Denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Es ist nämlich nicht festzustellen, dass die vom Kläger am 27. Februar 1998 erlittene Schussverletzung sich als versorgungsrechtlich zu entschädigende Wehrdienstbeschädigung darstellt. Die fehlende Feststellbarkeit einer anspruchsbegründenden Tatsache geht aber auch im Sozialrecht nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten desjenigen, der hieraus ein Recht für sich herleiten will.

Gemäß § 81 Abs. 1 SVG ist eine Wehrdienstbeschädigung eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Nach Abs. 2 der Regelung ist eine Wehrdienstbeschädigung auch eine gesundheitliche Schädigung, die herbeigeführt worden ist durch u. a. einen Angriff auf den Soldaten wegen seines pflichtgemäßen dienstlichen Verhaltens, oder wegen seiner Zugehörigkeit zur Bundeswehr (Nr. 1 Buchst. a und b).

Eine Wehrdienstbeschädigung im Sinne des § 81 Abs. 2 Nr. 1 SVG kommt vorliegend nicht in Betracht. Denn nach Auswertung der durchgeführten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Memmingen bieten sich keine Anhaltspunkte, die darauf hindeuten würden, dass der Kläger während der Durchführung seines Wachdienstes - entsprechend den ursprünglichen Vermutungen seiner Eltern - Opfer eines Angriffs dritter Personen geworden wäre. Die noch in dem Antrag seiner Mutter vom 19. Juni 1998 angegebene Begründung (versuchtes Tötungsdelikt einer unbekannten Person) hat der Kläger im Laufe des gerichtlichen Verfahrens auch nicht mehr aufrecht erhalten. Demgegenüber vertritt er zwischenzeitlich den Standpunkt, die erlittene gesundheitliche Schädigung sei durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse oder möglicherweise auch durch eine Wehrdienstverrichtung bzw. einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall herbeigeführt worden, wobei letztendlich dahinstehen könne, welche Alternative dieser Tatbestandsvoraussetzung erfüllt sei, da insoweit eine Wahlfeststellung getroffen werden könne.

Entgegen der vom Kläger insoweit vertretenen Ansicht, vermag der Senat jedoch nicht festzustellen, dass die in Rede stehende Schädigung (Schussverletzung) durch eine der in § 81 Abs. 1 SVG genannten Tatbestandsalternativen hervorgerufen wurde.

Hierbei ist eine mehrgliedrige Kausalkette zu prüfen. Das erste Glied ist dabei Wehrdienstverrichtung, ein Unfall während der Ausübung des Wehrdienstes, oder sind die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse. Das zweite Glied bildet die durch die versorgungsrechtlich geschützte Tätigkeit hervorgerufene gesundheitliche Schädigung und das dritte Glied die Folge der gesundheitlichen Schädigung, nämlich die Gesundheitsstörung, die als Versorgungsleiden bezeichnet wird. Zwischen dem ersten und zweiten sowie zwischen dem zweiten und dritten Glied muss jeweils ein Zusammenhang, letztlich also eine geschlossene Kausalreihe vorhanden sein. Im Hinblick auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen der geschützten Tätigkeit und der gesundheitlichen Schädigung (haftungsbegründende Kausalität) einerseits sowie zwischen dieser Schädigung und der eingetretenen Gesundheitsstörung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) genügt die Wahrscheinlichkeit. Der Vollbeweis des Kausalzusammenhangs ist also nicht erforderlich. Allerdings genügt insoweit aber auch nicht lediglich die bloße Möglichkeit eines Zusammenhangs oder ein bloßer zeitlicher Zusammenhang. Demgegenüber ist für das Vorliegen der versorgungsrechtlich geschützten Tätigkeit der volle Beweis notwendig. Dies erfordert eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, die ernste, vernünftige Zweifel ausschließt.

Vorliegend ist der genaue Schädigungsverlauf nicht geklärt. Auch besteht keine Möglichkeit (mehr), den Sachverhalt weiter aufzuklären und die Geschehnisse zu ermitteln, in deren Folge die Schussverletzung beim Kläger entstanden ist. Zum Einen sind Zeugen, die das dieser Verletzung vorausgehende Verhalten des Klägers beobachtet haben, nicht ersichtlich und zum Anderen hat der Kläger selbst keine Erinnerung mehr an die seinerzeitigen Geschehnisse, weshalb auch er selbst nicht in der Lage ist, sachdienliche Angaben zu seinen seinerzeitigen Handlungen zu machen. Damit bleibt aber offen, wie es zu der nicht in Frage stehenden und als solche bewiesenen Schussverletzung gekommen ist. Denn schließlich führt auch der Versuch, aus der Schädigung auf deren Ursache, also die der Schädigung vorausgehenden Handlungen zu schließen, nicht zu dem Ergebnis, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein versorgungsrechtlich geschütztes Ereignis stattgefunden hat.

So stellen sich gerade auch nicht alle denkbaren Schädigungsverläufe als ein im Sinne des § 81 Abs. 1 SVG geschütztes Ereignis dar. Insoweit vermag sich der Senat insbesondere nicht der Auffassung des Klägers anzuschließen, der alle denkbaren zu der konkreten Schädigung führenden Abläufe für versorgungsrechtlich geschützt erachtet, weshalb auch eine Wahlfeststellung getroffen werden könne. Insbesondere teilt der Senat nicht die Beurteilung des Klägers, wonach der vom SG zugrunde gelegte Ablauf sich als ein in hohem Maße wahrscheinlicher Geschehensablauf darstelle, dass er nämlich aus Langeweile, Neugier oder ähnlichen Gründen mit seiner Dienstwaffe herumhantiert habe und sich dann der die Kopfverletzung hervorrufende Schuss gelöst habe. Abgesehen davon, dass entsprechend den obigen Darlegungen, auch ein in hohem Maße wahrscheinlicher Geschehensablauf den erforderlichen Vollbeweis für das Vorliegen einer versorgungsrechtlich geschützten Tätigkeit nicht erbringen würde, hält der Senat einen derartigen Ablauf auch nicht für so wahrscheinlich, dass – wie der Kläger meint – alle anderen Abläufe vernünftigerweise nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden könnten. Zwar ist durchaus denkbar und damit nicht ausgeschlossen, dass der Schussverletzung ein Hantieren mit der Waffe vorausging, sei es aus Langeweile, Neugier oder ähnlichen Gründen. Doch hält es der Senat nicht für weniger wahrscheinlich oder gar für ausgeschlossen, dass der Kläger in Selbsttötungsabsicht gehandelt hat. Zwar ist einzuräumen, dass die polizeilichen Ermittlungen durch Befragen der Eltern, Kameraden und Vorgesetzten des Klägers keine Anhaltspunkte dafür erbracht haben, dass dieser sich mit Suizidgedanken trug, objektiv als schwerwiegend einzuschätzende Probleme zu bewältigen hatte oder auch nur psychisch belastet erschien. Doch sieht der Senat gerade in der Art der Schussverletzung in Verbindung mit den beiden in der Decke des Wachhäuschens vorgefundenen Einschusslöchern Anhaltspunkte, die einen Suizidversuch nicht als unwahrscheinliche Ursache der Schussverletzung erscheinen lassen. Denn der Schusskanal im Kopfbereich des Klägers mit einem Eindringen des Projektils unterhalb des Kinns und einem Austreten durch die Stirn legt unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich über dem Kläger die Einschusslöcher in der Decke des Wachhäuschens befanden, die Vermutung nahe, dass er während des Auslösens des Schusses das Kinn nach oben gereckt hatte. Denn nur dadurch erscheint es möglich, dass das Projektil nach dem Austritt aus dem Schädel durch die Stirn den über dem Kläger liegenden Deckenbereich durchschlagen konnte. Wäre der Schuss - wie vom SG zugrunde gelegt - demgegenüber beim Hantieren mit der Waffe ausgelöst worden, erscheint es nahe liegend, dass der Kläger dabei sein Gesicht nach vorne oder leicht nach unten gerichtet hätte, um die Waffe beim Hantieren im Blickfeld zu haben. In diesem Fall wäre zwar denkbar, dass ein unbeabsichtigtes Auslösen eines Schusses zu einem Einschuss in die Decke des Wachhäuschens führt, nämlich dann, wenn der Kläger die Waffe zuvor mit dem Lauf in Richtung Decke gehalten hätte. Demgegenüber ist für den Senat nicht ohne weiteres erklärbar, wie es bei einem solchen Ablauf angesichts des beschriebenen Schusskanals mit einem Projektilaustritt an der Stirn zu einem Einschuss im über dem Kläger gelegenen Deckenbereich hätte kommen können. Der vom SG zugrunde gelegte Geschehensablauf gibt im Übrigen auch keine überzeugende Erklärung dafür, wie es zu dem zweiten Einschuss in der Decke des Wachhäuschens gekommen ist, wie insbesondere erklärt werden kann, dass dem unbeabsichtigt ausgelösten, die Verletzung hervorrufenden ersten Schuss noch ein weiterer Schuss folgte, der dann in unmittelbarer Nähe des anderen in die Decke einschlug, allerdings ohne den Kläger nunmehr zu verletzen. Denkbar wäre insoweit zwar, dass der Kläger versehentlich zwei Schüsse ausgelöst hat, von denen lediglich der zweite ursächlich für die Verletzung geworden ist, allerdings ist - wie die obigen Darlegungen aufzeigen - gleichermaßen auch denkbar, dass dieser Schuss, ebenso wie der sodann die Verletzung verursachende Schuss bewusst ausgelöst wurde. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die aus dem Umfeld des Klägers vernommenen Personen Anhaltspunkte für eine mögliche Suizidgefährdung nicht gesehen haben und solche auch bei Würdigung der aktenkundigen Beschreibungen der Persönlichkeit des Klägers nicht ohne Weiteres ersichtlich sind. Gleichwohl schließt dies aber nicht aus, dass der seinerzeitige tatsächliche Gemütszustand des Klägers nicht dem Bild entsprochen hat, das der Kläger nach außen trug. Denn gerade durch die dargelegten Gesichtpunkte (Schusskanal, Einschusslöcher in der Decke) vermag der Senat nicht auszuschließen, dass der Kläger in Selbstschädigungsabschnitt gehandelt hat. Damit bleibt aber die Möglichkeit bestehen, dass auch ein nicht versorgungsrechtlich geschütztes Ereignis stattgefunden hat, so dass der volle Beweis für das Vorliegen eines versorgungsrechtlich geschützten Sachverhalts - gleich welcher Alternative - nicht erbracht ist.

Da das Vorliegen eines versorgungsrechtlich geschützten Ereignisses nach alledem nicht feststellbar ist, dem Kläger für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen jedoch die Beweislast obliegt und er damit die Nachteile der Nichterweislichkeit der Tatbestandsvoraussetzungen einer Wehrdienstbeschädigung zu tragen hat, ist ein Anspruch des Klägers auf Beschädigtenversorgung nach dem SVG zu verneinen. Entsprechend war das angefochtene Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, da es sich um die Beweiswürdigung in einem Einzelfall handelt.
Rechtskraft
Aus
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