Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 14 SB 5370/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 5490/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19. September 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei der Klägerin im Sinne des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) der Grad der Behinderung (GdB) wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse nunmehr mit 50 festzustellen ist und ob sie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleichs "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) erfüllt.
Bei der 1944 geborenen Klägerin stellte das Landesversorgungsamt Baden-Württemberg zuletzt mit Widerspruchsbescheid vom 04. Februar 2000 wegen degenerativen Wirbelsäulenveränderungen und Folgeerscheinungen, Bandscheibenschaden L4/L5 (Teil-GdB 30), Retropatellararthrose (Teil-GdB 20) sowie Restbeschwerden nach Operation an rechter Schulter und rechtem Handgelenk, Karpaltunnelsyndrom linkes Handgelenk (Teil-GdB 10) einen GdB von 40 seit Februar 1999 fest. Damit hatte es dem Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid des Versorgungsamts Stuttgart (VA) vom 19. August 1999, mit dem der GdB auf ihren Neufeststellungsantrag unter Neubezeichnung der Behinderungen weiterhin mit 30 festgestellt worden war, teilweise abgeholfen. Dieser Entscheidung lag die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 15. Dezember 1999 zugrunde.
Am 03. Februar 2003 beantragte die Klägerin erneut die Erhöhung des GdB sowie des Weiteren die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich G. Sie machte geltend, sämtliche Behinderungen hätten sich verschlimmert und eine Polyarthrose sei neu aufgetreten. Das VA erhob den Befundschein des Arztes für Orthopädie Dr. S. vom 13. Februar 2003, der weitere Befundunterlagen beifügte. In der sodann eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 05. April 2003 bewertete Dr. S. den GdB mit 40 und bezeichnete die Behinderungen wie folgt: Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden (Teil-GdB 30), Knorpelschäden an beiden Kniegelenken, Polyarthrose (Teil-GdB 20), Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenks, Funktionsbehinderung des rechten Handgelenks, Mittelnervendruckschädigung (Teil-GdB 10). Mit Bescheid vom 16. April 2003 lehnte das VA eine Erhöhung des GdB ab. Das geltend gemachte Merkzeichen sei nicht festzustellen, da die Schwerbehinderteneigenschaft nicht vorliege. Zur Begründung führte es aus, eine wesentliche Änderung der Verhältnisse sei insofern eingetreten, als sich der Gesundheitszustand der Klägerin wesentlich verschlechtert habe; es sei deshalb eine den neuen Verhältnissen entsprechende Feststellung zu treffen. Die Neubezeichnung habe auf den GdB keinen Einfluss. Hierfür sei weiterhin nur die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigungen maßgebend. Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, die festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen verstärkten sich gegenseitig, weshalb eine Addition der einzelnen Werte gerechtfertigt und damit die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft auszusprechen sei. Ungeachtet dessen rechtfertige aber der Wirbelsäulenbefund mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten einen Teil-GdB von 40 und die Knorpelschäden an beiden Kniegelenken einschließlich der Polyarthrose einen Teil-GdB von 30. Zudem seien die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Teil-GdB von 10 eindeutig zu niedrig bewertet. Das Merkzeichen G sei festzustellen, da ihr Gehvermögen nach wie vor stark limitiert sei; die Kniegelenksoperation im Juli 2002 habe im Hinblick auf die Beseitigung der erheblichen Schmerzzustände keinen nennenswerten Erfolg gebracht. Das VA holte die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. G. vom 24. Juni 2003 ein, der die getroffene Einstufung für sachgerecht erachtete und darauf hinwies, dass der Gesamt-GdB nicht durch Addition bestimmt werden könne. Mit Widerspruchsbescheid vom 02. Oktober 2003 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
Dagegen wandte sich die Klägerin mit ihrer am 09. Oktober 2003 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobenen Klage, mit der sie auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren verwies und weiter geltend machte, der Kniegelenkszustand habe sich erneut verschlimmert. Die Zuerkennung des Merkzeichens G erfordere die Schwerbehinderteneigenschaft dann nicht, wenn - wie bei ihr - Behinderungen vorlägen, die sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirkten. Das im Mai 2005 implantierte künstliche Kniegelenk rechtfertige die Schwerbehinderteneigenschaft aber bereits deshalb, weil nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht, Stand 2004 (AHP) hierfür bereits ein Teil-GdB von 30 vorgesehen sei. Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage seiner Verwaltungsakten und der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. K. vom 21. Juni 2004 mit der Begründung entgegen, die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin rechtfertigten keinen GdB von mehr als 40. Das SG hörte den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. unter dem 13. Februar 2004 sowie den Facharzt für Innere Medizin Dr. R. und Dr. S. jeweils unter dem 10. März 2004 schriftlich als sachverständige Zeugen. Gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erhob es ferner das nervenärztliche Gutachten des Dr. H., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 01. August 2005, der auf seinem Fachgebiet keine Gesundheitsstörungen beschrieb, die einen GdB begründeten. Das SG zog den Arztbrief der Chirurgischen Klinik im Krankenhaus M. vom 30. Mai 2005 über die stationäre Behandlung der Klägerin vom 16. bis 31. Mai 2005 (Implantation einer Oberflächen-Ersatzprothese am rechten Kniegelenk bicondylär, ungekoppelt, ohne Patellarückflächenersatz) sowie den Abschlussbericht der W.klinik D. vom 21. Juli 2005 über die vom 31. Mai bis 21. Juni 2005 durchgeführte stationäre Rehabilitationsmaßnahme bei und erhob auf den weiteren Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG das orthopädisch-rheumatologisch-sozialmedizinische Gutachten des Priv.-Doz. Dr. R., Chefarzt der Abteilung Orthopädie-Rheumatologie in den St. R. Kliniken B. S., vom 22. Mai 2006. Dieser Sachverständige gelangte zu einem Gesamt-GdB von 40, wobei er Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule mit geringen schmerzhaften Bewegungseinschränkungen und geringen Störungen der freien Kraftentfaltung der Muskulatur mit einem Teil-GdB von 20, geringe, wechselhafte schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der linken Schulter, an beiden Händen geringe Kraftminderung und gering eingeschränkter Faustschluss rechts bei Polyarthrose mit einem Teil-GdB von 10 und das künstliche Gelenk am rechten Knie mit geringer bis mäßiger Funktionseinschränkung bei geringer Arthrose ohne wesentliche Funktionsstörung am linken Knie mit einem Teil-GdB von 20 bewertete. Im Übrigen sah er die Klägerin als fähig an, im Ortsverkehr Wegstrecken von zwei km in einer halben Stunde zurückzulegen, ohne sich oder andere zu gefährden. Mit Urteil vom 19. September 2006 wies das SG die Klage gestützt auf die erhobenen Gutachten mit der Begründung ab, bei den zugrunde zu legenden Einzelgraden der Behinderung von 20, 20 und 10 rechtfertige sich kein höherer Gesamt-GdB als 40. Da die Klägerin damit nicht schwerbehindert sei, die Zuerkennung des Merkzeichens G jedoch das Bestehen einer Schwerbehinderung voraussetze, sei die Entscheidung der Beklagten auch insoweit nicht zu beanstanden. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des dem Bevollmächtigten der Klägerin am 02. Oktober 2006 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Urteils verwiesen.
Dagegen richtet sich die am 02. November 2006 beim Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung der Klägerin, mit der sie geltend macht, das SG habe die Funktionsbeeinträchtigung im Bereich des rechten Kniegelenks ebenso wie der Sachverständige Priv.-Doz. Dr. R. zu Unrecht lediglich mit einem Teil-GdB von 20 und nicht wie geltend gemacht mit einem solchen von 30 bewertet. Nach den AHP sei der GdB bei Endoprothesen der Gelenke abhängig von der verbliebenen Bewegungseinschränkung und Belastbarkeit mindestens mit 30 zu bewerten, wobei dieser Teil-GdB angesichts des Kniegelenksbefunds links sogar noch zu erhöhen sein werde. Dadurch sei der Gesamt-GdB zwangsläufig auf 50 anzuheben. Eine angemessene und ausreichende Berücksichtigung der beiderseitigen Kniegelenksproblematik rechtfertige auch die Zuerkennung des beantragten Merkzeichens. Da an der Zuverlässigkeit des Sachverständigen Priv.-Doz. Dr. R. wegen seiner Fehlinterpretation des Kniegelenksbefundes vor dem Hintergrund der AHP erhebliche Zweifel bestünden, sei die Einholung eines weiteren orthopädischen Gutachtens nach § 106 SGG, hilfsweise nach § 109 SGG notwendig.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19. September 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 16. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02. Oktober 2003 zu verurteilen, den GdB mit 50 festzustellen sowie das Merkzeichen G anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochten Entscheidung für richtig und verweist darauf, dass es sich bei der prothetischen Versorgung der Klägerin nicht um eine Totalendoprothese im Sinne der AHP, sondern um einen so genannten Gleitflächenersatz handle, der in Umfang und Auswirkung nicht mit einer Kniegelenksendoprothese zu vergleichen und daher auch nicht analog zu bewerten sei. Er hat die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. G. vom 14. Dezember 2006 vorgelegt.
Die Berichterstatterin des Senats hat die Beteiligten mit Schreiben vom 20. März 2007 darauf hingewiesen, dass der Senat erwäge, über die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Die Beteiligten haben sich hierzu nicht geäußert.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.
II.
Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens gemäß § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden hat, ist statthaft und zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 16. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02. Oktober 2003 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Bei ihr ist weder die Schwerbehinderteneigenschaft festzustellen noch das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich G. Denn die Funktionsbehinderungen der Klägerin haben sich im Vergleich zu dem Zustand, wie er dem Widerspruchsbescheid vom 04. Februar 2000 zugrunde gelegen hat, nicht derart verschlechtert, dass diese nunmehr mit einem GdB von 50 zu bewerten sind. Auch rechtfertigen die entsprechenden Auswirkungen nicht die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs G.
Das SG hat die rechtlichen Grundlagen für die Feststellung und Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen nach dem SGB IX im Einzelnen dargelegt, weshalb zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die entsprechenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung verwiesen wird. Ergänzend ist darzulegen, dass Rechtsgrundlage für die von der Klägerin geltend gemachte Neufeststellung § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) ist, wonach ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dessen Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. In diesem Sinne ist als wesentlich eine Änderung dann anzusehen, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. In diesem Fall ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, ist durch einen Vergleich des Zustandes zu ermitteln, wie er bei der bindenden Feststellung einerseits und der angefochtenen Neufeststellung andererseits - im Fall der Anfechtung durch Klage und Berufung im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. die Entscheidung gemäß § 153 Abs. 4 SGG - vorgelegen hat.
Vorliegend war demnach zu prüfen, ob sich im Gesundheitszustand der Klägerin bzw. den hieraus resultierenden Funktionsstörungen, wie sie noch dem Widerspruchsbescheid vom 04. Februar 2000 zugrunde gelegen haben, eine wesentliche Verschlimmerung feststellen lässt, die es rechtfertigt, anstelle des bisherigen GdB von 40 nunmehr einen solchen von 50 festzustellen. Dies hat das SG im Ergebnis zu Recht verneint, indem es festgestellt hat, dass die Funktionsstörungen von seiten der Wirbelsäule, der Kniegelenke sowie der rechten Schulter und der Handgelenke relativ gering sind und es nicht rechtfertigen, die jeweils zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze zu erhöhen. Mithin ist auch eine Erhöhung des Gesamt-GdB nicht gerechtfertigt. Auch die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs G hat das SG vor diesem Hintergrund mit zutreffender Begründung verneint.
Soweit die Klägerin ihr Berufungsbegehren darauf stützt, die Funktionseinschränkung im Bereich des rechten Knies sei bedingt durch die Implantation eines künstlichen Kniegelenks unter Zugrundelegung der AHP jedenfalls mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten, wodurch einerseits im Zusammenspiel mit dem Zustand des linken Knies und andererseits im Hinblick auf die Bemessung des Gesamt-GdB die Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft gerechtfertigt sei, ist darauf hinzuweisen, dass bei der Kläger anders als in den AHP vorausgesetzt keine Totalendoprothese implantiert wurde, sondern wie im Arztbrief der Chirurgischen Klinik im Krankenhaus M. vom 30. Mai 2005 dokumentiert lediglich eine Oberflächen-Ersatzprothese ohne Patellarückflächenersatz, was im Allgemeinen mit geringfügigeren Beeinträchtigungen einhergeht, als bei Implantation einer Totalendoprothese. Entsprechend ist auch nicht zu beanstanden, dass sowohl der Sachverständige Priv.-Doz. Dr. R. als auch der Beklagte und ihnen folgend das SG davon ausgegangen sind, dass in einem günstigen Fall, wie er vorliegend bei der Klägerin anzunehmen ist (keine wesentlichen Reizerscheinungen sowie ausreichende Beweglichkeit) ein GdB von 20 angemessen erscheint und der nach den AHP bei Implantation einer Totalendoprothese zugrunde zu legende GdB von 30 sich bei dem vorliegend zu bewertenden Zustand als überhöht darstellt.
Die Funktionsstörungen im Bereich der Kniegelenke sind auch nicht wegen des Zustandes im Bereich des linken Knies mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten. Denn durch den Umstand, dass der Sachverständige insoweit lediglich eine geringe Arthrose ohne wesentliche Funktionsstörung erhoben hat, rechtfertigt sich diesbezüglich keine Erhöhung des Teil-GdB auf 30, sodass sich eine Erhöhung des Gesamt-GdB auf 50 auch nicht aus der Kniegelenkssituation ableiten lässt.
Nach alledem konnte die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für eine Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei der Klägerin im Sinne des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) der Grad der Behinderung (GdB) wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse nunmehr mit 50 festzustellen ist und ob sie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleichs "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) erfüllt.
Bei der 1944 geborenen Klägerin stellte das Landesversorgungsamt Baden-Württemberg zuletzt mit Widerspruchsbescheid vom 04. Februar 2000 wegen degenerativen Wirbelsäulenveränderungen und Folgeerscheinungen, Bandscheibenschaden L4/L5 (Teil-GdB 30), Retropatellararthrose (Teil-GdB 20) sowie Restbeschwerden nach Operation an rechter Schulter und rechtem Handgelenk, Karpaltunnelsyndrom linkes Handgelenk (Teil-GdB 10) einen GdB von 40 seit Februar 1999 fest. Damit hatte es dem Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid des Versorgungsamts Stuttgart (VA) vom 19. August 1999, mit dem der GdB auf ihren Neufeststellungsantrag unter Neubezeichnung der Behinderungen weiterhin mit 30 festgestellt worden war, teilweise abgeholfen. Dieser Entscheidung lag die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 15. Dezember 1999 zugrunde.
Am 03. Februar 2003 beantragte die Klägerin erneut die Erhöhung des GdB sowie des Weiteren die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich G. Sie machte geltend, sämtliche Behinderungen hätten sich verschlimmert und eine Polyarthrose sei neu aufgetreten. Das VA erhob den Befundschein des Arztes für Orthopädie Dr. S. vom 13. Februar 2003, der weitere Befundunterlagen beifügte. In der sodann eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 05. April 2003 bewertete Dr. S. den GdB mit 40 und bezeichnete die Behinderungen wie folgt: Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden (Teil-GdB 30), Knorpelschäden an beiden Kniegelenken, Polyarthrose (Teil-GdB 20), Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenks, Funktionsbehinderung des rechten Handgelenks, Mittelnervendruckschädigung (Teil-GdB 10). Mit Bescheid vom 16. April 2003 lehnte das VA eine Erhöhung des GdB ab. Das geltend gemachte Merkzeichen sei nicht festzustellen, da die Schwerbehinderteneigenschaft nicht vorliege. Zur Begründung führte es aus, eine wesentliche Änderung der Verhältnisse sei insofern eingetreten, als sich der Gesundheitszustand der Klägerin wesentlich verschlechtert habe; es sei deshalb eine den neuen Verhältnissen entsprechende Feststellung zu treffen. Die Neubezeichnung habe auf den GdB keinen Einfluss. Hierfür sei weiterhin nur die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigungen maßgebend. Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, die festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen verstärkten sich gegenseitig, weshalb eine Addition der einzelnen Werte gerechtfertigt und damit die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft auszusprechen sei. Ungeachtet dessen rechtfertige aber der Wirbelsäulenbefund mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten einen Teil-GdB von 40 und die Knorpelschäden an beiden Kniegelenken einschließlich der Polyarthrose einen Teil-GdB von 30. Zudem seien die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Teil-GdB von 10 eindeutig zu niedrig bewertet. Das Merkzeichen G sei festzustellen, da ihr Gehvermögen nach wie vor stark limitiert sei; die Kniegelenksoperation im Juli 2002 habe im Hinblick auf die Beseitigung der erheblichen Schmerzzustände keinen nennenswerten Erfolg gebracht. Das VA holte die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. G. vom 24. Juni 2003 ein, der die getroffene Einstufung für sachgerecht erachtete und darauf hinwies, dass der Gesamt-GdB nicht durch Addition bestimmt werden könne. Mit Widerspruchsbescheid vom 02. Oktober 2003 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
Dagegen wandte sich die Klägerin mit ihrer am 09. Oktober 2003 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobenen Klage, mit der sie auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren verwies und weiter geltend machte, der Kniegelenkszustand habe sich erneut verschlimmert. Die Zuerkennung des Merkzeichens G erfordere die Schwerbehinderteneigenschaft dann nicht, wenn - wie bei ihr - Behinderungen vorlägen, die sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirkten. Das im Mai 2005 implantierte künstliche Kniegelenk rechtfertige die Schwerbehinderteneigenschaft aber bereits deshalb, weil nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht, Stand 2004 (AHP) hierfür bereits ein Teil-GdB von 30 vorgesehen sei. Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage seiner Verwaltungsakten und der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. K. vom 21. Juni 2004 mit der Begründung entgegen, die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin rechtfertigten keinen GdB von mehr als 40. Das SG hörte den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. unter dem 13. Februar 2004 sowie den Facharzt für Innere Medizin Dr. R. und Dr. S. jeweils unter dem 10. März 2004 schriftlich als sachverständige Zeugen. Gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erhob es ferner das nervenärztliche Gutachten des Dr. H., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 01. August 2005, der auf seinem Fachgebiet keine Gesundheitsstörungen beschrieb, die einen GdB begründeten. Das SG zog den Arztbrief der Chirurgischen Klinik im Krankenhaus M. vom 30. Mai 2005 über die stationäre Behandlung der Klägerin vom 16. bis 31. Mai 2005 (Implantation einer Oberflächen-Ersatzprothese am rechten Kniegelenk bicondylär, ungekoppelt, ohne Patellarückflächenersatz) sowie den Abschlussbericht der W.klinik D. vom 21. Juli 2005 über die vom 31. Mai bis 21. Juni 2005 durchgeführte stationäre Rehabilitationsmaßnahme bei und erhob auf den weiteren Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG das orthopädisch-rheumatologisch-sozialmedizinische Gutachten des Priv.-Doz. Dr. R., Chefarzt der Abteilung Orthopädie-Rheumatologie in den St. R. Kliniken B. S., vom 22. Mai 2006. Dieser Sachverständige gelangte zu einem Gesamt-GdB von 40, wobei er Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule mit geringen schmerzhaften Bewegungseinschränkungen und geringen Störungen der freien Kraftentfaltung der Muskulatur mit einem Teil-GdB von 20, geringe, wechselhafte schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der linken Schulter, an beiden Händen geringe Kraftminderung und gering eingeschränkter Faustschluss rechts bei Polyarthrose mit einem Teil-GdB von 10 und das künstliche Gelenk am rechten Knie mit geringer bis mäßiger Funktionseinschränkung bei geringer Arthrose ohne wesentliche Funktionsstörung am linken Knie mit einem Teil-GdB von 20 bewertete. Im Übrigen sah er die Klägerin als fähig an, im Ortsverkehr Wegstrecken von zwei km in einer halben Stunde zurückzulegen, ohne sich oder andere zu gefährden. Mit Urteil vom 19. September 2006 wies das SG die Klage gestützt auf die erhobenen Gutachten mit der Begründung ab, bei den zugrunde zu legenden Einzelgraden der Behinderung von 20, 20 und 10 rechtfertige sich kein höherer Gesamt-GdB als 40. Da die Klägerin damit nicht schwerbehindert sei, die Zuerkennung des Merkzeichens G jedoch das Bestehen einer Schwerbehinderung voraussetze, sei die Entscheidung der Beklagten auch insoweit nicht zu beanstanden. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des dem Bevollmächtigten der Klägerin am 02. Oktober 2006 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Urteils verwiesen.
Dagegen richtet sich die am 02. November 2006 beim Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung der Klägerin, mit der sie geltend macht, das SG habe die Funktionsbeeinträchtigung im Bereich des rechten Kniegelenks ebenso wie der Sachverständige Priv.-Doz. Dr. R. zu Unrecht lediglich mit einem Teil-GdB von 20 und nicht wie geltend gemacht mit einem solchen von 30 bewertet. Nach den AHP sei der GdB bei Endoprothesen der Gelenke abhängig von der verbliebenen Bewegungseinschränkung und Belastbarkeit mindestens mit 30 zu bewerten, wobei dieser Teil-GdB angesichts des Kniegelenksbefunds links sogar noch zu erhöhen sein werde. Dadurch sei der Gesamt-GdB zwangsläufig auf 50 anzuheben. Eine angemessene und ausreichende Berücksichtigung der beiderseitigen Kniegelenksproblematik rechtfertige auch die Zuerkennung des beantragten Merkzeichens. Da an der Zuverlässigkeit des Sachverständigen Priv.-Doz. Dr. R. wegen seiner Fehlinterpretation des Kniegelenksbefundes vor dem Hintergrund der AHP erhebliche Zweifel bestünden, sei die Einholung eines weiteren orthopädischen Gutachtens nach § 106 SGG, hilfsweise nach § 109 SGG notwendig.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19. September 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 16. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02. Oktober 2003 zu verurteilen, den GdB mit 50 festzustellen sowie das Merkzeichen G anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochten Entscheidung für richtig und verweist darauf, dass es sich bei der prothetischen Versorgung der Klägerin nicht um eine Totalendoprothese im Sinne der AHP, sondern um einen so genannten Gleitflächenersatz handle, der in Umfang und Auswirkung nicht mit einer Kniegelenksendoprothese zu vergleichen und daher auch nicht analog zu bewerten sei. Er hat die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. G. vom 14. Dezember 2006 vorgelegt.
Die Berichterstatterin des Senats hat die Beteiligten mit Schreiben vom 20. März 2007 darauf hingewiesen, dass der Senat erwäge, über die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Die Beteiligten haben sich hierzu nicht geäußert.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.
II.
Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens gemäß § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden hat, ist statthaft und zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 16. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02. Oktober 2003 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Bei ihr ist weder die Schwerbehinderteneigenschaft festzustellen noch das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich G. Denn die Funktionsbehinderungen der Klägerin haben sich im Vergleich zu dem Zustand, wie er dem Widerspruchsbescheid vom 04. Februar 2000 zugrunde gelegen hat, nicht derart verschlechtert, dass diese nunmehr mit einem GdB von 50 zu bewerten sind. Auch rechtfertigen die entsprechenden Auswirkungen nicht die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs G.
Das SG hat die rechtlichen Grundlagen für die Feststellung und Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen nach dem SGB IX im Einzelnen dargelegt, weshalb zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die entsprechenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung verwiesen wird. Ergänzend ist darzulegen, dass Rechtsgrundlage für die von der Klägerin geltend gemachte Neufeststellung § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) ist, wonach ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dessen Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. In diesem Sinne ist als wesentlich eine Änderung dann anzusehen, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. In diesem Fall ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, ist durch einen Vergleich des Zustandes zu ermitteln, wie er bei der bindenden Feststellung einerseits und der angefochtenen Neufeststellung andererseits - im Fall der Anfechtung durch Klage und Berufung im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. die Entscheidung gemäß § 153 Abs. 4 SGG - vorgelegen hat.
Vorliegend war demnach zu prüfen, ob sich im Gesundheitszustand der Klägerin bzw. den hieraus resultierenden Funktionsstörungen, wie sie noch dem Widerspruchsbescheid vom 04. Februar 2000 zugrunde gelegen haben, eine wesentliche Verschlimmerung feststellen lässt, die es rechtfertigt, anstelle des bisherigen GdB von 40 nunmehr einen solchen von 50 festzustellen. Dies hat das SG im Ergebnis zu Recht verneint, indem es festgestellt hat, dass die Funktionsstörungen von seiten der Wirbelsäule, der Kniegelenke sowie der rechten Schulter und der Handgelenke relativ gering sind und es nicht rechtfertigen, die jeweils zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze zu erhöhen. Mithin ist auch eine Erhöhung des Gesamt-GdB nicht gerechtfertigt. Auch die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs G hat das SG vor diesem Hintergrund mit zutreffender Begründung verneint.
Soweit die Klägerin ihr Berufungsbegehren darauf stützt, die Funktionseinschränkung im Bereich des rechten Knies sei bedingt durch die Implantation eines künstlichen Kniegelenks unter Zugrundelegung der AHP jedenfalls mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten, wodurch einerseits im Zusammenspiel mit dem Zustand des linken Knies und andererseits im Hinblick auf die Bemessung des Gesamt-GdB die Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft gerechtfertigt sei, ist darauf hinzuweisen, dass bei der Kläger anders als in den AHP vorausgesetzt keine Totalendoprothese implantiert wurde, sondern wie im Arztbrief der Chirurgischen Klinik im Krankenhaus M. vom 30. Mai 2005 dokumentiert lediglich eine Oberflächen-Ersatzprothese ohne Patellarückflächenersatz, was im Allgemeinen mit geringfügigeren Beeinträchtigungen einhergeht, als bei Implantation einer Totalendoprothese. Entsprechend ist auch nicht zu beanstanden, dass sowohl der Sachverständige Priv.-Doz. Dr. R. als auch der Beklagte und ihnen folgend das SG davon ausgegangen sind, dass in einem günstigen Fall, wie er vorliegend bei der Klägerin anzunehmen ist (keine wesentlichen Reizerscheinungen sowie ausreichende Beweglichkeit) ein GdB von 20 angemessen erscheint und der nach den AHP bei Implantation einer Totalendoprothese zugrunde zu legende GdB von 30 sich bei dem vorliegend zu bewertenden Zustand als überhöht darstellt.
Die Funktionsstörungen im Bereich der Kniegelenke sind auch nicht wegen des Zustandes im Bereich des linken Knies mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten. Denn durch den Umstand, dass der Sachverständige insoweit lediglich eine geringe Arthrose ohne wesentliche Funktionsstörung erhoben hat, rechtfertigt sich diesbezüglich keine Erhöhung des Teil-GdB auf 30, sodass sich eine Erhöhung des Gesamt-GdB auf 50 auch nicht aus der Kniegelenkssituation ableiten lässt.
Nach alledem konnte die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für eine Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
Rechtskraft
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