Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 910/06
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 35/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat der Beklagten die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten und die Gerichtskosten zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um eine sachlich-rechnerische Berichtigung im Quartal II/05 und hierbei um die Absetzung von 117 Leistungen nach Nr. 03005 EBM 2005 für im Notdienst erbrachte Behandlungen.
Der Kläger war im streitbefangenen Quartal nicht als Vertragsarzt zugelassen. Er führte eine Privatpraxis. Im streitbefangenen Quartal nahm er aber am Notdienst der Beklagten teil.
Mit Honorarbescheid vom 22.01.2006 setzte die Beklagte für das Quartal II/05 das Nettohonorar des Klägers auf 6.657,98 EUR fest. In 117 eingereichten Behandlungsfällen im ärztlichen Notfalldienst setzte sie die geltend gemachte Abrechnung der Nr. 03005 EBM 2005 ab.
Unter Datum vom 24.02.2006 legte der Kläger gegen die Absetzung der Nr. 03005 EBM 2005 Widerspruch ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.2006, dem Kläger am 25.07. zugegangen, wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, die ursprüngliche Beschränkung von Leistungen im Notfalldienst auf Abschnitt 3 des EBM 2005 habe der Bewertungsausschuss zum 01.04.2005 dahingehend abgeändert, dass Leistungen nur abrechnungsfähig seien, die in unmittelbarem diagnostischen oder therapeutischen Zusammenhang mit der Notfallversorgung stünden. Der Arbeitsausschuss des Bewertungsausschusses habe in seiner 270. Sitzung den Interpretationsbeschluss Nr. 64 mit Wirkung ab dem 01.04.2005 gefasst, der besage, dass die Leistung der Nr. 03005 neben anderen Leistungen im Rahmen der Erbringung im Notfall und organisierten Not(fall)dienst nicht berechnungsfähig sei. Der Interpretationsbeschluss erläutere die von dem Bewertungsausschuss beschlossenen Vorgaben. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei der Arbeitsausschuss ermächtigt, über Auslegungsfragen zum EBM verbindlich zu beschließen und insbesondere die Entscheidungen des Bewertungsausschusses zu EBM-Leistungsbeschreibungen zu interpretieren. Der Interpretationsbeschluss sei dann durch Beschluss des Bewertungsausschusses in dessen 101. Sitzung mit Wirkung zum 01.07.2005 in den EBM aufgenommen worden und zwar durch Aufnahme einer weiteren Bestimmung (laufende Nr. 2) nach der Überschrift "1.2 Leistungen im Notfall und organisierten ärztlichen Not(fall)dienst" des Abschnitts II.1 (Arztgruppen übergreifende allgemeine Leistungen, allgemeine Leistungen). Die Streichung der Nr. 03005 EBM 2005 sei daher nicht zu beanstanden.
Hiergegen hat der Kläger am 22.08.2006 die Klage erhoben. Zur Klagebegründung trägt er vor, die Legende der Nr. 03005 EBM 2005 laute: "Pauschale für die versorgungsbereichsspezifische Bereitschaft, einmal im Behandlungsfall (kurativ – ambulant)". Es handele sich um die sog. versorgungsbereichsspezifische Bereitschaftspauschale, die den Mehraufwand abdecken solle, die dem Arzt durch den ärztlichen Notfall- bzw. Bereitschaftsdienst entstehe. Dies komme gerade dadurch zum Ausdruck, dass diese mit 320 Punkten bewertete Bereitschaftsdienstpauschale ausschließlich den hausärztlichen bzw. in Form der Nr. 04005 EBM 2005 dem kinder- und jugendmedizinischen Bereich zugeordnet sei, also Bereichen, die typischerweise mit regelmäßigem ärztlichen Bereitschaftsdienst konfrontiert seien. Diese Leistung stehe auch in dem vom Bewertungsausschuss in seiner 99. Sitzung geforderten unmittelbaren diagnostischen und therapeutischen Zusammenhang der Notfallversorgung, damit ihr gerade der Mehraufwand in diesem Bereich vergütet werden solle. Bei dem Beschluss des Arbeitsausschusses handele es sich nicht um einen Interpretationsbeschluss, sondern um eine Abänderung der Vorgaben des Bewertungsausschusses. Dazu sei der Arbeitsausschuss nicht befugt. Aber selbst wenn man dem Interpretationsbeschluss Nr. 64 des Arbeitsausschusses eine regelnde Außenwirkung auf die der Norm unterworfenen Ärzte zubillige, so sei dieser gleichwohl für das zweite Quartal 2005 unwirksam. Die Bekanntmachung des Beschlusses sei erst am 17.06.2005 in einer Beilage zu Heft 24 des Deutschen Ärzteblattes auf Seite A 1771 erfolgt. Der Beschluss entfalte insofern Rückwirkung, was verfassungs- und rechtswidrig sei. Zwingende Gründe des allgemeinen Wohls, die es hätten geboten erscheinen lassen, die Vergütung der Leistungsposition im Notfalldienst nicht zuzulassen, seien nicht erkennbar.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Honorarbescheides vom 22.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2006 für das Quartal II/05 die Beklagte zu verpflichten, die Nr. 03005 EBM 2005 in den 117 abgerechneten Behandlungsfällen jeweils einmal zu vergüten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, die mit der versorgungsspezifischen Pauschale abgegoltenen durchschnittlichen Kosten der Hausarztpraxis für die Koordinations- und Betreuungsleistungen seien mit einem ausschließlichen Arzt-Patientenkontakt im Notfall nicht vergleichbar.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 07.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.10.2006 ist jedenfalls insoweit rechtmäßig, als darin die Beklagte die Leistungen nach Nr. 03005 EBM 2005 117 mal abgesetzt hat. Er war daher nicht aufzuheben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Vergütung der abgesetzten Nr. 03005 EBM 2005.
Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung vertragsärztlichen Honorars ist § 85 Abs. 4 Satz 1 bis 3 SGB V. Danach steht jedem Vertragsarzt ein Anspruch auf Teilhabe an den von den Krankenkassen entrichteten Gesamtvergütungen entsprechend der Art und dem Umfang der von ihm erbrachten - abrechnungsfähigen - Leistungen nach Maßgabe der Verteilungsregelungen im HVM zu. Soweit der Kläger als nichtzugelassener Arzt Notfalldienstleistungen erbringt, handelt es sich um vertragsärztliche Leistungen, für die die allgemeinen Honorarregelungen gelten.
Die in Notfällen von Nichtvertragsärzten und Krankenhäusern erbrachten Notfallleistungen gelten, was das Bundessozialgericht aus dem Zusammenhang der Vorschriften über die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung auch außerhalb der Sprechstundenzeiten (vgl. § 75 Abs. 1 Satz 2 SGB V) und des erweiterten Wahlrechts des Versicherten (vgl. § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V) herleitet, als im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung durchgeführt und sind aus der Gesamtvergütung (vgl. § 85 Abs. 1 SGB V) zu honorieren (vgl. BSG, Urt. v. 24.09.2003 – B 6 KA 51/02 R – SozR 4-2500 § 75 Nr. 2, zitiert nach juris Rdnr. 13; BSG, Urt. v. 19.08.1992 – 6 RKa 6/91 – BSGE 71, 117 = SozR 3-2500 § 120 Nr. 2, juris Rdnr. 14 ff.). Gleichermaßen erfasst wird die Tätigkeit von Privatärzten im organisierten Notdienst (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 03.11.1998 – 9 S 3399/96 – MedR 1999, 228, 230).
Das Nähere zu Inhalt und Umfang der abrechnungsfähigen Leistungen ist im EBM bestimmt, an dessen Vorgaben die Beklagte und die entsprechenden Vertragspartner bei der Ausgestaltung ihrer Honorarverteilung gebunden sind.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die strittige Vergütung nach Nr. 03005 EBM 2005.
Für die Auslegung der vertragsärztlichen Vergütungsregelungen ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, von der abzuweichen die Kammer keine Veranlassung sieht, in erster Linie der Wortlaut der Bestimmungen maßgeblich. Soweit der Wortlaut einer Vergütungsregelung zweifelhaft ist und es seiner Klarstellung dient, kann eine systematische Interpretation i. S. einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Gebührenregelungen erfolgen. Hingegen kommt eine entstehungsgeschichtliche Auslegung unklarer oder mehrdeutiger Regelungen nur in Betracht, wenn Dokumente vorliegen, in denen die Urheber der Bestimmungen diese in der Zeit ihrer Entstehung selbst erläutert haben. Diese einschränkenden Vorgaben für eine gerichtliche Auslegung der Vergütungstatbestände des EBM beruhen auf der vertraglichen Struktur der Vergütungsregelung und der Art ihres Zustandekommens im Wege der Normsetzung durch Vertrag im Rahmen der funktionalen Selbstverwaltung der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Krankenkassen und die KVen. Die Verpflichtung der Gerichte zur Respektierung des Regelungsspielraums der Vertragspartner korrespondiert allerdings mit deren Verpflichtung, unklare Regelungen der Gebührenordnungen alsbald zu präzisieren und änderungsbedürftige selbst zu korrigieren. Der Bewertungsausschuss hat zur Erfüllung seines Auftrags einer Beseitigung von Unklarheiten, die im Zusammenhang mit den von ihm getroffenen Regelungen gegebenenfalls auftreten, in seinem Beschluss vom 31. August 1995 das Instrumentarium der Interpretationsbeschlüsse des Arbeitsausschusses geschaffen. Ein lediglich vom Arbeitsausschuss des Bewertungsausschusses gefasster Interpretationsbeschluss kann allerdings der - nach den dargestellten Grundsätzen beschränkten - Auslegungsbefugnis der Gerichte keine verbindlichen Grenzen setzen. Die "Interpretationsbeschlüsse" stellen daher weder authentische Interpretationen durch den Normgeber noch vertragliche Vereinbarungen mit normativer Wirkung dar (vgl. BSG, Urt. v. 22.06.2005 - B 6 KA 80/03 R - SozR 4-2500 § 87 Nr. 10, juris Rdnr. 22-24)
Die Legende der mit 320 Punkten bewerteten Nr. 03005 EBM 2005 lautet: "Pauschale für die versorgungsbereichsspezifische Bereitschaft, einmal im Behandlungsfall (kurativ – ambulant)". Mit dieser sog. versorgungsbereichsspezifischen Bereitschaftspauschale soll der Mehraufwand abgedeckt werden, der dem Arzt durch den ärztlichen Notfall- bzw. Bereitschaftsdienst entsteht. Sie ist ausschließlich dem kinder- und jugendmedizinischen Bereich zugeordnet, also Bereichen, die typischerweise mit regelmäßigem ärztlichen Bereitschaftsdienst konfrontiert sind. Es handelt sich um eine Pauschalabgeltung für jeden regulären Behandlungsfall, die unabhängig von einer Notfallbehandlung anfällt. Behandlungsfälle, die lediglich im Rahmen eines Notfalls behandelt werden, fallen hierunter nicht.
Soweit der Begriff "Behandlungsfall" im EBM 2005 über die Verweisung nach Nr. 3.1 der Allgemeinen Bestimmungen durch § 21 Abs. 1 BMV-Ä bzw. § 25 Abs. 1 EKV definiert wird, folgt noch nicht zwingend eine Unterscheidung zwischen regulärem Behandlungsfall und Notdienstfall. Nach Nr. 1.2 "Leistungen im Notfall und im organisierten ärztlichen Notfalldienst" des Abschnitts II (Arztgruppenübergreifende allgemeine Leistungen) EBM 2005 sind aber neben Leistungen dieses Abschnitts Leistungen aus dem Bereich III des EBM (arztgruppenspezifische Leistungen) nur – nach Änderung durch Beschluss des Bewertungsausschusses in der 99. Sitzung unter Nr. 1 mit Wirkung 01.04.2005 (vgl. www.kbv.de) – abrechnungsfähig, "die in unmittelbarem diagnostischen und therapeutischen Zusammenhang mit der Notfallversorgung stehen". Der EBM 2005 gibt damit abschließend vor, welche Leistungen im Notdienst abgerechnet werden können und gibt hierfür im Wesentlichen mit den Nr. 01210 "Ordinationskomplex im organisierten Not(fall)dienst", 01215 "Konsultationskomplex im organisierten Notfalldienst" und 01218 EBM 2005 "Notfallbehandlung von nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten, Instituten und Krankenhäusern" Komplexziffern vor. Nr. 1.2 des Abschnitts II EBM 2005 schließt damit zwar nach der Änderung nicht mehr ausdrücklich einen Rückgriff auf die Leistungen des Abschnitts III EBM 2005, zu denen auch die hier strittige Leistung nach Nr. 03005 EBM 2005 gehört, aus, begrenzt die Leistungen aber auf solche, die in unmittelbarem diagnostischen und therapeutischen Zusammenhang mit der Notfallversorgung stehen. Die hier strittige versorgungsbereichsspezifische Pauschale gehört offensichtlich hierzu nicht.
Insofern wird durch die eindeutige Systematik eine abrechnungstechnische Unterscheidung zwischen regulärem Behandlungsfall und Notdienstfall bestätigt. Entsprechend bestimmt Satz 5 der Nr. 4.2 der Allgemeinen Bestimmungen EBM 2005, dass bei einer in demselben Behandlungsfall erfolgten Berechnung der Leistung nach Nr. 01210 (Ordinationskomplex im organisierten Notfalldienst) für die gleichzeitige Berechnung des Ordinationskomplexes mindestens ein weiterer persönlicher kurativer Arzt-Patienten-Kontakt außerhalb der Notfallbehandlung bzw. außerhalb des organisierten ärztlichen Notdienstes notwendig ist. Der Mehraufwand, der dem Arzt durch den ärztlichen Notfall- bzw. Bereitschaftsdienst entsteht und der mit sog. versorgungsbereichsspezifischen Bereitschaftspauschale abgedeckt werden soll, wird damit offensichtlich an der Fallzahl der regulären Behandlungsfälle gemessen und entsprechend berechnet. Maßstab ist somit der "normale" Praxisumfang ohne die Notfälle. Notfälle können nur bei einem weiteren – "normalen" - Arzt-Patienten-Kontakt zu einem Behandlungsfall werden, für den die Nr. 03005 EBM 2005 anfällt.
Soweit der Arbeitsausschuss des Bewertungsausschusses in seiner 270. Sitzung am 10.05.2005 den Interpretationsbeschluss Nr. 64 mit Wirkung ab dem 01.04.2005 gefasst hat, der besagt, dass die Leistung der Nr. 03005 neben anderen Leistungen im Rahmen der Erbringung im Notfall und organisierten Not(fall)dienst nicht berechnungsfähig ist, bestätigt er lediglich das bereits vorhandene Regelwerk und weicht von diesem nicht ab.
Soweit der Bewertungsausschuss ferner in seiner 101. Sitzung mit Wirkung zum 01.07.2007 einen gleich lautenden Zusatz beschlossen hat, reagiert er offensichtlich auf die in der Ärztepresse, von der der Kläger einige Veröffentlichungen vorgelegt hat, artikulierte Auffassung, die Nr. 03005 EBM 2005 könne auch für Notdienstfälle abgerechnet werden. Rückschlüsse auf eine andere Rechtslage zuvor können hieraus nicht gefolgert werden. Es dürfte sich vielmehr um den Versuch des Bewertungsausschusses handeln, möglichen Unsicherheiten jedenfalls für die Zukunft durch klare Regelungen zu begegnen.
Hinzu kommt, dass die Nr. 03005 EBM 2005 zum Unterabschnitt 3.2.1 EBM 2005 "Allgemeine hausärztliche Strukturleistungen" gehört. Als Strukturleistung soll sie offenbar nur niedergelassene, an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Vertragsärzten zugute kommen. Sie steht in keinem Zusammenhang mit der unmittelbaren ärztlichen Leistung im Rahmen der Notfallbehandlung und kann daher auch aus diesem Grund vom Kläger als Nichtvertragsarzt nicht abgerechnet werden.
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Kläger hat der Beklagten die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten und die Gerichtskosten zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um eine sachlich-rechnerische Berichtigung im Quartal II/05 und hierbei um die Absetzung von 117 Leistungen nach Nr. 03005 EBM 2005 für im Notdienst erbrachte Behandlungen.
Der Kläger war im streitbefangenen Quartal nicht als Vertragsarzt zugelassen. Er führte eine Privatpraxis. Im streitbefangenen Quartal nahm er aber am Notdienst der Beklagten teil.
Mit Honorarbescheid vom 22.01.2006 setzte die Beklagte für das Quartal II/05 das Nettohonorar des Klägers auf 6.657,98 EUR fest. In 117 eingereichten Behandlungsfällen im ärztlichen Notfalldienst setzte sie die geltend gemachte Abrechnung der Nr. 03005 EBM 2005 ab.
Unter Datum vom 24.02.2006 legte der Kläger gegen die Absetzung der Nr. 03005 EBM 2005 Widerspruch ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.2006, dem Kläger am 25.07. zugegangen, wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, die ursprüngliche Beschränkung von Leistungen im Notfalldienst auf Abschnitt 3 des EBM 2005 habe der Bewertungsausschuss zum 01.04.2005 dahingehend abgeändert, dass Leistungen nur abrechnungsfähig seien, die in unmittelbarem diagnostischen oder therapeutischen Zusammenhang mit der Notfallversorgung stünden. Der Arbeitsausschuss des Bewertungsausschusses habe in seiner 270. Sitzung den Interpretationsbeschluss Nr. 64 mit Wirkung ab dem 01.04.2005 gefasst, der besage, dass die Leistung der Nr. 03005 neben anderen Leistungen im Rahmen der Erbringung im Notfall und organisierten Not(fall)dienst nicht berechnungsfähig sei. Der Interpretationsbeschluss erläutere die von dem Bewertungsausschuss beschlossenen Vorgaben. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei der Arbeitsausschuss ermächtigt, über Auslegungsfragen zum EBM verbindlich zu beschließen und insbesondere die Entscheidungen des Bewertungsausschusses zu EBM-Leistungsbeschreibungen zu interpretieren. Der Interpretationsbeschluss sei dann durch Beschluss des Bewertungsausschusses in dessen 101. Sitzung mit Wirkung zum 01.07.2005 in den EBM aufgenommen worden und zwar durch Aufnahme einer weiteren Bestimmung (laufende Nr. 2) nach der Überschrift "1.2 Leistungen im Notfall und organisierten ärztlichen Not(fall)dienst" des Abschnitts II.1 (Arztgruppen übergreifende allgemeine Leistungen, allgemeine Leistungen). Die Streichung der Nr. 03005 EBM 2005 sei daher nicht zu beanstanden.
Hiergegen hat der Kläger am 22.08.2006 die Klage erhoben. Zur Klagebegründung trägt er vor, die Legende der Nr. 03005 EBM 2005 laute: "Pauschale für die versorgungsbereichsspezifische Bereitschaft, einmal im Behandlungsfall (kurativ – ambulant)". Es handele sich um die sog. versorgungsbereichsspezifische Bereitschaftspauschale, die den Mehraufwand abdecken solle, die dem Arzt durch den ärztlichen Notfall- bzw. Bereitschaftsdienst entstehe. Dies komme gerade dadurch zum Ausdruck, dass diese mit 320 Punkten bewertete Bereitschaftsdienstpauschale ausschließlich den hausärztlichen bzw. in Form der Nr. 04005 EBM 2005 dem kinder- und jugendmedizinischen Bereich zugeordnet sei, also Bereichen, die typischerweise mit regelmäßigem ärztlichen Bereitschaftsdienst konfrontiert seien. Diese Leistung stehe auch in dem vom Bewertungsausschuss in seiner 99. Sitzung geforderten unmittelbaren diagnostischen und therapeutischen Zusammenhang der Notfallversorgung, damit ihr gerade der Mehraufwand in diesem Bereich vergütet werden solle. Bei dem Beschluss des Arbeitsausschusses handele es sich nicht um einen Interpretationsbeschluss, sondern um eine Abänderung der Vorgaben des Bewertungsausschusses. Dazu sei der Arbeitsausschuss nicht befugt. Aber selbst wenn man dem Interpretationsbeschluss Nr. 64 des Arbeitsausschusses eine regelnde Außenwirkung auf die der Norm unterworfenen Ärzte zubillige, so sei dieser gleichwohl für das zweite Quartal 2005 unwirksam. Die Bekanntmachung des Beschlusses sei erst am 17.06.2005 in einer Beilage zu Heft 24 des Deutschen Ärzteblattes auf Seite A 1771 erfolgt. Der Beschluss entfalte insofern Rückwirkung, was verfassungs- und rechtswidrig sei. Zwingende Gründe des allgemeinen Wohls, die es hätten geboten erscheinen lassen, die Vergütung der Leistungsposition im Notfalldienst nicht zuzulassen, seien nicht erkennbar.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Honorarbescheides vom 22.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2006 für das Quartal II/05 die Beklagte zu verpflichten, die Nr. 03005 EBM 2005 in den 117 abgerechneten Behandlungsfällen jeweils einmal zu vergüten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, die mit der versorgungsspezifischen Pauschale abgegoltenen durchschnittlichen Kosten der Hausarztpraxis für die Koordinations- und Betreuungsleistungen seien mit einem ausschließlichen Arzt-Patientenkontakt im Notfall nicht vergleichbar.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 07.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.10.2006 ist jedenfalls insoweit rechtmäßig, als darin die Beklagte die Leistungen nach Nr. 03005 EBM 2005 117 mal abgesetzt hat. Er war daher nicht aufzuheben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Vergütung der abgesetzten Nr. 03005 EBM 2005.
Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung vertragsärztlichen Honorars ist § 85 Abs. 4 Satz 1 bis 3 SGB V. Danach steht jedem Vertragsarzt ein Anspruch auf Teilhabe an den von den Krankenkassen entrichteten Gesamtvergütungen entsprechend der Art und dem Umfang der von ihm erbrachten - abrechnungsfähigen - Leistungen nach Maßgabe der Verteilungsregelungen im HVM zu. Soweit der Kläger als nichtzugelassener Arzt Notfalldienstleistungen erbringt, handelt es sich um vertragsärztliche Leistungen, für die die allgemeinen Honorarregelungen gelten.
Die in Notfällen von Nichtvertragsärzten und Krankenhäusern erbrachten Notfallleistungen gelten, was das Bundessozialgericht aus dem Zusammenhang der Vorschriften über die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung auch außerhalb der Sprechstundenzeiten (vgl. § 75 Abs. 1 Satz 2 SGB V) und des erweiterten Wahlrechts des Versicherten (vgl. § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V) herleitet, als im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung durchgeführt und sind aus der Gesamtvergütung (vgl. § 85 Abs. 1 SGB V) zu honorieren (vgl. BSG, Urt. v. 24.09.2003 – B 6 KA 51/02 R – SozR 4-2500 § 75 Nr. 2, zitiert nach juris Rdnr. 13; BSG, Urt. v. 19.08.1992 – 6 RKa 6/91 – BSGE 71, 117 = SozR 3-2500 § 120 Nr. 2, juris Rdnr. 14 ff.). Gleichermaßen erfasst wird die Tätigkeit von Privatärzten im organisierten Notdienst (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 03.11.1998 – 9 S 3399/96 – MedR 1999, 228, 230).
Das Nähere zu Inhalt und Umfang der abrechnungsfähigen Leistungen ist im EBM bestimmt, an dessen Vorgaben die Beklagte und die entsprechenden Vertragspartner bei der Ausgestaltung ihrer Honorarverteilung gebunden sind.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die strittige Vergütung nach Nr. 03005 EBM 2005.
Für die Auslegung der vertragsärztlichen Vergütungsregelungen ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, von der abzuweichen die Kammer keine Veranlassung sieht, in erster Linie der Wortlaut der Bestimmungen maßgeblich. Soweit der Wortlaut einer Vergütungsregelung zweifelhaft ist und es seiner Klarstellung dient, kann eine systematische Interpretation i. S. einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Gebührenregelungen erfolgen. Hingegen kommt eine entstehungsgeschichtliche Auslegung unklarer oder mehrdeutiger Regelungen nur in Betracht, wenn Dokumente vorliegen, in denen die Urheber der Bestimmungen diese in der Zeit ihrer Entstehung selbst erläutert haben. Diese einschränkenden Vorgaben für eine gerichtliche Auslegung der Vergütungstatbestände des EBM beruhen auf der vertraglichen Struktur der Vergütungsregelung und der Art ihres Zustandekommens im Wege der Normsetzung durch Vertrag im Rahmen der funktionalen Selbstverwaltung der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Krankenkassen und die KVen. Die Verpflichtung der Gerichte zur Respektierung des Regelungsspielraums der Vertragspartner korrespondiert allerdings mit deren Verpflichtung, unklare Regelungen der Gebührenordnungen alsbald zu präzisieren und änderungsbedürftige selbst zu korrigieren. Der Bewertungsausschuss hat zur Erfüllung seines Auftrags einer Beseitigung von Unklarheiten, die im Zusammenhang mit den von ihm getroffenen Regelungen gegebenenfalls auftreten, in seinem Beschluss vom 31. August 1995 das Instrumentarium der Interpretationsbeschlüsse des Arbeitsausschusses geschaffen. Ein lediglich vom Arbeitsausschuss des Bewertungsausschusses gefasster Interpretationsbeschluss kann allerdings der - nach den dargestellten Grundsätzen beschränkten - Auslegungsbefugnis der Gerichte keine verbindlichen Grenzen setzen. Die "Interpretationsbeschlüsse" stellen daher weder authentische Interpretationen durch den Normgeber noch vertragliche Vereinbarungen mit normativer Wirkung dar (vgl. BSG, Urt. v. 22.06.2005 - B 6 KA 80/03 R - SozR 4-2500 § 87 Nr. 10, juris Rdnr. 22-24)
Die Legende der mit 320 Punkten bewerteten Nr. 03005 EBM 2005 lautet: "Pauschale für die versorgungsbereichsspezifische Bereitschaft, einmal im Behandlungsfall (kurativ – ambulant)". Mit dieser sog. versorgungsbereichsspezifischen Bereitschaftspauschale soll der Mehraufwand abgedeckt werden, der dem Arzt durch den ärztlichen Notfall- bzw. Bereitschaftsdienst entsteht. Sie ist ausschließlich dem kinder- und jugendmedizinischen Bereich zugeordnet, also Bereichen, die typischerweise mit regelmäßigem ärztlichen Bereitschaftsdienst konfrontiert sind. Es handelt sich um eine Pauschalabgeltung für jeden regulären Behandlungsfall, die unabhängig von einer Notfallbehandlung anfällt. Behandlungsfälle, die lediglich im Rahmen eines Notfalls behandelt werden, fallen hierunter nicht.
Soweit der Begriff "Behandlungsfall" im EBM 2005 über die Verweisung nach Nr. 3.1 der Allgemeinen Bestimmungen durch § 21 Abs. 1 BMV-Ä bzw. § 25 Abs. 1 EKV definiert wird, folgt noch nicht zwingend eine Unterscheidung zwischen regulärem Behandlungsfall und Notdienstfall. Nach Nr. 1.2 "Leistungen im Notfall und im organisierten ärztlichen Notfalldienst" des Abschnitts II (Arztgruppenübergreifende allgemeine Leistungen) EBM 2005 sind aber neben Leistungen dieses Abschnitts Leistungen aus dem Bereich III des EBM (arztgruppenspezifische Leistungen) nur – nach Änderung durch Beschluss des Bewertungsausschusses in der 99. Sitzung unter Nr. 1 mit Wirkung 01.04.2005 (vgl. www.kbv.de) – abrechnungsfähig, "die in unmittelbarem diagnostischen und therapeutischen Zusammenhang mit der Notfallversorgung stehen". Der EBM 2005 gibt damit abschließend vor, welche Leistungen im Notdienst abgerechnet werden können und gibt hierfür im Wesentlichen mit den Nr. 01210 "Ordinationskomplex im organisierten Not(fall)dienst", 01215 "Konsultationskomplex im organisierten Notfalldienst" und 01218 EBM 2005 "Notfallbehandlung von nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten, Instituten und Krankenhäusern" Komplexziffern vor. Nr. 1.2 des Abschnitts II EBM 2005 schließt damit zwar nach der Änderung nicht mehr ausdrücklich einen Rückgriff auf die Leistungen des Abschnitts III EBM 2005, zu denen auch die hier strittige Leistung nach Nr. 03005 EBM 2005 gehört, aus, begrenzt die Leistungen aber auf solche, die in unmittelbarem diagnostischen und therapeutischen Zusammenhang mit der Notfallversorgung stehen. Die hier strittige versorgungsbereichsspezifische Pauschale gehört offensichtlich hierzu nicht.
Insofern wird durch die eindeutige Systematik eine abrechnungstechnische Unterscheidung zwischen regulärem Behandlungsfall und Notdienstfall bestätigt. Entsprechend bestimmt Satz 5 der Nr. 4.2 der Allgemeinen Bestimmungen EBM 2005, dass bei einer in demselben Behandlungsfall erfolgten Berechnung der Leistung nach Nr. 01210 (Ordinationskomplex im organisierten Notfalldienst) für die gleichzeitige Berechnung des Ordinationskomplexes mindestens ein weiterer persönlicher kurativer Arzt-Patienten-Kontakt außerhalb der Notfallbehandlung bzw. außerhalb des organisierten ärztlichen Notdienstes notwendig ist. Der Mehraufwand, der dem Arzt durch den ärztlichen Notfall- bzw. Bereitschaftsdienst entsteht und der mit sog. versorgungsbereichsspezifischen Bereitschaftspauschale abgedeckt werden soll, wird damit offensichtlich an der Fallzahl der regulären Behandlungsfälle gemessen und entsprechend berechnet. Maßstab ist somit der "normale" Praxisumfang ohne die Notfälle. Notfälle können nur bei einem weiteren – "normalen" - Arzt-Patienten-Kontakt zu einem Behandlungsfall werden, für den die Nr. 03005 EBM 2005 anfällt.
Soweit der Arbeitsausschuss des Bewertungsausschusses in seiner 270. Sitzung am 10.05.2005 den Interpretationsbeschluss Nr. 64 mit Wirkung ab dem 01.04.2005 gefasst hat, der besagt, dass die Leistung der Nr. 03005 neben anderen Leistungen im Rahmen der Erbringung im Notfall und organisierten Not(fall)dienst nicht berechnungsfähig ist, bestätigt er lediglich das bereits vorhandene Regelwerk und weicht von diesem nicht ab.
Soweit der Bewertungsausschuss ferner in seiner 101. Sitzung mit Wirkung zum 01.07.2007 einen gleich lautenden Zusatz beschlossen hat, reagiert er offensichtlich auf die in der Ärztepresse, von der der Kläger einige Veröffentlichungen vorgelegt hat, artikulierte Auffassung, die Nr. 03005 EBM 2005 könne auch für Notdienstfälle abgerechnet werden. Rückschlüsse auf eine andere Rechtslage zuvor können hieraus nicht gefolgert werden. Es dürfte sich vielmehr um den Versuch des Bewertungsausschusses handeln, möglichen Unsicherheiten jedenfalls für die Zukunft durch klare Regelungen zu begegnen.
Hinzu kommt, dass die Nr. 03005 EBM 2005 zum Unterabschnitt 3.2.1 EBM 2005 "Allgemeine hausärztliche Strukturleistungen" gehört. Als Strukturleistung soll sie offenbar nur niedergelassene, an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Vertragsärzten zugute kommen. Sie steht in keinem Zusammenhang mit der unmittelbaren ärztlichen Leistung im Rahmen der Notfallbehandlung und kann daher auch aus diesem Grund vom Kläger als Nichtvertragsarzt nicht abgerechnet werden.
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
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