L 7 KA 249/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 71 KA 155/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 249/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Juni 2003 wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat auch die der Beklagten im Berufungsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des vertragsärztlichen Honorars im Quartal IV/1998.

Die Klägerin ist niedergelassene Vertragsärztin für Humangenetik in B.

Nach dem bis zum 30. September 1998 geltenden Honorarverteilungsmaßstab (HVM) der Beklagten wurde der Punktwert für Auftragsleistungen im Fachgruppentopf Pathologie/Zytologie, dem auch die Klägerin zugeordnet war, sowohl im Bereich der Primärkassen als auch im Bereich der Ersatzkassen auf je 6,00 DPf gestützt. Nach § 10 HVM erfolgte eine Teilung der Gesamtvergütung in einen hausärztlichen und einen fachärztlichen Teil. Der fachärztliche Teil wurde in siebzehn Teilbudgets unterteilt, u. a. nach § 10 Abs. 1 Nr. 2.16 HVM das Teilbudget Pathologie, dem nach § 10 Abs. 6 HVM die Leistungen aus den Kapiteln P I bis P III des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) sowie die entsprechenden zytologischen Untersuchungen aus den EBM-Kapiteln B IX und B X zugeordnet waren. Die Vertreterversammlung der Beklagten beschloss am 17. September 1998 die Abschaffung der Stützung zum 1. Oktober 1998 im Bereich Pathologie/Zytologie. Grund hierfür war der Anstieg der Punktanforderungen für Auftragsleistungen im Bereich Pathologie/Zytologie um 16,8 %. Die zum damaligen Zeitpunkt im Zuständigkeitsbereich der Beklagten zugelassenen sechs Humangenetiker hatten dabei seit Einführung der Fachgruppentöpfe zum Quartal I/1997 bis zum Quartal IV/1998 ihre Leistungen zu Lasten der Pathologen um das Doppelte ausgedehnt (von durchschnittlich 9,5 % auf 20,27 %). Der ab dem 1. Oktober 1998 nunmehr floatende Punktwert für die Pathologen/Zytologen betrug im Primärkassenbereich 3,238 DPf und im Ersatzkassenbereich 4,769 DPf. Bei einem eigenen Fachgruppentopf hätten die Punktwerte für humangenetische Leistungen im Quartal IV/1998 im Primärkassenbereich 1,478 DPf und im Ersatzkassenbereich 2,276 DPf betragen.

Für die im Quartal I/1998 für 281 Fälle angeforderten 4.099.220 Punkte erhielt die Klägerin eine Gutschrift von 241.584,34 DM, was einem Fallwert von 1.015,06 DM entsprach. Nach Auskunft der Beklagten erhielt die Klägerin 1998 ein Honorar von 495.022,08 EUR und 1999 von 687.682,97 EUR. Das Honorar der Pathologen betrug dagegen 1998 207.246,54 EUR und 1999 215.529,47 EUR. Das Honorar aller Fachgruppen (außer Psychotherapeuten; nur Vertragsärzte, ohne Ermächtigung) belief sich sowohl 1998 als auch 1999 auf ca. 153.000,00 EUR. Mit Honorarbescheid vom 30. Juni 1999 gewährte die Beklagte der Klägerin im Quartal IV/1998 für die für 339 Fälle angeforderten 5.847.005 Punkte eine Honorargutschrift in Höhe von 259.337,21 DM, was einem Fallwert von 960,51 DM entsprach.

Mit ihrem Widerspruch wandte sich die Klägerin gegen die Absenkung des Punktwertes bei den Primärkassen auf 3,2 Pfennige, da damit ihre Existenz gefährdet sei. Sie arbeite ausschließlich auf Auftrag und verfüge über keine Möglichkeiten, das Auftragsvolumen auszuweiten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2000 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Auf der Grundlage des § 85 Abs. 4 Satz 5 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch - SGB V - sei die Beklagte berechtigt, arztgruppenbezogene Honorarkontingente (Fachgruppentöpfe) im HVM vorzusehen. Gemäß § 10 Abs. 6 HVM in der zum 1. Oktober 1998 geltenden Fassung falle die Klägerin als Humangenetikerin in das Teilbudget Pathologie. Für den Bereich Pathologie/Zytologie seien die Punktanforderungen um 16,8 % gestiegen, so dass eine weitere Stützung zu Lasten anderer Fachgruppentöpfe nicht mehr gerechtfertigt sei. Im Rahmen ihrer Verpflichtung zur richtigen Bemessung der Fachgruppentöpfe im HVM sei ab dem Quartal IV/1999 das eigenständige Teilbudget für die Pathologen/Humangenetiker gestrichen worden und diese Leistungen seien in das Teilbudget der sonstigen Gruppen überführt worden.

Mit ihrer vor dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage trägt die Klägerin vor: Der im Quartal IV/1998 eingetretene Punktabfall sei rechtswidrig. Sie habe als Humangenetikerin - obwohl sie nicht nur auf Überweisung tätig werden könne - keinen Einfluss auf die von ihr zu erbringenden Leistungen. Die Beklagte habe im Rahmen der Honorarverteilung Beobachtungs- und Reaktionspflichten wahrzunehmen, wenn der Punktwert für die Honorierung der Leistungen einer Arztgruppe deutlich stärker abfalle als bei dem größten Teil der anderen Arztgruppen, und als Grund dafür keine von den betroffenen Leistungserbringern selbst verursachten Mengenausweitungen erkennbar seien. Diese Pflichten habe sie verletzt.

Mit Urteil vom 25. Juni 2003 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. § 85 Abs. 4 Satz 3 SGB V schließe nicht aus, dass durch Regelungen im HVM die Gesamtvergütung in Teilbudgets aufgeteilt werde. Die Zuordnung der Klägerin zu den Pathologen sei grundsätzlich nicht zu beanstanden, obwohl sie nicht zu den Arztgruppen gehöre, die nur auf Auftrag tätig werden können. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, die bis zum Quartal III/1998 vorgenommene Punktwertstützung auf 6,000 DPf weiter zu halten. Sie habe auch nicht ihre Beobachtungs- und Reaktionspflichten verletzt. Es sei zwar im Quartal IV/1998 zu einem erheblichen Punktwertabfall gekommen, der jedoch auf einer von den Humangenetikern selbst verursachten Mengenausweitung beruht habe. Aufgrund der Steigerung der Fallzahlen sei ein absoluter Honorarrückgang bei der Klägerin nicht zu verzeichnen.

Mit ihrer am 5. September 2003 gegen das ihr am 8. August 2003 zugestellte Urteil eingelegten Berufung macht die Klägerin geltend: Sie sei im Quartal IV/1998 nur auf Auftrag tätig gewesen und eine Ausweitung sei nicht durch sie selbst erfolgt. Sie begehre nicht einen festen Punktwert, sondern eine angemessene Reaktion der Beklagten auf die Entwicklung. Die Humangenetiker hätten ihre Leistungen nicht unverhältnismäßig ausgedehnt, vielmehr sei die Entwicklung durch die verstärkte Nachfrage nach humangenetischen Leistungen zur Früherkennung und Prävention, geprägt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Juni 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Honorarbescheides für das Quartal IV/1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2000 zu verpflichten, ihr einen neuen Honorarbescheid unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf ihr bisheriges Vorbringen und den Inhalt des Urteils vom 25. Juni 2003. Sie habe auf den Punktwertabfall bei den Humangenetikern im Quartal IV/1998 reagiert, indem sie die Humangenetiker ab dem Quartal IV/1999 einem anderen Honorartopf zugeordnet habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese haben dem Gericht vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet. Das von der Beklagten festgesetzte Honorar der Klägerin für das Quartal IV/1998 in Höhe von 259.337,21 DM bei 339 abgerechneten Fällen ist nicht zu beanstanden. Eine Verletzung der der Beklagten obliegenden Beobachtungs- und Reaktionspflicht liegt nicht.

Die von der Beklagten dem mit der Berufung angegriffenen Honorarbescheid zugrunde gelegte Regelung des § 10 Abs. 6 HVM in der ab 1. Oktober 1998 geltenden Fassung ist nicht zu beanstanden, verstößt insbesondere nicht gegen die Regelungen des § 85 Abs. 4 SGB V in Verbindung mit dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit, der sich aus Art. 12 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ergibt. Wesentlich ist dabei die Bestimmung des § 85 Abs. 4 Satz 3 SGB V, wonach bei der Verteilung der Gesamtvergütung Art und Umfang der Leistung des Kassenarztes zugrunde zu legen sind. Dem Grundsatz der leistungsproportionalen Verteilung des Honorars entspricht die Vergütung aller vertragsärztlichen Leistungen mit einem einheitlichen Punktwert, somit die prinzipiell gleichmäßige Vergütung der vertragsärztlichen Leistungen. Der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) verbleibt jedoch ein Spielraum für sachlich gerechtfertigte Abweichungen von diesem Grundsatz, der es ihr ermöglicht, ihrem Sicherstellungsauftrag und ihren sonstigen vertraglichen und gesetzlichen Verpflichtungen gerecht zu werden (Bundssozialgericht [BSG] SozR 3-2500 § 85 Nr. 4, SozR 3-2500 § 85 Nr. 26). Das Ziel ist, eine ordnungsgemäße - d. h. ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche - vertragsärztliche Versorgung zu gewährleisten. Die Honorarverteilung muss dafür Sorge tragen, dass in allen ärztlichen Bereichen ausreichender finanzieller Anreiz besteht, vertragsärztlich tätig zu werden (BSG, SozR 4-2500 § 72 Nr. 2). Das Gesetz schließt somit nicht aus, dass durch Regelungen im HVM arztgruppenbezogene Honorartöpfe gebildet werden dürfen, auch wenn dies aufgrund der Mengenentwicklung ein Absinken des Punktwertes für die vom Honorartopf erfassten Leistungen nach sich zieht (BSG SozR 3-2500 § 85 Nr. 26, Urteil vom 3. März 1999, B 6 KA 56/97 R in: USK 99102). Die Einordnung der Klägerin als Vertragsärztin für Humangenetik zunächst in den Topf der Pathologen ist nicht zu beanstanden, da Mischsysteme in einem Honorartopf zulässig sind (BSG SozR 3-2500, § 85 Nr. 11) und im vorliegenden Fall grundsätzlich sowohl Untersuchungsgegenstand als auch Untersuchungsmethoden miteinander verwandt sind.

Auf die bis zum III. Quartal 1998 erfolgte Stützung des Punktwertes für den Honorartopf der Pathologen/Zytologen sowohl im Primär- als auch im Ersatzkassenbereich auf 6,000 DPf bestand nach Änderung des HVM durch die Beklagte zum 1. Oktober 1998 im IV. Quartal 1998 kein Anspruch, da ein Vertragsarzt keinen Anspruch auf Vergütung seiner Leistungen mit einem bestimmten oder einem festen Punktwert hat, so dass die Einführung eines floatenden Punktwertes für die Fachgruppe der Klägerin ab dem 1. Oktober 1998 zulässig war. Der Beklagten oblag jedoch eine Beobachtungs- und Reaktionspflicht mithin die Überprüfung, ob die von ihr mit der Abschaffung des gestützten Punktwertes verfolgten Ziele bei der Abweichung vom Grundsatz gleichmäßiger Honorarverteilung erreicht werden. Mit Blick auf die Abschaffung des gestützten Punktwertes ab dem 1. Oktober 1998 setzte diese Beobachtungs- und Reaktionspflicht der Beklagten frühestens nach Abrechnung des IV. Quartals 1998 ein, nachdem die Auszahlungspunktwerte für dieses Quartal für die Fachgruppe der Klägerin bekannt waren. Diese Pflicht hat die Beklagte nicht verletzt.

Nach der Rechtsprechung des BSG besteht eine Pflicht der KV zur Nachbesserung bzw. Korrektur der Honorarverteilungsregelungen, wenn es sich um eine dauerhafte, also nicht nur vorübergehende Entwicklung handelt. Außerdem muss ein vom Umsatz her wesentlicher Leistungsbereich einer Arztgruppe betroffen sein und die zum Punktwertverfall führende Mengenausweitung darf nicht von der betroffenen Arztgruppe mit zu verantworten sein. Der Punktwertverfall muss erheblich sein; nicht jede Punktwertdifferenz zwischen verschiedenen Honorartöpfen gibt Anlass zur Korrektur der Honorarverteilung. Außerdem muss der Punktwertverfall zu einer wesentlichen Honorarminderung führen. Bei Honorartöpfen für Leistungen, die Ärzte nur auf Überweisung hin erbringen können - zu diesen Arztgruppen gehört die Klägerin nicht (vgl. § 13 Abs. 4 BMV-Ä und § 7 Abs. 4 Arzt-Ersatzkassenvertrag) - und bei denen ihnen eine Mitverantwortung für eine Mengenausweitung und damit für ein Punktverfall nicht zugerechnet werden kann, ist im Regelfall ein Anlass zur Korrektur der Honorarverteilung erst gegeben, wenn der Punktwert der aus dem Honorartopf vergüteten Leistungen um 15% oder mehr unter dem für den größten Teil der sonstigen Leistungen liegt (BSG, SozR 3-2500 § 85 Nr. 26). Je geringer die Zahl der Ärzte bzw. der Leistungen in einem Honorartopf ist, desto ausgeprägter sind die Anforderungen an die Beobachtungs- und Reaktionspflicht (SozR 4-2500 § 85 Nr. 12).

Gegen diese Grundsätze hat die Beklagte nicht verstoßen. Sicherlich ist der Punktverfall von 6,000 DPf auf 3,238 DPf im Primärkassenbereich erheblich, weil dies fast 50% sind. Jedoch sind die weiteren Voraussetzungen einer Korrektur für das hier allein streitbefangene IV. Quartal 1998 nicht gegeben. Der Punktwertverfall hat bei der Fachgruppe der Klägerin und erst recht nicht bei ihr selbst zu einer Honorarminderung geführt. Schon die Honorare der Fachgruppe waren 1998 mit 357.775,48 EUR und 1999 mit 298.798,11 EUR etwa doppelt so hoch wie das durchschnittliche Honorar aller Berliner Vertragsärzte; die Honorare der Klägerin überstiegen diesen für einen Vergleich maßgeblichen Wert in den genannten Kalenderjahren sogar etwa um das dreifache (1998) bzw. mehr als das vierfache (1999). Schon diese Sachlage schließt eine Pflicht der Beklagten zur Korrektur der Punktwerte zu Gunsten der Fachgruppe der Humangenetiker aus. Außerdem spricht viel dafür, dass sie den Punktwertverfall durch die Steigung ihrer Leistungen, die sich vom Quartal I/1997 bis zum Quartal IV/1998 innerhalb des gemeinsamen Teilbudgets mit den Pathologen von 9,5 % auf 20,27 % erhöht hatten, (mit)verursacht haben. Schließlich ist nicht zu erkennen, dass es sich bei dem Punktwertverfall um eine dauerhafte Fortentwicklung gehandelt hat. Ein Anspruch auf höhere Vergütung für nur einen kurzen Zeitraum oder für ein beliebig herausgegriffenes Quartal ist ausgeschlossen. Zur Erfassung der generellen Lage ist die Gesamtsituation der betroffenen Arztgruppe über einen längeren Zeitraum, nämlich über mindestens vier zusammenhängende Quartale, zu betrachten (SozR 4-2500 § 72 Nr. 2, BSG, Beschluss vom 6. September 2006, B 6 KA 22/06 B, zitiert nach juris). Schon deshalb bedarf es aufgrund des allein streitbefangenen IV. Quartals 1998 hier keiner Klärung, ob die Beklagte zu einer (rückwirkenden) Korrektur verpflichtet gewesen wäre. Denn die Beklagte hat ab dem IV. Quartal 1999 ohnehin auf den Punktwertverfall der Humangenetiker ab dem Quartal IV/1998 reagiert und diesen den "Sonstige Gruppen" zugeordnet, deren Punkwert im I. Quartal 1999 im Primärkassenbereich 2,6991 Cent und im Ersatzkassenbereich 3,7365 Cent betrug.

Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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