L 5 V 746/75

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 746/75
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Umdeutung eines eindeutigen Antrages auf Neufeststellung nach § 62 BVG in einen solchen auf Erteilung eines Zugunstenbescheides nach § 40 VerfG KOV ist unzulässig, und damit ermessensfehlerhaft.
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 7. Juli 1975 und der Bescheid des Beklagten vom 13. Dezember 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 1974 aufgehoben.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger bezog aufgrund der Bescheide vom 10. September 1947 und 6. Februar 1953 Versorgungsbezüge nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 bzw. 50 v.H. Unter Beibehaltung des Grades der MdE von 50 v.H. wurden die Schädigungsfolgen durch Bescheid vom 9. Januar 1958 neu bezeichnet mit:

1) "Reizlose Narben im Schulterbereich links, nach Weichteildurchschuß.

2) Teilschädigung von Armenerven links mit causalgiformen Beschwerden”.

Dem Bescheid vom 9. Januar 1958 waren Gutachten der Dres. H. W., Ha. V. B. und Ba. vorausgegangen. Die Richtigkeit des Bescheides vom 9. Januar 1958 wurde nach einer Begutachtung durch die Chirurgische Universitätsklinik der Stadt F. mit Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 16. Mai 1960 und Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. November 1961 bestätigt. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse gemäß § 62 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) wurde verneint.

Auf einen erneuten Erhöhungsantrag ergingen der Bescheid vom 22. Juni 1964 und der Widerspruchsbescheid vom 27. August 1964. Darin wurde aufgrund eines Gutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. W. vom 13. April 1964 erneut eine Neufeststellung der Versorgungsbezüge abgelehnt.

Die vertrauensärztlichen Untersuchungsergebnisse vom 9. September, 16. September, 12. November 1970 und 19. Januar 1971 veranlaßten den Beklagten zu einer weiteren Begutachtung durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. W. am 26. März 1971. In dem Bescheid vom 5. Mai 1971 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 1971 wurde festgestellt, daß in den Verhältnissen, die für die Feststellung des Anspruchs auf Versorgung nach dem BVG maßgebend gewesen seien, keine wesentliche Änderung eingetreten sei. Die als vermehrt angegebenen Beschwerden im linken Arm beruhten auf einer psychischen Fehleinstellung und ihren Folgen. Diese sei keine Schädigungsfolge, sondern Ausdruck der besonderen psychischen Konstitution. Sie stelle auch keine seelische Begleiterscheinung der Schädigungsfolgen dar, sondern es handle sich dabei um eine aus der besonderen Persönlichkeitsstruktur herrührende eigene Reaktion, wobei die Neigung zu einer solchen Reaktionsweise unabhängig von Wehrdiensteinflüssen sei.

In dem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt/Main trug der Kläger vor, die Schwäche im geschädigten Körperteil, die seit Herbst 1970 zugenommen habe, gehe auf die Schädigungsfolgen zurück und sei als Verschlimmerung zu werten. Die frühere psychische Fehleinstellung sei eine Folgeerscheinung der psychischen Überanstrengung gewesen und sei ausgeheilt.

Mit Urteil vom 29. September 1972 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Zunahme der Beschwerden sei nicht ursächlich auf die Schädigungsfolgen zurückzuführen, wie das Dres. W. und Sch. ausgeführt hätten. Eine wesentliche Änderung sei damit nicht eingetreten. Die vermehrten Schmerzen seien vielmehr Ausdruck einer Schonhaltung, die auf einer psychischen Fehleinstellung beruhe. Sie sei keine Schädigungsfolge.

Nachdem der Kläger vor dem erkennenden Senat beantragt hatte, eine Schwäche im beschädigten Körperteil als zusätzliche Schädigungsfolge anzuerkennen, ist mit Urteil vom 18. Juli 1973 die Berufung zurückgewiesen worden, da die vom Kläger behauptete Verschlechterung der Beschwerden weder mittelbar noch unmittelbar mit wehrdienstlichen Einflüssen zusammenhinge. Die Veränderung in seinem Zustand sei unabhängig von derartigen Einflüssen aufgetreten. Die Beschwerden im linken Arm beruhten auf einer psychischen Fehleinstellung und deren Folgen. Sie seien der Ausdruck einer Schonhaltung, die zeitlich nach dem schädigenden Ereignis eingetreten sei und nicht mit der Schädigung im Zusammenhang stehe. Sie liege allein in der besonderen psychischen Konstitution des Klägers begründet. Das hätten die gehörten medizinischen Gutachter übereinstimmend festgestellt. So habe schon Dr. Hü. in seinem Gutachten vom 9. März 1960 von einer neurotischen Fehlverarbeitung der Verletzungs- und Schmerzerlebnisse gesprochen die mit den Schädigungsfolgen nicht mehr zu tun habe.

Der Kläger stellte am 24. August 1973 einen erneuten Antrag auf Erhöhung der Beschädigtenrente, da in den anerkannten Schädigungsfolgen eine Verschlimmerung eingetreten sei. Es bestünden auch vermehrte Schlafbehinderungen. Er berief sich dazu auf das vor dem Notar Dr. P. aufgenommene Verhandlungsprotokoll vom 23. August 1973.

Daraufhin sollte nach einer Äußerung des leitenden Arztes Dr. G. eine chirurgische Nachuntersuchung stattfinden, zu der der Kläger nicht erschien (Bl. 563 VA). Dr. G. empfahl darauf dem Kläger eine ablehnende Mitteilung zu geben (Bl. 564 VA), die in Form eines ablehnenden Zugunstenbescheides am 13. Dezember 1973 erfolgte und die sich auf den bindenden Bescheid vom 5. Mai 1971 berief.

Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger erneut vor, daß sich die anerkannten Schädigungsfolgen weiter verschlimmert hätten und daß bei ihm Schlafbehinderungen vorlägen. Auf die Antrage, ob er sich einer weiteren Nachuntersuchung unterziehen werde, antwortete er ablehnend.

Der auf den Widerspruch des Klägers ergangene Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1974 führte aus, die gesamten Beschwerden seien bereits mit Bescheid vom 5. Mai 1971 als Schädigungsfolgen im Sinne des BVG abgelehnt worden. Dieser Bescheid sei mit der Rechtskraft des Urteils des Hessischen Landessozialgerichts für die Beteiligten bindend. An der Bindung dieses Bescheides werde festgehalten, da der Kläger nicht dargetan habe, inwieweit er tatsächlich oder rechtlich unrichtig sei.

Aufgrund eines Urteils des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 22. Juli 1974 erhält der Kläger Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit seit Juni 1972. In diesem Verfahren war der Facharzt für Psychiatrie und Neurologie Dr. Hab. gutachtlich gehört worden. Er führte aus, daß das anerkannte KB-Leiden mit einer MdE um 50 v.H. großzügig bewertet worden sei. Es bedinge keine Berufs- und Erwerbsunfähigkeit des Klägers als kaufmännischer Angestellter oder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Durch wahnhafte Fixierung und Unkorrigierbarkeit seiner hypochondrischen Beschwerden sei er dagegen berufs- und erwerbsfähig.

In dem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt/Main hat der Kläger beantragt, wegen seiner Erwerbsunfähigkeit erhöhte Beschädigten Rente zu gewähren. Seine Erwerbsunfähigkeit gehe ursächlich auf die anerkannte Schädigungsfolgen zurück. Sie werde maßgeblich durch eine Fixierung der Schulter und des Armes ausgelöst und durch die kausalgiformen Beschwerden verstärkt. Gleichfalls seien Benommenheit und Schlafstörungen als Schädigungsfolgen anzuerkennen.

Mit Urteil vom 7. Juli 1975 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In dem Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, eine wesentliche Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen, auf die die Erwerbsunfähigkeit zurückgehen solle, sei nicht zu erkennen. Die vom Kläger vorgetragenen Beschwerden seien bereits im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 18. Juli 1973 mitgeprüft worden. Die seit 1972 vorliegende Erwerbsunfähigkeit sei auf ein pathologisches Geschehen zurückzuführen, welches sich unabhängig von den Schädigungsfolgen entwickelt habe. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Zugunstenbescheides gemäß § 40 VerwVG seien ebenfalls nicht erfüllt. Es lägen keinerlei neue Beweismittel vor, mit deren Hilfe die Unrichtigkeit der bindenden Verwaltungsakte des Beklagten vom 5. Mai und 23. Juni 1971 habe festgestellt werden können.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 7. Juli 1975 schriftlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Frankfurt/Main Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, die starken kausalgiformen Beschwerden und die Folge des abnormalen Haltens der Schulter und des Armes prägten sein Krankheitsbild. Es sei eine Verschlechterung in den anerkannten Schädigungsfolgen eingetreten, die zu der Erwerbsunfähigkeit geführt habe. Die Beschädigtenrente müsse daher erhöht werden, wobei auch Schlafstörungen als Schädigungsfolge zu berücksichtigen seien.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 7. Juli 1975 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Dezember 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 1974 zu verurteilen, Beschädigtenrente wegen Erwerbsunfähigkeit unter gleichzeitiger Anerkennung der Schlafstörungen als Schädigungsfolge nach dem BVG ab August 1973 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Versorgungsakte mit der Grundlisten-Nr. die Akten des Sozialgerichts Frankfurt/Main S-11/V-55/58 (14), V-I-1191/55, S-11/V-332/71 und S-13/An-16/73 sowie die Akte des Verwaltungsgerichts Frankfurt/Main haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakte beider Rechtszüge, der auszugsweise in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden ist, wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 150 Nr. 3, 151 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –). In der Sache hatte sie Erfolg.

Der angefochtene Bescheid vom 13. Dezember 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 1974 ist rechtswidrig. Deshalb konnte das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 7. Juli 1975 keinen Bestand haben. Die Vorinstanz und der Beklagte haben übersehen, daß der Kläger zu keiner Zeit einen Zugunstenbescheid nach § 40 VerwVG beantragt hatte. Sein Begehren war eindeutig auf eine Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Verschlimmerung der Schädigungsfolgen gerichtet (vgl. Bl. 554 VA) und hätte demzufolge als Antrag nach § 62 BVG behandelt werden müssen. Dies um so mehr, als die Anerkennung weiterer Gesundheitsstörungen begehrt war. So hat auch der Beklagte den Antrag verstanden. Denn er hat aufgrund des klägerischen Vorbringens nach Anhörung des Dr. G. eine chirurgische Untersuchung für erforderlich gehalten, um feststellen zu können, ob die vom Kläger behauptete Verschlimmerung vorliege. Dazu hat er gemäß § 17 VerwVG das persönliche Erscheinen des Klägers in der Versorgungsärztlichen Untersuchungsstelle am 13. November 1973 angeordnet. Nachdem der Kläger dieser Anordnung nicht nachgekommen war, hat Dr. G. die Ablehnung des Antrages empfohlen. Das ist dann mit Bescheid vom 13. Dezember 1973 auch geschehen, und zwar in Form eines ablehnenden Zugunstenbescheides. Ausdrücklich nimmt der Verwaltungsakt auf § 24 VerwVG Bezug und verweist auf die Bindung des Bescheides vom 5. Mai 1971. Wegen Fehlens neuer Tatsachen oder Beweise müsse abgelehnt werden, in eine neue sachliche Prüfung einzutreten. Mit der Erteilung des Bescheides vom 13. Dezember 1973 ist unzulässigerweise der Antrag des Klägers auf Neufeststellung gemäß § 62 Abs. 1 BVG in einen solchen nach § 40 VerwVG umgedeutet worden. Zugleich hat der Beklagte damit gegen § 18 VerwVG verstoßen. Danach darf nämlich, wenn der Antragsteller die Anordnung nach § 17 Satz 1 VerwVG nicht befolgt, über den Antrag erst entschieden werden, wenn er vorher schriftlich darauf hingewiesen worden ist, daß sein Verhalten nachteilige Folgen für ihn haben könne. Mit dieser klaren Regelung soll dem Antragsteller vor Augen geführt werden, daß seine Weigerung, bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, bei der Beweiswürdigung in der Regel zu seinen Lasten zu werten sein wird und zu einer Ablehnung des Antrages führen muß. Diesen Hinweis auf die Bedeutung der geforderten Mitwirkung und die möglichen Folgen einer Weigerung für seinen Antrag hat der Beklagte nicht an den Kläger gerichtet. Er hat es auch im Vorverfahren unterlassen, wo noch Gelegenheit bestanden hätte, der in § 18 VerwVG auferlegten Verpflichtung nachzukommen. Das hätte in diesem Stadium des Verwaltungsverfahrens um so mehr geschehen müssen, weil der Kläger mit Schreiben vom 5. September 1974 nochmals auf das Erfordernis einer ärztlichen Untersuchung und Begutachtung aufmerksam gemacht worden war. Der am 25. Februar 1974 erteilte Widerspruchsbescheid gemäß § 40 VerwVG wiederholt nochmals, daß der Bescheid vom 5. Mai 1971 mit der Rechtskraft des Urteils des Hessischen Landessozialgerichts für die Beteiligten bindend geworden sei und daß an der Bindung des Bescheides ausdrücklich festgehalten werde. Die damit vorgenommene Umdeutung des vom Kläger gestellten Antrages vom 24. August 1973 auf Neufeststellung gemäß § 62 Abs. 1 BVG in einen solchen nach 40 Abs. 1 VerwVG stellt eine mißbräuchliche Ausübung des Ermessens durch den Beklagten dar. Denn ein Ermessensmißbrauch nach § 54 Abs. 2 SGG liegt im Ansatz schon dann vor, wenn ein Antrag auf Neufeststellung der Einfachheit halber in einen solchen auf Erteilung eines Zugunstenbescheides umgedeutet wird, obwohl ein solcher gar nicht beabsichtigt war. Dies hat auch das Sozialgericht verkannt.

Das angefochtene Urteil und die Bescheide des Beklagten waren deshalb aufzuheben.

Der Beklagte wird nunmehr zunächst über den Antrag des Klägers auf Neufeststellung der Versorgungsbezüge gemäß § 62 BVG befinden müssen, der unerledigt im Raume steht. Dabei wird er auch § 18 VerwVG zu beachten haben, wenn der Kläger wiederum seiner besonderen Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung des Sachverhalts nicht nachkommt.

Im Hinblick auf die fehlerhafte Ermessensausübung waren das angefochtene Urteil und die ergangenen Verwaltungsakte aufzuheben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 kam nach Lage des Falles nicht in Betracht.
Rechtskraft
Aus
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