L 5 V 211/73

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 211/73
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Im Rahmen des § 44 Abs. 2 BVG steht eine für nichtig erklärte Ehe einer durch Scheidung aufgehobenen gleich.
2. Ist die für nichtig erklärte Ehe die zweite Ehe, so ist ein Wiederaufleben des Anspruchs auf Witwenversorgung nach der 3. Ehe ausgeschlossen.
Tenor: Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 15. Januar 1973 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die 1912 geborene Klägerin war in erster Ehe mit dem am 18. Dezember 1943 gefallenen W. K. verheiratet. Eine Witwenrente bezog sie nicht. Am 29. September 1945 heiratete sie den Bäckermeister P. De W. Diese zweite Ehe ist durch das am 20. Februar 1951 verkündete und am 21. August 1951 rechtskräftig gewordene Urteil des Landgerichts in D. für nichtig erklärt worden, da De W. zur Zeit der Eheschließung verheiratet war.

Mit Bescheid vom 3. Februar 1952 erhielt sie dann ab 22. August 1951 Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Am 23. August 1952 ging sie mit dem Konditormeister A. R. eine dritte Ehe ein. Der Bescheid vom 28. Januar 1953 gewährte daraufhin die Witwenabfindung von insgesamt 1.120,– DM. A. R. verstarb am 15. November 1971.

Den Antrag der Klägerin vom 13. Dezember 1971 auf Wiedergewährung der Witwenrente nach W. K. lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 3. Januar 1972 ab, da unter einer neuen Ehe im Sinne des § 44 BVG nur die erste neue Eheschließung nach dem Tode des Versorgungsberechtigten, also die zweite Ehe, zu verstehen sei. Die Ehe mit A. R. sei die dritte Ehe gewesen, so daß die Voraussetzungen somit nicht erfüllt seien. Daß die zweite Ehe mit P. De W. am 20. Februar 1951 für nichtig erklärt worden sei, ändere daran nichts.

Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 3. März 1972).

Mit Urteil vom 15. Januar 1973 hat das Sozialgericht Frankfurt/Main den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 3. Januar und 3. März 1972 verurteilt, an die Klägerin Witwenversorgung nach ihrem 1. Ehemann W. K. zu gewähren. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, sie habe gemäß § 44 Abs. 2 BVG Anspruch auf Witwenversorgung, da wegen der zweiten Ehe, die für nichtig erklärt worden sei, die dritte Ehe der Klägerin eine "Wiederverheiratung” im Sinne des § 44 Abs. 1 BVG darstelle und die hierdurch begründete Ehe eine "neue” im Sinne des § 44 BVG sei.

Gegen das dem Beklagten am 30. Januar 1973 zugestellte Urteil ist die Berufung am 27. Februar 1973 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangen, zu deren Begründung er vorträgt, nach § 44 Abs. 2 BVG seien für nichtig erklärte Ehen den durch Scheidung oder Aufhebung aufgelösten Ehen ausdrücklich gleichgestellt. Das führe dazu, daß sie ebenfalls als neue Ehe zu gelten habe, so daß im vorliegenden Falle die am 23. August 1952 mit A. R. geschlossene Ehe die dritte gewesen sei. Das schließe eine Hinterbliebenenversorgung gemäß § 44 BVG aus.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 15. Januar 1973 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus, die dritte Ehe mit A. R. stelle eine Wiederverheiratung im Sinne des § 44 Abs. 1 BVG dar und sei damit als eine neue Ehe im Sinne dieser Vorschrift anzusehen.

Die Witwenrentenakte mit der Grundlisten-Nr. hat vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakte beider Rechtszüge, der auszugsweise in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden ist, wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Beklagten ist zulässig (§§ 143, 151 Abs. 1 SGG); sie ist auch begründet.

Nach § 44 Abs. 2 BVG lebt der Anspruch auf Witwenversorgung wieder auf, wenn die neue Ehe ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden der Witwe aufgelöst oder für nichtig erklärt worden ist. Die Klägerin hatte zwar als Witwe des im Krieg gefallenen W. K. einen Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente nach § 38 BVG erworben. Dieser Anspruch war erstmals durch ihre Heirat mit dem Bäckermeister P. De W. erloschen und nach Nichtigerklärung dieser Ehe jedoch am 22. August 1951 wieder aufgelebt, wie das mit Bescheid vom 3. Februar 1952 gemäß § 44 Abs. 2 BVG festgestellt worden ist. Durch die dritte Eheschließung mit A. R. ist der Witwenrentenanspruch erneut und diesmal endgültig erloschen. Das folgt aus § 44 Abs. 2 BVG. Danach lebt regelmäßig nach der dritten Ehe der Witwe des Beschädigten der Witwenrentenanspruch nicht mehr auf, weil das Risiko der weiteren Familienverbindungen nicht mehr vom System des staatlichen Kriegsopferversorgungsrechts übernommen werden kann. Die Versorgungskette ist unterbrochen. Wie die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dazu festgestellt hat, entspricht diese Auslegung des § 44 Abs. 2 BVG seinem Sinn und Zweck und dem Willen des Gesetzgebers, wie es schon mehrfach auch für die Heiratsabfindung gemäß § 44 Abs. 1 BVG entschieden worden ist (BSG 17, 120; 26, 77; Urt. v. 23.5.1973 Az.: 9 RV 344/72 in SozR § 44 Ca 23 Nr. 19; Urt. v. 28.6.1973 Az.: 10 RV 621/72 in SozR § 44 Ca 25 Nr. 20). Für den Senat bestand kein Anlaß von dieser gesicherten Rechtsauffassung und der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts abzuweichen. Diese Rechtsauffassung ist auch dann zugrunde zu legen, wenn die zweite Ehe einer Witwe nach dem Tode des Beschädigten für nichtig erklärt worden ist. Das folgt ebenfalls aus § 44 Abs. 2 BVG, der als maßgebliche Tatbestände für das Wiederaufleben einer Witwenrente die Auflösung und die Nichtigerklärung der neuen Ehe gleichwertig nebeneinander gestellt hat. Dabei macht es keinen Unterschied, daß die Tatbestände der Auflösung durch Nichtigerklärung einer Ehe zivilrechtliche Unterschiede zur Folge haben, denn die für nichtig erklärte Ehe wird mit rückwirkender Kraft als von Anfang an nicht geschlossen angesehen, wohingegen im Falle der Aufhebung einer Ehe die Auflösung nur für die Zukunft wirkt (§§ 28, 29, 37 EheG). Diese Unterschiede rechtfertigen es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (a.a.O.) jedoch nicht, die für nichtig erklärte Ehe im Falle des § 44 Abs. 2 BVG anders als die aufgelöste Ehe zu behandeln. Denn die durch den Tod des ersten Ehemannes ausgelöste Versorgungskette soll nicht über die neue zweite Ehe hinaus auch noch für eine dritte oder weitere Ehe fortgesetzt werden, was der Unterhaltsersatzfunktion der Witwenrente widerspräche. Die am 29. September 1945 mit dem Bäckermeister P. De W. geschlossene Ehe war die erste Ehe der Klägerin nach dem Tode des Beschädigten und ist somit allein als neue Ehe im Sinne des § 44 Abs. 2 BVG anzusehen. Nach einer weiteren Ehe kann der Rentenanspruch nicht wieder aufleben. Da die zweite Ehe sonach, auch wenn sie für nichtig erklärt worden ist, eine neue Ehe im Sinne von § 44 Abs. 2 BVG bleibt, kann nicht eine auf sie folgende Ehe zur zweiten neuen Ehe werden. Der Beklagte hat daher zu Recht den Antrag der Klägerin, ihr nach dem Tode ihres dritten Ehemannes A. R. erneut die wiederaufgelebte Witwenrente zu gewähren, abgelehnt. Insoweit ist ferner auf das Rundschreiben des BMA vom 21.5.1970 (BVBl. 70/70/51) zu verweisen, dem beizutreten ist, weil ohne Gleichstellung der nichtigen Ehe mit der durch Scheidung aufgelösten Unterhaltsansprüche aus der nichtigen Ehe nicht auf die Witwenrente angerechnet werden könnten. Diese Ansicht vertreten neuerdings auch Wilke-Wunderlich (Komm.z. BVG § 44 II, 3), welche ihre frühere Auffassung, die das Sozialgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, aufgegeben haben.

Auf die Berufung war daher das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 15. Januar 1973 aufzuheben.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Rechtskraft
Aus
Saved