Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 68/72
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Das Problem der überholenden Kausalität, bei dem fraglich ist, ob es die Frage des ursächlichen Zusammenhangs oder die der Schadensberechnung betrifft, ist im Rahmen des § 30 Abs. 2 BVG nicht zu prüfen, wenn die Schädigungsfolgen nicht ursächlich zu einem beruflichen Betroffensein geführt haben.
Ob und welchen Einfluß der hypothetische Ablauf des Geschehens haben könnte, ist in einem solchen Fall die Grundlage entzogen.
Ob und welchen Einfluß der hypothetische Ablauf des Geschehens haben könnte, ist in einem solchen Fall die Grundlage entzogen.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 24. November 1971 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der 1921 geborene Kläger hat nach dem Volksschulbesuch den Beruf des Werkzeugmachers erlernt und hat nach Ablegung der Facharbeitsprüfung im September 1940 bis zu der Einberufung zur Deutschen Wehrmacht im Jahre 1942 im erlernten Beruf bei der Firma S. AG gearbeitet. Am 19. November 1945 trat er wieder in die Dienste dieser Firma und ist innerhalb der Berufsgruppe als Schweißer umgeschult worden. Wegen eines Nervenleidens musste er am 18. Juni 1957 diese Tätigkeit aufgeben. Er arbeitete danach als Pförtner, Speiseraumwärter und ist zur Zeit als Werksanitäter bei der Firma S. AG tätig.
Der Umanerkennungsbescheid vom 15. November 1951 führte mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H. als Schädigungsfolge auf:
"Nervenlähmung der Finger der linken Hand nach Schussverletzung des Oberarmes”.
Der Kläger stellte am 10. März 1968 Antrag auf höhere Bewertung des Grades der MdE gemäß § 30 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), weil er wegen der Schädigungsfolgen nicht mehr den erlernten Beruf als Werkzeugmacher ausüben könne. Er sei zu einer unterbezahlten Beschäftigung als Werksanitäter gezwungen.
Nach der von der Firma S. AG erteilten Auskunft vom 24. April 1968 und der Äußerung des Dr. W. vom 25. April 1968 stellte der Bescheid vom 5. Juni 1968 fest, der Antrag auf Höherbewertung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG müsse abgelehnt werden, da die Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Der Kläger, der nach dem Wehrdienst wegen des Kriegsleidens zum Schweißer umgeschult worden sei, habe wegen eines Nervenleidens (Nichtschädigungsfolge) diese Tätigkeit beenden müssen. Ein wirtschaftlicher und sozialer Abstieg sei durch die anerkannten Gesundheitsstörungen nicht eingetreten.
Den Widerspruch begründete der Kläger mit einer ärztlichen Bescheinigung des praktischen Arztes Dr. K. vom 28. Juni 1968, der mitteile, auf Grund der Kriegsbeschädigung sei er für die Tätigkeit als Schweißer nicht zu verwenden.
Nachdem die vom Nervenarzt Dr. B. gegebene Auskunft vorgelegen hatte, blieb der Widerspruch erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10. September 1969).
In dem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Fulda hat der Kläger vorgetragen, er sei lediglich innerbetrieblich als Schweißer umgeschult worden. Dabei habe es sich um eine angelernte Tätigkeit gehandelt.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben und von der Firma S. AG die Auskunft vom 24. Januar 1969 eingeholt.
Mit Urteil vom 24. November 1971 sind die Bescheide vom 5. Juni und 10. September 1968 aufgehoben worden. Der Beklagte wurde verurteilt, dem Kläger ab 1. März 1968 wegen besonderen beruflichen Betroffenseins gemäß § 30 Abs. 2 Buchst. a BVG Versorgung nach einer um 10 v.H. erhöhten MdE zu gewähren. Die Berufung ist zugelassen worden.
In den Entscheidungsgründen hat das Sozialgericht ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass der Kläger nicht nur im erlernten Beruf als Werkzeugmacher, sondern auch in der später ausgeübten Tätigkeit als Schweißer durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Grade als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert gewesen sei, da auch diese Tätigkeit die volle Funktionstüchtigkeit beider Hände vorausgesetzt habe. Infolgedessen habe das bereits vorher schädigungsbedingt bestehende besondere berufliche Betroffensein durch die spätere schädigungsunabhängige Berufsaufgabe im Sinne der sogenannten überholenden Kausalität nicht aufgehoben werden können. Die Berufung sei zuzulassen, da der Frage der überholenden Kausalität im Rahmen des § 30 Abs. 2 BVG grundsätzliche Bedeutung beizumessen sei.
Gegen das dem Beklagten am 17. Januar 1972 zugestellte Urteil ist die Berufung am 21. Januar 1972 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangen, zu deren Begründung er ausführt, als Schweißer habe der Kläger mehr verdient als in dem ursprünglich erlernten Beruf des Werkzeugmachers, so dass von vornherein die Voraussetzungen für eine Erhöhung der MdE wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins nicht gegeben gewesen seien. Im übrigen habe er im Jahre 1957 den Beruf des Schweißers wegen eines nichtschädigungsbedingten Nervenleidens aufgeben müssen. Selbst wenn man unterstelle, dass er in dem Beruf als Schweißer besondere Energie habe aufwenden müssen und diesen Beruf nur unter Gefährdung seiner Gesundheit habe ausüben können, seien die Voraussetzungen für eine Erhöhung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG nicht erfüllt, da der Kläger im Zeitpunkt der Antragstellung den Beruf des Schweißers schon nicht mehr verrichtet habe, und zwar aus nichtschädigungsbedingten Gründen. Ein Fall der überholenden Kausalität sei nicht ersichtlich.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 24. November 1971 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Versorgungsakte mit der Grundlisten-Nr. hat vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Rechtszüge, der auszugsweise vorgetragen worden ist, wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 150 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassene Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Abs. 1 SGG). Sie ist auch begründet.
Der Bescheid vom 5. Juni 1968, der in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 1968 Gegenstand der Klage geworden ist (§ 95 SGG), ist zu Recht ergangen.
Der Bescheid vom 5. Juni 1968, der in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 1968 Gegenstand der Klage geworden ist (§ 95 SGG), ist zu Recht ergangen.
Der Streit der Beteiligten geht um die Frage, welchen Grad der MdE unter Berücksichtigung eines beruflichen Betroffenseins die anerkannten Schädigungsfolgen bedingen.
Nach § 30 Abs. 1 BVG ist die MdE nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen. Sie ist höher zu bewerten, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem vor der Schädigung ausgeübten, begonnenen oder nachweislich angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen ist, den er nach Eintritt der Schädigung ausgeübt hat oder noch ausübt. Das ist der Fall, wenn er infolge der Schädigung weder seinen bisher ausgeübten, begonnenen oder den nachweislich angestrebten noch einen sozial gleichwertigen Beruf ausüben kann oder zwar seinen vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf weiter ausübt oder den nachweisbar angestrebten Beruf erreicht hat, in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen aber in einen wesentlich höheren Grad als im allgemeinen Erwerbsleben gemindert ist oder infolge der Schädigung nachweisbar am weiteren Aufstieg in seinem Beruf gehindert ist (§ 30 Abs. 2 Buchst. a bis c BVG). Durch diese Vorschrift sollen die über die Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben hinausgehenden besonderen Nachteile ausgeglichen werden. Daraus ergibt sich zugleich, dass nicht alle Nachteile, die der Versorgungsberechtigte in seinem beruflichen Fortkommen erleidet, bereits ein besonderes berufliches Betroffensein begründen. Ein solches ist im Fall des Klägers deshalb zu verneinen, weil er nach der erlittenen Schädigung bereits im Jahre 1945 eine Umschulung erfuhr, die es ihm bis zum Jahre 1957 ermöglichte, als Schweißer zu arbeiten. Damit war er in die Lage versetzt worden eine dem erlernten Beruf des Werkzeugmachers vergleichbare Tätigkeit zu verrichten, die ihm im Jahre 1957 sogar einen Stundenlohn von 2,– DM eingebracht hat, während ein vergleichbarer Werkzeugmacher zur selben Zeit lediglich 1,96 DM verdiente. Der Kläger hat demzufolge auch einen sozial gleichwertigen Beruf ausgeübt, der sich in gleichem Maße wie der frühere Beruf des Werkzeugmachers aus dem allgemeinen Erwerbsleben heraushob. Wenn er nun seit August 1957 nicht mehr in der Lage war, seinem Umschulungsberuf als Schweißer nachzugehen, so ist das nicht den Schädigungsfolgen anzulasten, sondern dem schädigungsunabhängigen entzündlichen Nervenleiden, welches keine körperliche und geistige Überbeanspruchung zuließ. Das allein hat nach der Auskunft des Dr. B. vom 16. Februar 1968 den Berufswechsel bedingt und zu dem Mindereinkommen ab Aufgabe der Schweißertätigkeit geführt weil der Kläger nur noch Beschäftigungen als Pförtner, Speiseraumwärter und Werksanitäter ausüben kann. Da das Mindereinkommen auf nichtschädigungsbedingten Gründen beruht, kann es nicht zu einer Höherbewertung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG führen. Das Sozialgericht hat verkannt, dass für die spätere berufliche Entwicklung die Schädigungsfolgen weder die alleinige Ursache noch eine annähernd gleichwertige Mitursache gewesen sind. So gesehen stellte sich die Frage gar nicht, ob und inwieweit der Anspruch des Klägers unter dem Gesichtspunkt der sogenannten überholenden Kausalität zu beurteilen ist. Ausgangspunkt dafür bilden auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts die Fälle, in denen der durch ein Ereignis tatsächlich verursachte konkrete Schaden unabhängig von diesem Ereignis auch durch ein anderes bewirkt worden wäre (vgl. Palandt, Komm. z. BVG, Vorbem. vor § 249; 5 ff.). Die nach bürgerlichem Recht notwendige konkrete Berechnung des Schadens (§ 249 BVG) nötigt bisweilen dazu, auch einen hypothetischen Geschehensablauf in Betracht zu ziehen. Im Recht der Kriegsopferversorgung ist dagegen bei der Bemessung der MdE nicht von einer konkreten Betrachtungsweise, sondern von einer abstrakten Bewertung der Schädigungsfolgen auszugehen (vgl. BSG, Urt. v. 28.6.1968, Az.: 9 RV 604/65). Auch die Frage, ob eine Schädigung eingetreten ist, ist rückblickend nur auf Grund des tatsächlichen, nicht eines fiktiven Geschehensablaufs und der Bewertung der Erfolgsbedingungen nach der Kausalitätsnorm zu prüfen. Nur ausnahmsweise ist für die Schadensberechnung im Versorgungsrecht die voraussichtliche Entwicklung der Verhältnisse zugrundezulegen, nämlich im Falle des § 30 Abs. 3 BVG. Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob das Problem der überholenden Kausalität grundsätzlich eine Frage des ursächlichen Zusammenhangs oder eine solche der Schadensberechnung ist. Denn im vorliegenden Falle haben die Schädigungsfolgen weder vor 1957 noch danach zu einem beruflichen Betroffensein geführt. Damit ist jeder rechtlich erheblichen Erwägung darüber, ob und welchen Einfluss ein hypothetischer Ablauf des Geschehens im Rahmen des § 30 Abs. 2 BVG Bedeutung haben könnte, die Grundlage entzogen.
Der Berufung war daher stattzugeben.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Die beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der 1921 geborene Kläger hat nach dem Volksschulbesuch den Beruf des Werkzeugmachers erlernt und hat nach Ablegung der Facharbeitsprüfung im September 1940 bis zu der Einberufung zur Deutschen Wehrmacht im Jahre 1942 im erlernten Beruf bei der Firma S. AG gearbeitet. Am 19. November 1945 trat er wieder in die Dienste dieser Firma und ist innerhalb der Berufsgruppe als Schweißer umgeschult worden. Wegen eines Nervenleidens musste er am 18. Juni 1957 diese Tätigkeit aufgeben. Er arbeitete danach als Pförtner, Speiseraumwärter und ist zur Zeit als Werksanitäter bei der Firma S. AG tätig.
Der Umanerkennungsbescheid vom 15. November 1951 führte mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H. als Schädigungsfolge auf:
"Nervenlähmung der Finger der linken Hand nach Schussverletzung des Oberarmes”.
Der Kläger stellte am 10. März 1968 Antrag auf höhere Bewertung des Grades der MdE gemäß § 30 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), weil er wegen der Schädigungsfolgen nicht mehr den erlernten Beruf als Werkzeugmacher ausüben könne. Er sei zu einer unterbezahlten Beschäftigung als Werksanitäter gezwungen.
Nach der von der Firma S. AG erteilten Auskunft vom 24. April 1968 und der Äußerung des Dr. W. vom 25. April 1968 stellte der Bescheid vom 5. Juni 1968 fest, der Antrag auf Höherbewertung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG müsse abgelehnt werden, da die Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Der Kläger, der nach dem Wehrdienst wegen des Kriegsleidens zum Schweißer umgeschult worden sei, habe wegen eines Nervenleidens (Nichtschädigungsfolge) diese Tätigkeit beenden müssen. Ein wirtschaftlicher und sozialer Abstieg sei durch die anerkannten Gesundheitsstörungen nicht eingetreten.
Den Widerspruch begründete der Kläger mit einer ärztlichen Bescheinigung des praktischen Arztes Dr. K. vom 28. Juni 1968, der mitteile, auf Grund der Kriegsbeschädigung sei er für die Tätigkeit als Schweißer nicht zu verwenden.
Nachdem die vom Nervenarzt Dr. B. gegebene Auskunft vorgelegen hatte, blieb der Widerspruch erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10. September 1969).
In dem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Fulda hat der Kläger vorgetragen, er sei lediglich innerbetrieblich als Schweißer umgeschult worden. Dabei habe es sich um eine angelernte Tätigkeit gehandelt.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben und von der Firma S. AG die Auskunft vom 24. Januar 1969 eingeholt.
Mit Urteil vom 24. November 1971 sind die Bescheide vom 5. Juni und 10. September 1968 aufgehoben worden. Der Beklagte wurde verurteilt, dem Kläger ab 1. März 1968 wegen besonderen beruflichen Betroffenseins gemäß § 30 Abs. 2 Buchst. a BVG Versorgung nach einer um 10 v.H. erhöhten MdE zu gewähren. Die Berufung ist zugelassen worden.
In den Entscheidungsgründen hat das Sozialgericht ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass der Kläger nicht nur im erlernten Beruf als Werkzeugmacher, sondern auch in der später ausgeübten Tätigkeit als Schweißer durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Grade als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert gewesen sei, da auch diese Tätigkeit die volle Funktionstüchtigkeit beider Hände vorausgesetzt habe. Infolgedessen habe das bereits vorher schädigungsbedingt bestehende besondere berufliche Betroffensein durch die spätere schädigungsunabhängige Berufsaufgabe im Sinne der sogenannten überholenden Kausalität nicht aufgehoben werden können. Die Berufung sei zuzulassen, da der Frage der überholenden Kausalität im Rahmen des § 30 Abs. 2 BVG grundsätzliche Bedeutung beizumessen sei.
Gegen das dem Beklagten am 17. Januar 1972 zugestellte Urteil ist die Berufung am 21. Januar 1972 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangen, zu deren Begründung er ausführt, als Schweißer habe der Kläger mehr verdient als in dem ursprünglich erlernten Beruf des Werkzeugmachers, so dass von vornherein die Voraussetzungen für eine Erhöhung der MdE wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins nicht gegeben gewesen seien. Im übrigen habe er im Jahre 1957 den Beruf des Schweißers wegen eines nichtschädigungsbedingten Nervenleidens aufgeben müssen. Selbst wenn man unterstelle, dass er in dem Beruf als Schweißer besondere Energie habe aufwenden müssen und diesen Beruf nur unter Gefährdung seiner Gesundheit habe ausüben können, seien die Voraussetzungen für eine Erhöhung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG nicht erfüllt, da der Kläger im Zeitpunkt der Antragstellung den Beruf des Schweißers schon nicht mehr verrichtet habe, und zwar aus nichtschädigungsbedingten Gründen. Ein Fall der überholenden Kausalität sei nicht ersichtlich.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 24. November 1971 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Versorgungsakte mit der Grundlisten-Nr. hat vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Rechtszüge, der auszugsweise vorgetragen worden ist, wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 150 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassene Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Abs. 1 SGG). Sie ist auch begründet.
Der Bescheid vom 5. Juni 1968, der in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 1968 Gegenstand der Klage geworden ist (§ 95 SGG), ist zu Recht ergangen.
Der Bescheid vom 5. Juni 1968, der in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 1968 Gegenstand der Klage geworden ist (§ 95 SGG), ist zu Recht ergangen.
Der Streit der Beteiligten geht um die Frage, welchen Grad der MdE unter Berücksichtigung eines beruflichen Betroffenseins die anerkannten Schädigungsfolgen bedingen.
Nach § 30 Abs. 1 BVG ist die MdE nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen. Sie ist höher zu bewerten, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem vor der Schädigung ausgeübten, begonnenen oder nachweislich angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen ist, den er nach Eintritt der Schädigung ausgeübt hat oder noch ausübt. Das ist der Fall, wenn er infolge der Schädigung weder seinen bisher ausgeübten, begonnenen oder den nachweislich angestrebten noch einen sozial gleichwertigen Beruf ausüben kann oder zwar seinen vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf weiter ausübt oder den nachweisbar angestrebten Beruf erreicht hat, in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen aber in einen wesentlich höheren Grad als im allgemeinen Erwerbsleben gemindert ist oder infolge der Schädigung nachweisbar am weiteren Aufstieg in seinem Beruf gehindert ist (§ 30 Abs. 2 Buchst. a bis c BVG). Durch diese Vorschrift sollen die über die Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben hinausgehenden besonderen Nachteile ausgeglichen werden. Daraus ergibt sich zugleich, dass nicht alle Nachteile, die der Versorgungsberechtigte in seinem beruflichen Fortkommen erleidet, bereits ein besonderes berufliches Betroffensein begründen. Ein solches ist im Fall des Klägers deshalb zu verneinen, weil er nach der erlittenen Schädigung bereits im Jahre 1945 eine Umschulung erfuhr, die es ihm bis zum Jahre 1957 ermöglichte, als Schweißer zu arbeiten. Damit war er in die Lage versetzt worden eine dem erlernten Beruf des Werkzeugmachers vergleichbare Tätigkeit zu verrichten, die ihm im Jahre 1957 sogar einen Stundenlohn von 2,– DM eingebracht hat, während ein vergleichbarer Werkzeugmacher zur selben Zeit lediglich 1,96 DM verdiente. Der Kläger hat demzufolge auch einen sozial gleichwertigen Beruf ausgeübt, der sich in gleichem Maße wie der frühere Beruf des Werkzeugmachers aus dem allgemeinen Erwerbsleben heraushob. Wenn er nun seit August 1957 nicht mehr in der Lage war, seinem Umschulungsberuf als Schweißer nachzugehen, so ist das nicht den Schädigungsfolgen anzulasten, sondern dem schädigungsunabhängigen entzündlichen Nervenleiden, welches keine körperliche und geistige Überbeanspruchung zuließ. Das allein hat nach der Auskunft des Dr. B. vom 16. Februar 1968 den Berufswechsel bedingt und zu dem Mindereinkommen ab Aufgabe der Schweißertätigkeit geführt weil der Kläger nur noch Beschäftigungen als Pförtner, Speiseraumwärter und Werksanitäter ausüben kann. Da das Mindereinkommen auf nichtschädigungsbedingten Gründen beruht, kann es nicht zu einer Höherbewertung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG führen. Das Sozialgericht hat verkannt, dass für die spätere berufliche Entwicklung die Schädigungsfolgen weder die alleinige Ursache noch eine annähernd gleichwertige Mitursache gewesen sind. So gesehen stellte sich die Frage gar nicht, ob und inwieweit der Anspruch des Klägers unter dem Gesichtspunkt der sogenannten überholenden Kausalität zu beurteilen ist. Ausgangspunkt dafür bilden auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts die Fälle, in denen der durch ein Ereignis tatsächlich verursachte konkrete Schaden unabhängig von diesem Ereignis auch durch ein anderes bewirkt worden wäre (vgl. Palandt, Komm. z. BVG, Vorbem. vor § 249; 5 ff.). Die nach bürgerlichem Recht notwendige konkrete Berechnung des Schadens (§ 249 BVG) nötigt bisweilen dazu, auch einen hypothetischen Geschehensablauf in Betracht zu ziehen. Im Recht der Kriegsopferversorgung ist dagegen bei der Bemessung der MdE nicht von einer konkreten Betrachtungsweise, sondern von einer abstrakten Bewertung der Schädigungsfolgen auszugehen (vgl. BSG, Urt. v. 28.6.1968, Az.: 9 RV 604/65). Auch die Frage, ob eine Schädigung eingetreten ist, ist rückblickend nur auf Grund des tatsächlichen, nicht eines fiktiven Geschehensablaufs und der Bewertung der Erfolgsbedingungen nach der Kausalitätsnorm zu prüfen. Nur ausnahmsweise ist für die Schadensberechnung im Versorgungsrecht die voraussichtliche Entwicklung der Verhältnisse zugrundezulegen, nämlich im Falle des § 30 Abs. 3 BVG. Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob das Problem der überholenden Kausalität grundsätzlich eine Frage des ursächlichen Zusammenhangs oder eine solche der Schadensberechnung ist. Denn im vorliegenden Falle haben die Schädigungsfolgen weder vor 1957 noch danach zu einem beruflichen Betroffensein geführt. Damit ist jeder rechtlich erheblichen Erwägung darüber, ob und welchen Einfluss ein hypothetischer Ablauf des Geschehens im Rahmen des § 30 Abs. 2 BVG Bedeutung haben könnte, die Grundlage entzogen.
Der Berufung war daher stattzugeben.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
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