S 1 KR 172/07 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 1 KR 172/07 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
LDL-Apherese - vorherige Antragstellung - Rechtsschutz
I. Der Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Gegenstand des Verfahrens ist die Gewährung einer ambulanten extrakorporalen Lipid-Apherese als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung.

Der 1960 geborene Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert. Er leidet nach ärztlicher Feststellung an einer schweren koronaren Herzerkrankung und generalisierter Arteriosklerose. Die ersten Beschwerden traten bereits 1995 auf, im August 2000 musste eine aortakoronare Bypassversorgung (Dreifachbypass-Operation) durchgeführt werden. In der Folgezeit waren multiple Stentimplantationen und Angioplastien notwendig. Zuletzt wurde eine Instent-Stenose im Bereich des RCX im April 2004 im Klinikum G. durchgeführt. Der Antragsteller leidet u.a. an einem erhöhten Lipoprotein (a)-Wert; der aktuelle Wert lag am 16.05.2007 bei 109 mg/dl (Normalwert: 30 mg/dl).

Am 13.07.2007 ging beim Sozialgericht Landshut ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ein. Darin wurde beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller Kostenübernahme für eine regelmäßige extrakorporale Lipid-Apherese-Therapie mit sofortiger Wirkung zu gewähren. Zur Begründung trug die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers im Wesentlichen vor: Die behandelnden Ärzte seien der Auffassung, dass der hier vorliegende deutlich erhöhte Lp(a)-Spiegel als eigenständiger und wichtiger kardiovaskulärer Risikofaktor neben der schweren Hyperlipoproteinämie zu bewerten sei und weder durch diätetische noch medikamentöse Therapie nennenswert beeinflusst werden könne. Angesichts der rasch fortschreitenden Arteriosklerose bedürfe es einer umgehenden Einleitung der streitgegenständlichen Therapie, um das Leben des Antragstellers zu erhalten bzw. eine Invalidisierung zu verhindern. Dem Antragsteller sei die streitgegenständliche Apherese in der Zeit von 2003 bis 2004 bereits genehmigt worden. Er habe von der Therapie profitiert. Der Folgeantrag sei mit der Begründung abgelehnt worden, dass, bedingt durch den Benefit der Behandlung, eine Optimierung der Lipidwerte erzielt werden konnte und daher eine Fortsetzung nicht in Betracht käme. Die isolierte Lp(a)-Erhöhung stelle keine Indikation dar, da der Gemeinsame Bundesausschuss diese nicht empfohlen habe.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssten behördliche und gerichtliche Verfahren die im Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit enthaltenen grundlegenden objektiven Wertentscheidungen gerecht werden. In der Entscheidung vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98) habe das höchste deutsche Gericht festgestellt, dass es mit den Grundrechten aus Art.2 Abs.1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art.2 Abs.2 Satz 1 GG nicht vereinbar sei, einem gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung stehe, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder einer spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe. In einem "fachärztlichen Gutachten" vom 21.05.2007 bestätigte der behandelnde Internist und Nephrologe Dr.L. vom Klinikum P. das Vorliegen einer dringlichen Indikation zur Durchführung einer Lipid-Apherese. Nur durch eine Apherese-Therapie könne eine weitere schwere Invalidisierung des Patienten vermieden werden.

Die Antragsgegnerin beantragte, den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurückzuweisen.

Nach ihrer Auffassung ist weder ein Rechtsschutzbedürfnis, noch ein Anordnungsgrund bzw. ein Anordnungsanspruch gegeben.

Vorliegend seien die Richtlinien gem. § 92 Abs.1 Satz 2 Ziff.5 SGB V, die die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden betreffen (BUB-Richtlinien, jetzt MVV-Richtlinien) einschlägig. Die streitgegenständliche Behandlung sei unter Ziff.1 der Anlage A als ambulante Durchführung der Apheresen als extrakorporales Hämotherapieverfahren aufgeführt. Unter § 1 sei jedoch bereits klargestellt, dass die Genehmigung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung eines speziellen Geneh- migungsverfahrens sowie der Genehmigung im Einzelfall (Hervorhebung im Orginal) bedürfe. § 2 lege fest, dass die Durchführung und Abrechnung von Apheresen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung erst nach Erteilung der Genehmigung durch die Kassenärztliche Vereinigung zulässig sei. Im Ergebnis seien entsprechend der Anlage A, Ziff.1, nur diejenigen Behandlungen von den BUB-Richtlinien abgedeckt, die im Rahmen des dargestellten Verfahrens durch die beratende Kommission der kassenärztlichen Vereinigung genehmigt wurden. Eine am 06.10.2004 vom Antragsteller begehrte Lipid-Apherese sei zuletzt mit Schreiben vom 21.10.2004 abgelehnt worden. Diese Entscheidung sei mit einer Besserung des Krankheitsbildes begründet worden. Es könne deshalb nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die zuständige Kommission der KVB und mithin die Antragsgegenerin bei einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Antragstellers diesem bei einer erneuten Antragstellung kein Gehör geschenkt hätte. Aufgrund dieser Tatsachen sei der Antrag schon mangels Rechtsschutzbedürfnis abzulehnen.

Unabhängig davon sei auch ein Anordnungsgrund nicht ersichtlich. Aus welchen Gründen vorliegend dem Antragsteller ein Abwarten bis zur Entscheidung durch die Beklagte nicht zumutbar sei, sei nicht glaubhaft dargelegt worden. Aus dem einzigen aktuellen fachärztlichen Gutachten vom 21.05.2007 könnten nicht alle relevanten Daten, die für die Beurteilung einer Leistungspflicht der Krankenkasse entsprechend der Anlage A der BUB-Richtlinien notwendig sind, entnommen werden. Schließlich müsse zum jetzigen Zeitpunkt auch mangels Darlegung der nach § 3 Nr.3.3, § 4 der Anlage A, Ziff.1 der BUB-Richtlinien zur Beurteilung der Indikation erforderlichen medizinischen Angaben sowie deren Glaubhaftmachung auch ein Anordnungsanspruch verneint werden. Ob die Voraussetzungen einer Indikation entsprechend der BUB-Richtlinien vorliegen, könne allein anhand der lediglich behaupteten Laborwerte nicht beurteilt werden. Am 24.05.2006 habe der gemeinsame Bundesausschuss die "Apherese-Behandlung bei isolierter Lp(a)-Erhöhung" erneut in seine Beratungsliste aufgenommen. Eine Entscheidung stehe noch aus. Schließlich rechtfertige auch der von der Prozessvertreterin vorgelegte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.02.2007 - 1 BvR 3101/06 kein anderes Ergebnis. Die Antragsgegnerin werde dem Antragsteller die begehrte Behandlung nicht versagen, wenn die zuständige Kommission diese aus medizinischen Gründen befürworte. Die Möglichkeit der Überprüfung durch die zuständige Kommission wurde vorliegend jedoch mangels Antragstellung entsprechend den BUB-Richtlinien sowie Vorlage der erforderlichen Unterlagen durch den Antragsteller vereitelt.

Zum Vorbringen der Antragsgegnerin nahm die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit weiterem Schriftsatz vom 06.08.2007 Stellung. Auf den Inhalt dieses Schreibens wird Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist nach Auffassung der Kammer derzeit nicht zulässig. Es fehlt am Rechtsschutzbedürfnis.

Auch im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist zu prüfen, ob ein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Dieses verlangt, dass sich der Antragsteller in der Regel zunächst an die Verwaltung wendet und dort die Leistung beantragt. Ausnahmsweise kann, ohne dass ein förmlicher Antrag auf die Leistung gestellt ist, ein Rechtsschutzbedürfnis bestehen, wenn die Sache sehr eilig ist und der Antragsteller aus besonderen Gründen mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, bei der Behörde kein Gehör zu finden, etwa weil diese bereits mit der Angelegenheit befasst war (vgl. Meyer-Ladewig SGG, § 86b Rdnr.26b). Dieser Ausnahmefall liegt nicht vor: Im September 2003 war beim Antragsteller die Durchführung einer LDL-Apherese für die Dauer eines Jahres genehmigt worden. Der vom behandelnden Arzt gestellte Folgeantrag wurde durch Bescheid der KVB vom 21.10.2004 gegenüber dem behandelnden Nephrologen abgelehnt, ein entsprechender Bescheid erging auch an den Kläger. Die Ablehnung wurde damit begründet, dass die Lipidwerte nunmehr im Zielbereich lägen und eine Weiterführung der Apherese daher nicht mehr angezeigt sei. Ferner damit, dass die "schwere isolierte Lp(a)-Erhöhung" keine Indikation zur LDL-Apherese darstelle. Die damalige Entscheidung wurde vom Antragsteller und seinen behandelnden Ärzten offenbar akzeptiert. Eine erneute Antragstellung bei der Beklagten wegen einer Lipid-Apherese-Therapie erfolgte in der Folgezeit nicht mehr.

Nach Auffassung der Kammer liegt hier kein Ausnahmefall vor, der die Gewährung von gerichtlichem Rechtsschutz ohne vorherige Einschaltung der Krankenkasse erfordert. Die vorgelegten medizinschen Unterlagen rechtfertigen weder die Annahme, dass in Anbetracht des Krankheitsbildes keine Zeit mehr für die Durchführung des in den BUB-Richtlinien vorgeschriebenen Verfahrens verblieb, noch dass der Leistungsantrag ohnehin mit großer Wahrscheinlichkeit keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Nach Auffassung der Kammer ist es dem Antragsteller zuzumuten, zunächst Antrag bei der Beklagten zu stellen und das in Ziff.1 der BUB-Richtlinien vorgesehene Verfahren einzuleiten. Die Richtlinien machen u.a. genaue Vorgaben zur Indikationsstellung und zum Behandlungsverlauf (§ 3 Ziff.3.3). Der Indikationsstellung zur LDL-Apherese hat eine ergänzende kardiologische bzw. angiologische und lipodologische Beurteilung des Patienten voranzugehen (§ 4), ferner ist jeder Einzelfall einer fachkundigen Kommission der kassenärztlichen Vereinigung vorzulegen (§ 5). Ein Verzicht auf dieses Verfahren, dass eine fachkundige Vorprüfung gewährleistet, ist auch nicht aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles gerechtfertigt. Den vorgelegten ärztlichen Unterlagen ist nicht zu entnehmen, dass jede weitere Verzögerung des Beginns der Lipid-Apherese zu zusätzlichen schweren Gesundheitsstörungen beim Antragsteller führen würde. Eine Antragstellung bei der Krankenkasse entfällt auch nicht deswegen, weil die LDL-Apherese bei isolierter Lipoprotein (a)-Erhöhung gegenwärtig nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehört. Nach der nachgereichten fachärztlichen Stellungnahme des Dr.med.L. vom 03.08.2007 liegt beim Antragsteller nicht nur eine isolierte Lp(a)-Erhöhung vor, sondern eine schwere kombinierte Fettstoffwechselstörung. Nachdem die schwere Hypercholesterinämie (unter bestimmten Voraussetzungen) grundsätzlich als Indikation für eine LDL-Apherese anerkannt ist, kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass eine entsprechende Überprüfung unter Einschaltung der beratenden Kommission der KVB sowie des MDK zu einem für den Antragsteller positiven Ergebnis führt. Die Antragsgegenerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Entscheidung vom 21.10.2004 (auch) mit einer Besserung des Krankheitsbildes begründet wurde und somit nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden könne, dass bei einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Antragstellers "diesem bei einer erneuten Antragstellung kein Gehör geschenkt" würde.

Zusammengefasst ist die Kammer der Auffassung, dass auch in Würdigung der Schwere des beim Antragsteller vorliegenden Krankheitsbildes dieser verpflichtet gewesen wäre, vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens seiner Krankenkasse Gelegenheit zur Prüfung und Stellungnahme zu geben. Gerade bei kostenintensiven Therapiemaßnahmen muss der Krankenkasse, auch im Interesse der Beitragszahler, Gelegenheit gegeben werden, Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der beantragten Leistungen zu prüfen. Durch die direkte Antragstellung bei Gericht hätte die Krankenkasse, gerade bei komplexen medizinisch-rechtlichen Sachverhalten wie dem vorliegendem, keine ausreichende Möglichkeit zur Anspruchsprüfung. Nur wenn jede weitere zeitliche Verzögerung zu einer unzumutbaren gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Belastung des Versicherten führen würde, kann dieser unmittelbar den Rechtsweg beschreiten. Ein derartiger Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben.

Zwar ergeben sich aus Art.19 Abs.4 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Eine solche Fallgestaltung ist u.a. anzunehmen, wenn es im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um existentiell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung für den Antragsteller geht. In diesen Fällen ist dem Gericht eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage verwehrt. Die Gerichte müssen entweder die Sach- und Rechtslage abschließend prüfen oder, falls dies im Eilverfahren nicht möglich ist, dies anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, wobei die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen sind (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 06.02.2007 - 1 BvR 3101/06). Die Kammer verkennt nicht die Bedeutung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben für den konkreten Fall. Auch bei der Prüfung der Zulässigkeit ist das Grundrecht aus Art.19 Abs.4 Satz 1 GG zu beachten. Nach Auffassung der Kammer verstößt es aber nicht gegen grundrechtlich geschützte Belange des Antragstellers, wenn von ihm - wie von anderen schwerkranken Versicherten auch - verlangt wird, zunächst der Antragsgegnerin Gelegenheit zur Prüfung und Stellungnahme zu geben. Falls die Antragsgegnerin diese Prüfung nicht mit der gebotenen Beschleunigung durchführt, besteht für den Antragsteller selbstverständlich die Möglichkeit der Inanspruchnahme sozialgerichtlichen Rechtsschutzes.

Der Antrag war daher als unzulässig abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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