Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 817/83
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Kommen für einen bestimmten Erfolg nach wissenschaftlichen Erkenntnissen nur zwei Ursachen in Betracht, die beide für sich gesehen „an sich” unwahrscheinlich sind, so ist gleichwohl eine hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung zu bejahen, wenn bei Abwägung aller Umstände die für eine der beiden Ursachen sprechenden Gründe so stark überwiegen, daß darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann.
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 5. Juli 1983 und der Bescheid der Beklagten vom 27. November 1981 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin wegen der Unfallfolgen "Erblindung beider Augen durch Atrophie der Sehnerven” Verletztenrente nach einer MdE um 100 v.H. zu gewähren.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten vor allem darüber, ob die Erblindung der Klägerin auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen ist.
Die im Jahre 1927 geborene Klägerin war seit 1975 als Putzhilfe im Sanatorium G. in R. beschäftigt und aus dieser Beschäftigung bei der Beklagten gegen Arbeitsunfall versichert. Am 18. September 1979 reinigte sie die Überlaufrinne des Schwimmbades von Kalkresten. Sie benutzte dabei einen Putzeimer mit etwa acht Litern einer Reinigungslösung aus "Helotil”, "Septafix” und Wasser. Die Putzlösung trug sie auf die Kalkflecken auf und schrubbte diese dann mit einer Wurzelbürste. Sie lag dabei auf den Knien und arbeitete ohne Pause von etwa 16.00 Uhr bis 18.30 Uhr. – Nachdem die Klägerin bereits in der Nacht zum 19. September 1979 starke Schmerzen in den Augen verspürt hatte, suchte sie in den folgenden Tagen verschiedene Ärzte auf. Wegen eines fortschreitenden Funktionsverlustes beider Augen wurde sie schließlich am 22. September 1979 in die Augenklinik der St. D. eingewiesen. Dort kam es am 27. September 1979 zur völligen Erblindung beider Augen.
Auf die Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 3. Oktober 1979 leitete die Beklagte im Januar 1981 ihre Ermittlungen ein und zog unter anderem einen Befundbericht des Dr. L. vom 16. Januar 1981 (ergänzt durch Schreiben vom 9. Juli 1981) bei sowie einen Befundbericht der St. M. vom 3. Dezember 1979 und eine Epikrise der St. D. vom 24. Oktober 1979. In den Berichten der Kliniken wird jeweils als Diagnose eine Arteriitis angegeben. – Unter Berücksichtigung dieser Diagnosen sowie unter Berücksichtigung der Stellungnahmen von Prof. Dr. G. vom 7. August 1981 und des Dr. L. vom 16. Januar 1981, wonach ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Erblindung und dem Umgang mit Reinigungsmitteln nicht vorlag, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. November 1981 eine Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin Klage erhoben. Später hat sie auch gegen ein privates Versicherungsunternehmen eine zivilrechtliche Klage erhoben. Das angerufene Sozialgericht Darmstadt hat ein Gutachten des Prof. Dr. Dr. L. eingeholt, das dieser am 1. März 1983 erstellt hat. Danach kann die medizinische Zusammenhangsfrage, ob die Erblindung mit dem Reinigungsvorgang in Zusammenhang gebracht werden kann, drei Jahre nach dem Ereignis nicht mehr beantwortet werden. Prof. Dr. Dr. L. hielt daher die Einholung eines toxikologischen Zusatzgutachtens für erforderlich.
Das Sozialgericht Darmstadt hat jedoch mit Urteil vom 5. Juli 1983 ohne Einholung eines weiteren Gutachtens die Klage abgewiesen. Es hat sich dabei außer auf das Gutachten des Prof. Dr. Dr. L. vor allem auf zwei Gutachten des Prof. Dr. W. und des Dr. St. vom 20. Juli 1982 und des Dr. W. vom 1. September 1982 gestutzt, die in dem parallel laufenden zivilrechtlichen Verfahren eingeholt worden waren. Prof. Dr. W. und Dr. St. kamen in ihren. Gutachten zu dem Ergebnis, daß es bei den Reinigungsarbeiten, die von der Klägerin ohne Schutzbrille und ohne Schutzhandschuhe ausgeführt worden waren, zu einer zunächst unbemerkt gebliebenen Benetzung der vorderen Augenabschnitte mit der Reinigungslösung kam. Die kleinen Tropfen des Reinigungsmittels hätten mit großer Wahrscheinlichkeit zu Verätzungen beider Augen geführt und der über Tage gehende Verätzungszustand habe schließlich mit Wahrscheinlichkeit über ein komplexes Geschehen zu einer Störung der Ernährung der Sehnerven geführt. Im übrigen legen Prof. Dr. W. und Dr. St. ausführlich dar, weshalb Ihres Erachtens die von anderen Ärzten diagnostizierte Arteriitis wahrscheinlich nicht vorgelegen habe. – Demgegenüber legt Dr. W. in seinem Gutachten dar, daß selbst schwerste Verätzungen der vorderen Augenabschnitte nicht zu Schädigungen in der Sehnervendurchblutung führten. Er schließt sich deshalb ebenfalls der Diagnose einer Arteriitis an. – Das Sozialgericht kam bei der Auswertung der genannten Gutachten zu dem Ergebnis, daß die Frage der Kausalität offen bleibe. Deshalb müsse die Klägerin nach den Regeln der objektiven Beweislast die rechtlichen Nachteile der Unaufklärbarkeit tragen.
Mit ihrer (fristgerecht eingelegten) Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Im Berufungsverfahren hat der erkennende Senat ein weiteres Gutachten eingeholt, das Prof. Dr. H. und Prof. Dr. O. in Zusammenarbeit mit Frau Dr. K. am 26. Juni 1984 erstellt haben. In dem Gutachten betonen die Sachverständigen zusammenfassend zunächst, daß über die Gefährlichkeit von Helotil und Septafix für das Auge bisher verhältnismäßig wenige Erkenntnisse vorliegen; daraus dürfe jedoch nicht auf die Ungefährlichkeit dieser Reinigungsmittel geschlossen werden. Da die Verdachtsmomente für eine Arteriitis temporalis nicht bewiesen seien und andere Erkrankungen für den eingetretenen Augenschaden nicht angeschuldigt werden könnten, liege die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Einwirkung der verwendeten Reinigungsmittel und den eingetretenen Gesundheitsstörungen an den Augen der Klägerin vor. Unter Würdigung aller Fakten komme man zu der Ansicht, daß zwischen der Primärschädigung die in der Nacht zum 20. September 1979 erstmals bemerkt wurde, und der späteren Erblindung der Klägerin mit Wahrscheinlichkeit ein ursächlicher Zusammenhang bestehe.
Weitere Gutachten, die im Rahmen des zivilrechtlichen Verfahrens erstellt wurden, sind entweder von den Beteiligten vorgelegt oder vom erkennenden Senat beigezogen worden.
Nach einem formularmäßig erstellten Gutachten des Prof. Dr. R. und des Dr. Z. vom 21. April 1981 liegt bei der Klägerin eine völlige Erblindung bei einer beidseitigen Sehnervenatrophie vor. Als Grunderkrankung werde ein generalisiertes Gefäßleiden angenommen. Die Augenerkrankung sei nicht unfallbedingt.
Einem Gutachten des Prof. Dr. G. vom 29. Juni 1983 zufolge liegt ein Zusammenhang der inzwischen abgeheilten Hornhaut- bzw. Bindehautverätzungen mit dem angeschuldigten Ereignis auf der Hand. Anders verhalte es sich jedoch mit der Erkrankung der Sehnerven beider Augen, die zur völligen Erblindung geführt hat. Nach Prof. Dr. G. konnte zwar eine unfallunabhängige Arteriitis temporalis vorgelegen haben; bemerkenswert sei jedoch, daß die Klägerin zum Zeitpunkt der Erkrankung erst 52 Jahre alt gewesen sei, das Durchschnittsalter der an Arteriitis temporalis erkrankten Patienten jedoch mit 75,5 Jahren angegeben werde. Die von Prof. Dr. W. dargelegte Argumentation erscheine äußerst hypothetisch; jedoch lege der enge zeitliche Zusammenhang der schweren Allgemeinreaktion mit dem angeschuldigten Unfallereignis den Gedanken nahe, daß es sich entweder um eine toxische Einwirkung – nicht auf dem Weg über eine Augenverätzung, sondern über eine Inhalation oder das Verschlucken des phosphorsäurehaltigen Reinigungsmittels – gehandelt haben könnte oder daß eine immunpathologische Reaktion abgelaufen sei. Auch seines Erachtens sei es unbedingt erforderlich, ein weiteres Gutachten auf toxikologischem Gebiet einzuholen. Das Fehlen entzündlicher Veränderungen an den Papillen- und Netzhautgefäßen beider Augen der Klägerin spreche seines Erachtens eher für eine auf dem Weg über Verschlucken erfolgte toxische Reaktion des Zentralnervensystems einschließlich der beiden Sehnerven als für eine durch Ablagerung von Immunkomplexen ausgelöste generalisierte Arteriitis.
Auch nach dem abschließend eingeholten Gutachten des Prof. Dr. K. das am 5. Dezember 1984 in Zusammenarbeit mit dem Arzt Z. und dem Chemiker Dr. M.-P. erstellt wurde, kommen im vorliegenden Fall als mögliche Ursache für die rasche Erblindung der Klägerin nur die Arteriitis temporalis und eine Vergiftung in Betracht, alle anderen möglichen Ursachen einer Erblindung seien hier vom Verlauf der Erkrankung oder von den Ergebnissen der klinischen Untersuchungen her ausgeschlossen oder "höchst unwahrscheinlich”. Nach einer ausführlichen Darstellung des für und Wider einer Arteriitis temporalis und des Für und Wider einer toxischen Erkrankung kommen die Sachverständigen bei der Abwägung der Wahrscheinlichkeiten beider Krankheiten zu dem Ergebnis, daß deutlich mehr Gründe für das Vorliegen einer toxischen Sehnervenschädigung durch die verwendeten Reinigungsmittel als durch andere Ursachen sprechen. Es sei festzuhalten, daß eine Augenverätzung, die durch Reinigungsmittel verursacht war, tatsächlich vorgelegen habe. Die Wahrscheinlichkeit, daß zwei so seltene Ereignisse wie eine Augenverätzung durch Reinigungsmittel und eine Arteriitis temporalis innerhalb von wenigen Stunden gleichzeitig aufgetreten sein sollten, erscheine außerordentlich gering. Es liege deshalb kein vernünftiger Grund vor, trotz fehlender pathogenetischer Erklärungsmöglichkeiten eine toxische Schädigung der Sehnerven in Zweifel zu ziehen.
Zu den Gutachten des Prof. Dr. G. und des Prof. Dr. K. hat Dr. W. am 1. Februar 1985 eine Stellungnahme abgegeben. Seines Erachtens spricht weder das Alter noch die negative Biopsie der Temporalarterie gegen die Annahme einer Arteriitis temporalis. Wenn auch die Arteriitis temporalis im sechsten bis achten Lebensjahrzehnt am häufigsten sei, seien doch auch Fälle im Alter von 40 bis 59 Jahren berichtet worden. Der bioptische Befund der Temporalarterie sei ohnehin nur in 50 v.H. aller Fälle von Arteriitis temporalis positiv, Seines Erachtens spricht die Wahrscheinlichkeit nach wie vor dafür, daß kein Zusammenhang zwischen der angeschuldigten Reinigungsmittelbenutzung und der Erblindung besteht. Im zivilrechtlichen Verfahren haben sich die Klägerin und das beklagte Versicherungsunternehmen im Wege eines Vergleichs geeinigt.
Nach Ansicht der Klägerin sind die für sie mit positivem Ergebnis erstatteten Gutachten überzeugend. Deshalb stehe ihr ein Anspruch auf Verletztenrente zu.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 5. Juli 1983 und den Bescheid der Beklagten vom 27. November 1981 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 18. September 1979 Verletztenrente nach einer MdE um 100 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach Ansicht der Beklagten sind nicht die für die Klägerin sprechenden Gutachten überzeugend, sondern vielmehr diejenigen, in denen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Arbeiten mit Reinigungsmitteln und der Erblindung verneint wird.
Ergänzend wird auf den wesentlichen Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakten Bezug genommen; ferner wird auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Gerichtsakte 2-O-710/82 des Landgerichts Darmstadt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Berufung liefen vor.
Die Berufung ist auch begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Verletztenrente zu; deshalb waren der angefochtene Bescheid der Beklagten und das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt aufzuheben und die Beklagte zur Rentengewährung zu verurteilen.
Die Rentengewährung richtet sich nach §§ 580 Abs. 1, 581 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Danach erhält der Verletzte eine Rente, wenn die zu entschädigende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauert. Als Verletztenrente werden zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes gewährt, wenn infolge des Arbeitsunfalls der Verletzte seine Erwerbsfähigkeit verloren hat. Da im Falle der Klägerin der andauernde Verlust der Erwerbsfähigkeit außer Frage steht, hängt die Rentengewährung allein davon ab, ob überhaupt ein Arbeitsunfall vorlag und ob die Erblindung der Klägerin gegebenenfalls auf diesen Arbeitsunfall zurückzuführen ist. Beide Fragen sind zu bejahen.
Ein Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung ist nach § 548 Abs. 1 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer – im Gesetz näher bestimmten – versicherten Tätigkeit erleidet. Der Begriff des Unfalls wird in der RVO nicht näher definiert. Nach der in Rechtsprechung und Schrifttum seit langem im wesentlichen einhellig vertretenen Auffassung ist ein Unfall ein körperlich schädigendes, zeitlich begrenztes Ereignis. Ein solcher Unfall muß als sogenannte anspruchsbegründende Tatsache voll bewiesen sein. Dabei ist nicht erforderlich, daß der Unfall mit absoluter Gewißheit festgestellt wird; vielmehr ist ein der Gewißheit nahekommender Grad der Wahrscheinlichkeit genügend, aber auch notwendig. Eine Tatsache ist daher voll bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, daß alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (BSGE 45, 285, 287; BSGE 19, 52, 53). In diesem Sinne ist das Vorliegen eines Unfalls bewiesen, denn Dr. L. diagnostizierte am 19. September 1979 bei der Klägerin beiderseits eine gemischte Injektion der Bindehaut mit Chemosis (Ödeme der Bulbusbindehaut); ferner fanden sich beiderseits Hornhautrandinfiltrate und Hornhautrandulcera. Diese Erkrankungen sind von den Sachverständigen Übereinstimmend als Folgen einer Verätzung der Augen angesehen worden. Da nach den glaubhaften Angaben der Klägerin eine Verätzung durch andere Ursachen ausscheidet, kann davon ausgegangen werden, daß die am 19. September 1979 festgestellte Verätzung auf den Kontakt der Augen mit Spritzern der am 18. September 1979 verwendeten Reinigungslösung zurückzuführen ist. Dieser Kontakt der Augen mit Spritzern eines Reinigungsmittels ist ein Arbeitsunfall im Sinne des § 548 Abs. 1 RVO. Aus dem Umstand, daß die Klägerin am 19. September 1979 ihrem Arbeitgeber versicherte, sie habe nichts in die Augen bekommen (vgl. Unfallanzeige vom 3. Oktober 1979), kann angesichts der festgestellten Verätzung und der späteren Schilderungen der Klägerin über den Reinigungsvorgang (Bürsten in Richtung zu den Augen hin) nicht gefolgert werden, daß keinerlei Kontakt der Augen mit Spritzern des Reinigungsmittels stattgefunden hat. Die späteren Gutachten haben im übrigen, soweit sie sich mit dieser Frage befaßt haben, ergeben, daß eine Latenzzeit zwischen dem schädigenden Ereignis und den Auftreten von Beschwerden bei entsprechenden Verätzungen durchaus möglich ist; im übrigen erscheint es nahezu ausgeschlossen, daß die Klägerin in der Nacht vom 18. zum 19. September 1979 Kontakt mit anderen ätzenden Mitteln gehabt hat.
Im Hinblick auf die konkrete Arbeitsweise der Klägerin (Reinigen im Knien, Schrubben in senkrechter Pachtung zu den Augen) sieht es der Senat auch als bewiesen an, daß sie die aus der Reinigungslösung entstehenden Dämpfe eingeatmet und winzige Lösungsspritzer über die Mundschleimhäute aufgenommen hat. Auch diese Resorption der Reinigungslösung ist ein Arbeitsunfall.
Die Erblindung der Klägerin ist auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den genannten Arbeitsunfall zurückzuführen. In der gesetzlichen Unfallversicherung ist der Grundsatz anerkannt, daß für den Beweis des ursächlichen Zusammenhangs ein strenger Beweis im Sinne einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit grundsätzlich nicht gefordert worden kann. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) genügt es vielmehr, wenn der Zusammenhang zwischen einer Gesundheitsstörung und einem Unfall (sogenannte haftungsausfüllende Kausalität) hinreichend wahrscheinlich ist, das heißt wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, daß darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSGE 32, 203, 209; BSGE 45, 285, 287).
Bei der Bejahung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Erblindung und dem Kontakt mit Reinigungsmitteln hat der Senat berücksichtigt, daß "an sich” eine solche Erblindung unwahrscheinlich ist, denn eine Vielzahl von Menschen haben täglich in ähnlicher Weise Kontakt mit Reinigungsmitteln ohne dabei zu erblinden und vergleichbare Erblindungsfälle sind – soweit ersichtlich – nicht bekannt. Zu berücksichtigen ist im vorliegenden Fall aber ferner, daß auch eine Arteriitis temporalis "an sich” sehr unwahrscheinlich ist. Diese Gefäßerkrankung tritt mit einer Häufigkeit von zwei bis drei Fällen pro einhunderttausend Personen pro Jahr auf und ganz überwiegend bei Patienten zwischen dem 60. und 80 Lebensjahr. Die Klägerin war zum Zeitpunkt ihrer Erblindung aber erst 52 Jahre alt und trotz zweimaliger operativer Eingriffe zum Zwecke der Diagnosesicherung konnte bei ihr histologisch eine Riesenzellarteriitis nicht bestätigt werden. Andere Ursachen als ein schädigender Umgang mit Reinigungsmitteln und eine Arteriitis scheiden jedoch nach den übereinstimmenden Aussagen der Sachverständigen im vorliegenden Falle aus. Die Beweiswürdigung ist daher dadurch gekennzeichnet, daß zwei an sich unwahrscheinliche Ursachen gegeneinander abzuwägen sind, von denen allerdings eine nach den medizinischen Erkenntnissen die Ursache der Erblindung gewesen sein muß. Aus der an sich gegebenen Unwahrscheinlichkeit einer der beiden Ursachen darf deshalb nicht gefolgert werden, daß die andere die Erblindung verursacht hat. Zu prüfen war vielmehr im Sinne der oben dargestellten Rechtsgrundsätze, ob die Gründe für das Vorliegen einer der beiden Ursachen überwiegen oder ob für beide allein in Betracht kommende Möglichkeiten derselbe Grad der Wahrscheinlichkeit besteht. Kommen – wie hier – für einen bestimmten Erfolg (die Erblindung) nach wissenschaftlichen Erkenntnissen nur zwei Ursachen in Betracht, die beide für sich gesehen "an sich” unwahrscheinlich sind, so ist eine hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung zu bejahen, wenn bei Abwägung aller Umstände die für eine der beiden Ursachen sprechenden Gründe so stark überwiegen, daß darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann.
Im Falle der Klägerin überwiegen die Gründe, die für eine Erblindung als Folge des schädigenden Umgangs mit Reinigungsmitteln sprechen, gegenüber denjenigen Gründen, die für das Vorliegen einer Arteriitis sprechen. Dabei folgt der erkennende Senat insbesondere dem Gutachten von Prof. Dr. H. Prof. Dr. O. und Dr. K. das in entscheidender Weise die Gefährlichkeit der von der Klägerin benutzten Reinigungsmittel nachgewiesen hat, und dem Gutachten des Prof. Dr. K., in dem noch einmal die meisten vorangegangenen Gutachten in überzeugender Weise gewürdigt werden. Zusammengefaßt kann danach festgestellt werden, daß für eine Arteriitis die anfangs stark erhöhte Blutkörperchen-Senkungsgeschwindigkeit mit 70/108 spricht, ferner die aufgetretenen Kopfschmerzen, die rasche Sehverschlechterung sowie neurologische und Allgemeinsymptome. Gegen das Vorliegen einer Arteriitis spricht jedoch, daß die Klägerin im Zeitpunkt der Erkrankung erst 52 Jahre alt war, wohingegen das Durchschnittsalter von an Arteriitis temporalis erkrankten Patienten mit 75,5 Jahren angegeben wird. Die von der behandelnden Ärztin nur vage formulierte Verdachtsdiagnose einer Arteriitis (Epikrise der St. Kliniken D. vom 24. Oktober 1979: " erschien uns letztlich als Ursache eine Arteriitis an wahrscheinlichsten”) konnte im übrigen trotz einer Biopsie histologisch nicht bestätigt werden. Die für die Arteriitis typische erhöhte Blutsenkung könnte im vorliegenden Fall auch die Folge einer generellen toxischen Belastung, durch den Einfluß von Dämpfen der Reinigung sein (so Prof. Dr. H. und Kollegen in dem Gutachten vom 26. Juni 1984); nach Prof. Dr. W. kann die erhöhte Blutsenkung auch durch den Schub einer chronischen Pyelonephritis erklärt werden; weitere mögliche Gründe beschreibt Prof. Dr. K. in seinem Gutachten auf Seite 18. Schließlich fällt auf, daß von einigen typischen Symptomen einer Arteriitis wie etwa Veränderungen im weißen und roten Blutbild und Fieber nicht berichtet wird (vgl. Gutachten des Prof. Dr. W. S. 26).
Für den ursächlichen Zusammenhang der Erblindung mit einem schädigenden Umgang mit Reinigungsmitteln spricht zunächst die Gefährlichkeit der von der Klägerin verwandten Reinigungslösung. Auf einem Werbeprospekt und auf einem Gefahrenhinweis für den Speziallöser "Helotil” (Bl. 24 und 25 der GA) wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß dieses Reinigungsmittel stark ätzend wirkt. Wörtlich heißt es in dem Gefahrenhinweis: "Augen, Haut und Textilien schützen, Spritzer sofort mit kaltem Wasser abspülen, Augen unter fließendem Wasser intensiv spülen und sofort Arzt aufsuchen. – Nicht mit anderen Reinigungsmitteln zusammen anwenden, setzt z.B. aus chlorhaltigen Reinigern giftige Gase frei, die die Atemwege schädigen.” Außerdem wird in dem Werbeprospekt darauf hingewiesen, daß der Speziallöser mit kaltem, höchstens jedoch warnen Wasser vermischt werden soll. Die Gefährlichkeit dieses Speziallösers ist im vorliegenden Fall dadurch erhöht worden, daß erstens warmes Wasser zur Mischung verwandt wurde und zweitens Septafix beigemischt wurde, das die Entstehung zusätzlicher leicht flüchtiger Substanzen begünstigte (vgl. Anl. 1 zu dem Gutachten des Prof. Dr. K.). Die Klägerin hat außerdem außergewöhnlich lange – von etwa 16.00 Uhr bis 18.30 Uhr – mit der Reinigungslösung gearbeitet, sie trug dabei weder Schutzhandschuhe noch eine Schutzbrille und sie hat – zumindest teilweise – in senkrechter Richtung zu ihren Augen gebürstet, was den Kontakt kleinster Spritzer dieses Reinigungsmittels mit ihren Augen und ihrem Gesicht unvermeidbar machte. Dabei kam es auch zu einer Verätzung der Augen. – Gegen die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Erblindung und der schädigenden Einwirkung von Reinigungsmitteln spricht vor allem, daß es in der bisherigen wissenschaftlichen Forschung – soweit bekannt – keinen Beweis für die Opticustoxizität der hier verwandten Giftstoffe gibt. Prof. Dr. H. und Kollegen haben insofern deutlich aufgezeigt, daß dem wissenschaftlichen Nachweis der Oculotoxizität der hier benutzten Reinigungsmittel Grenzen gesetzt sind. Überzeugend haben die Sachverständigen aber auch ausgeführt, daß aus dem daraus resultierenden Beweisnotstand nicht auf die Ungefährlichkeit der benutzten Reinigungsmittel geschlossen werden darf.
Die Tatsache, daß die Erblindung der Klägerin bei Annahme einer Arteriitis eine Erklärung durch eine in der Schulmedizin bekannte Erkrankung finden würde, bei Annahme einer Schädigung durch Reinigungsmittel die Art und Weise der Erkrankung und des Krankheitsverlaufs aber noch nicht bekannt sind, ist kein Grund dafür, daß nur die bereits schulmedizinisch bekannte Erkrankung als wahrscheinlich angesehen werden kann. Ausschlaggebend bei der Abwägung allem Für und Wider ist für den Senat der Gesichtspunkt, den auch Prof. Dr. K. in seinem Gutachten herausgestellt hat: die Wahrscheinlichkeit, daß zwei so seltene Ereignisse wie eine Augenverätzung durch die Verwendung von Reinigungsmitteln und eine Arteriitis temporalis innerhalb von wenigen Stunden gleichzeitig aufgetreten sein sollen, ist außerordentlich gering. Auch nach Prof. Dr. H. und Kollegen ist die Erblindung durch Opticusatrophie."mit Sicherheit” in Zusammenhang mit den am 18. und 19. September 1979 ausgelösten Vorgängen am Auge zu sehen. Deshalb überwiegen die gründe, die für eine Erblindung infolge einer vorangegangenen Verätzung der Augen sprechen.
Soweit die Klägerin die Reinigungslösung auch über die Schleimhaut des Bundes und damit den Verdauungstrakt und über den Luftweg resorbiert hat, machen es die von Prof. Dr. K. aufgeführten Gründe nur noch wahrscheinlicher, daß die Schädigung der Augen auf der unvorsichtigen Benutzung des Speziallösers beruht.
Die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung zwischen der Erblindung und der Benutzung des Speziallösers ist damit insgesamt gesehen zu bejahen.
Der Berufung war nach alledem stattzugeben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG); die Nichtzulassung der Revision folgt aus § 160 SGG.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten vor allem darüber, ob die Erblindung der Klägerin auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen ist.
Die im Jahre 1927 geborene Klägerin war seit 1975 als Putzhilfe im Sanatorium G. in R. beschäftigt und aus dieser Beschäftigung bei der Beklagten gegen Arbeitsunfall versichert. Am 18. September 1979 reinigte sie die Überlaufrinne des Schwimmbades von Kalkresten. Sie benutzte dabei einen Putzeimer mit etwa acht Litern einer Reinigungslösung aus "Helotil”, "Septafix” und Wasser. Die Putzlösung trug sie auf die Kalkflecken auf und schrubbte diese dann mit einer Wurzelbürste. Sie lag dabei auf den Knien und arbeitete ohne Pause von etwa 16.00 Uhr bis 18.30 Uhr. – Nachdem die Klägerin bereits in der Nacht zum 19. September 1979 starke Schmerzen in den Augen verspürt hatte, suchte sie in den folgenden Tagen verschiedene Ärzte auf. Wegen eines fortschreitenden Funktionsverlustes beider Augen wurde sie schließlich am 22. September 1979 in die Augenklinik der St. D. eingewiesen. Dort kam es am 27. September 1979 zur völligen Erblindung beider Augen.
Auf die Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 3. Oktober 1979 leitete die Beklagte im Januar 1981 ihre Ermittlungen ein und zog unter anderem einen Befundbericht des Dr. L. vom 16. Januar 1981 (ergänzt durch Schreiben vom 9. Juli 1981) bei sowie einen Befundbericht der St. M. vom 3. Dezember 1979 und eine Epikrise der St. D. vom 24. Oktober 1979. In den Berichten der Kliniken wird jeweils als Diagnose eine Arteriitis angegeben. – Unter Berücksichtigung dieser Diagnosen sowie unter Berücksichtigung der Stellungnahmen von Prof. Dr. G. vom 7. August 1981 und des Dr. L. vom 16. Januar 1981, wonach ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Erblindung und dem Umgang mit Reinigungsmitteln nicht vorlag, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. November 1981 eine Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin Klage erhoben. Später hat sie auch gegen ein privates Versicherungsunternehmen eine zivilrechtliche Klage erhoben. Das angerufene Sozialgericht Darmstadt hat ein Gutachten des Prof. Dr. Dr. L. eingeholt, das dieser am 1. März 1983 erstellt hat. Danach kann die medizinische Zusammenhangsfrage, ob die Erblindung mit dem Reinigungsvorgang in Zusammenhang gebracht werden kann, drei Jahre nach dem Ereignis nicht mehr beantwortet werden. Prof. Dr. Dr. L. hielt daher die Einholung eines toxikologischen Zusatzgutachtens für erforderlich.
Das Sozialgericht Darmstadt hat jedoch mit Urteil vom 5. Juli 1983 ohne Einholung eines weiteren Gutachtens die Klage abgewiesen. Es hat sich dabei außer auf das Gutachten des Prof. Dr. Dr. L. vor allem auf zwei Gutachten des Prof. Dr. W. und des Dr. St. vom 20. Juli 1982 und des Dr. W. vom 1. September 1982 gestutzt, die in dem parallel laufenden zivilrechtlichen Verfahren eingeholt worden waren. Prof. Dr. W. und Dr. St. kamen in ihren. Gutachten zu dem Ergebnis, daß es bei den Reinigungsarbeiten, die von der Klägerin ohne Schutzbrille und ohne Schutzhandschuhe ausgeführt worden waren, zu einer zunächst unbemerkt gebliebenen Benetzung der vorderen Augenabschnitte mit der Reinigungslösung kam. Die kleinen Tropfen des Reinigungsmittels hätten mit großer Wahrscheinlichkeit zu Verätzungen beider Augen geführt und der über Tage gehende Verätzungszustand habe schließlich mit Wahrscheinlichkeit über ein komplexes Geschehen zu einer Störung der Ernährung der Sehnerven geführt. Im übrigen legen Prof. Dr. W. und Dr. St. ausführlich dar, weshalb Ihres Erachtens die von anderen Ärzten diagnostizierte Arteriitis wahrscheinlich nicht vorgelegen habe. – Demgegenüber legt Dr. W. in seinem Gutachten dar, daß selbst schwerste Verätzungen der vorderen Augenabschnitte nicht zu Schädigungen in der Sehnervendurchblutung führten. Er schließt sich deshalb ebenfalls der Diagnose einer Arteriitis an. – Das Sozialgericht kam bei der Auswertung der genannten Gutachten zu dem Ergebnis, daß die Frage der Kausalität offen bleibe. Deshalb müsse die Klägerin nach den Regeln der objektiven Beweislast die rechtlichen Nachteile der Unaufklärbarkeit tragen.
Mit ihrer (fristgerecht eingelegten) Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Im Berufungsverfahren hat der erkennende Senat ein weiteres Gutachten eingeholt, das Prof. Dr. H. und Prof. Dr. O. in Zusammenarbeit mit Frau Dr. K. am 26. Juni 1984 erstellt haben. In dem Gutachten betonen die Sachverständigen zusammenfassend zunächst, daß über die Gefährlichkeit von Helotil und Septafix für das Auge bisher verhältnismäßig wenige Erkenntnisse vorliegen; daraus dürfe jedoch nicht auf die Ungefährlichkeit dieser Reinigungsmittel geschlossen werden. Da die Verdachtsmomente für eine Arteriitis temporalis nicht bewiesen seien und andere Erkrankungen für den eingetretenen Augenschaden nicht angeschuldigt werden könnten, liege die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Einwirkung der verwendeten Reinigungsmittel und den eingetretenen Gesundheitsstörungen an den Augen der Klägerin vor. Unter Würdigung aller Fakten komme man zu der Ansicht, daß zwischen der Primärschädigung die in der Nacht zum 20. September 1979 erstmals bemerkt wurde, und der späteren Erblindung der Klägerin mit Wahrscheinlichkeit ein ursächlicher Zusammenhang bestehe.
Weitere Gutachten, die im Rahmen des zivilrechtlichen Verfahrens erstellt wurden, sind entweder von den Beteiligten vorgelegt oder vom erkennenden Senat beigezogen worden.
Nach einem formularmäßig erstellten Gutachten des Prof. Dr. R. und des Dr. Z. vom 21. April 1981 liegt bei der Klägerin eine völlige Erblindung bei einer beidseitigen Sehnervenatrophie vor. Als Grunderkrankung werde ein generalisiertes Gefäßleiden angenommen. Die Augenerkrankung sei nicht unfallbedingt.
Einem Gutachten des Prof. Dr. G. vom 29. Juni 1983 zufolge liegt ein Zusammenhang der inzwischen abgeheilten Hornhaut- bzw. Bindehautverätzungen mit dem angeschuldigten Ereignis auf der Hand. Anders verhalte es sich jedoch mit der Erkrankung der Sehnerven beider Augen, die zur völligen Erblindung geführt hat. Nach Prof. Dr. G. konnte zwar eine unfallunabhängige Arteriitis temporalis vorgelegen haben; bemerkenswert sei jedoch, daß die Klägerin zum Zeitpunkt der Erkrankung erst 52 Jahre alt gewesen sei, das Durchschnittsalter der an Arteriitis temporalis erkrankten Patienten jedoch mit 75,5 Jahren angegeben werde. Die von Prof. Dr. W. dargelegte Argumentation erscheine äußerst hypothetisch; jedoch lege der enge zeitliche Zusammenhang der schweren Allgemeinreaktion mit dem angeschuldigten Unfallereignis den Gedanken nahe, daß es sich entweder um eine toxische Einwirkung – nicht auf dem Weg über eine Augenverätzung, sondern über eine Inhalation oder das Verschlucken des phosphorsäurehaltigen Reinigungsmittels – gehandelt haben könnte oder daß eine immunpathologische Reaktion abgelaufen sei. Auch seines Erachtens sei es unbedingt erforderlich, ein weiteres Gutachten auf toxikologischem Gebiet einzuholen. Das Fehlen entzündlicher Veränderungen an den Papillen- und Netzhautgefäßen beider Augen der Klägerin spreche seines Erachtens eher für eine auf dem Weg über Verschlucken erfolgte toxische Reaktion des Zentralnervensystems einschließlich der beiden Sehnerven als für eine durch Ablagerung von Immunkomplexen ausgelöste generalisierte Arteriitis.
Auch nach dem abschließend eingeholten Gutachten des Prof. Dr. K. das am 5. Dezember 1984 in Zusammenarbeit mit dem Arzt Z. und dem Chemiker Dr. M.-P. erstellt wurde, kommen im vorliegenden Fall als mögliche Ursache für die rasche Erblindung der Klägerin nur die Arteriitis temporalis und eine Vergiftung in Betracht, alle anderen möglichen Ursachen einer Erblindung seien hier vom Verlauf der Erkrankung oder von den Ergebnissen der klinischen Untersuchungen her ausgeschlossen oder "höchst unwahrscheinlich”. Nach einer ausführlichen Darstellung des für und Wider einer Arteriitis temporalis und des Für und Wider einer toxischen Erkrankung kommen die Sachverständigen bei der Abwägung der Wahrscheinlichkeiten beider Krankheiten zu dem Ergebnis, daß deutlich mehr Gründe für das Vorliegen einer toxischen Sehnervenschädigung durch die verwendeten Reinigungsmittel als durch andere Ursachen sprechen. Es sei festzuhalten, daß eine Augenverätzung, die durch Reinigungsmittel verursacht war, tatsächlich vorgelegen habe. Die Wahrscheinlichkeit, daß zwei so seltene Ereignisse wie eine Augenverätzung durch Reinigungsmittel und eine Arteriitis temporalis innerhalb von wenigen Stunden gleichzeitig aufgetreten sein sollten, erscheine außerordentlich gering. Es liege deshalb kein vernünftiger Grund vor, trotz fehlender pathogenetischer Erklärungsmöglichkeiten eine toxische Schädigung der Sehnerven in Zweifel zu ziehen.
Zu den Gutachten des Prof. Dr. G. und des Prof. Dr. K. hat Dr. W. am 1. Februar 1985 eine Stellungnahme abgegeben. Seines Erachtens spricht weder das Alter noch die negative Biopsie der Temporalarterie gegen die Annahme einer Arteriitis temporalis. Wenn auch die Arteriitis temporalis im sechsten bis achten Lebensjahrzehnt am häufigsten sei, seien doch auch Fälle im Alter von 40 bis 59 Jahren berichtet worden. Der bioptische Befund der Temporalarterie sei ohnehin nur in 50 v.H. aller Fälle von Arteriitis temporalis positiv, Seines Erachtens spricht die Wahrscheinlichkeit nach wie vor dafür, daß kein Zusammenhang zwischen der angeschuldigten Reinigungsmittelbenutzung und der Erblindung besteht. Im zivilrechtlichen Verfahren haben sich die Klägerin und das beklagte Versicherungsunternehmen im Wege eines Vergleichs geeinigt.
Nach Ansicht der Klägerin sind die für sie mit positivem Ergebnis erstatteten Gutachten überzeugend. Deshalb stehe ihr ein Anspruch auf Verletztenrente zu.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 5. Juli 1983 und den Bescheid der Beklagten vom 27. November 1981 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 18. September 1979 Verletztenrente nach einer MdE um 100 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach Ansicht der Beklagten sind nicht die für die Klägerin sprechenden Gutachten überzeugend, sondern vielmehr diejenigen, in denen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Arbeiten mit Reinigungsmitteln und der Erblindung verneint wird.
Ergänzend wird auf den wesentlichen Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakten Bezug genommen; ferner wird auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Gerichtsakte 2-O-710/82 des Landgerichts Darmstadt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Berufung liefen vor.
Die Berufung ist auch begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Verletztenrente zu; deshalb waren der angefochtene Bescheid der Beklagten und das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt aufzuheben und die Beklagte zur Rentengewährung zu verurteilen.
Die Rentengewährung richtet sich nach §§ 580 Abs. 1, 581 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Danach erhält der Verletzte eine Rente, wenn die zu entschädigende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauert. Als Verletztenrente werden zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes gewährt, wenn infolge des Arbeitsunfalls der Verletzte seine Erwerbsfähigkeit verloren hat. Da im Falle der Klägerin der andauernde Verlust der Erwerbsfähigkeit außer Frage steht, hängt die Rentengewährung allein davon ab, ob überhaupt ein Arbeitsunfall vorlag und ob die Erblindung der Klägerin gegebenenfalls auf diesen Arbeitsunfall zurückzuführen ist. Beide Fragen sind zu bejahen.
Ein Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung ist nach § 548 Abs. 1 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer – im Gesetz näher bestimmten – versicherten Tätigkeit erleidet. Der Begriff des Unfalls wird in der RVO nicht näher definiert. Nach der in Rechtsprechung und Schrifttum seit langem im wesentlichen einhellig vertretenen Auffassung ist ein Unfall ein körperlich schädigendes, zeitlich begrenztes Ereignis. Ein solcher Unfall muß als sogenannte anspruchsbegründende Tatsache voll bewiesen sein. Dabei ist nicht erforderlich, daß der Unfall mit absoluter Gewißheit festgestellt wird; vielmehr ist ein der Gewißheit nahekommender Grad der Wahrscheinlichkeit genügend, aber auch notwendig. Eine Tatsache ist daher voll bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, daß alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (BSGE 45, 285, 287; BSGE 19, 52, 53). In diesem Sinne ist das Vorliegen eines Unfalls bewiesen, denn Dr. L. diagnostizierte am 19. September 1979 bei der Klägerin beiderseits eine gemischte Injektion der Bindehaut mit Chemosis (Ödeme der Bulbusbindehaut); ferner fanden sich beiderseits Hornhautrandinfiltrate und Hornhautrandulcera. Diese Erkrankungen sind von den Sachverständigen Übereinstimmend als Folgen einer Verätzung der Augen angesehen worden. Da nach den glaubhaften Angaben der Klägerin eine Verätzung durch andere Ursachen ausscheidet, kann davon ausgegangen werden, daß die am 19. September 1979 festgestellte Verätzung auf den Kontakt der Augen mit Spritzern der am 18. September 1979 verwendeten Reinigungslösung zurückzuführen ist. Dieser Kontakt der Augen mit Spritzern eines Reinigungsmittels ist ein Arbeitsunfall im Sinne des § 548 Abs. 1 RVO. Aus dem Umstand, daß die Klägerin am 19. September 1979 ihrem Arbeitgeber versicherte, sie habe nichts in die Augen bekommen (vgl. Unfallanzeige vom 3. Oktober 1979), kann angesichts der festgestellten Verätzung und der späteren Schilderungen der Klägerin über den Reinigungsvorgang (Bürsten in Richtung zu den Augen hin) nicht gefolgert werden, daß keinerlei Kontakt der Augen mit Spritzern des Reinigungsmittels stattgefunden hat. Die späteren Gutachten haben im übrigen, soweit sie sich mit dieser Frage befaßt haben, ergeben, daß eine Latenzzeit zwischen dem schädigenden Ereignis und den Auftreten von Beschwerden bei entsprechenden Verätzungen durchaus möglich ist; im übrigen erscheint es nahezu ausgeschlossen, daß die Klägerin in der Nacht vom 18. zum 19. September 1979 Kontakt mit anderen ätzenden Mitteln gehabt hat.
Im Hinblick auf die konkrete Arbeitsweise der Klägerin (Reinigen im Knien, Schrubben in senkrechter Pachtung zu den Augen) sieht es der Senat auch als bewiesen an, daß sie die aus der Reinigungslösung entstehenden Dämpfe eingeatmet und winzige Lösungsspritzer über die Mundschleimhäute aufgenommen hat. Auch diese Resorption der Reinigungslösung ist ein Arbeitsunfall.
Die Erblindung der Klägerin ist auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den genannten Arbeitsunfall zurückzuführen. In der gesetzlichen Unfallversicherung ist der Grundsatz anerkannt, daß für den Beweis des ursächlichen Zusammenhangs ein strenger Beweis im Sinne einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit grundsätzlich nicht gefordert worden kann. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) genügt es vielmehr, wenn der Zusammenhang zwischen einer Gesundheitsstörung und einem Unfall (sogenannte haftungsausfüllende Kausalität) hinreichend wahrscheinlich ist, das heißt wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, daß darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSGE 32, 203, 209; BSGE 45, 285, 287).
Bei der Bejahung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Erblindung und dem Kontakt mit Reinigungsmitteln hat der Senat berücksichtigt, daß "an sich” eine solche Erblindung unwahrscheinlich ist, denn eine Vielzahl von Menschen haben täglich in ähnlicher Weise Kontakt mit Reinigungsmitteln ohne dabei zu erblinden und vergleichbare Erblindungsfälle sind – soweit ersichtlich – nicht bekannt. Zu berücksichtigen ist im vorliegenden Fall aber ferner, daß auch eine Arteriitis temporalis "an sich” sehr unwahrscheinlich ist. Diese Gefäßerkrankung tritt mit einer Häufigkeit von zwei bis drei Fällen pro einhunderttausend Personen pro Jahr auf und ganz überwiegend bei Patienten zwischen dem 60. und 80 Lebensjahr. Die Klägerin war zum Zeitpunkt ihrer Erblindung aber erst 52 Jahre alt und trotz zweimaliger operativer Eingriffe zum Zwecke der Diagnosesicherung konnte bei ihr histologisch eine Riesenzellarteriitis nicht bestätigt werden. Andere Ursachen als ein schädigender Umgang mit Reinigungsmitteln und eine Arteriitis scheiden jedoch nach den übereinstimmenden Aussagen der Sachverständigen im vorliegenden Falle aus. Die Beweiswürdigung ist daher dadurch gekennzeichnet, daß zwei an sich unwahrscheinliche Ursachen gegeneinander abzuwägen sind, von denen allerdings eine nach den medizinischen Erkenntnissen die Ursache der Erblindung gewesen sein muß. Aus der an sich gegebenen Unwahrscheinlichkeit einer der beiden Ursachen darf deshalb nicht gefolgert werden, daß die andere die Erblindung verursacht hat. Zu prüfen war vielmehr im Sinne der oben dargestellten Rechtsgrundsätze, ob die Gründe für das Vorliegen einer der beiden Ursachen überwiegen oder ob für beide allein in Betracht kommende Möglichkeiten derselbe Grad der Wahrscheinlichkeit besteht. Kommen – wie hier – für einen bestimmten Erfolg (die Erblindung) nach wissenschaftlichen Erkenntnissen nur zwei Ursachen in Betracht, die beide für sich gesehen "an sich” unwahrscheinlich sind, so ist eine hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung zu bejahen, wenn bei Abwägung aller Umstände die für eine der beiden Ursachen sprechenden Gründe so stark überwiegen, daß darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann.
Im Falle der Klägerin überwiegen die Gründe, die für eine Erblindung als Folge des schädigenden Umgangs mit Reinigungsmitteln sprechen, gegenüber denjenigen Gründen, die für das Vorliegen einer Arteriitis sprechen. Dabei folgt der erkennende Senat insbesondere dem Gutachten von Prof. Dr. H. Prof. Dr. O. und Dr. K. das in entscheidender Weise die Gefährlichkeit der von der Klägerin benutzten Reinigungsmittel nachgewiesen hat, und dem Gutachten des Prof. Dr. K., in dem noch einmal die meisten vorangegangenen Gutachten in überzeugender Weise gewürdigt werden. Zusammengefaßt kann danach festgestellt werden, daß für eine Arteriitis die anfangs stark erhöhte Blutkörperchen-Senkungsgeschwindigkeit mit 70/108 spricht, ferner die aufgetretenen Kopfschmerzen, die rasche Sehverschlechterung sowie neurologische und Allgemeinsymptome. Gegen das Vorliegen einer Arteriitis spricht jedoch, daß die Klägerin im Zeitpunkt der Erkrankung erst 52 Jahre alt war, wohingegen das Durchschnittsalter von an Arteriitis temporalis erkrankten Patienten mit 75,5 Jahren angegeben wird. Die von der behandelnden Ärztin nur vage formulierte Verdachtsdiagnose einer Arteriitis (Epikrise der St. Kliniken D. vom 24. Oktober 1979: " erschien uns letztlich als Ursache eine Arteriitis an wahrscheinlichsten”) konnte im übrigen trotz einer Biopsie histologisch nicht bestätigt werden. Die für die Arteriitis typische erhöhte Blutsenkung könnte im vorliegenden Fall auch die Folge einer generellen toxischen Belastung, durch den Einfluß von Dämpfen der Reinigung sein (so Prof. Dr. H. und Kollegen in dem Gutachten vom 26. Juni 1984); nach Prof. Dr. W. kann die erhöhte Blutsenkung auch durch den Schub einer chronischen Pyelonephritis erklärt werden; weitere mögliche Gründe beschreibt Prof. Dr. K. in seinem Gutachten auf Seite 18. Schließlich fällt auf, daß von einigen typischen Symptomen einer Arteriitis wie etwa Veränderungen im weißen und roten Blutbild und Fieber nicht berichtet wird (vgl. Gutachten des Prof. Dr. W. S. 26).
Für den ursächlichen Zusammenhang der Erblindung mit einem schädigenden Umgang mit Reinigungsmitteln spricht zunächst die Gefährlichkeit der von der Klägerin verwandten Reinigungslösung. Auf einem Werbeprospekt und auf einem Gefahrenhinweis für den Speziallöser "Helotil” (Bl. 24 und 25 der GA) wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß dieses Reinigungsmittel stark ätzend wirkt. Wörtlich heißt es in dem Gefahrenhinweis: "Augen, Haut und Textilien schützen, Spritzer sofort mit kaltem Wasser abspülen, Augen unter fließendem Wasser intensiv spülen und sofort Arzt aufsuchen. – Nicht mit anderen Reinigungsmitteln zusammen anwenden, setzt z.B. aus chlorhaltigen Reinigern giftige Gase frei, die die Atemwege schädigen.” Außerdem wird in dem Werbeprospekt darauf hingewiesen, daß der Speziallöser mit kaltem, höchstens jedoch warnen Wasser vermischt werden soll. Die Gefährlichkeit dieses Speziallösers ist im vorliegenden Fall dadurch erhöht worden, daß erstens warmes Wasser zur Mischung verwandt wurde und zweitens Septafix beigemischt wurde, das die Entstehung zusätzlicher leicht flüchtiger Substanzen begünstigte (vgl. Anl. 1 zu dem Gutachten des Prof. Dr. K.). Die Klägerin hat außerdem außergewöhnlich lange – von etwa 16.00 Uhr bis 18.30 Uhr – mit der Reinigungslösung gearbeitet, sie trug dabei weder Schutzhandschuhe noch eine Schutzbrille und sie hat – zumindest teilweise – in senkrechter Richtung zu ihren Augen gebürstet, was den Kontakt kleinster Spritzer dieses Reinigungsmittels mit ihren Augen und ihrem Gesicht unvermeidbar machte. Dabei kam es auch zu einer Verätzung der Augen. – Gegen die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Erblindung und der schädigenden Einwirkung von Reinigungsmitteln spricht vor allem, daß es in der bisherigen wissenschaftlichen Forschung – soweit bekannt – keinen Beweis für die Opticustoxizität der hier verwandten Giftstoffe gibt. Prof. Dr. H. und Kollegen haben insofern deutlich aufgezeigt, daß dem wissenschaftlichen Nachweis der Oculotoxizität der hier benutzten Reinigungsmittel Grenzen gesetzt sind. Überzeugend haben die Sachverständigen aber auch ausgeführt, daß aus dem daraus resultierenden Beweisnotstand nicht auf die Ungefährlichkeit der benutzten Reinigungsmittel geschlossen werden darf.
Die Tatsache, daß die Erblindung der Klägerin bei Annahme einer Arteriitis eine Erklärung durch eine in der Schulmedizin bekannte Erkrankung finden würde, bei Annahme einer Schädigung durch Reinigungsmittel die Art und Weise der Erkrankung und des Krankheitsverlaufs aber noch nicht bekannt sind, ist kein Grund dafür, daß nur die bereits schulmedizinisch bekannte Erkrankung als wahrscheinlich angesehen werden kann. Ausschlaggebend bei der Abwägung allem Für und Wider ist für den Senat der Gesichtspunkt, den auch Prof. Dr. K. in seinem Gutachten herausgestellt hat: die Wahrscheinlichkeit, daß zwei so seltene Ereignisse wie eine Augenverätzung durch die Verwendung von Reinigungsmitteln und eine Arteriitis temporalis innerhalb von wenigen Stunden gleichzeitig aufgetreten sein sollen, ist außerordentlich gering. Auch nach Prof. Dr. H. und Kollegen ist die Erblindung durch Opticusatrophie."mit Sicherheit” in Zusammenhang mit den am 18. und 19. September 1979 ausgelösten Vorgängen am Auge zu sehen. Deshalb überwiegen die gründe, die für eine Erblindung infolge einer vorangegangenen Verätzung der Augen sprechen.
Soweit die Klägerin die Reinigungslösung auch über die Schleimhaut des Bundes und damit den Verdauungstrakt und über den Luftweg resorbiert hat, machen es die von Prof. Dr. K. aufgeführten Gründe nur noch wahrscheinlicher, daß die Schädigung der Augen auf der unvorsichtigen Benutzung des Speziallösers beruht.
Die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung zwischen der Erblindung und der Benutzung des Speziallösers ist damit insgesamt gesehen zu bejahen.
Der Berufung war nach alledem stattzugeben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG); die Nichtzulassung der Revision folgt aus § 160 SGG.
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