L 3 U 1413/96

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 3 U 1423/96
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 1413/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 1. Oktober 1996 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger streitet um die Anerkennung eines Ereignisses vom 14. Juli 1995 als Arbeitsunfall.

Der als Maschinenschlosser bei der in tätige Kläger mußte nach eigenen Angaben am 14. Juli 1995 im Rahmen einer dringenden Terminarbeit für Befestigungsschellen Gewinde bohren und schneiden. Die zu bearbeitenden Stellen waren unzugänglich und befanden sich im Inneren einer Vorrichtung, so daß der Kläger diese Tätigkeit in kniender und hockender Körperhaltung verrichten mußte. Dies dauerte etwa 25 Minuten. Nach Beendigung der Arbeit kroch er rückwärts aus der Vorrichtung und verspürte beim Aufrichten einen starken rißartigen Schmerz im linken Knie, der ihn zu Boden stürzen ließ. Der Durchgangsarzt Dr. diagnostizierte am Unfalltag eine Knochenhautentzündung am linken Knie und verneinte das Vorliegen eines Unfalles im Bericht vom 14. Juli 1995. Die Beklagte zog einen Bericht der Orthopädischen Klinik der vom 14. September 1995 bei, der über eine Arthroskopie am linken Knie vom 17. August 1995 Auskunft gibt und eine subtotale mediale Meniskektomie beschreibt. Als Diagnose wird eine Korbhenkelmeniskusverletzung und eine Chondromalazie 2. Grades im Bereich der inneren Oberschenkelrolle links erwähnt. Die beigefügte Meniskuspathologie des Prof. gibt einen aufgefaserten bzw. eingerissenen Meniskus wider mit degenerativen und reparativen Veränderungen im Verletzungsbereich. Die Beklagte zog des weiteren das Vorerkrankungsverzeichnis der Betriebskrankenkasse der Firma sowie einen Bericht des behandelnden Orthopäden Dr. vom 10. September 1995 über die Behandlung des linken Kniegelenkes nach der Verletzung sowie einen Röntgenbefund desselben vom 14. August 1995 bei. Mit Bescheid vom 26. Februar 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 1996 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 14. Juli 1995 als Arbeitsunfall ab. Es habe sich um eine schicksalhafte Kniegelenksschädigung gehandelt, die nur zeitlich mit der Arbeitstätigkeit zusammengefallen sei. Beim Aufrichten aus der Hocke habe es sich weder um eine unkontrollierte oder unkoordinierte Körperbewegung gehandelt noch um eine Tätigkeit, die mit einem besonderen Kraftaufwendung verbunden gewesen sei. Diese betriebsübliche Tätigkeit entspräche alltäglichen Belastungen. Gegen die traumatische Verursachung des Körperschadens spreche auch die Tatsache, daß das Meniskusgewebe bereits verschleißartig verändert gewesen sei und daß die Knochen des Kniegelenkes Umbauvorgänge aufgewiesen hätten sowie einen Knorpelschaden an der Oberschenkelrolle.

Die Klage vom 19. August 1996, mit der der Kläger geltend gemacht hatte, die besondere Kniebelastung infolge des 25-minütigen Kniens müsse als Arbeitsunfall anerkannt werden, zumal er keinen Vorschaden aufgewiesen habe, wurde durch Urteil des Sozialgerichts Darmstadt (SG) vom 1. Oktober 1996 zurückgewiesen. Die Bewegung des Klägers beim Aufstehen aus der Hocke habe keine äußere Einwirkung beinhaltet und unterfalle daher nicht dem Begriff des Arbeitsunfalles. Es habe sich vielmehr um eine physiologische Beanspruchung aus eigener Muskelkraft gehandelt, die ohne äußere Einwirkung zur Verletzung geführt habe. Das Knie sei bei dem zum Zeitpunkt des Vorfalles schon 50 Jahre alten Kläger bereits erheblich vorgeschädigt gewesen, wie der pathologisch-anatomischen Beurteilung des Meniskusgewebes des Prof. zu entnehmen sei.

Gegen das ihm am 31. Oktober 1996 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18. November 1996 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt, mit der er sein Begehren weiter verfolgt und sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt hat. Danach soll die als Arbeitsunfall zu wertende schadensverursachende Körperbewegung auch wesentlich ursächlich für das Auftreten des Körperschadens geworden sein, was durch ein Gutachten festzustellen sei.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 1. Oktober 1996 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Februar 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 1996 zu verurteilen, das Ereignis vom 14. Juli 1995 als Arbeitsunfall anzuerkennen und im gesetzlichen Umfang zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und hat eine fachchirurgische gutachterliche Stellungnahme des Dr. vom 14. Januar 1997 vorgelegt. Danach sei die Arbeitsbelastung nicht wesentlich ursächlich für die Entstehung der Meniskus- bzw. Knorpelschädigung am linken Kniegelenk des Klägers geworden.

Beide Beteiligte haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Rechtsstreit durch den Berichterstatter anstelle des Senats entschieden Wird.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung des Klägers, über die der Berichterstatter im Einverständnis der Beteiligten anstelle des Senats entschieden hat (§ 155 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz –SGG–), ist zulässig, aber nicht begründet. Denn das SG hat zutreffend erkannt, daß das Ereignis vom 14. Juli 1995 nicht als Arbeitsunfall anzuerkennen und von der Beklagten zu entschädigen ist.

Ein Arbeitsunfall im Sinne des § 548 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) liegt nur dann vor, wenn der Versicherte durch ein von außen her einwirkendes Ereignis plötzlich, örtlich und zeitlich bestimmbar, längstens während einer Arbeitsschicht einen Körperschaden erlitten hat (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl., S. 479 a–h m.w.N.). Der ursächliche Zusammenhang zwischen einem Ereignis, das von außen auf den Körper des Versicherten eingewirkt hat und einer Gesundheitsstörung besteht nur dann, wenn das Ereignis wesentlich zu deren Eintritt mitgewirkt hat. Im Falle der kausalen Konkurrenz einer äußeren Einwirkung mit einer bereits vorhandenen Krankheitsanlage ist dies zwar auch dann noch der Fall, wenn beide Umstände in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges annähernd gleichwertig bzw. in etwa gleichem Maße wesentlich sind, der Krankheitsanlage keine überragende und damit rechtlich allein wesentliche Bedeutung zukommt (Brackmann, a.a.O., S. 480 k). War die Krankheitsanlage jedoch zu stark ausgeprägt oder so leicht ansprechbar, daß es zur "Auslösung” akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedarf, sondern wäre die Gesundheitsstörung nach menschlichem Ermessen auch bei jedem anderen alltäglich vorkommenden ähnlich gelagerten Ereignis außerhalb der versicherten Tätigkeit oder sogar ohne besonderen Anlaß etwa zu derselben Zeit zum Ausbruch gekommen, so bildet das Unfallereignis nur eine rechtlich unbeachtliche Gelegenheitsursache des durch eine Krankheitsanlage vorgezeichneten Körperschadens, bei der es an dem notwendigen Zusammenhang fehlt. Dabei ist es rechtlich auch ohne Bedeutung, ob die äußere Einwirkung nur geringfügig oder erheblich war (Brackmann, a.a.O., S. 488 s ff.; Bundessozialgericht –BSG–, Urteil vom 27. Oktober 1987 – 2 RU 35/87 –). Denn der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung dient nicht dazu, bei betrieblichen Tätigkeiten nur augenscheinlich werdende Gesundheitsstörungen zu entschädigen (BSG, Urteil vom 27. November 1980 – 8 a RU 12/79 –).

Mit der erstinstanzlichen Entscheidung spricht vieles dafür, das Ereignis vom 14. Juli 1995 schon deshalb nicht als Arbeitsunfall zu entschädigen, weil eine von außen auf den Kläger einwirkende Kraft nicht erkennbar ist. Letztlich hat nur sein eigenes Körpergewicht auf das linke Knie eingewirkt, als er sich nach fast halbstündiger Arbeit aus der Hocke erhob und damit einen Bewegungsablauf willentlich in Gang setzte, der von keiner Fehlgängigkeit unterbrochen wurde und – so überzeugend Dr. in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 14. Januar 1997 – nicht in der Lage war, die Kniebinnenstruktur fehl zu belasten. Auch die vor dem Aufstehen vom Kläger eingenommene kniende Arbeitsstellung belastete allenfalls die Kniescheibe und die Oberschenkelrollen, nicht aber die Menisken. Schließlich führt auch das Verbleiben in hockender Position nicht zu einer Fehlbelastung der Menisken, wie Dr. im einzelnen nachvollziehbar dargelegt hat.

Das Berufungsgericht konnte diese Frage aber letztlich dahinstehen lassen. Denn selbst für den Fall, daß es den Geschehensablauf zugunsten des Klägers begrifflich als bei der Arbeit abgelaufenes Unfallgeschehen würdigen würde, ist der Arbeitsvorgang nicht wesentliche (Mit)ursache für das Auftreten der in der Orthopädischen Klinik der Städtischen Kliniken diagnostizierten Korbhenkelmeniskusverletzung und/oder den Knorpelschaden im Bereich der inneren Oberschenkelrolle am linken Kniegelenk des Klägers geworden. Dies hat Dr. in seiner fachchirurgischen gutachterlichen Stellungnahme vom 14. Januar 1997, die mit den in der Unfallmedizin anerkannten Grundsätzen in Übereinstimmung steht, zur Überzeugung des Berufungsgerichts begründet.

Nach der in der Unfallmedizin herrschenden Lehre (dazu Schönberger, Mehrtens, Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 5. Auflage, S. 591 ff.) ist bei Beurteilung derartiger Zusammenhangsfragen der wesentliche Ursachenzusammenhang zu verneinen, wenn ein nachweislich degenerierter Meniskus bei gewöhnlichen Bewegungen zerreißt. Wirkt auf einen derart vorgeschädigten Meniskus ein geeigneter Unfallmechanismus (zu geeigneten Unfallverläufen vgl. Schönberger u.a. S. 578 bis 581) ein und führte dies zum Zerreißen des Gewebes, so gibt es mit dem Vorschaden und der Unfalleinwirkung zwei Schadensursachen, die in ihrer Bedeutung für die Entstehung des Schadens nach vorgenannten Maßstäben abzuwägen sind. Das Kniegelenk des Klägers war schon vor dem Unfall deutlich krankhaft verändert. Es wies bereits den später diagnostizierten Knorpelschaden auf, der mit überzeugender Begründung des Dr. in dessen Stellungnahme vom 15. Januar 1997 als Unfallfolge nur erklärbar wäre, wenn vorgelagerte Kniestrukturen im Rahmen einer Gelenkeröffnung oder -luxation gleichzeitig geschädigt worden wären. Ein dem entsprechender Verletzungsmechanismus traf den Kläger allerdings nicht, der lediglich aus der Hocke aufstand, wobei eine Traumatisierung des Kniegelenkes ebensowenig denkbar ist wie eine Fehlgängigkeit des Gelenkes. Über die vorbestehende Knorpelschädigung hinaus beweist der von Dr. gefertigte Röntgenbefund des Kniegelenkes vom 14. August 1995 typische degenerative Gelenkveränderungen, indem er eine Verschmälerung des medialen Kniegelenkspaltes, beginnende osteophytäre Ausziehungen der Intercondylarportion, eine Verschmälerung des femuropatellaren Gleitlagers sowie beginnende spitzzipflige Ausziehungen des oberen Patellapols wiedergibt. Derartige Normabweichungen sind nicht traumatischer Herkunft sondern stellen den Endpunkt einer jahrelangen (Fehl)belastung des Kniegelenkes dar. Sie sind Dr. folgend nicht traumatisch sondern schicksalsbedingt bereits vor dem Ereignis vom 14. Juli 1995 entstanden.

Der ohne Begleitverletzung am Kapselbandapparat aufgetretene Meniskusschaden weist stets auf ein degenerativ entstandenes Gewebsleiden hin, wobei der Korbhenkelriß des Innenmeniskus nach den Erkenntnissen der Unfallchirurgie typischerweise degenerativer Natur ist, wie dies auch Dr. darstellt. Im Falle des Klägers findet diese Vermutung ihre Bestätigung im Ergebnis der feingeweblichen Untersuchung des verletzten Meniskusgewebes durch Prof ... Der beschreibt als Ergebnis seiner pathologisch-anatomischen Begutachtung vom 22. August 1995 einen aufgefaserten bzw. eingerissenen Meniskus mit degenerativen und reparativen Veränderungen im Bereich der Verletzung.

Das Berufungsgericht hat danach Dr. folgend den zur Meniskusschädigung führenden Bewegungsvorgang als nicht wesentliche Teilursache für den Knieschaden angesehen, zumal es auch an dem für das Auftreten eines wesentlich unfallbedingten Meniskusrisses zu fordernden geeigneten Unfallhergang fehlt. Das Aufrichten aus der Hocke ist als solcher grundsätzlich nicht anerkannt (Schönberger u.a., a.a.O., S. 586). Auch die für die Schwere der Einwirkungen charakteristischen, neben der Meniskusverletzung zu fordernden Begleitverletzungen an Sehnen oder Bändern wies der Kläger nicht auf.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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