Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 3 U 160/90
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 674/93
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 3. Juni 1993 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob die bei dem Kläger festgestellten silikotischen Lungenveränderungen dessen Erwerbsfähigkeit in Höhe von mindestens 20 v.H. mindern.
Der im Oktober 1929 geborene Kläger war in der Zeit von 1960 bis 1989 in der Gießerei H. in E. beschäftigt. Bis 1987 arbeitete er als Sandaufbereiter und danach in der Kernmacherei. Bei diesen Tätigkeiten hatte der Kläger einem Bericht des TAD vom 8. Februar 1987 zufolge Kontakt zu silikogenen Stäuben.
Nach übereinstimmender Auffassung der den Kläger untersuchenden Ärzte weisen die Röntgenuntersuchungen der Lunge bei dem Kläger silikotische Veränderungen auf, neben verschwielenden Veränderungen der Lunge und einem alten tuberkulotischen Herd als Zustand nach einer beiderseitigen – möglicherweise tuberkulösen – Pleuritis im Jahre 1947. Außerdem besteht bei dem Kläger eine Coronarinsuffizienz.
Mit ärztlicher Anzeige über eine Berufskrankheit (BK) vom 12. November 1987 teilte der Hausarzt Dr. S. der bei dem Kläger wegen Atemnot am 22. Oktober 1987 eine radiologische Untersuchung im Kreiskrankenhaus Frankenberg veranlaßt hatte, der Beklagten mit, es bestehe bei dem Kläger der Verdacht auf eine Silikose. Die Beklagte holte in der Folgezeit ärztliche Unterlagen und Stellungnahmen sowie ein Vorerkrankungsverzeichnis ein und bat den TAD sowie den Landesgewerbearzt Dr. B.-A. um eine Stellungnahme.
Nach arbeitsmedizinischer Untersuchung des Klägers teilte Dr. B.-A. mit, bei dem Kläger bestehe lungenfunktionsanalytisch in Ruhe eine restriktive Ventilationsstörung mit deutlich eingeschränkter Vitalkapazität. Hinweise für eine obstruktive Ventilationsstörung oder Lungenüberblähung bestünden nicht. In Ruhe zeige sich blutgasanalytisch ein Sauerstoffpartialdruck im unteren Normbereich, der nach körperlicher Belastung deutlich ansteige. Zusammen mit der Adipositas seien die Veränderungen infolge der 1947 durchgemachten Pleuritis sicher zum Teil für die Luftnotbeschwerden verantwortlich. Diese Vorerkrankung sei im Sinne eines Vorschadens zu werten. Die beginnende Silikose im Stadium q/q 2/2 in beiden Mittel- und Oberfeldern der Lunge sei als Berufskrankheit nach Ziffer 4101 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) zu werten. Bei Abschätzung der daraus resultierenden Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei zu berücksichtigen, daß diese beginnende Silikose keinen gesunden, sondern in der Lunge vorgeschädigten Patienten getroffen habe. Bei einem Vorschaden sei die MdE höher zu bewerten, wenn infolge des Vorschadens die Kompensationsmöglichkeiten des betreffenden Organs erheblich eingeschränkt seien. Die MdE sei unter Berücksichtigung der Vorschädigung auf 20 v.H. einzuschätzen. Als Entschädigungsfolge liege eine restriktive Ventilationsstörung sowie eine grenzwertige Erniedrigung des Sauerstoffpartialdruckes im Sinne einer respiratorischen Partialinsuffizienz vor. Der Beginn des Versicherungsfalles sei der 22. Oktober 1987, der Tag der röntgenologischen Untersuchung im Kreiskrankenhaus Frankenberg.
Die Beklagte bat Prof. Dr. R. Leitender Arzt des Arbeitsmedizinischen Zentrums B des BAD, Institut für Arbeitsmedizin an der Ruhr-Universität B. um eine Stellungnahme. Dieser äußerte die Auffassung, eine Silikose dieses Ausdehnungsgrades könne keine Rückwirkung auf die cardiorespiratorische Leistungsfähigkeit haben und könne auch keine restriktiven Ventilationsstörungen bewirken. Sie könne auch nicht als wesentlich verschlimmernder Faktor für die bestehende, auf eine Ergußverschwartung beidseits zurückzuführende restriktive Ventilationsstörung in Betracht gezogen werden. Es sei jedoch zu empfehlen, Röntgenbilder und Arztberichte aus früheren Jahren beizuziehen, da die Möglichkeit bestehe, daß die aktuell vorgefundene Ergußverschwartung nicht allein durch die im Jahre 1947 durchgemachte Pleuritis verursacht sei. Die Veränderungen könnten auf eine später infolge der Silikose reaktivierte tuberkulöse Streuung zurückzuführen sein.
Nachdem die Beklagte von dem Kreiskrankenhaus Frankenberg die Krankenunterlagen aus dem Jahre 1947 beigezogen hatte, erstattete Prof. Dr. R. nach Untersuchung des Klägers ein internistisch-arbeitsmedizinisches Gutachten. Er gelangte zu dem Ergebnis, die bei dem Kläger festgestellte Silikose sei dem Beurteilungsstadium q/q 2/1 zuzuordnen. Die bei dem Kläger nachgewiesene restriktive Ventilationsstörung mit eingeschränkter Vitalkapazität sei Folge der 1947 durchgemachten tuberkulösen Pleuritis beidseits. Die ausgedehnten Ergußverschwartungen seien schon vor Aufnahme der Berufstätigkeit des Klägers im Eisenwerk vorhanden gewesen.
Weil der Kläger mit der Beurteilung des Prof. Dr. R. nicht einverstanden war, ließ die Beklagte von Prof. Dr. W., Institut für Arbeitsmedizin in M., ein Gutachten nach Aktenlage erstellen. Dieser diagnostizierte anhand der Röntgenunterlagen bei dem Kläger leichtgradige silikotische Lungenveränderungen. Er führte aus, diese seien in quantitativer und qualitativer Hinsicht nach allen Erfahrungen nicht weit genug entwickelt, um mit Wahrscheinlichkeit begründen zu können, daß diese die cardiopulmonale Funktion primär meßbar beeinträchtigten oder anderweitige Grundleiden, wie eine chronisch obstruktive Emphysembronchitis und auch ausgedehnte pleurale Verwachsungserscheinungen, im ungünstigen Sinne wesentlich beeinflußten. Das Krankheitsbild des Klägers werde beherrscht durch ausgedehnte pleurale Verwachsungserscheinungen im Bereich beider Brusthöhlen, weiterhin durch eine chronisch obstruktive Emphysembronchitis und wahrscheinlich auch durch eine coronare Herzerkrankung. Prof. Dr. W. lag ein Entlassungsbericht der Kurklinik "Stadt Hamburg” vor. Dort war bei dem Kläger als Hauptleiden eine chronische Bronchitis bei bekannter Silikose und als Nebenleiden eine coronare Herzkrankheit diagnostiziert worden.
Mit Bescheid vom 23. Februar 1990 teilte die Beklagte dem Kläger, gestützt auf die Stellungnahmen der Professoren R. und W. mit, er habe keinen Anspruch auf Entschädigung wegen einer BK.
Der Kläger hat hiergegen am 9. März 1990 beim Sozialgericht Marburg (SG) Klage erhoben.
Das SG hat von dem Hausarzt des Klägers Dr. W. Krankenunterlagen beigezogen, den Landesgewerbearzt Dr. P. um eine Stellungnahme gebeten und von Prof. Dr. Wo. Leiter des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität G. auf Antrag des Klägers ein Sachverständigengutachten eingeholt.
Der Landesgewerbearzt hat sich in seiner Stellungnahme vom 5. November 1991 der Auffassung der Professoren R. und W. angeschlossen.
In seinem Gutachten vom 14. Oktober 1992 hat Prof. Dr. Wo. bei dem Kläger eine beginnende restriktive Ventilationsstörung sowie eine grenzwertige Erniedrigung des Sauerstoffpartialdrucks in Ruhe festgestellt, ohne Hinweis auf eine obstruktive Ventilationsstörung und eine Lungenüberblähung. Röntgenologisch hat er eine Silikose (q/s 2/1) diagnostiziert, ohne Anhalt für eine aktive Lungentuberkulose. Zudem bestünden Verschwartungen, insbesondere rechts, der Pleura, eine coronare Herzkrankheit sowie ein Zustand nach möglicherweise abgelaufenem altem Herzinfarkt und eine mittelgradige Adipositas. Prof. Dr. Wo. hat empfohlen, die Silikose grundsätzlich als BK anzuerkennen, weil deren Vorliegen eindeutig röntgenologisch identifizierbar sei. Die Höhe der dadurch bedingten MdE hat er mit 20 v.H. bewertet und hierzu ausgeführt: Der Krankheitswert einer Silikose ergebe sich zunächst einmal aus nachgewiesenen Funktionseinbußen. Hier sei die Aussage richtig, daß statistisch in der Regel erst bei fortgeschritteneren Veränderungen der Silikose Einschränkungen der Lungenfunktion nachweisbar seien. Dies müsse jedoch nicht für jeden Einzelfall gelten. Zwar seien die beim Kläger festgestellten Lungenfunktionsstörungen sicherlich überwiegend durch den Zustand nach beidseitiger, wahrscheinlich tuberkulöser Pleuritis im Jahre 1947 bedingt. Trotzdem bestehe "zumindest die ernsthafte Möglichkeit, daß auch die silikotischen Veränderungen, zumindest wesentlich teilursächlich, an der sicher überwiegend als Folge der beidseitigen, wahrscheinlich tuberkulösen Pleuritis im Jahre 1947 anzusehenden restriktiven Ventilationsstörung” beteiligt seien. Es liege eine äußerst komplizierte Abgrenzungsproblematik vor, auch wegen der bei dem Kläger bestehenden coronaren Herzerkrankung und dem nicht auszuschließenden Hinterwandinfarkt. Im vorliegenden Fall sei davon auszugehen, daß die individuelle Erwerbsfähigkeit des Klägers durch die nicht Silikose-bedingten Erkrankungen eindeutig bereits erheblich vermindert sei. Nach den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen sei insbesondere davon auszugehen, daß die restriktive Ventilationsstörung durch die Verschwartung nach beiderseitiger Pleuritis im Jahre 1947, die Silikose und auch die coronare Herzkrankheit insgesamt ungünstig interferiert werde. Hinzu komme, daß dem Kläger allein auch durch den röntgenologischen Nachweis der Silikose weite Bereiche des Arbeitsmarktes nicht mehr offenstünden.
Die Beklagte hat hierzu geltend gemacht, Prof. Dr. Wo habe nicht aufgezeigt, daß neben der beiderseitigen Pleuritis zusätzlich eine weitere funktionelle Beeinträchtigung aufgrund der Silikose gegeben sei. Die Silikose sei keine wesentliche Bedingung für die restriktive Ventilationsstörung. Prof. Dr. R. hat in einer von der Beklagten vorgelegten Stellungnahme vom 3. Dezember 1992 ausgeführt, alleinige Ursache der restriktiven Ventilationsstörung seien die infolge der Pleuritis entstandenen Pleura- und Zwerchfellveränderungen. In diesem Zusammenhang sei das Ergebnis der Messung der statischen Compliance von Bedeutung. Diese sei vor allem von der Lungendehnbarkeit (Silikose) und weniger von den Pleura- und Zwerchfellveränderungen abhängig. Die Messung der statischen Compliance zeige keine eindeutige Verminderung. Die bei dem Kläger vorliegenden relativ gering ausgedehnten silikotischen Lungenveränderungen seien aufgrund ihrer Struktur und Ausdehnung nicht geeignet, den bei dem Kläger vorliegenden Funktionsschaden in irgendeiner Form zu erklären.
In seiner diesbezüglichen Stellungnahme hat Prof. Dr. Wo. ausgeführt, zwar seien silikotische Lungenveränderungen des Stadiums q/q 2/1 normalerweise nicht geeignet, wesentliche Funktionseinschränkungen hervorzurufen. Jedoch sei im Falle des Klägers medizinisch nicht von der Hand zu weisen, daß der zusätzliche Befund silikotischer mittelgroßer Narben nicht funktionell unerheblich sei. Von Bedeutung sei die Tatsache, daß bei einem radiologisch sichtbaren Knötchen morphologisch zwischen fünf bis zehn hintereinander liegende Knötchen im röntgenologischen Strahlengang getroffen werden müßten, um dieses eine Knötchen abbilden zu können. Auf das noch vorhandene Gesamtvolumen der Lunge bezogen könne man diesen Ausfall von atmendem Lungengewebe infolge narbiger Umwandlung nicht als pathophysiologisch irrelevant ansehen. Eine Abgrenzung hinsichtlich der Verursachung der restriktiven Ventilationsstörung durch die beiden verschiedenen Ursachenmöglichkeiten (Zwerchfellverwachsung, Silikose) sei nicht möglich. Es müsse die Vorschadensproblematik berücksichtigt werden. Deshalb sei bei dem Kläger der zusätzliche Schaden durch die eindeutigen silikotischen Lungenveränderungen höher zu bewerten als bei einem Lungengesunden.
Das SG hat durch Urteil vom 3. Juni 1993 den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, dem Kläger unter Anerkennung einer BK nach Nr. 4101 der Anlage 1 zur BKVO Entschädigungsleistungen nach einer MdE von 20 v.H. ab dem 5. August 1988 zu gewähren. In seiner Begründung ist es der Auffassung des Prof. Dr. Wo. gefolgt.
Gegen dieses ihr am 28. Juni 1993 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16. Juli 1993 beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt und eine Stellungnahme des Prof. Dr. W vom 20. Oktober 1993 zu den Akten gereicht. Dieser hat vorgetragen, aufgrund verschiedener Arbeitstagungen namhafter Silikosegutachter sei eine Mindestvoraussetzung für eine entschädigungspflichtige Silikose das Vorliegen einer generalisierten Fleckung der Kategorie 3 oder bei kleinsten Fleckenschatten vom Typ P mindestens der Kategorie 2 bis 3. Auch unter Berücksichtigung von Vorschäden der Lunge halte man im wesentlichen an dieser Mindestvoraussetzung fest. Es entspreche auch allgemeiner Erfahrung, daß derartig diskrete silikotische Veränderungen, wie sie bei dem Kläger gegeben seien, nicht geeignet seien, bereits zu meßbaren Funktionsausfällen im bronchopulmonalen System zu führen und auch einen wesentlich ungünstigen Einfluß auf unabhängig davon bestehende Veränderungen im Bereich der Lungen und Pleura auszuüben. Hinzu komme, daß im Falle des Klägers nur recht diskrete funktionelle Ausfallerscheinungen im bronchopulmonalen System in Form leichter restriktiver Ventilationsstörungen vorlägen, ohne daß die Atemmechanik und der respiratorische Gasaustausch beeinträchtigt seien. Dieser Befund sei vollauf erklärt durch die berufsunabhängigen Pleuritisfolgen.
Auf Veranlassung des Senats hat Prof. Dr. Wo. am 22. November 1994 ein weiteres Sachverständigengutachten erstattet. Die Beklagte hat hierzu eine weitere Stellungnahme des Prof. Dr. W. vorgelegt. Der Senat hat hierzu Prof. Dr. Wo um eine ergänzende Stellungnahme gebeten.
Prof. Dr. Wo. hat mitgeteilt, radiologisch zeige sich ein seit der letzten Untersuchung weitgehend unveränderter Befund. Die lungensilikotischen Veränderungen seien nicht weiter fortgeschritten, das gelte auch für die darstellbaren postpleuritischen Residuen. Lungenfunktionsanalytisch bestehe bei dem Kläger eine restriktive Ventilationsstörung. Im Vergleich zu den früheren Untersuchungen sei zu erkennen, daß die Parameter der Restriktion eine Verschlechterung erfahren hätten, hingegen zeige der totale Atemwegswiderstand, insbesondere im Vergleich zur Untersuchung aus dem Jahre 1989, eine Besserung. Weiterhin sei die Kohlenmonoxyd-Diffusionskapazität auffällig, die zwar im Normbereich liege, jedoch eindeutig abnehmende Tendenz seit 1992 aufweise. Die Zunahme der Restriktion und die deutliche Abnahme der Diffusionskapazität sei als Zeichen einer wenig voranschreitenden Silikose zu werten. Zum Anamneseteil hat Prof. Dr. Wo. noch mitgeteilt, der Kläger habe in der Zeit von 1949 bis 1987 seinen Angaben zufolge ca. 10 bis 20 Zigaretten pro Tag geraucht, so daß sich kumulativ etwa 19 bis 38 Packungsjahre ergäben. Zusammenfassend gelangte er zu dem Ergebnis, unabhängig von den silikotischen Veränderungen bestünden bei dem Kläger eine coronare Herzkrankheit und ein medikamentös therapierter Hypertonus. Bei der Belastungsuntersuchung zeige sich eine deutliche Belastungshypertonie. Unabhängig von den silikotischen Veränderungen bestünden weiterhin, postpleuritische Residuen mit Schwartenbildung im Bereich des rechten Lungenunterfeldes. Diese Erkrankungen des Klägers seien für einen Teil der von ihm geklagten Beschwerden, insbesondere in Form einer Belastungsdispnoe, mitverantwortlich. Die restriktive Ventilationsstörung und die Abnahme der Diffusionskapazität im Vergleich zur Voruntersuchung von 1992 seien zumindest wesentlich mitbedingt durch die silikotischen Veränderungen. Die durch eine Belastungsdispnoe limitierte Belastungsfähigkeit werde durch die Silikose zumindest teilweise mitbedingt. Die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers sei insgesamt (einschließlich eines statisch degenerativen Wirbelsäulensyndroms) mit 70 v.H. einzuschätzen. Durch die Vorschäden am Herz-Kreislauf-System werde eine MdE von 40 v.H. bedingt. Die silikotisch bedingten funktionellen Ausfallerscheinungen seien mit einer MdE von 20 v.H. zu bewerten.
Prof. Dr. W. vertrat die Auffassung, im Verlauf der Erkrankung des Klägers sei kein Fortschreiten der lungenfunktionsanalytischen Einschränkungen zu erkennen. Insgesamt habe die eingehende Lungenfunktionsprüfung im Oktober 1994 nur geringfügige Funktionsanomalien im bronchopulmonalen System aufgezeigt. Hinweise auf eine Obstruktion hätten nicht vorgelegen, ebensowenig auf eine Beeinträchtigung des respiratorischen Gasaustausches. Auch die Diffusionskapazität habe im Normbereich gelegen. Diese geringfügigen Funktionsanomalien bei der Lungenfunktionsprüfung würden durch die ausgedehnten pleuralen Verwachsungen, die Übergewichtigkeit des Klägers und durch das Lungenemphysem, offenbar zeitweilig mit bronchitischen Schüben einhergehend, vollauf erklärt.
Prof. Dr. Wo. hat hierzu erwidert, die 1987 bis 1989 durch andere Stellen ermittelten lungenfunktionsanalytischen Werte seien nicht uneingeschränkt auf die in seinem Institut im September 1992 und Oktober 1994 gefundenen Werte zu übertragen, da unterschiedliche Meßmethoden, unterschiedliche Normbereiche usw. zu berücksichtigen seien. Die im September 1992 und Oktober 1994 ermittelten Werte ergäben jedoch eine eindeutige Progredienz der Restriktion und eine abnehmende, wenn auch noch im Normbereich befindliche, Diffusionskapazität. Die Verschlechterungsmerkmale erreichten jedoch nicht den Grad des Wesentlichen. Auch im übrigen hielt Prof. Dr. Wo. an seiner bisherigen Auffassung fest.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 3. Juni 1993 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet. Das erstinstanzliche Urteil war aufzuheben und die Klage abzuweisen, weil die bei dem Kläger vorliegenden silikotischen Lungenveränderungen keine MdE von mindestens 20 v.H. bedingen.
Bei dem Kläger liegen nach übereinstimmenden ärztlichen Feststellungen röntgenologisch eindeutig zu diagnostizierende silikotische Lungenveränderungen vor, die auf die Einwirkung silikogener Stäube über ca. 29 Jahre hinweg zurückzuführen sind.
Einigkeit besteht auch hinsichtlich der Klassifikation der silikotischen Veränderungen. Diese sind vom Typ q 2/1 und finden sich in beiden Ober- und Mittelfeldern der Lunge.
Unabhängig von den silikotischen Lungenveränderungen bestanden bei dem Kläger schon vor Aufnahme seiner Tätigkeit in der Gießerei H. insbesondere im Bereich des rechten Lungenunterfeldes verschwielende Veränderungen als Folge einer 1947 durchgemachten Pleuritis und ein verkalkter Herd als Hinweis auf eine früher – wohl auch 1947 – durchgemachte Tuberkulose.
Bei dem Kläger traten erstmals im Jahre 1987 belastungsabhängige Luftnotbeschwerden auf. Zu diesem Zeitpunkt, d.h. im Oktober 1987, wurden auch erstmals silikotische Lungenveränderungen und lungenfunktionsanalytisch eine restriktive Ventilationsstörung anläßlich einer Untersuchung im Kreiskrankenhaus Frankenberg diagnostiziert.
Da demzufolge die silikotischen Lungenveränderungen im Zeitpunkt des Auftretens der ersten Beschwerden von Luftnot und des ersten lungenfunktionsanalytischen Nachweises einer restriktiven Ventilationsstörung bereits bestanden haben, kann die Silikose nur im Sinne der Entstehung und nicht im Sinne einer Verschlimmerung als Ursache oder Teilursache der Lungenfunktionsstörungen in Betracht kommen.
Einigkeit besteht, daß die postpleuritischen Verschwartungen bzw. Verschwielungen als eine wesentliche Ursache für die Entstehung der restriktiven Ventilationsstörung anzusehen sind. Der Senat hatte zu entscheiden, ob oder inwieweit die silikogenen Lungenveränderungen für die Entstehung der restriktiven Ventilationsstörung mitverantwortlich sind, neben den bereits seit 1947 bestehenden Lungenveränderungen infolge der Pleuritis.
Nach der im Unfallrecht geltenden Kausallehre von der wesentlichen Bedingung sind Ursache bzw. Mitursache eines Körperschadens im Rechtssinne – unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes – nur die Bedingungen, die unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Person des Betroffenen, wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg für dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 480 c und 480 g I). Ist neben der versicherten Tätigkeit ein anderer Umstand – z.B. eine Krankheitsanlage – ebenfalls Ursache im naturwissenschaftlichen Sinne und sind beide Ursachen in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges annähernd gleichwertig, so ist jede Ursache wesentliche Teilursache.
Bei Beurteilung der Wesentlichkeit der konkurrierenden Kausalfaktoren ist deren Dynamik in bezug auf ihr Zusammenwirken zu beurteilen. Dabei kommt es in quantitativer Hinsicht nicht auf ein bestimmtes prozentuales Verhältnis an, demzufolge die berufliche Komponente absolut überwiegen müßte. Vielmehr ist zu beurteilen, ob der zu beurteilende Leidenszustand durch betriebliche Einwirkungen so gefördert wurde, daß ohne deren Mitwirkung die Erkrankung nicht in der vorliegenden Form oder in erheblich geringerem Grade bestehen würde (Lauterbach-Watermann, Unfallversicherung, § 551 Anm. 10 b).
Im Falle des Klägers kann nach Überzeugung des Senats nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, daß die silikogenen Lungenveränderungen bei der Entstehung der restriktiven Ventilationsstörung wesentlich mitgewirkt haben. Denn es sprechen mehr medizinisch-wissenschaftliche Gründe gegen als für eine Wesentlichkeit.
Die Sachverständigen sind sich darin einig, daß die bei dem Kläger vorgefundenen silikotischen Lungenveränderungen leichtgradig sind und eine Silikose dieses Typs weder in qualitativer noch in quantitativer Hinsicht geeignet ist, normalerweise wesentliche Lungenfunktionseinschränkungen zu verursachen. Andererseits sind die bei dem Kläger vorbestehenden postpleuritischen Verschwartungen und die mittlere Adipositas des Klägers schon für sich allein dazu geeignet, die bei dem Kläger vorgefundene Lungenfunktionsstörung zu erklären, zumal nur eine leichte restriktive Ventilationsstörung festgestellt werden konnte. Hierauf weisen die Professoren R, und W. hin.
Zwar legt Prof. Dr. Wo. dar, daß bei einem radiologisch sichtbaren Lungenknötchen morphologisch zwischen fünf bis zehn hintereinander liegende Knötchen im röntgenologischen Strahlengang getroffen werden müßten, um dieses eine Knötchen abbilden zu können und auch dieser Ausfall von atmendem Lungengewebe pathophysiologisch nicht irrelevant sei. Dies ist auch in anderen Fällen nicht anders. Entscheidend ist, daß im vorliegenden Fall das Ergebnis der Messung der statischen Compliance gegen das Vorhandensein von silikotischen Lungenfunktionsstörungen spricht. Dieser Wert, der etwas über die infolge einer Silikose verminderte Lungendehnbarkeit aussagt, zeigte keine eindeutige Verminderung. Da auch nach allgemeiner medizinisch-wissenschaftlicher Erfahrung leichte silikotische Veränderungen – wie sie bei dem Kläger vorliegen – nicht geeignet sind, einen wesentlich ungünstigen Einfluß auf unabhängig von der Silikose bestehende Veränderungen im Bereich der Lungen und Pleura auszuüben, können auch im Einzelfall, ohne das Vorliegen von konkreten Hinweisen auf silikosebedingte Insuffizienzerscheinungen, solche silikotischen Lungenfunktionsstörungen nicht mit Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Zur Beweisführung reicht es nicht aus, wenn Prof. Dr. Wo. ausführt, es bestehe "zumindest die ernsthafte Möglichkeit” einer Mitursächlichkeit der Silikose für die restriktive Ventilationsstörung und es sei "medizinisch nicht von der Hand zu weisen”, daß der zusätzliche Befund silikotischer mittelgroßer Narben funktionell nicht unerheblich sei.
Allein das Vorliegen einer röntgenologisch zu idendifizierenden Silikose, ohne nachweisbare Beeinträchtigung von Atmung und Kreislauf, rechtfertigt auch nicht die Annahme einer Quarzstaublungenerkrankung als BK.
Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung (Hess. LSG in Berthaupt 84, 761) fest und folgt damit auch dem BSG (z.B. BSG SozR 2200 § 5351 Nr. 34 m.w.N.).
Danach kann dahinstehen, ob das Vorhandensein silikotischer Lungenveränderungen in medizinischem oder sonstigem Sinne als Krankheit zu werten ist oder die Lungenveränderungen dazu führen, daß der Versicherte Quarzstaubgefährdende Arbeiten nicht mehr verrichten darf. Vielmehr ist entscheidend, daß der Verordnungsgeber das bloße Vorhandensein von silikotischen Einlagerungen noch nicht zur BK erheben wollte. Dies zeigt die historische Entwicklung.
Bis zur 5. Verordnung über die Ausdehnung der UV auf BKen vom 26. Juli 1952 (BGBl. I, 395) war allein die "schwere” Quarzstaublungenerkrankung als BK anzuerkennen. Mit der 5. Verordnung ist zwar das Wort "schwer” entfallen. Jedoch ist der amtlichen Begründung zu entnehmen, daß der Versicherungsfall nach wie vor durch das "Merkmal einer funktionellen Beeinträchtigung in Atmung oder Kreislauf” bedingt ist (Begründung zur 5. BKVO, BArbBL 1952, 409, 411). Dies hat nach wie vor Gültigkeit, weil der Verordnungsgeber bei Erlaß der BKVO vom 8. Dezember 1976 (BGBl. I, 3329) und den nachfolgenden Fassungen insoweit keine Änderung vorgenommen hat.
Die Voraussetzungen für die Entschädigung und Anerkennung einer Silikose als BK nach § 551 RVO i.V.m. Nr. 4101 der Anlage 1 zur BKVO liegen deshalb hier nicht vor. Das Urteil des SG vom 3. Juni 1993 konnte nicht bestätigt werden.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob die bei dem Kläger festgestellten silikotischen Lungenveränderungen dessen Erwerbsfähigkeit in Höhe von mindestens 20 v.H. mindern.
Der im Oktober 1929 geborene Kläger war in der Zeit von 1960 bis 1989 in der Gießerei H. in E. beschäftigt. Bis 1987 arbeitete er als Sandaufbereiter und danach in der Kernmacherei. Bei diesen Tätigkeiten hatte der Kläger einem Bericht des TAD vom 8. Februar 1987 zufolge Kontakt zu silikogenen Stäuben.
Nach übereinstimmender Auffassung der den Kläger untersuchenden Ärzte weisen die Röntgenuntersuchungen der Lunge bei dem Kläger silikotische Veränderungen auf, neben verschwielenden Veränderungen der Lunge und einem alten tuberkulotischen Herd als Zustand nach einer beiderseitigen – möglicherweise tuberkulösen – Pleuritis im Jahre 1947. Außerdem besteht bei dem Kläger eine Coronarinsuffizienz.
Mit ärztlicher Anzeige über eine Berufskrankheit (BK) vom 12. November 1987 teilte der Hausarzt Dr. S. der bei dem Kläger wegen Atemnot am 22. Oktober 1987 eine radiologische Untersuchung im Kreiskrankenhaus Frankenberg veranlaßt hatte, der Beklagten mit, es bestehe bei dem Kläger der Verdacht auf eine Silikose. Die Beklagte holte in der Folgezeit ärztliche Unterlagen und Stellungnahmen sowie ein Vorerkrankungsverzeichnis ein und bat den TAD sowie den Landesgewerbearzt Dr. B.-A. um eine Stellungnahme.
Nach arbeitsmedizinischer Untersuchung des Klägers teilte Dr. B.-A. mit, bei dem Kläger bestehe lungenfunktionsanalytisch in Ruhe eine restriktive Ventilationsstörung mit deutlich eingeschränkter Vitalkapazität. Hinweise für eine obstruktive Ventilationsstörung oder Lungenüberblähung bestünden nicht. In Ruhe zeige sich blutgasanalytisch ein Sauerstoffpartialdruck im unteren Normbereich, der nach körperlicher Belastung deutlich ansteige. Zusammen mit der Adipositas seien die Veränderungen infolge der 1947 durchgemachten Pleuritis sicher zum Teil für die Luftnotbeschwerden verantwortlich. Diese Vorerkrankung sei im Sinne eines Vorschadens zu werten. Die beginnende Silikose im Stadium q/q 2/2 in beiden Mittel- und Oberfeldern der Lunge sei als Berufskrankheit nach Ziffer 4101 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) zu werten. Bei Abschätzung der daraus resultierenden Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei zu berücksichtigen, daß diese beginnende Silikose keinen gesunden, sondern in der Lunge vorgeschädigten Patienten getroffen habe. Bei einem Vorschaden sei die MdE höher zu bewerten, wenn infolge des Vorschadens die Kompensationsmöglichkeiten des betreffenden Organs erheblich eingeschränkt seien. Die MdE sei unter Berücksichtigung der Vorschädigung auf 20 v.H. einzuschätzen. Als Entschädigungsfolge liege eine restriktive Ventilationsstörung sowie eine grenzwertige Erniedrigung des Sauerstoffpartialdruckes im Sinne einer respiratorischen Partialinsuffizienz vor. Der Beginn des Versicherungsfalles sei der 22. Oktober 1987, der Tag der röntgenologischen Untersuchung im Kreiskrankenhaus Frankenberg.
Die Beklagte bat Prof. Dr. R. Leitender Arzt des Arbeitsmedizinischen Zentrums B des BAD, Institut für Arbeitsmedizin an der Ruhr-Universität B. um eine Stellungnahme. Dieser äußerte die Auffassung, eine Silikose dieses Ausdehnungsgrades könne keine Rückwirkung auf die cardiorespiratorische Leistungsfähigkeit haben und könne auch keine restriktiven Ventilationsstörungen bewirken. Sie könne auch nicht als wesentlich verschlimmernder Faktor für die bestehende, auf eine Ergußverschwartung beidseits zurückzuführende restriktive Ventilationsstörung in Betracht gezogen werden. Es sei jedoch zu empfehlen, Röntgenbilder und Arztberichte aus früheren Jahren beizuziehen, da die Möglichkeit bestehe, daß die aktuell vorgefundene Ergußverschwartung nicht allein durch die im Jahre 1947 durchgemachte Pleuritis verursacht sei. Die Veränderungen könnten auf eine später infolge der Silikose reaktivierte tuberkulöse Streuung zurückzuführen sein.
Nachdem die Beklagte von dem Kreiskrankenhaus Frankenberg die Krankenunterlagen aus dem Jahre 1947 beigezogen hatte, erstattete Prof. Dr. R. nach Untersuchung des Klägers ein internistisch-arbeitsmedizinisches Gutachten. Er gelangte zu dem Ergebnis, die bei dem Kläger festgestellte Silikose sei dem Beurteilungsstadium q/q 2/1 zuzuordnen. Die bei dem Kläger nachgewiesene restriktive Ventilationsstörung mit eingeschränkter Vitalkapazität sei Folge der 1947 durchgemachten tuberkulösen Pleuritis beidseits. Die ausgedehnten Ergußverschwartungen seien schon vor Aufnahme der Berufstätigkeit des Klägers im Eisenwerk vorhanden gewesen.
Weil der Kläger mit der Beurteilung des Prof. Dr. R. nicht einverstanden war, ließ die Beklagte von Prof. Dr. W., Institut für Arbeitsmedizin in M., ein Gutachten nach Aktenlage erstellen. Dieser diagnostizierte anhand der Röntgenunterlagen bei dem Kläger leichtgradige silikotische Lungenveränderungen. Er führte aus, diese seien in quantitativer und qualitativer Hinsicht nach allen Erfahrungen nicht weit genug entwickelt, um mit Wahrscheinlichkeit begründen zu können, daß diese die cardiopulmonale Funktion primär meßbar beeinträchtigten oder anderweitige Grundleiden, wie eine chronisch obstruktive Emphysembronchitis und auch ausgedehnte pleurale Verwachsungserscheinungen, im ungünstigen Sinne wesentlich beeinflußten. Das Krankheitsbild des Klägers werde beherrscht durch ausgedehnte pleurale Verwachsungserscheinungen im Bereich beider Brusthöhlen, weiterhin durch eine chronisch obstruktive Emphysembronchitis und wahrscheinlich auch durch eine coronare Herzerkrankung. Prof. Dr. W. lag ein Entlassungsbericht der Kurklinik "Stadt Hamburg” vor. Dort war bei dem Kläger als Hauptleiden eine chronische Bronchitis bei bekannter Silikose und als Nebenleiden eine coronare Herzkrankheit diagnostiziert worden.
Mit Bescheid vom 23. Februar 1990 teilte die Beklagte dem Kläger, gestützt auf die Stellungnahmen der Professoren R. und W. mit, er habe keinen Anspruch auf Entschädigung wegen einer BK.
Der Kläger hat hiergegen am 9. März 1990 beim Sozialgericht Marburg (SG) Klage erhoben.
Das SG hat von dem Hausarzt des Klägers Dr. W. Krankenunterlagen beigezogen, den Landesgewerbearzt Dr. P. um eine Stellungnahme gebeten und von Prof. Dr. Wo. Leiter des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität G. auf Antrag des Klägers ein Sachverständigengutachten eingeholt.
Der Landesgewerbearzt hat sich in seiner Stellungnahme vom 5. November 1991 der Auffassung der Professoren R. und W. angeschlossen.
In seinem Gutachten vom 14. Oktober 1992 hat Prof. Dr. Wo. bei dem Kläger eine beginnende restriktive Ventilationsstörung sowie eine grenzwertige Erniedrigung des Sauerstoffpartialdrucks in Ruhe festgestellt, ohne Hinweis auf eine obstruktive Ventilationsstörung und eine Lungenüberblähung. Röntgenologisch hat er eine Silikose (q/s 2/1) diagnostiziert, ohne Anhalt für eine aktive Lungentuberkulose. Zudem bestünden Verschwartungen, insbesondere rechts, der Pleura, eine coronare Herzkrankheit sowie ein Zustand nach möglicherweise abgelaufenem altem Herzinfarkt und eine mittelgradige Adipositas. Prof. Dr. Wo. hat empfohlen, die Silikose grundsätzlich als BK anzuerkennen, weil deren Vorliegen eindeutig röntgenologisch identifizierbar sei. Die Höhe der dadurch bedingten MdE hat er mit 20 v.H. bewertet und hierzu ausgeführt: Der Krankheitswert einer Silikose ergebe sich zunächst einmal aus nachgewiesenen Funktionseinbußen. Hier sei die Aussage richtig, daß statistisch in der Regel erst bei fortgeschritteneren Veränderungen der Silikose Einschränkungen der Lungenfunktion nachweisbar seien. Dies müsse jedoch nicht für jeden Einzelfall gelten. Zwar seien die beim Kläger festgestellten Lungenfunktionsstörungen sicherlich überwiegend durch den Zustand nach beidseitiger, wahrscheinlich tuberkulöser Pleuritis im Jahre 1947 bedingt. Trotzdem bestehe "zumindest die ernsthafte Möglichkeit, daß auch die silikotischen Veränderungen, zumindest wesentlich teilursächlich, an der sicher überwiegend als Folge der beidseitigen, wahrscheinlich tuberkulösen Pleuritis im Jahre 1947 anzusehenden restriktiven Ventilationsstörung” beteiligt seien. Es liege eine äußerst komplizierte Abgrenzungsproblematik vor, auch wegen der bei dem Kläger bestehenden coronaren Herzerkrankung und dem nicht auszuschließenden Hinterwandinfarkt. Im vorliegenden Fall sei davon auszugehen, daß die individuelle Erwerbsfähigkeit des Klägers durch die nicht Silikose-bedingten Erkrankungen eindeutig bereits erheblich vermindert sei. Nach den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen sei insbesondere davon auszugehen, daß die restriktive Ventilationsstörung durch die Verschwartung nach beiderseitiger Pleuritis im Jahre 1947, die Silikose und auch die coronare Herzkrankheit insgesamt ungünstig interferiert werde. Hinzu komme, daß dem Kläger allein auch durch den röntgenologischen Nachweis der Silikose weite Bereiche des Arbeitsmarktes nicht mehr offenstünden.
Die Beklagte hat hierzu geltend gemacht, Prof. Dr. Wo habe nicht aufgezeigt, daß neben der beiderseitigen Pleuritis zusätzlich eine weitere funktionelle Beeinträchtigung aufgrund der Silikose gegeben sei. Die Silikose sei keine wesentliche Bedingung für die restriktive Ventilationsstörung. Prof. Dr. R. hat in einer von der Beklagten vorgelegten Stellungnahme vom 3. Dezember 1992 ausgeführt, alleinige Ursache der restriktiven Ventilationsstörung seien die infolge der Pleuritis entstandenen Pleura- und Zwerchfellveränderungen. In diesem Zusammenhang sei das Ergebnis der Messung der statischen Compliance von Bedeutung. Diese sei vor allem von der Lungendehnbarkeit (Silikose) und weniger von den Pleura- und Zwerchfellveränderungen abhängig. Die Messung der statischen Compliance zeige keine eindeutige Verminderung. Die bei dem Kläger vorliegenden relativ gering ausgedehnten silikotischen Lungenveränderungen seien aufgrund ihrer Struktur und Ausdehnung nicht geeignet, den bei dem Kläger vorliegenden Funktionsschaden in irgendeiner Form zu erklären.
In seiner diesbezüglichen Stellungnahme hat Prof. Dr. Wo. ausgeführt, zwar seien silikotische Lungenveränderungen des Stadiums q/q 2/1 normalerweise nicht geeignet, wesentliche Funktionseinschränkungen hervorzurufen. Jedoch sei im Falle des Klägers medizinisch nicht von der Hand zu weisen, daß der zusätzliche Befund silikotischer mittelgroßer Narben nicht funktionell unerheblich sei. Von Bedeutung sei die Tatsache, daß bei einem radiologisch sichtbaren Knötchen morphologisch zwischen fünf bis zehn hintereinander liegende Knötchen im röntgenologischen Strahlengang getroffen werden müßten, um dieses eine Knötchen abbilden zu können. Auf das noch vorhandene Gesamtvolumen der Lunge bezogen könne man diesen Ausfall von atmendem Lungengewebe infolge narbiger Umwandlung nicht als pathophysiologisch irrelevant ansehen. Eine Abgrenzung hinsichtlich der Verursachung der restriktiven Ventilationsstörung durch die beiden verschiedenen Ursachenmöglichkeiten (Zwerchfellverwachsung, Silikose) sei nicht möglich. Es müsse die Vorschadensproblematik berücksichtigt werden. Deshalb sei bei dem Kläger der zusätzliche Schaden durch die eindeutigen silikotischen Lungenveränderungen höher zu bewerten als bei einem Lungengesunden.
Das SG hat durch Urteil vom 3. Juni 1993 den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, dem Kläger unter Anerkennung einer BK nach Nr. 4101 der Anlage 1 zur BKVO Entschädigungsleistungen nach einer MdE von 20 v.H. ab dem 5. August 1988 zu gewähren. In seiner Begründung ist es der Auffassung des Prof. Dr. Wo. gefolgt.
Gegen dieses ihr am 28. Juni 1993 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16. Juli 1993 beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt und eine Stellungnahme des Prof. Dr. W vom 20. Oktober 1993 zu den Akten gereicht. Dieser hat vorgetragen, aufgrund verschiedener Arbeitstagungen namhafter Silikosegutachter sei eine Mindestvoraussetzung für eine entschädigungspflichtige Silikose das Vorliegen einer generalisierten Fleckung der Kategorie 3 oder bei kleinsten Fleckenschatten vom Typ P mindestens der Kategorie 2 bis 3. Auch unter Berücksichtigung von Vorschäden der Lunge halte man im wesentlichen an dieser Mindestvoraussetzung fest. Es entspreche auch allgemeiner Erfahrung, daß derartig diskrete silikotische Veränderungen, wie sie bei dem Kläger gegeben seien, nicht geeignet seien, bereits zu meßbaren Funktionsausfällen im bronchopulmonalen System zu führen und auch einen wesentlich ungünstigen Einfluß auf unabhängig davon bestehende Veränderungen im Bereich der Lungen und Pleura auszuüben. Hinzu komme, daß im Falle des Klägers nur recht diskrete funktionelle Ausfallerscheinungen im bronchopulmonalen System in Form leichter restriktiver Ventilationsstörungen vorlägen, ohne daß die Atemmechanik und der respiratorische Gasaustausch beeinträchtigt seien. Dieser Befund sei vollauf erklärt durch die berufsunabhängigen Pleuritisfolgen.
Auf Veranlassung des Senats hat Prof. Dr. Wo. am 22. November 1994 ein weiteres Sachverständigengutachten erstattet. Die Beklagte hat hierzu eine weitere Stellungnahme des Prof. Dr. W. vorgelegt. Der Senat hat hierzu Prof. Dr. Wo um eine ergänzende Stellungnahme gebeten.
Prof. Dr. Wo. hat mitgeteilt, radiologisch zeige sich ein seit der letzten Untersuchung weitgehend unveränderter Befund. Die lungensilikotischen Veränderungen seien nicht weiter fortgeschritten, das gelte auch für die darstellbaren postpleuritischen Residuen. Lungenfunktionsanalytisch bestehe bei dem Kläger eine restriktive Ventilationsstörung. Im Vergleich zu den früheren Untersuchungen sei zu erkennen, daß die Parameter der Restriktion eine Verschlechterung erfahren hätten, hingegen zeige der totale Atemwegswiderstand, insbesondere im Vergleich zur Untersuchung aus dem Jahre 1989, eine Besserung. Weiterhin sei die Kohlenmonoxyd-Diffusionskapazität auffällig, die zwar im Normbereich liege, jedoch eindeutig abnehmende Tendenz seit 1992 aufweise. Die Zunahme der Restriktion und die deutliche Abnahme der Diffusionskapazität sei als Zeichen einer wenig voranschreitenden Silikose zu werten. Zum Anamneseteil hat Prof. Dr. Wo. noch mitgeteilt, der Kläger habe in der Zeit von 1949 bis 1987 seinen Angaben zufolge ca. 10 bis 20 Zigaretten pro Tag geraucht, so daß sich kumulativ etwa 19 bis 38 Packungsjahre ergäben. Zusammenfassend gelangte er zu dem Ergebnis, unabhängig von den silikotischen Veränderungen bestünden bei dem Kläger eine coronare Herzkrankheit und ein medikamentös therapierter Hypertonus. Bei der Belastungsuntersuchung zeige sich eine deutliche Belastungshypertonie. Unabhängig von den silikotischen Veränderungen bestünden weiterhin, postpleuritische Residuen mit Schwartenbildung im Bereich des rechten Lungenunterfeldes. Diese Erkrankungen des Klägers seien für einen Teil der von ihm geklagten Beschwerden, insbesondere in Form einer Belastungsdispnoe, mitverantwortlich. Die restriktive Ventilationsstörung und die Abnahme der Diffusionskapazität im Vergleich zur Voruntersuchung von 1992 seien zumindest wesentlich mitbedingt durch die silikotischen Veränderungen. Die durch eine Belastungsdispnoe limitierte Belastungsfähigkeit werde durch die Silikose zumindest teilweise mitbedingt. Die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers sei insgesamt (einschließlich eines statisch degenerativen Wirbelsäulensyndroms) mit 70 v.H. einzuschätzen. Durch die Vorschäden am Herz-Kreislauf-System werde eine MdE von 40 v.H. bedingt. Die silikotisch bedingten funktionellen Ausfallerscheinungen seien mit einer MdE von 20 v.H. zu bewerten.
Prof. Dr. W. vertrat die Auffassung, im Verlauf der Erkrankung des Klägers sei kein Fortschreiten der lungenfunktionsanalytischen Einschränkungen zu erkennen. Insgesamt habe die eingehende Lungenfunktionsprüfung im Oktober 1994 nur geringfügige Funktionsanomalien im bronchopulmonalen System aufgezeigt. Hinweise auf eine Obstruktion hätten nicht vorgelegen, ebensowenig auf eine Beeinträchtigung des respiratorischen Gasaustausches. Auch die Diffusionskapazität habe im Normbereich gelegen. Diese geringfügigen Funktionsanomalien bei der Lungenfunktionsprüfung würden durch die ausgedehnten pleuralen Verwachsungen, die Übergewichtigkeit des Klägers und durch das Lungenemphysem, offenbar zeitweilig mit bronchitischen Schüben einhergehend, vollauf erklärt.
Prof. Dr. Wo. hat hierzu erwidert, die 1987 bis 1989 durch andere Stellen ermittelten lungenfunktionsanalytischen Werte seien nicht uneingeschränkt auf die in seinem Institut im September 1992 und Oktober 1994 gefundenen Werte zu übertragen, da unterschiedliche Meßmethoden, unterschiedliche Normbereiche usw. zu berücksichtigen seien. Die im September 1992 und Oktober 1994 ermittelten Werte ergäben jedoch eine eindeutige Progredienz der Restriktion und eine abnehmende, wenn auch noch im Normbereich befindliche, Diffusionskapazität. Die Verschlechterungsmerkmale erreichten jedoch nicht den Grad des Wesentlichen. Auch im übrigen hielt Prof. Dr. Wo. an seiner bisherigen Auffassung fest.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 3. Juni 1993 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet. Das erstinstanzliche Urteil war aufzuheben und die Klage abzuweisen, weil die bei dem Kläger vorliegenden silikotischen Lungenveränderungen keine MdE von mindestens 20 v.H. bedingen.
Bei dem Kläger liegen nach übereinstimmenden ärztlichen Feststellungen röntgenologisch eindeutig zu diagnostizierende silikotische Lungenveränderungen vor, die auf die Einwirkung silikogener Stäube über ca. 29 Jahre hinweg zurückzuführen sind.
Einigkeit besteht auch hinsichtlich der Klassifikation der silikotischen Veränderungen. Diese sind vom Typ q 2/1 und finden sich in beiden Ober- und Mittelfeldern der Lunge.
Unabhängig von den silikotischen Lungenveränderungen bestanden bei dem Kläger schon vor Aufnahme seiner Tätigkeit in der Gießerei H. insbesondere im Bereich des rechten Lungenunterfeldes verschwielende Veränderungen als Folge einer 1947 durchgemachten Pleuritis und ein verkalkter Herd als Hinweis auf eine früher – wohl auch 1947 – durchgemachte Tuberkulose.
Bei dem Kläger traten erstmals im Jahre 1987 belastungsabhängige Luftnotbeschwerden auf. Zu diesem Zeitpunkt, d.h. im Oktober 1987, wurden auch erstmals silikotische Lungenveränderungen und lungenfunktionsanalytisch eine restriktive Ventilationsstörung anläßlich einer Untersuchung im Kreiskrankenhaus Frankenberg diagnostiziert.
Da demzufolge die silikotischen Lungenveränderungen im Zeitpunkt des Auftretens der ersten Beschwerden von Luftnot und des ersten lungenfunktionsanalytischen Nachweises einer restriktiven Ventilationsstörung bereits bestanden haben, kann die Silikose nur im Sinne der Entstehung und nicht im Sinne einer Verschlimmerung als Ursache oder Teilursache der Lungenfunktionsstörungen in Betracht kommen.
Einigkeit besteht, daß die postpleuritischen Verschwartungen bzw. Verschwielungen als eine wesentliche Ursache für die Entstehung der restriktiven Ventilationsstörung anzusehen sind. Der Senat hatte zu entscheiden, ob oder inwieweit die silikogenen Lungenveränderungen für die Entstehung der restriktiven Ventilationsstörung mitverantwortlich sind, neben den bereits seit 1947 bestehenden Lungenveränderungen infolge der Pleuritis.
Nach der im Unfallrecht geltenden Kausallehre von der wesentlichen Bedingung sind Ursache bzw. Mitursache eines Körperschadens im Rechtssinne – unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes – nur die Bedingungen, die unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Person des Betroffenen, wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg für dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 480 c und 480 g I). Ist neben der versicherten Tätigkeit ein anderer Umstand – z.B. eine Krankheitsanlage – ebenfalls Ursache im naturwissenschaftlichen Sinne und sind beide Ursachen in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges annähernd gleichwertig, so ist jede Ursache wesentliche Teilursache.
Bei Beurteilung der Wesentlichkeit der konkurrierenden Kausalfaktoren ist deren Dynamik in bezug auf ihr Zusammenwirken zu beurteilen. Dabei kommt es in quantitativer Hinsicht nicht auf ein bestimmtes prozentuales Verhältnis an, demzufolge die berufliche Komponente absolut überwiegen müßte. Vielmehr ist zu beurteilen, ob der zu beurteilende Leidenszustand durch betriebliche Einwirkungen so gefördert wurde, daß ohne deren Mitwirkung die Erkrankung nicht in der vorliegenden Form oder in erheblich geringerem Grade bestehen würde (Lauterbach-Watermann, Unfallversicherung, § 551 Anm. 10 b).
Im Falle des Klägers kann nach Überzeugung des Senats nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, daß die silikogenen Lungenveränderungen bei der Entstehung der restriktiven Ventilationsstörung wesentlich mitgewirkt haben. Denn es sprechen mehr medizinisch-wissenschaftliche Gründe gegen als für eine Wesentlichkeit.
Die Sachverständigen sind sich darin einig, daß die bei dem Kläger vorgefundenen silikotischen Lungenveränderungen leichtgradig sind und eine Silikose dieses Typs weder in qualitativer noch in quantitativer Hinsicht geeignet ist, normalerweise wesentliche Lungenfunktionseinschränkungen zu verursachen. Andererseits sind die bei dem Kläger vorbestehenden postpleuritischen Verschwartungen und die mittlere Adipositas des Klägers schon für sich allein dazu geeignet, die bei dem Kläger vorgefundene Lungenfunktionsstörung zu erklären, zumal nur eine leichte restriktive Ventilationsstörung festgestellt werden konnte. Hierauf weisen die Professoren R, und W. hin.
Zwar legt Prof. Dr. Wo. dar, daß bei einem radiologisch sichtbaren Lungenknötchen morphologisch zwischen fünf bis zehn hintereinander liegende Knötchen im röntgenologischen Strahlengang getroffen werden müßten, um dieses eine Knötchen abbilden zu können und auch dieser Ausfall von atmendem Lungengewebe pathophysiologisch nicht irrelevant sei. Dies ist auch in anderen Fällen nicht anders. Entscheidend ist, daß im vorliegenden Fall das Ergebnis der Messung der statischen Compliance gegen das Vorhandensein von silikotischen Lungenfunktionsstörungen spricht. Dieser Wert, der etwas über die infolge einer Silikose verminderte Lungendehnbarkeit aussagt, zeigte keine eindeutige Verminderung. Da auch nach allgemeiner medizinisch-wissenschaftlicher Erfahrung leichte silikotische Veränderungen – wie sie bei dem Kläger vorliegen – nicht geeignet sind, einen wesentlich ungünstigen Einfluß auf unabhängig von der Silikose bestehende Veränderungen im Bereich der Lungen und Pleura auszuüben, können auch im Einzelfall, ohne das Vorliegen von konkreten Hinweisen auf silikosebedingte Insuffizienzerscheinungen, solche silikotischen Lungenfunktionsstörungen nicht mit Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Zur Beweisführung reicht es nicht aus, wenn Prof. Dr. Wo. ausführt, es bestehe "zumindest die ernsthafte Möglichkeit” einer Mitursächlichkeit der Silikose für die restriktive Ventilationsstörung und es sei "medizinisch nicht von der Hand zu weisen”, daß der zusätzliche Befund silikotischer mittelgroßer Narben funktionell nicht unerheblich sei.
Allein das Vorliegen einer röntgenologisch zu idendifizierenden Silikose, ohne nachweisbare Beeinträchtigung von Atmung und Kreislauf, rechtfertigt auch nicht die Annahme einer Quarzstaublungenerkrankung als BK.
Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung (Hess. LSG in Berthaupt 84, 761) fest und folgt damit auch dem BSG (z.B. BSG SozR 2200 § 5351 Nr. 34 m.w.N.).
Danach kann dahinstehen, ob das Vorhandensein silikotischer Lungenveränderungen in medizinischem oder sonstigem Sinne als Krankheit zu werten ist oder die Lungenveränderungen dazu führen, daß der Versicherte Quarzstaubgefährdende Arbeiten nicht mehr verrichten darf. Vielmehr ist entscheidend, daß der Verordnungsgeber das bloße Vorhandensein von silikotischen Einlagerungen noch nicht zur BK erheben wollte. Dies zeigt die historische Entwicklung.
Bis zur 5. Verordnung über die Ausdehnung der UV auf BKen vom 26. Juli 1952 (BGBl. I, 395) war allein die "schwere” Quarzstaublungenerkrankung als BK anzuerkennen. Mit der 5. Verordnung ist zwar das Wort "schwer” entfallen. Jedoch ist der amtlichen Begründung zu entnehmen, daß der Versicherungsfall nach wie vor durch das "Merkmal einer funktionellen Beeinträchtigung in Atmung oder Kreislauf” bedingt ist (Begründung zur 5. BKVO, BArbBL 1952, 409, 411). Dies hat nach wie vor Gültigkeit, weil der Verordnungsgeber bei Erlaß der BKVO vom 8. Dezember 1976 (BGBl. I, 3329) und den nachfolgenden Fassungen insoweit keine Änderung vorgenommen hat.
Die Voraussetzungen für die Entschädigung und Anerkennung einer Silikose als BK nach § 551 RVO i.V.m. Nr. 4101 der Anlage 1 zur BKVO liegen deshalb hier nicht vor. Das Urteil des SG vom 3. Juni 1993 konnte nicht bestätigt werden.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
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