L 3 U 47/87

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 8 U 109/84
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 47/87
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. November 1986 wird als unzulässig verworfen, soweit Ansprüche auf Sterbegeld, Verletztenrente, Überführungskosten und Überbrückungshilfe betroffen sind. Im übrigen wird die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. November 1986 zurückgewiesen.

II. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. November 1986 wird als unzulässig verworfen.

III. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob eine Bronchialkarzinomerkrankung des am 24. September 1982 hieran verstorbenen Ehemannes bzw. Vaters der Kläger, (Versicherter), wie eine Berufskrankheit zu entschädigen ist.

Der Versicherte stellte unter Beifügung eines Attests seines Hausarztes D. vom 19. November 1981 mit Schreiben vom 24. November 1981 Antrag auf Entschädigung wegen einer Berufskrankheit.

Der 1938 geborene Versicherte war nach einer Maurerlehre in den Jahren 1953 bis 1956 von 1956 bis 1960 als Maurergeselle und bis Mai 1961 als Einrichter für die Produktion von Autozubehörteilen beschäftigt. Im Mai 1961 nahm er eine Tätigkeit bei der Firma , als Vorarbeiter auf. Nach den Feststellungen des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten vom 26. März 1982, die auf Angaben des verstorbenen Versicherten beruhten, hatte die Straßenbaufirma maximal 15 Beschäftigte und war mit der Befestigung von Höfen, Bürgersteigen, kleineren Straßen und Wegen befaßt. Die Ausführung der Arbeiten geschah nach der Makadam-Bauweise hauptsächlich von Hand. Hierbei wird beim Tränkmakadam eine trocken eingewalzte Schotterschicht mit Splitt ausgefüllt. Dann wird das im Kocher erhitzte Bindemittel Teer mit der Spritze aufgetragen. Unmittelbar danach wird erneut Splitt aufgetragen und der Belag abgewalzt. Beim Mischmakadam im Heiß- oder Kalteinbau wird ein Teersplittgemisch in mehreren Lagen von Hand ausgebreitet und durch Walzen verdichtet. Zum Anspritzen wird der Teer auf 100 Grad Celsius, bei Mischsplitt auf 120 Grad Celsius erhitzt, wobei die im Teer enthaltenen flüchtigen Anteile verdampfen. Der Versicherte trug nach eigenen Angaben hauptsächlich Splitt auf und war den Dämpfen aus der Teerspritze unmittelbar ausgesetzt, was auch beim Bedienen des Teerkochers der Fall war. Die Arbeitszeit verteilte sich auf 60 % Arbeiten mit Heißteer und zu 40 % auf Arbeiten am Unterbau und auf Pflasterarbeiten. Ab Ende der 60er Jahre wurde Steinkohlenteer als Bindemittel durch Bitumen verdrängt. Bei kleineren Straßenflächen verarbeitete die Firma Bitumenkiesbeton und Asphaltfeinbeton. Das Mischgut hat beim Einbau eine Temperatur von ca. 180 Grad Celsius. 30 % der Arbeitszeit war der Versicherte den aus dem bituminösen Mischgut aufsteigenden Dämpfen ausgesetzt. Insgesamt war der Versicherte, der seit 1973 auch Geschäftsführer war, aber weiter auf den Baustellen mitarbeitete, nach dem Bericht des Berufshelfers vom 14. Februar 1983 durch manuelle Tätigkeiten und beim Fahren einer kleinen Walze in niedriger Sitzhöhe der Einwirkung von Teerdämpfen und Teerstaub ausgesetzt.

Am 22. Februar 1982 (Eingangsdatum) zeigte die Firma ebenfalls eine Berufskrankheit des Versicherten an.

Dieser war seit 15. Dezember 1980 wegen einer Nierenerkrankung und seit 5. Mai 1981 wegen der Bronchialerkrankung arbeitsunfähig krank.

Die Beklagte zog daraufhin diverse Arztbriefe des Prof. Dr. U., Chirurgische Klinik des Krankenhauses und des Röntgenologen Prof. Dr. S. die den Versicherten untersucht bzw. behandelt hatten, bei. Ferner äußerte sich der Landesgewerbearzt des Hessischen Sozialministers mit Schreiben vom 30. Dezember 1982 unter Berücksichtigung des bei Prof. Dr. W. eingeholten Gutachtens auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung vom 15. Juni 1982. In diesem Gutachten vertrat Prof. Dr. W. die Auffassung, bei dem Versicherten lägen arbeitsmedizinischerseits die Voraussetzungen zur Anerkennung wie bei einer Berufskrankheit vor. Die Entstehung des Bronchialkarzinoms sei mit Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Tätigkeit als Teerfacharbeiter zurückzuführen.

Der Landesgewerbearzt kam zu dem Ergebnis, bei dem Versicherten habe eine Exposition bestanden, die den Verdacht auf eine berufliche Verursachung sehr wohl begründe. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse seien aber noch nicht so verfestigt, daß die Entschädigung wie eine Berufskrankheit möglich sei. Hierbei stützte er sich auf eine Mitteilung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 14. Januar 1983.

Nach dem Arztbrief des Privatdozenten Dr. R., Krankenhaus vom 27. September 1982, in dem der Versicherte verstorben war, werden als abschließende Diagnosen ein Zustand nach Pneumonektomie rechts infolge Plattenepithelkarzinoms, Tumorrezidiv mit oberer Einflußstauung und Oesophaguskompression sowie erfolgloser palliativer Bestrahlung, Zustand nach Radiatio und Pyothorax rechts angegeben.

Auf Anregung des Landesgewerbearztes ließ die Beklagte noch ein Gutachten bei Prof. Dr. V. Direktor des Instituts für Arbeits- und Sozialmedizin, Universität vom 2. Mai 1983 erstellen, der sich Prof. Dr. W. anschloß.

Die Beklagte holte im übrigen noch eine Stellungnahme des BMA vom 20. Juli 1983 ein.

Mit Bescheid vom 5. September 1983 lehnte sie gegenüber der Klägerin persönlich und zugleich als Bezugsberechtigte gemäß § 56 Sozialgesetzbuch (SGB 1) für die Kinder geb. und die Gewährung einer Entschädigung aus Anlaß der Erkrankung, die sich der Versicherte bei seiner Tätigkeit als Polier und mitarbeitender Geschäftsführer zugezogen haben solle und auf die der Tod zurückzuführen sei, ab. Zur Begründung führte sie aus, da eine Erkrankung durch Einatmen von Teer und Bitumendämpfen, Rauchentwicklungen oder dergleichen in der Liste der Berufskrankheiten nicht enthalten sei, entfalle schon aus versicherungsrechtlichen Gründen eine Anerkennung als Berufskrankheit im Sinne des § 551 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) in Verbindung mit der geltenden Berufskrankheitenverordnung (BKVO). Eine Entschädigung nach § 551 Abs. 2 RVO komme nur in Betracht, wenn nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Krankheit durch besondere Einwirkungen verursacht worden sei, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt seien. Diese Voraussetzungen könnten nicht bejaht werden. Die wissenschaftliche Diskussion sei zwar seit Jahren im Gange, die Untersuchungsergebnisse seien aber selbst in der Medizin nicht derart unumstritten und abgesichert, daß sie als neue Erkenntnisse im Sinne des § 551 Abs. 2 RVO den Verordnungsgeber bereits jetzt veranlassen würden, die Berufskrankheitenliste zu erweitern, falls eine Neufassung jetzt anstünde. Diese Auffassung werde durch den BMA und den Landesgewerbearzt im Hessischen Sozialministerium bestätigt. Abgesehen hiervon hätten aber derartige Erkenntnisse im maßgeblichen Zeitpunkt des Versicherungsfalles (Mai 1981) sicherlich noch nicht vorgelegen.

Gegen diesen Bescheid legten die Kläger am 28. September 1983 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. März 1984, abgesandt am 10. April 1984, zurückwies. Ergänzend führte sie aus, bisher fehlten sichere epidemiologische Untersuchungen hinsichtlich der Krebsgefährdung bei Straßenbauarbeitern. Die Gefährdung von Dachdeckern und Kokereiarbeitern lasse sich nicht auf Straßenbauarbeiter übertragen, da Dachdecker näher an die verarbeitenden Teerdämpfe herankommen müßten und bei Kokereiarbeiten der Teer auf 400 Grad Celsius im Vergleich zu 150 Grad Celsius beim Straßenbau erhitzt werde. Dadurch würden die sogenannten PAH-Stoffe erheblich stärker frei. Die medizinischen Erkenntnisse hinsichtlich der Ursachen und der besonderen Gefährdung der Erkrankung hätten sich im Mai 1981 noch nicht so verdichtet gehabt, daß die Erkrankung in die Berufskrankheitenliste hätte aufgenommen werden können, falls die BKVO zu diesem Zeitpunkt neu herausgegeben worden wäre. Dies habe der BMA im Schreiben an den Landesgewerbearzt vom 14. Januar 1983, also lange nachdem die Erkrankung aufgetreten gewesen sei, bestätigt.

Am 16. April 1984 haben die Kläger bei der Beklagten Klage erhoben, die diese an das Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) weitergeleitet hat.

Die Beklagte hat ein Gutachten des Prof. Dr. K. Institut für Arbeits- und Sozialmedizin, , vom 26. Juli 1984, erstattet in einem anderen Verwaltungsverfahren, vorgelegt sowie ein weiteres derartiges Gutachten des Prof. Dr. W. und ein Gutachten des Prof. Dr. V. vom 10. August 1984.

Mit Beschluss vom 5. November 1984 ist die Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK) Hamburg zum Verfahren nach § 75 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladen worden.

Das SG hat im übrigen bei Prof. Dr. V. eine ergänzende Auskunft eingeholt, nach der keine neuen Erkenntnisse vorliegen sowie eine Auskunft des BMA vom 22. Januar 1985. Schließlich hat das SG Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen medizinischen Sachverständigengutachtens auf arbeitsmedizinischem Fachgebiet bei Prof. Dr. W. In seinem Gutachten vom 13. Februar 1986 kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, bereits zur Zeit der Diagnose des Bronchialkarzinoms im Mai 1981 hätten eindeutige, wissenschaftlich neue Erkenntnisse vorgelegen, daß Beschäftigte mit einer erheblichen Einwirkung durch poliaromatische Kohlenwasserstoffe (PAH) ein erhöhtes Bronchialkarzinomrisiko hätten. Diese neuen Erkenntnisse seien in den wissenschaftlichen Untersuchungen von Hammond (1976), Redmond (1976) und Manz (1977) zu sehen. Das Bronchialkarzinom sei mit Wahrscheinlichkeit durch den Anteil von krebserzeugenden PAH im Steinkohlenteer wesentlich mitverursacht, der als Bindemittel bei der Firma zwischen 1961 und 1970 verwendet worden sei.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 6. Juni 1986 bestätigte der Sachverständige seine im Gutachten dargelegte Auffassung.

Die Beklagte hat ein Schreiben des Prof. Dr. V. vom 4. Juli 1986 vorgelegt, aus dem hervorgeht, daß bisher nicht eindeutig geklärt sei, ob das Kollektiv der Straßenbauarbeiter in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung unter Bronchialkarzinomen leide.

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 4. November 1986 ist die Klage bezüglich der Tochter zurückgenommen worden.

Mit Urteil vom 4. November 1986 hat das SG die Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe zutreffenderweise die Gewährung von Versicherten- und Hinterbliebenenrente abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 551 Abs. 2 RVO seien nicht erfüllt. Im hier entscheidenden Zeitraum von Dezember 1976 bis September 1982 seien keine neuen Erkenntnisse mit der von der gesetzlichen Bestimmung geforderten Wahrscheinlichkeit im Hinblick auf den Zusammenhang von Bronchialkarzinom und Teerexposition bei Straßenbauarbeitern gewonnen worden. Die Studie des Prof. Dr. M. aus 1977 sei beachtlichen Einwänden, insbesondere gegen die Statistik, begegnet. 1982 habe er eine große Kohortenstudie zu den Auswirkungen von Kokereigasen vorgelegt. Unabhängig davon, ob man die Ergebnisse übertragen könne, seien die Erkenntnisse frühestens 1983 und damit nach Eintritt des Versicherungsfalles gesichert gewesen, denn erst dann sei die Studie veröffentlicht worden. Prof. Dr. V. habe die statistischen Mängel der früheren Arbeit ebenfalls bestätigt. Aufgrund der Arbeiten von Hammond habe der Sachverständigenrat bis heute dem BMA nicht vorgeschlagen, auch Krebserkrankungen der Atemwege bei Straßenbauarbeitern als Berufskrankheit anzuerkennen. Soweit Prof. Dr. W. 1984 fundierte wissenschaftliche Arbeiten mit besonderen Meßverfahren durchgeführt habe, die für die Vergleichbarkeit der Gefährdung von Straßenbauarbeitern, Dachdeckern und Kokereiarbeitern sprächen und sich dadurch neue Erkenntnisse ergäben, hätten sich diese erst nach Eintritt des Versicherungsfalles verdichtet und seien nicht zu berücksichtigen.

Gegen dieses durch Empfangsbekenntnis am 18. Dezember 1986 zugestellte Urteil haben die Kläger bei dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt am 14. Januar 1987 Berufung eingelegt.

Es liegt vor ein Schreiben des BMA an das Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 11. November 1988.

Zur Begründung der Berufung tragen die Kläger vor, die Angelegenheit stelle kein laufendes Verwaltungsgeschäft dar, so daß nicht die Geschäftsführung, sondern der Vorstand hierfür zuständig und vertretungsberechtigt sei.

Der Widerspruchsbescheid weise einen Beschluss der Widerspruchsstelle tatsächlich nicht aus. Im übrigen habe der Rentenausschuß nicht über die Abhilfe entschieden und sei mit den für die Kläger positiven Gutachten nicht befaßt worden. Die Beklagte müsse die Meßdaten für Straßenbauarbeiten aus dem Maßkataster, zunächst für die damalige Arbeit des verstorbenen Versicherten mit dem Heißteer bekannt geben. Der Verstorbene sei in gleichem Umfang, wenn nicht mehr, wie ein Dachdecker mit Heißteer in Berührung gekommen, was die Meßdaten zeigten. Auch sei der Hauptgeschäftsführer zur Frage der Unterdrückung von Meßdaten zu hören. Die vorliegenden Gutachten seien für eine Entschädigung ausreichend, denn es handele sich um einen Einzelfall und es sei ohne Belang, ob die Fragestellung zur Verordnungsreife gediehen sei. Das SG habe schließlich die Ablehnung der Ansprüche auf Prof. Dr. gestützt, ohne ihn persönlich im Gerichtsverfahren zu hören. Dem gestellten Beweisantrag hätte aber stattgegeben werden müssen. Hieraus ergebe sich ein wesentlicher Verfahrensmangel.

Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. November 1986 und den Bescheid der Beklagten vom 5. September 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. März 1984 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, wegen der Folgen der Bronchialkarzinomerkrankung und Pleuraerkrankung des Versicherten und aus Anlaß seines Todes Entschädigungen in gesetzlichem Umfang zu gewähren,
hilfsweise,
Prof. Dr. M. nach § 106 SGG,
äußerst hilfsweise,
nach § 109 SGG zu hören zu dem Beweisthema, daß Kokereirohgase und Teersubstanzen und Dämpfe im Straßenbau Teerstoffe darstellen, daß deshalb die Erkenntnisse schon damals 1978, BSG 2 RU 63/78, auf Straßenteerarbeiten der Straßenbauarbeiter übertragen werden konnten,
hilfsweise,
Prof. H., siehe BSG Urteil 2 RU 63/78, zu dem Beweisthema zu hören, daß der Unterschied schon damals nur graduell war zwischen Kokereirohgasen und Straßenteerbelastungen,
hilfsweise,
die bei der Tiefbau-Berufsgenossenschaft angefallenen einschlägigen Fälle zum weiteren Beweis der Überhäufigkeit zu ermitteln und diejenigen Fälle einschlägiger Art bei anderen Berufgenossenschaften,
hilfsweise,
gemäß gegnerischem Schriftsatz aus erster Instanz Prof. W. und Dr. B. zur sachverständigen weiteren Erläuterung des Gutachtens zu laden hinsichtlich der neuen Erkenntnisse und daß diese damals schon 1978 gefestigt waren,
hilfsweise,
die berufsgenossenschaftlich bereits entschädigten Teerkrebsfälle insbesondere beizuziehen,
hilfsweise,
namentlich mit Blick auf die Berufskrankheitenänderungsverordnung (Ergänzung der Asbesterkrankungen und die Pleuraerkrankungen gemäß BK 4104) und mit Blick auf diesen Ablehnungsbescheid erwähnten Pleuraveränderungen ein Sachverständigengutachten einzuholen zum Beweisthema, daß der Lungenkrebs ebenso durch Asbest und darüber hinaus auch durch Dieselabgase verursacht wurde, welchen Schadstoffen der Versicherte im Straßenbau insbesondere ausgesetzt war,
hilfsweise,
die Professoren W. Vorsitzender der und Prof. M. namentlich zu dem Beweisthema zu hören, daß die im Erfahrungsbericht des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften festgehaltenen neuen Erkenntnisse: "Daß Lungenkrebs durch die Inhalation von Teerdämpfen auftreten können, gilt als arbeitsmedizinisch weitgehend gesicherte Annahme” (S. 67 des Berichts von 1983) in der Tat so vorhanden waren zum Zeitpunkt der Erkrankung und des Todes des Versicherten und etwaige gerichtliche Zweifel den Sachverständigen zur Beantwortung in der mündlichen Verhandlung betreffend die damaligen neuen Erkenntnisse vorzulegen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufungen als unzulässig zu verwerfen, soweit Ansprüche auf Sterbegeld, Überführungskosten, Überbrückungshilfe, Verletztenrente, Halbwaisenrente betroffen sind und im übrigen die Berufungen zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Die Beigeladene schließt sich dem Hauptantrag der Kläger an.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen und des weiteren Akteninhalts wird auf die BK-Akten der Beklagten, die Verwaltungsakte der Beigeladenen und die Streitakten, alle auszugsweise Gegenstand der mündlichen Verhandlung, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Streitgegenstand sind Ansprüche der Klägerin auf Sterbegeld, Überführungskosten, Überbrückungshilfe, Hinterbliebenenrente und auf zunächst dem Versicherten bis zu seinem Tode zugestandene und nun auf die Klägerin gemäß § 56 Abs. 1 Nr. 1 SGB 1 übergegangene Verletztenrente sowie ein Anspruch des Klägers auf Halbwaisenrente. Die Beklagte hat im angefochtenen Bescheid und im Widerspruchsbescheid eine Entschädigung aus Anlaß der Erkrankung des Versicherten, auf die der Tod zurückzuführen sein soll, abgelehnt und damit zum Ausdruck gebracht, daß alle denkbaren Ansprüche in der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlaß einer möglichen Berufskrankheit und des Todes geprüft und abgelehnt worden sind. Die Bescheide betreffen die Frage, ob dem Grunde nach derartige Ansprüche bestehen. Wäre nur über einen einzelnen Anspruch entschieden worden, hätte die Beklagte den Tenor des Bescheides entsprechend gefaßt. Zwar hat das SG sich in den Entscheidungsgründen ausdrücklich nur mit Ansprüchen auf Verletzten- und Hinterbliebenenrente befaßt; es hat jedoch die Klage auf Entschädigung insgesamt abgewiesen.

Die Beklagte ist im vorliegenden Verfahren ordnungsgemäß durch ihren Hauptgeschäftsführer vertreten. Nach § 36 Abs. 1 SGB 4 führt der Geschäftsführer hauptamtlich die laufenden Verwaltungsgeschäfte, soweit Gesetz oder sonstiges für den Versicherungsträger maßgebendes Recht nichts Abweichendes bestimmen, und vertritt den Versicherungsträger insoweit gerichtlich und außergerichtlich. Die Ablehnung der Entschädigungsansprüche betrifft laufende Verwaltungsgeschäfte. Diese Geschäfte beziehen sich im Recht der Sozialversicherung nicht nur wie im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung auf Geschäfte, die mehr oder weniger regelmäßig wiederkehren. Für die Aufgabenverteilung innerhalb der Körperschaft fällt es nicht oder kaum ins Gewicht, welches Organ die Aufgabe wahrnimmt, sofern das Recht richtig angewendet wird. Die hauptamtlichen Mitglieder der Geschäftsführung sind hierfür besser vorgebildet als die ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder. Dem Vorstand sind vorbehalten bedeutsame Geschäfte im Selbstverwaltungsbereich, die über eine bloße Verwaltungsroutine hinausgehen. Laufende Geschäfte dagegen sind, bezogen auf den Einzelfall, die Feststellung, Versagung und Kürzung von Muß- und Kannleistungen (vgl. hierzu BSGE 26, 129 und Jahn-Menard, SGB für die Praxis, SGB IV, 37. Ergänzungslieferung März 1990, § 36 Rdnr. 2). Unerheblich ist, daß es sich im Einzelfall um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handeln mag. Dies ändert nichts an der Tatsache, daß die Verwaltungsentscheidung hierüber zu den laufenden Verwaltungsgeschäften zählt.

Die Berufung der Klägerin war als unzulässig zu verwerfen (§ 158 Abs. 1 SGG), soweit die Ansprüche auf Sterbegeld, Überführungskosten und Überbrückungshilfe sowie Verletztenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes bis zu dessen Tod betroffen sind. Die Ansprüche auf Sterbegeld und Überführungskosten stellen eine einmalige Leistung dar, so daß die Berufung nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG ausgeschlossen ist. Der Anspruch auf Verletztenrente, der gegebenenfalls auf die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin übergegangen ist (§ 56 Abs. 1 Nr. 1 SGB 1), betrifft Rente für bereits abgelaufene Zeiträume, weshalb die Berufung nach § 145 Nr. 2 SGG ausgeschlossen ist. Betrifft die Berufung, wie hier, mehrere selbständige Ansprüche, ist für jeden Anspruch getrennt die Statthaftigkeit der Berufung zu prüfen (Meyer-Ladewig, SGG mit Erläuterungen, § 144 Rdnr. 4). Der Anspruch auf Überbrückungshilfe fällt unter § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG.

Die Berufung des Klägers war ebenfalls gemäß § 158 Abs. 1 SGG als unzulässig zu verwerfen, denn streitig ist insoweit nur ein Anspruch auf Halbwaisenrente für abgelaufene Zeiträume (§ 145 Nr. 2 SGG). In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 4. November 1986 hat der Kläger selbst dargelegt, er verfolge einen Anspruch auf Rente nur bis Dezember 1982, da er in diesem Monat seine Lehrprüfung abgelegt habe. Damit handelt es sich um einen Zeitraum vor Einlegung der Berufung.

Die Berufung der Klägerin hinsichtlich der Ansprüche auf Sterbegeld, Verletztenrente, Überführungskosten und Überbrückungshilfe und die Berufung des Klägers sind auch nicht ungeachtet der Berufungsausschließungsgründe nach § 150 SGG zulässig.

Die Voraussetzungen des § 150 Nr. 1 SGG sind nicht erfüllt, denn das SG hat die Berufung im Urteil nicht zugelassen. Die undifferenzierte und insoweit fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung begründet die Zulässigkeit der Berufung nicht, denn sie enthält keine Entscheidung über die Zulassung des Rechtsmittels, sondern erwähnt die Berufung lediglich (Meyer-Ladewig, § 150 SGG Rdnr. 7 m.w.N.).

Die Berufung ist auch nicht nach § 150 Nr. 2 SGG zulässig, denn die Kläger rügen nicht mit Erfolg einen wesentlichen Verfahrensmangel. Ein Verfahrensmangel stellt einen Verstoß gegen eine Vorschrift dar, die das gerichtliche Verfahren regelt. Der Mangel darf sich nicht auf den sachlichen Inhalt des Urteils beziehen, sondern auf das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Weg zum Urteil. Bei der Beurteilung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, ist von der Rechtsansicht des SG auszugehen. Der wesentliche Verfahrensmangel muß im übrigen gerügt sein und tatsächlich vorliegen (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 150 Rdnrn. 15 ff.).

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Soweit der Anspruch auf Sterbegeld, Überbrückungshilfe und Überführungskosten betroffen ist, läßt der Senat offen, ob ein Verfahrensmangel darin liegt, daß das SG sich in den Entscheidungsgründen nicht damit auseinandergesetzt hat, welche Ansprüche im einzelnen Streitgegenstand sind und zu den einzelnen Ansprüchen keine Ausführungen gemacht hat. Ein derartiger Mangel jedenfalls ist von der Klägerin oder der Beigeladenen nicht gerügt worden, was aber zwingend erforderlich ist.

Die erhobene Verfahrensrüge, das SG sei seiner Amtsermittlungspflicht nicht nachgekommen (§ 103 SGG) und habe den protokollierten Beweisantrag, Prof. Dr. M. gutachtlich zu hören, zu Unrecht übergangen, greift nicht durch, was auch bezüglich des Anspruchs auf Verletztenrente gilt. Das SG mußte sich von seinem Rechtsstandpunkt aus nicht gedrängt sehen, ein Sachverständigengutachten bei Prof. Dr. M. einzuholen. Das angefochtene Urteil geht davon aus, daß neue, gesicherte Erkenntnisse im Sinne des § 551 Abs. 2 RVO nach Erlaß der letzten BKVO zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles, also bis spätestens September 1982, vorgelegen haben müssen. Die beachtlichen Einwände gegen die verwertete Statistik der Studie des Prof. Dr. M. aus 1977 habe diesen dazu veranlaßt, eine große Kohortenstudie zur Frage des Berufskrebses bei Beschäftigten der Gasindustrie mit Datum vom September 1982 vorzulegen, die jedoch erst im Frühjahr 1983 veröffentlicht worden sei. Daraufhin erst sei empfohlen worden, die nächste BKVO zu ergänzen um "bösartige Tumore der Atemwege bei Ofenblockarbeitern nach intensiver langjähriger Exposition gegenüber Kokereigasen”. Diese Erkenntnis sei also, unabhängig von der Frage, ob Straßenbauarbeiter mit Kokereiarbeitern gleichzusetzen seien, frühestens im Frühjahr 1983 im erforderlichen Umfange gesichert gewesen. Zu diesen Feststellungen gelangte das SG verfahrensfehlerfrei aufgrund der Hinweise in den eingeholten Gutachten, der Stellungnahme des BMA über die Vorgeschichte zur Ergänzung der BKVO und des gesamten Beteiligtenvortrags einschließlich der von der Beklagten im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Studie. Hiernach wurde die Fassung "September 1982” in der 38. Sitzung der Sektion "Arbeitsmedizin” des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim BMA erörtert. Eine abschließende Diskussion fand in dieser Sitzung am 14. April 1983 noch nicht statt. Am 19. Januar 1984 erging dann die entsprechende Empfehlung. Bei der Frage, ob neue Erkenntnisse im Sinne des § 551 Abs. 2 RVO vorliegen, handelt es sich nicht um eine medizinische, sondern um eine Rechtsfrage, die aufgrund geeigneter Tatsachenfeststellungen, wie hier, zu beantworten ist. Einer Anhörung des Prof. Dr. M. bedurfte es daher aus der Sicht des SG, wie dieses zu Recht ausführt, nicht. Unerheblich ist, ob die zugrunde gelegte Rechtsauffassung über das Tatbestandsmerkmal der neuen Erkenntnisse und über den zugrunde gelegten Zeitpunkt, in dem diese Erkenntnisse vorgelegen haben müssen, zutrifft.

Schließlich findet § 150 Nr. 3 SGG, wonach die Berufung ungeachtet der §§ 144 bis 149 SGG zulässig ist, wenn der ursächliche Zusammenhang einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit oder einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) streitig ist oder das SG eine Gesundheitsstörung nicht als feststellbar erachtet hat, keine Anwendung. Maßgeblich ist nach dieser Vorschrift alleine die ursächliche Verknüpfung einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit oder einer Schädigung im Sinne des BVG, nicht aber die Frage, ob die Tatbestandsmerkmale einer Berufskrankheit oder einer Schädigung im Sinne des BVG vorliegen. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, denn zwischen den Beteiligten ist die Voraussetzung der höheren Gefährdung der Straßenbauarbeiter im Sinne des § 551 Abs. 2 RVO, bezogen auf das allgemeine Auftreten von Bronchialkarzinomen, streitig (vgl. hierzu Urteile des BSG vom 24. Januar 1990 – 2 RU 20/89 und vom 12. Juni 1990 – 2 RU 21/89 sowie BSGE 6, 120, 123 f.). Der erkennende Senat schließt sich dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung an. Da im übrigen die Erkrankung nur "wie eine Berufskrankheit” zu entschädigen ist, wird klargestellt, daß die Erkrankung im Falle des § 551 Abs. 2 RVO selbst bei einer Anerkennung der Entschädigungspflicht nicht "Berufskrankheit” im Sinne des Abs. 1 wird (Lauterbach, Unfallversicherung, Kommentar, 3. Auflage, 49. Lieferung, Oktober 1987, § 551 Rdnr. 17).

Hinsichtlich des Anspruches auf Hinterbliebenenrente ist die Berufung der Klägerin ohne Einschränkung zulässig.

Soweit die Berufung zulässig ist, ist sie nicht begründet. Das auf die zulässigen Klagen ergangene sozialgerichtliche Urteil war nicht aufzuheben, denn es trifft zu. Bescheid und Widerspruchsbescheid der Beklagten sind rechtmäßig.

Die Klägerin hat zunächst keinen Anspruch auf Aufhebung dieser Bescheide wegen der gerügten verwaltungsverfahrensrechtlichen Fehler. Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Bescheide nicht nichtig und damit unwirksam (§ 39 Abs. 3, § 40 Abs. 1, § 40 Abs. 2 Nrn. 1 bis 5 SGB 10). Eine der Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 Nrn. 1 bis 5 SGB 10 liegt ersichtlich nicht vor. Auch die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 SGB 10 sind nicht erfüllt. Hiernach ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Dabei kann dahinstehen, ob der Bescheid tatsächlich nicht von einem hierzu berufenen Ausschuß erlassen wurde, dieser auf den Widerspruch nicht über eine Abhilfe entschied und der Widerspruchsausschuß nicht mit der Angelegenheit befaßt wurde. Nach § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB 10 ist nämlich ein Verwaltungsakt nicht schon deshalb nichtig, weil ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuß den für den Erlaß des Verwaltungsakts vorgeschriebenen Beschluss nicht gefaßt hat oder nicht beschlußfähig war. Soweit sich daraus eine Verfahrensfehlerhaftigkeit ergeben soll, was der Senat ebenfall offenlassen kann, kann die Aufhebung der Verwaltungsakte nicht allein deshalb beansprucht werden. In der Sache hätte nämlich keine andere Entscheidung getroffen werden können (§ 42 Satz 1 SGB 10), wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt. § 551 Abs. 2 RVO stellt keine Ermessenvorschrift dar. Eine Sollvorschrift ist grundsätzlich genauso rechtsverbindlich für die Verwaltung wie eine Mußvorschrift. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 551 Abs. 2 RVO vor, ist die Krankheit oder der Tod wie eine Berufskrankheit zu entschädigen (Lauterbach, a.a.O., § 551 Rdnr. 12 m.w.N.).

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach §§ 589 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 590 Abs. 1 RVO. Nach diesen Vorschriften ist bei Tod durch Arbeitsunfall und damit auch durch eine Berufskrankheit (§ 551 Abs. 1 Satz 1 RVO) vom Todestage an den Hinterbliebenen eine Rente nach den §§ 590 bis 595 zu gewähren. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Berufskrankheiten sind nach § 551 Abs. 1 Satz 2 RVO die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten erleidet. Hierzu ist die BKVO vom 20. Juni 1968 (BGBl. I S. 721), geändert durch Verordnung vom 8. Dezember 1976 (BGBl. I S. 3329) und Verordnung vom 22. März 1988 (BGBl. I S. 400) ergangen, nach deren § 1 Berufskrankheiten die in der Anlage 1 bezeichneten Krankheiten sind.

Die Erkrankung des Versicherten (Bronchialkarzinom nach Einwirkung von Teer/PAH bei Straßenbauarbeitern) ist hiernach keine Berufskrankheit, denn sie ist nicht in der Anlage 1 aufgeführt. Es gilt das Enumerationsprinzip.

Darüber hinaus liegen aber auch nicht die Voraussetzungen des § 551 Abs. 2 RVO vor. Nach dieser Vorschrift sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfalle eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllt sind.

Zu den Voraussetzungen der neuen Erkenntnisse haben sich in der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgende Grundsätze herausgebildet:

Insbesondere muß es sich nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft um durch besondere Einwirkungen verursachte Erkrankungen handeln, denen bestimmte Personen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Ob eine Krankheit in einer bestimmten Personengruppe im Rahmen der versicherten Tätigkeit häufiger auftritt als bei der übrigen Bevölkerung, erfordert den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine langfristige zeitliche Überwachung derartiger Krankheitsbilder, um daraus schließen zu können, daß die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt (BSGE 59, 295, 297 und Urteil vom 24. Januar 1990 – 2 RU 20/89). Neue Erkenntnisse sind hierbei solche, die bei Erlaß der letzten Verordnung noch nicht oder noch nicht mit ausreichender Sicherheit vorlagen, so daß der Verordnungsgeber sie nicht in seine Überlegungen einbeziehen und noch nicht dazu Stellung nehmen konnte, ob diese Erkenntnisse dazu ausreichten, eine Erkrankung als Berufskrankheit abzulehnen. Es genügt, daß frühere Annahmen sich inzwischen zu wirklichen Erkenntnissen verdichtet und als herrschende Ansicht in der medizinischen Wissenschaft durchgesetzt haben (Urteil des BSG vom 23. Juni 1977 – 2 RU 53/76). Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen neuer Erkenntnisse ist zumindest der Abschluß des Forschungsvorhabens. Die neuen Erkenntnisse müssen grundsätzlich in dem Zeitpunkt des Todes oder der Erkrankung vorgelegen haben (BSG, Urteil vom 22. Februar 1979 – 8 a RU 44/78).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze, denen der Senat folgt, und nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sowie unter Berücksichtigung des gesamten Akteninhalts liegen derartige neue Erkenntnisse nicht vor.

Nach dem ersten Gutachten des Prof. Dr. W. aus dem Verwaltungsverfahren vom 4. November 1982 ist für die auch im Teer, Asphalt und Bitumen enthaltenen PAH-Stoffe eine Kanzerogenität erwiesen. Bei Arbeiten mit einer Exposition gegenüber A1-Stoffen besteht ein höheres Krebsrisiko, eine zahlenmäßige Angabe des Risikos ist aber nicht möglich. Bei Arbeitern, die Teer, Pech und Ofengasen ausgesetzt seien, finde sich häufiger Lungenkrebs, was G. und in "Atem- und Harnwege als Lokalisationstellen bei Kokerei und Rohrnetzarbeitern”, herausgefunden hätten. Nach dem Gutachten des Prof. Dr. W. vom 13. Februar 1986 wurden zwischen 1976 und 1981 keine arbeitsmedizinisch-epidemiologischen Untersuchungen über die Tumorhäufigkeit bei Straßenbauarbeitern veröffentlicht. In seiner ergänzenden Stellungnahme zu diesem Gutachten bestätigt Prof. Dr. W. daß sich die große Kohortenstudie des Prof. Dr. M. mit Kokereiarbeitern befaßte. Wann diese wissenschaftlichen Erkenntnisse für Kokereiarbeiter gesichert und neu gewesen seien, sei kaum sozialmedizinisch, sondern alleine richterlich zu entscheiden. Aus dem Schreiben des BMA vom 22. Januar 1985 geht hervor, daß der damalige Ausschuß "Berufskrankheiten” des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim BMA zur BKVO vom 8. Dezember 1976 die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht als ausreichend befunden habe, eine entsprechende Ergänzung der Anlage 1 empfehlen zu können. Das Forschungsvorhaben von M. sei durch eine Kohortenstudie komplettiert und abgeschlossen worden. Das Ergebnis habe die Sektion "Arbeitsmedizin” am 19. Januar 1984 nach eingehender Prüfung veranlaßt, dem BMA zu empfehlen, bösartige Tumore der Atemwege bei Ofenblockarbeitern nach intensiver, langjähriger Exposition gegenüber Kokereigasen bei Erlaß der nächsten BKVO zu berücksichtigen, was dann auch geschehen ist.

Nur mit diesen Fragen hat sich die Kohortenstudie des Prof. Dr. M. befaßt. Dies folgt ferner aus dem vorgelegten Gutachten des Prof. Dr. K. vom 26. Juli 1984, der zusammenfassend feststellt, neue, d.h. nach 1975/76 bezüglich des Kausalzusammenhanges zwischen dem Einatmen von Teer- und Bitumendämpfen und der Erkrankung an einem Bronchialkarzinom sowie bezüglich des erheblich höheren Gefahrenrisikos für die Gruppe der Straßenbauer gegenüber der Allgemeinheit gewonnene Erkenntnisse seien nicht bekannt. Hierbei hat Prof. Dr. K. die Studie von "Karzinome der Atemwege nach beruflicher Teerexposition; eine dringend zu schließende Lücke in der Berufskrankheitenliste” (Zbl. Arbmed. 32 (1982) S. 118 bis 127) berücksichtigt und im Literaturverzeichnis zitiert.

Dem entspricht das ebenfalls vorgelegte Gutachten des Prof. Dr. V. 10. August 1984, nach welchem nach allen bisherigen epidemiologischen Untersuchungsergebnissen bislang nur für die Personengruppe der Kokereiarbeiter gesichert sei, daß hier gehäuft bösartige Erkrankungen der Atemwege zu beobachten seien. Demgegenüber sei für die Personengruppe der Straßenbauarbeiter ein derartiges Risiko nicht mit der zu fordernden statistischen Absicherung belegt. Eigene wissenschaftliche Arbeiten über das Thema sind nach der Mitteilung dieses Wissenschaftlers vom 17. Januar 1985 an das SG noch nicht abgeschlossen, weshalb keine neuen Gesichtspunkte vorlägen. Die Ausführungen in seinem Gutachten vom 2. Mai 1983 sind damit überholt, wobei zu betonen ist, daß er auch in diesem Gutachten nur vorsichtig dahingehend formulierte, mit der Studie von Manz lägen Untersuchungsergebnisse vor, die nach erster Prüfung geeignet schienen, den Ursachenzusammenhang zu bejahen.

Prof. Dr. W. hat seine entgegenstehende Auffassung nicht auf die erforderlichen eigenen Untersuchungen oder auf fremde Untersuchungsergebnisse gestützt, sondern im wesentlichen auf die Feststellungen in einem Urteil des BSG vom 5. Februar 1980 – 2 RU 63/78. Dies genügt nicht. Rechtlich unerheblich ist, daß Prof. Dr. W. und Prof. Dr. V. die Wahrscheinlichkeit des Zusammenhanges zwischen beruflichen Einwirkungen und Erkrankung sowie Tod im vorliegenden Falle bejahen. Dieser Zusammenhang alleine ist nach § 551 Abs. 2 RVO nicht ausreichend, sondern muß noch zusätzlich zu den oben dargelegten Voraussetzungen hinzukommen.

Nicht von Bedeutung ist ferner das Urteil des BSG vom 5. Februar 1980, a.a.O., auf das die Ärzte und die Klägerin mehrfach verweisen. In diesem Urteil wurden zwar "neue Erkenntnisse” im Sinne des § 551 Abs. 2 RVO bejaht, allerdings nur aufgrund der nicht mit einer zulässigen Revisionsrüge angegriffenen Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts. Hieran ist der erkennende Senat nicht gebunden. Nach den eigenen Feststellungen liegen derartige Erkenntnisse nicht vor.

Der Senat hat keine Zweifel, daß diese Feststellungen zutreffend sind, da ihnen mehrere Gutachten namhafter Arbeitsmediziner, die mit den streitigen Fragen besonders vertraut sind und die Stellungnahmen des BMA zugrunde liegen, und sie sich im übrigen mit den dem Urteil des BSG vom 12. Juni 1990, a.a.O., zugrunde liegenden Feststellungen des LSG Baden-Württemberg decken.

Den Beweisanträgen der Klägerin, den Hauptgeschäftsführer der Beklagten zu vernehmen und das "Meßkataster” vorzulegen, war nicht stattzugeben, weil sich dadurch die höchstrichterlich geforderte Qualität der Untersuchungen nicht erreichen läßt.

Dem Hilfsantrag, Prof. Dr. M. gutachtlich nach § 106 SGG, äußerst hilfsweise nach § 109 SGG zu hören, war ebenfalls nicht stattzugeben, denn das dadurch zu gewinnende Beweismittel kann von vornherein nicht dazu geeignet sein, zur Aufklärung der zu beweisenden Tatbestandsmerkmale des § 551 Abs. 2 RVO beizutragen. Das Beweisthema, daß Kokereirohgase und Teersubstanzen sowie Dämpfe im Straßenbau Teerstoffe darstellen und deshalb die Erkenntnisse schon 1978 auf Straßenteerarbeiten der Straßenbauarbeiter übertragen werden können, kann im Rahmen eines wissenschaftlichen Sachverständigengutachtens im gerichtlichen Verfahren nicht beantwortet werden. Der Senat ist zwar davon überzeugt, daß Prof. Dr. M. in der Lage ist, eine wissenschaftliche Kohortenstudie auch speziell für Straßenbauarbeiter zu erstellen. Eine solche Studie stellt aber kein gerichtliches Sachverständigengutachten dar, sondern eine umfassend angelegte, sich über mehrere Jahre erstreckende wissenschaftliche Arbeit. Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft liegen die erforderlichen neuen medizinischen Erkenntnisse im zuvor dargelegten Sinne über die Personengruppe der Straßenbauarbeiter nicht vor, auch nicht bei Prof. Dr. M. was bereits nach dem gegenwärtigen Verfahrensstand feststeht. Der den BMA wissenschaftlich beratende ärztliche Sachverständigenbeirat mußte auch unter Berücksichtigung der Arbeiten dieses Arztes offenlassen, welche der in Kokereirohgasen enthaltenen karzinogen wirkenden Substanzen nach gegenwärtigem Wissensstand allein oder im Zusammenwirken als wesentliche Ursache für die Entstehung der Tumore anzusehen sind (BR-Drucks 33/80 S. 7 zu Artikel 1 Nr. 5 – zu 4110 –).

Dem zweiten Hilfsantrag, Prof. Dr. H. dazu zu hören, daß der Unterschied zwischen Kokereirohgasen und Straßenteerbelastungen nur graduell ist, war ebenfalls nicht stattzugeben, denn eine Antwort auf diese Frage genügt nicht, um die Anspruchsvoraussetzungen zu beurteilen. Erforderlich ist auch insoweit eine vergleichende Studie, die Prof. Dr. H. bis heute nicht erstellt hat. Der Senat weist darauf hin, daß nach der Rechtsprechung des BSG, der er sich anschließt, die Qualität des Beweismittels (wissenschaftliche Studie) entscheidend ist. Ein "einfaches Gutachten” kann diese geforderte Qualität nicht erreichen.

Den weiteren Hilfsanträgen, bei der Berufsgenossenschaft vergleichbare und bereits entschiedene Fälle beizuziehen, war nicht stattzugeben, denn dieses Beweismittel ist nicht entscheidungserheblich. Es ist zwar im Rahmen eines Forschungsvorhabens angezeigt, vergleichende Fälle auszuwerten, dient aber im vorliegenden Fall alleine nicht zur weiteren Sachaufklärung. Aus diesem Material kann der Senat keine Schlüsse, ziehen, da ihm die erforderliche Sachkunde fehlt. Soweit die Kläger mit diesen Anträgen sinngemäß auch eine ergänzende Vorlage an einen Sachverständigen gemeint haben, kann eine solche Auswertung ebenfalls nur im Rahmen einer Kohortenstudie erfolgen, die noch nicht erstellt ist.

Prof. Dr. W. und Dr. B. waren zur Erläuterung des Gutachtens und zur Frage der neuen Erkenntnisse und des Vorliegens der Erkenntnisse bereits im Jahre 1978 nicht zu hören. Prof. Dr. W. hat selbst eingeräumt, daß es sich um eine vom Gericht zu beantwortende Frage handele, ob neue Erkenntnisse zu einem bestimmten Zeitpunkt vorlagen. Die vom BSG geforderte Qualität des Beweismittels liegt bis heute unstreitig nicht vor. Dazu bedarf es deshalb keiner Anhörung der benannten Ärzte, denn dieser Punkt steht bereits nach dem gegenwärtigen Verfahrensstand fest.

Nicht stattzugeben war auch dem weiteren Hilfsantrag, ein Sachverständigengutachten einzuholen zum Beweisthema, daß der Lungenkrebs ebenso durch Asbest und darüber hinaus auch durch Dieselabgase verursacht wurde. Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist dieses umschriebene Beweisthema nicht beweiserheblich. Der Versicherte ist nicht an einer Lungenkrebserkrankung, sondern an den Folgen eines Bronchialkarzinoms verstorben. Nrn. 4103/4104 der Anlage 1 zur BKVO 1988 sind im vorliegenden Falle noch nicht anwendbar, da sich die Verordnung grundsätzlich nicht auf vor ihrem Inkrafttreten abgeschlossene Sachverhalte erstreckt (BSGE 47, 250 m.w.N.). Hier ist der Versicherungsfall erheblich früher, im Mai 1981 (Beginn der Arbeitsunfähigkeit wegen der Bronchialerkrankung) bzw. im September 1982 (Todesfall) eingetreten. Damals war noch die BKVO vom 8. Dezember 1976 in Kraft. Nach Nrn. 4101 bis 4104 waren als Berufskrankheiten aufgeführt eine Quarzstaublungenerkrankung, eine Quarzstaublungenerkrankung in Verbindung mit aktiver Lungentuberkulose, eine Asbeststaublungenerkrankung oder eine Asbeststaublungenerkrankung in Verbindung mit Lungenkrebs. Aus der Arbeitsblattvorgeschichte, die von Prof. Dr. W. ausführlich zusammengestellt worden ist, ergeben sich jedoch keinerlei Anhaltspunkte für eine berufliche Asbestexposition. Entscheidend ist aber im vorliegenden Falle, daß aus den Krankenunterlagen auch tatsächlich keine Anzeichen für eine Asbesterkrankung von Lunge oder Rippenfell, auch nicht im Sinne einer Minimalasbestose zur Darstellung kommen. Der Senat stützt sich insoweit auf die Auswertung des Landesgewerbearztes vom 17. Juni 1991, dem die gesamten Akten zu diesem Zwecke vorgelegt wurden. Der Senat hält diese Stellungnahme für aussagekräftig und nach eigener Überprüfung und Meinungsbildung für überzeugend. Keiner der im Verfahren gehörten erfahrenen Arbeitsmediziner konnte bisher einen Hinweis auf eine asbestbedingte Erkrankung geben.

Deshalb kann letztlich dahingestellt bleiben, ob die Kläger nicht erstmals einen neuen, weiteren Versicherungsfall geltend machen, über den die Beklagte im Verwaltungsverfahren noch gar nicht entschieden hat.

Ebenfalls abzulehnen war der letzte Hilfsantrag, gestellt in der mündlichen Verhandlung vom 28. Oktober 1992.

Zunächst bezieht sich der Antrag auf Lungenkrebs. Der Ehemann der Klägerin verstarb aber an einem Bronchialkarzinom. Darüber hinaus ist entscheidend, daß durchaus feststeht, daß Lungen- oder Bronchialkrebserkrankungen durch Inhalation von Teerdämpfen auftreten können. Wie bereits dargelegt, genügt aber selbst die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs im Rahmen des § 551 Abs. 2 RVO nicht. Darüber, ob die Erkrankten einer Personengruppe angehörten, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt war, besagt der angesprochene Erfahrungsbericht des Hauptverbandes aber gerade nichts.

Die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 16. Oktober 1992 vorgelegten Urteile und Veröffentlichungen rechtfertigen eine andere Entscheidung gleichfalls nicht.

Die Urteile der Landessozialgerichte sind vor dem Urteil des BSG vom 12. Juni 1990 – 2 RU 21/89 ergangen und weichen von dieser höchstrichterlichen Entscheidung ab. Die Veröffentlichung von Knecht und Woitowitz, "Krebsgefährdung bei Verwendung von Pechbitumen im Straßenbau” befaßt sich mit aktuellen und wichtigen Erkenntnissen zur Prävention, enthält aber keine verwertbaren Ergebnisse zu der hier entscheidungserheblichen Frage. Im übrigen datiert die Studie aus 1990.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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