Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 8 U 241/73
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 1152/86
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 10. Juni 1986 wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Begründung, er sei als Leibesfrucht durch eine Berufskrankheit (BK) seiner Mutter infolge fortgesetzter Exposition gegenüber Halothan während der Schwangerschaft geschädigt worden (§ 555 a Reichsversicherungsordnung –RVO–).
Der 1968 geborene Kläger leidet an der schwersten Form eines Schwachsinns verbunden mit einer spastischen Diplegie mäßigeren Ausbildungsgrades, jedoch starker motorischer Unruhe. Seine Mutter war vom 1. Oktober 1967 bis 30. November 1967 als Medizinalassistentin und vom 1. Dezember 1967 bis 31. August 1968 als Assistenzärztin in der gynäkologischen und geburtshilflichen Abteilung des Städtischen Krankenhauses F. beschäftigt. Während dieser Zeit war sie einerseits im Stationsdienst, andererseits im Operationsbereich tätig. Die Tätigkeit dort belief sich laut Auskunft des Städtischen Krankenhauses FR. vom 10. November 1977 an fünf Wochentagen auf schätzungsweise durchschnittlich zwei Stunden, nach Angaben der Mutter des Klägers auf die Hälfte der Arbeitszeit. Im Operationsbereich bestand ihre hauptsächliche Aufgabe in der Durchführung von Narkosen. Laut Narkosebuch führte sie in der Zeit vom 1. Oktober 1967 bis 7. August 1968 insgesamt 122 Narkosen durch, wobei mindestens 79 auf Maskenanwendungen und 43 auf Intubationsnarkosen entfielen. Bis zur Geburt des Klägers sind im Narkosebuch 110 Anästhesien vermerkt. Als Inhalationsanästhetika wurden Halothan und Stickoxidul (Lachgas) verwendet. Die Narkosen wurden mittels eines Dräger – Narkosegeräts im halboffenen oder halbgeschlossenen System durchgeführt. Während der Operation blieb das vorhandene Fenster geschlossen. Weitere Einrichtungen zur Belüftung und Klimatisierung oder Schutzmaßnahmen zur Verringerung der Raumluftkontamination durch überschüssiges Narkosegas (z.B. Aktivkohlefilter) waren in dem 25 bis 30 m² großen, inzwischen abgerissenen Operationsraum offensichtlich nicht vorhanden.
Zu Beginn ihrer ärztlichen Tätigkeit im Städtischen Krankenhaus F. am 1. Oktober 1967 befand sich die Mutter des Klägers ihren Angaben zufolge (Schreiben vom 6. Juli 1983) in der 6. Schwangerschaftswoche. Bis zum Tag der Entbindung am 15. Mai 1968 führte sie Anästhesien durch. Die Geburt, die nach Angaben der Mutter des Klägers 17 Tage vor dem errechneten Termin erfolgte, verlief komplikationslos. Der Kläger wog 2.800 g, war 48 cm groß und hatte einen Kopfumfang von 38 cm. Die Reifezeichen waren vorhanden. Er fiel Mutter und Säuglingsschwestern durch schrilles Schreien und extreme Unruhe auf. Im Verlaufe des ersten Lebensjahres wurde ein Entwicklungsrückstand erkennbar, so daß eine Vorstellung in der Universitätskinderklinik Frankfurt am Main erfolgte. Weitere Untersuchungen fanden in Kinderneurologischen Zentren wie z.B. Mainz und Frankfurt am Main, statt. Bei einer im Jahre 1978 durchgeführten computertomographischen Untersuchung wurde ein Cerebralschaden (Hydrocephalus internus, Hirnatrophie) bei mit 53 cm an der unteren Normgrenze liegendem Kopfumfang festgestellt. Die nach Abbruch der Fachausbildung der Mutter im Anschluß an die Geburt des Klägers später am 19. Oktober 1971 und 14. Dezember 1976 geborenen Geschwister des Klägers waren bei der Geburt schwerer und größer (3500/3700 g, 52 cm) und im übrigen gesund.
Den vor Einführung des § 555 a RVO im Jahre 1973 gestellten Entschädigungsantrag lehnte der Beklagte nach Einholung einer Stellungnahme des Landesgewerbearztes durch Bescheid vom 24. Mai 1973 mit der Begründung ab, daß das ungeborene Kind in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht versichert und nachträglich auch weder der Nachweis einer Schädigung der Mutter noch des Kindes zu erbringen sei.
Dagegen hat der Kläger am 20. Juni 1973 beim Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main Klage erhoben. Dieses hat das humangenetische Gutachten vom 18. Dezember 1978 des Prof. Dr. S. Institut für Humangenetik der Universitätskliniken Frankfurt am Main, eingeholt, dem der Kläger seit dem 15. Februar 1971 bekannt war. Der Sachverständige verwies darauf, daß der Schwachsinn auch hinsichtlich seiner Ursachen ein sehr heterogenes Krankheitsbild darstelle. Beim Kläger erlaubten auch die Hirnuntersuchungen keine stichhaltigen Aussagen zur Ursache seiner schweren geistigen und motorischen Entwicklungsverzögerung. Theoretisch kämen ausschließlich exogene Faktoren (Infektion, Gifte oder Strahlenschäden) während der Schwangerschaft, unter und nach Geburt des Kindes oder genetische Faktoren in Betracht. Für eine monogen bedingte Erbkrankheit, d.h. einen durch ein einziges mutiertes Gen (Erbanlage) verursachten Defekt, insbesondere erblichen Stoffwechseldefekt, oder einen durch Blutgruppenunverträglichkeit oder Chromosomenfehler entstandenen Schaden bestehe beim Kläger kein Anhalt. Als dritte genetische Möglichkeit seien jedoch die multifaktoriell vererbten Defekte zu berücksichtigen, bei denen eine Mitwirkung von mehreren Genen (Erbanlagen) mit exogenen Faktoren angenommen werde. Es werde vermutet, daß die Mehrzahl der angeborenen Schäden, wahrscheinlich auch der Schwachsinn, auf diese Weise zustande komme. Die Entscheidung zwischen einer rein exogenen Entstehung und einer multifaktoriellen Vererbung sei seines Erachtens durch keine zur Verfügung stehende Untersuchung zu treffen.
Nachdem der vom SG beauftragte Nervenarzt Prof. Dr. K. aus seiner Sicht zur Frage des Ursachenzusammenhangs nichts beitragen konnte, ist von Prof. Dr. St., Institut für Anästhesiologie der Universität X., unter dem 1. Juni 1983 ein Gutachten erstellt worden. Darin wurde ausgeführt, daß die Mutter des Klägers unter Berücksichtigung des Narkosehefts und der Auskunft vom 10. November 1977 des Städtischen Krankenhauses F. ab Beginn ihrer Tätigkeit am 1. Oktober 1967 bis zur Entbindung am 15. Mai 1968 bei Fehlen von Schutzmaßnahmen zur Verringerung der Raumluftkontamination durchschnittlich etwa jeden zweiten Tag für etwa zwei Stunden Spurenkonzentrationen von Halothan und Lachgas in der Größenordnung von etwa 60 ppm Halothan und 3.000 bis 4.000 ppm Lachgas ausgesetzt gewesen sei. Zweifellos habe der Nasciturus über das mütterliche Blut einen Teil der Narkosegase erhalten. Diese Einwirkung sei jedoch erst ab der 8. bis 9. Schwangerschaftswoche möglich gewesen, da die Mutter des Klägers bei fehlenden Anhaltspunkten für eine verkürzte Schwangerschaft bei Antritt ihrer Tätigkeit im Städtischen Krankenhaus F. bereits in der 8. bis 9. Woche schwanger gewesen sei. Zu dieser Zeit sei die sensible Periode gröberer Mißbildungen, innerhalb derer der menschliche Embryo z.B. aus den Erfahrungen mit Contergan durch exogene teratogene (= mißbildungsauslösende) Einflüsse geschädigt werden könne, abgeschlossen oder nahezu abgeschlossen gewesen. Über Differenzierungsstörungen in der Fetalzeit (etwa ab der 9. Schwangerschaftswoche), die später als Entwicklungsrückstand oder Funktionsstörung imponierten, sei beim Menschen nur wenig bekannt. Bei tierexperimentellen Untersuchungen mit Halothan in therapeutischer Konzentration (= Narkose beim Patienten), also mit 100mal höherer Konzentration als bei der Mutter des Klägers, hätten sich zwar durchaus Entwicklungsrückstände provozieren lassen. Inwieweit dies auch auf den Menschen zutreffe, sei heute jedoch nicht sicher zu beantworten. Große epidemiologische retrospektive Studien stellten zwar einen Anstieg teratogener Schäden bei den Feten exponierter Frauen fest. Eine eindeutige Ursache-Wirkung-Beziehung lasse sich daraus jedoch nicht ableiten. Insbesondere lägen keine Dosis-Wirkung-Beziehungen vor, wie sie allgemein bei toxikologischen Effekten gefordert würden. Alle Studien kämen zu dem Schluß, daß die teratogenen Schäden multifaktoriell bedingt seien und sich die einzelnen Faktoren nicht voneinander trennen ließen. Allerdings lasse sich auch nicht mit absoluter Gewißheit ausschließen, daß solche Schäden durch Narkosegase hervorgerufen werden könnten, so daß heute allgemein Schutzmaßnahmen gegen Spurendosenexpositionen von Inhalationsanästhetika im Operationssaal gefordert und zum Teil vom Gesetzgeber – z.B. in § 4 Abs. 1 Mutterschutzgesetz (MschG) – vorgeschrieben würden.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat ferner Prof. Dr. Sch., Kinderneurologisches Zentrum Bonn, der den Kläger seit dem 19. Juli 1972 kannte, unter dem 26. November 1984 ein Gutachten mit ergänzender Stellungnahme vom 5. Juli 1985 erstattet. Er ist zu dem Ergebnis gelangt, daß die langzeitige Halothan-Exposition während der Schwangerschaft nicht nur eine nicht hinwegzudenkende Bedingung, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit ausschlaggebender bzw. entscheidender Faktor für den Schaden des Klägers gewesen sei. Geburtskomplikationen oder Schadensereignisse im nachgeburtlichen Leben des Klägers seien nicht bekannt. Außerdem weise die klinische Symptomatik mit Vorherrschen einer schweren geistigen Behinderung gegenüber einer nur relativ leichten neurologischen Symptomatik auf die Wahrscheinlichkeit einer vorgeburtlichen Schädigung hin. Entgegen der Ansicht des Prof. Dr. St. sei der beim Kläger vorliegende Hydrocephalus e vacuo auch keine Mißbildung, deren Entstehung in die ersten 12 Schwangerschaftswochen zu verlegen sei. Schädigungen zu diesem frühen Zeitpunkt führten zu anderen, komplexeren Mißbildungen am Gehirn. Hingegen führten Schäden in der 2. Pränatalphase (ab 13. Schwangerschaftswoche) zu sog. Mikrodysgenesien (Störungen der Feinstruktur des Gehirns), im Rahmen derer es durch falsche Zellplazierung, Zelluntergang und sekundäre Degeneration zur Erweiterung der Hirnkammern komme (Hydrocephalus e vacuo). Die von Prof. Dr. S. unter Ausschluß einer Chromosomenstörung oder einer monogen erblichen Erkrankung offengelassenen Alternativen – rein exogene Verursachung oder multifaktorielle Verursachung durch Zusammenwirken exogener und mehrerer genetischer Faktoren – setzten auch in letzterem Fall voraus, daß eine äußere Bedingung (exogener Faktor) eine conditio sine qua non der Schädigung darstelle. Andere exogene Ursachen außer der Halothan-Exposition während der Fetalzeit seien beim Kläger aber nicht ersichtlich. Bezüglich der Relevanz dieses Faktors sei dabei zu berücksichtigen, daß die Mutter des Klägers während etwa 30 Schwangerschaftswochen Halothan-exponiert gewesen sei. Wegen der Speicherung des Halotans im Fettgewebe und seiner langen Verweildauer im Körper müsse davon ausgegangen werden, daß Halothan ab der 8. oder 9. Schwangerschaftswoche ohne Unterbrechung auch auf das ungeborene Kind eingewirkt habe, wobei gerade bei Langzeitexposition mit einer Kumulation gerechnet werden müsse. Aus Tierversuchen mit schwangeren Ratten sei ferner erwiesen, daß Halothan bei den Früchten die Zellteilung hemme und damit zu einer primären Verringerung der Nervenzellen während der Vermehrungsphase der vorgeburtlichen Gehirnentwicklung führe sowie Veränderungen an den Synapsen (Verknüpfungsstellen zwischen den Gehirnzellen) mit sekundärer Zelldegeneration hervorrufe, also Veränderungen im feinstrukturellen Bereich des Gehirns bewirke. Dabei seien Veränderungen an den Synapsen schon nach Kurzzeitexposition und entgegen der Annahme des Prof. Dr. St. nach einer Publikation von Quimby aus dem Jahre 1974 vor allem auch bereits bei einer Konzentration von nur 10 ppm Halothan gefunden worden, die weit unter der von Prof. Dr. St. für die Mutter des Klägers angenommenen Spurendosis von 60 ppm liege. Beide in Tierversuchen festgestellten Effekte der Halothaneinwirkung – Hemmung der Zellteilung/Veränderungen an den Synapsen – führten zu einer Verminderung der Hirnsubstanz und zu einer konsekutiven Erweiterung der Hirnkammern (Hydrocephalus e vacuo). Der beim Kläger vorliegende tatsächliche Befund stimme also mit dem Schädigungsmuster überein, das nach der Wirkungsweise des Halothans und nach dem Zeitraum sowie der Intensität der Einwirkung erwartet werden könne. Die in der Literatur mehrfach beschriebene erhöhte Rate von Mißbildungen, Fehl- und Frühgeburten sowie von untergewichtigen Früchten unter den Nachkommen von Operations- und Anästhesiepersonal weise eindeutig darauf hin, daß die Narkosegase nicht nur im Tierversuch, sondern auch beim Menschen Schäden hervorrufen könnten, jedenfalls unter derart ungeschützten Arbeitsplatzbedingungen, wie sie die Mutter des Klägers seinerzeit vorgefunden habe. Zwar sei eine monokausale Verursachung wenig wahrscheinlich, da sonst vermutlich mehrere gleichartige Fallberichte bekannt wären. In den meisten Fällen sei es aufgrund von biologischen Gegebenheiten jedoch auch unmöglich, eine monokausale Beziehung zwischen einem potentiell schädigenden Faktor und einer bestimmten Schädigungsfolge herzustellen, da die Reaktion eines ungeborenen Kindes auf potentiell schädigende Einwirkungen inter-individuell sehr unterschiedlich sei bzw. zusätzlich disponierende oder protektive Faktoren teils endogener (genetischer) teils exogener Natur auf das Resultat der Schädigungseinwirkung einen bedeutsamen Einfluß hätten. Das sei mit dem Begriff der multifaktoriellen Verursachung gemeint.
Durch Urteil vom 10. Juni 1986 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 24. Mai 1973 und des nach Inkrafttreten des § 555 a RVO während des Gerichtsverfahrens erlassenen Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 1986 verurteilt, den Kläger wegen seiner Gesundheitsstörungen aus der Einwirkung des Narkosemittels Halothan in gesetzlichem Umfang zu entschädigen. Es hat sich dem Gutachten des Prof. Dr. Sch. angeschlossen.
Gegen das ihm am 18. August 1986 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 25. August 1986 Berufung eingelegt.
Der Senat hat von Amts wegen ein Gutachten des Prof. Dr. D., Institut für Anästhesiologie der Universität Mainz, eingeholt, der sich im Ergebnis der Beurteilung des Prof. Dr. St. angeschlossen und die Auffassung vertreten hat, daß eine Verursachung des beim Kläger vorliegenden Cerebralschadens durch Exposition gegenüber Narkosegasen nur als Möglichkeit unter vielen erscheine. Tierexperimentelle in vivo-Studien und in vitro-Befunde hätten bei den im vorliegenden Fall zur Debatte stehenden Substanzen, Konzentration und Exposition bei chronischer Expostion zwar teratogene Effekte und sonstige Schädigungen nachgewiesen, bei Halothan z.B. eine Veränderung der DNA-Synthetase und des G-Aktins, das Auswirkungen auf die Zellteilung habe. Eine Übertragung solcher Befunde auf den Menschen sei jedoch problematisch. Das zeigten schon die epidemiologischen Studien, die zur Beschreibung der Auswirkungen von niedrigen, langfristigen Halothan- bzw. Lachgaskonzentrationen auf den Menschen, den Schwangerschaftsverlauf und die Feten den tierexperimentellen Untersuchungen gegenüberzustellen seien. Frühere Publikationen, die sich auf retrospektiv erhobene Untersuchungsergebnisse stützten, hätten zwar den Verdacht nahegelegt, daß der ständige Aufenthalt der werdenden Mutter in mit Anästhetika kontaminierter Raumluft zu einer erhöhten Frühgeburt- und Mißbildungsrate sowie zu reduziertem Geburtsgewicht führe. Sie seien jedoch methodisch fragwürdig und damit im Ergebnis praktisch nicht verwertbar. Neuere epidemiologische Vergleichsstudien prospektiver Art hätten keine gesicherten Unterschiede erkennen lassen, u.a. keine Steigerung kongenitaler, teratogener Anomalitäten bei Kindern exponierter Mütter erbracht. Unter Anlegung üblicher biostatistischer Kriterien müsse daher davon ausgegangen werden, daß die zeitweise beschriebenen drastischen Einwirkungen des Halothans, die den Ausschluß aller Schwangeren von entsprechenden Tätigkeiten zur Folge gehabt hätten, übertrieben worden seien. Da auch Prof. Dr. Sch. sich vorwiegend auf ältere Arbeiten bis zum Jahre 1977 stütze, seien seine Schlußfolgerungen nicht nachvollziehbar.
Der Senat hat ferner das embryologisch-reproduktionsbiologische Gutachten vom 5. Oktober 1991 des Prof. Dr. B., Technische Hochschule Aachen, mit ergänzender Stellungnahme vom 8. Oktober 1992 eingeholt. Dieser hat sich dem Gutachten des Prof. Dr. Sch. angeschlossen und der Halothan-Einwirkung eine ausschlaggebende, überragende Bedeutung für die Hirnschädigung des Klägers beigemessen. Die Gutachten der Anästhesisten seien nicht umfassend nachvollziehbar. Insbesondere würden Fragen und wissenschaftliche Untersuchungen zur Teratogenität von Halothan mit Fragen und Untersuchungen zur Embryotoxizität bzw. zu fetalen Effekten von Halothan nicht hinreichend abgegrenzt. Neurotoxische Effekte von Halothan seien pharmakologisch und durch Untersuchungen beim Anästhesie- und Operationspersonal erwiesen. Dabei sei vor allem der Gesichtspunkt der Akkumulation von Bedeutung. Alle Informationen aus der embryopharmakologischen Literatur und eigene embryotoxische Studien an Kaninchen sprächen für die Wahrscheinlichkeit der Akkumulation von Halothan in lipid- und fetthaltigen Zellen mit daraus resultierender Erhöhung des Wirkstoffspiegels und protrahierter metabolischer Wirkung bei subchronischer und chronischer Applikation oder Exposition, wobei starke toxische Wirkungen nicht nur von der unveränderten Substanz, sondern in noch stärkerem Maße von den Halothan-Metaboliten ausgingen. Zwar seien Kausalbeziehungen zwischen speziellen Schädigungen der Feten und den aufgenommenen Narkosegasen durch die schwangere Mutter sehr schwierig zu erbringen, da sich jegliche experimentellen Untersuchungen am Menschen über Dosis und Wirkungsdauer in bezug auf bestimmte Schädigungsmuster ethisch verbieten würden, Tierversuche zeigten indessen, daß bei Ratten durch Halothan-Exposition die Rate der Aborte erhöht werde, wobei eine positive Korrelation zur Halothankonzentration für eine direkte toxische Wirkung spreche. Für das hier zur Diskussion stehende Schädigungsmuster seien die Befunde von Quimby 1974 besonders aufschlußreich, die bei Tierversuchen Synapsenschäden, Verminderung der Lern- und Reaktionsfähigkeit bei sog. Spurendosierungen von nur 10 ppm Halothan nachgewiesen hätten. Aus tierexperimentellen Untersuchungen seien toxische Effekte in aller Regel wesentlich eher auf den menschlichen Organismus zu übertragen als Erkenntnisse über teratogene Effekte, was Prof. Dr. D. nicht hinreichend beachte. Nach Aussage führender amerikanischer Anästhesisten sei es auch allgemein anerkannt, daß Halothan einen zellschädigenden toxischen Effekt, der auch bei der Schädigung des zentralen Nervensystems (ZNS) durch Halothan im Vordergrund stehe, besonders dann ausübe, wenn es in Zellen mit hohem Lipid- oder Fettgehalt akkumuliere. Eine in den vorherigen Gutachten noch nicht berücksichtigte Arbeit von Tomlin aus dem Jahre 1979 weise auf den alarmierenden Umstand hin, daß 10 % aller Kinder aus Anästhesistenfamilien Mißbildungen oder Entwicklungsstörungen zeigten und die Häufigkeit von ZNS-Schäden 11 bis 18fach höher als in der Vergleichspopulation seien. Theoretisch sei es denkbar, daß beim Kläger nach Dosis und Dauer der Halothaneinwirkung unter Berücksichtigung der im Tierversuch bei 12wöchiger Exposition mit chlorierten Kohlenwasserstoffen festgestellten hohen Akkumulation (über 100fach) eine sog. monokau- sale Verursachung vorliege. Wenn es aus wissenschaftlicher Redlichkeit nicht für angemessen gehalten werde, einen nicht ausschließlich bewiesenen "monokausalen” Zusammenhang zu unterstellen, so folge daraus nicht, daß es einen solchen nicht geben könne. Als Alternative zur direkten neurotoxischen Wirkung des Halothans komme nur ein von Tomlin diskutierter mutationsauslösender Effekt durch Halothan als Ursache für den eingetretenen Schaden in Betracht, der einer genotoxischen Wirkung gleichkomme, bei der reprimierende, schützende DNA-Codons geschädigt und rezessive Gene exprimiert würden, die ohne diesen Schädigungsmechanismus unterdrückt und "stumm” geblieben wären. Andere wirklich "verursachende” Faktoren böten sich nicht an.
Der Beklagte ist der Ansicht, daß unter Berücksichtigung aller Gutachten bereits nicht feststellbar sei, daß die Halothan-Expostion eine conditio sine qua non für den Eintritt der Hirnschädigung gewesen sei. Es sei nicht hinreichend geklärt, daß Halothan überhaupt auf den Fetus einwirken könne. Die Übertragbarkeit von Tierversuchen auf den Menschen müsse bezweifelt werden. Außerdem sei die Wirkungsweise des Halothans insbesondere im Hinblick auf den konkreten Hirnschaden des Klägers nicht geklärt, wie Prof. Dr. B. selbst an mehreren Stellen deutlich mache. Aus statistischen Studien über das Zusammentreffen von Mißbildungen bzw. Entwicklungsstörungen mit vorangegangener Halothan-Exposition der Mutter könnten signifikante Rückschlüsse auf eine entsprechende Ursache der Behinderung im Falle des Klägers nicht gezogen werden. Auch die Studie von Tomlin weise nur einen Fall mit der Diagnose "Hydrocephalus” aus, die zudem noch als fraglich bezeichnet werde. Selbst wenn eine Halothan-Einwirkung als Ursache in naturwissenschaftlichem Sinne für den Eintritt der Behinderung angesehen werde, sei jedenfalls die Feststellung nicht möglich, daß sie auch wesentliche Bedingung gewesen sei. Eine monokausale Verursachung durch Halothan werde von allen Gutachtern verneint und ein multifaktorielles Geschehen angenommen. Damit sei die Abwägung mit anderen Ursachen erforderlich. Daraus, daß die "Anteile” der mehreren Ursachen möglicherweise nicht quantifizierbar seien, folge nicht, daß Halothan wesentliche Ursache der Schädigung gewesen sei. Davon gingen Prof. Dr. B. und Prof. Dr. Sch. jedoch ersichtlich aus.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 10. Juni 1986 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Auch die Ausführungen des Prof. Dr. B bestätigten, daß die Halothan-Exposition zumindest Mitursache und darüber hinaus eine wesentliche und nicht nur ganz untergeordnete Ursache des Schadens gewesen sei. Daran ändere es auch nichts, wenn in seinem Fall besonders unglückliche Faktoren "multifaktoriell” zusammengewirkt hätten. Eine 100 %ige. Sicherheit sei zum Nachweis des Kausalzusammenhangs nicht erforderlich. Insbesondere gebe es in der gesetzlichen Unfallversicherung keinen Rechtsgrundsatz, daß Ergebnisse aus Tierversuchen auf den Menschen nicht übertragbar seien, da andernfalls eine Entschädigung als BK bei besonders gefährlichen Stoffen, die am Menschen nicht getestet werden könnten, niemals in Betracht komme.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das SG hat zu Recht entschieden, daß der Hirnschaden des Klägers als BK zu entschädigen ist.
Nach § 555 a Satz 1 RVO, der auch für nach dem 24. Mai 1949 bis zum 31. Oktober 1977 eingetretene Arbeitsunfälle gilt (Artikel II § 38 Satz 1 Sozialgesetzbuch –SGB– 10), steht einem Versicherten in der gesetzlichen Unfallversicherung gleich, wer als Leibesfrucht durch einen Arbeitsunfall bzw. eine BK (§ 551 Abs. 1 Satz 1 RVO) der Mutter während der Schwangerschaft geschädigt worden ist. Der Schutz der Leibesfrucht nach dieser Vorschrift erstreckt sich auf die Zeit nach der Zeugung vor der Geburt sowie den Geburtsvorgang selbst (Bundessozialgericht – BSG – SozR 2200 § 555 a Nrn. 1, 2). Erfolgt die Schädigung der Leibesfrucht durch eine BK, so braucht die Mutter infolge der berufsbedingten Einwirkung auf sie weder krank noch in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert gewesen zu sein (§ 555 a Satz 2 RVO).
Im vorliegenden Fall steht fest, daß die Mutter des Klägers durch ihre nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versicherte Tätigkeit als Medizinalassistentin/Assistenzärztin am Städtischen Krankenhaus F. während der Schwangerschaft vom 1. Oktober 1967 bis zur Geburt des Klägers am 15. Mai 1968 der Einwirkung durch die Narkosegase Halothan und Lachgas ausgesetzt war. Die Anästhesisten Prof. Dr. St. und Prof. Dr. D. haben unter Berücksichtigung der Eintragungen im Narkosebuch und der Auskünfte des Arbeitgebers eine Exposition von durchschnittlich ca. 60 ppm gegenüber Halothan und 3.000 bis 4.000 ppm gegenüber Lachgas für die Dauer von zwei Stunden täglich oder jedenfalls an jedem zweiten Tag bei Fehlen von Schutzmaßnahmen zur Verringerung der Raumluftkontamination errechnet. Von diesen Narkosegasen gehört Halothan zu den Halogenkohlenwasserstoffen, deren Einwirkung auf den Versicherten bereits durch Nr. 9 der Anlage zur 6. Berufskrankheitenverordnung (BKVO) vom 28. April 1961 (BGBl. I, S. 505) als BK anerkannt war (jetzt Nr. 1.302 der Anlage 1 zur BKVO). Damit liegen die Grundvoraussetzungen für einen Versicherungsschutz des Klägers nach § 555 a RVO während der Schwangerschaft vor. Darüber hinaus ist davon auszugehen, daß der beim Kläger bestehende hochgradige Schwachsinn verbunden mit einer spastischen Diplegie mäßigeren Ausbildungsgrades, Hirnatrophie und Hydrocephalus e vacuo durch die Halothanintoxikation der Mutter während der Schwangerschaft, also durch eine BK der Mutter im Rechtssinne verursacht worden ist.
Um die geltend gemachte Gesundheitsstörung als Folge der BK zu qualifizieren, muß diese zumindest wahrscheinliche Ursache in naturwissenschaftlich-philosophischem Sinne (conditio sine qua non) und darüber hinaus wesentliche Bedingung des Schadens gewesen sein (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 13). Nach der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung sind als Ursache und Mitursache im Rechtssinne unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes die Bedingungen anzusehen, die unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Person des Betroffenen, nach der Auffassung des praktischen Lebens einschließlich medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse und Erfahrungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Haben mehrere Bedingungen zum Erfolg beigetragen, so sind solche Bedingungen wesentlich, die gegenüber anderen von überragender Bedeutung oder in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges gleichwertig oder annähernd gleichwertig sind. Die Wertung von zwei Mitursachen als rechtlich wesentlich setzt indes nicht notwendig eine Beteilung von etwa 50: 50 voraus. Als wesentliche Mitursache ist auch eine – rein naturwissenschaftlich betrachtet – nicht gleichwertige Ursache anzusehen, wenn gerade nur durch ihr Hinzutreten zu der anderen wesentlichen Mitursache der Erfolg eintreten konnte, letzterer also keine überragende Bedeutung zukommt. Rechtlich unwesentlich ist eine Bedingung nur dann, wenn sie von einer oder mehreren anderen Ursachen wegen deren überragender Bedeutung ganz in den Hintergrund gedrängt wird (s. dazu BSG SozR § 589 RVO Nr. 6; SozR § 542 RVO a.F. Nrn. 69, 73; SozR 3-2200 § 548 Nr. 11). Bei der Kausalitätsprüfung haben bei feststehender oder zumindest wahrscheinlicher betrieblicher Ursache betriebsfremde Ursachen außer Betracht zu bleiben, deren tatsächliche Grundlagen nicht sicher festgestellt sind (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 11; SozR 2200 § 548 Nr. 84). Andererseits folgt allein daraus, daß betriebsfremde Ursachen nicht erwiesen oder zumindest wahrscheinlich sind, nicht zwangsläufig, daß ein eingetretener Gesundheitsschaden seine Ursache nur in einem stattgefundenen Arbeitsunfall oder einer BK gehabt haben kann. Der ursächliche Zusammenhang zwischen Arbeitsunfall bzw. BK und dem Körperschaden muß vielmehr seinerseits zumindest hinreichend wahrscheinlich sein, was zum Nachteil des Versicherten dann nicht der Fall ist, wenn der Schaden – aus welchen Gründen auch immer – ebensogut auf einer oder mehreren anderen betriebsfremden Ursachen beruhen kann (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 11; 2200 § 551 Nr. 1). Die bloße Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen Gesundheitsschaden und Arbeitsunfall bzw. BK genügt selbst dann nicht, wenn außer dem Unfallereignis bzw. der BK nur solche Schädigungsursachen in Betracht kommen, die es zwar erfahrungsgemäß gibt, die aber medizinisch noch nicht hinreichend erforscht sind (BSG SozR § 542 RVO Nr. 20).
Im vorliegenden Fall ist es entgegen der Auffassung der Anästhesisten Prof. Dr. St. und Prof. Dr. D. nicht nur nicht auszuschließen bzw. lediglich möglich, daß der Hirnschaden des Klägers durch die Einwirkung von Halothan auf die Mutter während der Schwangerschaft (mit)-verursacht worden ist. Vielmehr ist es entsprechend der Beurteilung der Sachverständigen für Kinderneurologie und Reproduktionsbiologie Prof. Dr. Sch. und Prof. Dr. B. als hinreichend wahrscheinlich anzusehen, daß die während der Schwangerschaft erlittene BK der Mutter in Form einer Halothanintoxikation zu diesem Schaden zumindest wesentlich beigetragen hat. Die für die Feststellung des Kausalzusammenhangs zwischen einer BK und einer Gesundheitsstörung – lediglich – erforderliche hinreichende Wahrscheinlichkeit ist nicht gleichbedeutend mit absoluter Gewißheit bzw. an Gewißheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Ein sog. Vollbeweis wird nicht verlangt. Der Kausalzusammenhang ist vielmehr dann anzuerkennen, wenn bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, daß darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSG SozR § 542 RVO a.F. Nr. 20). Davon ist hier auszugehen.
Ein Hirnschaden der beim Kläger vorliegenden Art stellt nach übereinstimmender Auffassung aller Sachverständigen, u.a. insbesondere den Ausführungen des Humangenetikers Prof. Dr. S., grundsätzlich allerdings auch hinsichtlich seiner Ursachen ein heterogenes Krankheitsbild dar. Es kann sich um eine monogen bedingte Erbkrankheit, d.h. einen durch ein einziges mutiertes Gen (Erbanlage) verursachten Defekt, einen durch Chromosomenfehler oder Blutgruppenunverträglichkeit entstandenen Schaden, um einen multifaktoriell vererbten Defekt oder um ein ausschließlich exogen verursachtes Krankheitsbild handeln. Nach dem Gutachten des Prof. Dr. S. sind im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung des Ergebnisses einschlägiger Untersuchungen beim Kläger und seinen Eltern eine monogen bedingte Erbkrankheit u.a. aufgrund erblicher Stoffwechseldefekte oder ein auf Chromosomenfehler oder Blutgruppenunverträglichkeit beruhender Defekt auszuschließen. In Betracht kommen deshalb nach Auffassung des Prof. Dr. S. und aller übrigen Sachverständigen nur eine rein exogene Verursachung durch Infektionen, Toxine oder Strahlenschäden während der Schwangerschaft, unter oder nach der Geburt oder ein multifaktorielles Geschehen, bei dem mehrere Gene zusammen mit einem oder mehreren exogenen Faktoren den Schaden herbeigeführt haben. Für eine Geburtskomplikation oder eine exogene Schädigung nach der Geburt gibt es im Falle des Klägers keinerlei Anhaltspunkte. Wie Prof. Dr. Sch. und Prof. Dr. B. ausgeführt haben, spricht auch die klinische Symptomatik mit Vorherrschen einer schweren geistigen Behinderung gegenüber einer nur relativ leichten neurologischen Symptomatik für eine vorgeburtliche Schädigung. Des weiteren haben beide Sachverständige – insbesondere Prof. Dr. Sch. aus neurologischer Sicht – überzeugend dargelegt, daß beim Kläger im Hinblick auf den bei ihm bestehenden Hydrocephalus e vacuo, bei dem es sich definitionsgemäß um eine kompensatorische Erweiterung der Liquorräume bei primärer Hirnatrophie handelt (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 25. Aufl., S. 731), entgegen der Annahme des Anästhesisten Prof. Dr. St. nicht von einer Mißbildung im Sinne einer teratogenen Schädigung (kongenitalen Fehlbildung) bzw. grobstrukturellen Abnormität ausgegangen werden kann, deren Entstehung auf die ersten neun Schwangerschaftswochen zu beziehen ist. Vielmehr handelt es sich um eine der Zeit ab der 13. Schwangerschaftswoche zuzuordnende Entwicklungsstörung bzw. Störung der Feinstruktur des Gehirns, in deren Rahmen es durch falsche Zellplazierung, Zelluntergänge und sekundäre Degenerationen zur Erweiterung der Hirnkammern (Hydrocephalus e vacuo) gekommen ist. Es ist deshalb auch unerheblich, ob die Mutter des Klägers sich zu Beginn ihrer Tätigkeit im Städtischen Krankenhaus F. am 1. Oktober 1987 in der 6. oder entsprechend der Annahme des Prof. Dr. St. bereits in der 8. bis 9. Schwangerschaftswoche befand und zu dieser Zeit die sensible Periode gröberer Mißbildungen bereits abgeschlossen oder nahezu abgeschlossen war. Im übrigen bleibt als exogener Faktor für eine pränatale, rein exogene oder multifaktoriell durch mehrere Gene und exogene Ursachen herbeigeführte Schädigung nur das Narkosegas Halothan übrig. Denn Anhaltspunkte für eine Infektion oder Strahlenschädigung gibt es auch für die Zeit der Schwangerschaft nicht. Als toxische exogene Ursache ist neben dem Halothan grundsätzlich zwar auch noch das Narkosegas Stickoxidul (N(2)O) zu berücksichtigen, gegenüber dem die Mutter während der Schwangerschaft in zeitlich gleichem Umfang exponiert war. Es kommt nach Auffassung aller gehörten Sachverständigen für den Hirnschaden des Klägers als Ursache jedoch nicht in Betracht. Insbesondere kann, wie Prof. Dr. B. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 8. Oktober 1992 ausgeführt hat, diesem Narkosegas keine Akkumulation mit dem erforderlichen Wirkstoffspiegel für den eingetretenen Schaden angelastet werden. Demgegenüber ist das Narkosegas Halothan (2-Brom-2-Chlor-1, 1, 1 Trifluorethan) unter Berücksichtigung seiner Wirkungsweise und der Umstände des konkreten Falles, u.a. Dauer und Intensität der Halothan-Exposition, als geeignet anzusehen, das Gehirn des Klägers als Nasciturus zu schädigen.
Es ist allgemein anerkannt, daß Halogenkohlenwasserstoffe zu Störungen des ZNS unter Durchlaufen aller Stadien einer Narkose bis hin zum Tod und u.U. auch zu Veränderungen an verschiedenen subzellulären Bestandteilen mit nachfolgenden Zellschädigungen z.B. an Leber, Niere und Nervensystem führen können (s. Merkblatt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung zu Nr. 1.302 der Anlage 1 zur BKVO). Die Gesundheitsgefährdung wird durch die jeweilige Toxizität des Halogenkohlenwasserstoffs sowie Intensität und Dauer der Exposition bestimmt, wobei speziell Flüchtigkeit, Lipoidlöslichkeit, Resorption, Verteilung, Metabolismus und Elimination von Bedeutung sind (s. Merkblatt, a.a.O.). An einem neurotoxischen Effekt auch des Narkosegases Halothan als klassischem chloriertem bzw. halogenisiertem Kohlenwasserstoff besteht kein Zweifel. Er ist laut Gutachten des Prof. Dr. B. vom 5. Oktober 1991 pharmakologisch erwiesen. Darüber hinaus haben vom Sachverständigen in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 8. Oktober 1992 im einzelnen angeführte Untersuchung u.a. von Hagemann (1988, 1989) und Buchberger (1985) beim Anästhesiepersonal in Korrelation zur Menge des inhalierten Halothans eine überwiegende Häufigkeit von zum Teil im EEG nachgewiesenen Beschwerden im Organbereich des ZNS (Gehirn, Augen, Gehör) ergeben.
Alle gehörten Sachverständigen haben bestätigt, daß das für das ZNS anerkanntermaßen potentiell schädliche Halothan, das hier von der Mutter über ca. 30 Schwangerschaftswochen zwei Stunden täglich oder jedenfalls jeden zweiten Tag in einer Dosis von etwa 60 ppm aufgenommen wurde, die Plazentaschranke schnell passiert und sich auch im Körper des Nasciturus verteilt. Soweit Prof. Dr. D. darauf hinweist, daß eine wesentliche Konzentrationsabnahme dabei, insbesondere bei längerer Exposition, nicht stattfindet, wird damit der Wirkstoffspiegel des Halothans beim Feten jedoch nicht vollständig erfaßt. Denn nach den Ausführungen des Prof. Dr. B. sprechen alle aus der embryopharmakologisehen Literatur verfügbaren Informationen für eine Akkumulation des extrem lipophilen Halothans in lipid- und fetthaltigen Zellen. Diese Eigenschaft des Halothans wurde bereits von Prof. Dr. Sch. hervorgehoben. Auch eigene embryotoxikologische Studien des Prof. Dr. B. an Kaninchen haben gezeigt, daß chlorierte Kohlenwasserstoffe binnen kürzester Zeit sowohl in den Gewebekompartimenten der weiblichen Genitalorgane als auch dem Gewebe des Embryos überraschend hoch akkumulieren; in subchronischer Exposition nach 12 Wochen wurde eine über 100fache Akkumulation nachgewiesen. Der Sachverständige hält es insoweit sogar für durchaus denkbar, daß beim Kläger nach 30wöchiger Exposition eine ähnliche Wirkstoffanreicherung erfolgte. Jedenfalls ergibt sich auch daraus, daß Halothan bei chronisch exponierten Menschen und Feten mit Wahrscheinlichkeit in viel höherer Konzentration akkumuliert, als es bisher angenommen wurde. Nach den weiteren Darlegungen des Prof. Dr. B. ist es ferner pharmakologisches Lehrwissen, daß Halothan bei subchronischer und chronischer Applikation oder Exposition wegen der Akkumulation in lipid- und fetthaltigen Zellen metabolisch protrahiert wirkt und dann langsam im Organismus – vornehmlich über die Leber – stark verstoffwechselt wird. Es entsteht zu einem hohen Anteil (über 20 %) Trifluoressigsäure. Die Metaboliten des Halothans sind nach Untersuchungen und pharmakologischer Lehrmeinung noch toxischer als das Ausgangsmolekül. Im Hinblick auf den Grenzwert für das Abbauprodukt des Halothans Trifluoressigsäure wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bereits 1978 auch eine maximal zulässige Halothan-Konzentration von nur 5 ppm für eine achtstündige Exposition (MAK-Wert) festgesetzt (Schweres/Hagemann, Belastungen und Beanspruchung des Anästhesiepersonals durch Narkosegase, 1988, S. 15). Dies sowie die dargelegte akkumulierende und metabolisch protrahierte Wirkung des Halothans machen es entsprechend der Annahme des Prof. Dr. B. und auch des Prof. Dr. Sch. ohne weiteres plausibel, daß der Kläger als Leibesfrucht vom 1. Oktober 1967 bis zu seiner Geburt am 15. Mai 1968 und damit ca. 30 Wochen der toxischen Einwirkung von Halothan nicht nur in sog. Spurendosen, sondern mit einem durchaus erhöhten gesundheitsgefährdenden Wirkstoffspiegel und ununterbrochen ausgesetzt war. Dieser lag ersichtlich insbesondere weit über der Grenze, die für einen ausgereiften, erwachsenen Menschen als unbedenklich angesehen, wird.
Des weiteren ist davon auszugehen, daß auch Halothan grundsätzlich und besonders dann einen zellschädigenden, toxischen Effekt haben kann, wenn es sich in Körperzellen anreichert, die viele Lipid- und Fettverbindungen enthalten. Nach den Ausführungen des Prof. Dr. B. ist dies laut Aussage führender amerikanischer Anästhesisten anerkanntes Fachwissen. Da die Zellen der Leber und des Nervensystems sehr lipidhaltig sind, stehen sie insoweit im Vordergrund einer zellschädigenden Halothanintoxikation. Allerdings gibt es aus ethischen Gründen keine experimentellen Untersuchungen am Menschen bzw. Feten, die darüber Auskunft geben, ab welcher Dosis und Wirkungsdauer bei Halothan-Exposition für den Feten mit einem bestimmten Schaden zu rechnen ist. Immerhin existieren nach den vorliegenden Gutachten jedoch eine Anzahl von epidemiologischen Studien (z.B. Askrog 1970, Cohen 1971, Garstka 1975, Knill-Jones 1972, Pharoak 1977), aus denen sich eine erhöhte Rate von Fehlgeburten, Mißbildungen, Unfruchtbarkeit, perinataler Sterblichkeit und Untergewichtigkeit bei Kindern von Anästhesie- und Operationspersonal ergibt. Prof. Dr. B. hat außerdem auf eine Publikation des englischen Wissenschaftlers Tomlin (1979) hingewiesen, die zwischen Mißbildungen und Entwicklungsstörungen unterscheidet und etwa 11 bis 18fach häufigere ZNS-Schäden, darunter auch einen mit fraglichem Hydrocephalus, für Kinder aus Anästhesistenfamilien ausweist. Soweit Prof. Dr. D diese Studien mit Ausnahme der nicht berücksichtigten Abhandlung von Tomlin als methodisch fragwürdig und praktisch nicht verwertbar qualifiziert und das daraus in Anwendung des § 4 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 6 MschG abgeleitete Verbot, Schwangere unter der Einwirkung von Halothan zu beschäftigen, als übertrieben ansieht, wird dies nicht näher begründet und entspricht ersichtlich nicht der Auffassung der übrigen Sachverständigen einschließlich des Fachkollegen Prof. Dr. St sowie der herrschenden Meinung. Prof. Dr. B. hat hierzu angemerkt, daß eine erhöhte Fehlgeburtenrate und eine Häufung von Entwicklungsstörungen bei Nachkommen von Anästhesie- und Operationspersonal weltweit so oft und eindrucksvoll bewiesen worden sei, daß diese Tatsache unter dem Stichwort "Halothan” schon 1981 in Lehrbüchern der Pharmakologie und Toxikologie übernommen worden sei. Die von Prof. Dr. D. für seine abweichende Auffassung angeführten neueren Untersuchungen aus den 80er Jahren bzw. Ende der 70er Jahre (1978/79), befassen sich zum Teil auch gar nicht mit der Langzeitexposition gegenüber Halothan und im übrigen in zeitlicher Hinsicht mit Verhältnissen, die denjenigen in Operationsräumen in früheren Jahren, z.B. in den hier maßgeblichen Jahren 1967/68, nicht ohne weiteres vergleichbar sind. Sicherlich ist bei allen in den epidemiologischen Studien beschriebenen Effekten die Wirkung des Halothans insoweit nicht gesichert, als sie eine Quantifizierung nicht zulassen. Sie zeigen jedoch zumindest prinzipiell eine Tendenz zu vermehrten Aborten und steigenden Fruchtschäden bei Exposition mit Halothan auf (s. auch Schweres/Hagemann, a.a.O., S. 36).
Hinzu kommt, daß auch in zahlreichen Tierversuchen mit Halothan in vitro und in vivo in positiver Korrelation zur Halothankonzentration eine erhöhte Zahl von Aborten sowie teratogenen Effekten und sonstigen Schäden nachgewiesen wurde, und zwar zum Teil bei wesentlich kürzerer Expositionsdauer und geringerer Konzentration, als sie hier zur Diskussion stehen. Nach einer Studie von Chang (1974) wurden z.B. bei Ratten nach subchronischer Exposition mit Halothan über nur acht Wochen bei einer Dosis von nur 10 ppm schwerste ultrastrukturelle Schäden bzw. morphologische Veränderungen im ZNS gefunden. Ferner führte bereits eine einmalige Halothanexposition von trächtigen Tieren in der Phase, die beim Menschen dem ersten Schwangerschaftsdrittel entspricht, bei den Früchten zu Veränderungen der Nervenzellen mit abnormen Synapsen und Störungen bestimmter Zellstrukturen sowie Zelluntergängen (Katz 1976).
Vor allem aber wurden von Quimby (1974) Veränderungen an den Synapsen (Verknüpfungsstellen zwischen den Gehirnzellen) und eine verminderte Lern- und Reaktionsfähigkeit auch bei Tieren beobachtet, die in der vorgeburtlichen Phase lediglich sog. Spurendosen von 10 ppm Halothan ausgesetzt waren. Insoweit ist es entgegen dem Gutachten des Prof. Dr. St. nicht richtig, daß Entwicklungsstörungen, wie sie beim Kläger zur Diskussion stehen, bei Tieren nur bei therapeutischen Konzentrationen (= Narkose beim Patienten) bzw. bei einer etwa 100fach höheren Konzentration als im Operationssaal des Städtischen Krankenhauses Frankenthal festgestellt worden seien. In einer von Prof. Dr. D. angeführten Studie von Reitz wurden schließlich bei in vitro-Untersuchungen mit Halothan Schädigungen der DNA-Synthestase und des G-Aktins, das eine wesentliche Rolle bei der Zellteilung spielt, nachgewiesen. Alle diese Untersuchungen sprechen zum einen dafür, daß die im Merkblatt zu Nr. 1.302 der Anlage 1 zur BKVO allgemein und undifferenziert beschriebene potentiell schädigende Wirkungsweise von Halogenkohlenwasserstoffen für subzelluläre Bestandteile und Zellen u.a. des ZNS entsprechend der sich u.a. auf amerikanische Wissenschaftler stützenden Auffassung des Prof. Dr. D. sowie des Prof. Dr. Sch. auch auf den klassischen chlorierten bzw. halogenisierten Kohlenwasserstoff Halothan zutrifft. Sie lassen außerdem den Schluß zu, daß die Einwirkung von Halothan im Falle des Klägers bei vergleichbar wesentlich längerer Exposition und einem u.a. unter Berücksichtigung von Metabolismus und Akkumulation wesentlich höheren Wirkstoffspiegel ebenfalls geeignet und ausreichend war, eine zellschädigende Wirkung am Gehirn auszuüben.
Dagegen spricht nicht, daß eine Hirnschädigung der beim Kläger vorliegenden Art bei den das Halothan unmittelbar aufnehmenden Menschen nach chronischer oder subchronischer Einwirkung von ca. 30 Wochen in exakt gleicher Weise noch nicht beobachtet wurde. Prof. Dr. B. weist hierzu in seiner Stellungnahme vom 8. Oktober 1992 zu Recht darauf hin, daß das Krankheitsbild des Klägers auf einer "Entwicklungsstörung” beruht und dasselbe Geschehen deshalb beim erwachsenen Menschen nicht erwartet werden kann. Auch Prof. Dr. D. hat in seinem Gutachten klargestellt, daß für die Auswirkungen des Halothans auf das chronisch exponierte Anästhesiepersonal völlig andere Konzentrationen und Expositionszeiten zur Debatte stehen. Ebensowenig ist es von Bedeutung, daß bezüglich der in Tierversuchen nach Halothan-Exposition nachgewiesenen Entwicklungsstörungen nicht genau gesagt werden kann, daß sie exakt dem beim Kläger bestehenden Schaden entsprechen und die angeführten epidemiologischen Studien nicht exakt für dieses Krankheitsbild eine überzufällige Häufung von Abweichungen bei Kindern von Anästhesie- und Operationspersonal dokumentieren. Prof. Dr. B hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 8. Oktober 1992 dazu erläutert, daß die für Versuche verwendeten Laboratoriumssäugearten (Maus, Ratte, Kaninchen) polyovulatorisch sind und die häufigste Antwort der Feten auf schwere Entwicklungsstörungen ihre Resorption ist, wodurch es in embryotoxischen Studien zu meist überproportionalen Zahlen von resorbierten oder in Resorption befindlichen "abortierten” Feten kommt, ohne daß eine detaillierte Diagnose noch möglich wäre. Auch für den Menschen gilt, daß der Abort als äußerster Ausdruck schwerster Schädigung des Feten u.a. Fälle schwerer Entwicklungsstörungen umfaßt. Im übrigen kommt es entscheidend darauf an, ob Halothan allgemein einen zellschädigenden, toxischen Effekt auf das ZNS des Feten ausüben kann und im Falle des Klägers ausgeübt hat. Das Krankheitsbild in jeder Einzelheit seiner individuellen Ausformung und eventuellen sekundären Ausprägung kann – wie auch sonst – nicht maßgeblicher Ausgangspunkt der Überlegung sein, ob ein bestimmter exogener Faktor als geeignete Schädigungsursache anzusehen ist. Es reicht aus, daß dies für den Schadenstypus und das gemeinsame Schädigungsmuster zu bejahen ist. Auch die Aussagekraft der epidemiologischen Studien hängt entgegen der Ansicht des Beklagten insoweit nicht davon ab, daß sie in einer bestimmten Vielzahl nun genau das Krankheitsbild des Klägers, u.a. insbesondere auch einen Hydrocephalus e vacuo, beschreiben. Letzterer ist nur Sekundärfolge der beim Kläger erfolgten Schädigung der Feinstruktur des Gehirns. Infolgedessen paßt sein Krankheitsbild der Art nach insgesamt auch durchaus zu dem in tierexperimentellen Versuchen insbesondere von Quimby nachgewiesenen Schädigungsmuster, wie schon Prof. Dr. Sch. eingehend und überzeugend dargelegt hat.
Bedenken, die in Tierversuchen gewonnenen Erkenntnisse über toxische Effekte des Halothan auf den Menschen/Nasciturus zu übertragen bzw. bei der Beurteilung der Wirkungsweise dieses Narkosegases mitzuverwerten, bestehen nicht. Prof. Dr. B. hat gestützt auf seine 25jährige wissenschaftliche Erfahrung im Bereich der Reproduktionsbiologie sowie auf Prinzipien der aktuellen zellbiologischen Forschung und moderne Erkenntnisse der Embryologie überzeugend ausgeführt, daß toxische Effekte des Halothans, um die es im vorliegenden Fall geht, u.a. wegen ihrer Kurzzeitwirkung und relativ einfachen Lokalisierung in aller Regel auf den menschlichen Organismus – auch beim Feten – eher übertragbar sind als Erkenntnisse über teratogene Effekte, die in der Regel nicht akut und außerdem häufig nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip wirksam werden. Das ist von Prof. Dr. St. und Prof. Dr. D. nicht berücksichtigt worden, die die Problematik im wesentlichen unter dem Gesichtspunkt der teratogenen Effekte abhandeln. Außerdem hat sich Prof. Dr. D. gegen eine Verwertung von Erkenntnissen tierexperimenteller Versuche vor allem auch deshalb ausgesprochen, weil sie seiner Ansicht nach nicht zu den epidemiologischen Studien beim Anästhesie- und Operationspersonal passen, aus denen er keine erhöhten Schädigungsraten der schon wiederholt zitierten Art bei diesem Personenkreis abzuleiten vermag.
Das sieht der Senat aus den dargelegten Gründen mit Prof. Dr. B. und Prof. Dr. Sch. anders. Auch von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Maximale Arbeitsplatzkonzentrationen und biologische Arbeitsstofftoleranzwerte 1987, S. 9) scheint die Problematik der Übertragbarkeit von Erkenntnissen aus Tierversuchen auf den Menschen eher darin gesehen zu werden, daß diese das Risiko nur unzureichend erfassen, wenn es heißt: "Die bisher vorliegenden tierexperimentellen Prüfungen auf eine solche (= fruchtschädigende) Wirkung von Arbeitsstoffen wurden nicht nur nach verschiedenen Methoden, sondern auch unterschiedlich intensiv durchgeführt. Aus diesen Prüfungen ist ein Risiko der Fruchtschädigung für den Menschen meist weder sicher zu begründen noch zu quantifizieren, weil im Einzelfall sowohl bei negativen Tierversuchen als auch bei wesentlich geringeren als den im Tierversuch als fruchtschädigend ermittelten Grenzdosen ein solches Risiko für den Menschen gegeben sein kann”. Auch anderen Ortes wird es als nachteilig bei Tierexperimenten bewertet, "daß die menschliche Frucht empfindlicher gegenüber Risiken reagiert als Versuchstiere” (Schweres/Hagemann, a.a.O., 1988, S. 41). Im übrigen stützt sich die Annahme, daß die Einwirkung von Halothan Ursache des Hirnschadens des Klägers gewesen ist, nicht nur auf tierexperimentelle Untersuchungen und epidemiologische Studien, sondern auch auf unabhängig davon bestehende Erkenntnisse über die Eigenschaften und Wirkungsweise dieses klassischen Halogenkohlenwasserstoffs, die bezüglich der Feten durch diese Studien und tierexperimentellen Untersuchungen eine anders nicht erreichbare, in der wissenschaftlichen Forschung durchaus übliche und zur Bejahung des Kausalzusammenhangs ausreichende Konkretisierung erfahren.
Soweit der Beklagte der Auffassung ist, daß die Einwirkung von Halothan auf den Kläger als Nasciturus zumindest nicht "wesentliche” Ursache des eingetretenen Hirnschadens gewesen ist, kann dem nicht gefolgt werden. Zwar ist es richtig, daß alle Sachverständigen und letztlich auch Prof. Dr. B. von einem multifaktoriellen Geschehen entsprechend der Definition des Prof. Dr. S., d.h. von einem Zusammenwirken mehrerer Gene (Erbanlagen) mit zumindest einem exogenen Faktor ausgehen. Der auch bei einem solchen Geschehen in jedem Fall für die Herbeiführung des Hirnschadens verlangte mindestens eine exogene Faktor wird hier aus den dargelegten Gründen durch die Einwirkung von Halothan als den Umständen nach allein in Betracht kommende, geeignete exogene Ursache gestellt. Damit sind mangels Feststellbarkeit sonstiger exogener Ursachen z.B. in Form anderer Intoxikationen, Infektionen, Strahlenschäden nur noch genetische bzw. endogene Faktoren von im einzelnen nicht genau bekannter und definierbarer Art in Betracht zu ziehen. Gegenüber der feststehenden oder zumindest wahrscheinlichen äußeren berufsbedingten Ursache für den Hirnschaden des Klägers in Form einer fortgesetzten Intoxikation durch Halothan kann diesen nach Art und Gewicht nicht näher abschätzbaren endogenen Faktoren jedoch keine gravierende, den Hirnschaden des Klägers überwiegend herbeiführende Bedeutung beigemessen werden (s. auch BSG, Urteil vom 28. Juni 1991 – 2 RU 59/90). Eine monogene Erbkrankheit und Chromosomenstörung wurde beim Kläger – wie eingangs ausgeführt – ausgeschlossen. Mit dem Begriff der multifaktoriellen Verursachung ist ersichtlich gemeint, daß es einer gewissen "Anlage” bzw. genetischen "Disposition” bedarf, um einen Hirnschaden der beim Kläger bestehenden Art durch äußere Einflüsse herbeizuführen. Eine solche "Anlage” schließt im Falle der Konkurrenz mit einer äußeren betrieblichen Einwirkung den Anspruch indes nur aus, wenn sie so stark und so leicht ansprechbar war, daß es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlichen äußeren Einwirkungen bedurfte, sondern jedes alltäglich vorkommende ähnlich gelagerte Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen ausgelöst hätte (vgl. u.a. Urteile des BSG vom 6. Dezember 1989 – 2 RU 7/89 und 30. Oktober 1974 – 2 RU 50/73; BSG SozR § 542 RVO a.F. Nr. 47). Die Feststellung einer derartigen "Anlage” ist hier indes nicht möglich und wurde auch von keinem Sachverständigen getroffen. Infolgedessen gilt, wie schon das SG ausgeführt hat, daß der Versicherte grundsätzlich in dem Zustand geschützt ist, in dem er sich befindet. Wegen unterschiedlicher biologischer Gegebenheiten, disponierender oder protektiver Faktoren ist es in den meisten Fällen nicht möglich, eine rein "monokausale” Beziehung zwischen einer schädigenden äußeren Einwirkung und einem bestimmten Schaden herzustellen. Allein das ist, wie schon Prof. Dr. Sch. klargestellt hat, auch unter dem Begriff der "multifaktoriellen Verursachung” zu verstehen. Daß eine "wertende Abwägung” mit solchen, wissenschaftlich lediglich vermuteten oder erfahrungsgemäß im allgemeinen anzunehmenden bzw. – wie Prof. Dr. B. sich ausdrückt – aus wissenschaftlicher "Redlichkeit” zu unterstellenden disponierenden Faktoren nicht möglich ist, kann, da eine solche Abwägung rechtlich überhaupt nicht stattzufinden hat, entgegen der Ansicht des Beklagten nicht dazu führen, die Bedeutung der Halothanintoxikation für den Hirnschaden des Klägers als unwesentlich zu qualifizieren. Ebensowenig ist es erforderlich, eine "sichere” Entscheidung darüber zu treffen, ob hier eine "monokausale” exogene Verursachung durch Halothan oder ein "multifaktorielles” Geschehen im Zusammenwirken mit Erbanlagen bzw. endogenen disponierenden Faktoren vorliegt, da beides für den Anspruch des Klägers ausreicht. Schließlich ist es auch unerheblich, ob sich die Halothan-Exposition für den Kläger durch eine direkte toxische Wirkung oder durch mutationsauslösende Effekte des Halothans schädigend ausgewirkt hat. Die von Prof. Dr. B. unter Bezugnahme auf Tomlin alternativ in Betracht gezogene genotoxische Wirkung des Halothans, bei der reprimierende, schützende DNA-Codons geschädigt würden mit der Folge der Exprimierung rezessiver Gene, die ohne diesen Schädigungsmechanismus unterdrückt und damit "stumm” geblieben wären, könnte nach den Grundsätzen der Kausalitätslehre zu keinem anderen Ergebnis führen. Daß der Hirnschaden des Klägers nach alledem wesentlich auf der Halothaneinwirkung während der Schwangerschaft beruht, wird nicht zuletzt auch dadurch unterstrichen, daß die beiden später geborenen, nicht Halothan-exponierten Geschwister völlig gesund und mit 3.500/37.00 g Geburtsgewicht im Vergleich zum Kläger, der 2.800 g wog, auch wesentlich schwerer waren, wobei das geringe Gewicht des Klägers seinerseits wiederum in die Liste der bei Kindern von Anästhesistinnen beobachteten überzufälligen Normabweichungen paßt.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
II. Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Begründung, er sei als Leibesfrucht durch eine Berufskrankheit (BK) seiner Mutter infolge fortgesetzter Exposition gegenüber Halothan während der Schwangerschaft geschädigt worden (§ 555 a Reichsversicherungsordnung –RVO–).
Der 1968 geborene Kläger leidet an der schwersten Form eines Schwachsinns verbunden mit einer spastischen Diplegie mäßigeren Ausbildungsgrades, jedoch starker motorischer Unruhe. Seine Mutter war vom 1. Oktober 1967 bis 30. November 1967 als Medizinalassistentin und vom 1. Dezember 1967 bis 31. August 1968 als Assistenzärztin in der gynäkologischen und geburtshilflichen Abteilung des Städtischen Krankenhauses F. beschäftigt. Während dieser Zeit war sie einerseits im Stationsdienst, andererseits im Operationsbereich tätig. Die Tätigkeit dort belief sich laut Auskunft des Städtischen Krankenhauses FR. vom 10. November 1977 an fünf Wochentagen auf schätzungsweise durchschnittlich zwei Stunden, nach Angaben der Mutter des Klägers auf die Hälfte der Arbeitszeit. Im Operationsbereich bestand ihre hauptsächliche Aufgabe in der Durchführung von Narkosen. Laut Narkosebuch führte sie in der Zeit vom 1. Oktober 1967 bis 7. August 1968 insgesamt 122 Narkosen durch, wobei mindestens 79 auf Maskenanwendungen und 43 auf Intubationsnarkosen entfielen. Bis zur Geburt des Klägers sind im Narkosebuch 110 Anästhesien vermerkt. Als Inhalationsanästhetika wurden Halothan und Stickoxidul (Lachgas) verwendet. Die Narkosen wurden mittels eines Dräger – Narkosegeräts im halboffenen oder halbgeschlossenen System durchgeführt. Während der Operation blieb das vorhandene Fenster geschlossen. Weitere Einrichtungen zur Belüftung und Klimatisierung oder Schutzmaßnahmen zur Verringerung der Raumluftkontamination durch überschüssiges Narkosegas (z.B. Aktivkohlefilter) waren in dem 25 bis 30 m² großen, inzwischen abgerissenen Operationsraum offensichtlich nicht vorhanden.
Zu Beginn ihrer ärztlichen Tätigkeit im Städtischen Krankenhaus F. am 1. Oktober 1967 befand sich die Mutter des Klägers ihren Angaben zufolge (Schreiben vom 6. Juli 1983) in der 6. Schwangerschaftswoche. Bis zum Tag der Entbindung am 15. Mai 1968 führte sie Anästhesien durch. Die Geburt, die nach Angaben der Mutter des Klägers 17 Tage vor dem errechneten Termin erfolgte, verlief komplikationslos. Der Kläger wog 2.800 g, war 48 cm groß und hatte einen Kopfumfang von 38 cm. Die Reifezeichen waren vorhanden. Er fiel Mutter und Säuglingsschwestern durch schrilles Schreien und extreme Unruhe auf. Im Verlaufe des ersten Lebensjahres wurde ein Entwicklungsrückstand erkennbar, so daß eine Vorstellung in der Universitätskinderklinik Frankfurt am Main erfolgte. Weitere Untersuchungen fanden in Kinderneurologischen Zentren wie z.B. Mainz und Frankfurt am Main, statt. Bei einer im Jahre 1978 durchgeführten computertomographischen Untersuchung wurde ein Cerebralschaden (Hydrocephalus internus, Hirnatrophie) bei mit 53 cm an der unteren Normgrenze liegendem Kopfumfang festgestellt. Die nach Abbruch der Fachausbildung der Mutter im Anschluß an die Geburt des Klägers später am 19. Oktober 1971 und 14. Dezember 1976 geborenen Geschwister des Klägers waren bei der Geburt schwerer und größer (3500/3700 g, 52 cm) und im übrigen gesund.
Den vor Einführung des § 555 a RVO im Jahre 1973 gestellten Entschädigungsantrag lehnte der Beklagte nach Einholung einer Stellungnahme des Landesgewerbearztes durch Bescheid vom 24. Mai 1973 mit der Begründung ab, daß das ungeborene Kind in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht versichert und nachträglich auch weder der Nachweis einer Schädigung der Mutter noch des Kindes zu erbringen sei.
Dagegen hat der Kläger am 20. Juni 1973 beim Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main Klage erhoben. Dieses hat das humangenetische Gutachten vom 18. Dezember 1978 des Prof. Dr. S. Institut für Humangenetik der Universitätskliniken Frankfurt am Main, eingeholt, dem der Kläger seit dem 15. Februar 1971 bekannt war. Der Sachverständige verwies darauf, daß der Schwachsinn auch hinsichtlich seiner Ursachen ein sehr heterogenes Krankheitsbild darstelle. Beim Kläger erlaubten auch die Hirnuntersuchungen keine stichhaltigen Aussagen zur Ursache seiner schweren geistigen und motorischen Entwicklungsverzögerung. Theoretisch kämen ausschließlich exogene Faktoren (Infektion, Gifte oder Strahlenschäden) während der Schwangerschaft, unter und nach Geburt des Kindes oder genetische Faktoren in Betracht. Für eine monogen bedingte Erbkrankheit, d.h. einen durch ein einziges mutiertes Gen (Erbanlage) verursachten Defekt, insbesondere erblichen Stoffwechseldefekt, oder einen durch Blutgruppenunverträglichkeit oder Chromosomenfehler entstandenen Schaden bestehe beim Kläger kein Anhalt. Als dritte genetische Möglichkeit seien jedoch die multifaktoriell vererbten Defekte zu berücksichtigen, bei denen eine Mitwirkung von mehreren Genen (Erbanlagen) mit exogenen Faktoren angenommen werde. Es werde vermutet, daß die Mehrzahl der angeborenen Schäden, wahrscheinlich auch der Schwachsinn, auf diese Weise zustande komme. Die Entscheidung zwischen einer rein exogenen Entstehung und einer multifaktoriellen Vererbung sei seines Erachtens durch keine zur Verfügung stehende Untersuchung zu treffen.
Nachdem der vom SG beauftragte Nervenarzt Prof. Dr. K. aus seiner Sicht zur Frage des Ursachenzusammenhangs nichts beitragen konnte, ist von Prof. Dr. St., Institut für Anästhesiologie der Universität X., unter dem 1. Juni 1983 ein Gutachten erstellt worden. Darin wurde ausgeführt, daß die Mutter des Klägers unter Berücksichtigung des Narkosehefts und der Auskunft vom 10. November 1977 des Städtischen Krankenhauses F. ab Beginn ihrer Tätigkeit am 1. Oktober 1967 bis zur Entbindung am 15. Mai 1968 bei Fehlen von Schutzmaßnahmen zur Verringerung der Raumluftkontamination durchschnittlich etwa jeden zweiten Tag für etwa zwei Stunden Spurenkonzentrationen von Halothan und Lachgas in der Größenordnung von etwa 60 ppm Halothan und 3.000 bis 4.000 ppm Lachgas ausgesetzt gewesen sei. Zweifellos habe der Nasciturus über das mütterliche Blut einen Teil der Narkosegase erhalten. Diese Einwirkung sei jedoch erst ab der 8. bis 9. Schwangerschaftswoche möglich gewesen, da die Mutter des Klägers bei fehlenden Anhaltspunkten für eine verkürzte Schwangerschaft bei Antritt ihrer Tätigkeit im Städtischen Krankenhaus F. bereits in der 8. bis 9. Woche schwanger gewesen sei. Zu dieser Zeit sei die sensible Periode gröberer Mißbildungen, innerhalb derer der menschliche Embryo z.B. aus den Erfahrungen mit Contergan durch exogene teratogene (= mißbildungsauslösende) Einflüsse geschädigt werden könne, abgeschlossen oder nahezu abgeschlossen gewesen. Über Differenzierungsstörungen in der Fetalzeit (etwa ab der 9. Schwangerschaftswoche), die später als Entwicklungsrückstand oder Funktionsstörung imponierten, sei beim Menschen nur wenig bekannt. Bei tierexperimentellen Untersuchungen mit Halothan in therapeutischer Konzentration (= Narkose beim Patienten), also mit 100mal höherer Konzentration als bei der Mutter des Klägers, hätten sich zwar durchaus Entwicklungsrückstände provozieren lassen. Inwieweit dies auch auf den Menschen zutreffe, sei heute jedoch nicht sicher zu beantworten. Große epidemiologische retrospektive Studien stellten zwar einen Anstieg teratogener Schäden bei den Feten exponierter Frauen fest. Eine eindeutige Ursache-Wirkung-Beziehung lasse sich daraus jedoch nicht ableiten. Insbesondere lägen keine Dosis-Wirkung-Beziehungen vor, wie sie allgemein bei toxikologischen Effekten gefordert würden. Alle Studien kämen zu dem Schluß, daß die teratogenen Schäden multifaktoriell bedingt seien und sich die einzelnen Faktoren nicht voneinander trennen ließen. Allerdings lasse sich auch nicht mit absoluter Gewißheit ausschließen, daß solche Schäden durch Narkosegase hervorgerufen werden könnten, so daß heute allgemein Schutzmaßnahmen gegen Spurendosenexpositionen von Inhalationsanästhetika im Operationssaal gefordert und zum Teil vom Gesetzgeber – z.B. in § 4 Abs. 1 Mutterschutzgesetz (MschG) – vorgeschrieben würden.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat ferner Prof. Dr. Sch., Kinderneurologisches Zentrum Bonn, der den Kläger seit dem 19. Juli 1972 kannte, unter dem 26. November 1984 ein Gutachten mit ergänzender Stellungnahme vom 5. Juli 1985 erstattet. Er ist zu dem Ergebnis gelangt, daß die langzeitige Halothan-Exposition während der Schwangerschaft nicht nur eine nicht hinwegzudenkende Bedingung, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit ausschlaggebender bzw. entscheidender Faktor für den Schaden des Klägers gewesen sei. Geburtskomplikationen oder Schadensereignisse im nachgeburtlichen Leben des Klägers seien nicht bekannt. Außerdem weise die klinische Symptomatik mit Vorherrschen einer schweren geistigen Behinderung gegenüber einer nur relativ leichten neurologischen Symptomatik auf die Wahrscheinlichkeit einer vorgeburtlichen Schädigung hin. Entgegen der Ansicht des Prof. Dr. St. sei der beim Kläger vorliegende Hydrocephalus e vacuo auch keine Mißbildung, deren Entstehung in die ersten 12 Schwangerschaftswochen zu verlegen sei. Schädigungen zu diesem frühen Zeitpunkt führten zu anderen, komplexeren Mißbildungen am Gehirn. Hingegen führten Schäden in der 2. Pränatalphase (ab 13. Schwangerschaftswoche) zu sog. Mikrodysgenesien (Störungen der Feinstruktur des Gehirns), im Rahmen derer es durch falsche Zellplazierung, Zelluntergang und sekundäre Degeneration zur Erweiterung der Hirnkammern komme (Hydrocephalus e vacuo). Die von Prof. Dr. S. unter Ausschluß einer Chromosomenstörung oder einer monogen erblichen Erkrankung offengelassenen Alternativen – rein exogene Verursachung oder multifaktorielle Verursachung durch Zusammenwirken exogener und mehrerer genetischer Faktoren – setzten auch in letzterem Fall voraus, daß eine äußere Bedingung (exogener Faktor) eine conditio sine qua non der Schädigung darstelle. Andere exogene Ursachen außer der Halothan-Exposition während der Fetalzeit seien beim Kläger aber nicht ersichtlich. Bezüglich der Relevanz dieses Faktors sei dabei zu berücksichtigen, daß die Mutter des Klägers während etwa 30 Schwangerschaftswochen Halothan-exponiert gewesen sei. Wegen der Speicherung des Halotans im Fettgewebe und seiner langen Verweildauer im Körper müsse davon ausgegangen werden, daß Halothan ab der 8. oder 9. Schwangerschaftswoche ohne Unterbrechung auch auf das ungeborene Kind eingewirkt habe, wobei gerade bei Langzeitexposition mit einer Kumulation gerechnet werden müsse. Aus Tierversuchen mit schwangeren Ratten sei ferner erwiesen, daß Halothan bei den Früchten die Zellteilung hemme und damit zu einer primären Verringerung der Nervenzellen während der Vermehrungsphase der vorgeburtlichen Gehirnentwicklung führe sowie Veränderungen an den Synapsen (Verknüpfungsstellen zwischen den Gehirnzellen) mit sekundärer Zelldegeneration hervorrufe, also Veränderungen im feinstrukturellen Bereich des Gehirns bewirke. Dabei seien Veränderungen an den Synapsen schon nach Kurzzeitexposition und entgegen der Annahme des Prof. Dr. St. nach einer Publikation von Quimby aus dem Jahre 1974 vor allem auch bereits bei einer Konzentration von nur 10 ppm Halothan gefunden worden, die weit unter der von Prof. Dr. St. für die Mutter des Klägers angenommenen Spurendosis von 60 ppm liege. Beide in Tierversuchen festgestellten Effekte der Halothaneinwirkung – Hemmung der Zellteilung/Veränderungen an den Synapsen – führten zu einer Verminderung der Hirnsubstanz und zu einer konsekutiven Erweiterung der Hirnkammern (Hydrocephalus e vacuo). Der beim Kläger vorliegende tatsächliche Befund stimme also mit dem Schädigungsmuster überein, das nach der Wirkungsweise des Halothans und nach dem Zeitraum sowie der Intensität der Einwirkung erwartet werden könne. Die in der Literatur mehrfach beschriebene erhöhte Rate von Mißbildungen, Fehl- und Frühgeburten sowie von untergewichtigen Früchten unter den Nachkommen von Operations- und Anästhesiepersonal weise eindeutig darauf hin, daß die Narkosegase nicht nur im Tierversuch, sondern auch beim Menschen Schäden hervorrufen könnten, jedenfalls unter derart ungeschützten Arbeitsplatzbedingungen, wie sie die Mutter des Klägers seinerzeit vorgefunden habe. Zwar sei eine monokausale Verursachung wenig wahrscheinlich, da sonst vermutlich mehrere gleichartige Fallberichte bekannt wären. In den meisten Fällen sei es aufgrund von biologischen Gegebenheiten jedoch auch unmöglich, eine monokausale Beziehung zwischen einem potentiell schädigenden Faktor und einer bestimmten Schädigungsfolge herzustellen, da die Reaktion eines ungeborenen Kindes auf potentiell schädigende Einwirkungen inter-individuell sehr unterschiedlich sei bzw. zusätzlich disponierende oder protektive Faktoren teils endogener (genetischer) teils exogener Natur auf das Resultat der Schädigungseinwirkung einen bedeutsamen Einfluß hätten. Das sei mit dem Begriff der multifaktoriellen Verursachung gemeint.
Durch Urteil vom 10. Juni 1986 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 24. Mai 1973 und des nach Inkrafttreten des § 555 a RVO während des Gerichtsverfahrens erlassenen Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 1986 verurteilt, den Kläger wegen seiner Gesundheitsstörungen aus der Einwirkung des Narkosemittels Halothan in gesetzlichem Umfang zu entschädigen. Es hat sich dem Gutachten des Prof. Dr. Sch. angeschlossen.
Gegen das ihm am 18. August 1986 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 25. August 1986 Berufung eingelegt.
Der Senat hat von Amts wegen ein Gutachten des Prof. Dr. D., Institut für Anästhesiologie der Universität Mainz, eingeholt, der sich im Ergebnis der Beurteilung des Prof. Dr. St. angeschlossen und die Auffassung vertreten hat, daß eine Verursachung des beim Kläger vorliegenden Cerebralschadens durch Exposition gegenüber Narkosegasen nur als Möglichkeit unter vielen erscheine. Tierexperimentelle in vivo-Studien und in vitro-Befunde hätten bei den im vorliegenden Fall zur Debatte stehenden Substanzen, Konzentration und Exposition bei chronischer Expostion zwar teratogene Effekte und sonstige Schädigungen nachgewiesen, bei Halothan z.B. eine Veränderung der DNA-Synthetase und des G-Aktins, das Auswirkungen auf die Zellteilung habe. Eine Übertragung solcher Befunde auf den Menschen sei jedoch problematisch. Das zeigten schon die epidemiologischen Studien, die zur Beschreibung der Auswirkungen von niedrigen, langfristigen Halothan- bzw. Lachgaskonzentrationen auf den Menschen, den Schwangerschaftsverlauf und die Feten den tierexperimentellen Untersuchungen gegenüberzustellen seien. Frühere Publikationen, die sich auf retrospektiv erhobene Untersuchungsergebnisse stützten, hätten zwar den Verdacht nahegelegt, daß der ständige Aufenthalt der werdenden Mutter in mit Anästhetika kontaminierter Raumluft zu einer erhöhten Frühgeburt- und Mißbildungsrate sowie zu reduziertem Geburtsgewicht führe. Sie seien jedoch methodisch fragwürdig und damit im Ergebnis praktisch nicht verwertbar. Neuere epidemiologische Vergleichsstudien prospektiver Art hätten keine gesicherten Unterschiede erkennen lassen, u.a. keine Steigerung kongenitaler, teratogener Anomalitäten bei Kindern exponierter Mütter erbracht. Unter Anlegung üblicher biostatistischer Kriterien müsse daher davon ausgegangen werden, daß die zeitweise beschriebenen drastischen Einwirkungen des Halothans, die den Ausschluß aller Schwangeren von entsprechenden Tätigkeiten zur Folge gehabt hätten, übertrieben worden seien. Da auch Prof. Dr. Sch. sich vorwiegend auf ältere Arbeiten bis zum Jahre 1977 stütze, seien seine Schlußfolgerungen nicht nachvollziehbar.
Der Senat hat ferner das embryologisch-reproduktionsbiologische Gutachten vom 5. Oktober 1991 des Prof. Dr. B., Technische Hochschule Aachen, mit ergänzender Stellungnahme vom 8. Oktober 1992 eingeholt. Dieser hat sich dem Gutachten des Prof. Dr. Sch. angeschlossen und der Halothan-Einwirkung eine ausschlaggebende, überragende Bedeutung für die Hirnschädigung des Klägers beigemessen. Die Gutachten der Anästhesisten seien nicht umfassend nachvollziehbar. Insbesondere würden Fragen und wissenschaftliche Untersuchungen zur Teratogenität von Halothan mit Fragen und Untersuchungen zur Embryotoxizität bzw. zu fetalen Effekten von Halothan nicht hinreichend abgegrenzt. Neurotoxische Effekte von Halothan seien pharmakologisch und durch Untersuchungen beim Anästhesie- und Operationspersonal erwiesen. Dabei sei vor allem der Gesichtspunkt der Akkumulation von Bedeutung. Alle Informationen aus der embryopharmakologischen Literatur und eigene embryotoxische Studien an Kaninchen sprächen für die Wahrscheinlichkeit der Akkumulation von Halothan in lipid- und fetthaltigen Zellen mit daraus resultierender Erhöhung des Wirkstoffspiegels und protrahierter metabolischer Wirkung bei subchronischer und chronischer Applikation oder Exposition, wobei starke toxische Wirkungen nicht nur von der unveränderten Substanz, sondern in noch stärkerem Maße von den Halothan-Metaboliten ausgingen. Zwar seien Kausalbeziehungen zwischen speziellen Schädigungen der Feten und den aufgenommenen Narkosegasen durch die schwangere Mutter sehr schwierig zu erbringen, da sich jegliche experimentellen Untersuchungen am Menschen über Dosis und Wirkungsdauer in bezug auf bestimmte Schädigungsmuster ethisch verbieten würden, Tierversuche zeigten indessen, daß bei Ratten durch Halothan-Exposition die Rate der Aborte erhöht werde, wobei eine positive Korrelation zur Halothankonzentration für eine direkte toxische Wirkung spreche. Für das hier zur Diskussion stehende Schädigungsmuster seien die Befunde von Quimby 1974 besonders aufschlußreich, die bei Tierversuchen Synapsenschäden, Verminderung der Lern- und Reaktionsfähigkeit bei sog. Spurendosierungen von nur 10 ppm Halothan nachgewiesen hätten. Aus tierexperimentellen Untersuchungen seien toxische Effekte in aller Regel wesentlich eher auf den menschlichen Organismus zu übertragen als Erkenntnisse über teratogene Effekte, was Prof. Dr. D. nicht hinreichend beachte. Nach Aussage führender amerikanischer Anästhesisten sei es auch allgemein anerkannt, daß Halothan einen zellschädigenden toxischen Effekt, der auch bei der Schädigung des zentralen Nervensystems (ZNS) durch Halothan im Vordergrund stehe, besonders dann ausübe, wenn es in Zellen mit hohem Lipid- oder Fettgehalt akkumuliere. Eine in den vorherigen Gutachten noch nicht berücksichtigte Arbeit von Tomlin aus dem Jahre 1979 weise auf den alarmierenden Umstand hin, daß 10 % aller Kinder aus Anästhesistenfamilien Mißbildungen oder Entwicklungsstörungen zeigten und die Häufigkeit von ZNS-Schäden 11 bis 18fach höher als in der Vergleichspopulation seien. Theoretisch sei es denkbar, daß beim Kläger nach Dosis und Dauer der Halothaneinwirkung unter Berücksichtigung der im Tierversuch bei 12wöchiger Exposition mit chlorierten Kohlenwasserstoffen festgestellten hohen Akkumulation (über 100fach) eine sog. monokau- sale Verursachung vorliege. Wenn es aus wissenschaftlicher Redlichkeit nicht für angemessen gehalten werde, einen nicht ausschließlich bewiesenen "monokausalen” Zusammenhang zu unterstellen, so folge daraus nicht, daß es einen solchen nicht geben könne. Als Alternative zur direkten neurotoxischen Wirkung des Halothans komme nur ein von Tomlin diskutierter mutationsauslösender Effekt durch Halothan als Ursache für den eingetretenen Schaden in Betracht, der einer genotoxischen Wirkung gleichkomme, bei der reprimierende, schützende DNA-Codons geschädigt und rezessive Gene exprimiert würden, die ohne diesen Schädigungsmechanismus unterdrückt und "stumm” geblieben wären. Andere wirklich "verursachende” Faktoren böten sich nicht an.
Der Beklagte ist der Ansicht, daß unter Berücksichtigung aller Gutachten bereits nicht feststellbar sei, daß die Halothan-Expostion eine conditio sine qua non für den Eintritt der Hirnschädigung gewesen sei. Es sei nicht hinreichend geklärt, daß Halothan überhaupt auf den Fetus einwirken könne. Die Übertragbarkeit von Tierversuchen auf den Menschen müsse bezweifelt werden. Außerdem sei die Wirkungsweise des Halothans insbesondere im Hinblick auf den konkreten Hirnschaden des Klägers nicht geklärt, wie Prof. Dr. B. selbst an mehreren Stellen deutlich mache. Aus statistischen Studien über das Zusammentreffen von Mißbildungen bzw. Entwicklungsstörungen mit vorangegangener Halothan-Exposition der Mutter könnten signifikante Rückschlüsse auf eine entsprechende Ursache der Behinderung im Falle des Klägers nicht gezogen werden. Auch die Studie von Tomlin weise nur einen Fall mit der Diagnose "Hydrocephalus” aus, die zudem noch als fraglich bezeichnet werde. Selbst wenn eine Halothan-Einwirkung als Ursache in naturwissenschaftlichem Sinne für den Eintritt der Behinderung angesehen werde, sei jedenfalls die Feststellung nicht möglich, daß sie auch wesentliche Bedingung gewesen sei. Eine monokausale Verursachung durch Halothan werde von allen Gutachtern verneint und ein multifaktorielles Geschehen angenommen. Damit sei die Abwägung mit anderen Ursachen erforderlich. Daraus, daß die "Anteile” der mehreren Ursachen möglicherweise nicht quantifizierbar seien, folge nicht, daß Halothan wesentliche Ursache der Schädigung gewesen sei. Davon gingen Prof. Dr. B. und Prof. Dr. Sch. jedoch ersichtlich aus.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 10. Juni 1986 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Auch die Ausführungen des Prof. Dr. B bestätigten, daß die Halothan-Exposition zumindest Mitursache und darüber hinaus eine wesentliche und nicht nur ganz untergeordnete Ursache des Schadens gewesen sei. Daran ändere es auch nichts, wenn in seinem Fall besonders unglückliche Faktoren "multifaktoriell” zusammengewirkt hätten. Eine 100 %ige. Sicherheit sei zum Nachweis des Kausalzusammenhangs nicht erforderlich. Insbesondere gebe es in der gesetzlichen Unfallversicherung keinen Rechtsgrundsatz, daß Ergebnisse aus Tierversuchen auf den Menschen nicht übertragbar seien, da andernfalls eine Entschädigung als BK bei besonders gefährlichen Stoffen, die am Menschen nicht getestet werden könnten, niemals in Betracht komme.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das SG hat zu Recht entschieden, daß der Hirnschaden des Klägers als BK zu entschädigen ist.
Nach § 555 a Satz 1 RVO, der auch für nach dem 24. Mai 1949 bis zum 31. Oktober 1977 eingetretene Arbeitsunfälle gilt (Artikel II § 38 Satz 1 Sozialgesetzbuch –SGB– 10), steht einem Versicherten in der gesetzlichen Unfallversicherung gleich, wer als Leibesfrucht durch einen Arbeitsunfall bzw. eine BK (§ 551 Abs. 1 Satz 1 RVO) der Mutter während der Schwangerschaft geschädigt worden ist. Der Schutz der Leibesfrucht nach dieser Vorschrift erstreckt sich auf die Zeit nach der Zeugung vor der Geburt sowie den Geburtsvorgang selbst (Bundessozialgericht – BSG – SozR 2200 § 555 a Nrn. 1, 2). Erfolgt die Schädigung der Leibesfrucht durch eine BK, so braucht die Mutter infolge der berufsbedingten Einwirkung auf sie weder krank noch in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert gewesen zu sein (§ 555 a Satz 2 RVO).
Im vorliegenden Fall steht fest, daß die Mutter des Klägers durch ihre nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versicherte Tätigkeit als Medizinalassistentin/Assistenzärztin am Städtischen Krankenhaus F. während der Schwangerschaft vom 1. Oktober 1967 bis zur Geburt des Klägers am 15. Mai 1968 der Einwirkung durch die Narkosegase Halothan und Lachgas ausgesetzt war. Die Anästhesisten Prof. Dr. St. und Prof. Dr. D. haben unter Berücksichtigung der Eintragungen im Narkosebuch und der Auskünfte des Arbeitgebers eine Exposition von durchschnittlich ca. 60 ppm gegenüber Halothan und 3.000 bis 4.000 ppm gegenüber Lachgas für die Dauer von zwei Stunden täglich oder jedenfalls an jedem zweiten Tag bei Fehlen von Schutzmaßnahmen zur Verringerung der Raumluftkontamination errechnet. Von diesen Narkosegasen gehört Halothan zu den Halogenkohlenwasserstoffen, deren Einwirkung auf den Versicherten bereits durch Nr. 9 der Anlage zur 6. Berufskrankheitenverordnung (BKVO) vom 28. April 1961 (BGBl. I, S. 505) als BK anerkannt war (jetzt Nr. 1.302 der Anlage 1 zur BKVO). Damit liegen die Grundvoraussetzungen für einen Versicherungsschutz des Klägers nach § 555 a RVO während der Schwangerschaft vor. Darüber hinaus ist davon auszugehen, daß der beim Kläger bestehende hochgradige Schwachsinn verbunden mit einer spastischen Diplegie mäßigeren Ausbildungsgrades, Hirnatrophie und Hydrocephalus e vacuo durch die Halothanintoxikation der Mutter während der Schwangerschaft, also durch eine BK der Mutter im Rechtssinne verursacht worden ist.
Um die geltend gemachte Gesundheitsstörung als Folge der BK zu qualifizieren, muß diese zumindest wahrscheinliche Ursache in naturwissenschaftlich-philosophischem Sinne (conditio sine qua non) und darüber hinaus wesentliche Bedingung des Schadens gewesen sein (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 13). Nach der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung sind als Ursache und Mitursache im Rechtssinne unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes die Bedingungen anzusehen, die unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Person des Betroffenen, nach der Auffassung des praktischen Lebens einschließlich medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse und Erfahrungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Haben mehrere Bedingungen zum Erfolg beigetragen, so sind solche Bedingungen wesentlich, die gegenüber anderen von überragender Bedeutung oder in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges gleichwertig oder annähernd gleichwertig sind. Die Wertung von zwei Mitursachen als rechtlich wesentlich setzt indes nicht notwendig eine Beteilung von etwa 50: 50 voraus. Als wesentliche Mitursache ist auch eine – rein naturwissenschaftlich betrachtet – nicht gleichwertige Ursache anzusehen, wenn gerade nur durch ihr Hinzutreten zu der anderen wesentlichen Mitursache der Erfolg eintreten konnte, letzterer also keine überragende Bedeutung zukommt. Rechtlich unwesentlich ist eine Bedingung nur dann, wenn sie von einer oder mehreren anderen Ursachen wegen deren überragender Bedeutung ganz in den Hintergrund gedrängt wird (s. dazu BSG SozR § 589 RVO Nr. 6; SozR § 542 RVO a.F. Nrn. 69, 73; SozR 3-2200 § 548 Nr. 11). Bei der Kausalitätsprüfung haben bei feststehender oder zumindest wahrscheinlicher betrieblicher Ursache betriebsfremde Ursachen außer Betracht zu bleiben, deren tatsächliche Grundlagen nicht sicher festgestellt sind (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 11; SozR 2200 § 548 Nr. 84). Andererseits folgt allein daraus, daß betriebsfremde Ursachen nicht erwiesen oder zumindest wahrscheinlich sind, nicht zwangsläufig, daß ein eingetretener Gesundheitsschaden seine Ursache nur in einem stattgefundenen Arbeitsunfall oder einer BK gehabt haben kann. Der ursächliche Zusammenhang zwischen Arbeitsunfall bzw. BK und dem Körperschaden muß vielmehr seinerseits zumindest hinreichend wahrscheinlich sein, was zum Nachteil des Versicherten dann nicht der Fall ist, wenn der Schaden – aus welchen Gründen auch immer – ebensogut auf einer oder mehreren anderen betriebsfremden Ursachen beruhen kann (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 11; 2200 § 551 Nr. 1). Die bloße Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen Gesundheitsschaden und Arbeitsunfall bzw. BK genügt selbst dann nicht, wenn außer dem Unfallereignis bzw. der BK nur solche Schädigungsursachen in Betracht kommen, die es zwar erfahrungsgemäß gibt, die aber medizinisch noch nicht hinreichend erforscht sind (BSG SozR § 542 RVO Nr. 20).
Im vorliegenden Fall ist es entgegen der Auffassung der Anästhesisten Prof. Dr. St. und Prof. Dr. D. nicht nur nicht auszuschließen bzw. lediglich möglich, daß der Hirnschaden des Klägers durch die Einwirkung von Halothan auf die Mutter während der Schwangerschaft (mit)-verursacht worden ist. Vielmehr ist es entsprechend der Beurteilung der Sachverständigen für Kinderneurologie und Reproduktionsbiologie Prof. Dr. Sch. und Prof. Dr. B. als hinreichend wahrscheinlich anzusehen, daß die während der Schwangerschaft erlittene BK der Mutter in Form einer Halothanintoxikation zu diesem Schaden zumindest wesentlich beigetragen hat. Die für die Feststellung des Kausalzusammenhangs zwischen einer BK und einer Gesundheitsstörung – lediglich – erforderliche hinreichende Wahrscheinlichkeit ist nicht gleichbedeutend mit absoluter Gewißheit bzw. an Gewißheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Ein sog. Vollbeweis wird nicht verlangt. Der Kausalzusammenhang ist vielmehr dann anzuerkennen, wenn bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, daß darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSG SozR § 542 RVO a.F. Nr. 20). Davon ist hier auszugehen.
Ein Hirnschaden der beim Kläger vorliegenden Art stellt nach übereinstimmender Auffassung aller Sachverständigen, u.a. insbesondere den Ausführungen des Humangenetikers Prof. Dr. S., grundsätzlich allerdings auch hinsichtlich seiner Ursachen ein heterogenes Krankheitsbild dar. Es kann sich um eine monogen bedingte Erbkrankheit, d.h. einen durch ein einziges mutiertes Gen (Erbanlage) verursachten Defekt, einen durch Chromosomenfehler oder Blutgruppenunverträglichkeit entstandenen Schaden, um einen multifaktoriell vererbten Defekt oder um ein ausschließlich exogen verursachtes Krankheitsbild handeln. Nach dem Gutachten des Prof. Dr. S. sind im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung des Ergebnisses einschlägiger Untersuchungen beim Kläger und seinen Eltern eine monogen bedingte Erbkrankheit u.a. aufgrund erblicher Stoffwechseldefekte oder ein auf Chromosomenfehler oder Blutgruppenunverträglichkeit beruhender Defekt auszuschließen. In Betracht kommen deshalb nach Auffassung des Prof. Dr. S. und aller übrigen Sachverständigen nur eine rein exogene Verursachung durch Infektionen, Toxine oder Strahlenschäden während der Schwangerschaft, unter oder nach der Geburt oder ein multifaktorielles Geschehen, bei dem mehrere Gene zusammen mit einem oder mehreren exogenen Faktoren den Schaden herbeigeführt haben. Für eine Geburtskomplikation oder eine exogene Schädigung nach der Geburt gibt es im Falle des Klägers keinerlei Anhaltspunkte. Wie Prof. Dr. Sch. und Prof. Dr. B. ausgeführt haben, spricht auch die klinische Symptomatik mit Vorherrschen einer schweren geistigen Behinderung gegenüber einer nur relativ leichten neurologischen Symptomatik für eine vorgeburtliche Schädigung. Des weiteren haben beide Sachverständige – insbesondere Prof. Dr. Sch. aus neurologischer Sicht – überzeugend dargelegt, daß beim Kläger im Hinblick auf den bei ihm bestehenden Hydrocephalus e vacuo, bei dem es sich definitionsgemäß um eine kompensatorische Erweiterung der Liquorräume bei primärer Hirnatrophie handelt (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 25. Aufl., S. 731), entgegen der Annahme des Anästhesisten Prof. Dr. St. nicht von einer Mißbildung im Sinne einer teratogenen Schädigung (kongenitalen Fehlbildung) bzw. grobstrukturellen Abnormität ausgegangen werden kann, deren Entstehung auf die ersten neun Schwangerschaftswochen zu beziehen ist. Vielmehr handelt es sich um eine der Zeit ab der 13. Schwangerschaftswoche zuzuordnende Entwicklungsstörung bzw. Störung der Feinstruktur des Gehirns, in deren Rahmen es durch falsche Zellplazierung, Zelluntergänge und sekundäre Degenerationen zur Erweiterung der Hirnkammern (Hydrocephalus e vacuo) gekommen ist. Es ist deshalb auch unerheblich, ob die Mutter des Klägers sich zu Beginn ihrer Tätigkeit im Städtischen Krankenhaus F. am 1. Oktober 1987 in der 6. oder entsprechend der Annahme des Prof. Dr. St. bereits in der 8. bis 9. Schwangerschaftswoche befand und zu dieser Zeit die sensible Periode gröberer Mißbildungen bereits abgeschlossen oder nahezu abgeschlossen war. Im übrigen bleibt als exogener Faktor für eine pränatale, rein exogene oder multifaktoriell durch mehrere Gene und exogene Ursachen herbeigeführte Schädigung nur das Narkosegas Halothan übrig. Denn Anhaltspunkte für eine Infektion oder Strahlenschädigung gibt es auch für die Zeit der Schwangerschaft nicht. Als toxische exogene Ursache ist neben dem Halothan grundsätzlich zwar auch noch das Narkosegas Stickoxidul (N(2)O) zu berücksichtigen, gegenüber dem die Mutter während der Schwangerschaft in zeitlich gleichem Umfang exponiert war. Es kommt nach Auffassung aller gehörten Sachverständigen für den Hirnschaden des Klägers als Ursache jedoch nicht in Betracht. Insbesondere kann, wie Prof. Dr. B. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 8. Oktober 1992 ausgeführt hat, diesem Narkosegas keine Akkumulation mit dem erforderlichen Wirkstoffspiegel für den eingetretenen Schaden angelastet werden. Demgegenüber ist das Narkosegas Halothan (2-Brom-2-Chlor-1, 1, 1 Trifluorethan) unter Berücksichtigung seiner Wirkungsweise und der Umstände des konkreten Falles, u.a. Dauer und Intensität der Halothan-Exposition, als geeignet anzusehen, das Gehirn des Klägers als Nasciturus zu schädigen.
Es ist allgemein anerkannt, daß Halogenkohlenwasserstoffe zu Störungen des ZNS unter Durchlaufen aller Stadien einer Narkose bis hin zum Tod und u.U. auch zu Veränderungen an verschiedenen subzellulären Bestandteilen mit nachfolgenden Zellschädigungen z.B. an Leber, Niere und Nervensystem führen können (s. Merkblatt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung zu Nr. 1.302 der Anlage 1 zur BKVO). Die Gesundheitsgefährdung wird durch die jeweilige Toxizität des Halogenkohlenwasserstoffs sowie Intensität und Dauer der Exposition bestimmt, wobei speziell Flüchtigkeit, Lipoidlöslichkeit, Resorption, Verteilung, Metabolismus und Elimination von Bedeutung sind (s. Merkblatt, a.a.O.). An einem neurotoxischen Effekt auch des Narkosegases Halothan als klassischem chloriertem bzw. halogenisiertem Kohlenwasserstoff besteht kein Zweifel. Er ist laut Gutachten des Prof. Dr. B. vom 5. Oktober 1991 pharmakologisch erwiesen. Darüber hinaus haben vom Sachverständigen in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 8. Oktober 1992 im einzelnen angeführte Untersuchung u.a. von Hagemann (1988, 1989) und Buchberger (1985) beim Anästhesiepersonal in Korrelation zur Menge des inhalierten Halothans eine überwiegende Häufigkeit von zum Teil im EEG nachgewiesenen Beschwerden im Organbereich des ZNS (Gehirn, Augen, Gehör) ergeben.
Alle gehörten Sachverständigen haben bestätigt, daß das für das ZNS anerkanntermaßen potentiell schädliche Halothan, das hier von der Mutter über ca. 30 Schwangerschaftswochen zwei Stunden täglich oder jedenfalls jeden zweiten Tag in einer Dosis von etwa 60 ppm aufgenommen wurde, die Plazentaschranke schnell passiert und sich auch im Körper des Nasciturus verteilt. Soweit Prof. Dr. D. darauf hinweist, daß eine wesentliche Konzentrationsabnahme dabei, insbesondere bei längerer Exposition, nicht stattfindet, wird damit der Wirkstoffspiegel des Halothans beim Feten jedoch nicht vollständig erfaßt. Denn nach den Ausführungen des Prof. Dr. B. sprechen alle aus der embryopharmakologisehen Literatur verfügbaren Informationen für eine Akkumulation des extrem lipophilen Halothans in lipid- und fetthaltigen Zellen. Diese Eigenschaft des Halothans wurde bereits von Prof. Dr. Sch. hervorgehoben. Auch eigene embryotoxikologische Studien des Prof. Dr. B. an Kaninchen haben gezeigt, daß chlorierte Kohlenwasserstoffe binnen kürzester Zeit sowohl in den Gewebekompartimenten der weiblichen Genitalorgane als auch dem Gewebe des Embryos überraschend hoch akkumulieren; in subchronischer Exposition nach 12 Wochen wurde eine über 100fache Akkumulation nachgewiesen. Der Sachverständige hält es insoweit sogar für durchaus denkbar, daß beim Kläger nach 30wöchiger Exposition eine ähnliche Wirkstoffanreicherung erfolgte. Jedenfalls ergibt sich auch daraus, daß Halothan bei chronisch exponierten Menschen und Feten mit Wahrscheinlichkeit in viel höherer Konzentration akkumuliert, als es bisher angenommen wurde. Nach den weiteren Darlegungen des Prof. Dr. B. ist es ferner pharmakologisches Lehrwissen, daß Halothan bei subchronischer und chronischer Applikation oder Exposition wegen der Akkumulation in lipid- und fetthaltigen Zellen metabolisch protrahiert wirkt und dann langsam im Organismus – vornehmlich über die Leber – stark verstoffwechselt wird. Es entsteht zu einem hohen Anteil (über 20 %) Trifluoressigsäure. Die Metaboliten des Halothans sind nach Untersuchungen und pharmakologischer Lehrmeinung noch toxischer als das Ausgangsmolekül. Im Hinblick auf den Grenzwert für das Abbauprodukt des Halothans Trifluoressigsäure wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bereits 1978 auch eine maximal zulässige Halothan-Konzentration von nur 5 ppm für eine achtstündige Exposition (MAK-Wert) festgesetzt (Schweres/Hagemann, Belastungen und Beanspruchung des Anästhesiepersonals durch Narkosegase, 1988, S. 15). Dies sowie die dargelegte akkumulierende und metabolisch protrahierte Wirkung des Halothans machen es entsprechend der Annahme des Prof. Dr. B. und auch des Prof. Dr. Sch. ohne weiteres plausibel, daß der Kläger als Leibesfrucht vom 1. Oktober 1967 bis zu seiner Geburt am 15. Mai 1968 und damit ca. 30 Wochen der toxischen Einwirkung von Halothan nicht nur in sog. Spurendosen, sondern mit einem durchaus erhöhten gesundheitsgefährdenden Wirkstoffspiegel und ununterbrochen ausgesetzt war. Dieser lag ersichtlich insbesondere weit über der Grenze, die für einen ausgereiften, erwachsenen Menschen als unbedenklich angesehen, wird.
Des weiteren ist davon auszugehen, daß auch Halothan grundsätzlich und besonders dann einen zellschädigenden, toxischen Effekt haben kann, wenn es sich in Körperzellen anreichert, die viele Lipid- und Fettverbindungen enthalten. Nach den Ausführungen des Prof. Dr. B. ist dies laut Aussage führender amerikanischer Anästhesisten anerkanntes Fachwissen. Da die Zellen der Leber und des Nervensystems sehr lipidhaltig sind, stehen sie insoweit im Vordergrund einer zellschädigenden Halothanintoxikation. Allerdings gibt es aus ethischen Gründen keine experimentellen Untersuchungen am Menschen bzw. Feten, die darüber Auskunft geben, ab welcher Dosis und Wirkungsdauer bei Halothan-Exposition für den Feten mit einem bestimmten Schaden zu rechnen ist. Immerhin existieren nach den vorliegenden Gutachten jedoch eine Anzahl von epidemiologischen Studien (z.B. Askrog 1970, Cohen 1971, Garstka 1975, Knill-Jones 1972, Pharoak 1977), aus denen sich eine erhöhte Rate von Fehlgeburten, Mißbildungen, Unfruchtbarkeit, perinataler Sterblichkeit und Untergewichtigkeit bei Kindern von Anästhesie- und Operationspersonal ergibt. Prof. Dr. B. hat außerdem auf eine Publikation des englischen Wissenschaftlers Tomlin (1979) hingewiesen, die zwischen Mißbildungen und Entwicklungsstörungen unterscheidet und etwa 11 bis 18fach häufigere ZNS-Schäden, darunter auch einen mit fraglichem Hydrocephalus, für Kinder aus Anästhesistenfamilien ausweist. Soweit Prof. Dr. D diese Studien mit Ausnahme der nicht berücksichtigten Abhandlung von Tomlin als methodisch fragwürdig und praktisch nicht verwertbar qualifiziert und das daraus in Anwendung des § 4 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 6 MschG abgeleitete Verbot, Schwangere unter der Einwirkung von Halothan zu beschäftigen, als übertrieben ansieht, wird dies nicht näher begründet und entspricht ersichtlich nicht der Auffassung der übrigen Sachverständigen einschließlich des Fachkollegen Prof. Dr. St sowie der herrschenden Meinung. Prof. Dr. B. hat hierzu angemerkt, daß eine erhöhte Fehlgeburtenrate und eine Häufung von Entwicklungsstörungen bei Nachkommen von Anästhesie- und Operationspersonal weltweit so oft und eindrucksvoll bewiesen worden sei, daß diese Tatsache unter dem Stichwort "Halothan” schon 1981 in Lehrbüchern der Pharmakologie und Toxikologie übernommen worden sei. Die von Prof. Dr. D. für seine abweichende Auffassung angeführten neueren Untersuchungen aus den 80er Jahren bzw. Ende der 70er Jahre (1978/79), befassen sich zum Teil auch gar nicht mit der Langzeitexposition gegenüber Halothan und im übrigen in zeitlicher Hinsicht mit Verhältnissen, die denjenigen in Operationsräumen in früheren Jahren, z.B. in den hier maßgeblichen Jahren 1967/68, nicht ohne weiteres vergleichbar sind. Sicherlich ist bei allen in den epidemiologischen Studien beschriebenen Effekten die Wirkung des Halothans insoweit nicht gesichert, als sie eine Quantifizierung nicht zulassen. Sie zeigen jedoch zumindest prinzipiell eine Tendenz zu vermehrten Aborten und steigenden Fruchtschäden bei Exposition mit Halothan auf (s. auch Schweres/Hagemann, a.a.O., S. 36).
Hinzu kommt, daß auch in zahlreichen Tierversuchen mit Halothan in vitro und in vivo in positiver Korrelation zur Halothankonzentration eine erhöhte Zahl von Aborten sowie teratogenen Effekten und sonstigen Schäden nachgewiesen wurde, und zwar zum Teil bei wesentlich kürzerer Expositionsdauer und geringerer Konzentration, als sie hier zur Diskussion stehen. Nach einer Studie von Chang (1974) wurden z.B. bei Ratten nach subchronischer Exposition mit Halothan über nur acht Wochen bei einer Dosis von nur 10 ppm schwerste ultrastrukturelle Schäden bzw. morphologische Veränderungen im ZNS gefunden. Ferner führte bereits eine einmalige Halothanexposition von trächtigen Tieren in der Phase, die beim Menschen dem ersten Schwangerschaftsdrittel entspricht, bei den Früchten zu Veränderungen der Nervenzellen mit abnormen Synapsen und Störungen bestimmter Zellstrukturen sowie Zelluntergängen (Katz 1976).
Vor allem aber wurden von Quimby (1974) Veränderungen an den Synapsen (Verknüpfungsstellen zwischen den Gehirnzellen) und eine verminderte Lern- und Reaktionsfähigkeit auch bei Tieren beobachtet, die in der vorgeburtlichen Phase lediglich sog. Spurendosen von 10 ppm Halothan ausgesetzt waren. Insoweit ist es entgegen dem Gutachten des Prof. Dr. St. nicht richtig, daß Entwicklungsstörungen, wie sie beim Kläger zur Diskussion stehen, bei Tieren nur bei therapeutischen Konzentrationen (= Narkose beim Patienten) bzw. bei einer etwa 100fach höheren Konzentration als im Operationssaal des Städtischen Krankenhauses Frankenthal festgestellt worden seien. In einer von Prof. Dr. D. angeführten Studie von Reitz wurden schließlich bei in vitro-Untersuchungen mit Halothan Schädigungen der DNA-Synthestase und des G-Aktins, das eine wesentliche Rolle bei der Zellteilung spielt, nachgewiesen. Alle diese Untersuchungen sprechen zum einen dafür, daß die im Merkblatt zu Nr. 1.302 der Anlage 1 zur BKVO allgemein und undifferenziert beschriebene potentiell schädigende Wirkungsweise von Halogenkohlenwasserstoffen für subzelluläre Bestandteile und Zellen u.a. des ZNS entsprechend der sich u.a. auf amerikanische Wissenschaftler stützenden Auffassung des Prof. Dr. D. sowie des Prof. Dr. Sch. auch auf den klassischen chlorierten bzw. halogenisierten Kohlenwasserstoff Halothan zutrifft. Sie lassen außerdem den Schluß zu, daß die Einwirkung von Halothan im Falle des Klägers bei vergleichbar wesentlich längerer Exposition und einem u.a. unter Berücksichtigung von Metabolismus und Akkumulation wesentlich höheren Wirkstoffspiegel ebenfalls geeignet und ausreichend war, eine zellschädigende Wirkung am Gehirn auszuüben.
Dagegen spricht nicht, daß eine Hirnschädigung der beim Kläger vorliegenden Art bei den das Halothan unmittelbar aufnehmenden Menschen nach chronischer oder subchronischer Einwirkung von ca. 30 Wochen in exakt gleicher Weise noch nicht beobachtet wurde. Prof. Dr. B. weist hierzu in seiner Stellungnahme vom 8. Oktober 1992 zu Recht darauf hin, daß das Krankheitsbild des Klägers auf einer "Entwicklungsstörung” beruht und dasselbe Geschehen deshalb beim erwachsenen Menschen nicht erwartet werden kann. Auch Prof. Dr. D. hat in seinem Gutachten klargestellt, daß für die Auswirkungen des Halothans auf das chronisch exponierte Anästhesiepersonal völlig andere Konzentrationen und Expositionszeiten zur Debatte stehen. Ebensowenig ist es von Bedeutung, daß bezüglich der in Tierversuchen nach Halothan-Exposition nachgewiesenen Entwicklungsstörungen nicht genau gesagt werden kann, daß sie exakt dem beim Kläger bestehenden Schaden entsprechen und die angeführten epidemiologischen Studien nicht exakt für dieses Krankheitsbild eine überzufällige Häufung von Abweichungen bei Kindern von Anästhesie- und Operationspersonal dokumentieren. Prof. Dr. B hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 8. Oktober 1992 dazu erläutert, daß die für Versuche verwendeten Laboratoriumssäugearten (Maus, Ratte, Kaninchen) polyovulatorisch sind und die häufigste Antwort der Feten auf schwere Entwicklungsstörungen ihre Resorption ist, wodurch es in embryotoxischen Studien zu meist überproportionalen Zahlen von resorbierten oder in Resorption befindlichen "abortierten” Feten kommt, ohne daß eine detaillierte Diagnose noch möglich wäre. Auch für den Menschen gilt, daß der Abort als äußerster Ausdruck schwerster Schädigung des Feten u.a. Fälle schwerer Entwicklungsstörungen umfaßt. Im übrigen kommt es entscheidend darauf an, ob Halothan allgemein einen zellschädigenden, toxischen Effekt auf das ZNS des Feten ausüben kann und im Falle des Klägers ausgeübt hat. Das Krankheitsbild in jeder Einzelheit seiner individuellen Ausformung und eventuellen sekundären Ausprägung kann – wie auch sonst – nicht maßgeblicher Ausgangspunkt der Überlegung sein, ob ein bestimmter exogener Faktor als geeignete Schädigungsursache anzusehen ist. Es reicht aus, daß dies für den Schadenstypus und das gemeinsame Schädigungsmuster zu bejahen ist. Auch die Aussagekraft der epidemiologischen Studien hängt entgegen der Ansicht des Beklagten insoweit nicht davon ab, daß sie in einer bestimmten Vielzahl nun genau das Krankheitsbild des Klägers, u.a. insbesondere auch einen Hydrocephalus e vacuo, beschreiben. Letzterer ist nur Sekundärfolge der beim Kläger erfolgten Schädigung der Feinstruktur des Gehirns. Infolgedessen paßt sein Krankheitsbild der Art nach insgesamt auch durchaus zu dem in tierexperimentellen Versuchen insbesondere von Quimby nachgewiesenen Schädigungsmuster, wie schon Prof. Dr. Sch. eingehend und überzeugend dargelegt hat.
Bedenken, die in Tierversuchen gewonnenen Erkenntnisse über toxische Effekte des Halothan auf den Menschen/Nasciturus zu übertragen bzw. bei der Beurteilung der Wirkungsweise dieses Narkosegases mitzuverwerten, bestehen nicht. Prof. Dr. B. hat gestützt auf seine 25jährige wissenschaftliche Erfahrung im Bereich der Reproduktionsbiologie sowie auf Prinzipien der aktuellen zellbiologischen Forschung und moderne Erkenntnisse der Embryologie überzeugend ausgeführt, daß toxische Effekte des Halothans, um die es im vorliegenden Fall geht, u.a. wegen ihrer Kurzzeitwirkung und relativ einfachen Lokalisierung in aller Regel auf den menschlichen Organismus – auch beim Feten – eher übertragbar sind als Erkenntnisse über teratogene Effekte, die in der Regel nicht akut und außerdem häufig nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip wirksam werden. Das ist von Prof. Dr. St. und Prof. Dr. D. nicht berücksichtigt worden, die die Problematik im wesentlichen unter dem Gesichtspunkt der teratogenen Effekte abhandeln. Außerdem hat sich Prof. Dr. D. gegen eine Verwertung von Erkenntnissen tierexperimenteller Versuche vor allem auch deshalb ausgesprochen, weil sie seiner Ansicht nach nicht zu den epidemiologischen Studien beim Anästhesie- und Operationspersonal passen, aus denen er keine erhöhten Schädigungsraten der schon wiederholt zitierten Art bei diesem Personenkreis abzuleiten vermag.
Das sieht der Senat aus den dargelegten Gründen mit Prof. Dr. B. und Prof. Dr. Sch. anders. Auch von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Maximale Arbeitsplatzkonzentrationen und biologische Arbeitsstofftoleranzwerte 1987, S. 9) scheint die Problematik der Übertragbarkeit von Erkenntnissen aus Tierversuchen auf den Menschen eher darin gesehen zu werden, daß diese das Risiko nur unzureichend erfassen, wenn es heißt: "Die bisher vorliegenden tierexperimentellen Prüfungen auf eine solche (= fruchtschädigende) Wirkung von Arbeitsstoffen wurden nicht nur nach verschiedenen Methoden, sondern auch unterschiedlich intensiv durchgeführt. Aus diesen Prüfungen ist ein Risiko der Fruchtschädigung für den Menschen meist weder sicher zu begründen noch zu quantifizieren, weil im Einzelfall sowohl bei negativen Tierversuchen als auch bei wesentlich geringeren als den im Tierversuch als fruchtschädigend ermittelten Grenzdosen ein solches Risiko für den Menschen gegeben sein kann”. Auch anderen Ortes wird es als nachteilig bei Tierexperimenten bewertet, "daß die menschliche Frucht empfindlicher gegenüber Risiken reagiert als Versuchstiere” (Schweres/Hagemann, a.a.O., 1988, S. 41). Im übrigen stützt sich die Annahme, daß die Einwirkung von Halothan Ursache des Hirnschadens des Klägers gewesen ist, nicht nur auf tierexperimentelle Untersuchungen und epidemiologische Studien, sondern auch auf unabhängig davon bestehende Erkenntnisse über die Eigenschaften und Wirkungsweise dieses klassischen Halogenkohlenwasserstoffs, die bezüglich der Feten durch diese Studien und tierexperimentellen Untersuchungen eine anders nicht erreichbare, in der wissenschaftlichen Forschung durchaus übliche und zur Bejahung des Kausalzusammenhangs ausreichende Konkretisierung erfahren.
Soweit der Beklagte der Auffassung ist, daß die Einwirkung von Halothan auf den Kläger als Nasciturus zumindest nicht "wesentliche” Ursache des eingetretenen Hirnschadens gewesen ist, kann dem nicht gefolgt werden. Zwar ist es richtig, daß alle Sachverständigen und letztlich auch Prof. Dr. B. von einem multifaktoriellen Geschehen entsprechend der Definition des Prof. Dr. S., d.h. von einem Zusammenwirken mehrerer Gene (Erbanlagen) mit zumindest einem exogenen Faktor ausgehen. Der auch bei einem solchen Geschehen in jedem Fall für die Herbeiführung des Hirnschadens verlangte mindestens eine exogene Faktor wird hier aus den dargelegten Gründen durch die Einwirkung von Halothan als den Umständen nach allein in Betracht kommende, geeignete exogene Ursache gestellt. Damit sind mangels Feststellbarkeit sonstiger exogener Ursachen z.B. in Form anderer Intoxikationen, Infektionen, Strahlenschäden nur noch genetische bzw. endogene Faktoren von im einzelnen nicht genau bekannter und definierbarer Art in Betracht zu ziehen. Gegenüber der feststehenden oder zumindest wahrscheinlichen äußeren berufsbedingten Ursache für den Hirnschaden des Klägers in Form einer fortgesetzten Intoxikation durch Halothan kann diesen nach Art und Gewicht nicht näher abschätzbaren endogenen Faktoren jedoch keine gravierende, den Hirnschaden des Klägers überwiegend herbeiführende Bedeutung beigemessen werden (s. auch BSG, Urteil vom 28. Juni 1991 – 2 RU 59/90). Eine monogene Erbkrankheit und Chromosomenstörung wurde beim Kläger – wie eingangs ausgeführt – ausgeschlossen. Mit dem Begriff der multifaktoriellen Verursachung ist ersichtlich gemeint, daß es einer gewissen "Anlage” bzw. genetischen "Disposition” bedarf, um einen Hirnschaden der beim Kläger bestehenden Art durch äußere Einflüsse herbeizuführen. Eine solche "Anlage” schließt im Falle der Konkurrenz mit einer äußeren betrieblichen Einwirkung den Anspruch indes nur aus, wenn sie so stark und so leicht ansprechbar war, daß es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlichen äußeren Einwirkungen bedurfte, sondern jedes alltäglich vorkommende ähnlich gelagerte Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen ausgelöst hätte (vgl. u.a. Urteile des BSG vom 6. Dezember 1989 – 2 RU 7/89 und 30. Oktober 1974 – 2 RU 50/73; BSG SozR § 542 RVO a.F. Nr. 47). Die Feststellung einer derartigen "Anlage” ist hier indes nicht möglich und wurde auch von keinem Sachverständigen getroffen. Infolgedessen gilt, wie schon das SG ausgeführt hat, daß der Versicherte grundsätzlich in dem Zustand geschützt ist, in dem er sich befindet. Wegen unterschiedlicher biologischer Gegebenheiten, disponierender oder protektiver Faktoren ist es in den meisten Fällen nicht möglich, eine rein "monokausale” Beziehung zwischen einer schädigenden äußeren Einwirkung und einem bestimmten Schaden herzustellen. Allein das ist, wie schon Prof. Dr. Sch. klargestellt hat, auch unter dem Begriff der "multifaktoriellen Verursachung” zu verstehen. Daß eine "wertende Abwägung” mit solchen, wissenschaftlich lediglich vermuteten oder erfahrungsgemäß im allgemeinen anzunehmenden bzw. – wie Prof. Dr. B. sich ausdrückt – aus wissenschaftlicher "Redlichkeit” zu unterstellenden disponierenden Faktoren nicht möglich ist, kann, da eine solche Abwägung rechtlich überhaupt nicht stattzufinden hat, entgegen der Ansicht des Beklagten nicht dazu führen, die Bedeutung der Halothanintoxikation für den Hirnschaden des Klägers als unwesentlich zu qualifizieren. Ebensowenig ist es erforderlich, eine "sichere” Entscheidung darüber zu treffen, ob hier eine "monokausale” exogene Verursachung durch Halothan oder ein "multifaktorielles” Geschehen im Zusammenwirken mit Erbanlagen bzw. endogenen disponierenden Faktoren vorliegt, da beides für den Anspruch des Klägers ausreicht. Schließlich ist es auch unerheblich, ob sich die Halothan-Exposition für den Kläger durch eine direkte toxische Wirkung oder durch mutationsauslösende Effekte des Halothans schädigend ausgewirkt hat. Die von Prof. Dr. B. unter Bezugnahme auf Tomlin alternativ in Betracht gezogene genotoxische Wirkung des Halothans, bei der reprimierende, schützende DNA-Codons geschädigt würden mit der Folge der Exprimierung rezessiver Gene, die ohne diesen Schädigungsmechanismus unterdrückt und damit "stumm” geblieben wären, könnte nach den Grundsätzen der Kausalitätslehre zu keinem anderen Ergebnis führen. Daß der Hirnschaden des Klägers nach alledem wesentlich auf der Halothaneinwirkung während der Schwangerschaft beruht, wird nicht zuletzt auch dadurch unterstrichen, daß die beiden später geborenen, nicht Halothan-exponierten Geschwister völlig gesund und mit 3.500/37.00 g Geburtsgewicht im Vergleich zum Kläger, der 2.800 g wog, auch wesentlich schwerer waren, wobei das geringe Gewicht des Klägers seinerseits wiederum in die Liste der bei Kindern von Anästhesistinnen beobachteten überzufälligen Normabweichungen paßt.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
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