L 3 U 1124/91

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 8 U 3714/89
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 1124/91
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 3. September 1991 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides der Beklagten vom 25. Januar 1971 sowie dagegen, daß der Zahlbetrag der Rente von weiteren Rentenanpassungen ausgenommen wird.

Der 1928 geborene Kläger war seit April 1955 bei der Firma – zuletzt als Physikfacharbeiter – beschäftigt. Im Oktober 1968 wurde bei ihm eine toxische Hepatose festgestellt.

Mit Bescheid vom 25. August 1969 erkannte die Beklagte bei dem Kläger das Vorliegen einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 9 der Anlage zur 6. Verordnung über Ausdehnung der Unfallversicherung auf BK’en vom 28. April 1961 an. Als Zeitpunkt des Versicherungsfalles galt der 23. Oktober 1968. Die Rente wurde ab 10. März 1969 nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v.H. gewährt. Als Folgen der BK wurden anerkannt: Restzustand einer toxischen Hepatose als Folge einer chronischen Einwirkung von Tetrachlorkohlenstoff. Der Rentengewährung lag das Gutachten des Facharztes für Innere Krankheiten Priv.-Doz. Dr. , von 17. Mai 1969 zugrunde. Priv.-Doz. Dr. , der seine Beurteilung auch auf eine Leberblindpunktion stützte, wies in seinem Gutachten vor allem darauf hin, daß bei der feingeweblichen Untersuchung des Leberpunktates sich eine leichte Fettspeicherung sowie eine deutliche Siderose (Eisenablagerung) gefunden habe. Bei einer toxischen Schädigung der Leber, etwa bei Einwirkung von Tetrachlorkohlenstoff, komme es in erster Linie zu einer Fetteinlagerung in die Leberzellen; darüber hinaus könne man gelegentlich eine vermehrte Eisenspeicherung erkennen. Nach Ausschaltung der Gifteinwirkung und durch eine entsprechende Behandlung könnten sich die krankhaften Veränderungen in der Leber wieder zurückbilden, wobei anzunehmen sei, daß das Fett schneller mobilisiert werde, während das Eisen für längere Zeit nachweisbar bleiben könne. Der Erkrankungsprozeß sei jetzt weitgehend zur Ruhe gekommen, dementsprechend seien die Leberfunktionsproben normal ausgefallen. Es könne deshalb angenommen werden, daß die Lebererkrankung wieder folgenlos ausheilen werde.

Die Beklagte ließ den Kläger am 13. März 1970 durch Dr. Facharzt für Innere Krankheiten, zur Feststellung, ob eine wesentliche Besserung im Gesundheitszustand des Klägers eingetreten sei, untersuchen und begutachten. Dr. stellte im Gutachten vom 27. März 1970 eine Besserung fest, die darin bestehe, daß die Laborbefunde jetzt konstant normal seien und der Leberprozeß wohl endgültig zur Ruhe gekommen sei. Der Grad der MdE betrage 20 v.H. Mit Bescheid vom 23. April 1970 gewährte die Beklagte dem Kläger anstelle der aus Anlaß der BK bisher gewährten vorläufigen Rente von 30 v.H. ab 1. Juni 1970 eine Dauerrente nach einem Grad der MdE von 20 v.H. Als Folgen der BK beständen: Mäßige Lebervergrößerung als Restfolge einer Hepatose nach chronischer Einwirkung von Tetrachlorkohlenstoff. Während des anschließenden Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main (SG), Az.: S-3/4/U-184/70, mit dem der Kläger die Gewährung der Dauerrente nach einem Grad der MdE von 30 v.H. begehrte, befand sich der Kläger vom 20. Oktober bis 1. Dezember 1970 in einem Heilverfahren in Bad. Der Chefarzt des Kurheimes der Arbeiterwohlfahrt, Dr. , erstellte am 11. Januar 1971 ein Gutachten, in dem er ausführte, wegen der in der I. Medizinischen Klinik des Stadtkrankenhauses festgestellten Siderose der Leber sei der Eisengehalt kontrolliert worden und deutlich erhöht gefunden worden. Dieser Befund im Zusammenhang mit der nach wie vor feststellbaren Lebervergrößerung lasse den Schluß zu, daß die Siderose der Leber weiterhin bestehe. Eine eindeutige Klärung könne allerdings nur durch eine erneute histologische Untersuchung von Lebergewebe herbeigeführt werden. Der Grad der MdE werde auf 30 v.H. geschätzt. Daraufhin hob die Beklagte mit Bescheid vom 25. Januar 1971 den Bescheid vom 23. April 1970 auf. Sie gewährte ab 1. Juni 1970 eine Dauerrente nach einem Grade der MdE von 30 v.H. An Folgen der BK beständen: Mäßige Lebervergrößerung und Anzeichen einer vermehrten Eisenspeicherung als noch nicht wieder zurückgebildete Folgeerscheinungen nach chronischer Einwirkung von Tetrachlorkohlenstoff. Nicht als Folgen der BK wurden anerkannt: Fibrös-knotige Obergeschoßlungentuberkulose mit Verschwartungen und Verwachsungen und eingeschränkter Atemverschieblichkeit der linken Zwerchfellhälfte ohne Anhalt für einen frischen infiltrativen Lungenprozeß.

In der Folgezeit verneinten auch Prof. Dr. Krankenhaus der im Gutachten vom 23. November 1972, Dr. (Gutachten vom 12. Mai 1974 und 7. Mai 1976) sowie erneut Priv.-Doz. Dr. im Gutachten vom 11. November 1977 das Vorliegen einer wesentlichen Besserung im Krankheitszustand des Klägers, so daß die MdE weiterhin mit 30 v.H. eingeschätzt wurde. Priv.-Doz. Dr. führte in seinem Gutachten aus, daß die bioptische Gewinnung von Material durch Leberblindpunktion leider mißlungen sei, eine laparoskopische Untersuchung lehne der Kläger ab. Eine sichere Diagnose über die Genese der zweifellos vorhandenen Leberschädigung und den jetzigen Zustand der Leber sei nicht möglich, ohne daß ein unter Sicht gewonnener Leberzylinder vorliege. Jedoch könne auch den weiter schwelenden Folgen der Tetrachlorkohlenstoff – Intoxikation – obwohl eher unwahrscheinlich – nicht absolut widersprochen werden.

Während einer stationären Behandlung des Klägers vom 19. bis 29. November 1984 im Kreiskrankenhaus beantragte der Kläger die Erhöhung der Verletztenrente wegen einer Verschlimmerung seines Leberschadens. Er wurde daraufhin am 10. und 11. Juni 1985 stationär in der Medizinischen Klinik des Krankenhauses der Stiftung Hospital Leberblindpunktion durchgeführt. Der Oberarzt der Klinik und Facharzt für Innere Medizin Dr. und Dr. stellten in dem Gutachten vom 26. Juli 1985 fest, bei dem Kläger liege eine Hämochromatose der Leber (Differentialdiagnose: Hämosiderose) vor; ein Anhalt für einen tetrachlorkohlenstoffinduzierten, chronischen Leberschaden bestehe nicht.

Bei der Hämochromatose handele es sich nach heutigem Kenntnisstand um eine angeborene Eisenspeicherkrankheit. Die diagnostizierte Hämosiderose stelle ebenso wie die differentialdiagnostisch in Betracht zu ziehende, jedoch unwahrscheinlichere sekundäre Hämosiderose ein eigenständiges Krankheitsbild dar; sie sei keine Folge der Tetrachlorkohlenstoff-Exposition. Deshalb entfalle eine "berufskrankheitsbedingte” MdE. Insgesamt sei allerdings eine durch die Hämochromatose bedingte Verschlechterung des Leberbefundes festzustellen. In der ergänzenden Stellungnahme vom 1. November 1985 führten Dres. und der Chefarzt der Medizinischen Klinik des Krankenhauses Prof. Dr. aus, der Kläger habe 1968 eine akute toxische Lebererkrankung erlitten, deren Symptome bereits am 17. Mai 1969 abgeklungen seien. Für eine vorübergehende Zeit von einem halben Jahr oder einem Jahr habe noch eine MdE von 20 bzw. 30 v.H. bestanden. Unabhängig von der akuten Lebererkrankung habe aber bereits damals histologisch das Bild einer Eisenspeicherkrankheit bestanden. Die Erkrankung sei im Gutachten des Priv.-Doz. Dr. zwar ausführlich diskutiert, aber noch nicht sicher als eigenständiges Krankheitsbild ausgegrenzt worden. Der Verlauf und auch der Vergleich der feingeweblichen Untersuchungen von 1969 und vom 11. Juni 1985 bestätigten indes eindeutig, daß bereits 1969 unabhängig von einer Tetrachlorkohlenstoff-Exposition eine Eisenspeicherkrankheit bestanden habe. Die 1969 getroffenen Feststellungen (leichte Fettspeicherung und deutliche Eisenspeicherung als Restzustand einer toxischen Hepatose nach Einwirkung von Tetrachlorkohlenstoff) seien unzutreffend gewesen. Bei der Eisenspeicherung handele es sich nicht um eine Tetrachlorkohlenstoffeinwirkung, sondern um ein eigenes Krankheitsbild. Folgen der seinerzeit durch die Einwirkung von Tetrachlorkohlenstoff bedingten Lebererkrankungen lägen nicht vor. Daß es 1969 zu einer unrichtigen Einschätzung der Erkrankung des Klägers gekommen sei, liege daran, daß Priv.-Doz. Dr. damals von der akuten Tetrachlorkohlenstoff-Intoxikation das eigenständige Krankheitsbild der Eisenspeicherkrankheit nicht ausreichend ausgegrenzt habe und die nachfolgenden Gutachten sich auf die erstmaligen Begutachtungen bezogen hätten. Es seien auch keine histologischen Untersuchungen mehr durchgeführt worden – zum Teil auch bedingt durch die ablehnende Haltung des Klägers –, die die Eisenspeicherkrankheit hatten dokumentieren können.

Mit Bescheid vom 25. August 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 1986 lehnte die Beklagte die Erhöhung der Verletztenrente ab. Die eingetretene Verschlimmerung sei nicht auf die im Oktober 1968 erlittene Tetrachlorkohlenstoff-Intoxikation zurückzuführen. Vielmehr handele es sich um ein eigenständiges, von der Intoxikation unabhängiges Krankheitsbild einer angeborenen Eisenspeicherkrankheit.

Das anschließende Klageverfahren vor dem SG (Az.: S-8/U-4050/86) blieb erfolglos (Urteil des SG vom 24. Februar 1987), ebenso wie das anschließende Berufungsverfahren vor dem Hessischen Landessozialgericht (HLSG), Az.: L-3/U-600/87. Mit Urteil vom 7. Dezember 1988 führte das HLSG aus, die Verschlechterung des Leberbefundes sei mit Wahrscheinlichkeit eine Auswirkung einer Hämochromatose, die ein eigenes Krankheitsbild darstelle und in keinem Zusammenhang mit der als BK anerkannten tetrachlorkohlenstoffinduzierten toxischen Hepatose stehe. Schon 1969 habe mit Dres. und Prof. eine Eisenspeicherkrankheit in Form einer Hämochromatose oder sekundären Hämosiderose vorgelegen, die in keinem Zusammenhang mit der Tetrachlorkohlenstoff-Exposition stehe.

Mit Schreiben vom 3. März 1989 hörte die Beklagte den Kläger zu der beabsichtigten Abänderung des Bescheides vom 25. Januar 1971 an und wies darauf hin, daß die anerkannte mäßige Lebervergrößerung und Anzeichen einer vermehrten Eisenspeicherung keine Folgen einer BK seien. Außerdem kündigte sie das Einschmelzen des Rentenzahlbetrages an. Mit Bescheid vom 24. April 1989 änderte sie gestützt auf § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch 10. Buch –SGB X– den Bescheid vom 25. Januar 1971 insoweit ab, als die mäßige Lebervergrößerung und Anzeichen einer vermehrten Eisenspeicherung keine Folgen einer BK seien. Aus Besitzstandsgründen werde der bisherige Zahlbetrag weiter gezahlt. Eine Rentenanpassung erfolge jedoch nicht mehr. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 1989 stellte die Beklagte fest, daß der Bescheid vom 25. Januar 1971, mit dem eine mäßige Lebervergrößerung und Anzeichen einer vermehrten Eisenspeicherung als noch nicht wieder zurückgebildete Folgeerscheinungen nach chronischer Einwirkung von Tetrachlorkohlenstoff als Folge einer BK anerkannt worden sind, rechtswidrig sei. Folgen der BK bestanden nicht mehr. Im übrigen bestätigte sie den Bescheid vom 24. April 1989.

Mit der am 16. November 1989 beim SG erhobenen Klage trug der Kläger vor, der Bescheid vom 25. Januar 1971 sei nach den Feststellungen der Dres. und zumindest für ein Jahr zutreffend gewesen. Das Gutachten von 1985 gehe davon aus, daß in der Literatur kein Fall einer Eisenablagerung bei Tetrachlorkohlenstoff-Vergiftung bekannt sei. Priv.-Doz. Dr. habe jedoch ausgeführt, bei derartigen Vergiftungen könne es zur Eiseneinlagerung kommen. Da dieser ein anerkannter Leberspezialist sei, seien dessen Erfahrungen nicht durch das Gutachten 1985 widerlegt worden, so daß der Nachweis der Unrichtigkeit des Bescheides von 1971 nicht erbracht sei. Auch seien die in § 48 Abs. 4 SGB X genannten Fristen verstrichen.

Mit Urteil vom 3. September 1991 wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen wurde ausgeführt, der Bescheid vom 25. Januar 1971 sei von Anfang an rechtswidrig gewesen, soweit mit ihm eine vermehrte Eisenspeicherung als Folge der beruflich bedingten Tetrachlorkohlenstoff-Exposition anerkannt worden sei. Dies stehe aufgrund der Feststellung der Dres. und aus dem Jahre 1985 im Zusammenhang mit den histologischen Untersuchungen durch Prof. und Prof. zweifelsfrei fest. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 25. Januar 1971 habe die MdE von 30 v.H. ausschließlich auf der angeborenen Eisenspeicherkrankheit beruht. Die Beklagte sei auch berechtigt, den Rentenzahlbetrag von weiteren Rentenanpassungen auszunehmen.

Gegen das dem Kläger am 9. Oktober 1991 zugestellte Urteil richtet sich seine am 31. Oktober 1991 beim HLSG eingegangene Berufung.

Der Kläger trägt vor, der Bescheid vom 25. Januar 1971 sei nicht rechtswidrig. Er habe Beschwerden eines Leberparenchymschadens. Die Symptome einer Hämochromatose lägen bei ihm nicht vor. Zutreffend habe der Sachverständige Prof. Dr. festgestellt, daß die Histologie der Leber derzeit nur die Diagnose "Leberzirrhose mit sekundärer Siderose” zulasse.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 3. September 1991 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. April 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 1989 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, auch das im Berufungsverfahren eingeholte zutreffende Gutachten von Prof. Dr. habe bestätigt, daß die im Bescheid vom 25. Januar 1971 aufgenommenen Erkrankungsfolgen nicht auf die seinerzeitige Tetrachlorkohlenstoff-Intoxikation zurückzuführen seien. Diese Intoxikation habe keine Folgen von Krankheitswerten hinterlassen. Bei dem Kläger liege am ehesten eine heterozygote Form einer primären – vererbbaren – Siderose vor. Der Sachverständige habe keinen ernsthaften Zweifel an dem fehlenden ursächlichen Zusammenhang. Durch den Verlauf der Erkrankung und die Histologien sei bewiesen, daß es sich bereits von Anfang an um eine berufsunabhängige Erkrankung gehandelt habe.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Chefarztes der Medizinischen Klinik I der Städtischen Kliniken , Prof. Dr. nach stationärer Untersuchung des Klägers vom 9. Juni 1992 bis 12. Juni 1992. Auf den Inhalt des Gutachtens vom 11. August 1992 mit Ergänzung vom 13. Mai 1994 wird verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten und der beigezogenen Akten des SG, Az.: S-3/4/U-184/70 und S-8/U-4050/86 (L-3/U-600/87), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) ist zulässig, in der. Sache ist die Berufung unbegründet.

Die Beklagte hat zu Recht festgestellt, daß der Bescheid vom 25. Januar 1971, mit dem eine mäßige Lebervergrößerung und Anzeichen einer vermehrten Eiseneinlagerung als noch nicht wieder zurückgebildete Folgeerscheinungen nach chronischer Einwirkung von Tetrachlorkohlenstoff als Folge einer BK anerkannt worden sind, rechtswidrig ist, ein Rentenanspruch nicht gegeben ist und demgemäß der Zahlbetrag der Rente von weiteren Rentenanpassungen gemäß § 579 Reichsversicherungsordnung (RVO) auszunehmen ist.

Nach § 48 Abs. 3 SGB X darf, wenn ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 SGB X nicht zurückgenommen werden kann und eine wesentliche Änderung nach Abs. 1 oder 2 des § 48 SGB X zugunsten des Betroffenen eingetreten ist, die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgeht, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist die angefochtene Feststellung nicht schon wegen der Versäumnis einer Handlung nach § 48 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X unzulässig. Die Verweisung auf die Fristen des § 45 SGB X betrifft § 48 Abs. 3 SGB X nicht, weil hier nur die Befugnis geregelt ist, unabhängig von allen verstrichenen Fristen für eine Rücknahme die Rechtswidrigkeit eines Bescheides für die zukünftige Entwicklung festzustellen.

Ein Bescheid, der eine Abschmelzung durchführt, setzt voraus, daß durch Verwaltungsrecht wirksam festgestellt ist, daß der Ursprungsbescheid rechtswidrig ist (Urteil des Bundessozialgerichts – BSG – vom 2. November 1988, 2 RU 39/87; Urteil des BSG vom 31. Januar 1989, 2 RU 16/88 in SozR 1300 § 48 Nr. 54). Damit greift der Bescheid in die Bestandskraft insoweit ein, als der frühere Bescheid entgegen seinem Inhalt keine Basis mehr hergibt, um zukünftige Leistungsverbesserungen darauf aufzubauen. Die Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid vom 24. April 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 1989 festgestellt, daß die rechtsverbindliche, wegen Fristversäumnis (§ 45 Abs. 3 SGB X) nicht mehr rücknehmbare Entscheidung, vom 25. Januar 1971 rechtswidrig ist. Diese Feststellung ist zu Recht erfolgt.

Wie das BSG zum Versorgungsrecht entschieden hat (Urteil vom 24. November 1988, 9/9 a RV 8/87 in SozR 1300 § 45 Nr. 41; Urteil vom 27. Oktober 1989, 9 RV 40/88 in SozR 1300 § 45 Nr. 49 und Urteil vom 26. November 1991, 9 a RV 6/90) ist die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes nicht schon immer dann statthaft, wenn ein bewilligender Verwaltungsakt nicht ergehen würde. Es handelt sich nicht um die erstmalige Entscheidung über eine Leistung, die zu bewilligen ist, wenn der ursächliche Zusammenhang wahrscheinlich ist, und die abzulehnen ist, wenn der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich ist. Vielmehr muß bewiesen sein, daß der bereits ergangene Verwaltungsakt von Anfang an rechtswidrig ist. Es darf kein vernünftiger Zweifel an der Rechtswidrigkeit bestehen. Bewiesen ist die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes, der ein Leiden als BK-Folge feststellt, wenn feststeht, daß die Gesundheitsstörung entweder nie oder zum Zeitpunkt der Bewilligung nicht mehr vorlag oder wenn eine Gesundheitsstörung zwar vorhanden ist, sie aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht Folge der BK ist, die (reale) Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs also auszuschließen ist. Unter Beachtung dieser Grundsätze ist der Senat überzeugt, daß der Bescheid vom 25. Januar 1971, mit dem Kläger eine Verletztenrente auf Dauer ab 1. Juni 1970 nach einem Grad der MdE von 30 v.H. bewilligt worden war, von Anfang an mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist. Denn Folgen der anerkannten BK haben spätestens seit diesem Zeitpunkt in rentenberechtigendem Umfang (§§ 551, 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO) nicht mehr vorgelegen. Die Beklagte hat zu Unrecht eine mäßige Lebervergrößerung und Anzeichen einer vermehrten Eisenspeicherung als noch nicht wieder zurückgebildete Folgeerscheinung nach chronischer Einwirkung von Tetrachlorkohlenstoff anerkannt. Dies steht fest aufgrund des im Berufungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. vom 11. August 1992 mit Ergänzung vom 13. Mai 1994 sowie des im Verwaltungsverfahren erstellten Gutachtens der Dres. und und der histologischen Untersuchungen durch Prof. Dr. und Prof. Dr ...

Für eine leichte Leberzellverfettung 1969 kann mit Prof. Dr. ein möglicher Zusammenhang mit einer Tetrachlorkohlenstoff-Intoxikation 1968 nicht ausgeschlossen werden, jedoch war der Leberprozeß 1969 schon weitgehend zur Ruhe gekommen und bedingte keine MdE. Klinische Hinweise auf eine Intoxikation bestanden am 24. Oktober 1968, bereits am 28. Oktober 1968 waren die Leberwerte nur noch leicht bis mäßig erhöht und ergaben spätestens ab 12. Dezember 1968 wieder einen Normalbefund. Drei bis vier Monate nach der Normalisierung der Transaminasen lag eine weitgehend normale Leberbinnenstruktur vor. So bestand bei der Untersuchung durch Dr. im März 1970 kein Hinweis mehr auf einen aktiven Leberprozeß. Die Lebertransaminasen waren normal ebenso wie bei der Begutachtung durch Dr. Ende 1970/Anfang 1971. Eine Erwerbsminderung von 30 v.H. bestand ab 1. Juni 1970 ausschließlich aufgrund der festgestellten Anzeichen einer vermehrten Eisenspeicherung (Siderose). Diese Eisenablagerungserkrankung ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht Folge der anerkannten BK.

Daß Priv.-Doz. Dr. aus seiner damaligen Sicht einen Zusammenhang der Siderose nach Tetrachlorkohlenstoff-Intoxikation für gegeben erachtete, schließt nicht aus festzustellen, daß ein ursächlicher Zusammenhang nicht gegeben war. Denn neuere Erkenntnisse aufgrund von histologischen Untersuchungen und des klinischen Verlaufs der Erkrankung ergeben, daß bereits 1970 eine toxisch bedingte Siderose nicht vorgelegen hat. Ein Bescheid ist auch dann von Anfang an rechtswidrig, wenn erst nach längerer Zeit medizinisch die richtige Beurteilung überhaupt erst möglich ist (BSGE 13, 89).

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist zur Zeit jedoch eine erblich bedingte Hämochromatose/primäre Siderose (noch) nicht mit Sicherheit festzustellen. Die Histologie der Leber klärt, wie Prof. Dr. dargelegt hat, die Ursache der Entstehung der Siderose nicht. Der Befund ist für eine primäre Siderose – auch angesichts des Verlaufs – nicht typisch. Denn es sollten auch unter Annahme einer heterozygoten Form der primären Siderose bei dem 1992 63jährigen Kläger dann eine weit stärkere Siderose insbesondere des Parenchyms der präformierten Gallengänge entwickelt sein, und es wäre ein kompletter Leberumbau wahrscheinlich, was nicht der Fall ist. Weiterhin ließen sich selbst 1992 Eisenablagerungen in der Magen- und Duodenalschleimhaut noch nicht nachweisen. Auch klinisch liegt das Vollbild einer primären Siderose noch nicht vor. So fehlt eine auffallende Hautverfärbung und ein Diabetes mellitus. Da andererseits typische Aspekte der primären Form wie endokrine Störungen im Bereich der Schilddrüsen und der Nebenschilddrüsen vorliegen und eine Impotentia coeundi besteht, sowie die Laborparameter des Eisenstoffs und der Eisengehalt des Leberbioptates für eine primäre Siderose sprechen, ist zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit eine erblich bedingte Siderose anzunehmen. Da jedoch die endgültige Klärung der Ursache für die Entstehung der Eisenablagerungserkrankung erst durch regelmäßig durchgeführte Kontrollbiopsien in den folgenden Jahren vielleicht zu klären ist, kann mit Prof. Dr. derzeit nur von einer "sekundären Siderose”, d.h. einer Erkrankung, die infolge verschiedener Grunderkrankungen auftreten kann, ausgegangen werden. Damit scheidet die Begründung aus, es liege von Anfang an eine erblich bedingte Erkrankung vor.

Sind die Ursachen einer Erkrankung – hier der Anzeichen einer vermehrten Eisenablagerung – medizinisch ungeklärt, so kann zwar daraus allein noch nicht der Schluß gezogen werden, daß die Möglichkeit der Verursachung durch Tetrachlorkohlenstoff-Intoxikation ausgeschlossen ist. Die Unklarheit über die Ursache einer Erkrankung schließt grundsätzlich weder theoretische noch reale Möglichkeiten des Zusammenhangs aus. Ist jedoch nachgewiesen, daß der in Betracht kommende Zusammenhang nur eine ganz entfernt liegende, rein theoretische Möglichkeit ohne realen Bezug ist, so ist der Zusammenhang widerlegt (Urteil des BSG vom 29. Mai 1984, 5 a RKnU 2/83 zu dem Begriff "offenkundig” in § 589 RVO). Der ursächliche Zusammenhang ist dann als nicht möglich zu beurteilen. Aufgrund der histologischen Befunde und des klinischen Gesamtverlaufs der Siderose steht zur Überzeugung des Senats fest, daß ein ursächlicher Zusammenhang der Erkrankung mit der Tetrachlorkohlenstoff-Intoxikation nicht (real) möglich ist.

Zunächst ist festzustellen, daß der Befund der Leberbiopsie – auch im Hinblick auf den Verlauf – sicher ausschließt, daß es sich um die Folge einer Tetrachlorkohlenstoffvergiftung 1968 handeln könnte. Dazu paßt nach Auffassung des Pathologen Prof. Dr. und des Sachverständigen Prof. Dr. weder die Art der Siderose noch das Fehlen läppchenzentraler Faservermehrungen. Bei einem schwelenden, chronischen Entzündungsprozeß der Leber nach einer Tetrachlorkohlenstoff-Intoxikation wäre neben entsprechenden pathologischen Leberwerten ein stärkerer, insbesondere läppchenzentral betonter Parenchymschaden mit gleichzeitiger zentraler Faservermehrung zu erwarten gewesen. Dagegen liegt bei dem Kläger nur eine geringgradige und ätiologisch vieldeutige Leberzellverfettung neben einer deutlichen Siderose vor. Auch Prof. Dr. dem 1985 erstmals nach 1969 wieder eine Leberblindpunktion bei dem Kläger gelang, schloß einen Zusammenhang mit der 1968 erfolgten Toxikation sicher aus. Die erneute vergleichende Begutachtung der Präparate aus den Jahren 1969 und 1985 mit demjenigen aus dem Jahre 1992 durch Prof. Dr. bestätigte diese Beurteilung.

Festzustellen ist weiterhin, daß insbesondere nach dem klinischen Gesamtverlauf der Erkrankung ein Zusammenhang der (sekundären) Siderose mit der Tetrachlorkohlenstoff-Intoxikation als nicht möglich zu beurteilen ist. Zwar werden Siderosen gelegentlich im Zusammenhang mit toxischen Schäden der Leber beobachtet, worauf Priv.-Doz. Dr. schon 1969 hingewiesen hatte und deshalb einen ursächlichen Zusammenhang bejaht hatte, die Genese dieser Siderosen ist jedoch nicht völlig geklärt. Sie hängt möglicherweise mit der verstärkten Eisenaufnahme der geschädigten Leber zusammen. Das Ausmaß solcher verstärkter Eisenablagerungen ist jedoch gering und zeigt eine rückläufige Tendenz, wenn keine entzündliche Aktivität im Gewebe mehr vorhanden ist. Bei dem Kläger lag jedoch sechs Monate nach der Intoxikation und drei bis vier Monate nach Normalisierung der Transaminasen bei einer sonst weitgehend normalen Leberbinnenstruktur noch eine deutliche, d.h. ausgeprägte Siderose vor. Darüber hinaus besteht die ungewöhnlich ausgeprägte Siderose seit nunmehr über 20 Jahren mit progredientem Verlauf und Übergang in eine Leberzirrhose. Auch Prof. Dr. , Leiter des Instituts für Toxikologie der Universität , den der Sachverständige konsultiert hatte, war der Auffassung, daß eine Siderose der Leber als Folge einer chronischen Tetrachlorkohlenstoffeinwirkung bisher nicht beschrieben sei. Er hielt lediglich eine Verstärkung einer primären Siderose bei chronischer Einwirkung für nicht ausgeschlossen. Bei dem Kläger lag jedoch keine chronische, d.h. sich über Jahre hinweg erstreckende, Einwirkung von Tetrachlorkohlenstoff vor, sondern eine akute Intoxikation über einige Wochen ohne laborchemischen und histologischen Nachweis einer chronischen Schädigung der Leber. Darüber hinaus konnte der Sachverständige Prof. Dr. wie schon zuvor Dres. und Prof. Dr. nach umfangreichen Nachforschungen älterer und neuerer pathologischer, pathophysiologischer und insbesondere toxikologischer Literatur keinen Hinweis auf die Möglichkeit einer ungewöhnlich ausgeprägten Siderose im Zusammenhang mit Tetrachlorkohlenstoff, seiner Derivate oder anderer lebertoxischer Substanzen finden. Der Senat ist bei dieser Sachlage davon überzeugt, daß allenfalls eine theoretische, weit entfernt liegende Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs der in dem Gutachten von Priv.-Doz. Dr. 1969 diagnostizierten deutlichen Siderose mit der Tetrachlorkohlenstoff-Intoxikation 1968 bestand, eine reale Möglichkeit jedoch nach den heute vorliegenden Erkenntnissen ausgeschlossen ist. Der absolute Beweis, den Prof. Dr. aufgrund seiner Untersuchungen und Nachforschungen aus naturwissenschaftlicher Sicht nicht führen kann, ist nicht erforderlich. Ein vernünftiger Zweifel an der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 25. Januar 1971 besteht nicht.

Da die 1968 erlittene Tetrachlorkohlenstoff-Intoxikation spätestens seit Beginn der Dauerrente eine MdE nicht hinterlassen hat, hat die Beklagte die Verletztenrente des Klägers zu Recht von der Rentenanpassung ausgenommen, was sie auch zulässigerweise für zukünftige Anpassungen feststellen konnte (BSG, Urteil vom 31. Januar 1989, 2 RU 41/88).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 1 und 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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