Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 10 U 3053/90
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 143/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 18. Oktober 1994 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin ist die Tochter des 1907 geborenen und 1985 an den Folgen eines im Juli 1985 diagnostizierten kleinzelligen Bronchialkarzinoms verstorbenen Versicherten A. G. Streitig ist, ob die Erkrankung gemäß § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) wie eine Berufskrankheit (BK) zu entschädigen ist und die Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihrer während des erstinstanzlichen Verfahrens am 18. Januar 1993 ebenfalls verstorbenen Mutter B. G., Witwe und Rechtsnachfolgerin des Versicherten, von der Beklagten Hinterbliebenenrente sowie Verletztenrente verlangen kann, die vom Versicherten noch zu Lebzeiten im Oktober 1985 beantragt worden waren.
Der Versicherte war von 1948 bis Dezember 1972 Inhaber eines kleinen Tiefbauunternehmens mit durchschnittlich ca. 10 Beschäftigten, das er mit Wirkung vom 1. Januar 1973 an seinen Schwiegersohn übergab. Danach arbeitete er noch etwa zwei Jahre auf verschiedenen Baustellen, indem er diese beaufsichtigte und notfalls auch selbst Hand anlegte. Nach den Ermittlungen des Technischen Aufsichtsbeamten war er zumindest in den Jahren 1954 bis 1970 bei Straßenbauarbeiten zeitweise bzw. schätzungsweise insgesamt 3.730 bis 3.840 Stunden den Dämpfen von auf 100 bis 120° C erhitztem Steinkohlenteer ausgesetzt gewesen. Bis 1954 waren bei Straßenbauarbeiten Steinkohlenteer und Bitumenemulsion im Kaltverfahren aufgetragen worden; ab Ende der 60er Jahre bzw. ab 1970 wurde Steinkohlenteer durch Bitumen ersetzt.
Bis etwa September 1985 hatte der Versicherte täglich ca. 10 Zigaretten geraucht und litt seit vielen Jahren an einer chronisch-obstruktiven Bronchitis mit erheblichen Ventilationsstörungen. Sein im Unternehmen schon seit 1961 mitarbeitender Schwiegersohn (Ehemann der Klägerin) war im September 1982 im Alter von 43 Jahren ebenfalls an den Folgen eines Bronchialkarzinoms verstorben. Eine Entschädigung dieses Erkrankungsfalls wurde u.a. unter dem Gesichtspunkt des § 551 Abs. 2 RVO nach Einholung bzw. Beiziehung von in anderen Verfahren erstatteten zahlreichen arbeitsmedizinischen Gutachten und Stellungnahmen des Prof. Dr. W. Universitätskliniken G. des Prof. Dr. V., Universitätskliniken E., des Prof. Dr. K., Universitätskliniken M., und eines Gutachtens des Prof. Dr. M. vom 17. Dezember 1990 sowie diverser Stellungnahmen des Landesgewerbearztes und des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) rechtskräftig abgelehnt (Bescheide der Beklagten vom 5. September 1983 und 28. März 1984; Urteile des Sozialgerichts Frankfurt am Main – SG – vom 4. November 1986 – S-8/U-109/84 – und des Hessischen Landessozialgerichts – HLSG – vom 28. Oktober 1992 – L-3/U-47/87 –; Beschluss des Bundessozialgerichts – BSG – vom 30. Juni 1993 – 2 BU 212/92 –).
In dem von der Beklagten im vorliegenden Verfahren eingeholten Gutachten vom 9. Juli 1987 des Prof. Dr. V./Priv.-Doz. Dr. H. wurden die Voraussetzungen für eine Entschädigung nach § 551 Abs. 2 RVO gleichfalls verneint. Zwar sei unbestritten, daß der Versicherte der dampf- und staubförmigen Einwirkung von Teer und Bitumen in einem höheren Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt gewesen sei. Bislang gebe es jedoch keine epidemiologisch gesicherten Hinweise dafür, daß Beschäftigte im Straßenbau einem erhöhten Risiko für Atemwegskarzinome unterlägen. Daß auch Steinkohlenteerprodukte in der MAK-Liste als gesichert krebsgefährdend in der Gruppe A I ausgewiesen seien und schon seit Jahrzehnten teerinduzierte Hautkrebse Bestandteil der BK-Liste seien, besage nichts über ein signifikant häufigeres Auftreten von Bronchialkarzinomen bei Straßenbauarbeitern im Vergleich zur übrigen Bevölkerung. Ein gelegentlich praktizierter Vergleich mit der Gruppe der Dachdecker oder der Kokereiarbeiter/Ofenblockarbeiter sei wissenschaftlich unzulässig. Bei Dachdeckern sei oft eine zusätzliche Asbeststaubbelastung eruierbar. Hinsichtlich der Kokereiarbeiter, für die die Aufnahme bösartiger Erkrankungen der Atemwege in die Liste der BK’en empfohlen worden sei, sei festzustellen, daß Kokereigase aufgrund der unterschiedlichen Verarbeitungstemperaturen mit Teerdämpfen im Straßenbau nicht vergleichbar seien.
Demgegenüber vertraten der Landesgewerbearzt Dr. B. in Stellungnahmen vom 24. September 1987 und 26. September 1989 sowie Prof. Dr. W. im Gutachten vom 6. April 1989 die Auffassung, daß die arbeitsmedizinisch-epidemiologischen Ergebnisse über ein erhöhtes Bronchialkarzinomrisiko von Kokereiarbeitern auch auf die Verhältnisse im Bereich des Straßenbaus bei Verwendung von Steinkohlenteer und Teerbitumen als Bindemittel übertragbar seien, wie es auch bereits vom BSG im Urteil vom 5. Februar 1980 entschieden worden sei. Denn die inhalative Exposition der Teerarbeiter im Straßenbau in den 50er und 60er Jahren mit den im Steinkohlenteer enthaltenen und als stark kerbserzeugend angesehenen polyaromtischen Kohlenwasserstoffen (PAH) bzw. die Exposition mit Benzo(a)pyren als einer Leitsubstanz für die Gefährdung durch PAH’s sei nach neueren Erkenntnissen der Schadstoffanalytik, insbesondere aufgrund von Meßergebnissen eines vom Bundesforschungsministerium seit 1984 geförderten und im Institut für Arbeitsmedizin der Universitätskliniken Gießen durchgeführten Projekts über krebserzeugende Arbeitsstoffe im Straßenbau beim Heißeinbau von Carbobitumen, im Wege retrospektiver Risikoabschätzung zumindest mit der Exposition vergleichbar, der Kokereiarbeiter mit Arbeitsplatz an der Ofenseite ausgesetzt seien. Die Auffassung des Prof. Dr. V. daß wegen der unterschiedlichen Verarbeitungstemperaturen eine vergleichbare Exposition mit PAH im Bereich von Kokereien und im Straßenbau bei der Verarbeitung von Steinkohlenteer nicht bestehe, sei somit nicht haltbar. Da die berufliche inhalative Einwirkung von krebserzeugenden PAH im Falle des Versicherten vor allem in der Zeit von 1954 bis 1970 unter Berücksichtigung der epidemiologischen Untersuchungen bei Kokereiarbeitern etwa einem Lungenkrebsrisiko von 1 % entsprochen habe und damit vergleichbar hoch der Gefährdung durch das 20jährige Inhalationsrauchen von täglich zehn Zigaretten gewesen sei, sei sie neben dem Zigarettenkonsum zumindest als wesentliche Mitursache für das Auftreten des Bronchialkarzinoms anzusehen. Eine Anerkennung als Quasi-BK mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v.H. ab August 1985 entsprechend der Öffnungsklausel des § 551 Abs. 2 RVO sei deshalb geboten, auch wenn arbeitsmedizinisch-epidemiologische Studien über die Tumorhäufigkeit bei Straßenbauarbeitern insbesondere von Straßenbauarbeitern, die in den 50er und 60er Jahren hauptsächlich Teer als Bindemittel eingesetzt hätten, in ausreichendem Maße fehlten. Vom Landesgewerbearzt wurde ergänzend noch darauf hingewiesen, daß die Exposition im Straßenbau 1985 auch von einer Expertenkommission im Auftrag der Internationalen Agentur für Krebsforschung in Lyon – einer Einrichtung der Weltgesundheitsorganisation – als kausal für Bronchialkarzinome eingestuft worden sei, hierfür insbesondere die Exposition mit PAH bei der Verarbeitung von Steinkohlenteer angeführt worden sei und der Zusammenhang zwischen der Exposition mit Teer bei Straßenbauarbeitern und der Entstehung von Bronchialkarzinomen außerdem durch zwei erst nach der Erkrankung des Versicherten gewonnene Untersuchungsergebnisse unterstützt werde. So habe eine Untersuchung der dänischen Wissenschaftlerin Hansen aus dem Jahre 1989 bei 679 dänischen Straßenbauarbeitern und eine eigene epidemiologische Fall-Kontrollstudie bei 194 Patienten (Bolm-Audorff et al 1989) ein um den Faktor 3,4 bzw. 3,7 signifikant erhöhtes Lungenkrebsrisiko ergeben.
Mit Bescheid vom 28. Mai 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 1990 lehnte die Beklagte gegenüber der Witwe des Versicherten eine Entschädigung aufgrund des § 551 Abs. 1 RVO i.V.m. der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) und des § 551 Abs. 2 RVO aus Anlaß der Erkrankung des Versicherten an einem Bronchialkarzinom und des darauf zurückgeführten Todes u.a. gestützt auf eine Auskunft des BMA vom 6. August 1990 ab. Unumstrittene Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft darüber, daß die Berufsgruppe der im Straßenbau Beschäftigten infolge der in den Teerdämpfen enthaltenen krebserzeugenden Stoffe in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung an einem Bronchialkarzinom erkrankten, hätten weder zu Beginn der Erkrankung des Versicherten vorgelegen noch seien sie heute vorhanden.
In dem am 24. September 1990 beim SG anhängig gemachten Klageverfahren sind weitere Auskünfte des BMA vom 14. Dezember 1990 und 9. Dezember 1991 beigezogen worden. Ferner sind u.a. – wie im Verfahren des verstorbenen Ehemanns der Klägerin – das von Prof. Dr. M. anderer Sache erstellte Gutachten vom 17. Dezember 1990 sowie Veröffentlichungen des Prof. Dr. W. et al aus dem Jahre 1990 ("Krebsgefährdung bei Verwendung von Pechbitumen im Straßenbau”) und 1991 ("Bösartige Neubildungen der Atemwege bei Beschäftigten im Straßenbau: Ergebnisse einer kasuistisch-empirischen Analyse”) eingereicht worden. Mit Urteil vom 18. Oktober 1994 hat das SG die Klage im wesentlichen aus den Gründen der angefochtenen Bescheide abgewiesen.
Gegen das ihrem Prozeßbevollmächtigten am 20. Januar 1995 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. Februar 1995 Berufung eingelegt. Sie macht weiterhin geltend, daß im Zeitpunkt der Erkrankung des Versicherten neue wissenschaftlich gefestigte Erkenntnisse über die Übertragbarkeit der Verhältnisse der Kokereiarbeiter auf dem Straßenbau vorgelegen hätten. Das habe schon das BSG im Urteil vom 5. Februar 1980 – 2 RU 63/78 – entschieden und sei ggf. durch Anhörung des Prof. Dr. W. des Landesgewerbearztes und des Prof. Dr. M. zu untermauern. Nach einer Dokumentation des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften von Mai 1994 seien von 1978 bis 1992 auch mindestens vier Fälle von Bronchialkrebs bei Straßenbauarbeitern wegen der Exposition mit PAH anerkannt worden. In der Fachzeitschrift "Die Berufsgenossenschaft” (1994, S. 406) werde von weiteren entschädigten Krebsfällen mit ähnlicher Belastung berichtet. Beim BMA werde eine entsprechende Erweiterung der Liste der BK’en erörtert. Die Anwendung des § 551 Abs. 2 RVO sei überfällig. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. November 1995 hat die Klägerin ferner ein Manuskript von S. und W. aus dem Institut für Arbeits- und Sozialmedizin der Universitätskliniken G. überreicht.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 18. Oktober 1994 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Mai 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 1990 aufzuheben und ihr unter Anerkennung der Bronchialkarzinomerkrankung des Versicherten A. G. wie eine BK gemäß § 551 Abs. 2 RVO die seiner verstorbenen Witwe B. G. zustehende Hinterbliebenenrente und die dem Versicherten zu Lebzeiten zustehende Verletztenrente zu zahlen,
hilfsweise,
Prof. Dr. M. Prof. Dr. W. und den Landesgewerbearzt Dr. B. dazu zu hören, daß im Zeitpunkt der Erkrankung des Versicherten neue gesicherte Erkenntnisse darüber vorgelegen haben, daß die Situation der Kokereiarbeiter auf den Straßenbau übertragbar sei und zu den Kohortenstudien betreffend der Straßenbauarbeiter zu hören,
hilfsweise,
die vier bis sechs entschädigten Lungenkrebs- bzw. Kehlkopfkrebserkrankungsfälle aus dem Straßenbau bzw. Schwarzdeckenbau beizuziehen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist auf das Urteil des HLSG vom 28. Oktober 1992 – L-3/U-47/87 –, den hierzu ergangenen Beschluss des BSG vom 30. Juni 1993 – 2 BU 221/92 – sowie die in ähnlich gelagerten Fällen ergangenen Urteile des BSG vom 24. Januar 1990 – 2 RU 20/89 – und 12. Juni 1990 – 2 RU 21/89 –.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten und der Gerichtsakten einschließlich den der beigezogenen Akten S-8/U-109/84/L-3/U-47/87, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) n.F. zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat zu Recht entschieden, daß das zum Tode führende Bronchialkarzinom des Versicherten A. G. weder als BK noch wie eine BK nach § 551 Abs. 2 RVO entschädigt werden kann. Die Klägerin kann deshalb gegenüber der Beklagten als Rechtsnachfolgerin ihrer Mutter weder einen dieser nach dem Tod des Versicherten zustehenden Anspruch auf Hinterbliebenenrente (§ 590 RVO) noch einen dem Versicherten zu Lebzeiten zustehenden Anspruch auf Verletztenrente (§ 581 RVO) mit Erfolg geltend machen.
Das Bronchialkarzinom, das durch die berufliche Einwirkung von Teerdämpfen bzw. von PAH bei Straßenbauarbeiten verursacht worden sein soll, unterfällt nicht der Liste der BK’en in der Anlage 1 zur BKVO i.d.F. vom 8. Dezember 1986 (BGBl. I, S. 3329) oder späterer Änderungs-Verordnungen. Insbesondere ist auch die durch die Änderungs-Verordnung vom 22. März 1988 (BGBl. I, S. 400) rückwirkend für Versicherungsfälle nach dem 31. Dezember 1976 in die Anlage 1 zur BKVO aufgenommene Nr. 4110 ("Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Kokereirohgase”) nicht einschlägig, da eine Exposition des Versicherten gegenüber Kokereirohgasen nicht bestand.
Nach Auffassung des Senats liegen auch die Entschädigungsvoraussetzungen des § 551 Abs. 2 RVO nicht vor. Nach dieser Vorschrift sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der BKVO bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, "wie eine BK” entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs. 1 RVO erfüllt sind. Sinn dieser Regelung ist es nicht, jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelfall nachgewiesen oder hinreichend wahrscheinlich ist, wie eine BK zu entschädigen und einen lückenlosen Versicherungsschutz zu gewährleisten. Vielmehr sollen nur solche durch die versicherte Tätigkeit verursachte Krankheiten wie eine BK entschädigt werden, die nur deshalb nicht in die Liste der BK’en aufgenommen worden sind, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die Gefährdung bestimmter Personengruppen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage 1 zur BKVO noch nicht vorhanden waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten oder dem Verordnungsgeber noch nicht bekannt waren (s. u.a. BSGE 59, 295; BSG SozR 2200 § 551 Nr. 18).
Die für eine Entschädigung nach § 551 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 RVO erforderliche Voraussetzung, daß der Versicherte zu einer bestimmten Personengruppe gehört, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung Einwirkungen ausgesetzt ist, welche nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft geeignet sind, Krankheiten solcher Art, wie sie bei ihm bestehen, zu verursachen, liegt nicht vor. Dafür genügt es nicht, daß den im Steinkohlenteer enthaltenen PAH bzw. der Leitsubstanz Benzo(a)pyren allgemein und u.a. speziell für das Bronchialsystem eine karzinogene Wirkung beigemessen wird, Straßenbauarbeiter dieser Exposition zumindest in den 50er und 60er Jahren in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt waren und Prof. Dr. W. sowie der Landesgewerbearzt der beruflichen Einwirkung von PAH im konkreten Fall des Versicherten neben dem Zigarettenrauchen zumindest die Bedeutung einer wesentlichen Teilursache für das Auftreten eines Bronchialkarzinoms beigelegt haben. Die Voraussetzung einer erheblich höheren Gefährdung bestimmter Personengruppen bezieht sich nicht auf die Verursachung der Erkrankung durch die gefährdende Tätigkeit im konkreten Einzelfall und wird auch nicht allein schon durch den Nachweis der gemeinsamen höheren Gefährdung einer bestimmten Personengruppe durch die Exposition ("ausgesetzt”) gegenüber besonderen, in der medizinischen Wissenschaft allgemein als krankheitsverursachend anerkannten Einwirkungen im Sinne der toxikologischen Möglichkeit einer Schädigung erfüllt. Sie schließt auch das erheblich höhere Risiko der Erkrankung ein, das sich im allgemeinen Auftreten der bestimmten Krankheit in der bestimmten Personengruppe manifestieren muß (s. dazu auch Koch in BG 1993, S. 550, 551; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14. Juli 1993 – L-3/U-134/91 in Rdschr. BAGUV Nr. 21/94, rk). Soweit im Urteil des 8. Senats des BSG vom 29. Oktober 1981 (SozR 2200 § 551 Nr. 20) für die Anerkennung der Voraussetzungen des § 551 Abs. 2 RVO u.a. auf den Nachweis einer überhäufigen Erkrankungsrate verzichtet und darin offenbar nur ein Umstand gesehen wurde, aus dem sich "regelmäßig” die besondere gruppentypische Gefährdung bestimmter Personengruppen ergibt, führt dies zu keiner anderen Betrachtung. Denn dieses Urteil ist vom 2. Senat des BSG wiederholt mit den Besonderheiten des entschiedenen Sachverhalts erklärt worden (BSGE 59, 295; BSG, Urteile vom 30. Juli 1987 – 2 RU 30/86 und 11. Juni 1990 – 2 RU 53/89). Damit erübrigen sich weitere Mutmaßungen, ob dieses in seinen tatsächlichen Voraussetzungen und seiner rechtlichen Aussage immer umstritten gebliebene Urteil des 8. Senats (s. zB Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl., S. 492 o II) letztlich nicht doch auf einem grundsätzlich anderen – für die Versicherten günstigeren – Verständnis des § 551 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 RVO beruhte. Jedenfalls kann der neueren Rechtsprechung des 2. Senats des BSG u.a. insbesondere im Zusammenhang mit bösartigen Tumoren bei Straßenbauarbeitern nicht entnommen werden, daß der zahlenmäßige Nachweis eines überhäufigen Auftretens von Erkrankungsfällen verzichtbar ist bzw. für die zu treffende Feststellung, daß diese Personen (Berufs-)gruppe in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung krankheitsverursachenden Einwirkungen "ausgesetzt” (§ 551 Abs. 1 Satz 3 RVO) ist, ein "Anzeichen” (s. BSGE 59, 295) ist, von dem auch abgesehen werden kann. Ob eine Krankheit in einer bestimmten Personengruppe – hier bei Straßenbauarbeitern – im Rahmen der versicherten Tätigkeit häufiger auftritt als bei der übrigen Bevölkerung, erfordert nach dieser Rechtsprechung vielmehr den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsstörungen und eine langfristige zeitliche Überwachung derartiger Krankheitsbilder bei Straßenbauarbeiten, um daraus schließen zu können, daß die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt (s. BSG, Urteile vom 12. Juni 1990 – 2 RU 21/89 –, 24. Januar 1990 – 2 RU 20/89 – und Beschluss vom 30. Juni 1993 – 2 BU 212/92 – unter Hinweis auf BSGE 59, 295; s. auch BSG, Urteil vom 11. Juni 1990 – 2 RU 53/90). Es müßten im vorliegenden Fall also epidemiologische langfristige Untersuchungen mit statistisch relevanten Zahlen für eine Vielzahl von typischen Geschehensabläufen (s. auch Bundesverfassungsgericht – BVerfG – in SozR 2200 § 551 Nr. 11) und zwar speziell und gezielt für die Gruppe der Straßenbauarbeiter vorliegen, aus denen sich mit ausreichender Sicherheit ergibt, daß die besonderen Bedingungen, denen Straßenbauarbeiter ausgesetzt sind, die regelmäßig mit Steinkohlenteer oder damit verschnittenem Bitumen arbeiten, dazu führen, daß diese erheblich häufiger an bösartigen Tumoren der Atemwege bzw. an Bronchialkarzinomen erkranken als der Durchschnitt der Bevölkerung. Außerdem müssen diese Erkenntnisse nach den Entscheidungen des 8. Senats des BSG aus dem Jahre 1979 (BSG, Urteil vom 22. Februar 1979 – 8 a RU 44/78; BSG SozR 5670 Anl. I Nr. 4302 Nr. 1), denen sich u.a. der erkennende Senat bislang in ständiger Rechtsprechung wie auch in dem den Ehemann der Klägerin betreffenden Urteil vom 28. Oktober 1992 angeschlossen hat, "im maßgeblichen Zeitpunkt der Erkrankung oder des Todes (§ 551 Abs. 3 RVO)” vorgelegen haben. Das ist nicht der Fall.
Ergebnisse aus statistischen bzw. epidemiologischen Untersuchungen, die eine erhöhte Anzahl von bösartigen Tumoren der Atemwege und/oder der Lungen bei Straßenbauarbeitern belegen, gab es im maßgeblichen Zeitpunkt der Erkrankung und des Todes des Versicherten im Jahre 1985 nicht. Das steht aufgrund der im vorliegenden Verfahren eingeholten bzw. eingereichten Gutachten des Prof. Dr. , Prof. Dr. W. sowie des Prof. Dr. M. vom 17. Dezember 1990 und der Stellungnahmen des Landesgewerbearztes und des BMA fest, die den Ermittlungsergebnissen in dem den verstorbenen Ehemann der Klägerin betreffenden Verfahren S-8/U-109/84/L-3/U-47/87 sowie in weiteren ähnlich gelagerten Verfahren voll entsprechen (s. u.a. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Februar 1989 – L-7/U –
1195/88 – bestätigt durch BSG, Urteil vom 12. Juni 1990 – 2 RU 21/89 –, LSG Rheinland-Pfalz vom 14. Juli 1993 – L-3/U – 154/91, a.a.O.). Auch soweit zum Teil (s. z.B. Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 7. Mai 1986 – L-3/U-7/85 – und des LSG Berlin vom 14. Mai 1987 – L-3/U-13/83 –) eine Anwendung des § 551 Abs. 2 RVO befürwortet wurde, konnte sich diese Auffassung nicht auf Ergebnisse aus statistischen Untersuchungen für Straßenbauarbeiter stützen, die eine erhöhte Anzahl von bösartigen Tumoren der Atemwege und/oder der Lungen in dieser Personengruppe im Vergleich zur übrigen Bevölkerung bestätigen. Es trifft auch nicht zu, daß das BSG bereits in seinem früheren Urteil vom 5. Februar 1980 – 2 RU 63/78 – festgestellt hat, daß Bronchialkarzinome bei Straßenbauarbeitern durch ihre Arbeit im erheblich höherem Grade auftreten als bei der übrigen Bevölkerung (BSG, Beschluss vom 30. Juni 1993, a.a.O.). Vielmehr war das BSG in diesem Urteil aus revisionsrechtlichen Gründen lediglich an eine dahingehende Feststellung des LSG Rheinland-Pfalz vom 21. Juli 1978 – L-3/U-170/76 – gebunden, die der Senat weder im Verfahren betreffend den verstorbenen Ehemann der Klägerin für das Jahr 1982 noch im vorliegenden Verfahren für das Jahr 1985 bestätigen konnte und die vom LSG Rheinland-Pfalz im Urteil vom 14. Juli 1993 – L-3/U-134/91 (a.a.O.) selbst nicht mehr aufrechterhalten wurde. Die der späteren Aufnahme "bösartiger Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Kokereirohgase” als BK durch die Verordnung vom 22. März 1988 zugrundeliegenden und seit 1977 veröffentlichten Arbeiten des Prof. Dr. M., insbesondere die sie komplettierende und im Jahre 1983 veröffentlichte große Kohortenstudie, befassen sich nicht mit dem Personenkreis der Straßenbauarbeiter, sondern mit Kokereiarbeitern/Ofenblockarbeitern. Zwar hatte das BSG im Urteil vom 5. Februar 1980 – 2 RU 63/78 – darin noch kein grundsätzliches Hindernis gesehen, ohne insoweit an tatsächliche Feststellungen der Vorinstanz gebunden zu sein. In den späteren Entscheidungen wurde jedoch klargestellt, daß "bereits das” die Anwendbarkeit des § 551 Abs. 2 RVO ausschließt (BSG, Urteile vom 12. Juni 1990 – 2 RU 21/89 – und 24. Januar 1990 – 2 RU 20/89 –; BSG, Beschluss vom 30. Juni 1993 – 2 BU 212/92 –; BSGE 59, 295). Insoweit ist es auch unerheblich, daß der Landesgewerbearzt und Prof. Dr. W. aufgrund von Meßergebnissen über die Belastung von Straßenbauarbeitern mit PAH bei der Verwendung von Steinkohlenteer und Teerbitumen in Übereinstimmung mit der von Prof. Dr. M. u.a. in dem vorgelegten Gutachten vom 17. Dezember 1990 vertretenen Auffassung entgegen Prof. Dr. V./Priv.-Doz. Dr. H. wegen einer daraus abgeleiteten weitgehenden Vergleichbarkeit der Exposition mit PAH bzw. mit der Leitsubstanz Benzo(a)pyren eine Übertragung der Forschungsergebnisse für Kokereiarbeiter auf Straßenbauarbeiter für gerechtfertigt angesehen haben. Denn die Frage eines erhöhten Auftretens von Bronchialkarzinomen bei Straßenbauarbeitern ist nicht durch logische Überlegungen oder durch nicht allgemein anerkannte, sich auf analytische Daten des Arbeitsbereichs stützende Analogien, sondern nur durch den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsstörungen und eine langfristige zeitliche Überwachung derartiger Krankheitsbilder bei Straßenbauarbeitern positiv zu beantworten (s. insbesondere BSG, Beschluss vom 30. Juni 1993 – 2 BU 212/92 und HLSG, Urteil vom 28. Oktober 1992 – L-3/U – 47/87 –). Außerdem mußte es der den BMA medizinisch-wissenschaftlich beratende Ärztliche Sachverständigenbeirat auch unter Berücksichtigung der Forschungsarbeiten von Prof. Dr. M. und seiner auf Teerstoffe bzw. die darin enthaltenen PAH festgelegten Meinung bei der Aufnahme der BK Nr. 4110 offenlassen, welche der in Kokereirohgasen enthaltenen karzinogen wirkenden Substanzen nach gegenwärtigem Wissensstand allein oder im Zusammenwirken als wesentliche Ursache für die Entstehung der Tumore anzusehen sind (BR-Drucks. 33/88, S. 7 zu Art. 1 Nr. 5 – zu 4110; s. auch die beigezogene Auskunft des BMA vom 11. November 1988 im Verfahren S-8/U-109/84 und BSG, Urteile vom 12. Juni 1990 und 24. Januar 1990, a.a.O.). Damit fehlt für eine Übertragung der Forschungsergebnisse für Kokereiarbeiter auf andere Kollektive schon die entscheidende Grundvoraussetzung, nämlich die anerkanntermaßen gesicherte Identifizierung des bei Kokereiarbeitern krankheitsverursachenden Schadstoffes.
Unter diesen Umständen bedurfte es auch keiner Anhörung des Prof. Dr. W., Prof. Dr. M. und des Landesgewerbearztes zu der Frage, ob über die PAH-Situation/Exposition der Straßenbauarbeiter, mit der diese Ärzte die Übertragbarkeit der Forschungsergebnisse für Kokereiarbeiter begründet haben, im maßgeblichen Zeitpunkt der Erkrankung und des Todes des Versicherten im Jahre 1985 schon gesicherte Erkenntnisse vorlagen oder ob selbst diese Erkenntnisse bezüglich der Exposition allenfalls Jahre später vornehmlich aufgrund von Meßergebnissen im Rahmen des u.a. von Prof. Dr. W. seit 1983/1984 durchgeführten Forschungsprojekts "Identifizierung und Abschätzung des Krebsrisikos bei Verwendung von Bitumen-, Asphalt- und Teerprodukten insbesondere im Straßenbau” gewonnen wurden, wie es dem Gutachten von Prof. Dr. W. vom 6. April 1989 sowie den vorgelegten Veröffentlichungen dieses Arztes aus dem Jahre 1990/1991 entnommen werden könnte. Soweit die Klägerin sich im übrigen darauf bezieht, daß mindestens vier bis sechs Fälle von Bronchialkrebs bzw. Kehlkopfkrebs in der Zeit von 1978 bis 1992 bei Straßenbauarbeitern wegen der Exposition mit PAH gemäß § 551 Abs. 2 RVO anerkannt worden seien, ist auch damit gerade noch nichts darüber ausgesagt, daß Bronchialkarzinome bei Straßenbauarbeitern durch ihre Arbeit in einem erheblich höherem Grade auftreten als bei der übrigen Bevölkerung (BSG, Beschluss vom 30. Juni 1993, a.a.O.). Dem Antrag, die einschlägigen Verwaltungsvorgänge beizuziehen, war deshalb gleichfalls nicht stattzugeben.
Schließlich sind auch dem von der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. November 1995 vorgelegten Manuskript von S./W. (Oktober 1992) keine neuen Erkenntnisse zu entnehmen, denen ggf. weiter nachgegangen werden müßte. Daß diese Ärzte aus ihrer Sicht das Vorliegen ausreichender wissenschaftlicher Erkenntnisse für die Entschädigung bösartiger Neubildungen der Atemwege und der Lungen bei Straßenbauarbeitern mit Exposition gegenüber Steinkohlenteer und Teerbitumina gemäß § 551 Abs. 2 RVO bejahen, ist bekannt. Soweit sie sich hierfür in dem o.a. Manuskript u.a. auch auf die 1989 und 1991 veröffentlichte Kohortenstudie der dänischen Wissenschaftlerin Hansen über 679 dänische Straßenbauarbeiter in der Zeit von 1959 bis 1986 stützen, bleibt festzustellen, daß diese Studie schon vom Landesgewerbearzt Dr. B. in seiner Stellungnahme vom 26. September 1989 zusammen mit der eigenen epidemiologischen Fallstudie betreffend 194 Straßenbauarbeiter (Bolm-Audorff et al 1989) erwähnt wurde und ausgehend von den zitierten Urteilen des 8. Senats aus dem Jahre 1979 für den vorliegenden Fall schon deshalb keine rechtliche Bedeutung gewinnen können, weil sie erst lange nach Eintritt der Erkrankung und des Todes des Versicherten im Jahre 1985 vorlagen. Außerdem wurden beide Studien vom Landesgewerbearzt durchaus nicht als ausreichender oder gar allgemein anerkannter epidemiologischer Beweis für ein überhäufiges Auftreten bösartiger Tumore der Atemwege oder Lungen bei Straßenbauarbeitern bezeichnet. Sie wurden lediglich als ein zusätzliches "unterstützendes” Argument für das in erster Linie aus einer vergleichbaren erheblichen PAH-Exposition von Kokereiarbeitern und Straßenbauarbeitern/Teerarbeitern abgeleitete erhebliche Erkrankungsrisiko angeführt und von Prof. Dr. W. 13 im Gutachten vom 6. April 1989 und Prof. Dr. M. vom 17. Dezember 1990 noch nicht einmal für erwähnenswert gehalten. Aus dem vorgelegten Manuskript von S./W. ergibt sich zudem, daß die Kohortenstudie von H. sich in erster Linie mit der Einwirkung von "mastic” -Asphalt, der nur Bitumen, aber keinen Steinkohlenteer enthielt, befaßt, wobei bei älteren Beschäftigten eine Einwirkung auch von Steinkohlenteer als "bekanntermaßen krebserzeugende” Konkurrenzursache angenommen wurde. Die Autorin selbst führte die festgestellte Überhäufigkeit von Krebserkrankungen insbesondere Bronchialkrebs vor allem auf die Einwirkung von Bitumendämpfen zurück, ein Ergebnis, das von S. und W. bezweifelt wird. Denn diese weisen in Kenntnis der Kohortenstudie von H. darauf hin, daß es bislang keine hinreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse gebe, um das kanzerogene Risiko von reinem Bitumen (mit im Vergleich zu Teerbitumen weit niedrigerem PAH-Anteil) bei Menschen zu quantifizieren. Zwar ziehen W. und S. ihrerseits aufgrund der unterschiedlichen Erkrankungsraten in den im Rahmen der Studie von Hansen gebildeten drei Subkohorten (Beschäftigte mit wahrscheinlicher, möglicher oder unmöglicher Steinkohlenteerexposition während des zweiten Weltkriegs) bzw. der hohen Zahl von Erkrankungsfällen bei Beschäftigten mit wahrscheinlicher Einwirkung von Steinkohlenteer während des zweiten Weltkriegs sowie der von der Autorin angegebenen Werte von PAH bei der Verarbeitung von reinem "mastic” -Asphalt dann den Schluß, daß die PAH – zumindest wesentlich – für die erhöhte Zahl an Krebserkrankungen insbesondere der Atemwege mitverantwortlich gewesen sei und die Studie zeige, daß die Einwirkungen im Straßenbau generell geeignet seien, bösartige Tumore der Atemwege zu verursachen, womit ersichtlich in erster Linie die Einwirkung von Steinkohlenteer gemeint ist. Hierbei handelt es sich jedoch zum einen nur um die Interpretation einer mit anderer Zielsetzung und anderem Ergebnis durchgeführten epdidemiologischen Studie durch einzelne Wissenschaftler. Zum anderen ergibt sich aus den von S. W. als Ergebnis dieser Interpretation lediglich getroffenen Feststellung der generellen Geeignetheit von PAH-Einwirkungen im Straßenbau zur Herbeiführung von Atemwegstumoren nicht, wie das Erkrankungsrisiko für Straßenbauarbeiter bei der Verwendung von Steinkohlenteer und teerhaltigem Bitumen als Bindemittel im Vergleich zur Normalbevölkerung zu beziffern ist. Erst recht wird nicht behauptet, daß für diese Arbeitnehmer die Studie von Hansen unmittelbar oder durch Interpretation nun den ausreichend gesicherten und allgemein anerkannten epidemiologischen-statistischen Beweis für ein berufstypisches, erheblich höheres Erkrankungsrisiko erbringt. Auch für S./W. ist die Kohortenstudie von H. ebenso wie für den Landesgewerbearzt nur einer von mehreren Aspekten bei ihrer Beweisführung im Hinblick auf die befürwortete Anwendung des § 551 Abs. 2 RVO bei bösartigen Tumoren von Teerarbeitern im Straßenbau, mit der das Vorliegen eines gruppentypischen erheblich höheren Erkrankungsrisikos im Vergleich zur Normalbevölkerung in der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geforderten Art und Weise jedoch weder für den Zeitpunkt der Erkrankung und des Todes des Versicherten im Jahre 1985 noch für einen späteren Zeitpunkt z.B. 1992 zu belegen ist (so auch LSG Rheinland-Pfalz vom 14. Juli 1993 – L-3/U-134/91 – unter Einbeziehung u.a. der Kohortenstudie von H.).
Im Gegensatz zum erkennenden Senat hat allerdings das LSG Niedersachsen in einem neueren, rechtskräftig gewordenen Urteil vom 17. März 1994 – L-3/U-131/92 – die Voraussetzung des § 551 Abs. 2 RVO für die Anerkennung des Bronchialkarzinoms eines als Teer- und Bitumenwerker beschäftigten und im Jahre 1986 verstorbenen Versicherten mit der Begründung bejaht, daß sich zwischen 1989 und 1991 die Erkenntnisse über ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko über die Gruppe der Kokereiarbeiter hinaus auch für alle anderen Arbeitnehmer, die über längere Zeiträume nicht unerheblich gegenüber Pyrolyseprodukten vornehmlich PAH exponiert seien, insbesondere für Arbeiter im Schwarzdeckenbau, durch viel umfassendere neue Erkenntnisse bezüglich der Exposition gegenüber Pyrolyseprodukten – auch gegenüber Teer-/Pechbitumendämpfen im Schwarzdeckenbau – zur BK-Reife verdichtet hätten. Entgegen der vom 8. Senat des BSG in den zitierten Urteilen aus dem Jahre 1979 vertretenen und – soweit ersichtlich – bislang zumindest ausdrücklich nicht revidierten Rechtsauffassung wurde es hierbei jedoch zum einen für unerheblich gehalten, daß die gesicherten Erkenntnisse erst Jahre nach dem Tod des Versicherten gewonnen wurden. Zum anderen ist auch diesem Urteil nicht zu entnehmen, daß inzwischen statistische Untersuchungen/epidemiologische Studien speziell für die Personengruppe der Straßenbauarbeiter existieren bzw. zwischen 1989 und 1991 veröffentlicht wurden, die anerkanntermaßen ein erheblich gehäuftes Auftreten von Bronchialkarzinomen bei Exposition gegenüber Steinkohlenteer oder damit verschnittenem Bitumen ausreichend sicher belegen und dem erkennenden Senat und dem LSG Rheinland-Pfalz bei seiner Entscheidung vom 14. Juli 1993 – L-3/U-134/91 – (a.a.O.) verborgen geblieben sind. Zwar werden die der Entscheidung des LSG Niedersachsen zugrunde gelegten Untersuchungen und epidemiologischen Studien im einzelnen nicht näher bezeichnet. Ersichtlich hat sich das LSG ebenso wie u.a. Prof. Dr. W. in seinem im vorliegenden Verfahren erstatteten Gutachten vom 6. April 1989 jedoch im wesentlichen nur auf neue Meßergebnisse von Pyrolyseprodukten vornehmlich PAH im Arbeitsbereich verschiedener Berufsgruppen u.a. dem der Straßenbauarbeiter – also auf neue Erkenntnisse bezüglich der "Exposition” – sowie auf deren Vergleichbarkeit mit der Exposition von Kokereiarbeitern gestützt, wobei offenbleibt, aufgrund welcher neuer Untersuchungen seit der Änderung der BKVO 1988 PAH bei Kokereiarbeitern nun als maßgeblicher Schadstoff für das überhäufige Auftreten von Tumoren der Atemwege und der Lungen ausreichend sicher identifiziert worden sein soll.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zugelassen, weil er angesichts der divergierenden Interpretation der Rechtsprechung des BSG durch die untergeordneten Gerichte und die Versicherungsträger im Interesse einer Gleichbehandlung der Anspruchsteller folgende Fragen für klärungs- oder klarstellungsbedürftig hält, zumal von deren Beantwortung auch der in den Fällen des § 551 Abs. 2 RVO zu betreibende Ermittlungsaufwand entscheidend abhängt:
1. Müssen die neuen Erkenntnisse entsprechend den Entscheidungen des 8. Senats des BSG aus dem Jahre 1979 bereits im Zeitpunkt der Erkrankung oder des Todes des Versicherten als dem "maßgeblichen Zeitpunkt” vorgelegen haben? Oder ist diese Rechtsauffassung vom 2. Senat des BSG unter Berücksichtigung u.a. des Urteils vom 5. Februar 1980 – 2 RU 63/78 – (Erkrankung 1970, verwertete Erkenntnisse 1977) und der Urteile zu den Rückwirkungsregelungen zB der VO zur Änderung der BKVO vom 22. März 1988 und der VO zur Änderung der BKVO vom 18. Dezember 1992 eventuell nie geteilt worden? So stellte sich zB die in diesem Zusammenhang diskutierte Frage der Beseitigung eines einmal nach § 551 Abs. 2 RVO entstandenen Rechtsanspruchs durch den Verordnungsgeber, der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit einer zeitlich begrenzten Rückwirkungsklausel oder der Aufhebung der Rückwirkungsregelungen durch Entscheidungen nach § 551 Abs. 2 RVO für Zeiten vor dem Vorliegen gesicherter medizinischer Erkenntnisse ausgehend von der Rechtsprechung des 8. Senats aus dem Jahre 1979 schon im Ansatz nicht, weil die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs nach § 551 Abs. 2 RVO ggf. insoweit nie vorgelegen haben und die Krankheit auch unabhängig von der Rückwirkungsregelung nicht nach § 551 Abs. 2 RVO "wie eine BK” hätte entschädigt werden können.
2. Ist für die Feststellung einer arbeitsbedingten gruppentypischen Gefährdung stets der Nachweis einer erheblich höheren "Erkrankungshäufigkeit” erforderlich und kann dieser Nachweis nur durch langfristige epidemiologische Untersuchungen sowie nur durch solche Untersuchungen dieser Art erbracht werden, die sich mit der "Berufsgruppe” befassen, der der Versicherte angehört?
Oder sind auch andere Methoden der Beweisführung grundsätzlich zulässig (so zB auch Koch in BG 1993, S. 550, 551)?
II. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin ist die Tochter des 1907 geborenen und 1985 an den Folgen eines im Juli 1985 diagnostizierten kleinzelligen Bronchialkarzinoms verstorbenen Versicherten A. G. Streitig ist, ob die Erkrankung gemäß § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) wie eine Berufskrankheit (BK) zu entschädigen ist und die Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihrer während des erstinstanzlichen Verfahrens am 18. Januar 1993 ebenfalls verstorbenen Mutter B. G., Witwe und Rechtsnachfolgerin des Versicherten, von der Beklagten Hinterbliebenenrente sowie Verletztenrente verlangen kann, die vom Versicherten noch zu Lebzeiten im Oktober 1985 beantragt worden waren.
Der Versicherte war von 1948 bis Dezember 1972 Inhaber eines kleinen Tiefbauunternehmens mit durchschnittlich ca. 10 Beschäftigten, das er mit Wirkung vom 1. Januar 1973 an seinen Schwiegersohn übergab. Danach arbeitete er noch etwa zwei Jahre auf verschiedenen Baustellen, indem er diese beaufsichtigte und notfalls auch selbst Hand anlegte. Nach den Ermittlungen des Technischen Aufsichtsbeamten war er zumindest in den Jahren 1954 bis 1970 bei Straßenbauarbeiten zeitweise bzw. schätzungsweise insgesamt 3.730 bis 3.840 Stunden den Dämpfen von auf 100 bis 120° C erhitztem Steinkohlenteer ausgesetzt gewesen. Bis 1954 waren bei Straßenbauarbeiten Steinkohlenteer und Bitumenemulsion im Kaltverfahren aufgetragen worden; ab Ende der 60er Jahre bzw. ab 1970 wurde Steinkohlenteer durch Bitumen ersetzt.
Bis etwa September 1985 hatte der Versicherte täglich ca. 10 Zigaretten geraucht und litt seit vielen Jahren an einer chronisch-obstruktiven Bronchitis mit erheblichen Ventilationsstörungen. Sein im Unternehmen schon seit 1961 mitarbeitender Schwiegersohn (Ehemann der Klägerin) war im September 1982 im Alter von 43 Jahren ebenfalls an den Folgen eines Bronchialkarzinoms verstorben. Eine Entschädigung dieses Erkrankungsfalls wurde u.a. unter dem Gesichtspunkt des § 551 Abs. 2 RVO nach Einholung bzw. Beiziehung von in anderen Verfahren erstatteten zahlreichen arbeitsmedizinischen Gutachten und Stellungnahmen des Prof. Dr. W. Universitätskliniken G. des Prof. Dr. V., Universitätskliniken E., des Prof. Dr. K., Universitätskliniken M., und eines Gutachtens des Prof. Dr. M. vom 17. Dezember 1990 sowie diverser Stellungnahmen des Landesgewerbearztes und des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) rechtskräftig abgelehnt (Bescheide der Beklagten vom 5. September 1983 und 28. März 1984; Urteile des Sozialgerichts Frankfurt am Main – SG – vom 4. November 1986 – S-8/U-109/84 – und des Hessischen Landessozialgerichts – HLSG – vom 28. Oktober 1992 – L-3/U-47/87 –; Beschluss des Bundessozialgerichts – BSG – vom 30. Juni 1993 – 2 BU 212/92 –).
In dem von der Beklagten im vorliegenden Verfahren eingeholten Gutachten vom 9. Juli 1987 des Prof. Dr. V./Priv.-Doz. Dr. H. wurden die Voraussetzungen für eine Entschädigung nach § 551 Abs. 2 RVO gleichfalls verneint. Zwar sei unbestritten, daß der Versicherte der dampf- und staubförmigen Einwirkung von Teer und Bitumen in einem höheren Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt gewesen sei. Bislang gebe es jedoch keine epidemiologisch gesicherten Hinweise dafür, daß Beschäftigte im Straßenbau einem erhöhten Risiko für Atemwegskarzinome unterlägen. Daß auch Steinkohlenteerprodukte in der MAK-Liste als gesichert krebsgefährdend in der Gruppe A I ausgewiesen seien und schon seit Jahrzehnten teerinduzierte Hautkrebse Bestandteil der BK-Liste seien, besage nichts über ein signifikant häufigeres Auftreten von Bronchialkarzinomen bei Straßenbauarbeitern im Vergleich zur übrigen Bevölkerung. Ein gelegentlich praktizierter Vergleich mit der Gruppe der Dachdecker oder der Kokereiarbeiter/Ofenblockarbeiter sei wissenschaftlich unzulässig. Bei Dachdeckern sei oft eine zusätzliche Asbeststaubbelastung eruierbar. Hinsichtlich der Kokereiarbeiter, für die die Aufnahme bösartiger Erkrankungen der Atemwege in die Liste der BK’en empfohlen worden sei, sei festzustellen, daß Kokereigase aufgrund der unterschiedlichen Verarbeitungstemperaturen mit Teerdämpfen im Straßenbau nicht vergleichbar seien.
Demgegenüber vertraten der Landesgewerbearzt Dr. B. in Stellungnahmen vom 24. September 1987 und 26. September 1989 sowie Prof. Dr. W. im Gutachten vom 6. April 1989 die Auffassung, daß die arbeitsmedizinisch-epidemiologischen Ergebnisse über ein erhöhtes Bronchialkarzinomrisiko von Kokereiarbeitern auch auf die Verhältnisse im Bereich des Straßenbaus bei Verwendung von Steinkohlenteer und Teerbitumen als Bindemittel übertragbar seien, wie es auch bereits vom BSG im Urteil vom 5. Februar 1980 entschieden worden sei. Denn die inhalative Exposition der Teerarbeiter im Straßenbau in den 50er und 60er Jahren mit den im Steinkohlenteer enthaltenen und als stark kerbserzeugend angesehenen polyaromtischen Kohlenwasserstoffen (PAH) bzw. die Exposition mit Benzo(a)pyren als einer Leitsubstanz für die Gefährdung durch PAH’s sei nach neueren Erkenntnissen der Schadstoffanalytik, insbesondere aufgrund von Meßergebnissen eines vom Bundesforschungsministerium seit 1984 geförderten und im Institut für Arbeitsmedizin der Universitätskliniken Gießen durchgeführten Projekts über krebserzeugende Arbeitsstoffe im Straßenbau beim Heißeinbau von Carbobitumen, im Wege retrospektiver Risikoabschätzung zumindest mit der Exposition vergleichbar, der Kokereiarbeiter mit Arbeitsplatz an der Ofenseite ausgesetzt seien. Die Auffassung des Prof. Dr. V. daß wegen der unterschiedlichen Verarbeitungstemperaturen eine vergleichbare Exposition mit PAH im Bereich von Kokereien und im Straßenbau bei der Verarbeitung von Steinkohlenteer nicht bestehe, sei somit nicht haltbar. Da die berufliche inhalative Einwirkung von krebserzeugenden PAH im Falle des Versicherten vor allem in der Zeit von 1954 bis 1970 unter Berücksichtigung der epidemiologischen Untersuchungen bei Kokereiarbeitern etwa einem Lungenkrebsrisiko von 1 % entsprochen habe und damit vergleichbar hoch der Gefährdung durch das 20jährige Inhalationsrauchen von täglich zehn Zigaretten gewesen sei, sei sie neben dem Zigarettenkonsum zumindest als wesentliche Mitursache für das Auftreten des Bronchialkarzinoms anzusehen. Eine Anerkennung als Quasi-BK mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v.H. ab August 1985 entsprechend der Öffnungsklausel des § 551 Abs. 2 RVO sei deshalb geboten, auch wenn arbeitsmedizinisch-epidemiologische Studien über die Tumorhäufigkeit bei Straßenbauarbeitern insbesondere von Straßenbauarbeitern, die in den 50er und 60er Jahren hauptsächlich Teer als Bindemittel eingesetzt hätten, in ausreichendem Maße fehlten. Vom Landesgewerbearzt wurde ergänzend noch darauf hingewiesen, daß die Exposition im Straßenbau 1985 auch von einer Expertenkommission im Auftrag der Internationalen Agentur für Krebsforschung in Lyon – einer Einrichtung der Weltgesundheitsorganisation – als kausal für Bronchialkarzinome eingestuft worden sei, hierfür insbesondere die Exposition mit PAH bei der Verarbeitung von Steinkohlenteer angeführt worden sei und der Zusammenhang zwischen der Exposition mit Teer bei Straßenbauarbeitern und der Entstehung von Bronchialkarzinomen außerdem durch zwei erst nach der Erkrankung des Versicherten gewonnene Untersuchungsergebnisse unterstützt werde. So habe eine Untersuchung der dänischen Wissenschaftlerin Hansen aus dem Jahre 1989 bei 679 dänischen Straßenbauarbeitern und eine eigene epidemiologische Fall-Kontrollstudie bei 194 Patienten (Bolm-Audorff et al 1989) ein um den Faktor 3,4 bzw. 3,7 signifikant erhöhtes Lungenkrebsrisiko ergeben.
Mit Bescheid vom 28. Mai 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 1990 lehnte die Beklagte gegenüber der Witwe des Versicherten eine Entschädigung aufgrund des § 551 Abs. 1 RVO i.V.m. der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) und des § 551 Abs. 2 RVO aus Anlaß der Erkrankung des Versicherten an einem Bronchialkarzinom und des darauf zurückgeführten Todes u.a. gestützt auf eine Auskunft des BMA vom 6. August 1990 ab. Unumstrittene Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft darüber, daß die Berufsgruppe der im Straßenbau Beschäftigten infolge der in den Teerdämpfen enthaltenen krebserzeugenden Stoffe in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung an einem Bronchialkarzinom erkrankten, hätten weder zu Beginn der Erkrankung des Versicherten vorgelegen noch seien sie heute vorhanden.
In dem am 24. September 1990 beim SG anhängig gemachten Klageverfahren sind weitere Auskünfte des BMA vom 14. Dezember 1990 und 9. Dezember 1991 beigezogen worden. Ferner sind u.a. – wie im Verfahren des verstorbenen Ehemanns der Klägerin – das von Prof. Dr. M. anderer Sache erstellte Gutachten vom 17. Dezember 1990 sowie Veröffentlichungen des Prof. Dr. W. et al aus dem Jahre 1990 ("Krebsgefährdung bei Verwendung von Pechbitumen im Straßenbau”) und 1991 ("Bösartige Neubildungen der Atemwege bei Beschäftigten im Straßenbau: Ergebnisse einer kasuistisch-empirischen Analyse”) eingereicht worden. Mit Urteil vom 18. Oktober 1994 hat das SG die Klage im wesentlichen aus den Gründen der angefochtenen Bescheide abgewiesen.
Gegen das ihrem Prozeßbevollmächtigten am 20. Januar 1995 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. Februar 1995 Berufung eingelegt. Sie macht weiterhin geltend, daß im Zeitpunkt der Erkrankung des Versicherten neue wissenschaftlich gefestigte Erkenntnisse über die Übertragbarkeit der Verhältnisse der Kokereiarbeiter auf dem Straßenbau vorgelegen hätten. Das habe schon das BSG im Urteil vom 5. Februar 1980 – 2 RU 63/78 – entschieden und sei ggf. durch Anhörung des Prof. Dr. W. des Landesgewerbearztes und des Prof. Dr. M. zu untermauern. Nach einer Dokumentation des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften von Mai 1994 seien von 1978 bis 1992 auch mindestens vier Fälle von Bronchialkrebs bei Straßenbauarbeitern wegen der Exposition mit PAH anerkannt worden. In der Fachzeitschrift "Die Berufsgenossenschaft” (1994, S. 406) werde von weiteren entschädigten Krebsfällen mit ähnlicher Belastung berichtet. Beim BMA werde eine entsprechende Erweiterung der Liste der BK’en erörtert. Die Anwendung des § 551 Abs. 2 RVO sei überfällig. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. November 1995 hat die Klägerin ferner ein Manuskript von S. und W. aus dem Institut für Arbeits- und Sozialmedizin der Universitätskliniken G. überreicht.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 18. Oktober 1994 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Mai 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 1990 aufzuheben und ihr unter Anerkennung der Bronchialkarzinomerkrankung des Versicherten A. G. wie eine BK gemäß § 551 Abs. 2 RVO die seiner verstorbenen Witwe B. G. zustehende Hinterbliebenenrente und die dem Versicherten zu Lebzeiten zustehende Verletztenrente zu zahlen,
hilfsweise,
Prof. Dr. M. Prof. Dr. W. und den Landesgewerbearzt Dr. B. dazu zu hören, daß im Zeitpunkt der Erkrankung des Versicherten neue gesicherte Erkenntnisse darüber vorgelegen haben, daß die Situation der Kokereiarbeiter auf den Straßenbau übertragbar sei und zu den Kohortenstudien betreffend der Straßenbauarbeiter zu hören,
hilfsweise,
die vier bis sechs entschädigten Lungenkrebs- bzw. Kehlkopfkrebserkrankungsfälle aus dem Straßenbau bzw. Schwarzdeckenbau beizuziehen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist auf das Urteil des HLSG vom 28. Oktober 1992 – L-3/U-47/87 –, den hierzu ergangenen Beschluss des BSG vom 30. Juni 1993 – 2 BU 221/92 – sowie die in ähnlich gelagerten Fällen ergangenen Urteile des BSG vom 24. Januar 1990 – 2 RU 20/89 – und 12. Juni 1990 – 2 RU 21/89 –.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten und der Gerichtsakten einschließlich den der beigezogenen Akten S-8/U-109/84/L-3/U-47/87, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) n.F. zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat zu Recht entschieden, daß das zum Tode führende Bronchialkarzinom des Versicherten A. G. weder als BK noch wie eine BK nach § 551 Abs. 2 RVO entschädigt werden kann. Die Klägerin kann deshalb gegenüber der Beklagten als Rechtsnachfolgerin ihrer Mutter weder einen dieser nach dem Tod des Versicherten zustehenden Anspruch auf Hinterbliebenenrente (§ 590 RVO) noch einen dem Versicherten zu Lebzeiten zustehenden Anspruch auf Verletztenrente (§ 581 RVO) mit Erfolg geltend machen.
Das Bronchialkarzinom, das durch die berufliche Einwirkung von Teerdämpfen bzw. von PAH bei Straßenbauarbeiten verursacht worden sein soll, unterfällt nicht der Liste der BK’en in der Anlage 1 zur BKVO i.d.F. vom 8. Dezember 1986 (BGBl. I, S. 3329) oder späterer Änderungs-Verordnungen. Insbesondere ist auch die durch die Änderungs-Verordnung vom 22. März 1988 (BGBl. I, S. 400) rückwirkend für Versicherungsfälle nach dem 31. Dezember 1976 in die Anlage 1 zur BKVO aufgenommene Nr. 4110 ("Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Kokereirohgase”) nicht einschlägig, da eine Exposition des Versicherten gegenüber Kokereirohgasen nicht bestand.
Nach Auffassung des Senats liegen auch die Entschädigungsvoraussetzungen des § 551 Abs. 2 RVO nicht vor. Nach dieser Vorschrift sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der BKVO bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, "wie eine BK” entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs. 1 RVO erfüllt sind. Sinn dieser Regelung ist es nicht, jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelfall nachgewiesen oder hinreichend wahrscheinlich ist, wie eine BK zu entschädigen und einen lückenlosen Versicherungsschutz zu gewährleisten. Vielmehr sollen nur solche durch die versicherte Tätigkeit verursachte Krankheiten wie eine BK entschädigt werden, die nur deshalb nicht in die Liste der BK’en aufgenommen worden sind, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die Gefährdung bestimmter Personengruppen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage 1 zur BKVO noch nicht vorhanden waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten oder dem Verordnungsgeber noch nicht bekannt waren (s. u.a. BSGE 59, 295; BSG SozR 2200 § 551 Nr. 18).
Die für eine Entschädigung nach § 551 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 RVO erforderliche Voraussetzung, daß der Versicherte zu einer bestimmten Personengruppe gehört, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung Einwirkungen ausgesetzt ist, welche nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft geeignet sind, Krankheiten solcher Art, wie sie bei ihm bestehen, zu verursachen, liegt nicht vor. Dafür genügt es nicht, daß den im Steinkohlenteer enthaltenen PAH bzw. der Leitsubstanz Benzo(a)pyren allgemein und u.a. speziell für das Bronchialsystem eine karzinogene Wirkung beigemessen wird, Straßenbauarbeiter dieser Exposition zumindest in den 50er und 60er Jahren in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt waren und Prof. Dr. W. sowie der Landesgewerbearzt der beruflichen Einwirkung von PAH im konkreten Fall des Versicherten neben dem Zigarettenrauchen zumindest die Bedeutung einer wesentlichen Teilursache für das Auftreten eines Bronchialkarzinoms beigelegt haben. Die Voraussetzung einer erheblich höheren Gefährdung bestimmter Personengruppen bezieht sich nicht auf die Verursachung der Erkrankung durch die gefährdende Tätigkeit im konkreten Einzelfall und wird auch nicht allein schon durch den Nachweis der gemeinsamen höheren Gefährdung einer bestimmten Personengruppe durch die Exposition ("ausgesetzt”) gegenüber besonderen, in der medizinischen Wissenschaft allgemein als krankheitsverursachend anerkannten Einwirkungen im Sinne der toxikologischen Möglichkeit einer Schädigung erfüllt. Sie schließt auch das erheblich höhere Risiko der Erkrankung ein, das sich im allgemeinen Auftreten der bestimmten Krankheit in der bestimmten Personengruppe manifestieren muß (s. dazu auch Koch in BG 1993, S. 550, 551; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14. Juli 1993 – L-3/U-134/91 in Rdschr. BAGUV Nr. 21/94, rk). Soweit im Urteil des 8. Senats des BSG vom 29. Oktober 1981 (SozR 2200 § 551 Nr. 20) für die Anerkennung der Voraussetzungen des § 551 Abs. 2 RVO u.a. auf den Nachweis einer überhäufigen Erkrankungsrate verzichtet und darin offenbar nur ein Umstand gesehen wurde, aus dem sich "regelmäßig” die besondere gruppentypische Gefährdung bestimmter Personengruppen ergibt, führt dies zu keiner anderen Betrachtung. Denn dieses Urteil ist vom 2. Senat des BSG wiederholt mit den Besonderheiten des entschiedenen Sachverhalts erklärt worden (BSGE 59, 295; BSG, Urteile vom 30. Juli 1987 – 2 RU 30/86 und 11. Juni 1990 – 2 RU 53/89). Damit erübrigen sich weitere Mutmaßungen, ob dieses in seinen tatsächlichen Voraussetzungen und seiner rechtlichen Aussage immer umstritten gebliebene Urteil des 8. Senats (s. zB Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl., S. 492 o II) letztlich nicht doch auf einem grundsätzlich anderen – für die Versicherten günstigeren – Verständnis des § 551 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 RVO beruhte. Jedenfalls kann der neueren Rechtsprechung des 2. Senats des BSG u.a. insbesondere im Zusammenhang mit bösartigen Tumoren bei Straßenbauarbeitern nicht entnommen werden, daß der zahlenmäßige Nachweis eines überhäufigen Auftretens von Erkrankungsfällen verzichtbar ist bzw. für die zu treffende Feststellung, daß diese Personen (Berufs-)gruppe in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung krankheitsverursachenden Einwirkungen "ausgesetzt” (§ 551 Abs. 1 Satz 3 RVO) ist, ein "Anzeichen” (s. BSGE 59, 295) ist, von dem auch abgesehen werden kann. Ob eine Krankheit in einer bestimmten Personengruppe – hier bei Straßenbauarbeitern – im Rahmen der versicherten Tätigkeit häufiger auftritt als bei der übrigen Bevölkerung, erfordert nach dieser Rechtsprechung vielmehr den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsstörungen und eine langfristige zeitliche Überwachung derartiger Krankheitsbilder bei Straßenbauarbeiten, um daraus schließen zu können, daß die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt (s. BSG, Urteile vom 12. Juni 1990 – 2 RU 21/89 –, 24. Januar 1990 – 2 RU 20/89 – und Beschluss vom 30. Juni 1993 – 2 BU 212/92 – unter Hinweis auf BSGE 59, 295; s. auch BSG, Urteil vom 11. Juni 1990 – 2 RU 53/90). Es müßten im vorliegenden Fall also epidemiologische langfristige Untersuchungen mit statistisch relevanten Zahlen für eine Vielzahl von typischen Geschehensabläufen (s. auch Bundesverfassungsgericht – BVerfG – in SozR 2200 § 551 Nr. 11) und zwar speziell und gezielt für die Gruppe der Straßenbauarbeiter vorliegen, aus denen sich mit ausreichender Sicherheit ergibt, daß die besonderen Bedingungen, denen Straßenbauarbeiter ausgesetzt sind, die regelmäßig mit Steinkohlenteer oder damit verschnittenem Bitumen arbeiten, dazu führen, daß diese erheblich häufiger an bösartigen Tumoren der Atemwege bzw. an Bronchialkarzinomen erkranken als der Durchschnitt der Bevölkerung. Außerdem müssen diese Erkenntnisse nach den Entscheidungen des 8. Senats des BSG aus dem Jahre 1979 (BSG, Urteil vom 22. Februar 1979 – 8 a RU 44/78; BSG SozR 5670 Anl. I Nr. 4302 Nr. 1), denen sich u.a. der erkennende Senat bislang in ständiger Rechtsprechung wie auch in dem den Ehemann der Klägerin betreffenden Urteil vom 28. Oktober 1992 angeschlossen hat, "im maßgeblichen Zeitpunkt der Erkrankung oder des Todes (§ 551 Abs. 3 RVO)” vorgelegen haben. Das ist nicht der Fall.
Ergebnisse aus statistischen bzw. epidemiologischen Untersuchungen, die eine erhöhte Anzahl von bösartigen Tumoren der Atemwege und/oder der Lungen bei Straßenbauarbeitern belegen, gab es im maßgeblichen Zeitpunkt der Erkrankung und des Todes des Versicherten im Jahre 1985 nicht. Das steht aufgrund der im vorliegenden Verfahren eingeholten bzw. eingereichten Gutachten des Prof. Dr. , Prof. Dr. W. sowie des Prof. Dr. M. vom 17. Dezember 1990 und der Stellungnahmen des Landesgewerbearztes und des BMA fest, die den Ermittlungsergebnissen in dem den verstorbenen Ehemann der Klägerin betreffenden Verfahren S-8/U-109/84/L-3/U-47/87 sowie in weiteren ähnlich gelagerten Verfahren voll entsprechen (s. u.a. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Februar 1989 – L-7/U –
1195/88 – bestätigt durch BSG, Urteil vom 12. Juni 1990 – 2 RU 21/89 –, LSG Rheinland-Pfalz vom 14. Juli 1993 – L-3/U – 154/91, a.a.O.). Auch soweit zum Teil (s. z.B. Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 7. Mai 1986 – L-3/U-7/85 – und des LSG Berlin vom 14. Mai 1987 – L-3/U-13/83 –) eine Anwendung des § 551 Abs. 2 RVO befürwortet wurde, konnte sich diese Auffassung nicht auf Ergebnisse aus statistischen Untersuchungen für Straßenbauarbeiter stützen, die eine erhöhte Anzahl von bösartigen Tumoren der Atemwege und/oder der Lungen in dieser Personengruppe im Vergleich zur übrigen Bevölkerung bestätigen. Es trifft auch nicht zu, daß das BSG bereits in seinem früheren Urteil vom 5. Februar 1980 – 2 RU 63/78 – festgestellt hat, daß Bronchialkarzinome bei Straßenbauarbeitern durch ihre Arbeit im erheblich höherem Grade auftreten als bei der übrigen Bevölkerung (BSG, Beschluss vom 30. Juni 1993, a.a.O.). Vielmehr war das BSG in diesem Urteil aus revisionsrechtlichen Gründen lediglich an eine dahingehende Feststellung des LSG Rheinland-Pfalz vom 21. Juli 1978 – L-3/U-170/76 – gebunden, die der Senat weder im Verfahren betreffend den verstorbenen Ehemann der Klägerin für das Jahr 1982 noch im vorliegenden Verfahren für das Jahr 1985 bestätigen konnte und die vom LSG Rheinland-Pfalz im Urteil vom 14. Juli 1993 – L-3/U-134/91 (a.a.O.) selbst nicht mehr aufrechterhalten wurde. Die der späteren Aufnahme "bösartiger Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Kokereirohgase” als BK durch die Verordnung vom 22. März 1988 zugrundeliegenden und seit 1977 veröffentlichten Arbeiten des Prof. Dr. M., insbesondere die sie komplettierende und im Jahre 1983 veröffentlichte große Kohortenstudie, befassen sich nicht mit dem Personenkreis der Straßenbauarbeiter, sondern mit Kokereiarbeitern/Ofenblockarbeitern. Zwar hatte das BSG im Urteil vom 5. Februar 1980 – 2 RU 63/78 – darin noch kein grundsätzliches Hindernis gesehen, ohne insoweit an tatsächliche Feststellungen der Vorinstanz gebunden zu sein. In den späteren Entscheidungen wurde jedoch klargestellt, daß "bereits das” die Anwendbarkeit des § 551 Abs. 2 RVO ausschließt (BSG, Urteile vom 12. Juni 1990 – 2 RU 21/89 – und 24. Januar 1990 – 2 RU 20/89 –; BSG, Beschluss vom 30. Juni 1993 – 2 BU 212/92 –; BSGE 59, 295). Insoweit ist es auch unerheblich, daß der Landesgewerbearzt und Prof. Dr. W. aufgrund von Meßergebnissen über die Belastung von Straßenbauarbeitern mit PAH bei der Verwendung von Steinkohlenteer und Teerbitumen in Übereinstimmung mit der von Prof. Dr. M. u.a. in dem vorgelegten Gutachten vom 17. Dezember 1990 vertretenen Auffassung entgegen Prof. Dr. V./Priv.-Doz. Dr. H. wegen einer daraus abgeleiteten weitgehenden Vergleichbarkeit der Exposition mit PAH bzw. mit der Leitsubstanz Benzo(a)pyren eine Übertragung der Forschungsergebnisse für Kokereiarbeiter auf Straßenbauarbeiter für gerechtfertigt angesehen haben. Denn die Frage eines erhöhten Auftretens von Bronchialkarzinomen bei Straßenbauarbeitern ist nicht durch logische Überlegungen oder durch nicht allgemein anerkannte, sich auf analytische Daten des Arbeitsbereichs stützende Analogien, sondern nur durch den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsstörungen und eine langfristige zeitliche Überwachung derartiger Krankheitsbilder bei Straßenbauarbeitern positiv zu beantworten (s. insbesondere BSG, Beschluss vom 30. Juni 1993 – 2 BU 212/92 und HLSG, Urteil vom 28. Oktober 1992 – L-3/U – 47/87 –). Außerdem mußte es der den BMA medizinisch-wissenschaftlich beratende Ärztliche Sachverständigenbeirat auch unter Berücksichtigung der Forschungsarbeiten von Prof. Dr. M. und seiner auf Teerstoffe bzw. die darin enthaltenen PAH festgelegten Meinung bei der Aufnahme der BK Nr. 4110 offenlassen, welche der in Kokereirohgasen enthaltenen karzinogen wirkenden Substanzen nach gegenwärtigem Wissensstand allein oder im Zusammenwirken als wesentliche Ursache für die Entstehung der Tumore anzusehen sind (BR-Drucks. 33/88, S. 7 zu Art. 1 Nr. 5 – zu 4110; s. auch die beigezogene Auskunft des BMA vom 11. November 1988 im Verfahren S-8/U-109/84 und BSG, Urteile vom 12. Juni 1990 und 24. Januar 1990, a.a.O.). Damit fehlt für eine Übertragung der Forschungsergebnisse für Kokereiarbeiter auf andere Kollektive schon die entscheidende Grundvoraussetzung, nämlich die anerkanntermaßen gesicherte Identifizierung des bei Kokereiarbeitern krankheitsverursachenden Schadstoffes.
Unter diesen Umständen bedurfte es auch keiner Anhörung des Prof. Dr. W., Prof. Dr. M. und des Landesgewerbearztes zu der Frage, ob über die PAH-Situation/Exposition der Straßenbauarbeiter, mit der diese Ärzte die Übertragbarkeit der Forschungsergebnisse für Kokereiarbeiter begründet haben, im maßgeblichen Zeitpunkt der Erkrankung und des Todes des Versicherten im Jahre 1985 schon gesicherte Erkenntnisse vorlagen oder ob selbst diese Erkenntnisse bezüglich der Exposition allenfalls Jahre später vornehmlich aufgrund von Meßergebnissen im Rahmen des u.a. von Prof. Dr. W. seit 1983/1984 durchgeführten Forschungsprojekts "Identifizierung und Abschätzung des Krebsrisikos bei Verwendung von Bitumen-, Asphalt- und Teerprodukten insbesondere im Straßenbau” gewonnen wurden, wie es dem Gutachten von Prof. Dr. W. vom 6. April 1989 sowie den vorgelegten Veröffentlichungen dieses Arztes aus dem Jahre 1990/1991 entnommen werden könnte. Soweit die Klägerin sich im übrigen darauf bezieht, daß mindestens vier bis sechs Fälle von Bronchialkrebs bzw. Kehlkopfkrebs in der Zeit von 1978 bis 1992 bei Straßenbauarbeitern wegen der Exposition mit PAH gemäß § 551 Abs. 2 RVO anerkannt worden seien, ist auch damit gerade noch nichts darüber ausgesagt, daß Bronchialkarzinome bei Straßenbauarbeitern durch ihre Arbeit in einem erheblich höherem Grade auftreten als bei der übrigen Bevölkerung (BSG, Beschluss vom 30. Juni 1993, a.a.O.). Dem Antrag, die einschlägigen Verwaltungsvorgänge beizuziehen, war deshalb gleichfalls nicht stattzugeben.
Schließlich sind auch dem von der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. November 1995 vorgelegten Manuskript von S./W. (Oktober 1992) keine neuen Erkenntnisse zu entnehmen, denen ggf. weiter nachgegangen werden müßte. Daß diese Ärzte aus ihrer Sicht das Vorliegen ausreichender wissenschaftlicher Erkenntnisse für die Entschädigung bösartiger Neubildungen der Atemwege und der Lungen bei Straßenbauarbeitern mit Exposition gegenüber Steinkohlenteer und Teerbitumina gemäß § 551 Abs. 2 RVO bejahen, ist bekannt. Soweit sie sich hierfür in dem o.a. Manuskript u.a. auch auf die 1989 und 1991 veröffentlichte Kohortenstudie der dänischen Wissenschaftlerin Hansen über 679 dänische Straßenbauarbeiter in der Zeit von 1959 bis 1986 stützen, bleibt festzustellen, daß diese Studie schon vom Landesgewerbearzt Dr. B. in seiner Stellungnahme vom 26. September 1989 zusammen mit der eigenen epidemiologischen Fallstudie betreffend 194 Straßenbauarbeiter (Bolm-Audorff et al 1989) erwähnt wurde und ausgehend von den zitierten Urteilen des 8. Senats aus dem Jahre 1979 für den vorliegenden Fall schon deshalb keine rechtliche Bedeutung gewinnen können, weil sie erst lange nach Eintritt der Erkrankung und des Todes des Versicherten im Jahre 1985 vorlagen. Außerdem wurden beide Studien vom Landesgewerbearzt durchaus nicht als ausreichender oder gar allgemein anerkannter epidemiologischer Beweis für ein überhäufiges Auftreten bösartiger Tumore der Atemwege oder Lungen bei Straßenbauarbeitern bezeichnet. Sie wurden lediglich als ein zusätzliches "unterstützendes” Argument für das in erster Linie aus einer vergleichbaren erheblichen PAH-Exposition von Kokereiarbeitern und Straßenbauarbeitern/Teerarbeitern abgeleitete erhebliche Erkrankungsrisiko angeführt und von Prof. Dr. W. 13 im Gutachten vom 6. April 1989 und Prof. Dr. M. vom 17. Dezember 1990 noch nicht einmal für erwähnenswert gehalten. Aus dem vorgelegten Manuskript von S./W. ergibt sich zudem, daß die Kohortenstudie von H. sich in erster Linie mit der Einwirkung von "mastic” -Asphalt, der nur Bitumen, aber keinen Steinkohlenteer enthielt, befaßt, wobei bei älteren Beschäftigten eine Einwirkung auch von Steinkohlenteer als "bekanntermaßen krebserzeugende” Konkurrenzursache angenommen wurde. Die Autorin selbst führte die festgestellte Überhäufigkeit von Krebserkrankungen insbesondere Bronchialkrebs vor allem auf die Einwirkung von Bitumendämpfen zurück, ein Ergebnis, das von S. und W. bezweifelt wird. Denn diese weisen in Kenntnis der Kohortenstudie von H. darauf hin, daß es bislang keine hinreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse gebe, um das kanzerogene Risiko von reinem Bitumen (mit im Vergleich zu Teerbitumen weit niedrigerem PAH-Anteil) bei Menschen zu quantifizieren. Zwar ziehen W. und S. ihrerseits aufgrund der unterschiedlichen Erkrankungsraten in den im Rahmen der Studie von Hansen gebildeten drei Subkohorten (Beschäftigte mit wahrscheinlicher, möglicher oder unmöglicher Steinkohlenteerexposition während des zweiten Weltkriegs) bzw. der hohen Zahl von Erkrankungsfällen bei Beschäftigten mit wahrscheinlicher Einwirkung von Steinkohlenteer während des zweiten Weltkriegs sowie der von der Autorin angegebenen Werte von PAH bei der Verarbeitung von reinem "mastic” -Asphalt dann den Schluß, daß die PAH – zumindest wesentlich – für die erhöhte Zahl an Krebserkrankungen insbesondere der Atemwege mitverantwortlich gewesen sei und die Studie zeige, daß die Einwirkungen im Straßenbau generell geeignet seien, bösartige Tumore der Atemwege zu verursachen, womit ersichtlich in erster Linie die Einwirkung von Steinkohlenteer gemeint ist. Hierbei handelt es sich jedoch zum einen nur um die Interpretation einer mit anderer Zielsetzung und anderem Ergebnis durchgeführten epdidemiologischen Studie durch einzelne Wissenschaftler. Zum anderen ergibt sich aus den von S. W. als Ergebnis dieser Interpretation lediglich getroffenen Feststellung der generellen Geeignetheit von PAH-Einwirkungen im Straßenbau zur Herbeiführung von Atemwegstumoren nicht, wie das Erkrankungsrisiko für Straßenbauarbeiter bei der Verwendung von Steinkohlenteer und teerhaltigem Bitumen als Bindemittel im Vergleich zur Normalbevölkerung zu beziffern ist. Erst recht wird nicht behauptet, daß für diese Arbeitnehmer die Studie von Hansen unmittelbar oder durch Interpretation nun den ausreichend gesicherten und allgemein anerkannten epidemiologischen-statistischen Beweis für ein berufstypisches, erheblich höheres Erkrankungsrisiko erbringt. Auch für S./W. ist die Kohortenstudie von H. ebenso wie für den Landesgewerbearzt nur einer von mehreren Aspekten bei ihrer Beweisführung im Hinblick auf die befürwortete Anwendung des § 551 Abs. 2 RVO bei bösartigen Tumoren von Teerarbeitern im Straßenbau, mit der das Vorliegen eines gruppentypischen erheblich höheren Erkrankungsrisikos im Vergleich zur Normalbevölkerung in der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geforderten Art und Weise jedoch weder für den Zeitpunkt der Erkrankung und des Todes des Versicherten im Jahre 1985 noch für einen späteren Zeitpunkt z.B. 1992 zu belegen ist (so auch LSG Rheinland-Pfalz vom 14. Juli 1993 – L-3/U-134/91 – unter Einbeziehung u.a. der Kohortenstudie von H.).
Im Gegensatz zum erkennenden Senat hat allerdings das LSG Niedersachsen in einem neueren, rechtskräftig gewordenen Urteil vom 17. März 1994 – L-3/U-131/92 – die Voraussetzung des § 551 Abs. 2 RVO für die Anerkennung des Bronchialkarzinoms eines als Teer- und Bitumenwerker beschäftigten und im Jahre 1986 verstorbenen Versicherten mit der Begründung bejaht, daß sich zwischen 1989 und 1991 die Erkenntnisse über ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko über die Gruppe der Kokereiarbeiter hinaus auch für alle anderen Arbeitnehmer, die über längere Zeiträume nicht unerheblich gegenüber Pyrolyseprodukten vornehmlich PAH exponiert seien, insbesondere für Arbeiter im Schwarzdeckenbau, durch viel umfassendere neue Erkenntnisse bezüglich der Exposition gegenüber Pyrolyseprodukten – auch gegenüber Teer-/Pechbitumendämpfen im Schwarzdeckenbau – zur BK-Reife verdichtet hätten. Entgegen der vom 8. Senat des BSG in den zitierten Urteilen aus dem Jahre 1979 vertretenen und – soweit ersichtlich – bislang zumindest ausdrücklich nicht revidierten Rechtsauffassung wurde es hierbei jedoch zum einen für unerheblich gehalten, daß die gesicherten Erkenntnisse erst Jahre nach dem Tod des Versicherten gewonnen wurden. Zum anderen ist auch diesem Urteil nicht zu entnehmen, daß inzwischen statistische Untersuchungen/epidemiologische Studien speziell für die Personengruppe der Straßenbauarbeiter existieren bzw. zwischen 1989 und 1991 veröffentlicht wurden, die anerkanntermaßen ein erheblich gehäuftes Auftreten von Bronchialkarzinomen bei Exposition gegenüber Steinkohlenteer oder damit verschnittenem Bitumen ausreichend sicher belegen und dem erkennenden Senat und dem LSG Rheinland-Pfalz bei seiner Entscheidung vom 14. Juli 1993 – L-3/U-134/91 – (a.a.O.) verborgen geblieben sind. Zwar werden die der Entscheidung des LSG Niedersachsen zugrunde gelegten Untersuchungen und epidemiologischen Studien im einzelnen nicht näher bezeichnet. Ersichtlich hat sich das LSG ebenso wie u.a. Prof. Dr. W. in seinem im vorliegenden Verfahren erstatteten Gutachten vom 6. April 1989 jedoch im wesentlichen nur auf neue Meßergebnisse von Pyrolyseprodukten vornehmlich PAH im Arbeitsbereich verschiedener Berufsgruppen u.a. dem der Straßenbauarbeiter – also auf neue Erkenntnisse bezüglich der "Exposition” – sowie auf deren Vergleichbarkeit mit der Exposition von Kokereiarbeitern gestützt, wobei offenbleibt, aufgrund welcher neuer Untersuchungen seit der Änderung der BKVO 1988 PAH bei Kokereiarbeitern nun als maßgeblicher Schadstoff für das überhäufige Auftreten von Tumoren der Atemwege und der Lungen ausreichend sicher identifiziert worden sein soll.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zugelassen, weil er angesichts der divergierenden Interpretation der Rechtsprechung des BSG durch die untergeordneten Gerichte und die Versicherungsträger im Interesse einer Gleichbehandlung der Anspruchsteller folgende Fragen für klärungs- oder klarstellungsbedürftig hält, zumal von deren Beantwortung auch der in den Fällen des § 551 Abs. 2 RVO zu betreibende Ermittlungsaufwand entscheidend abhängt:
1. Müssen die neuen Erkenntnisse entsprechend den Entscheidungen des 8. Senats des BSG aus dem Jahre 1979 bereits im Zeitpunkt der Erkrankung oder des Todes des Versicherten als dem "maßgeblichen Zeitpunkt” vorgelegen haben? Oder ist diese Rechtsauffassung vom 2. Senat des BSG unter Berücksichtigung u.a. des Urteils vom 5. Februar 1980 – 2 RU 63/78 – (Erkrankung 1970, verwertete Erkenntnisse 1977) und der Urteile zu den Rückwirkungsregelungen zB der VO zur Änderung der BKVO vom 22. März 1988 und der VO zur Änderung der BKVO vom 18. Dezember 1992 eventuell nie geteilt worden? So stellte sich zB die in diesem Zusammenhang diskutierte Frage der Beseitigung eines einmal nach § 551 Abs. 2 RVO entstandenen Rechtsanspruchs durch den Verordnungsgeber, der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit einer zeitlich begrenzten Rückwirkungsklausel oder der Aufhebung der Rückwirkungsregelungen durch Entscheidungen nach § 551 Abs. 2 RVO für Zeiten vor dem Vorliegen gesicherter medizinischer Erkenntnisse ausgehend von der Rechtsprechung des 8. Senats aus dem Jahre 1979 schon im Ansatz nicht, weil die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs nach § 551 Abs. 2 RVO ggf. insoweit nie vorgelegen haben und die Krankheit auch unabhängig von der Rückwirkungsregelung nicht nach § 551 Abs. 2 RVO "wie eine BK” hätte entschädigt werden können.
2. Ist für die Feststellung einer arbeitsbedingten gruppentypischen Gefährdung stets der Nachweis einer erheblich höheren "Erkrankungshäufigkeit” erforderlich und kann dieser Nachweis nur durch langfristige epidemiologische Untersuchungen sowie nur durch solche Untersuchungen dieser Art erbracht werden, die sich mit der "Berufsgruppe” befassen, der der Versicherte angehört?
Oder sind auch andere Methoden der Beweisführung grundsätzlich zulässig (so zB auch Koch in BG 1993, S. 550, 551)?
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