Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 1001/75
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 9. Oktober 1975 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Unfallentschädigung für eine Herzmuskelschwäche und -schädigung.
Die 1930 geborene Klägerin meldete mit Schreiben vom 2. November 1971 bei der Beklagten einen Ansprach auf Unfallentschädigung an. Sie teilte hierzu mit, daß sie in der Zeit vom 15. Juni 1953 bis zum 10. Dezember 1955 in der Filmfabrik A., W., im Kreise B., als Hilfswerkerin tätig gewesen sei. Während einer Nachtschicht vom 30. April zum 1. Mai 1954 habe sie sich infolge einer Überanstrengung eine Herzmuskelschwäche zugezogen, da sie bei der zwölfstündigen Schicht zwei nicht erschienene Arbeitskolleginnen habe zusätzlich mit vertreten müssen. Sie sei erst gegen 3.30 Uhr abgelöst worden, nachdem sie schon zuvor völlig erschöpft gewesen sei und ins Freie habe laufen müssen, um durchatmen zu können. Die am 14. Dezember 1955 nach H. zugezogene Klägerin legte zur Begründung ihres Antrages ein ärztliches Attest des praktischen Arztes Dr. K., B. vom 27. Dezember 1966 bei, in dem ihr eine Schilddrüsen- und Herzerkrankung sowie Rheuma attestiert wurde. Die Beklagte ermittelte bei dem Träger der Sozialversicherung der DDR, dem Bundesvorstand des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes – FDGB – in Ost-Berlin und erhielt von dort mit Schreiben vom 19. Juni und 17. Juli 1972 die Auskünfte, daß über die Klägerin keine Vorgänge über eine Berufskrankheit – BK – und auch keine Krankengeschichten in den Polikliniken von W. und B. mehr vorlägen. Außerdem lies die Beklagte die Klägerin durch den Facharzt für Innere Medizin, Neurologie und Psychiatrie im Zentrum der Inneren Medizin der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität F., Prof. Dr. N. und Dr. M. sowie die Röntgenologen Prof. Dr. R. und Dr. Kö. untersuchen und begutachten. In ihren Gutachten vom 1. August 1974 gelangten Prof. Dr. N. und Dr. M. zu der Auffassung, daß bei der Klägerin eine Struma diffusa ersten Grades bei euthyreoter Stoffwechsellage vorliege. Hinweise für eine organische Herzkrankheit fänden sich nicht. Die geklagten Herzbeschwerden seien psycho-vegetativer Natur und beruhten auf einer reaktiven neurotischen Depression, die schicksalsbedingt sei. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Arbeitsschicht vom 30. April zum 1. Mai 1954 müsse ebenso wie eine gewerbliche Vergiftung verneint werden. Dieser Beurteilung schloß sich die Gewerbeärztin im Hessischen Sozialministerium Dr. W. am 20. Februar 1975 an. Mit Bescheid vom 21. März 1975 lehnte hierauf gestützt die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung ab.
Gegen diesen am 24. März 1975 mit Einschreiben abgesandten Bescheid hat die Klägerin mit dem bei der Beklagten am 24. April 1975 eingegangenen Schreiben vom 21. April 1975, das diese dem Sozialgericht in Gießen – SG – am 26. Mai 1975 vorgelegt hat, Klage erhoben und im wesentlichen zur Begründung ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Die Klägerin hat außerdem ärztliche Bescheinigung der Dres. We., K., Kl. und C. vom 24. Mai 1957, 2. Mai 1968, 17. Juli 1971 sowie vom 14. Juni 1972 und 16. April 1975 vorgelegt. Während Dr. K. am 2. Mai 1968 Arbeitsunfähigkeit wegen einer Venenentzündung attestierte, bescheinigten die übrigen Ärzte, daß die die Klägerin wegen einer starken vegetativen Dystonie bzw. schwerer reaktiver Depression aufgrund erheblicher Schicksalsschläge bzw. persönlicher Enttäuschungen behandelt hätten.
Mit Urteil vom 9. Oktober 1975 hat das SG die Klage abgewiesen, da weder ein Arbeitsunfall noch eine Berufskrankheit festzustellen sei.
Gegen dieses an sie mit Einschreiben am 13. November 1975 abgesandte Urteil hat die Klägerin bereits am 27. Oktober 1975 Berufung eingelegt und erneut auf die Einwirkungen der Arbeitsschicht vom 30. April zum 1. Mai 1954 in der Filmfabrik A.-W. als Ursache ihrer Herzmuskelstörung und Herzbeschwerden hingewiesen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 9. Oktober 1975 sowie den Bescheid vom 21. März 1975 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr wegen einer 1954 bei der Arbeit erlittenen Herzmuskelschädigung Unfallrente in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beruft sich auf die Ausschlußfrist des § 1546 Reichsversicherungsordnung – RVO – a.F.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Unfall- und Streitakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligtem damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Die statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und daher zulässig. Insbesondere liegt nicht der Berufungsausschließungsgrund des § 145 Nr. 1 – SGG – vor. Das SG hat es in seinem Urteil nicht auf die Verfolgung der Anmeldefrist nach § 1546 RVO a.F. abgestellt, sondern sachlich entschieden.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das auf die zulässige Klage ergangene sozialgerichtliche Urteil konnte nicht aufgehoben werden, da der angefochtene Bescheid nicht rechtswidrig ist. Die Klägerin hat weder aufgrund eines erlittenen Arbeitsunfalls (§ 542 RVO a.F. = § 548 RVO n.F.) noch wegen einer Berufskrankheit (§ 545 RVO a.F. = § 551 RVO n.F.) Anspruch auf Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Die Beklagte hat sich erstmals im Berufungsverfahren auf die Vorschrift des § 1546 RVO a.F. berufen. Diese Bestimmung ist auf den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch uneingeschränkt anzuwenden. Sie, die eine Entschädigung für einen Arbeitsunfall bzw. eine Berufskrankheit in W., also außerhalb der Bundesrepublik Deutschland begehrt, fiel, nachdem sie im Dezember 1955 nach H. verzogen war, zunächst unter das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz vom 7. August 1973 – FAG – (BGBl. I, S. 848), da sie sich nunmehr ständig in der Bundesrepublik Deutschland aufhält und von dem Versicherungsträger, bei dem das Versicherungsverhältnis bestand, keine Leistungen erhalten hat (§ 1 Abs. 1 FAG). Sie fällt auch unter den versicherten Personenkreis, da sie in der gesetzlichen Unfallversicherung bei einem außerhalb des Geltungsbereiches des Gesetzes befindlichen deutschen Versicherungsträger zum Zeitpunkt des behaupteten Arbeitsunfalls bzw. des Eintritts der Berufskrankheit versichert war (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 FAG), nämlich bei der dem FDGB für den Kreis B. unterstehenden Verwaltung der Sozialversicherung in der DDR (vgl. § 1 und 3 der Verordnung über die Sozialversicherung vom 26.4.1951, Gesetzbl. der DDR 49/151 S. 325; §§ 39–47 der Verordnung über Sozialpflichtversicherung vom 28. Januar 1947, mitgeteilt von Weser in "Die gesetzliche Rentenversicherung der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands”. Für die Leistungen nach § 1 FAG sowie für das Verfahren vor den Versicherungsbehörden waren nach dem FAG grundsätzlich die im Bundesgebiet geltenden Vorschriften der Sozialversicherung anzuwenden (§ 2 FAG). Diese Verweisung führt zur Anwendung des § 1546 RVO a.F. Nach dem FAG wurden Leistungen nur auf Antrag gewährt, d.h., der Antrag war Anspruchsvoraussetzung. Aus den vorgelegten Akten der Beklagten ergibt sich, daß die Klägerin den Antrag erstmalig im November 1971 gestellt hat.
An dieser Rechtslage hat sich durch das am 1. Januar 1959 in Kraft getretene Fremdrentengesetz vom 25. Februar 1960 (BGBl. I S. 93) – FRG – nur soviel geändert, als nach § 5 Abs. 1 FRG die Unfallentschädigung von Amts wegen festgestellt wird. Die Klägerin fällt auch unter das FRG. Die Anspruchsvoraussetzungen bezüglich des geschützten Personenkreises im § 5 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 FRG haben sich gegenüber § 1 Abs. 1 und Abs. 1 Nr. 1 FAG nicht geändert. Aber auch nach § 10 FRG gelten die Fristen der §§ 1546 und 1548 RVO a.F., allerdings mit der Maßgabe, daß sie mit dem 1. des Monats, der dem Monat folgt, in dem der Berechtigte im Geltungsbereich dieses Gesetzes seinen Aufenthalt genommen hat, zu laufen beginnen. Da die Klägerin am 14. Dezember 1955 in die Bundesrepublik Deutschland kam, fiel der Beginn der Frist auf den 1. Januar 1956, so daß die Ausschlußfrist am 31. Dezember 1959 abgelaufen war. Hieran ändert nichts, daß das FRG erst zu einem späteren Zeitpunkt in Kraft getreten ist. Maßgeblich ist vielmehr der Zeitpunkt der Aufenthaltsnahme im Geltungsbereich des Gesetzes. Das FRG wollte keine Neueröffnung der Frist für die Fremdrentenfälle setzen, in denen der Betroffene bereits im Bundesgebiet rechtzeitig die Entschädigung hätte beantragen können. Das Fremdrenten- und Auslandsrentenneuregelungsgesetz vom 25. Februar 1960 enthält keine besondere Übergangsregelung. Das bedeutet, daß die Ausschlußfrist bereits vor Inkrafttreten des FRG am 1. Januar 1959 – wie hier – abgelaufen gewesen sein kann (vgl. auch Hörnigk-Jahn-Wickenhagen, Anm. 3 zu § 10 FRG). Auch das am 1. Juli 1963 in Kraft getretene Unfallversicherungsneuregelungsgesetz (UVNG) hat insoweit keine Änderung der Rechtslage gebracht. Danach ist § 1546 RVO a.F. nach Art. 4 § 2 Abs. 1 UVNG noch auf Arbeitsunfälle vor dem 1. Juli 1963 anwendbar.
Die Berufung der Beklagten auf den Ausschluß des Entschädigungsanspruches wegen der Versäumung der Anmeldefrist ist hier auch nicht rechtsmißbräuchlich. Die sachliche Berechtigung des von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs steht nämlich nicht außer Zweifel (vgl. BSG E 10, 88). Nach der von der Beklagten betriebenen Sachaufklärung und dem Vorbringen der Klägerin lassen sich keine Anhaltspunkte dafür finden, daß bei ihr eine Herzmuskelschädigung und Herzschwäche vorliegen und diese zudem ihre Ursache in einem Arbeitsunfall oder aber einer Berufskrankheit haben. Aufgrund des von dem Facharzt für Innere Medizin, Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. N. und des Dr. M. am 1. August 1974 erstattetem Gutachtens ist erwiesen, daß die Klägerin unter einer Struma diffusa 1. Grades bei euthyreoter Stoffwechsellage sowie psychovegetativ bedingter Herzbeschwerde aufgrund einer schicksalsbedingten reaktiven neurotischen Depression leidet. Eine organische Herzkrankheit ließ sich nicht feststellen. Auch aus den von der Klägerin im Verfahren des 1. Rechtszuges vorgelegten ärztlichen Bescheinigung der Dres. We., Kl. und C. vom 24. Mai 1957, 17. Juli 1971 sowie vom 14. Juni 1972 und 16. April 1975 ergeben sich keine Befunde über ein Herzleiden. Es werden vielmehr schwere reaktive Verstimmungszustände und Depressionen aufgrund erheblicher persönlicher Schicksalsschläge beschrieben. Bereits im Attest des Dr. We. vom 24. Mai 1957 wird als behandlungsbedürftig eine starke vegetative Dystonie angegeben. Daß diese Beschwerden ihre Ursache in einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit haben sollen, ist nicht erweislich. Die Klägerin meint, diese auf eine Nachtschicht im Filmwerk A. W. vom 30. April zum 1. Mai 1954 zurückführen zu können, bei der sie sich überanstrengt habe. Nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ist ein Arbeitsunfall ein plötzlich körperlich schädigendes Ereignis längstens während einer Arbeitsschicht, das hier in der bezeichneten Nachtschicht vorgelegen haben kann. Es ist aber nicht erweislich. Wie der Träger der Sozialversicherung in der DDR, der Bundesvorstand des FDGB der Beklagten mit Schreiben vom 19. Juni und 17. Juli 1972 mitgeteilt hat, liegen über eine Behandlung der Klägerin in den Polikliniken von W. und B. keine Krankengeschichten mehr vor. Es bestehen auch keine Vorgänge, die auf einen Arbeitsunfall hinweisen könnten. Gleiches gilt für eine Berufskrankheit. Vorliegend wäre die 5. Berufskrankheitenverordnung vom 26. Juli 1952 (Bundesgesetzblatt I S. 395) anzuwenden. Die Klägerin, die als Hilfswerkerin bis zu ihrem Umzug nach H. am 14. Dezember 1955 in der Filmfabrik A. W. tätig war, vermochte keinen Listenstoff, mit dem sie in Berührung gekommen sein könnte und der ihre vegetativen Beschwerden verursachen könnte, anzugeben. Auch insoweit hat der FDGB – Bundesvorstand am 19. Juni 1972 mitgeteilt, daß über eine Berufskrankheit der Klägerin keine Vorgänge zu ermitteln seien; es lägen auch keine Verdachtsmeldungen vor.
Nach alledem ist daher eine zweifelsfreie Anspruchsbegründetheit nicht gegeben, so daß die Geltendmachung der Bestimmung des § 1546 RVO a.F. durch die Beklagte nicht ermessensmißbräuchlich ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (160 SGG).
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Unfallentschädigung für eine Herzmuskelschwäche und -schädigung.
Die 1930 geborene Klägerin meldete mit Schreiben vom 2. November 1971 bei der Beklagten einen Ansprach auf Unfallentschädigung an. Sie teilte hierzu mit, daß sie in der Zeit vom 15. Juni 1953 bis zum 10. Dezember 1955 in der Filmfabrik A., W., im Kreise B., als Hilfswerkerin tätig gewesen sei. Während einer Nachtschicht vom 30. April zum 1. Mai 1954 habe sie sich infolge einer Überanstrengung eine Herzmuskelschwäche zugezogen, da sie bei der zwölfstündigen Schicht zwei nicht erschienene Arbeitskolleginnen habe zusätzlich mit vertreten müssen. Sie sei erst gegen 3.30 Uhr abgelöst worden, nachdem sie schon zuvor völlig erschöpft gewesen sei und ins Freie habe laufen müssen, um durchatmen zu können. Die am 14. Dezember 1955 nach H. zugezogene Klägerin legte zur Begründung ihres Antrages ein ärztliches Attest des praktischen Arztes Dr. K., B. vom 27. Dezember 1966 bei, in dem ihr eine Schilddrüsen- und Herzerkrankung sowie Rheuma attestiert wurde. Die Beklagte ermittelte bei dem Träger der Sozialversicherung der DDR, dem Bundesvorstand des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes – FDGB – in Ost-Berlin und erhielt von dort mit Schreiben vom 19. Juni und 17. Juli 1972 die Auskünfte, daß über die Klägerin keine Vorgänge über eine Berufskrankheit – BK – und auch keine Krankengeschichten in den Polikliniken von W. und B. mehr vorlägen. Außerdem lies die Beklagte die Klägerin durch den Facharzt für Innere Medizin, Neurologie und Psychiatrie im Zentrum der Inneren Medizin der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität F., Prof. Dr. N. und Dr. M. sowie die Röntgenologen Prof. Dr. R. und Dr. Kö. untersuchen und begutachten. In ihren Gutachten vom 1. August 1974 gelangten Prof. Dr. N. und Dr. M. zu der Auffassung, daß bei der Klägerin eine Struma diffusa ersten Grades bei euthyreoter Stoffwechsellage vorliege. Hinweise für eine organische Herzkrankheit fänden sich nicht. Die geklagten Herzbeschwerden seien psycho-vegetativer Natur und beruhten auf einer reaktiven neurotischen Depression, die schicksalsbedingt sei. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Arbeitsschicht vom 30. April zum 1. Mai 1954 müsse ebenso wie eine gewerbliche Vergiftung verneint werden. Dieser Beurteilung schloß sich die Gewerbeärztin im Hessischen Sozialministerium Dr. W. am 20. Februar 1975 an. Mit Bescheid vom 21. März 1975 lehnte hierauf gestützt die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung ab.
Gegen diesen am 24. März 1975 mit Einschreiben abgesandten Bescheid hat die Klägerin mit dem bei der Beklagten am 24. April 1975 eingegangenen Schreiben vom 21. April 1975, das diese dem Sozialgericht in Gießen – SG – am 26. Mai 1975 vorgelegt hat, Klage erhoben und im wesentlichen zur Begründung ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Die Klägerin hat außerdem ärztliche Bescheinigung der Dres. We., K., Kl. und C. vom 24. Mai 1957, 2. Mai 1968, 17. Juli 1971 sowie vom 14. Juni 1972 und 16. April 1975 vorgelegt. Während Dr. K. am 2. Mai 1968 Arbeitsunfähigkeit wegen einer Venenentzündung attestierte, bescheinigten die übrigen Ärzte, daß die die Klägerin wegen einer starken vegetativen Dystonie bzw. schwerer reaktiver Depression aufgrund erheblicher Schicksalsschläge bzw. persönlicher Enttäuschungen behandelt hätten.
Mit Urteil vom 9. Oktober 1975 hat das SG die Klage abgewiesen, da weder ein Arbeitsunfall noch eine Berufskrankheit festzustellen sei.
Gegen dieses an sie mit Einschreiben am 13. November 1975 abgesandte Urteil hat die Klägerin bereits am 27. Oktober 1975 Berufung eingelegt und erneut auf die Einwirkungen der Arbeitsschicht vom 30. April zum 1. Mai 1954 in der Filmfabrik A.-W. als Ursache ihrer Herzmuskelstörung und Herzbeschwerden hingewiesen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 9. Oktober 1975 sowie den Bescheid vom 21. März 1975 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr wegen einer 1954 bei der Arbeit erlittenen Herzmuskelschädigung Unfallrente in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beruft sich auf die Ausschlußfrist des § 1546 Reichsversicherungsordnung – RVO – a.F.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Unfall- und Streitakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligtem damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Die statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und daher zulässig. Insbesondere liegt nicht der Berufungsausschließungsgrund des § 145 Nr. 1 – SGG – vor. Das SG hat es in seinem Urteil nicht auf die Verfolgung der Anmeldefrist nach § 1546 RVO a.F. abgestellt, sondern sachlich entschieden.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das auf die zulässige Klage ergangene sozialgerichtliche Urteil konnte nicht aufgehoben werden, da der angefochtene Bescheid nicht rechtswidrig ist. Die Klägerin hat weder aufgrund eines erlittenen Arbeitsunfalls (§ 542 RVO a.F. = § 548 RVO n.F.) noch wegen einer Berufskrankheit (§ 545 RVO a.F. = § 551 RVO n.F.) Anspruch auf Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Die Beklagte hat sich erstmals im Berufungsverfahren auf die Vorschrift des § 1546 RVO a.F. berufen. Diese Bestimmung ist auf den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch uneingeschränkt anzuwenden. Sie, die eine Entschädigung für einen Arbeitsunfall bzw. eine Berufskrankheit in W., also außerhalb der Bundesrepublik Deutschland begehrt, fiel, nachdem sie im Dezember 1955 nach H. verzogen war, zunächst unter das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz vom 7. August 1973 – FAG – (BGBl. I, S. 848), da sie sich nunmehr ständig in der Bundesrepublik Deutschland aufhält und von dem Versicherungsträger, bei dem das Versicherungsverhältnis bestand, keine Leistungen erhalten hat (§ 1 Abs. 1 FAG). Sie fällt auch unter den versicherten Personenkreis, da sie in der gesetzlichen Unfallversicherung bei einem außerhalb des Geltungsbereiches des Gesetzes befindlichen deutschen Versicherungsträger zum Zeitpunkt des behaupteten Arbeitsunfalls bzw. des Eintritts der Berufskrankheit versichert war (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 FAG), nämlich bei der dem FDGB für den Kreis B. unterstehenden Verwaltung der Sozialversicherung in der DDR (vgl. § 1 und 3 der Verordnung über die Sozialversicherung vom 26.4.1951, Gesetzbl. der DDR 49/151 S. 325; §§ 39–47 der Verordnung über Sozialpflichtversicherung vom 28. Januar 1947, mitgeteilt von Weser in "Die gesetzliche Rentenversicherung der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands”. Für die Leistungen nach § 1 FAG sowie für das Verfahren vor den Versicherungsbehörden waren nach dem FAG grundsätzlich die im Bundesgebiet geltenden Vorschriften der Sozialversicherung anzuwenden (§ 2 FAG). Diese Verweisung führt zur Anwendung des § 1546 RVO a.F. Nach dem FAG wurden Leistungen nur auf Antrag gewährt, d.h., der Antrag war Anspruchsvoraussetzung. Aus den vorgelegten Akten der Beklagten ergibt sich, daß die Klägerin den Antrag erstmalig im November 1971 gestellt hat.
An dieser Rechtslage hat sich durch das am 1. Januar 1959 in Kraft getretene Fremdrentengesetz vom 25. Februar 1960 (BGBl. I S. 93) – FRG – nur soviel geändert, als nach § 5 Abs. 1 FRG die Unfallentschädigung von Amts wegen festgestellt wird. Die Klägerin fällt auch unter das FRG. Die Anspruchsvoraussetzungen bezüglich des geschützten Personenkreises im § 5 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 FRG haben sich gegenüber § 1 Abs. 1 und Abs. 1 Nr. 1 FAG nicht geändert. Aber auch nach § 10 FRG gelten die Fristen der §§ 1546 und 1548 RVO a.F., allerdings mit der Maßgabe, daß sie mit dem 1. des Monats, der dem Monat folgt, in dem der Berechtigte im Geltungsbereich dieses Gesetzes seinen Aufenthalt genommen hat, zu laufen beginnen. Da die Klägerin am 14. Dezember 1955 in die Bundesrepublik Deutschland kam, fiel der Beginn der Frist auf den 1. Januar 1956, so daß die Ausschlußfrist am 31. Dezember 1959 abgelaufen war. Hieran ändert nichts, daß das FRG erst zu einem späteren Zeitpunkt in Kraft getreten ist. Maßgeblich ist vielmehr der Zeitpunkt der Aufenthaltsnahme im Geltungsbereich des Gesetzes. Das FRG wollte keine Neueröffnung der Frist für die Fremdrentenfälle setzen, in denen der Betroffene bereits im Bundesgebiet rechtzeitig die Entschädigung hätte beantragen können. Das Fremdrenten- und Auslandsrentenneuregelungsgesetz vom 25. Februar 1960 enthält keine besondere Übergangsregelung. Das bedeutet, daß die Ausschlußfrist bereits vor Inkrafttreten des FRG am 1. Januar 1959 – wie hier – abgelaufen gewesen sein kann (vgl. auch Hörnigk-Jahn-Wickenhagen, Anm. 3 zu § 10 FRG). Auch das am 1. Juli 1963 in Kraft getretene Unfallversicherungsneuregelungsgesetz (UVNG) hat insoweit keine Änderung der Rechtslage gebracht. Danach ist § 1546 RVO a.F. nach Art. 4 § 2 Abs. 1 UVNG noch auf Arbeitsunfälle vor dem 1. Juli 1963 anwendbar.
Die Berufung der Beklagten auf den Ausschluß des Entschädigungsanspruches wegen der Versäumung der Anmeldefrist ist hier auch nicht rechtsmißbräuchlich. Die sachliche Berechtigung des von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs steht nämlich nicht außer Zweifel (vgl. BSG E 10, 88). Nach der von der Beklagten betriebenen Sachaufklärung und dem Vorbringen der Klägerin lassen sich keine Anhaltspunkte dafür finden, daß bei ihr eine Herzmuskelschädigung und Herzschwäche vorliegen und diese zudem ihre Ursache in einem Arbeitsunfall oder aber einer Berufskrankheit haben. Aufgrund des von dem Facharzt für Innere Medizin, Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. N. und des Dr. M. am 1. August 1974 erstattetem Gutachtens ist erwiesen, daß die Klägerin unter einer Struma diffusa 1. Grades bei euthyreoter Stoffwechsellage sowie psychovegetativ bedingter Herzbeschwerde aufgrund einer schicksalsbedingten reaktiven neurotischen Depression leidet. Eine organische Herzkrankheit ließ sich nicht feststellen. Auch aus den von der Klägerin im Verfahren des 1. Rechtszuges vorgelegten ärztlichen Bescheinigung der Dres. We., Kl. und C. vom 24. Mai 1957, 17. Juli 1971 sowie vom 14. Juni 1972 und 16. April 1975 ergeben sich keine Befunde über ein Herzleiden. Es werden vielmehr schwere reaktive Verstimmungszustände und Depressionen aufgrund erheblicher persönlicher Schicksalsschläge beschrieben. Bereits im Attest des Dr. We. vom 24. Mai 1957 wird als behandlungsbedürftig eine starke vegetative Dystonie angegeben. Daß diese Beschwerden ihre Ursache in einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit haben sollen, ist nicht erweislich. Die Klägerin meint, diese auf eine Nachtschicht im Filmwerk A. W. vom 30. April zum 1. Mai 1954 zurückführen zu können, bei der sie sich überanstrengt habe. Nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ist ein Arbeitsunfall ein plötzlich körperlich schädigendes Ereignis längstens während einer Arbeitsschicht, das hier in der bezeichneten Nachtschicht vorgelegen haben kann. Es ist aber nicht erweislich. Wie der Träger der Sozialversicherung in der DDR, der Bundesvorstand des FDGB der Beklagten mit Schreiben vom 19. Juni und 17. Juli 1972 mitgeteilt hat, liegen über eine Behandlung der Klägerin in den Polikliniken von W. und B. keine Krankengeschichten mehr vor. Es bestehen auch keine Vorgänge, die auf einen Arbeitsunfall hinweisen könnten. Gleiches gilt für eine Berufskrankheit. Vorliegend wäre die 5. Berufskrankheitenverordnung vom 26. Juli 1952 (Bundesgesetzblatt I S. 395) anzuwenden. Die Klägerin, die als Hilfswerkerin bis zu ihrem Umzug nach H. am 14. Dezember 1955 in der Filmfabrik A. W. tätig war, vermochte keinen Listenstoff, mit dem sie in Berührung gekommen sein könnte und der ihre vegetativen Beschwerden verursachen könnte, anzugeben. Auch insoweit hat der FDGB – Bundesvorstand am 19. Juni 1972 mitgeteilt, daß über eine Berufskrankheit der Klägerin keine Vorgänge zu ermitteln seien; es lägen auch keine Verdachtsmeldungen vor.
Nach alledem ist daher eine zweifelsfreie Anspruchsbegründetheit nicht gegeben, so daß die Geltendmachung der Bestimmung des § 1546 RVO a.F. durch die Beklagte nicht ermessensmißbräuchlich ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (160 SGG).
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