L 3 U 544/80

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 3 U 173/78
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 544/80
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 20. März 1980 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Entschädigung schwerwiegender Gesundheitsschädigungen als Folgen eines Arbeitsunfalls.

Der im Jahre 1946 geborene Kläger war als Schaufelladerfahrer bei der W. Zellstoff AG – Werk B. – (Alphalint Zellstoff) in H.-M.-B. (Firma W.) beschäftigt. Nach der förmlichen Unfallanzeige des Unternehmers vom 9. Juni 1976 hatte er am Samstag, dem 5. Juni 1976, von 6 Uhr bis 14.17 Uhr gearbeitet. Danach hielt er sich auf dem Betriebsgelände in dem von den Arbeitern als Aufenthaltsraum benutzten Schaltraum hinter der Entrindungsanlage (Hackerei) auf. Er geriet in eine Auseinandersetzung mit einem weiteren Mitarbeiter des Betriebes, dem Jordanier A. A. H. (H.), der ihm nach einem gegenseitigen Austausch einer Ohrfeige gegen 15.30 Uhr mit einem Besen auf den Kopf schlug. Dem Befundbericht aus der Neurochirurgischen Universitätsklinik G. vom 2. August 1976 zufolge erlitt der Kläger dadurch eine Impressionsfraktur links-parietal und eine Contusio cerebri. Sie führte zu einer Halbseitenlähmung rechts sowie arm- und gesichtsbetonten epileptischen Anfällen (Befundbericht aus der Klinik S. in S./H. vom 18.1.1977). Das Versorgungsamt H. erkannte deswegen eine Schwerbehinderung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v.H. an (Schwerbehindertenausweis vom 29.11.1976). H. wurde mit Urteil des Schöffengerichts Hann.-Münden vom 10. Februar 1977 (Az.: 9 Ls 83/76) von der Anklage der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen. Die Berufungen dagegen verwarf das Landgericht Göttingen mit rechtskräftigem Urteil vom 12. September 1977 (Az.: 9 Ls 83/76 Ns – 96/77 I –). Darin waren u.a. folgende Feststellungen getroffen:

"Der Angeklagte ist streng gläubiger Moslem und lehnt jeglichen Kontakt mit Alkohol ab. Dies war seinen Arbeitskollegen bei der Firma A. und insbesondere auch dem Nebenkläger S. bekannt. Gleichwohl kam es vor dem Vorfall vom 5. Juni 1976 deswegen wiederholt zu Hänseleien gegenüber dem Angeklagten. Die Arbeitskollegen versuchten, den Angeklagten zum Genuß von Alkohol zu verleiten, was letzterer jedoch stets ablehnte.

Am 5. Juni 1976 hatten die Zeugen S., F. und R. mittags Schichtende. Danach saßen sie noch im Kantinenraum zusammen und tranken Bier in im einzelnen nicht mehr feststellbarer Menge. Der genannte Kantinenraum grenzt an die Hackerei des Betriebes, ist rechteckig und etwa 5 1/2 × 6 1/2 m groß. Von der Hackerei führt eine Tür in den Kantinenraum. Nachdem sich die Zeugen S., F. und R. schon einige Zeit im Kantinenraum aufgehalten hatten, kam – vermutlich gegen 15.30 Uhr – der Angeklagte zu diesem Raum. Er öffnete die Tür von der Hackerei her und fragte etwas in den Raum hinein; nach seinen Angaben wollte er wissen, ob und wann an diesem Tage eine Essenspause sei. Die drei Zeugen verstanden die Frage des Angeklagten wegen des von der Hackerei durch die geöffnete Tür hereindringenden Lärmes nicht. Der Zeuge S. rief dem Angeklagten etwas zu; nach seiner – des Zeugen S. – Aussage wollte er den Angeklagten auffordern, in den Raum hineinzukommen und die Tür zur Hackerei zu schließen, damit der Lärm verringert würde. Dies wiederum verstand der Angeklagte – wie er sich einläßt – nicht. Da jedenfalls eine Verständigung mit dem Angeklagten nicht zustande kam, machte der Zeuge S., der eine geöffnete, noch teilweise gefüllte Bierflasche in der Hand hielt, mit diesem Arm eine Bewegung auf den Angeklagten zu.

Der Zeuge S. wollte, seiner Aussage zufolge, dem Angeklagten bedeuten, in den Raum einzutreten und die Tür zu schließen. Bei diesem Vorgang spritzte Bier in unbekannter Menge aus der von dem Zeugen S. gehaltenen Flasche in das Gesicht und auf die Kleidung des Angeklagten. Ob dies vom Zeugen S. gewollt oder – wie er bekundet – nicht beabsichtigt war, ist ebenfalls unklar. Der Angeklagte fühlte sich angesichts seiner strengen religiösen Überzeugung durch das Bespritzen mit Bier provoziert und verletzt. Er ging auf den etwa einen halben Kopf größeren Zeugen S. zu und gab ihm eine Ohrfeige. Ob der Zeuge S. zu dieser Zeit bereits aufgestanden war oder ob er sich erst danach von seinem Platz erhoben hat, konnte ebenfalls nicht geklärt werden. Fest steht lediglich, daß sich nunmehr zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen S. eine Rangelei entwickelte, wobei sich beide zwischen der Bank und der Wand hin und her schoben. Wie lange diese Rangelei dauerte, mußte gleichfalls offen bleibe. Nachdem die Auseinandersetzung bereits beendet war und ein Zeitraum von wenigen Sekunden oder mehr verstrichen war, führte der Zeuge S. einen Schlag – mit der flachen Hand oder der Faust – zum Kopf des Angeklagten und traf diesen auch. Daraufhin ergriff der Angeklagte einen im Raum – vermutlich an einer Wand – aufrecht stehenden Besen, dessen Stiel etwa 1,20 m lang war und schlug postwendend damit auf den Zeugen S. ein. Er traf mit der Schmalseite des Querholzes, an dem sich die Borsten befinden, auf den Kopf. Der Zeuge S. fiel zu Boden und war einige Zeit ohne Bewußtsein.”

Dazu hat das Landgericht ausgeführt:

"Aufgrund der Einlassungen des Angeklagten und der Bekundung der Zeugen S., F. und R. stellt die Kammer den oben (unter II.) dargelegten Sachverhalt fest. Es ist jedoch nicht möglich, wegen der in zahlreichen Punkten abweichenden Darstellung des Angeklagten und der genannten Zeugen – zum Beispiel hinsichtlich der Sitzpositionen der Zeugen – Klarheit über den tatsächlichen Geschehensablauf im einzelnen zu gewinnen. Die Kammer trifft im wesentlichen Feststellungen daher nur, soweit der Geschehensablauf von allen Beteiligten übereinstimmend bekundet wird. Eine darüber hinausgehende Klärung ist nicht möglich, weil sich keine Anhaltspunkte ergeben haben, daß der Einlassung des Angeklagten oder der Aussage eines bzw. mehrerer Zeugen allein zu folgen ist. Die danach bestehen bleibenden Zweifel und Unklarheiten führen dazu, daß die Einlassung des Angeklagten in den entscheidenden Punkten nicht zu widerlegen ist. Hinsichtlich des Zeugen und Nebenklägers S. ergeben sich diese Zweifel u.a. daraus, daß dieser nach seiner im Zusammenhang gegebenen Schilderung nach einem Augenblick der Ruhe sodann dem Angeklagten eine Ohrfeige gegeben haben will und sich an das daran anschließende Geschehen nicht erinnern kann. Gleichwohl hat er auf Zusatzfrage seines Prozeßbevollmächtigten erklärt, er wisse noch genau, daß er – entgegen der Darstellung des Angeklagten – nach der diesem verabreichten Ohrfeige nicht hinter dem Angeklagten hergelaufen sei. Trotz Vorhaltes und Hinweises auf den Widerspruch zu seiner vorherigen Aussage ist der Zeuge S. jedoch bei dieser Angabe geblieben.”

"Der Zeuge F. hat seine Aussage mit großem Redefluß vorgetragen. Auf Fragen hat er mitunter keine gezielten Antworten gegeben. Soweit er bekundet, der Zeuge S. habe die Hände nicht erhoben gehabt, nachdem er – der Zeuge S. – dem Angeklagten eine Ohrfeige gegeben hatte, bestehen Zweifel deshalb, weil der Zeuge F. sich nach seinen eigenen Angaben – ähnliches hat auch der Zeuge R. bekundet – mit letzterem unterhalten haben will. Es ist deshalb möglich, daß er die Rangelei des Angeklagten mit dem Zeugen S. nicht mit ausreichender Aufmerksamkeit beobachtet hat. Dann ist aber nicht auszuschließen, daß er das Geschehen, so wie es der Angeklagte dargestellt hat, nicht registriert hat. Wenn aber der Zeuge S. dem Angeklagten nach einer Phase der Ruhe – womit die vorherige Rangelei abgeschlossen war – eine Ohrfeige gegeben hat, mußte der Zeuge S. mit Gegenwehr des Angeklagten rechnen. Dann entspricht es eher der Lebenserfahrung, daß der Zeuge S. – aus seiner Sicht wegen der zu erwartenden Reaktion des Angeklagten – eine oder beide Hände erhoben hatte ist aber letztlich der Geschehensablauf in der entscheidenden Phase nicht aufzuklären, muß von der nicht widerlegbaren Einlassung des Angeklagten ausgegangen werden, wonach der Zeuge S. mit erhobener Hand hinter dem Angeklagten hergelaufen ist. Dann aber lag objektiv eine Notwehrlage vor (§ 32 StGB). Der Angeklagte mußte mit weiteren Tätlichkeiten durch den Zeugen S. rechnen. Dagegen durfte er sich zur Wehr setzen. Dann war es auch zulässig, den drohenden Angriff des an Körpergröße überlegenen Zeugen S. mit dem Besen abzuwehren. Daher ist der Angeklagte auch gerechtfertigt, soweit er die schwere Gesundheitsschädigung des Zeugen S. verursacht hat.”

Die Beklagte beschränkte sich mit ihren Ermittlungen im wesentlichen auf die Beiziehung der Strafakten gegen H ... Mit dem angefochtenen Bescheid vom 27. Juni 1978 lehnte sie es ab, dem Kläger Unfallentschädigung zu gewähren. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe sich nach Arbeitsschluß aus eigenwirtschaftlichen Motiven auf dem Betriebsgelände aufgehalten. Die Unterhaltung mit Arbeitskollegen und der Biergenuß im Schaltraum hinter der Entrindungsanlage sei bereits als Teil der Freizeitgestaltung anzusehen, so daß zum Verletzungszeitpunkt längst eine Lösung vom Betrieb stattgefunden habe. Außerdem seien die Streitigkeiten mit H. vom Kläger ausgegangen und hätten ihre Ursache nicht im Betrieb, sondern in privaten Auseinandersetzungen gehabt. Danach habe der Kläger zum Verletzungszeitpunkt nicht mehr unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden.

Dem dagegen am 24. Juli 1978 eingelegten Widerspruch des Klägers wollte die Widerspruchsstelle der Beklagten nicht stattgeben und beschloß deshalb mit Zustimmung des Klägers, den Rechtsbehelf dem Sozialgericht Kassel (SG) als Klage weiterzuleiten.

Das SG hat die Deutsche Angestellten Krankenkasse – Ersatzkasse – auf deren Antrag hin zum Verfahren beigeladen und ohne weitere Ermittlung die Klage mit Urteil vom 20. März 1980 abgewiesen; auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen dieses ihm am 8. April 1980 zugestellte Urteil hat der Kläger am 2. Mai 1980 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Im Berufungsverfahren ist der Sachverhalt weiter aufgeklärt worden. Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts und zur Beweisaufnahme am 25. Februar 1981 sind der Kläger zur Sache gehört und H. E. (E.) R. F. (F.), W. B. (Br.), R. B. (Ba.) sowie J. R. (R.) als Zeugen vernommen worden; wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Vernehmungsniederschriften (Bl. 136 bis 148 GA) Bezug genommen.

Der Kläger vertritt die Meinung, er habe unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden, als er von H. niedergeschlagen worden sei. Entscheidend sei, daß er dem Zeugen F. zugesagt habe, ihn vom Betrieb nach Hause zu fahren. Sie beide hätten die Arbeit um 14.00 Uhr beendet und um 14.17 Uhr die Stechuhr betätigt. Nachdem er geduscht und umgezogen gewesen sei, habe er sich zum Aufenthaltsraum begeben, um auf F. zu warten. Dort habe er eine kleine Flasche Bier getrunken. Um 14.50 Uhr sei F. hinzugekommen und habe auch noch ein Bier trinken wollen. Aus selbstverständlichen und kollegialen Gründen habe er das F. zugestanden und weiterhin nunmehr darauf gewartet, daß F. abfahrtbereit werde. Bevor das eingetreten sei, habe ihm H. um 15.30 Uhr die geltend gemachte Verletzung beigebracht. Er vertrete die Auffassung, daß seine Wartezeit in einem so engen ursächlichen Zusammenhang einerseits zur betrieblichen Tätigkeit und andererseits zum versicherten Heimweg stehe, daß sie ununterbrochen unter Unfallversicherungsschutz gestanden habe. Auch seine Auseinandersetzung mit H. sei nicht geeignet gewesen, seinen Versicherungsschutz zu unterbrechen. Ihm sei kein unvertretbar leichtfertiges Handeln vorzuwerfen. Er habe H. nur unabsichtlich geringfügig mit einem Bierrest bespritzt. Ebenso habe der Ablauf der tätlichen Auseinandersetzung auf seiner Seite kein unverständliches Fehlverhalten erkennen lassen. Vielmehr sei der unerträgliche, aus der Hackerei hereindringende Lärm die auslösende Ursache des Unfallgeschehens gewesen. Darauf und auf das durch Lärm bedingte Mißverständnis sei die tätliche Auseinandersetzung zurückzuführen.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 20. März 1980 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 1978 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm das Ereignis am 5. Juni 1976 wegen seiner dabei erlittenen Gesundheitsstörungen als Arbeitsunfall zu entschädigen,
hilfsweise,
die im Schriftsatz vom 15. Dezember 1980 angetretene Beweise zu erheben,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Die Beigeladene schließt sich dem Antrag und den Ausführungen des Klägers an.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, die Beweisaufnahme habe den Nachweis erbracht, daß der Aufenthalt des Klägers im provisorischen Aufenthaltsraum nicht dazu bestimmt gewesen sei, auf F. zu warten, um ihn nach Hause mitzunehmen. Dieser Aufenthalt habe auch keinen betrieblichen Zwecken gedient. Außerdem sei nachgewiesen worden, daß der Streit, der zu Tätlichkeiten geführt habe, nicht durch eine betriebliche Ursache entstanden sei. Ein Arbeitsunfall scheide deshalb aus.

Wegen der übrigen Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Unfallakten der Beklagten, der Verwaltungsakten der Beigeladenen, der Akten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Göttingen in der Strafsache gegen H., Az.: 9 Ls 83/76 Ns 93/76, und des Arbeitsgerichts Göttingen in der Sache S. gegen Firma W., Az.: 3 Sa 110/77, die sämtliche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und somit zulässig (§§ 143, 151 Absatz 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –).

Sie ist jedoch unbegründet.

Im Ergebnis zu Recht hat das SG die zulässige Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtlich nicht zu beanstanden. Dem Kläger steht der geltend gemachte Entschädigungsanspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht zu, weil er seine schwere Verletzung nicht bei einer versicherten Tätigkeit (§ 548 Absatz 1 der Reichsversicherungsordnung – RVO –) oder auf einem damit zusammenhängenden Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit (§ 550 Absatz 1 und Absatz 2 Nr. 2 RVO) erlitten hat.

Hierzu ist zunächst festzustellen, daß der Kläger am 5. Juni 1976 während einer tätlichen Auseinandersetzung mit H., an der er auch aktiv beteiligt war, von H. einen Schlag mit dem Besen auf den Kopf erhielt. Folge dieses Schlages war unmittelbar eine Impressionsfraktur des Schädels links-parietal sowie eine Contusio cerebri. Als mittelbare Schädigung entstanden eine Halbseitenlähmung sowie epileptische Anfälle, die seine MdE in erheblich rentenberechtigendem Grade minderten (§ 581 Absatz 1 RVO). Diese Feststellungen beruhen auf den den beigezogenen Strafakten gegen H. zu entnehmenden Tatsachen, die unbestritten sind und von den Beteiligten akzeptiert werden, sowie auf den Ermittlungen der Beklagten.

Der Kläger hat seine zur Unfallentschädigung geltend gemachten Verletzungen aber nicht bei einer versicherten Tätigkeit erlitten.

Bereits aus seinem eigenen Vortrag läßt sich feststellen und das ist unbestritten, daß er zum Zeitpunkt der Verletzung gegen 15.30 Uhr längst seine betrieblichen Tätigkeiten eingestellt und für diesen Sonnabend vor dem Pfingstfest abgeschlossen hatte. Seine offizielle Arbeitszeit dauerte von 6.00 bis 14.00 Uhr (tatsächliche Stechzeiten sind 5.56 und 14.17 Uhr). Das folgt aus der in Fotokopie vorgelegten Stechkarte und der glaubhaften Aussage des Zeugen E., mit denen der Aktenvermerk vom 13. Januar 1976 (Bl. 51 UA) als irrtümlich widerlegt ist.

Der Kläger befand sich auch noch nicht auf dem Wege von dem Ort der – betrieblichen – Tätigkeit, der seinen Angaben nach von dem Werk B. der Firma W. über H. M. zu seiner Wohnung in R. führen sollte. Er hatte das Werksgelände noch gar nicht verlassen, sondern hielt sich aus Gründen, die jedenfalls unmittelbar betriebsunabhängig waren, in dem Schaltraum hinter der Entrindungsanlage auf, der von einigen Betriebsangehörigen provisorisch als Aufenthaltsraum benutzt wurde. Das ergibt sich aus der förmlichen Unfallanzeige des Unternehmers. Der Raum hatte zwei Türen, von denen die eine zur Hackerei (Entrindungsanlage) und die andere zum Freigelände führte. Der Zeuge F. hat zur Charakterisierung dieses Raumes glaubhaft bekundet, man treffe sich dort, wenn man arbeitsfrei sei. Darinnen betrieb der Zeuge Br. einen privaten Flaschenbierverkauf. Wer Bier kaufen wollte, mußte ihn, der auf dem Holzplatz vor der Entrindungsanlage arbeitete, holen, und sich aus einem verschlossenen Schrank im Schaltraum Flaschenbier aushändigen lassen. Gerade so handelte auch der Kläger gegen 14.20 Uhr, nachdem er seine Arbeit um 14.00 Uhr eingestellt, sich geduscht und umgezogen, die Stechuhr um 14.17 Uhr betätigt hatte und dann etwa 20 m weiter in den Aufenthaltsraum hinter der Entrindungsanlage gegangen war. Diese Feststellungen ergeben sich aus der persönlichen Anhörung des Klägers und den Aussagen des Zeugen Br ... Der Kläger wollte – wie er angegeben hat – auf jeden Fall noch ein Bier trinken und ließ sich dazu eine kleine Flasche (0,33 l) zu 0,70 DM verkaufen.

Nach einiger Zeit, die vergangen war, weil er sich anders als der Kläger erst nach dem Betätigen der Stechuhr um 14.17 Uhr im ersten Obergeschoß des Betriebsgebäudes geduscht und umgezogen hatte, kam der Zeuge F. in den Aufenthaltsraum und gesellte sich zu dem Kläger. Er war Führer einer Rangierlok und hatte an diesem Tage ausnahmsweise mit dem Kläger zusammen auf der Lok arbeiten müssen. Der Zeuge F. wohnte in H.-M., dessen Innenstadt ungefähr 4 km von dem Werksgelände der Firma W. entfernt war. Seine Tochter hatte ihn auf ihrem Weg nach K. zur Arbeit gefahren und versprochen, ihn dort auch wieder abzuholen. Rein vorsorglich hatte F. aber den Kläger gebeten, ihn auf dem Heimweg nach R. in H.-M. abzusetzen, falls seine Tochter nicht da sei. Das hatte der Kläger auch zugesagt. Als F. sah, daß der Kläger Bier trank, holte auch er den Zeugen Br. vom Holzplatz und ließ sich eine Flasche Bier verkaufen. Da er sich vergewissert hatte, daß seine Tochter nicht auf ihn wartete, fühlte er sich nicht unter Zeitdruck. Später kamen auch die Zeugen R. und Ba. hinzu und tranken eine Flasche Bier. Es wurden allgemein Männerfreizeitgespräche geführt. Diese Feststellungen beruhen vor allem auf den insoweit glaubhaften Aussagen der Zeugen F., Br., Ba. und R.; sie widerlegen die Angaben des Klägers, daß wesentlich betriebsbedingte Themen besprochen worden seien; außerdem auf der Amtlichen Entfernungskarte Stadt und Landkreis K., Maßstab 1: 50.000, herausgegeben vom Hess. Landesvermessungsamt.

Gegen 15.30 Uhr, der Zeuge Ba. hatte gerade den Raum verlassen, um auszutreten, wurde die in die Hackerei (Entrindungsanlage) führende Tür geöffnet, so daß der dort herrschende ohrenbetäubende Lärm den Schaltraum ausfüllte. Herein in diese Freizeitrunde kam H., der in einer später begonnenen Sonderschicht arbeitete und fragen wollte, ob die Sonderschicht eine – nicht offizielle – Verzehrpause einlege. Er wurde von den drei Anwesenden nicht verstanden. Der Kläger hatte gerade seine Bierflasche zur Hand, die noch einen nicht näher quantifizierbaren Rest Bieres enthielt. Mit ihr machte er jetzt die Handbewegung auf H. zu, die das Landgericht Göttingen in dem Urteil vom 12. September 1977 wie oben angegeben festgestellt hat. Da sich zu dem Ablauf der tätlichen Auseinandersetzung keine neuen Anhaltspunkte ergeben haben und auch der Kläger seine damaligen Zeugenaussagen beibehalten hat, trifft der Senat dieselben begrenzten Feststellungen wie das Landgericht Göttingen. Beweiserhebliche Einzelheiten darüber hinaus sind unaufklärbar. Soweit der Kläger hierzu in seinem Schriftsatz vom 15. Dezember 1980 Beweise angeboten hat, sind sie vom Rechtsstandpunkt des Senats aus rechtlich unerheblich.

Daraus und aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens folgt nämlich bereits, daß der Kläger bei einer unversicherten Freizeitgestaltung verletzt wurde. Er geriet nach der Beendigung seiner betrieblichen Tätigkeit und während einer rechtlich allein eigenwirtschaftlich bedingten geselligen Erholungsrunde mit Bier, die nur in einem räumlichen Zusammenhang mit dem Betrieb stand, vor Antritt des geschützten Heimweges in eine Schlägerei.

Dem Kläger kann nicht darin gefolgt werden, daß die vom Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 8. Mai 1980 (8 a RU 86/79) dargelegten Grundsätze über den Versicherungsschutz eines vom Unternehmer angenommenen Helfers, der auf dem Betriebsgelände arbeitsbereit wartet, um jederzeit mit der Arbeit beginnen zu können, im vorliegenden Rechtsstreit anzuwenden sind. Einschlägig ist statt dessen der ebenfalls in diesem Urteil des BSG dargelegte Grundsatz, daß allein der Aufenthalt auf der Betriebsstätte keinen Versicherungsschutz gegen Arbeitsunfall begründet.

Arbeitsunfall ist ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO angeführten Tätigkeiten erleidet (§ 548 Absatz 1 RVO). Es muß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall bestehen. Als Ursache und Mitursache sind nach der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätsnorm unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes nur die Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer Beziehung zu dem Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (BSGE 1, 72, 76 – ständige Rechtsprechung). Die Frage, welche Bedingungen wesentlich und deshalb rechtlich als Ursache oder Mitursache anzusehen sind, unterliegt einer Wertentscheidung aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles. Ein Kausalzusammenhang zwischen der vom Kläger am Unfalltag verrichteten versicherten Tätigkeit und dem Unfall ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil er im Zeitpunkt des Unfalls keine betriebliche Tätigkeit verrichtet hat. Unfallversicherungsschutz besteht auch während einer Arbeitspause auf der Betriebsstätte (vgl. Reichsversicherungsamt EuM 44, 9; BSGE 11, 267, 269). Auch außerhalb der Arbeitspause während einer Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit bei einer privaten Zwecken dienenden Verrichtung ist der Versicherungsschutz nicht schlechthin ausgeschlossen. Der erforderliche Kausalzusammenhang mit der versicherten Tätigkeit kann darauf beruhen, daß betriebsbedingte Gefahren den Unfall wesentlich mitbewirkt haben (vgl. BSG, SozR Nr. 21 zu § 548 RVO). Aber wie der Senat wiederholt entschieden hat, ist dem BSG darin zuzustimmen, daß in der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich kein Raum für die Annahme eines sog. Betriebsbannes ist, nach dem der Versicherungsschutz im Falle der Einwirkung besonderer, einem Betrieb eigentümlichen Gefahren auch auf Tätigkeiten erstreckt wird, die sonst dem privaten Lebensbereich zugerechnet werden (BSG, Urteil vom 22.1.1976, 2 RU 101/75 und Urteil vom 8.5.1980, 8 a RU 86/79).

Entscheidend ist danach im vorliegenden Falle, ob das Verhalten des H. allgemein eine betriebsbedingte Gefahr bildete und zumindest als wesentliche Mitursache der Verletzung des Klägers gewertet werden kann. Letzteres läßt sich unter einer umfassenden Würdigung des Freizeitcharakters der geselligen Runde und des eigenen Beitrags des Klägers zu der Schlägerei nach vorangegangenem Biergenuß selbst dann nicht annehmen, wenn man berücksichtigt, daß der Kläger den Zeugen F. nach Beendigung der geselligen Runde auf dem Heimweg mitnehmen wollte.

Mit dem Abschluß seiner eigenen betrieblichen Tätigkeit spätestens um 14.17 Uhr hatte der Versicherungsschutz des Klägers gemäß § 548 Absatz 1 RVO ein Ende gefunden. Durch die Beweisaufnahme am 25. Februar 1981 ist nachgewiesen worden, daß der anschließende Aufenthalt in den Schaltraum hinter der Entrindungsanlage deutlich überwiegend von Biergenuß und geselliger Unterhaltung geprägt war. Damit verfolgten sowohl der Kläger als auch der Zeuge F. rein private Zwecke der Erholung zu Beginn der arbeitsfreien Zeit während des bevorstehenden Pfingstfestes (vgl. auch BSG, Urteil vom 29. Oktober 1981, 8/8 a RU 54/80). Weder bei der vorangegangenen versicherten Tätigkeit noch später auf dem Heimweg wäre der Kläger in die bestimmte konkrete tätliche Auseinandersetzung mit H. geraten. Seine Anwesenheit auf dem Werksgelände wegen der vorangegangenen versicherten Tätigkeit bot ihm nur die Gelegenheit, sich nach Arbeitsschluß noch in dem Aufenthaltsraum bei einer Flasche Bier zu erholen. Sie war deshalb keine wesentliche Mitursache der Schlägerei mit H., sondern bildete lediglich eine sog. Gelegenheitsursache, da der Kläger sich nur gelegentlich seiner Anwesenheit auf dem Werksgelände nach Arbeitsschluß entschieden hatte, in den Aufenthaltsraum zu gehen und dort für eine derart lange Zeitspanne in geselliger Runde zu bleiben, daß er um 15.30 Uhr noch Bier in seiner Flasche hatte (vgl. BSG, Urteil vom 22. Januar 1976, 2 RU 101/75).

Entgegen der Auffassung des Klägers war unter den festgestellten Umständen allein die Verabredung zwischen ihm und F., gemeinsam den Heimweg im Auto des Klägers anzutreten, nicht geeignet, ihn während des privaten Biergenusses im Schaltraum unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung zu stellen. Dabei ist noch nicht einmal berücksichtigt, daß F. den relativ kurzen Heimweg auch zu Fuß zurücklegen konnte.

Wegeunfälle stehen nicht originär unter Versicherungsschutz, sondern sie gelten nur als Arbeitsunfälle, weil die Zurücklegung des Weges von und nach dem Ort der versicherten Tätigkeit naturnotwendige Voraussetzung für die Verrichtung der entscheidenden Arbeit ist. Nach § 550 Absatz 1 RVO in der ab 1. Januar 1974 geltenden Fassung des § 15 Nr. 1 des 17. Rentenanpassungsgesetzes vom 1. April 1974 (BGBl. I, 821) gilt als Arbeitsunfall ein Unfall auf einem mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Das erfordert einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Zurücklegung des Weges und der versicherter. Tätigkeit. Diesen versicherten Heimweg hatte der Kläger noch nicht angetreten; er hatte das Werksgelände noch nicht verlassen und sich lediglich aus überwiegend privaten Gründen in den Aufenthaltsraum begeben. Ein unmittelbarer Versicherungsschutz gemäß § 550 Absatz 1 RVO scheidet danach aus.

Die Versicherung des § 550 Absatz 1 RVO ist aber nach § 550 Absatz 2 Nr. 2 RVO nicht ausgeschlossen, wenn der Versicherte von dem unmittelbaren Weg zwischen der Wohnung und dem Ort der Tätigkeit abweicht, weil er mit anderen berufstätigen oder versicherten Personen gemeinsam ein Fahrzeug für den Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit benutzt. Zusätzlich geschützt ist danach die Abweichung von dem unmittelbaren Heimweg aus Gründen der Fahrgemeinschaft. Es kann dahinstehen, ob der versicherte Fahrer dabei auch während erheblicher Wartezeiten versichert ist, die der Mitgenommene der Fahrgemeinschaft aus privaten Gründen verursacht, zumal dann, wenn letzterer unbedingt auf die Mitfahrt angewiesen ist. Jedenfalls entsteht der zusätzliche Versicherungsschutz des § 350 Absatz 2 Nr. 2 RVO ebenso wie der des § 350 Absatz 1 RVO grundsätzlich erst dann, wenn der entsprechende Weg angetreten worden ist und nicht nach dem bloßen Willen der Fahrgemeinschaft schon vorher bei einer privaten Tätigkeit unter der Übereinkunft, einer müsse darauf warten, daß der andere sich bereit erkläre, die Mitfahrt anzutreten.

Entscheidend für den Versicherungsschutz in derartigen Fällen sind nicht das zukünftige Vorhaben der Heimfahrt, sondern nach wie vor die Tatsache der Verrichtung originär versicherter Arbeitstätigkeit und ihre nachträglichen Auswirkungen. Der Senat läßt es ebenfalls offen, ob dann, wenn sich der Mitzunehmende der Fahrgemeinschaft aus Gründen der vorher verrichteten versicherten Tätigkeit verspätet, der wartende Fahrer aus Betriebsgründen an der Abfahrt oder Weiterfahrt verhindert und deshalb ausnahmsweise versichert ist. Auch das ist im zu entscheidenden Rechtsstreit nicht der Fall gewesen. Spätestens um 14.47 Uhr war F. mit seinen betriebsbedingten Vorbereitungen der Abfahrt fertig. Er selbst hat angegeben, Duschen und Umkleiden hätten eine halbe Stunde gedauert. Der Senat hält diese Zeitangaben des F. für eher überzogen und jedenfalls aber für die längste Möglichkeit. Die weitere Entscheidung des Klägers und von F., auch danach noch im Aufenthaltsraum zu bleiben, ist zwar subjektiv kollegial, objektiv aber nicht mehr durch die versicherte Tätigkeit bedingt. Sowohl von der zeitlichen Dimension her als auch nach dem qualitativen Gepräge als gesellige Runde hat dieser Aufenthalt den Versicherungsschutz nicht mehr nur geringfügig unterbrochen.

Danach verbleibt es auch unter dem Gesichtspunkt der verabredeten Fahrgemeinschaft dabei, daß die tätliche Auseinandersetzung mit H. nur bei Gelegenheit eines privaten Aufenthaltes des Klägers im Schaltraum auf dem Werksgelände entstand. Es ereignete sich währenddessen kein entschädigungspflichtiger Arbeitsunfall.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Absatz 1 und Absatz 4 SGG, diejenige über die Zulassung der Revision aus § 160 Absatz 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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