L 1 Ar 1370/78

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 14 Ar 736/76
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 Ar 1370/78
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei Arbeitnehmern, die vor und nach der werktäglichen tariflichen Arbeitszeit von acht Stunden Arbeitskollegen mit firmeneigenen Fahrzeugen befördern und dafür von des Arbeitgeber ein zusätzliche Arbeitsentgelt erhalten, wird diese zusätzliche Tätigkeit bei der Berechnung der Zahl der Ausfallstunden, für die Kurzarbeitergeld zu zahlen ist, nicht berücksichtigt.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 16. August 1978 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin verpflichtet ist, der Beklagten Kurzarbeitergeld (Kug) in Höhe vom 1.015,40 DM, anteilige Beiträge zur Krankenversicherung in Höhe von 83,83 DM und anteilige Beiträge zur Rentenversicherung in Höhe von 292,64 DM zu erstatten.

Die Klägerin, die ein Bauunternehmen mit Wärmeisolierungen betreibt, zeigte am 13. Januar 1975 dem Arbeitsamt F. an, daß sie wegen Arbeitsmangels in der Abteilung Wärmeisolierung die tarifvertragliche und betriebsübliche Arbeitszeit von 40 Stunden wöchentlich ab dem 13. Januar 1975 auf 28 Stunden wöchentlich herabsetzte, wobei die verminderte Arbeitszeit sich so verteilte, daß von montags bis donnerstags jeweils sieben Stunden täglich gearbeitet wurde, während freitags die Arbeit ganz entfalle.

Die Kurzarbeit dauerte in diesem Umfang bis zum 30. Juni 1975. Während dieser Zeit zahlte die Klägerin an einzelne Arbeiter für Tage, an denen auf den Baustellen sieben Stunden lang gearbeitet wurde, ein Arbeitsentgelt für insgesamt siebeneinhalb Stunden. Es handelte sich dabei um Arbeiter, die Arbeitskollegen in firmeneigenen Fahrzeugen zur Baustelle und wieder zurück zum Betriebsgelände der Klägerin beförderten und die hierfür ein zusätzliches Entgelt in Höhe der Hälfte des Lohnes für eine Tarifstunde erhielten. Die zusätzliche Entlohnung wurde unabhängig von der Fahrtdauer gewährt. Die betreffenden Arbeiter wechselten sich auch, ohne daß insoweit eine feste Absprache mit der Klägerin bestand, von Fall zu Fall untereinander als Fahrer ab; grundsätzlich durfte jeder fahren, der im Besitze eines Führerscheines war.

In den Kug-Abrechnungslisten für die Zeit von 13. Januar 1975 bis zum 30. Juni 1975 hatte die Klägerin auch dann, wenn sie für diese Fahrer montags bis donnerstags eine Entlohnung für insgesamt siebeneinhalb Arbeitsstunden zahlte, angegeben, daß eine volle Ausfallstunde täglich eingetreten sei; für freitags hatte sie die ausgefallene Arbeitszeit mit jeweils Stunden eingetragen.

Mit zwei Bescheiden vom 1. Juli 1975 und einen weiteren Bescheid vom 16. Juli 1975 gewährte die Beklagte der Klägerin zunächst – unter dem Vorbehalt der Rückzahlung – Abschlagszahlungen; mit drei Bescheiden vom 12. September 1975 setzte sie die restlichen Auszahlungsbeträge für die Kug-Abrechnungszeiträume vom 13. Januar 1975 fest. Bei einer am 12. November 1975 von der Beklagten vorgenommenen Überprüfung der Abrechnungsunterlagen wurde beanstandet, da den Zahlungen an die Klägerin auch dann eine volle Ausfallstunde zugrunde gelegt worden war, wenn die Klägerin an ihre zusätzlich als Fahrer eingesetzten Arbeiter eine Tagesentlohnung für siebeneinhalb Arbeitsstunden gezahlt hatte. Mit Bescheid vom 30. Januar 1976 forderte die Beklagte daraufhin unter gleichzeitiger teilweiser Aufhebung der entsprechenden Bewilligungsbescheide einen Betrag von insgesamt 1.391,87 DM an Kug und Sozialversicherungsbeiträgen von der Klägerin zurück. Dabei stützte sich die Beklagte im wesentlichen darauf, die sich durch die Tätigkeit als Kraftfahrer ergebende zusätzliche Arbeitszeit könne bei der Gewährung von Kug keine Berücksichtigung finden, da es sich insoweit um eine Arbeitszeit handele, die über die tariflich zulässige Arbeitszeit hinausgehe.

Den am 26. Februar 1976 eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 1976, an die Klägerin abgesandt am 18. Oktober 1976, als unbegründet zurück, wobei sie erneut im wesentlichen geltend machte, bei den zusätzlich als Fahrer eingesetzten Arbeitern sei im Rahmen der Kug-Gewährung die tarifliche Arbeitszeit von 40 Stunden Wochenstunden an jeweils vier Wochentagen zu Unrecht um eine halbe Ausfallstunde überschritten worden.

Am 15. November 1976 hat die Klägerin durch Einreichen einer Klageschrift bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main Klage erhoben und sich dabei vor allem darauf berufen, es handele sich bei den betreffender Arbeitern um ein einheitliches Arbeitsverhältnis, das neben der Tätigkeit als Bauarbeiter die Tätigkeit als Kraftfahrer mit umfasse. Für ein solches Arbeitsverhältnis gelte aber die Regelung des § 3 Nr. 1, 2 des Bundes-Rahmentarifvertrages für das Baugewerbe vom 1. April 1971 in der Fassung der Änderungstarifverträge vom 16. Oktober 1972 und 8. April 1974, wonach die regelmäßige Arbeitsamt von Kraftwagenfahrern bis zu fünf Stunden über die normale wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden hinaus verlängert werden darf. Weiterhin hat sie die Auffassung vertreten, es müsse auch berücksichtigt werden, daß sie an die zusätzlich als Fahrer tätige Arbeiter keine Überstundenzuschläge gezahlt habe. Die Beklagte hat demgegenüber an ihrer Ansicht festgehalten, daß die tarifliche Arbeitszeit für die betreffenden Arbeiter 40 Stunden betrage und nicht überschritten werden dürfe.

Mit Urteil vom 16. August 1978 hat das Sozialgericht Frankfurt am Main der Klage stattgegeben und den Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 1976 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 1976 aufgehoben. Das Urteil ist im wesentlichen darauf gestützt, die betreffenden Arbeiter seien nicht nur als Bauarbeiter, sondern darüber hinaus auch als Kraftwagenfahrer eingesetzt worden, so daß für sie die Sonderregelung des § 3 Nr. 1, 2 Bundes-Rahmentarifvertrages für das Baugewerbe zutreffe. Besonders hervorgehoben hat das Gericht schließlich, die von der Beklagten vertretene Auffassung führe zu einer nicht gerechtfertigten Benachteiligung derjenigen Arbeiter, die ihre Arbeitskollegen vor und nach deren Arbeitszeit beförderten.

Gegen dieses der Beklagten am 8. November 1978 zugestellte Urteil richtet sich die mit Schriftsatz vom 1. Dezember 1978, eingegangen beim Hessischen Landessozialgericht am 5. Dezember 1978, eingelegte Berufung der Beklagten.

Die Beklagte vertritt weiterhin ihren Standpunkt, daß von einer tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden auszugeben sei.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil das Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 6. August 1978 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Kündigte Nr. 732, Arbeitsamt F., der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie ist frist- und formgerecht eingelegt (§ 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –); der Beschwerdewert übersteigt eintausend Deutsche Mark (§ 149 SGG).

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 16. August 1978 ist in seinem Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 1976 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 1976 ist zu Recht aufgehoben worden. Die Klägerin ist nicht verpflichtet, der Beklagten Kug in Höhe von 1.015,40 DM, anteilige Beiträge zur Krankenversicherung in Höhe von 83,83 DM und anteilige Beiträge zur Rentenversicherung in Höhe von 292,64 DM zu erstatten. Diese Leistungen wurden nicht zu Unrecht erbracht, die gesetzlichen Voraussetzungen für ihre Bewilligung (§§ 63 ff., 162, 163, 166 Arbeitsförderungsgesetz – AFG –) sind gegeben.

Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AFG bemißt sich des Kug nach der Zahl der Arbeitsstunden, die der Arbeitnehmer am Ausfalltag innerhalb der Arbeitszeit (§ 69 AFG) geleistet hätte, wobei Stunden für die ein Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht oder für die Arbeitsentgelt gezahlt wird, nicht zu berücksichtigen sind. Arbeitszeit im Sinne der Vorschriften über das Kug ist gemäß § 69 AFG die betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit, soweit sie die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit oder, wenn eine solche nicht besteht, die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit gleicher oder ähnlicher Betriebe nicht überschreitet. Diese im vorliegenden Fall mit der betriebsüblichen Arbeitszeit übereinstimmende tarifliche wöchentliche Arbeitszeit beträgt für Bauarbeiter gemäß § 3 Nr. 1.1 des Bundes-Rahmentarifvertrages für das Baugewerbe 40 Stunden bei einer regelmäßigen werktäglichen Arbeitszeit von acht Stunden. Sie war für sämtliche hier betroffenen Bauarbeiter der Klägerin maßgebend, auch soweit diese zusätzlich als Fahrer eingesetzt wurden, so daß dem angefochtenen Urteil jedenfalls in seinen tragenden Gründen nicht gefolgt werden kann. Diese Arbeiter, die neben ihrer eigentlichen Tätigkeit auf der Baustelle mit Firmenbussen Arbeitskollegen transportierten, wurden aufgrund dieser Fahrtätigkeit nicht zu Kraftwagenfahrern im Sinne des § 3 Nr. 1.2 des Bundes-Rahmentarifvertrages, für die die regelmäßige Arbeitszeit bis zu fünf Stunden über die in § 3 Nr. 1.1 festgelegte Arbeitszeit hinaus verlängert werden darf. Unter Kraftwagenfahrern sind für die Arbeiter zu verstehen, die hauptberuflich innerhalb des normalen achtstündigen Betriebsablaufes einer Baufirma in unmittelbaren Zusammenhang mit der Ausführung von Bauarbeiten als Kraftwagenfahrer tätig werden, nicht dagegen die Arbeiter, die vor und nach den eigentlichen Betriebszeiten einer Baufirma Arbeitskollegen transportieren und eine Fahrtätigkeit zur nebenher ausüben, für die sie auch nicht als Kraftwagenfahrer, sondern als Bauarbeiter zusätzlich entlohnt werden. Dennoch erfolgte die von der Beklagten vorgenommene Beanstandung der von der Klägerin angegebenen Ausfallstunden zu Unrecht. Die Klägerin durfte bei ihren Angaben über die Zahl der Ausfallstunden die von ihr zusätzlich entlohnten Fahrtstunden fällig außer Acht lassen und lediglich auf die von den betreffenden Arbeitern unmittelbar auf der Baustelle als Bauarbeiter zurückgelegten Arbeitsstunden abstellen. Sie brauchte von der auf der Baustelle normalerweise zurückgelegten Arbeitszeit von acht Stunden nur die Stunden abzuziehen, in denen die zusätzlich als Fahrer eingesetzten Bauarbeiter an den betreffender Kurzarbeitstagen tatsächlich auf der Baustelle gearbeitet hätten und für die sie wegen dieser Baustellenarbeit Arbeitsentgelt zahlte, nicht aber auch die von ihr außerdem entlohnte Fahrzeit. Die sich ergebene Differenz – im vorliegenden Falle von einer Stunde in der Zeit von montags bis donnerstags – war als Zahl der Ausfallstunden in den Kug-Abrechnungslisten einzutragen. Insoweit hat die Klägerin nicht fehlerhaft gehandelt, sondern zutreffende Angaben gemacht.

Der Berechnungsmodus, nach dem die zusätzlichen Fahrzeiten der Bauarbeiter und deren Entlohnung völlig unerheblich sind für die Feststellung der Zahl der Ausfallstunden, ergibt sich aus dem Schutzzweck der Kug-Regelung. Dieser Schutzzweck besteht darin, sicherzustellen, daß allen Arbeitnehmern, wenn sie an ihrem Arbeitsplatz an dem betreffenden Kurzarbeitstage normalerweise acht Stunden lang gearbeitet und für diese Zeit auch eine Entlohnung erhalten hätten, aber infolge der Kurzarbeit weniger Stunden arbeiten können und daher auch entsprechend weniger Arbeitsentgelt erhalten, insoweit für die fehlenden Stunden ein Ausgleich gewährt wird. Bei Bauarbeitern ist dementsprechend darauf abzustellen, daß sie normalerweise, d.h. ohne Kurzarbeit, am dem betreffenden Tage acht Stunden lang auf der Baustelle gearbeitet und für diese Zeit auch einen Arbeitslohn erhalten hätten. Da auch alle zusätzlich als Baufahrer eingesetzten Bauarbeiter normalerweise acht Stunden lang auf der Baustelle gearbeitet hätten, muß auch bei ihnen der an den jeweiligen Kurzarbeitstagen eingetretene Ausfall allein auch dem hinsichtlich der Baustellenarbeit eingetretenen Ausfall berechnet werden. Im Hinblick darauf, daß sie unabhängig von ihrer zusätzlichen Fahrertätigkeit allein durch ihre eigentliche Tätigkeit als Bauarbeiter zu einem normalen Arbeitstage einen Lohnanspruch für insgesamt acht Arbeitsstunden erworben hätten, dürfen sie nicht schlechter gestellt werden als die anderen Bauarbeiter, die nicht zusätzlich eine Fahrtätigkeit ausüben. Das es sich entsprechend dem gesetzlichen Schutzzweck um eine hypothetische Berechnung handelt, bei der auch die zusätzlich als Fahrer tätigen Bauarbeiter so gestellt werden, als ob sie an diesen Tagen acht Stunden lang auf der Baustelle gearbeitet hätten, kann auch nicht eingewandt werden, daß die Fahrer tatsächlich noch während dieser achtstündigen Arbeitszeit durch den Rücktransport ihrer Arbeitskollegen zusätzliche Arbeitseinnahmen hätten und sich Zeiten das Kug-Bezugs und Zeiten, für die Arbeitsentgelt gezahlt wird, nicht überschneiden bzw. decken dürften. Maßgeblich ist, daß die betreffenden Arbeiter dieses zusätzliche Arbeitsentgelt auch unabhängig von einer Kug-Zahlung dann erhalten hätten, wenn die Fahrertätigkeit, wie dies normalerweise der Fall gewesen wäre, nach Beendigung der achtstündigen Baustellenarbeit ausgeführt hätten. Es handelt sich insoweit nicht um nicht zu berücksichtigende Stunden im Sinne des § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AFG.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision hat der Senat zugelassen, weil er der entschiedenen Rechtsfrage der Berechnung der Ausfallstunden eine grundsätzliche Bedeutung beigemessen hat (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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