L 1 Ar 462/74

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 Ar 462/74
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 19. März 1974 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin für die Zeit vom 20. Juli 1973 bis zum 4. August 1973 von der Beklagten Arbeitslosengeld verlangen kann.

Die im Jahre 1943 geborene Klägerin meldete sich am 2. Juli 1973 bei der Firma J. M. K. L. KG in A. abhängig beschäftigt. Das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis war von der Firma am 14. Juni 1973 zum 30. Juni 1973 wegen "Betriebsauflösung” gekündigt worden. Die Beklagte bewilligte der Klägerin ab 2. Juli 1973 für vorläufig 234 Wochentage Arbeitslosengeld (Bescheid vom 13. Juli 1973).

Durch Veränderungsanzeige, die am 17. Juli 1973 bei der Beklagten einging, teilte die Klägerin der Beklagten mit, sie befinde sich in der Zeit vom 20. Juli bis 4. August 1973 in Urlaub, den sie auf der Insel Mallorca verbringe. Der Urlaub der Klägerin fiel in die bereits vor Produktionseinstellung festgelegten Betriebsferien der Firma L ... Im Monat Juli 1973 führte die Verhandlungen über die Wiederaufnahme der Fertigung zu dem Ergebnis, daß die Firma von dem Betriebsleiter des Zweigetriebes in K., R. Ku., weitergeführt und die gesamte Belegschaft ab 6. August 1973 übernommen wurde.

Die Beklagte stellte durch Bescheid vom 17. Juli 1973 die Zahlung des Arbeitslosengeldes ab 20. Juli 1973 ein. Der Widerspruch der Klägerin, mit dem sie begehrte, das Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 20. Juli bis 3. August 1973 zu zahlen, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 1973). Zur Begründung hieß es, die Klägerin sei während ihres Urlaubs nicht in der Lage gewesen, eine Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes aufzunehmen.

Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin, den Bescheid der Beklagten vom 17. Juli 1973 aufzuheben. Sie war der Ansicht, eine Vermittlung in Arbeit während dieser Zeit sei nicht notwendig und auch nicht praktisch möglich gewesen, da bereits Anfang Juli 1973 festgestanden habe, daß am 6. August 1973 die Produktion mit der gesamten ehemaligen Belegschaft wiederaufgenommen werden sollte. Der Erholung habe daher ihrer Verfügbarkeit auf dem Arbeitsmarkt nicht entgegenstanden.

Das Sozialgericht Kassel gab durch Urteil vom 19. März 1974 der Klage statt und ließ die Berufung zu. In dem Entscheidungsgründen führte das Gericht aus, rein nach dem Gesetzeswortlaut hätten im Falle der Klägerin die Voraussetzungen der Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung während ihres Urlaubes nicht vorgelegen; denn die Klägerin sei wegen ihres Urlaubes gehindert und auch nicht bereit gewesen, eine Beschäftigung auszuüben. Im vorliegenden Falle erforderte jedoch der Begriff der Verfügbarkeit eine andere Auslegung. Stehe von vornherein fest, daß eine Vermittlung während eines bestimmten Zeitraums wegen fehlender Stellen nicht möglich sei, dann sei die fehlende Vermittlungsfähigkeit für den Anspruch auf Arbeitslosengeld unschädlich; denn sie sei nicht ursächlich dafür, daß die Beklagte dem Gesetzesauftrag des § 5 AFG nicht habe nachkommen können.

Gegen das ihr am 25. April 1974 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 24. Mai 1974 schriftlich beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie aus, die Klägerin sei während ihres Urlaubs nicht bereit gewesen, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, die sie habe ausüben können. Selbst wenn sie jedoch eine Erklärung des Inhalts hätte abgegeben, im Falle einer möglichen Arbeitsaufnahme ihren Urlaub unterbrechen und zurückkehren zu wollen, so hätte ihr das nur dann zu dem von ihr verfolgten Anspruch verhelfen können, wenn es ihr gelungen wäre, die berechtigten Zweifel an der Ernsthaftigkeit einer solchen Erklärung zu zerstreuen, die in der konkreten Situation hieran aufkommen mußten. Sollte die Klägerin zu ihrem Verhalten durch die Auskunft der sie betreuenden Vermittlerin des Arbeitsamtes Kassel ermuntert worden sein, so wäre eine solche Auskunft kein die Beklagte bindender Verwaltungsakt. Auch unter dem Gesichtspunkt der Folgenbeseitigung könne der Klägerin der von ihr verfolgte Anspruch nicht zugesprochen werden, da der materiell-rechtlich bedeutsame Mangel der fehlenden Verfügbarkeit auch nicht über das Institut der Folgenbeseitigung heilbar sei.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 19. März 1974 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.

Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die Leistungsakten der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die kraft Zulassung statthafte und in rechter Form und Frist eingelegte Berufung ist zulässig und in der Sache begründet.

Die Beklagte hat das der Klägerin bewilligte Arbeitslosengeld ab 20. Juli 1973 zu Recht entzogen, da die Leistungsvoraussetzungen weggefallen waren. Nach § 151 Abs. 1. Arbeitsförderungsgesetz (AFG) werden Entscheidungen, durch die Leistungen nach diesem Gesetz bewilligt worden sind, insoweit aufgehoben, als die Voraussetzungen für die Leistungen nicht vorgelegen haben oder weggefallen sind.

Der Klägerin stand vom Entziehungszeitpunkt an ein Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht zu, da sie der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stand. Anspruch auf Arbeitslosengeld hat nämlich nur, wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaftszeit erfüllt, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Arbeitslosegeld beantragt hat (§ 100 Abs. 1 AFG). Nach § 103 Abs. 1 S. 1 AFG steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer 1. eine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann und darf sowie 2. bereit ist, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, die er ausüben kann.

Bei der Auslegung des § 103 AFG ist zu beachten, daß nach § 5 AFG die Vermittlung in Arbeit den Leistungen nach dem 4. Abschnitt vorgeht. Das Arbeitslosegeld ist damit eine subsidiäre Leistung für den Fall, daß sich Vermittlungsmöglichkeiten nicht ergeben (Urt. des BSG vom 30.10.1959 – Az.: 7 RAr 2/58 –). Die Leistungsgewährung an einen Arbeitslosen darf nur dann erfolgen, wenn zugleich für die Beklagte jederzeit die Möglichkeit besteht, unverzüglich den Leistungsempfänger zu erreichen, um ihm eine zumutbare Arbeit anzubieten. Solche Arbeiten können auch kurzfristig anfallen, wenn beispielsweise im Falle eines plötzlichen Winterreinbruchs dringend Arbeitskräfte zum Schneeräumen gesucht werden oder wenn kurzfristig Arbeiter für Versand- oder Verladearbeiten oder für ähnliche Arbeiten benötigt werden (vgl. Urt. des BSG vom 18.12.1964 – Az.: 7 RAr 18/64). Das für die Vermittlung in Arbeit zuständige Arbeitsamt kann die ihm gesetzlich obliegende Vermittlungspflicht nur dann erfüllen, wenn der Arbeitslose jederzeit sofort erreicht werden kann, um mit ihm eine Arbeitsberatung durchzuführen oder ihm ein Stellenangebot zu unterbreiten. Der Klägerin wäre es während ihres Urlaubes infolge der großen Entfernung zu dem zuständigen Arbeitsamt nicht möglich gewesen, jederzeit auf Anforderung unverzüglich beim Arbeitsamt vorzusprechen. Auch das Arbeitsamt war daran gehindert, die Klägerin kurzfristig zu erreichen, wenn ein für sie geeignetes Arbeitsangebot beim ihm eingegangen wäre. Demgegenüber kam es für die Beurteilung der Verfügbarkeit nicht darauf an, ob die Beklagte der Klägerin ein konkretes Arbeitsangebot gemacht hat; denn die Arbeitsbereitschaft des Arbeitslosen muß während des Arbeitslosengeldbezuges jederzeit vorhanden sein (vgl. Urteil des Hess. Landessozialgerichts vom 29.5.1974 – Az.: L-1/Ar-78/73 –).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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