Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 542/70
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Bei der Nachzeichnung des vermutlichen weiteren Berufsweges im Sinne des § 30 Abs. 3 BVG kann ein Wechsel der Einlassung, welcher Beruf ohne die Schädigungsfolgen ausgeübt worden wäre, nur berücksichtigt werden, wenn der Akteninhalt die objektive Unrichtigkeit des früheren Vorbringens ergibt. Ein späterer Einfall, daß andere Gesichtspunkte zu einem finanziell günstigeren Ergebnis führen könnten, berührt diesen Grundsatz nicht.
2) Fehlt es für die Zeit vor der Schädigung an jeglichem konkreten Anhaltspunkt dafür, daß ein Leistungswille vorhanden war, sich über den Hilfsarbeiter emporzuarbeiten, dann ist ein entsprechender beruflicher Aufstieg für die Zeit nach der Schädigung schon nach dem ersten Anschein nicht hinreichend wahrscheinlich. Diese Regel erlaubt nur eine Ausnahme, wenn fundierte Anhaltspunkte einen nach der Schädigung erwachten Leistungs- und Ausbildungswillen dokumentieren, der in wesentlichem Umfang an den Verletzungsfolgen gescheitert ist.
2) Fehlt es für die Zeit vor der Schädigung an jeglichem konkreten Anhaltspunkt dafür, daß ein Leistungswille vorhanden war, sich über den Hilfsarbeiter emporzuarbeiten, dann ist ein entsprechender beruflicher Aufstieg für die Zeit nach der Schädigung schon nach dem ersten Anschein nicht hinreichend wahrscheinlich. Diese Regel erlaubt nur eine Ausnahme, wenn fundierte Anhaltspunkte einen nach der Schädigung erwachten Leistungs- und Ausbildungswillen dokumentieren, der in wesentlichem Umfang an den Verletzungsfolgen gescheitert ist.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 3. Juni 1970 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Bei dem 1920 geborenen und 1971 verstorbenen Ehemann der Klägerin E. B. (E.B.) waren durch Neufeststellungsbescheid vom 21. Januar 1957
"1) Verlust des rechten Oberschenkels,
2) Bewegungsbehinderung im rechten Ellenbogen- und Unterarmdrehgelenk” als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) mit einem Grade der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 90 v.H. unter Berücksichtigung der Betroffenheit im Beruf anerkannt gewesen.
Am 22. Oktober 1964 hatte er bei dem Versorgungsamt Darmstadt Berufsschadensausgleich begehrt und zu seinem beruflichen Werdegang angegeben, nach Besuch der Volksschule von 1937 bis 1940 zunächst Hilfsarbeiter über Tage, später Schlepper über und unter Tage, Haldenarbeiter und Lehrhauer in W. sowie 1940/41 Stanzer gewesen zu sein. Ab 1954 habe er als Lederarbeiter, von 1956 an bei einer Trafo-Spulenwickelei gearbeitet. Sein durch die Schädigungsfolgen vereiteltes Berufsziel sei Bergmann gewesen. Aus dem von ihm eingereichten Arbeitsbuch ist zu entnehmen, daß er ab Oktober 1935 als Wickelmacher in einer Zigarrenfabrik, April 1937 als Kalkarbeiter, Februar 1938 als Hilfsarbeiter über Tage, November 1938 als Schlepper und ab Februar 1940 bis Mitte August 1940 als Haldenarbeiter tätig war. Alsdann ist bis August 1941 ein Beschäftigungsverhältnis zunächst als Hilfsarbeiter, später als Stanzer in der Schuhfabrik W. in W. vermerkt. Der Inhaber der Hausschuhfabrik K. D. bescheinigte ihm am 17. Oktober 1964 er habe diese letzte Tätigkeit wegen der Schädigungsfolgen nicht wieder aufnehmen können. Es dürfe angenommen werden, daß E. B. heute bestimmt eine Meisterstelle innehätte, zumindest aber als Vorarbeiter tätig wäre.
Das Versorgungsamt hatte ermittelt, daß E. B. ab 1. März 1966 Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit von der Landesversicherungsanstalt Hessen (LVA) bezog und den Antrag durch Bescheid vom 31. Mai 1967 mit der Begründung abgelehnt, erst die Folgen eines 1965 erlittenen Herzinfarktes hätten die weitere Berufsausübung verhindert. Ein Einkommensverlust liege deshalb nicht vor.
Im Widerspruchsverfahren hatte E. B. auf seinen früheren Anlernberuf als Stanzer und darauf hingewiesen, daß sein berufliches Betroffensein anerkannt worden sei, weil er nach der Schädigung nur noch halbtags als Hilfsarbeiter habe tätig sein können. Hierauf hatte das Versorgungsamt bei der letzten Arbeitgeberin ermittelt und von dem Facharzt für Chirurgie Dr. B. eine aktenmäßige Äußerung eingeholt. Alsdann hatte es den angefochtenen Bescheid durch Bescheid vom 26. Juli 1968 ausgehoben und ab 1. Januar 1964 Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe 5 der Arbeiter im Wirtschaftsbereich Investitionsgüterindustrie – elektrotechnische Industrie – in gesetzlicher Höhe gewährt.
Da E. B. seinen Widerspruch unter Hinweis auf seine vor der Schädigung ausgeübte Tätigkeit als Stanzer aufrechterhalten und mit einer weiteren Bescheinigung des K. D. vom 9. September 1968 untermauert hatte, war der Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 1968 ergangen. Dieser hatte den Abhilfebescheid vom 26. Juli 1968 mit der Begründung bestätigt, ausweislich des vorgelegten Arbeitsbuchs habe E. B. weder eine Lehre absolviert noch besondere Fachkenntnisse erworben gehabt. Außer seiner Tätigkeit im Bergbau, die er nach eigenen Angaben aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben habe, sei er weder als angelernter noch als Facharbeiter tätig gewesen.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Darmstadt hatte E. B. seine Einlassung dahin abgeändert, daß bei der Berechnung des Durchschnittseinkommens für den Berufsschadensausgleich von einem angelernten Arbeiter (Leistungsgruppe 2) in der elektrotechnischen Industrie auszugehen sei und sich dafür auf eine Bescheinigung der Firma G. KG. in R. vom 31. Oktober 1968 berufen.
Demgegenüber hat der Beklagte auf die erste Auskunft dieser Firma vom 27. September 1967 verwiesen, welche im Widerspruch hierzu ergebe, daß E. B. ausschließlich mit dem Streichen von Transformatoren beschäftigt gewesen sei. S. E. hätte er die Möglichkeit gehabt, die in der zweiten Bescheinigung genannten Tätigkeiten, wie Verlöten und Spulenwickeln zu erlernen. Hiervon habe er jedoch keinen Gebrauch gemacht, sondern sich nach den auf Bl. 456 VA gemachten Angaben auf eine reine Hilfsarbeitertätigkeit beschränkt.
Auf Anfrage des Sozialgerichts hat die Firma G. KG. am 22. Juli 1969 mitgeteilt, E. B. sei am 14. November als Hilfsarbeiter eingestellt und zum Spulenwickeln, Paketieren, Verschrauben und Verlöten von Transformatoren angelernt worden. Diese Tätigkeiten habe er bis Ende des Jahres 1960 ausgeführt, weshalb er als angelernter Arbeiter zu betrachten sei. Anschließend sei er aus betrieblichen Gründen ausschließlich zum Streichen von Transformatoren eingesetzt gewesen.
E. B. hatte sich bezüglich seiner 1960 erfolgten Umsetzung in Halbtagstätigkeit auf eine Bescheinigung des prakt. Arztes Dr. S. vom 18. September 1969 berufen.
Dagegen hat sich der Beklagte mit dem Hinweis gewandt, aus den Aktenunterlagen sei eindeutig zu ersehen, daß E. B. während der gesamten Zeit seiner Tätigkeit bei der Firma G. KG. nur einer Halbtagsbeschäftigung nachgegangen sei. Da das im wesentlichen auf den anerkannten Schädigungsfolgen beruht habe, sei das besondere berufliche Betroffensein anerkannt worden. Für den Berufsschadensausgleich sei er als Hilfsarbeiter einzustufen.
Mit Urteil vom 3. Juni 1970 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, E. B. sei als ungelernter Arbeiter auf den verschiedensten Gebieten tätig gewesen. Eine Einstufung in die Leistungsgruppe 2 in der elektrotechnischen Industrie stehe ihm deshalb selbst dann nicht zu, wenn er bei der Firma G. zunächst mit Tätigkeiten wie Spulenwickeln, Paketieren, Verschrauben und Verlöten beschäftigt gewesen sei, für diese Arbeiten habe er nur eine Anlernzeit von einigen Tagen, nicht aber die erforderliche Zeit von ein bis zwei Jahren benötigt.
Gegen dieses Urteil, das E. B. am 15. Juni 1970 zugestellt worden ist, richtet sich die am 25. Juni 1970 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung, welche die Klägerin als Rechtsnachfolgerin weiterführt. Zur Begründung wiederholt sie das bisherige Vorbringen und führt zusätzlich aus, wegen des Berufsbildes vor der Schädigung komme für die Einstufung das Durchschnittseinkommen des angelernten Arbeiters aller Wirtschaftsbereiche zusammen in Betracht.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 3. Juni 1970 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 26. Juli 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 1968 zu verurteilen, an sie als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes Berufsschadensausgleich vom 1. Januar 1964 bis zu dessen Tode unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe 2 der Arbeiter aller Wirtschaftsbereiche zusammen zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Das neue Vorbringen stehe im Widerspruch zu den Akteninhalt.
Die Akten des Versorgungsamts Darmstadt mit der Archiv-Nr. XXX haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –). Sie ist jedoch, nicht begründet.
Der angefochtene Bescheid vom 26. Juli 1968 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides ist nicht rechtswidrig. Über den Bescheid vom 31. Mai 1967 hatte der Senat nicht zu befinden, da dieser bereits durch den Abhilfebescheid vom 26. Juli 1968 aufgehoben worden war, was das Sozialgericht bei Entgegennahme der Anträge in der mündlichem Verhandlung vom 3. Juni 1970 übersehen hat.
Rechtsgrundlage ist § 30 Abs. 3 und 4 BVG i.d.F. des 2. und 3. Neuordnungsgesetzes (NOG), wonach Schwerbeschädigte, deren Erwerbseinkommen durch die Schädigungsfolgen um monatlich mindestens 75,– DM oder überhaupt gemindert ist (Einkommensverlust), nach Anwendung des § 30 Abs. 2 BVG einen Berufsschadensausgleich in monatlicher Höhe von vier Zehntel des Verlustes oder nach einer bezifferten Höchstgrenze erhalten (§ 30 Abs. 3 BVG). Einkommensverlust ist dabei der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente und dem höheren Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, welcher der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinem Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte.
Von diesen Vorschriften ausgehend konnte der Senat dem Begehren der Klägerin nicht entsprechen. Denn E. B. hatte bei der Firma G. KG keine – später wegen der Verwundungsfolgen nicht mehr zumutbare – Tätigkeit ausgeübt, welche als angelernte anzusehen war und die Eingruppierung in die Leistungsgruppe 2 rechtfertigt. Auf sein früheres Vorbringen, wegen des vor der Schädigung zuletzt ausgeübten Stanzerberufes im Bereich der Schuhindustrie in diese Leistungsgruppe eingestuft zu werden, war nicht mehr einzugehen, da er bereits in erster Instanz sein Begehren hierauf nicht mehr ausgerichtet hatte. Ebensowenig war auf den Bergmannsberuf abzustellen. Diesen hatte er zwar zu Beginn des Verwaltungsverfahrens als durch die Schädigungsfolgen vereiteltes Berufsziel angegeben. Später hatte er indessen vorgetragen gehabt, aus dem Bergbau schon 1940 wegen, gesundheitlicher Gründe ausgeschieden zu sein, ohne daß sich ein Zusammenhang mit schädigungsbedingten Gründen erkennen läßt. Schließlich vermochte der Senat auch dem neuen Vorbringen der Klägerin nicht zu folgen, wonach im Gegensatz zu dem Begehren des E. B. bei der Berechnung des Durchschnittseinkommens von der Leistungsgruppe 2 aller Wirtschaftsbereiche zusammen auszugehen sei. Denn E. B. hatte sich klar dahin eingelassen, sich arbeitsmäßig der Elektroindustrie zugewandt zu haben, wobei er eine Brücke von der letzten Beschäftigung vor der Schädigung zu der Arbeit bei der Firma G. KG. geschlagen hatte. Wenn er zu Lebzeiten auf den Stanzerberuf nicht mehr Bezug genommen hatte, obwohl das nach der einschlägigen Rechtsprechung des BSG sachgerecht gewesen wäre, dann kann der Senat bei der Nachzeichnung des vermutlichen weiteren Berufsweges auch nicht mehr darauf zurückgreifen, ohne dem Sachverhalt Gewalt anzutun. Ein Kläger bleibt bezüglich des Vortrages und der Begründung von Tatsachen, welche den Anspruch auszufüllen geeignet sind, immer Herr des Verfahrens. Ein späterer Einfall, daß andere Gesichtspunkte zu einem finanziell günstigeren Ergebnis führen konnten, berührt diesen Grundsatz nicht, sofern nicht offenbar wird, daß das frühere Vorbringen objektiv unrichtig war. Insoweit ergibt der Akteninhalt jedoch keine Hinweise, so daß hier nach wie vor weder der Wirtschaftsbereich Schuhindustrie noch alle Wirtschaftsbereiche zusammen zugrundegelegt werden konnten.
Bei seiner Entscheidung hat der Senat deshalb die Bescheinigung der Firma G. KG. vom 27. September 1967 heranzuziehen gehabt. Aus dieser geht eindeutig hervor, daß E. B. vom 4. November 1956 bis 18. Oktober 1966 dort als Hilfsarbeiter beschäftigt war und in der Abteilung Trafo-Einzelmontage Verwendung gefunden hatte. Mit ihren späteren Auskünften vom 31. Oktober 1968 und 22. Juli 1969 kann die Arbeitgeberin, diese erste Mitteilung nicht entkräften oder gar widerlegen. E. B. ist ganz offensichtlich von Anbeginn seiner Tätigkeit auch nur halbtags tätig gewesen. Aus diesem Grunde war sein berufliches Betroffensein anerkannt worden. Diesem Umstand trägt die Bescheinigung des Dr. S. vom 18. September 1969 keine Rechnung, die deshalb keine entscheidungserhebliche Bedeutung besitzt. Zwar ist möglich und soll zugunsten der Klägerin unterstellt werden, daß E. B. etwa Ende 1960 auf einen anderen Arbeitsplatz umgesetzt worden ist und erst auf diesem Anstreicherarbeiten verrichtet hat. Eine wesentlich andere Bewertung seiner Arbeitsleistung im Sinne einer Herabstufung in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht ist damit aber nicht erfolgt. Das geht mit Sicherheit aus sämtlichen in den Versorgungsakten befindlichen Verdienstbescheinigungen der Firma G. KG. hervor. Auch danach hat sie ihn ab Beschäftigungsbeginn im Gegensatz zu ihren späteren Behauptungen ausnahmslos als Hilfsarbeiter eingesetzt. Der Verdienst für diese Halbtagsarbeit fiel seit Juni 1960 (nicht von Ende 1960 an) nur geringfügig ab (vgl. Bl. 234, 236, 243, 308 und 310 VA). Keinesfalls ist hieraus der Rückschluß zu ziehen, daß E. B. im Jahre 1960 aus schädigungsbedingten Gründen seine Tätigkeit als angelernter Arbeiter verloren hatte. Das hat die Firma G. KG. im übrigen selbst nicht gesagt. Sie hat am 22. Juli 1969 nur bescheinigt, er sei wegen verkürzter Arbeitszeit für eine andere Tätigkeit – gemeint ist wohl das Anstreichen von Transformatoren – verwendet worden. Aus dieser tariflich begründeten Verkürzung resultiert der geringfügige Mindestverdienst, nicht aber aus den Schädigungsfolgen. Daß bei der Firma G. KG. in der Regel auch ungelernte Arbeitskräfte durch entsprechendes Anlernen betriebliche Fachkräfte wurden oder werden, mag durchaus sein. Diese Tatsache ist jedoch nicht prozesserheblich. Denn im Falle von E. B. war es ausweislich der Verdienstbescheinigungen nicht der Fall, was er im übrigen im Widerspruchsschreiben vom 12. Juli 1967 selbst bestätigt hatte.
Die Frage, ob er ohne die Schädigungsfolgen zum angelernten Arbeiter im Sinne einer solchen Fachkraft aufgestiegen wäre, ist nach Auffassung des Senats ebenfalls zu verneinen. Hierzu ist insbesondere sein Berufsbild vor der Schädigung aufschlußreich. Danach hatte er die aus dem Arbeitsbuch zu ersehenden Hilfsarbeitertätigkeiten ausgeübt.
Eine qualifizierte Arbeit war nicht dabei. Seine letzte Beschäftigung vor der Einberufung hätte theoretisch zu einem Aufstieg führen können. Ausweislich seines Arbeitsbuchs hatte er sie jedoch nur ca. drei Monate lang ausgeführt, d.h. eine Zeitspanne, die gerade die erforderliche Anlernzeit ausgefüllt haben würde. Entscheidend ist insofern, daß er entgegen der Meinung des K. D. aber tatsächlich kein angelernter Arbeiter gewesen ist. Das geht aus Bl. 3 VA einwandfrei hervor. Dort hatte E. B. sich am 17. Mai 1945 nämlich selbst als Stanzenhilfsarbeiter bezeichnet. Auch das Versorgungsamt Heidelberg hat als letzten Dauerberuf auf Bl. 6 VA den des Hilfsarbeiters vermerkt.
Nach dem Kriege war er bis einschließlich Oktober 1950 zunächst Posthalter geworden und hatte diese Arbeit auf eigenen Wunsch wegen zu geringen Verdienstes und Wohnsitzwechsels aufgegeben, ohne sie in dem Erhebungsbogen über Ermittlungen gemäß § 30 Abs. 3 und 4 BVG anzugeben. Diese Arbeit war ebenfalls nicht qualifiziert im Sinne der Leistungsgruppe 2 der Arbeiter, wenn sie andererseits auch keine Minderqualifikation im Vergleich zu den vor der Schädigung verrichteten Arbeiten beinhaltete. Das gleiche gilt für die Tätigkeit als Kontrolleur bei der Firma F., die er ausweislich des Ergebnisses der ärztlichen Begutachtung vom Juni 1956 ein Jahr zuvor aus nichtschädigungsbedingten Gründen verloren hatte.
Ein besonderer Ausbildungswille ist in Wertung aller Beschäftigungsverhältnisse nicht zu erkennen. Nach dem beruflichen Werdegang insbesondere bis zur Schädigung ist E. B. nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten deshalb richtig eingestuft worden, zumal er auch bei seiner letzten Arbeitgeberin keine konkret erkennbaren Anstrengungen unternommen hatte, sich über den Hilfsarbeiter emporzuarbeiten. Das wäre auch mit seinen Schädigungsfolgen indessen zumutbar und objektiv möglich gewesen, vor allem dann, wenn er sich für die Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes der Schwerbeschädigtenfürsorge bedient oder die Durchführung von Berufsförderungsmaßnahmen beantragt hätte. Hierfür ergeben die gesamten Akten jedoch nichts. Fehlt es, wie hier aktenkundig ist, für die Zeit vor der Schädigung an jeglichem konkreten Anhaltspunkt dafür, daß nach anfänglichen Hilfstätigkeiten der Leistungswille vorhanden war, künftig qualifizierte Arbeiten auszuführen, dann ist ein beruflicher Aufstieg im Sinne des Berufsschadensrechts für die Zeit nach der Schädigung schon nach dem ersten Anschein nicht hinreichend wahrscheinlich. Diese Regel erlaubt nur eine Ausnahme, wenn fundierte Anhaltspunkte einen nach der Schädigung erwachten Leistungs- und Ausbildungswillen im Sinne des § 30 Abs. 4 BVG und des § 2 der einschlägigen Durchführungsverordnungen dokumentieren, der in wesentlichem Umfang an den Verletzungsfolgen gescheitert ist. Da solche Anhaltspunkte nicht vorhanden sind, mußte der Berufung der Erfolg mit der aus § 193 SGG entnommenen Kostenfolge versagt werden.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Bei dem 1920 geborenen und 1971 verstorbenen Ehemann der Klägerin E. B. (E.B.) waren durch Neufeststellungsbescheid vom 21. Januar 1957
"1) Verlust des rechten Oberschenkels,
2) Bewegungsbehinderung im rechten Ellenbogen- und Unterarmdrehgelenk” als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) mit einem Grade der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 90 v.H. unter Berücksichtigung der Betroffenheit im Beruf anerkannt gewesen.
Am 22. Oktober 1964 hatte er bei dem Versorgungsamt Darmstadt Berufsschadensausgleich begehrt und zu seinem beruflichen Werdegang angegeben, nach Besuch der Volksschule von 1937 bis 1940 zunächst Hilfsarbeiter über Tage, später Schlepper über und unter Tage, Haldenarbeiter und Lehrhauer in W. sowie 1940/41 Stanzer gewesen zu sein. Ab 1954 habe er als Lederarbeiter, von 1956 an bei einer Trafo-Spulenwickelei gearbeitet. Sein durch die Schädigungsfolgen vereiteltes Berufsziel sei Bergmann gewesen. Aus dem von ihm eingereichten Arbeitsbuch ist zu entnehmen, daß er ab Oktober 1935 als Wickelmacher in einer Zigarrenfabrik, April 1937 als Kalkarbeiter, Februar 1938 als Hilfsarbeiter über Tage, November 1938 als Schlepper und ab Februar 1940 bis Mitte August 1940 als Haldenarbeiter tätig war. Alsdann ist bis August 1941 ein Beschäftigungsverhältnis zunächst als Hilfsarbeiter, später als Stanzer in der Schuhfabrik W. in W. vermerkt. Der Inhaber der Hausschuhfabrik K. D. bescheinigte ihm am 17. Oktober 1964 er habe diese letzte Tätigkeit wegen der Schädigungsfolgen nicht wieder aufnehmen können. Es dürfe angenommen werden, daß E. B. heute bestimmt eine Meisterstelle innehätte, zumindest aber als Vorarbeiter tätig wäre.
Das Versorgungsamt hatte ermittelt, daß E. B. ab 1. März 1966 Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit von der Landesversicherungsanstalt Hessen (LVA) bezog und den Antrag durch Bescheid vom 31. Mai 1967 mit der Begründung abgelehnt, erst die Folgen eines 1965 erlittenen Herzinfarktes hätten die weitere Berufsausübung verhindert. Ein Einkommensverlust liege deshalb nicht vor.
Im Widerspruchsverfahren hatte E. B. auf seinen früheren Anlernberuf als Stanzer und darauf hingewiesen, daß sein berufliches Betroffensein anerkannt worden sei, weil er nach der Schädigung nur noch halbtags als Hilfsarbeiter habe tätig sein können. Hierauf hatte das Versorgungsamt bei der letzten Arbeitgeberin ermittelt und von dem Facharzt für Chirurgie Dr. B. eine aktenmäßige Äußerung eingeholt. Alsdann hatte es den angefochtenen Bescheid durch Bescheid vom 26. Juli 1968 ausgehoben und ab 1. Januar 1964 Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe 5 der Arbeiter im Wirtschaftsbereich Investitionsgüterindustrie – elektrotechnische Industrie – in gesetzlicher Höhe gewährt.
Da E. B. seinen Widerspruch unter Hinweis auf seine vor der Schädigung ausgeübte Tätigkeit als Stanzer aufrechterhalten und mit einer weiteren Bescheinigung des K. D. vom 9. September 1968 untermauert hatte, war der Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 1968 ergangen. Dieser hatte den Abhilfebescheid vom 26. Juli 1968 mit der Begründung bestätigt, ausweislich des vorgelegten Arbeitsbuchs habe E. B. weder eine Lehre absolviert noch besondere Fachkenntnisse erworben gehabt. Außer seiner Tätigkeit im Bergbau, die er nach eigenen Angaben aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben habe, sei er weder als angelernter noch als Facharbeiter tätig gewesen.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Darmstadt hatte E. B. seine Einlassung dahin abgeändert, daß bei der Berechnung des Durchschnittseinkommens für den Berufsschadensausgleich von einem angelernten Arbeiter (Leistungsgruppe 2) in der elektrotechnischen Industrie auszugehen sei und sich dafür auf eine Bescheinigung der Firma G. KG. in R. vom 31. Oktober 1968 berufen.
Demgegenüber hat der Beklagte auf die erste Auskunft dieser Firma vom 27. September 1967 verwiesen, welche im Widerspruch hierzu ergebe, daß E. B. ausschließlich mit dem Streichen von Transformatoren beschäftigt gewesen sei. S. E. hätte er die Möglichkeit gehabt, die in der zweiten Bescheinigung genannten Tätigkeiten, wie Verlöten und Spulenwickeln zu erlernen. Hiervon habe er jedoch keinen Gebrauch gemacht, sondern sich nach den auf Bl. 456 VA gemachten Angaben auf eine reine Hilfsarbeitertätigkeit beschränkt.
Auf Anfrage des Sozialgerichts hat die Firma G. KG. am 22. Juli 1969 mitgeteilt, E. B. sei am 14. November als Hilfsarbeiter eingestellt und zum Spulenwickeln, Paketieren, Verschrauben und Verlöten von Transformatoren angelernt worden. Diese Tätigkeiten habe er bis Ende des Jahres 1960 ausgeführt, weshalb er als angelernter Arbeiter zu betrachten sei. Anschließend sei er aus betrieblichen Gründen ausschließlich zum Streichen von Transformatoren eingesetzt gewesen.
E. B. hatte sich bezüglich seiner 1960 erfolgten Umsetzung in Halbtagstätigkeit auf eine Bescheinigung des prakt. Arztes Dr. S. vom 18. September 1969 berufen.
Dagegen hat sich der Beklagte mit dem Hinweis gewandt, aus den Aktenunterlagen sei eindeutig zu ersehen, daß E. B. während der gesamten Zeit seiner Tätigkeit bei der Firma G. KG. nur einer Halbtagsbeschäftigung nachgegangen sei. Da das im wesentlichen auf den anerkannten Schädigungsfolgen beruht habe, sei das besondere berufliche Betroffensein anerkannt worden. Für den Berufsschadensausgleich sei er als Hilfsarbeiter einzustufen.
Mit Urteil vom 3. Juni 1970 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, E. B. sei als ungelernter Arbeiter auf den verschiedensten Gebieten tätig gewesen. Eine Einstufung in die Leistungsgruppe 2 in der elektrotechnischen Industrie stehe ihm deshalb selbst dann nicht zu, wenn er bei der Firma G. zunächst mit Tätigkeiten wie Spulenwickeln, Paketieren, Verschrauben und Verlöten beschäftigt gewesen sei, für diese Arbeiten habe er nur eine Anlernzeit von einigen Tagen, nicht aber die erforderliche Zeit von ein bis zwei Jahren benötigt.
Gegen dieses Urteil, das E. B. am 15. Juni 1970 zugestellt worden ist, richtet sich die am 25. Juni 1970 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung, welche die Klägerin als Rechtsnachfolgerin weiterführt. Zur Begründung wiederholt sie das bisherige Vorbringen und führt zusätzlich aus, wegen des Berufsbildes vor der Schädigung komme für die Einstufung das Durchschnittseinkommen des angelernten Arbeiters aller Wirtschaftsbereiche zusammen in Betracht.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 3. Juni 1970 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 26. Juli 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 1968 zu verurteilen, an sie als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes Berufsschadensausgleich vom 1. Januar 1964 bis zu dessen Tode unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe 2 der Arbeiter aller Wirtschaftsbereiche zusammen zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Das neue Vorbringen stehe im Widerspruch zu den Akteninhalt.
Die Akten des Versorgungsamts Darmstadt mit der Archiv-Nr. XXX haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –). Sie ist jedoch, nicht begründet.
Der angefochtene Bescheid vom 26. Juli 1968 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides ist nicht rechtswidrig. Über den Bescheid vom 31. Mai 1967 hatte der Senat nicht zu befinden, da dieser bereits durch den Abhilfebescheid vom 26. Juli 1968 aufgehoben worden war, was das Sozialgericht bei Entgegennahme der Anträge in der mündlichem Verhandlung vom 3. Juni 1970 übersehen hat.
Rechtsgrundlage ist § 30 Abs. 3 und 4 BVG i.d.F. des 2. und 3. Neuordnungsgesetzes (NOG), wonach Schwerbeschädigte, deren Erwerbseinkommen durch die Schädigungsfolgen um monatlich mindestens 75,– DM oder überhaupt gemindert ist (Einkommensverlust), nach Anwendung des § 30 Abs. 2 BVG einen Berufsschadensausgleich in monatlicher Höhe von vier Zehntel des Verlustes oder nach einer bezifferten Höchstgrenze erhalten (§ 30 Abs. 3 BVG). Einkommensverlust ist dabei der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente und dem höheren Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, welcher der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinem Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte.
Von diesen Vorschriften ausgehend konnte der Senat dem Begehren der Klägerin nicht entsprechen. Denn E. B. hatte bei der Firma G. KG keine – später wegen der Verwundungsfolgen nicht mehr zumutbare – Tätigkeit ausgeübt, welche als angelernte anzusehen war und die Eingruppierung in die Leistungsgruppe 2 rechtfertigt. Auf sein früheres Vorbringen, wegen des vor der Schädigung zuletzt ausgeübten Stanzerberufes im Bereich der Schuhindustrie in diese Leistungsgruppe eingestuft zu werden, war nicht mehr einzugehen, da er bereits in erster Instanz sein Begehren hierauf nicht mehr ausgerichtet hatte. Ebensowenig war auf den Bergmannsberuf abzustellen. Diesen hatte er zwar zu Beginn des Verwaltungsverfahrens als durch die Schädigungsfolgen vereiteltes Berufsziel angegeben. Später hatte er indessen vorgetragen gehabt, aus dem Bergbau schon 1940 wegen, gesundheitlicher Gründe ausgeschieden zu sein, ohne daß sich ein Zusammenhang mit schädigungsbedingten Gründen erkennen läßt. Schließlich vermochte der Senat auch dem neuen Vorbringen der Klägerin nicht zu folgen, wonach im Gegensatz zu dem Begehren des E. B. bei der Berechnung des Durchschnittseinkommens von der Leistungsgruppe 2 aller Wirtschaftsbereiche zusammen auszugehen sei. Denn E. B. hatte sich klar dahin eingelassen, sich arbeitsmäßig der Elektroindustrie zugewandt zu haben, wobei er eine Brücke von der letzten Beschäftigung vor der Schädigung zu der Arbeit bei der Firma G. KG. geschlagen hatte. Wenn er zu Lebzeiten auf den Stanzerberuf nicht mehr Bezug genommen hatte, obwohl das nach der einschlägigen Rechtsprechung des BSG sachgerecht gewesen wäre, dann kann der Senat bei der Nachzeichnung des vermutlichen weiteren Berufsweges auch nicht mehr darauf zurückgreifen, ohne dem Sachverhalt Gewalt anzutun. Ein Kläger bleibt bezüglich des Vortrages und der Begründung von Tatsachen, welche den Anspruch auszufüllen geeignet sind, immer Herr des Verfahrens. Ein späterer Einfall, daß andere Gesichtspunkte zu einem finanziell günstigeren Ergebnis führen konnten, berührt diesen Grundsatz nicht, sofern nicht offenbar wird, daß das frühere Vorbringen objektiv unrichtig war. Insoweit ergibt der Akteninhalt jedoch keine Hinweise, so daß hier nach wie vor weder der Wirtschaftsbereich Schuhindustrie noch alle Wirtschaftsbereiche zusammen zugrundegelegt werden konnten.
Bei seiner Entscheidung hat der Senat deshalb die Bescheinigung der Firma G. KG. vom 27. September 1967 heranzuziehen gehabt. Aus dieser geht eindeutig hervor, daß E. B. vom 4. November 1956 bis 18. Oktober 1966 dort als Hilfsarbeiter beschäftigt war und in der Abteilung Trafo-Einzelmontage Verwendung gefunden hatte. Mit ihren späteren Auskünften vom 31. Oktober 1968 und 22. Juli 1969 kann die Arbeitgeberin, diese erste Mitteilung nicht entkräften oder gar widerlegen. E. B. ist ganz offensichtlich von Anbeginn seiner Tätigkeit auch nur halbtags tätig gewesen. Aus diesem Grunde war sein berufliches Betroffensein anerkannt worden. Diesem Umstand trägt die Bescheinigung des Dr. S. vom 18. September 1969 keine Rechnung, die deshalb keine entscheidungserhebliche Bedeutung besitzt. Zwar ist möglich und soll zugunsten der Klägerin unterstellt werden, daß E. B. etwa Ende 1960 auf einen anderen Arbeitsplatz umgesetzt worden ist und erst auf diesem Anstreicherarbeiten verrichtet hat. Eine wesentlich andere Bewertung seiner Arbeitsleistung im Sinne einer Herabstufung in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht ist damit aber nicht erfolgt. Das geht mit Sicherheit aus sämtlichen in den Versorgungsakten befindlichen Verdienstbescheinigungen der Firma G. KG. hervor. Auch danach hat sie ihn ab Beschäftigungsbeginn im Gegensatz zu ihren späteren Behauptungen ausnahmslos als Hilfsarbeiter eingesetzt. Der Verdienst für diese Halbtagsarbeit fiel seit Juni 1960 (nicht von Ende 1960 an) nur geringfügig ab (vgl. Bl. 234, 236, 243, 308 und 310 VA). Keinesfalls ist hieraus der Rückschluß zu ziehen, daß E. B. im Jahre 1960 aus schädigungsbedingten Gründen seine Tätigkeit als angelernter Arbeiter verloren hatte. Das hat die Firma G. KG. im übrigen selbst nicht gesagt. Sie hat am 22. Juli 1969 nur bescheinigt, er sei wegen verkürzter Arbeitszeit für eine andere Tätigkeit – gemeint ist wohl das Anstreichen von Transformatoren – verwendet worden. Aus dieser tariflich begründeten Verkürzung resultiert der geringfügige Mindestverdienst, nicht aber aus den Schädigungsfolgen. Daß bei der Firma G. KG. in der Regel auch ungelernte Arbeitskräfte durch entsprechendes Anlernen betriebliche Fachkräfte wurden oder werden, mag durchaus sein. Diese Tatsache ist jedoch nicht prozesserheblich. Denn im Falle von E. B. war es ausweislich der Verdienstbescheinigungen nicht der Fall, was er im übrigen im Widerspruchsschreiben vom 12. Juli 1967 selbst bestätigt hatte.
Die Frage, ob er ohne die Schädigungsfolgen zum angelernten Arbeiter im Sinne einer solchen Fachkraft aufgestiegen wäre, ist nach Auffassung des Senats ebenfalls zu verneinen. Hierzu ist insbesondere sein Berufsbild vor der Schädigung aufschlußreich. Danach hatte er die aus dem Arbeitsbuch zu ersehenden Hilfsarbeitertätigkeiten ausgeübt.
Eine qualifizierte Arbeit war nicht dabei. Seine letzte Beschäftigung vor der Einberufung hätte theoretisch zu einem Aufstieg führen können. Ausweislich seines Arbeitsbuchs hatte er sie jedoch nur ca. drei Monate lang ausgeführt, d.h. eine Zeitspanne, die gerade die erforderliche Anlernzeit ausgefüllt haben würde. Entscheidend ist insofern, daß er entgegen der Meinung des K. D. aber tatsächlich kein angelernter Arbeiter gewesen ist. Das geht aus Bl. 3 VA einwandfrei hervor. Dort hatte E. B. sich am 17. Mai 1945 nämlich selbst als Stanzenhilfsarbeiter bezeichnet. Auch das Versorgungsamt Heidelberg hat als letzten Dauerberuf auf Bl. 6 VA den des Hilfsarbeiters vermerkt.
Nach dem Kriege war er bis einschließlich Oktober 1950 zunächst Posthalter geworden und hatte diese Arbeit auf eigenen Wunsch wegen zu geringen Verdienstes und Wohnsitzwechsels aufgegeben, ohne sie in dem Erhebungsbogen über Ermittlungen gemäß § 30 Abs. 3 und 4 BVG anzugeben. Diese Arbeit war ebenfalls nicht qualifiziert im Sinne der Leistungsgruppe 2 der Arbeiter, wenn sie andererseits auch keine Minderqualifikation im Vergleich zu den vor der Schädigung verrichteten Arbeiten beinhaltete. Das gleiche gilt für die Tätigkeit als Kontrolleur bei der Firma F., die er ausweislich des Ergebnisses der ärztlichen Begutachtung vom Juni 1956 ein Jahr zuvor aus nichtschädigungsbedingten Gründen verloren hatte.
Ein besonderer Ausbildungswille ist in Wertung aller Beschäftigungsverhältnisse nicht zu erkennen. Nach dem beruflichen Werdegang insbesondere bis zur Schädigung ist E. B. nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten deshalb richtig eingestuft worden, zumal er auch bei seiner letzten Arbeitgeberin keine konkret erkennbaren Anstrengungen unternommen hatte, sich über den Hilfsarbeiter emporzuarbeiten. Das wäre auch mit seinen Schädigungsfolgen indessen zumutbar und objektiv möglich gewesen, vor allem dann, wenn er sich für die Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes der Schwerbeschädigtenfürsorge bedient oder die Durchführung von Berufsförderungsmaßnahmen beantragt hätte. Hierfür ergeben die gesamten Akten jedoch nichts. Fehlt es, wie hier aktenkundig ist, für die Zeit vor der Schädigung an jeglichem konkreten Anhaltspunkt dafür, daß nach anfänglichen Hilfstätigkeiten der Leistungswille vorhanden war, künftig qualifizierte Arbeiten auszuführen, dann ist ein beruflicher Aufstieg im Sinne des Berufsschadensrechts für die Zeit nach der Schädigung schon nach dem ersten Anschein nicht hinreichend wahrscheinlich. Diese Regel erlaubt nur eine Ausnahme, wenn fundierte Anhaltspunkte einen nach der Schädigung erwachten Leistungs- und Ausbildungswillen im Sinne des § 30 Abs. 4 BVG und des § 2 der einschlägigen Durchführungsverordnungen dokumentieren, der in wesentlichem Umfang an den Verletzungsfolgen gescheitert ist. Da solche Anhaltspunkte nicht vorhanden sind, mußte der Berufung der Erfolg mit der aus § 193 SGG entnommenen Kostenfolge versagt werden.
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