L 5 V 377/70

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 377/70
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 9. April 1970 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der 1926 geborene Kläger, der von Beruf Maurer ist, erhielt nach der Untersuchung durch Dr. H. am 8. Dezember 1947 mit Bescheid vom 6. Juli 1948 über die Feststellung einer Rente nach dem Leistungsgesetz für Körperbeschädigte eine Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H. für den Leistungsgrund:

"Narben an der linken Gesichtsseite, Erblindung des linken Auges, Verlust der Hörfähigkeit, Narbe an der Brust, am linken Arm, an beiden Unterschenkeln, Versteifung des rechten Fußgelenks nach Unterschenkelschußbruch. Überstandene Gelbsucht”.

Nach einer Begutachtung durch Dr. B. am 7. Februar 1951 führte der Umanerkennungsbescheid vom 21. Februar 1952 mit einer MdE um 50 v.H. als Schädigungsfolgen auf:

"1) Narbe an der linken Gesichtsseite.

2) Erblindung des linken Auges.

3) Verlust der Hörfähigkeit links.

4) Narbe an der Brust, linken Arm, beiden Unterschenkeln und Versteifung des rechten Fußgelenks nach Unterschenkelbruch”.

Der Kläger stellte unter Bezugnahme auf das ärztliche Attest des praktischen Arztes Dr. A. vom 9. Dezember 1961 am 12. Dezember 1961 einen Verschlimmerungsantrag, zu dem der praktische Arzt Dr. A. in der ärztlichen Bescheinigung vom 15. Mai 1962 aufführte, die Beschwerden seien seit etwa zwei Jahren dieselben, nämlich Kopfschmerzen, Schwindelgefühl und Stiche in der Herzgegend. Der gehörte Regierungsmedizinalrat Dr. W. meinte in dem versorgungsärztlichen Gutachten vom 12. Juli 1962, eine wesentliche Befundänderung sei im Vergleich zu dem Vorgutachten nicht festzustellen. Die MdE sei mit 50 v.H. auch jetzt ausreichend bewertet. Es sei nicht wahrscheinlich, daß die Schädigungsfolgen für den Berufswechsel ausschlaggebend gewesen seien.

Der hiernach erteilte Bescheid vom 1. November 1962 bezeichnete die Schädigungsfolgen mit einem Grad der MdE um 50 v.H. neu, und zwar:

"1) Erblindung des linken Auges.

2) Verlust der Hörfähigkeit links.

3) Versteifung des rechten Fußgelenks.

4) Reizlose Narben in der linken Gesichtshälfte, am linken Arm, der Brust und beiden Unterschenkeln mit mehreren Weichteilstecksplittern im Bereich des Brustkorbes und des Halses.”

Der Bescheid führte weiterhin aus, die vegetative Dystonie sei weder mit dem geleisteten Wehrdienst noch mit den anerkannten Schädigungsfolgen in ursächlichem Zusammenhang zu bringen. Die Schädigungsfolgen hätten nicht zu dem Berufswechsel geführt. Wahrscheinlicher sei es vielmehr, daß die in letzter Zeit verstärkt auftretende vegetative Dystonie den Berufswechsel zur Folge gehabt habe.

Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27. August 1963).

In dem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Darmstadt hat auf Veranlassung des Klägers der Facharzt für Nervenkrankheiten Dr. B. das Gutachten vom 3. April 1965 erstattet, der in der Anamnese aufführte, der Kläger habe als Maurer bis 1954 arbeiten können, jedoch nur in Innenräumen und zu ebener Erde. Als sich in den Jahren 1950 bis 1953 zunehmend Beschwerden im Sinne einer Nervosität, von Mißempfindungen – wie Wallungen in dem Schädel, Herz- und Brustbeklemmungen – eingestellt hätten, habe er seinen Beruf als Maurer aufgeben müssen und sich anschließend leichtere Tätigkeiten gesucht. Seit 1961 sei er als Botengänger beschäftigt.

Dem untersuchenden Facharzt für Chirurgie Dr. Br. gab der Kläger zur Anamnese an, er habe am 15. Juli 1963 Kirschen abnehmen wollen und habe dazu eine kleine Stehleiter benutzt. Etwa in Höhe von 2 m habe er gestanden, als die Leiter gewackelt habe. Aus Angst, er falle herunter, sei er abgesprungen. Er wisse nicht, wie er unten angekommen und ob er auf etwas aufgefallen sei. Dieser Sturz habe zu einem komplizierten Bruch des rechten Unterschenkels geführt. Dr. Br. führte in dem Gutachten vom 24. November 1965 aus, bei dem Unfall sei es zu einer Frakturierung beider Unterschenkelknochen rechts im distalen Bereich gekommen. Der Bruch sei heute klinisch wie röntgenologisch fest und knöchern verheilt. Es bestehe aber eine Fistel, die aller Wahrscheinlichkeit nach durch einen noch schwelenden osteomyelitischen Prozeß unterhalten werden. Durch die Versteifung im rechten Fußgelenk sei die Abfangmöglichkeit bei den äußeren Umständen, die das Abspringen aus 2 m Höhe notwendig gemacht habe, ohne Zweifel herabgesetzt gewesen. Mit dem versteiften Fuß habe es auch keine genügende Ausweichmöglichkeit bei eventuellen Bodenunebenheiten gegeben, zumal der distale Unterschenkel und der Fuß sicher zu einem gewissen Grade entkalkt und nicht so stabil wie ein gesunder Knochen gewesen sei. Im Hinblick auf diese Gesichtspunkte sei eine mittelbare Ursache des Beinbruches mit den anerkannten Verwundungsfolgen am rechten Bein zu bejahen. Der Zustand sei im Hinblick auf die vorhandene Fistel mit einer MdE von 40 bis 50 v.H. zu schätzen. Für die Berufsaufgabe 1954 sei weniger die Verletzung ursächlich gewesen, als vielmehr die Schwindelerscheinungen, die wohl mit dem erhöhten Blutdruck in Zusammenhang stünden.

In dem innermedizinischen Nebengutachten vom 24. November 1965 stellte der Facharzt für innere Medizin Dr. D. fest, als Schädigungsfolge komme der Bluthochdruck mit seinen Folgeerscheinungen nicht infrage. Wegen der Herz- und Kreislaufstörungen sei von einer Weiterarbeit als Maurer abzuraten.

Der weiterhin gehörte Facharzt für HNO-Krankheiten Dr. Bra. meinte in dem Nebengutachten vom 24. November 1965, auf dem linken Ohr liege eine erhebliche Hörstörung vor, jedoch kein Verlust der Hörfähigkeit. Die linksseitige Hörstörung habe einen mittleren Grad. Die MdE dafür sei mit 10 v.H. anzusetzen. Der Augenarzt Dr. O. konnte in seinem Gutachten vom 1. Dezember 1965 keine wesentliche Befundänderung diagnostizieren.

In dem nervenfachärztlichen Hauptgutachten vom 24. November 1965 stellte der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. fest, das angefertigte EEG lasse keine traumatisch bedingten Veränderungen erkennen.

Nach einer Begutachtung durch Prof. Dr. Dr. H. von der kieferchirurgischen Abteilung der Universitäts-Zahnklinik "Carolinum” erging der Abänderungsbescheid vom 18. Juli 1966, mit dem für die Schädigungsfolgen

"1) Erblindung des linken Auges infolge schwerer Prellungsverletzung des Augenhöhlenbodens und Verlagerung des Augapfels, Narben im linken Gesichtsbereich und traumatische Veränderungen im Gesichtsschädelskelett mit Einschränkung der Mundöffnung, Gehörgangsverengung links sowie Innenohrschwerhörigkeit mittleren Grades links. Leichte kosmetische Gesichtsentstellung.

2) Versteifung des rechten Fußgelenkes nach Schußbruch im Bereich des proximalen Unterschenkels. Knochennarbe im alten Verletzungsbereich sowie Stecksplitter. Narben und Stecksplitter am linken Bein, an der Brust und im Halsbereich. Narbe linke Ellenbeuge” der Grad der MdE unter Berücksichtigung eines besonderen beruflichen Betroffenseins gemäß § 30 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) mit 80 v.H. festgesetzt worden ist.

Der Kläger nahm daraufhin die Klage zurück.

Er beantragte am 15. August 1966, den Bruch des rechten Unterschenkels mit Fistel als mittelbare Schädigungsfolge anzuerkennen.

Dazu führte der Bescheid vom 12. August 1968 aus, es sei richtig, daß die Unfallfolgen den rechten mit Schädigungsfolgen im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes behafteten Unterschenkel betroffen hätten. Insoweit bestehe aber nur ein örtlicher und rein zufälliger Zusammenhang zwischen Schädigungs- und Unfallfolgen. Dieser allein rechtfertige noch nicht die Anerkennung der Unfallfolgen als mittelbare Schädigungsfolge. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Schädigungsfolgen und Unfall bestehe aber nicht. Der Kläger habe beim Besteigen der Trittleiter zum Kirschenpflücken bewußt und eigenverantwortlich einen neuen und selbständigen, von den anerkannten Schädigungsfolgen unabhängigen Gefahrenbereich geschaffen. Dieser sei die wesentliche Ursache des Unfalleintritts und somit der Unfallfolgen gewesen. Nach ärztlicher Auffassung sei er bei dem körperlichen Gesamtleidenszustand im Unfallzeitpunkt nicht in der Lage gewesen, objektiv gefahrlos eine Leiter zum Kirschenpflücken zu besteigen. Angst- und Schwindelgefühle in Verbindung mit der Erblindung des linken Auges und der Versteifung des rechten Fußgelenkes hätten eine sehr starke Beeinträchtigung des Gleichgewichtsgefühls und der Beweglichkeit ergeben.

Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25. April 1969).

In dem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Darmstadt hat der Kläger vorgetragen, die Schädigungsfolgen seien die wesentliche Ursache für den Sturz von der Leiter gewesen. Sie hätten allein zu dem erlittenen Unfall geführt. Von einer unvorsichtigen und fahrlässigen Handlungsweise könne nicht die Rede sein. Er habe schon öfter mit den Schädigungsfolgen beim Kirschenpflücken geholfen und nie einen Unfall erlitten.

Demgegenüber hat der Beklagte ausgeführt, bei dem Sturz von der Leiter handele es sich nicht um eine mittelbare Schädigungsfolge. Ausschlaggebend dabei sei allein sein unverantwortliches Handeln, das damit die wesentliche Bedingung für den Unfall darstelle.

Mit Urteil vom 9. April 1970 hat das Sozialgericht den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, die Folgen des am 12. Juli 1963 erlittenen Unterschenkelbruches rechts des Klägers durch Abspringen von der Leiter beim Kirschenpflücken als mittelbare Schädigungsfolgen anzuerkennen und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit entsprechend zu erhöhen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, der beim Kirschenpflücken erlittene Unterschenkelbruch rechts durch Abspringen von der Leiter sei eine mittelbare Schädigungsfolge. Wenn der Kläger bei der Versteifung seines rechten Fußgelenkes eine Stehleiter bestiegen habe, so sei das zwar etwas unvorsichtig, könne aber nicht als grob fahrlässig angesehen werden. Auch einem Kriegsversehrten mit Versteifung des rechten Fußgelenkes müsse man zugestehen, daß er eine normalerweise als ungefährlich anzusehende Arbeit aus der geringen Standhöhe ausführen könne. Die Notwendigkeit, von der Leiter herabzuspringen, um einem Fall zuvorzukommen, wäre bei einem gesunden Bein und Fuß wahrscheinlich in gleichem Maße vorhanden gewesen. Die Folgen des Herabspringens seien aber beim Kläger wesentlich anders gewesen, als bei einem Menschen mit unverletztem Bein und Fuß. Durch die Versteifung des Fußes habe die notwendige Elastizität und die Abfangmöglichkeit beim Sprung von der Leiter gefehlt, so daß es zu dem komplizierten Beinbruch gekommen sei.

Gegen das dem Beklagten am 21. April 1970 zugestellte Urteil ist die Berufung am 28. April 1970 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangen, zu deren Begründung er ausführt, das Urteil sei nicht ausführbar, da es nicht bestimme nach welchem Grad der MdE der Kläger Rente erhalten solle. Aber auch sachlich könnten die Entscheidungsgründe nicht überzeugen. Für die Feststellung einer mittelbaren Ursache seien die allgemeinen Grundsätze der Abwägung aller Bedingungen, die zu dem Erfolg geführt hätten, heranzuziehen. Komme aber einem der Bestände gegenüber dem anderen eine überzeugende Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges zu, so sei der betreffende Umstand allein Ursache im Rechtssinne. Die anderen könnten nur als unwesentliche Bedingungen, also nicht als Ursache angesprochen werden. Es sei verfehlt, wenn man den hier offensichtlich vorliegenden, durch eine schwankende, ungleichmäßig in den Ackerboden eingedrungene Stehleiter verursachten Unfall noch als mittelbare Folgen der anerkannten Versteifung des rechten Fußgelenkes ansehen wolle. Der Kläger habe sich überdies trotz den anerkannten Schädigungsfolgen und des bei ihm vorliegenden Bluthochdrucks mit Schwindel und Angstgefühlen in eine erhöhte Unfallgefahr begeben, in der er naturgemäß stärker behindert sei als ein Gesunder. Für die Folgen einer durch diese verstärkte Unfallgefahr entstandenen Schädigung müsse er aber selbst einstehen.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 9. April 1970 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und erklärt: Er habe schon in den Vorjahren Kirschen in seinem Garten gepflückt. Der Boden unter dem 5 m hohen Kirschbaum sei sandig, umgegraben und glattgerecht gewesen. Zum Kirschenpflücken am Unfalltag habe er eine 4 m hohe Stehleiter benutzt und habe darauf in einer Höhe von 2 m gestanden. Da die Leiter nicht fest genug auf dem Boden aufgestellt gewesen sei, habe sie angefangen zu wackeln, wobei er den Halt verloren habe und heruntergestürzt sei. Es sei ihm bekannt gewesen, daß er an Schwindelerscheinungen leide. Deshalb habe er den Maurerberuf aufgegeben. Während seiner Maurertätigkeit habe er wegen der Schwindelerscheinungen nur auf ebener Erde und nicht auf Gerüsten gearbeitet. Bei dem Kirschenpflücken am 13. Juli 1965 habe er gedacht, es sei immer gut gegangen und werde schließlich auch dieses Mal gut gehen.

Die Versorgungsakte mit der Grundlisten-Nr. XXXX, die Akten des Sozialgerichts Darmstadt – S-5/V-475/63 und S-2/J-219/68 – haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakte beider Rechtszüge, der auszugsweise vorgetragen worden ist, wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig: sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 148 Nr. 3, 150 Nr. 3, 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –). Sie ist auch begründet.

Der Bescheid vom 12. August 1968, der in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. April 1969 Gegenstand der Klage geworden ist (§ 95 SGG), ist entgegen der Auffassung des Sozialgerichts zu Recht ergangen, wobei der Senat darüber zu entscheiden hatte, ob der komplizierte Unterschenkelbruch rechts als mittelbare Schädigungsfolge im Sinne des § 1 BVG anzuerkennen ist. Als mittelbare Folgen einer Schädigung gelten Gesundheitsstörungen, die zwar unabhängig von dem schädigenden Vorgang und seinen Folgen entstehen können, bei deren Zustandekommen die anerkannten Schädigungsfolgen aber wesentlich mitgewirkt haben. Darunter fallen auch die Fälle, bei denen Versorgungsleiden die Ursache für eine weitere gesundheitliche Schädigung bilden, die ohne das Schädigungsleiden wahrscheinlich nicht eingetreten wäre. Im vorliegenden Fall hat der Kläger wegen der Schädigungsfolgen, insbesondere der Erblindung des linken Auges und der Versteifung des rechten Fußgelenkes nicht die erforderliche Standsicherheit und Beweglichkeit, um sicher eine Leiter besteigen zu können. Es fragt sich deshalb, ob die anerkannten Gesundheitsstörungen ursächlich für den Unfall waren oder ob der ursächliche Zusammenhang durch das Verhalten des Klägers unterbrochen worden ist. Insoweit ist von Bedeutung, ob der Kläger eine wesentliche Bedingung zu dem Unfall selbst durch eigenes Verschulden gesetzt hat.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG 6, 192 ff. 7, 290 ff.; 11, 52 ff.) muß ein Geschädigter sein Verhalten seinem Gesundheitszustand entsprechend einrichten, wenn auch keine übertriebenen Anforderungen insoweit gestellt werden dürfen. Er ist zwar berechtigt, Verrichtungen des täglichen Lebens entsprechend seinen Lebensgewohnheiten vorzunehmen, soweit er hierzu unter Wahrung der nötigen Vorsicht und Sorgfalt in der Lage ist. Ereignet sich in einem solchen Fall ein Unfall, der ohne die Schädigung vermieden worden wäre, ist Versorgung für den mittelbaren Schaden zu gewähren (BVBl. 1955, 25). Bei Beachtung dieses Grundsatzes ist jedoch nach dem Ergebnis seiner persönlichen Vernehmung festzustellen, daß der Kläger hier die nötige Vorsicht und Sorgfalt nicht hat walten lassen. Das gilt besonders deshalb, weil bei ihm neben den Schädigungsfolgen seit langen Jahren Schwindelerscheinungen und der Herzbeschwerden bestanden, die zu einer Einschränkung der Maurertätigkeit und später auch zu einer Aufgabe dieses Berufes geführt haben. Er hätte bei der Art seiner Schädigungsfolgen und den weiteren Gesundheitsstörungen keine Leiter mehr besteigen dürfen, vor allem keine, die keinen sicheren Stand besaß und zu deren Halten nicht zusätzlich eine Hilfsperson abgestellt war. Das sind Mindestbedingungen zur Unfallverhütung, die der Kläger im Hinblick auf die anerkannten Schädigungsfolgen hätte beachten müssen, zumal bei ihm einmal wegen der Erblindung des linken Auges das räumliche Sehen beeinträchtigt und zum anderen wegen der Versteifung des rechten Fußgelenkes das Standgefühl und die Beweglichkeit erheblich gestört waren. Das versteifte rechte Fußgelenk gewährte jedenfalls nicht die erforderliche Elastizität, um im Falle einer schwankenden Leiter ein gefahrloses Abspringen zu ermöglichen, wobei die Standhöhe selbst nicht unbedingt entscheidend ins Gewicht fällt. Denn auch bei geringer Höhe hätte der gleiche Schaden eintreten können, weil der Kläger sich zum Kirschenpflücken einer ungesicherten Stehleiter bediente, die einen schlechteren Halt auf sandigem Boden besitzt, als eine Leiter, die man sonst normalerweise zum Pflücken von Obst verwendet. Ein solches Verhalten ist unter den obwaltenden Umständen als grob fahrlässig anzusehen, zumal der Kläger mit dem Eintritt einer solchen Möglichkeit rechen mußte, aber auf ein Nichteintreten gehofft hat. Das ist aus der Erklärung zu schließen, er habe gedacht, es sei immer gut gegangen und werde auch dieses Mal gut gehen. Wenn der Kläger in früheren Jahren ohne Unfall Kirschen zu pflücken vermochte, so kann hieraus nicht der zwingende Schluß gezogen werden, daß er sich für eine solche Tätigkeit geeignet halten durfte. Das früher bei derartigen Gelegenheiten nichts passiert ist, ist lediglich besonderen Glücksumständen zu verdanken, denn die Schädigungsfolgen und auch die durch den Bluthochdruck verursachten Schwindelgefühle ließen das sichere Besteigen einer Leiter auch früher schon nicht zu. Kenntnis von der von ihm selbständig geschaffenen Gefahrenlage besaß der Kläger eben falls. Denn ihm war bekannt, daß er früher als Maurer nicht auf Gerüsten, sondern nur zu ebener Erde arbeiten konnte und daß er deshalb den Maurerberuf schließlich ganz aufgeben mußte. Das alles läßt es nicht zu, von einer unbewußten Fahrlässigkeit seinerseits zu sprechen. Der von ihm selbst geschaffene neue Gefahrenbereich hat den Kausalzusammenhang zwischen anerkannten Schädigungsfolgen einerseits und dem Unfall mit seinen Folgen andererseits unterbrochen. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, daß ihm als Schwerbeschädigten zugestanden werden müsse, eine normalerweise als ungefährlich anzusehende Arbeit auszuführen, noch dazu er diese Verrichtung hin und wieder verrichtet habe. Das kann nur für solche Tätigkeiten gelten, die – gemessen an dem Gesamtgesundheitszustand – keine unnötigen Gefahren mit sich bringen. Hier verboten die Schädigungsfolgen einerseits und die Neigung zu Schwindelanfällen mit Herzstörungen andererseits eine Tätigkeit, wie sie der Kläger dazu noch ohne jegliche Sicherheitsvorkehrungen vorgenommen hat.

Der Berufung war daher stattzugeben.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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