L 5 V 1174/70

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 1174/70
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Ordnungsmäßigkeit des Verwaltungsverfahrens, insbesondere die Einhaltung der Rechtsbehelffristen, unterliegt der Nachprüfung der Sozialgerichte.
2. Die Nichteinhaltung der Widerspruchsfrist bewirkt die Bindung des Verwaltungsaktes, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten ist.
3. Die Ordnungsmäßigkeit des Verwaltungsverfahrens gehört zur sachlichen Begründetheit der Klage, so daß diese nicht der Abweisung als unzulässig unterliegt.
4. Wenn trotz eingetretener Bindung wegen, verspäteter Einlegung des Widerspruchs die Verwaltungsbehörde im Widerspruchsbescheid eine sachliche Entscheidung trifft, ist diese unbeachtlich. Die Verwaltungsbehörde kann nur nach den Grundsätzen über die Rücknahme unrichtiger Verwaltungsakte die Bindung eines früheren Bescheides rechtswirksam beseitigen.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 2. November 1970 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der 1911 geborene Kläger stellte erstmalig am 18. Juni 1955 unter Bezugnahme auf die ärztliche Bescheinigung des Dr. K. und die Erklärungen der J. K. und G. S. Antrag auf Versorgungsbezüge wegen der Folgen eines Durchschusses am linken Knie. Der Röntgenfacharzt Dr. Ke. von dem Röntgeninstitut Dr. Z. vermerkte in dem Röntgenbefund vom 28. Oktober 1955, der Kalkgehalt der Knochen distal der Frakturstelle sei deutlich gegenüber dem Vergleichsbild herabgesetzt. Der Kniegelenkspalt sei ebenfalls gegenüber rechts deutlich verschmälert.

In dem Gutachten vom 10. November 1955 vertrat der Facharzt für Chirurgie Dr. H. die Ansicht, der Schußbruch im unteren Drittel des linken Oberschenkels sei mit leichter Verbiegung knöchern verheilt. Als Folge sei eine geringe Bewegungsbehinderung im Kniegelenk in beiden Richtungen durch arthrotische Veränderungen zurückgeblieben, die aber keine nennenswerte Gebrauchsbehinderung des Beines verursache. Eine Verkürzung liege nicht vor, auch keine Umfangsdifferenz, die auf eine Leistungsminderung hinweisen könnte. Die Narbe an der Innenseite des Oberschenkels sei belanglos. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit –MdE– werde auf 20 v.H. geschätzt.

Mit Bescheid vom 22. November 1955 sind hiernach als Schädigungsfolgen anerkannt:

"1) Bewegungsbehinderung linkes Kniegelenk durch arthrotische Veränderungen mit leichter Verbiegung verheiltem Oberschenkelschußbruch.

2) Narbe linker Oberschenkel”, wofür der Grad der MdE mit 20 v.H. bemessen worden ist.

Der Kläger beantragte am 6. Februar 1962 unter Beifügung des Befundes des Facharztes für Orthopädie Dr. M. die Erhöhung des Grades der MdE wegen einer Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen.

Dazu führte der Facharzt für Chirurgie Dr. B. in dem Gutachten vom 15. Mai 1962 aus, im Vergleich mit der letzten Begutachtung sei keine wesentliche Befundänderung festzustellen. Es finde sich eine mäßige Versteifung des linken Kniegelenks, die leicht zugenommen habe als Folge des unter Fehlstellung verheilten Oberschenkelschußbruches links. Die MdE sei auch heute auf 20 v.H. zu schätzen. Eine Nachuntersuchung sei nur bei einer Verschlimmerung nötig, mit der im Laufe der Jahre gerechnet werden müsse.

Der Bescheid vom 18. Juni 1962 bezeichnete unter Beibehaltung des Grades der MdE mit 20 v.H. die Schädigungsfolgen mit

"1) Bewegungsbehinderung im linken Kniegelenk nach mit leichter Verbiegung verheiltem Oberschenkelschußbruch durch arthrotische Veränderungen.

2) Narbe am linken Oberschenkel” und teilte dem Kläger weiterhin mit, die leichten arthrotischen Veränderungen im rechten Kniegelenk, in den Fuß- und Zehgelenken könnten nicht als Schädigungsfolgen im Sinne des § 1 Bundesversorgungsgesetz – BVG– angesehen werden. Hierbei handele es sich vielmehr um alters- und anlagebedingte Verschleißschäden.

Den Widerspruch begründete der Kläger mit dem Befund des Facharztes für orthopädische Chirurgie Dr. H ...

Der Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 1962 führte noch aus, die Lungenerkrankung stehe mit dem Wehrdienst oder der Verwundung in keinem zeitlichen Zusammenhang, zumal sich auch anläßlich der Untersuchung im Jahre 1955 kein Anhalt für eine solche Erkrankung ergeben habe. Sie sei vielmehr erst 1960 aufgetreten und sei somit keine Schädigungsfolge im Sinne des BVG. Die in der fachärztlichen Bescheinigung des Dr. H. vertretene Meinung, daß der rechtsseitige kontrakte Knick-Senkfuß durch Überlastung des rechten Beines infolge der Schädigungsfolgen am linken Kniegelenk bedingt sei, sei wissenschaftlich nicht haltbar. Eine Fußdeformität der genannten Art beruhe vielmehr auf einer konstitutionellen Binde- und Stütztgewebeschwäche und werde erfahrungsgemäß weder durch Überlastung hervorgerufen noch wesentlich in ihrer Entwicklung gefördert.

In dem sich anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Darmstadt ist durch Einholung des Gutachtens vom Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie Dr. M. vom 19. Juli 1967 und der weiteren fachärztlichen Stellungnahme vom 5. Juli 1968 Beweis erhoben worden, der darin die Meinung vertreten hat, die Rückstände des 1943 erlittenen linksseitigen Oberschenkelschußbruches hätten infolge der Fehlstellung der Fraktur im Laufe der Jahre gegenüber früheren Untersuchungen durch einen zunehmenden Abbau des Knorpelbelages sowohl des linken Kniegelenkes als auch des linken Sprunggelenkes und durch eine latente muskuläre Überbeanspruchung der linksseitigen Oberschenkelstreckmuskulatur sowie der Rückenmuskulatur eine Verschlechterung erfahren. Es sei eine stärkere Gelenkspaltverschmälerung gegenüber 1962 zu erkennen. Die MdE sei jetzt mit 30 v.H. zu schätzen.

Demgegenüber hat der Beklagte mit dem Facharzt für Chirurgie Dr. H. und ORMR W. ausgeführt, die Befunde, die Dr. M. erhoben habe, unterschieden sich nur darin, daß er eine Verschmälerung der Knorpelzone im linken Kniegelenk erwähne, die er als eine Vorstufe eines langsamen Knorpelabbaues angesehen habe. Solange aber hierdurch weder eine zusätzliche funktionelle Einschränkung noch zusätzliche wesentliche Beschwerden verursacht würden, handele es sich dabei nicht um eine wesentliche Verschlimmerung, zumal auch Dr. M. zugegeben habe, daß sich im Bereich der Muskelumfangmaße beider Beine keine krankhaften Differenzen ergeben hätten. Eine wesentliche Verschlimmerung sei damit von diesem Sachverständigen nicht nachgewiesen worden.

Mit Urteil vom 19. Juli 1968 hat das Sozialgericht unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 1962 den Beklagten verurteilt, den Bescheid vom 18. Juni 1962 dahingehend abzuändern, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf 30 v.H. festzusetzen und dementsprechend Rente ab 1. Dezember 1962 zu zahlen sei. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, durch die Bewegungsbehinderung des linken Kniegelenkes durch arthrotische Veränderungen nach mit leichter Verbiegung verheiltem Oberschenkelschußbruch sei eine MdE des Klägers von 30 v.H. eingetreten. In der stärkeren Gelenkspaltverschmälerung sei die Verschlimmerung zu sehen. Die Lungentuberkulose gehe nicht auf Einwirkungen des Krieges oder der Kriegsgefangenschaft zurück, so daß sie nicht als Schädigungsfolge anzuerkennen sei.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Hessischen Landessozialgericht vom 10. April 1969 hat der Kläger Antrag auf Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse gestellt und erklärt, aus dem Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 19. Juli 1968 keine Rechte für sich herzuleiten. Der Beklagte hat sich demgegenüber bereit gefunden, eine erneute Untersuchung zu veranlassen. Mit dieser Regelung sahen beide Beteiligten das Verfahren als erledigt an.

Hiernach erstattete der Facharzt für Chirurgie Dr. M. das Gutachten vom 4. Juni 1969, der darin die Meinung vertrat, in anatomischer und funktioneller Hinsicht sei keine schwerwiegende Veränderung der Schädigungsfolgen eingetreten. Wenn auch die Muskeldifferenz am linken Oberschenkel etwas mehr auffalle, so sei andererseits die Kniebeugefähigkeit besser. Was den arthrotischen Kniebefund angehe, so habe man über die Jahrzehnte hinweg keinen entscheidenden Verschleiß feststellen können. Im gegenwärtigen Zeitpunkt seien die Voraussetzungen einer wesentlichen Verschlimmerung noch nicht erfüllt. Eine spätere Krankheitszunahme werde man allerdings nicht ausschließen können.

Der Bescheid vom 14. Juli 1969, der an den Kläger am 16. Juli 1969 abgesandt worden ist, stellte fest, in den anerkannten Schädigungsfolgen sei keine wesentliche Änderung eingetreten.

Dagegen legte der Kläger am 24. September 1969 Widerspruch ein.

Der Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 1970 führte aus, das Gutachten des Dr. M., das die Grundfrage des Urteils des Sozialgerichts Darmstadt gebildet habe, habe sich nicht als überzeugend erwiesen. Nach dem Gutachten des Dr. M. sei im gegenwärtigen Zeitpunkt eine wesentliche Verschlimmerung gegenüber den Vorbefunden nicht nachzuweisen.

In dem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Darmstadt hat der Kläger vorgetragen, eine Verschlimmerung in den anerkannten Schädigungsfolgen sei auf Grund der Gutachten festgestellt worden, so daß eine Erhöhung des Grades der MdE um 10 v.H. auf 30 v.H. angezeigt sei.

Mit Urteil vom 2. November 1970 hat das Sozialgericht unter Aufhebung der Bescheide vom 14. Juli 1969 und vom 20. Februar 1970 den Beklagten verurteilt, ab 1. April 1969 wegen der anerkannten Schädigungsfolgen eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v.H. zu leisten. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, das Gericht habe auf Grund des Gutachtens von Dr. M. die Überzeugung gewonnen, daß die beim Kläger bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v.H. hervorriefen. Dieser Gutachter habe in seinem Gutachten vom 19. Juli 1967 festgestellt, daß eine Verschlimmerung des Gesundheitszustandes eingetreten sei, erkennbar durch eine größere Gelenkspaltverschmälerung. Das Gutachten des Facharztes für Chirurgie Dr. Metzke vom 4. Juni 1969 sei auf die Feststellung von Dr. M. nicht eingegangen, sondern habe lediglich die Untersuchungsergebnisse aus dem Gutachten vom 15. Mai 1962 mit seinen eigenen Feststellungen verglichen.

Gegen das dem Beklagten am 20. November 1970 zugestellte Urteil ist die Berufung am 14. Dezember 1970 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangen, zu deren Begründung er vorträgt, die Bezugnahme auf ein Gutachten aus dem Jahre 1967 zur Begründung eines 1969 gestellten Rentenerhöhungsantrages und Widerlegung eines in demselben Jahre erstatteten Gutachtens sein nicht angängig. Das Sozialgericht habe völlig übersehen, daß in dem letzten Gutachten von Dr. M. Befunde aus dem Jahre 1969 erhoben worden seien. Mit diesem Gutachten hätten sich das Gericht auseinandersetzen müssen. Bereits der Befund des Röntgenfacharztes Dr. Zöhrlaut vom 28. Oktober 1955 habe eine deutliche Verschmälerung des Kniegelenkesspaltes beschrieben. Von diesem Befund unterscheide sich der von Dr. M. erhobene Befund in keiner Weise. Es sei daher nicht recht verständlich, warum das Sozialgericht stets in der größeren Kniegelenkspaltverschmälerung eine wesentliche Änderung der Verhältnisse sehe. Der Beklagte erklärte in der mündlichen Verhandlung vom 26. Januar 1972, daß er sich hinsichtlich des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 1970 wegen der verspäteten Einlegung des Widerspruchs auf die Bindungswirkung des Bescheides vom 14. Juli 1969 berufe.

Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 2. November 1970 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Versorgungsakte mit der Archiv-Nr. XXX und die Akte des Sozialgerichts Darmstadt S-6/V-24/63 haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakte beider Rechtszüge, der auszugsweise vorgetragen worden ist, wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 148 Nr. 3, 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG–). Sie ist auch begründet.

Hinsichtlich des Bescheides vom 14. Juli 1969, der in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 1970 Gegenstand der Klage geworden ist (§ 95 SGG), hatte der Senat zunächst zu prüfen, ob die Widerspruchsfrist des § 84 Abs. 1 SGG eingehalten worden ist. Denn die Einhaltung der Ordnungsmäßigkeit des Verwaltungsverfahrens, insbesondere die Wahrung der in Betracht kommenden gesetzlichen Fristen, gehört zur sachlichen Begründetheit der Klage (vgl. BSG in SozR § 87 SGG Nr. 2). Soweit der Kläger einwendet, die Frist sei deshalb gewahrt, weil der Bescheid vom 14. Juli 1969 nicht an den Bevollmächtigten und damit nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei, geht diese Rüge fehl. In dem auf Antrag des Klägers am 10. April 1969 eingeleiteten Verwaltungsverfahren zur Feststellung der wesentlichen Änderung der Verhältnisse gemäß § 62 Abs. 1 BVG war eine Vollmacht von dem Kläger für einen Bevollmächtigten nicht erteilt worden, so daß die Zustellung dieses Bescheides nur rechtswirksam an den Kläger selbst erfolgen durfte und nicht an den Prozeßbevollmächtigten, der ihn in einem früheren Verwaltungs-, Klage- und Berufungsverfahren vertreten hatte. Nach § 10 Verwaltungsverfahrensgesetz (VerwVG) endet in entsprechender Anwendung des § 81 ZPO eine einmal erteilte Vollmacht mit der Beendigung des Verfahrens, für das sie erteilt worden ist. Für ein neues Verwaltungsverfahren bedurfte es daher der erneuten Vorlage einer Vollmacht. Daß das der Kläger auch erkannt hat, wird durch den Widerspruch vom 23. September 1969 selbst ersichtlich, den der Prozeßbevollmächtigte unter Vorlage einer Vollmacht eingelegt hat. Insofern ist sein Verhalten als widersprüchlich und unverständlich zu bezeichnen, denn wenn er der Ansicht war, daß das beendete frühere Verfahren die Vollmacht nicht aufgehoben hätte, hätte es keiner erneuten Vorlage der Vollmacht für das Widerspruchsverfahren bedurft.

Rechtlich hat die verspätete Einlegung des Widerspruchs zur Folge, daß der Bescheid vom 14. Juli 1969 gemäß §§ 24 VerwVG, 77 SGG in der Sache bindend geworden ist. Da § 77 SGG diesem Verwaltungsakt nicht nur formelle, sondern auch materielle Bindungswirkung verleiht, war dem Beklagten und auch dem Sozialgericht eine nochmalige Prüfung des bereits verneinten Anspruchs auf Neufeststellung gemäß § 62 Abs. 1 BVG verwehrt. Das hat der Beklagte nicht beachtet. Er durfte aber bis zum Ende der mündlichen Verhandlung vom 26. Januar 1972 eine dahingehende Begründung nachschieben und sich zulässigerweise auf die Bindung des Bescheides vom 14. Juli 1970 berufen, wie er es auch in der mündlichen Verhandlung getan hat. Davon abgesehen, ist nach herrschender Rechtslehre die Bindung eines Bescheides in jeder Lage des Verfahrens von Amts, wegen zu beachten.

Der verspätet eingelegte Widerspruch hat auch nicht dazu geführt, daß die Klage unzulässig ist, eine Meinung, die z.T. von den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit vertreten wird (vgl. dazu Wallerath, "Verspätete Einlegung des Widerspruchs, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Zweitbescheid” in DÖV 1970, 653 ff.). Mit dem Bundessozialgericht ist der Senat vielmehr der Ansicht, daß die Prüfung, ob die Frist des § 84 Abs. 1 SGG gewahrt ist, zur sachlichen Begründetheit der Klage gehört (Beschluss des 11. Senats vom 28. September 1959, Soz.R. SGG § 87 Bl. Da 1 Nr. 2; Beschluss des 10. Senats vom 18. April 1954, SozR § 162 Bl. Da 26 Nr. 95). Denn die Zulässigkeit der Klage hängt nicht davon ab, auf welchen Rechtsgrund der Kläger die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes zurückführt, ob auf eine Verletzung des sachlichen Rechts oder auf eine Verletzung des für das Verwaltungsverfahren geltenden Rechts. Die Entscheidung des Sozialgerichts, deren Gegenstand die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes ist, bleibt stets eine Sachentscheidung, auch wenn die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes auf eine Verletzung der Vorschriften über das Verwaltungsverfahren zurückgeführt wird. Bei der Entscheidung über die Begründetheit der Klage ist deshalb mitzuprüfen, ob solche Vorschriften des Verwaltungsverfahrens verletzt sind, welche die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes beeinträchtigen können. Diese Prüfung hat das Sozialgericht nicht angestellt. Selbst wenn man mit dem Bundesverwaltungsgericht (NJW 1960, 1781) die Ansicht vertreten wollte, von Amts wegen sei die Frage der rechtzeitigen Einlegung des Widerspruchs nicht mehr zu prüfen, wenn die Verwaltungsbehörde, wie hier, eine Sachentscheidung erlassen und damit die Zulässigkeit des Widerspruchs bejaht habe, führt an der zwingenden Bestimmung des § 77 SGG kein Weg vorbei. In diesem Falle bieten die Vorschriften über die Zurücknahme des Verwaltungsaktes den richtigen Weg, den Sozialgerichtsweg neu zu eröffnen. Hiervon hat der Beklagte aber ersichtlich keinen Gebrauch gemacht, ganz davon abgesehen, daß dazu auch ein erneutes Vorverfahren erforderlich gewesen wäre. Aus dem ergangenen Verwaltungsakt ist auch nicht ersichtlich, daß der Beklagte eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt hätte. In diesem Falle hätte insoweit sachlich geprüft werden müssen, ob Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorlagen oder nicht. Eine solche Prüfung schied hier aber von vornherein aus, weil der Kläger gar keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begehrt, sondern allgemein nur die Zustellung des Bescheides als fehlerhaft gerügt hatte. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind deshalb überhaupt nicht ersichtlich.

Ist schon aus diesen Gründen das Urteil des Sozialgerichts nicht zu halten, so kommt noch hinzu, daß es auch die Voraussetzungen des § 62 BVG in unzulässiger Weise für vorliegend erachtet hat. Danach sind die Versorgungsbezüge nur dann erneut festzustellen, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung eintritt (§ 62 Abs. 1 BVG), die jedoch nur dann vorliegt, wenn sich das durch die Einflüsse des Wehrdienstes entstandene Leiden verschlimmert hat, nicht aber, wenn in dem davon unabhängigen Zustand eine Änderung eingetreten ist.

Bei der Neufeststellung des Versorgungsrechtsverhältnisses wegen einer Änderung der Verhältnisse ist vom ursprünglich bindend gewordenen Bescheid – vorliegend von dem vom 18. Juni 1962 – auszugehen, und zwar nicht nur hinsichtlich der Schädigungsfolgen, sondern auch hinsichtlich der Höhe des Grades der MdE. Um die nunmehr maßgebliche MdE zu ermitteln, ist die unveränderte, bisher anerkannte zugrundezulegen und zu prüfen, inwieweit sich die gesamten Schädigungsfolgen auf die Funktionstüchtigkeit des Körpers und die gesamte Erwerbsfähigkeit auswirken.

Die Prüfung des Senats, der dabei die Gutachten der Dres. B., M. und M. gewürdigt hat, hat bei einem Vergleich der Befunde des Jahres 1962 mit denen des Jahres 1969 gezeigt, daß die Bewertung der Schädigungsfolgen mit 20 v.H. eine zutreffende Beurteilung erfahren hat, noch dazu in den für die Feststellung maßgebenden Verhältnissen keine wesentliche Änderung im Sinne einer Verschlimmerung eingetreten ist. Das hat der Facharzt für Chirurgie Dr. Metzke in seinem wohlbegründeten widerspruchsfreien Gutachten vom 4. Juni 1969 aufgezeigt, der bei einem Vergleich der Befunde zu dem Ergebnis gelangt ist, daß in anatomischer und funktioneller Hinsicht keine schwerwiegende Veränderung der Schädigungsfolgen eingetreten sei. Die ihm etwas mehr aufgefallene Muskeldifferenz am linken Oberschenkel hat er zutreffend nicht als eine wesentliche Änderung gedeutet, da nämlich andererseits die Kniebeugefähigkeit besser geworden ist und damit die körperliche Beeinträchtigung durch die Schädigungsfolgen insgesamt nicht zugenommen hat. Eine Zunahme der Arthrose ist ebenfalls nicht zu erkennen, was auch Dr. M. in dem Gutachten vom 19. Juli 1967 mit der fachärztlichen Stellungnahme vom 7. Mai 1968 vermerkt hat, der darin ausführte, es seien keine nennenswerten Anbauten im klassischen Sinne einer deformierenden Arthrose feststellbar. Die Vorstufe dazu sei der langsame Knorpelabbau.

Ihm ist jedoch nicht zu folgen, wenn er eine größere Gelenkspaltverschmälerung als Verschlimmerung des Gesundheitszustandes aufgefaßt hat. Damit hat er lediglich einen Befund bestätigt, der schon 1955 anläßlich der Röntgenuntersuchung durch Dr. K. umschrieben worden war, und der bei der Bewertung des Grades der MdE mit 20 v.H. im Rahmen der Begutachtung durch den Facharzt für Chirurgie Dr. H. am 10. November 1955 bereits Berücksichtigung gefunden hatte. Das hat das Sozialgericht verkannt, wenn es unter Berufung auf Dr. M., dessen Gutachten im übrigen aus dem Jahre 1967 stammt, diesen Befund für die angenommene Verschlimmerung herangezogen hat. Im Rahmen des § 62 Abs. 1 BVG waren aber nicht die Verhältnisse des Jahres 1967 mit denen des Jahres 1962, sondern die des Jahres 1969 zu vergleichen, worauf der Beklagte zu Recht hingewiesen hat. Das läßt es nicht zu, das Gutachten des Dr. M. aus dem Jahre 1967 mit der Ergänzung von 1968 zur Grundlage der Entscheidung zu machen, dessen Beurteilung der MdE mit 30 v.H. für einen gleichen medizinischen Sachverhalt nur eine andere Wertung darstellt, wobei er eine zu erwartende Verschlimmerung, die sich auch 1969 noch nicht abgezeichnet hatte, bereits in seine Betrachtung einbezogen hat.

Bei dieser Sachlage muß eine Verschlimmerung dar anerkannten Schädigungsfolgen verneint werden, für die der Facharzt für Chirurgie Dr. M. wie auch Dres. H. und B. nur eine MdE um 20 v.H. angenommen haben, die im Einklang mit den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen steht und auch die Umstände berücksichtigt, die dafür bestimmend sind, wie sich die als Schädigungsfolgen anerkannten Gesundheitsstörungen auf die Tätigkeit des Klägers als Arbeiter auswirken. Hier haben sie zu keinen Nachteilen bei der Berufsausübung geführt.

Der Berufung des Beklagten war daher stattzugeben.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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