L 5 V 356/70

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 356/70
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Unternimmt ein vor der Schädigung im Angestelltenverhältnis tätig gewesener Kalkulator, der nach dem Kriege wegen veränderter betrieblicher Verhältnisse zunächst als gewerblicher Arbeiter wiedereingestellt worden ist, keinen zumutbaren Versuch, seine vor dem Kriege begonnene Ausbildung zum Refa-Fachmann weiterzubetreiben, dann kann ein schädigungsbedingter Einkommensverlust nicht festgestellt werden.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 3. Februar 1970 wird insoweit als unzulässig verworfen, als der Bescheid vom 17. April 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 1968 im Streit steht. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der 1904 geborene Kläger erhält durch Zugunstenbescheid vom 2. März 1964 wegen

"1) plastische Deckung einer doppelten Defektfraktur des Unterkieferkörpers rechts und links mit Ausfall des Gefühlsempfindens im Ausbreitungsgebiet beider Mentalisnerven nach seitlichem Gesichtsdurchschuss,

2) chronischer Magenschleimhautkatarrh” ab 1. Februar 1958 Versorgung nach einem Grade der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) vom 70 v.H. und wegen

"1) Rückverlagerung des Untergesichtes durch Verkürzung des Unterkiefers mit Eindellung beider Kieferwinkel und reizlose Operationsnarben, Ausfall des Gefühlsempfindens im Ausbreitungsgebiet des Unterlippennerven links und rechts mit störendem Speichelfluss, nach Knochentransplantaten abgeheilte Defektfrakturen am Unterkiefer rechts und links mit Einengung des Mundinnengaumens und Alveolarfortsatzdefekten, Totalzahnverlust am Ober- und Unterkiefer, prothetisch nicht ausreichend ausgeglichen mit völligem Ausfall der Kaufunktion, neuralgieforme Beschwerden besonders im Gebiet der rechten Wange,

2) chronischer Magenschleimhautkatarrh” nach einer MdE von 80 v.H. ab 1. Februar 1962.

Am 15. Februar 1965 beantragte der Kläger beim Versorgungsamt Frankfurt/Main einmal, eine geschwulstige Veränderung des Bulbus und neu aufgetretene Magengeschwüre als weitere Schädigungsfolgen anzuerkennen und die MdE entsprechend zu erhöhen, zum anderen die Gewährung von Berufsschadensausgleich.

Eine Neufeststellung der Versorgungsbezüge wurde durch Bescheid vom 1. April 1965 unter Hinweis auf den in derselben Sache ergangenen bindend gewordenen Bescheid vom 10. März 1961 abgelehnt, die Gewährung von Versorgung für das Magenleiden im Wege der Kannleistung nach § 1 Abs. 3 Satz 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) mit im Rechtsmittelverfahren ebenfalls bindend gewordenen Bescheid vom 28. Juli 1965 versagt.

Hinsichtlich seines Anspruchs auf Berufsschadensausgleich gab der Kläger zum beruflichen Werdegang an, nach Besuch der Volksschule eine dreijährige Lehre als Dreher durchlaufen und mit der Gesellenprüfung abgeschlossen zu haben. Anschließend sei er in diesem Beruf ab 1934 bis 1942 bei der Firma T.werke AG in F. Außenkontrolleur und bis zu seiner Einberufung im Jahre 1943 alsdann dort als Kalkulator tätig gewesen. Nach dem Kriege habe er ab 1949 bis 1952 wieder bei seiner alten Arbeitgeberin als Teilekontrolleur, dann als Kontrollvorarbeiter und von 1965 an im Änderungsdienst gearbeitet. Ab Oktober 1966 beziehe er Rente wegen Berufsunfähigkeit, ab August 1967 wegen Erwerbsunfähigkeit. Sein durch die Schädigungsfolgen vereiteltes Berufsziel sei das des Refa-Ingenieurs gewesen. Zur Unterstützung seines Antrags verwies der Kläger auf Schreiben der Firma T.werke vom 23. Juli 1943 und 3. Februar 1949 sowie auf sein Lehrabschlusszeugnis.

Das Versorgungsamt zog Verdienstbescheinigungen von der Arbeitgeberin des Klägers, dessen Rentenakten von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte bei und holte eine Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes ein, die Oberregierungs-Medizinalrat Dr. P. am 5. April 1968 dahin abgab, dass im Vordergrund der Gesundheitsstörungen, die zur vorzeitigen Invalidisierung geführt hätten, nichtschädigungsbedingte Leiden stünden.

Alsdann lehnte das Versorgungsamt zunächst die Erteilung eines Zugunstenbescheides bezüglich der Anerkennung des besonderen beruflichen Betroffenseins durch Mitteilung vom 17. April 1968 ab, weil der Kläger als Kontrollarbeiter oder Arbeitsplaner im Vergleich zu seinem vor der Schädigung erlernten und ausgeübten Berufs eine sozial gleichwertige Tätigkeit verrichtet habe.

Die Gewährung von Berufsschadensausgleich versagte es mit einem weiteren Bescheid vom selben Tage mit der Begründung, ein möglicherweise vorliegender Einkommensverlust sei nicht auf Schädigungsfolgen zurückzuführen.

Im Widerspruchsverfahren verwies der Kläger unter Überreichung von Schreiben und Zeugnissen auf seine überdurchschnittlichen Leistungen bei den T.werken vor seiner Einberufung, die ihn bis zum Zeitnehmer, Kalkulator und Arbeitsvorbereiter im Angestelltenverhältnis hätten aufsteigen lassen. Zur Vorbereitung auf sein Berufsziel als Refa-Ingenieur habe er die notwendigen Kurse absolviert gehabt. Nach dem Kriege sei es ihm aus schädigungsbedingten Gründen nicht wieder möglich gewesen, an seine frühere Tätigkeit anzuknüpfen, so dass er beruflich besonders betroffen sei und bei seiner Wiedereinstellung im Februar 1949 einen Einkommensverlust erlitten habe.

Durch Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 1968 wurde der negative Zugunstenbescheid bezüglich § 30 Abs. 2 BVG mit der Begründung bestätigt, der Kläger sei 1949 von den T.werken wegen der nachkriegsbedingten veränderten betrieblichen Verhältnisse als gewerblicher Arbeitnehmer beschäftigt worden.

Am 7. Oktober 1968 erging der Widerspruchsbescheid hinsichtlich des Berufsschadensausgleichs, der zusätzlich ausführte, die Gesundheitsstörungen, welche zur Erwerbsunfähigkeit geführt hätten, seien weit überwiegend keine Schädigungsfolgen.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt/Main, das beide Ansprüche zum Gegenstand hatte, hat der Kläger sein Vorbringen unter Überreichen der Originalkorrespondenz mit der Firma T.werke wiederholt, wohingegen der Beklagte ausgeführt hat, aus dem Schreiben vom 3. Februar 1949 sei nicht zu entnehmen, dass die Schädigungsfolgen für die vorübergehend ungünstigere Beschäftigung und Entlohnung verantwortlich gewesen seien. Sie hätten weder einen sozialen noch einen wirtschaftlichen Verlust gebracht.

Mit Urteil vom 3. Februar 1970 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, dem Kläger stehe kein Berufsschadensausgleich zu, weil ihn die Kriegsverletzung nicht gehindert hätte, auch nach dem Kriege den Beruf eines Zeitnehmers, Kalkulators und Arbeitsplaners mit Refa-Prüfung auszuüben. Sein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsleben sei nicht mit Wahrscheinlichkeit auf schädigungsbedingte Gesundheitsstörungen zurückzuführen. Hieraus folge zugleich, dass ein besonderes berufliches Betroffensein verneint werden müsse.

Gegen dieses Urteil, das dem Kläger am 8. April 1970 zugestellt worden ist, richtet sich seine am 21. April 1970 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung. Zur Begründung wiederholt er sein bisheriges Vorbringen und führt ergänzend aus, das Sozialgericht habe unterlassen zu würdigen, dass er sein angestrebtes Berufsziel als Refa-Ingenieur wegen der Verletzungsfolgen nicht habe verwirklichen können. Das Schreiben der T.werke vom 3. Februar 1949 sei insofern kein Gegenbeweis.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 3. Februar 1970 sowie den Bescheid des Beklagten vom 17. April 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 1968 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 17. April 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 1968 zu verurteilen, Berufsschadensausgleich unter Eingruppierung in die Leistungsgruppe II der technischen Angestellten im Wirtschaftsbereich Investitionsgüterindustrie – Wirtschaftsgruppe Maschinenbau – ab 1. Januar 1964 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung insoweit als unzulässig zu verwerfen, als der negative Zugunstenbescheid vom 17. April 1968 im Streit steht und die Berufung im übrigen als unbegründet zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist hinsichtlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen auf § 148 Ziff. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Zur mündlichen Verhandlung am 4. August 1971 war der Kläger weder erschienen noch vertreten.

Die Akten des Versorgungsamtes Frankfurt/Main mit der Grdl. Nr. sowie die Akten des Sozialgerichts Frankfurt/Main (Az.: S-13/V-181/61 und S-12/V-206/65) haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG frist- und formgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat gemäß §§ 110, 126 SGG auf Antrag des Beklagten nach Lage der Akten entscheiden konnte, ist im übrigen nicht zulässig, als der Bescheid vom 17. April 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 1968 im Streit steht. Denn insoweit liegt unbeschadet des § 40 VfG (KOV) ein Fall des § 148 Ziff. 3 SGG vor, da der Beklagte die Erhöhung der MdE wegen besonderen beruflichen Betroffenseins im Wege der Erteilung eines Zugunstenbescheides versagt hat, ohne dass die Grundrente des Klägers oder seine Schwerbeschädigteneigenschaft davon berührt wird und ohne dass der Ausnahmetatbestand des § 150 Ziff. 3 SGG gegeben ist. Wesentliche Verfahrensmängel, deren Vorliegen die Berufung ungeachtet dessen nach § 150 Ziff. 2 SGG zulässig machen könnte, hat er nicht gerügt. Mängel dieser Art, welche auch ohne Rüge von Amts wegen beachtet werden müssten, sind nicht ersichtlich. Hiernach war es dem Senat verwehrt, in der Sache zu entscheiden, soweit der Anspruch gemäß § 30 Abs. 2 BVG betroffen ist.

Die bezüglich des geltend gemachten Berufsschadensausgleichs gemäß § 143 SGG insgesamt zulässige Berufung ist nicht begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 17. April 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 1968 ist nicht rechtswidrig.

Rechtsgrundlage ist § 30 Abs. 3 und 4 BVG i.d.F. des 2. und 3. Neuordnungsgesetzes (NOG), wonach Schwerbeschädigte, deren Erwerbseinkommen durch die Schädigungsfolgen um monatlich mindestens 75,– DM oder überhaupt gemindert ist (Einkommensverlust), nach Anwendung des § 30 Abs. 2 BVG Berufsschadensausgleich in Höhe von vier Zehntel des Verlustes, höchstens jedoch 400,– DM bzw. 612,– DM monatlich erhalten (§ 30 Abs. 3 BVG). Einkommensverlust ist dabei der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente und dem höheren Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, welcher der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte.

Von diesen Vorschriften ausgehend vermochte der Senat ebenso wie das Sozialgericht nicht anzunehmen, dass dem Kläger Berufsschadensausgleich zusteht. Denn es fehlt an einer Grundvoraussetzung des Gesetzes, der Minderung des Erwerbseinkommens durch die anerkannten Schädigungsfolgen. Bei der Art seines Schädigungsleidens hätte der Kläger auch nach dem Kriege wieder eine Tätigkeit als Zeitnehmer, Kalkulator und Arbeitsplaner mit Refa-Prüfung im Angestelltenverhältnis aufnehmen können. Darüber hinaus hätte dieses einer weiteren Ausbildung zum Refa-Ingenieur nicht im Wege gestanden, zumal er die Grundkurse vor seiner Einberufung bereits absolviert gehabt hatte. Der gegenteiligen Auffassung des Klägers war nicht zu folgen. Sein Gesundheitszustand hätte durchaus zugelassen, zumindest einen zumutbaren Versuch zu unternehmen, die noch erforderliche fachliche Weiterbildung zu betreiben. Wenn er insoweit keine nachweisbaren Anstrengungen unternommen, sondern das Angebot der Firma T.werke vom Februar 1949 angenommen hat, als Teilekontrolleur im Arbeiterverhältnis tätig zu werden, so war das nicht erkennbar schädigungsbedingt, sondern Folge der betrieblichen Umstrukturierung nach dem verlorenen Kriege. Anders kann das Schreiben seiner Arbeitgeberin vom 3. Februar 1949 nicht verstanden werden, zumal sie ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass die Stellung, welche der Kläger vor seiner Einberufung innegehabt habe, auf kriegsbedingte Umstände zurückzuführen gewesen sei, weil durch Abgang von Personal eine Lücke habe ausgefüllt werden müssen. Dass die Schädigungsfolgen allein oder zumindest in wesentlichem Umfang Anlass zur Wiedereinstellung als gewerblicher Arbeiter gewesen waren, geht weder aus diesem Schreiben noch aus der übrigen aktenkundigen Korrespondenz hervor.

Bei seiner Argumentation übersieht der Kläger, dass auch die ungeschädigten ihm vergleichbaren Heimkehrer nach dem Kriege veränderte Arbeitsbedingungen vorgefunden haben und sich zum Teil zunächst mit geringer bewerteten Stellungen abfinden mussten, ehe sie sich wieder hinaufgearbeitet haben. Eben dieses Hinaufarbeiten hat der Kläger trotz seiner Schädigungsfolgen aber gleichfalls geschafft, wie er im übrigen selbst vorgetragen hat. Dass das auf Kosten seines durch die Verletzung verminderten Gesundheitszustandes gegangen sein soll, ist aus den in den Akten befindlichen ärztlichen Gutachten nicht zu entnehmen, ebensowenig wie die Behauptung belegt wird, die anerkannten Schädigungsfolgen hätten zur vorzeitigen Erwerbsunfähigkeit geführt. Dieser Einlassung des Klägers stehe entgegen, dass die schädigungsbedingten Gesundheitsstörungen seit 1962 im wesentlichen unverändert geblieben sind. Ein Magengeschwürsleiden, das bezüglich der Invalidisierung im Vordergrund gestanden hat, war bereits im Bescheid vom 10. März 1961 nicht als Schädigungsfolge anerkannt worden. Diese Entscheidung wurde bindend. Spätere Anträge des Klägers mit dem Ziel einer Abänderung blieben sämtlich erfolglos. Hiervon ausgehen vermochte der Senat dem Begehren des Klägers nicht zu folgen. Er hat sich insoweit vielmehr den ärztlichen Feststellungen des Dr. K. angeschlossen, die dieser in seinem für die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erstellten Gutachten vom 29. September 1967 niedergelegt hat. An der Richtigkeit des Ergebnisses dieser ärztlichen Begutachtung zu zweifeln bestand kein Anlass, zumal auch Oberregierungs-Medizinalrat Dr. P. der Auffassung des Dr. K. in allen Punkten gefolgt ist.

Nach alledem war, wie geschehen, zu entscheiden.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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