Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 519/77
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 3. März 1977 und der Bescheid der Beklagten vom 28. Dezember 1976 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger das Ereignis am 9. August 1976 als Arbeitsunfall in gesetzlichen Umfang zu entschädigen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Nach der Unfallanzeige der Firma K. in F. P.allee – D. Straße , verunglückte der 1958 geborene, bei ihr beschäftigte Kläger am 9. August 1976 gegen 7.20 Uhr mit seinem Kleinkraftrad, als er auf dem Weg von seiner Wohnung in F., U.straße , in Richtung F. den G. Weg befahrend in die N. Straße einbog und dort unter einen entgegenkommenden Lastkraftwagen (Lkw) geriet. Dabei erlitt er erheblich Verletzungen an Kopf und Wirbelsäule. Ausweislich der der Beklagten erteilten Auskunft des Arbeitgebers wollte der Kläger seinen Arbeitskollegen, den Zeugen E. E. der ebenso wie der Kläger Kraftfahrzeugmechaniker war, in F. abholen, weil dessen Kleinkraftrad defekt war.
Durch Bescheid vom 28. Dezember 1976 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, weil ein Arbeitsunfall nicht vorgelegen habe. Zwar sei ein solcher nach der Bestimmung des § 550 Abs. 2 Nr. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) grundsätzlich nicht ausgeschlossen, wenn der Versicherte von dem unmittelbaren Weg zwischen der Wohnung und dem Ort der Tätigkeit abweiche, weil er mit anderen berufstätigen oder versicherten Personen gemeinsam ein Fahrzeug für den Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit benutze. Dieser auch bei gelegentlicher Mitnahme von versicherten oder berufstätigen Personen bestehende Versicherungsschutz könne jedoch nicht so weit ausgedehnt werden, daß jedes vernünftige Verhältnis zum unmittelbaren, verkehrsüblichen Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Frage gestellt werde. Hier betrage der Weg des Klägers von der Wohnung zur Arbeitsstätte ca. 2,5 km, während die Gesamtstrecke der am Unfalltage beabsichtigten Fahrt zur Abholung des Arbeitskollegen in N. etwa 10 km betrage. Dadurch sei der Weg zur eigenen Arbeitsstätte um das Vierfache verlängert worden, so daß es an einem vernünftigen Verhältnis zum unmittelbaren Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte einerseits und dem Weg zur Abholung einer versicherten Person andererseits fahle. Außerdem sei der Kläger mit der Abholung zunächst in völlig anderer, entgegengesetzter Richtung gefahren und hätte auch wieder bis zur Höhe der Wohnung zurückfahren müssen, um von dort den Weg zum Betrieb fortzusetzen.
Gegen den am 28. Dezember 1976 zur Post aufgelieferten Bescheid hat der Kläger am 3. Januar 1977 bei dem Sozialgericht Fulda (SG) Klage erhoben.
Nach Anhörung des Klägers sowie Vernehmung seiner Mutter A. D. und des K. E. als Zeugen hat das SG durch Urteil vom 3. März 1977 die Klage abgewiesen, da der Grund der Fahrt nach N. am 9. August 1976 nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ungeklärt sei. Aussagen über Art und Zeitpunkt der Verabredung gingen auseinander, wie auch der Kläger und der Zeuge K. E. keine Angaben über den Grund der fehlenden Betriebsbereitschaft des Kleinkraftrades des E. machen können.
Gegen das ihm am 2. Mai 1977 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17. Mai 1977 bei dem SG Berufung eingelegt.
Der Senat hat im Termin zur mündlichen Verhandlung den 19 Jahre alten Kraftfahrzeugmechaniker K. E., den 15-jahrigen Lehrling B. G. und die Mutter des Klägers A. D. als Zeugen vernommen. Ferner wurde der Kläger noch einmal gehört. Auf die in die Sitzungsniederschrift aufgenommenen Bekundungen bzw. Angaben wird Bezug genommen.
Der Kläger trägt zur Begründung vor, die Zeugenaussagen über die Bildung einer Fahrgemeinschaft mit dem Zeugen E. für den Unfalltag stimmten im wesentlichen überein. Mit de SG sei davon auszugehen, daß der Versicherungsschutz bei der Bildung von Fahrgemeinschaften nicht von der Größe des Umweges abhänge. Die Vermutung, er habe seine Freundin, die Zeugin G., in N. abholen wollen, sei dadurch widerlegt, daß sowohl der Zeuge E. als auch seine Mutter bekundet hätten, er habe E. abholen wollen, was auch zeitlich mit dem Arbeitsbeginn um 7.45 Uhr übereinstimme.
Der Kläger beantragt,
das Urteil das Sozialgerichts Fulda vom 3. März 1977 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Dezember 1976 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihm das Ereignis vom 9. August 1976 als Arbeitsunfall in gesetzlichen Umfang zu entschädigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im wesentlichen für zutreffend. Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Unfall- und Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und daher zulässig.
Sie ist auch begründet. Das Urteil des SG und der Bescheid der Beklagten mußten als rechtswidrig aufgehoben werden, da der Kläger auf einem Wege verunglückte, der unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand (vgl. § 550 Abs. 1 und 2 Nr. 2 RVO).
Hierzu ist festzustellen, daß der in F. wohnende Zeuge E. den in der U.straße in F. wohnhaften Kläger am Sonntag, dem 8. August 1976, bat, ihn am nächsten Tag in N. mit dem Kleinkraftrad zur gemeinsamen Arbeitsstätte, der Firma K. in F., P.alle – D.Straße, mitzunehmen, da sein Motorrad – wie schon am Freitag zu vor – sich nicht habe reparieren lassen. Zu diesem Zweck begab sich der Zeuge E. am 9. August 1976 gegen 7.15 Uhr zu der vereinbarten Stelle bei dem A. Lebensmittelgeschäft in N. und wollte von dort mit dem Kläger über L., P. zur Arbeitsstätte fahren. Noch bevor der Kläger den vereinbarten Treffpunkt erreicht hatte, verunglückte er, als er mit seinem Kleinkraftrad von seiner Wohnung in F. kommend von dem G. Weg in die N. Straße einbog. Er geriet unter einen entgegenkommenden Lkw und erlitt dabei eine Commotio celebri und Schädelbasisfraktur, Weichteilverletzungen im Gesicht, eine Distorsion der Halswirbelsäule, Prellungen und Schürfungen beider oberer und unterer Gliedmaßen sowie einen schweren Trümmerbruch das 4. Lendenwirbelkörpers. Diese Feststellungen beruhen auf den Bekundungen der Zeugen E. E., A. D., R. G., den Angaben des Klägers sowie dem Durchgangsarztbericht des Facharztes für Chirurgie Dr. med. S., F ...
Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, daß der Kläger mit seinem Kleinkraftrad den Zeugen E. am Unfalltag in F. abholen wollte, um mit ihm zur gemeinsamen Arbeitsstätte in F. zu fahren.
Das SG ist zu dieser Feststellung nicht gekommen, weil es keine ausreichende Beweisaufnahme durchgeführt hat. Nur aus diesem Grunde konnte es nicht feststellen, daß der Kläger mit dem Zeugen E. die gemeinsame Fahrt zu Arbeitsstätte am Vortage mündlich in N. vereinbart hatte. Wenn es in dem Urteil des SG heißt, E. habe dies nicht bestätigt, sondern ausgesagt, den Kläger nicht getroffen zu haben, so muß darauf hingewiesen werden, daß sich aus der Vernehmungsniederschrift weder eine dahingehende Befragung dieses Zeugen noch eine solche Aussage ergibt. Dagegen hat dieser vom Senat noch einmal vernommene Zeuge dabei bekundet, er habe am Vorabend des Unfalltages den Kläger in N. im Hause der Eltern seiner Freundin getroffen und diesen gebeten, ihn am anderen Morgen mit dem Kleinkraftrad zur gemeinsamen Fahrt zur Arbeitsstätte abzuholen. Die Freundin des Klägers R. G. hat dies als Zeugin bestätigt und weiterhin bekundet, der Zeuge E. habe dabei dem Kläger gesagt, deshalb bereits in dessen elterlicher Wohnung angerufen zu haben. E. hat vor dem Senat hierzu ausgesagt, von einem öffentlichen Fernsprecher in N. aus telefoniert zu haben. Dabei habe sich eine weibliche Stimme mit "Stadtschule I.” gemeldet, da der Vater des Klägers dort Hausmeister und ohne eigenen Telefonanschluß sei. Er habe gedacht, mit der Mutter des Klägers zu sprechen und sei auch bei seiner Vernehmung vor dem SG noch dieser Auffassung gewesen. Die Zeugin D. hat hierzu vor dem Senat bekundet, sie habe nach ihrer Vernehmung vor den SG geweint, weil sie habe aussagen müssen, am Sonntag vor dem Unfall ihres Sohnes mit E. kein Telefongespräch geführt zu haben. Erst nach der Vernehmung habe sie dann von ihrer Tochter B. erfahren, daß diese den Telefonanruf des Zeugen E. entgegengenommen habe, sie möge des Kläger ausrichten, er solle ihn, E. am nächsten Morgen mit seinen Kleinkraftrad zur Arbeit abholen. Es ist auch in soweit nicht erkennbar, daß das SG den Sachverhalt ausreichend aufklärte. Hierzu wäre es erforderlich gewesen, den Zeugen E. der Zeugin D. gegenüber zu stellen. Dabei hätte sich nach der Überzeugung des Senats herausgestellt, daß E. irrig angenommen hatte, mit der Zeugin D. telefoniert zu haben, während er tatsächlich mit deren Tochter gesprochen hatte. Der Senat hat davon abgesehen, die Schwester des Klägers, B. D., hierzu als Zeugin zu vernehmen. Die Zeugin D. machte auf der Senat einen so glaubwürdigen Eindruck, daß dies nicht erforderlich war. Für ihre Glaubwürdigkeit spricht auch, daß sie vor dem SG – zu ungunsten ihres Sohnes – ausgesagt hatte, kein Telefongespräch des Zeugen E. entgegen genommen zu haben. Der Senat stellt daher fest, daß E. dem Kläger am Abend vor dem Unfall telefonisch ausrichten ließ, er solle ihn am nächsten Morgen zur Arbeit abholen. Für die Glaubwürdigkeit des Zeugen E. spricht auch dessen eingehende widerspruchsfreie Schilderung der Vorgänge, die sich nach dem Unfallzeitpunkt abspielten. Nach diesen in die Sitzungsniederschrift aufgenommen Angaben steht zur Überzeugung des Senats fest, daß der Zeuge E. zur Unfallzeit auf den Kläger wartete, um von diesem zur Arbeitsstätte mitgenommen zu werden. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger im Unfallzeitpunkt ein anderes Fahrziel hatte, etwa sein Freundin, die Zeugin G. in N. abzuholen. Unwiderlegt und in Übereinstimmung mit den Bekundungen der Zeugen E. und [xxxxx] hat diese nämlich ausgesagt, der Kläger habe sich sie vor dem 9. August 1976 niemals mit dem Motorrad nach F. zur Schule gefahren und dies auch nicht am Unfalltag beabsichtigt. Ihre Schule erst um 8.15 Uhr und damit später als die Arbeit des Klägers begonnen. Anderenfalls wäre sie früher zur Schule gekommen und hatte dort warten müssen. Hierzu habe keine Veranlassung bestanden. Sie sei stets mit dem Bus zur Schule gefahren und ihr seien diese Fahrtkosten erstattet worden.
Nach seinem Kenntnisstand zutreffend hat das SG zwar ausgeführt, E. habe die Behauptung des Klägers nicht bestätigt, daß dieser ihn bereits am Freitag vor dem Unfall mit zu Arbeit genommen habe. Der Zeuge F. hat bei seiner Vernehmung durch den Senat jedoch bekundet, daß sein Kraftrad bereits an diesem Tag nicht fahrbereit gewesen sei und der Kläger ihn zur Arbeitsstätte gefahren habe. Seine Aussage vor dem SG habe darauf beruht, daß er sich im Zeitpunkt der Vernehmung an die bereits Freitag fehlende Fahrbereitschaft seines Fahrzeuges nicht erinnert habe. Erst nach der Gerichtssitzung habe ihn der Kläger darauf aufmerksam gemacht, daß er ihn schon am Freitag vor dem Unfall abgeholt habe. Es ist nicht erkennbar, daß das SG dem Kläger aufforderte, seine gegenteilige Darstellung dem Zeugen E. vorzuhalten bzw. dies selbst tat, wozu es nach § 103 SGG verpflichtet war. Glaubhaft hat der damals 18-jährige Zeuge E. die unrichtige Angabe mit seiner erstmaligen Vernehmung als Zeuge durch ein Gericht und seine dadurch bedingte Aufregung und Verwirrung erklärt. Sein Motorrad sei ein älteres Modell gewesen, für das er kein Geld für eine Reparatur in einer Werkstatt habe aufbringen wollen. Vielmehr habe er mehrfach und auch noch am Wochenende versucht, den Defekt an der Zündung zu beheben, was ihm aber am Sonntag nicht mehr gelungen sei, so daß er den Kläger noch nicht am Freitag zuvor gebeten habe, ihn auch am Unfalltag abzuholen.
Es steht somit fest, daß der Kläger von dem unmittelbaren Weg zwischen seiner Wohnung und Arbeitsstätte im Unfallzeitpunkt nur deshalb abgewichen war, weil er mit seinem Arbeitskollegen E. gemeinsam zur Arbeitsstätte fahren wollte. Damit war der Versicherungsschutz nicht gemäß § 550 Abs. 2 Nr. 2 RVO ausgeschlossen. Unschädlich hierfür ist es, daß es sich nicht um eine regelmäßige Fahrgemeinschaft handelte, sondern um eine gelegentliche Mitnahme bei Ausfall des eigenen Kraftfahrzeuges (vgl. BT-Drucksache VII/1642; Lauterbach, a.a.O., Anm. 1 zu § 550 RVO).
Gegen dem Unfallversicherung bei dieser Fahrgemeinschaft spricht auch nicht, daß der Kläger zu diesem Zweck von seiner Wohnung zunächst in entgegengesetzter Richtung nach N. fuhr, Vielmehr sind gemäß § 550 Abs. 2 Nr. 2 SGG auch Umwege und sogar Abwege nicht vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, wenn sie dem Zweck dienen, die Arbeitsstätte oder mehrere Arbeitsstätte gemeinsam zu erreichen (vgl. hierzu Schulten, Der Versicherungsschutz bei Fahrgemeinschaften, in "Die Betriebskrankenkasse” 1974, S 130). Daß der direkte Weg von der Wohnung des Klägers zur seiner Arbeitsstätte 2,5 km, der beabsichtigte Weg über N. aber länger gewesen wäre, ist daher rechtlich ohne Bedeutung. Es kommt auch nicht darauf an, welchen Weg der Kläger von N. aus nach dem abholen des Zeuges E. eingeschlagen hätte, um mit diesen die gemeinsame Betriebsstätte zu erreichen, da sich der Unfall bereits auf den Hinweg nach N. ereignete, auf dem der Kläger in jeden Fall gegen Unfall versichert war. Es ist daher unerheblich, daß der vom Kläger von N. aus besichtigte Weg über L. zur Arbeitsstätte etwa 11 km, bei Wiederbenutzung der Hinfahrtstrecke über den G. Weg aber nur etwa 6 km betragen hatte. Im übrigen wäre es für den Kläger gerechtfertigt gewesen, über L. zur Arbeitsstätte zu fahren, in er auf diese Weise nicht durch Bahnhofsgegend in F. zu fahren brauchte und damit den zwischen 7 und 8 Uhr herrschenden starken und teilweise ampelgesteuerten Verkehr umgehen konnte. Die etwa 5 km betragende Mehrentfernung wäre unter diesen Umständen und auch im Hinblick auf die Benutzung eines Kraftrades, mit dem diese Strecke verhältnismäßig schnell zurückgelegt werden konnte, außer Betracht zu lassen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, die über Zulassung er Revision auf § 160 SGG.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger das Ereignis am 9. August 1976 als Arbeitsunfall in gesetzlichen Umfang zu entschädigen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Nach der Unfallanzeige der Firma K. in F. P.allee – D. Straße , verunglückte der 1958 geborene, bei ihr beschäftigte Kläger am 9. August 1976 gegen 7.20 Uhr mit seinem Kleinkraftrad, als er auf dem Weg von seiner Wohnung in F., U.straße , in Richtung F. den G. Weg befahrend in die N. Straße einbog und dort unter einen entgegenkommenden Lastkraftwagen (Lkw) geriet. Dabei erlitt er erheblich Verletzungen an Kopf und Wirbelsäule. Ausweislich der der Beklagten erteilten Auskunft des Arbeitgebers wollte der Kläger seinen Arbeitskollegen, den Zeugen E. E. der ebenso wie der Kläger Kraftfahrzeugmechaniker war, in F. abholen, weil dessen Kleinkraftrad defekt war.
Durch Bescheid vom 28. Dezember 1976 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, weil ein Arbeitsunfall nicht vorgelegen habe. Zwar sei ein solcher nach der Bestimmung des § 550 Abs. 2 Nr. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) grundsätzlich nicht ausgeschlossen, wenn der Versicherte von dem unmittelbaren Weg zwischen der Wohnung und dem Ort der Tätigkeit abweiche, weil er mit anderen berufstätigen oder versicherten Personen gemeinsam ein Fahrzeug für den Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit benutze. Dieser auch bei gelegentlicher Mitnahme von versicherten oder berufstätigen Personen bestehende Versicherungsschutz könne jedoch nicht so weit ausgedehnt werden, daß jedes vernünftige Verhältnis zum unmittelbaren, verkehrsüblichen Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Frage gestellt werde. Hier betrage der Weg des Klägers von der Wohnung zur Arbeitsstätte ca. 2,5 km, während die Gesamtstrecke der am Unfalltage beabsichtigten Fahrt zur Abholung des Arbeitskollegen in N. etwa 10 km betrage. Dadurch sei der Weg zur eigenen Arbeitsstätte um das Vierfache verlängert worden, so daß es an einem vernünftigen Verhältnis zum unmittelbaren Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte einerseits und dem Weg zur Abholung einer versicherten Person andererseits fahle. Außerdem sei der Kläger mit der Abholung zunächst in völlig anderer, entgegengesetzter Richtung gefahren und hätte auch wieder bis zur Höhe der Wohnung zurückfahren müssen, um von dort den Weg zum Betrieb fortzusetzen.
Gegen den am 28. Dezember 1976 zur Post aufgelieferten Bescheid hat der Kläger am 3. Januar 1977 bei dem Sozialgericht Fulda (SG) Klage erhoben.
Nach Anhörung des Klägers sowie Vernehmung seiner Mutter A. D. und des K. E. als Zeugen hat das SG durch Urteil vom 3. März 1977 die Klage abgewiesen, da der Grund der Fahrt nach N. am 9. August 1976 nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ungeklärt sei. Aussagen über Art und Zeitpunkt der Verabredung gingen auseinander, wie auch der Kläger und der Zeuge K. E. keine Angaben über den Grund der fehlenden Betriebsbereitschaft des Kleinkraftrades des E. machen können.
Gegen das ihm am 2. Mai 1977 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17. Mai 1977 bei dem SG Berufung eingelegt.
Der Senat hat im Termin zur mündlichen Verhandlung den 19 Jahre alten Kraftfahrzeugmechaniker K. E., den 15-jahrigen Lehrling B. G. und die Mutter des Klägers A. D. als Zeugen vernommen. Ferner wurde der Kläger noch einmal gehört. Auf die in die Sitzungsniederschrift aufgenommenen Bekundungen bzw. Angaben wird Bezug genommen.
Der Kläger trägt zur Begründung vor, die Zeugenaussagen über die Bildung einer Fahrgemeinschaft mit dem Zeugen E. für den Unfalltag stimmten im wesentlichen überein. Mit de SG sei davon auszugehen, daß der Versicherungsschutz bei der Bildung von Fahrgemeinschaften nicht von der Größe des Umweges abhänge. Die Vermutung, er habe seine Freundin, die Zeugin G., in N. abholen wollen, sei dadurch widerlegt, daß sowohl der Zeuge E. als auch seine Mutter bekundet hätten, er habe E. abholen wollen, was auch zeitlich mit dem Arbeitsbeginn um 7.45 Uhr übereinstimme.
Der Kläger beantragt,
das Urteil das Sozialgerichts Fulda vom 3. März 1977 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Dezember 1976 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihm das Ereignis vom 9. August 1976 als Arbeitsunfall in gesetzlichen Umfang zu entschädigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im wesentlichen für zutreffend. Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Unfall- und Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und daher zulässig.
Sie ist auch begründet. Das Urteil des SG und der Bescheid der Beklagten mußten als rechtswidrig aufgehoben werden, da der Kläger auf einem Wege verunglückte, der unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand (vgl. § 550 Abs. 1 und 2 Nr. 2 RVO).
Hierzu ist festzustellen, daß der in F. wohnende Zeuge E. den in der U.straße in F. wohnhaften Kläger am Sonntag, dem 8. August 1976, bat, ihn am nächsten Tag in N. mit dem Kleinkraftrad zur gemeinsamen Arbeitsstätte, der Firma K. in F., P.alle – D.Straße, mitzunehmen, da sein Motorrad – wie schon am Freitag zu vor – sich nicht habe reparieren lassen. Zu diesem Zweck begab sich der Zeuge E. am 9. August 1976 gegen 7.15 Uhr zu der vereinbarten Stelle bei dem A. Lebensmittelgeschäft in N. und wollte von dort mit dem Kläger über L., P. zur Arbeitsstätte fahren. Noch bevor der Kläger den vereinbarten Treffpunkt erreicht hatte, verunglückte er, als er mit seinem Kleinkraftrad von seiner Wohnung in F. kommend von dem G. Weg in die N. Straße einbog. Er geriet unter einen entgegenkommenden Lkw und erlitt dabei eine Commotio celebri und Schädelbasisfraktur, Weichteilverletzungen im Gesicht, eine Distorsion der Halswirbelsäule, Prellungen und Schürfungen beider oberer und unterer Gliedmaßen sowie einen schweren Trümmerbruch das 4. Lendenwirbelkörpers. Diese Feststellungen beruhen auf den Bekundungen der Zeugen E. E., A. D., R. G., den Angaben des Klägers sowie dem Durchgangsarztbericht des Facharztes für Chirurgie Dr. med. S., F ...
Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, daß der Kläger mit seinem Kleinkraftrad den Zeugen E. am Unfalltag in F. abholen wollte, um mit ihm zur gemeinsamen Arbeitsstätte in F. zu fahren.
Das SG ist zu dieser Feststellung nicht gekommen, weil es keine ausreichende Beweisaufnahme durchgeführt hat. Nur aus diesem Grunde konnte es nicht feststellen, daß der Kläger mit dem Zeugen E. die gemeinsame Fahrt zu Arbeitsstätte am Vortage mündlich in N. vereinbart hatte. Wenn es in dem Urteil des SG heißt, E. habe dies nicht bestätigt, sondern ausgesagt, den Kläger nicht getroffen zu haben, so muß darauf hingewiesen werden, daß sich aus der Vernehmungsniederschrift weder eine dahingehende Befragung dieses Zeugen noch eine solche Aussage ergibt. Dagegen hat dieser vom Senat noch einmal vernommene Zeuge dabei bekundet, er habe am Vorabend des Unfalltages den Kläger in N. im Hause der Eltern seiner Freundin getroffen und diesen gebeten, ihn am anderen Morgen mit dem Kleinkraftrad zur gemeinsamen Fahrt zur Arbeitsstätte abzuholen. Die Freundin des Klägers R. G. hat dies als Zeugin bestätigt und weiterhin bekundet, der Zeuge E. habe dabei dem Kläger gesagt, deshalb bereits in dessen elterlicher Wohnung angerufen zu haben. E. hat vor dem Senat hierzu ausgesagt, von einem öffentlichen Fernsprecher in N. aus telefoniert zu haben. Dabei habe sich eine weibliche Stimme mit "Stadtschule I.” gemeldet, da der Vater des Klägers dort Hausmeister und ohne eigenen Telefonanschluß sei. Er habe gedacht, mit der Mutter des Klägers zu sprechen und sei auch bei seiner Vernehmung vor dem SG noch dieser Auffassung gewesen. Die Zeugin D. hat hierzu vor dem Senat bekundet, sie habe nach ihrer Vernehmung vor den SG geweint, weil sie habe aussagen müssen, am Sonntag vor dem Unfall ihres Sohnes mit E. kein Telefongespräch geführt zu haben. Erst nach der Vernehmung habe sie dann von ihrer Tochter B. erfahren, daß diese den Telefonanruf des Zeugen E. entgegengenommen habe, sie möge des Kläger ausrichten, er solle ihn, E. am nächsten Morgen mit seinen Kleinkraftrad zur Arbeit abholen. Es ist auch in soweit nicht erkennbar, daß das SG den Sachverhalt ausreichend aufklärte. Hierzu wäre es erforderlich gewesen, den Zeugen E. der Zeugin D. gegenüber zu stellen. Dabei hätte sich nach der Überzeugung des Senats herausgestellt, daß E. irrig angenommen hatte, mit der Zeugin D. telefoniert zu haben, während er tatsächlich mit deren Tochter gesprochen hatte. Der Senat hat davon abgesehen, die Schwester des Klägers, B. D., hierzu als Zeugin zu vernehmen. Die Zeugin D. machte auf der Senat einen so glaubwürdigen Eindruck, daß dies nicht erforderlich war. Für ihre Glaubwürdigkeit spricht auch, daß sie vor dem SG – zu ungunsten ihres Sohnes – ausgesagt hatte, kein Telefongespräch des Zeugen E. entgegen genommen zu haben. Der Senat stellt daher fest, daß E. dem Kläger am Abend vor dem Unfall telefonisch ausrichten ließ, er solle ihn am nächsten Morgen zur Arbeit abholen. Für die Glaubwürdigkeit des Zeugen E. spricht auch dessen eingehende widerspruchsfreie Schilderung der Vorgänge, die sich nach dem Unfallzeitpunkt abspielten. Nach diesen in die Sitzungsniederschrift aufgenommen Angaben steht zur Überzeugung des Senats fest, daß der Zeuge E. zur Unfallzeit auf den Kläger wartete, um von diesem zur Arbeitsstätte mitgenommen zu werden. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger im Unfallzeitpunkt ein anderes Fahrziel hatte, etwa sein Freundin, die Zeugin G. in N. abzuholen. Unwiderlegt und in Übereinstimmung mit den Bekundungen der Zeugen E. und [xxxxx] hat diese nämlich ausgesagt, der Kläger habe sich sie vor dem 9. August 1976 niemals mit dem Motorrad nach F. zur Schule gefahren und dies auch nicht am Unfalltag beabsichtigt. Ihre Schule erst um 8.15 Uhr und damit später als die Arbeit des Klägers begonnen. Anderenfalls wäre sie früher zur Schule gekommen und hatte dort warten müssen. Hierzu habe keine Veranlassung bestanden. Sie sei stets mit dem Bus zur Schule gefahren und ihr seien diese Fahrtkosten erstattet worden.
Nach seinem Kenntnisstand zutreffend hat das SG zwar ausgeführt, E. habe die Behauptung des Klägers nicht bestätigt, daß dieser ihn bereits am Freitag vor dem Unfall mit zu Arbeit genommen habe. Der Zeuge F. hat bei seiner Vernehmung durch den Senat jedoch bekundet, daß sein Kraftrad bereits an diesem Tag nicht fahrbereit gewesen sei und der Kläger ihn zur Arbeitsstätte gefahren habe. Seine Aussage vor dem SG habe darauf beruht, daß er sich im Zeitpunkt der Vernehmung an die bereits Freitag fehlende Fahrbereitschaft seines Fahrzeuges nicht erinnert habe. Erst nach der Gerichtssitzung habe ihn der Kläger darauf aufmerksam gemacht, daß er ihn schon am Freitag vor dem Unfall abgeholt habe. Es ist nicht erkennbar, daß das SG dem Kläger aufforderte, seine gegenteilige Darstellung dem Zeugen E. vorzuhalten bzw. dies selbst tat, wozu es nach § 103 SGG verpflichtet war. Glaubhaft hat der damals 18-jährige Zeuge E. die unrichtige Angabe mit seiner erstmaligen Vernehmung als Zeuge durch ein Gericht und seine dadurch bedingte Aufregung und Verwirrung erklärt. Sein Motorrad sei ein älteres Modell gewesen, für das er kein Geld für eine Reparatur in einer Werkstatt habe aufbringen wollen. Vielmehr habe er mehrfach und auch noch am Wochenende versucht, den Defekt an der Zündung zu beheben, was ihm aber am Sonntag nicht mehr gelungen sei, so daß er den Kläger noch nicht am Freitag zuvor gebeten habe, ihn auch am Unfalltag abzuholen.
Es steht somit fest, daß der Kläger von dem unmittelbaren Weg zwischen seiner Wohnung und Arbeitsstätte im Unfallzeitpunkt nur deshalb abgewichen war, weil er mit seinem Arbeitskollegen E. gemeinsam zur Arbeitsstätte fahren wollte. Damit war der Versicherungsschutz nicht gemäß § 550 Abs. 2 Nr. 2 RVO ausgeschlossen. Unschädlich hierfür ist es, daß es sich nicht um eine regelmäßige Fahrgemeinschaft handelte, sondern um eine gelegentliche Mitnahme bei Ausfall des eigenen Kraftfahrzeuges (vgl. BT-Drucksache VII/1642; Lauterbach, a.a.O., Anm. 1 zu § 550 RVO).
Gegen dem Unfallversicherung bei dieser Fahrgemeinschaft spricht auch nicht, daß der Kläger zu diesem Zweck von seiner Wohnung zunächst in entgegengesetzter Richtung nach N. fuhr, Vielmehr sind gemäß § 550 Abs. 2 Nr. 2 SGG auch Umwege und sogar Abwege nicht vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, wenn sie dem Zweck dienen, die Arbeitsstätte oder mehrere Arbeitsstätte gemeinsam zu erreichen (vgl. hierzu Schulten, Der Versicherungsschutz bei Fahrgemeinschaften, in "Die Betriebskrankenkasse” 1974, S 130). Daß der direkte Weg von der Wohnung des Klägers zur seiner Arbeitsstätte 2,5 km, der beabsichtigte Weg über N. aber länger gewesen wäre, ist daher rechtlich ohne Bedeutung. Es kommt auch nicht darauf an, welchen Weg der Kläger von N. aus nach dem abholen des Zeuges E. eingeschlagen hätte, um mit diesen die gemeinsame Betriebsstätte zu erreichen, da sich der Unfall bereits auf den Hinweg nach N. ereignete, auf dem der Kläger in jeden Fall gegen Unfall versichert war. Es ist daher unerheblich, daß der vom Kläger von N. aus besichtigte Weg über L. zur Arbeitsstätte etwa 11 km, bei Wiederbenutzung der Hinfahrtstrecke über den G. Weg aber nur etwa 6 km betragen hatte. Im übrigen wäre es für den Kläger gerechtfertigt gewesen, über L. zur Arbeitsstätte zu fahren, in er auf diese Weise nicht durch Bahnhofsgegend in F. zu fahren brauchte und damit den zwischen 7 und 8 Uhr herrschenden starken und teilweise ampelgesteuerten Verkehr umgehen konnte. Die etwa 5 km betragende Mehrentfernung wäre unter diesen Umständen und auch im Hinblick auf die Benutzung eines Kraftrades, mit dem diese Strecke verhältnismäßig schnell zurückgelegt werden konnte, außer Betracht zu lassen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, die über Zulassung er Revision auf § 160 SGG.
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