Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 1 U 41/77
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 1252/77
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Rehabilitand, dem von einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung eine stationäre Heilbehandlung bewilligt ist, steht auch auf einem ärztlich nicht angeordneten Spaziergang in unmittelbarer Nähe der Kuranstalt am Tage nach der Anreise zwischen zwei Untersuchungsterminen unter Unfallversicherungsschutz.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 10. November 1977 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darum, ob ein Sturz der Klägerin während eines Kuraufenthaltes einen versicherten Arbeitsunfall darstellt.
Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte – BfA – bewilligte der im Jahre 1930 geborene Klägerin wegen einer chronischen Gastroduodenitis, Anämie und eines Zustandes nach Totalunterleibsoperation im November 1975 für die Zeit vom 18. Februar bis 17. März 1976 in dem B. Sanatorium in C. eine stationäre Heilbehandlung im Sinne von § 559 Reichsversicherungsordnung – RVO –. Nach der Anreise am 18. Februar 1976 begannen die Heilbehandlungsmaßnahmen am nächsten Tag um 7.00 Uhr mit Laboruntersuchungen. Anschließend frühstückte die Klägerin bis gegen 8.35 Uhr. Da sie bis zur nächsten Untersuchung um 10.00 Uhr noch freie Zeit hatte, ging sie, der förmlichen Unfallanzeige zufolge, im Sanatoriumsgelände spazieren, wobei sie gegen 9.00 Uhr ausrutschte und sich beim Sturz eine Radiusfraktur links zuzog. Mit formlosem Schreiben vom 10. Februar 1977 teilte die Beklagte der Klägerin mit, daß sie keine Leistungen gewähren könne, da der Unfall nicht bei der Befolgung bzw. Ausführung einer ärztlichen Anordnung geschehen sei. Das Spazierengehen sei vielmehr dem privaten und somit unversicherten Bereich zuzuordnen. Auf Verlangen der Klägerin erteilte sie dieser am 29. März 1977 einen förmlichen Bescheid mit gleichem Inhalt.
Gegen diesen an sie am gleichen Tage abgesandten Bescheid hat die Klägerin bei dem Sozialgericht Darmstadt – SG – am 18. April 1977 Klage erhoben. Das SG hat zunächst die Deutsche Angestellten Krankenkasse – DAK – beigeladen und die Auskunft des Dr. H.-B. Sanatorium – vom 22. Juli 1977 eingeholt. Hiernach habe es sich bei dem Unfall der Klägerin um keinen außergewöhnlichen Vorfall gehandelt. Der Spaziergang sei ärztlich nicht angeordnet gewesen; auch hätten sich auf dem Sanatoriumsgelände keine besonderen Hindernisse befunden. Sodann hat das SG am 10. November 1977 die Beklagte verurteilt, der Klägerin aus Anlaß des Unfallereignisses vom 19. Februar 1976 die gesetzliche Unfallentschädigung zu gewähren, weil das Spazierengehen auf dem Sanatoriumsgelände in der frischen Luft angesichts der Einweisungsdiagnose auch ohne besondere ärztliche Anordnung als vernünftige Bewegungstherapie anzusehen sei.
Gegen dieses ihr am 22. November 1977 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil hat die Beklagte bei dem Hessischen Landessozialgericht am 9. Dezember 1977 Berufung eingelegt. Sie hat während des Berufungsverfahrens das 1. Rentengutachten des Dr. Z. (Kreiskrankenhaus G.) vom 29. Dezember 1977 eingeholt, das dieser am 13. Januar 1978 ergänzte und als wesentliche Unfallfolgen einen "Zustand nach mit einer leichten Achsenfehlstellung und Defektbildung im Bereich der Gelenkfläche ausgeheilter Radiusfraktur links sowie Bewegungseinschränkung des linken Handgelenkes” beschrieb. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit – MdE – betrage nach Wegfall der Arbeitsunfähigkeit i.S. der Krankenversicherung ab 12. April 1976 bis zum Ablauf des zweiten Unfalljahres 20 v.H. und danach nur noch 10 v.H. Mit dem Bescheid vom 2. März 1978 hat die Beklagte in Ausführung des sozialgerichtlichen Urteils die Verletztenrente für die Zeit vom 10. November 1977 bis zum 31. Januar 1978 mit einer MdE um 20 v.H. festgestellt und zugleich entschieden, daß diese ab 1. Februar 1978 nicht mehr gewährt werden könne, da seitdem kein rentenberechtigender Grad der MdE mehr vorliege.
Es ist im Berufungsverfahren der Facharzt für Orthopädie Dr. med. W. B. (D.) als Sachverständiger zu der Frage gehört worden, ob und welchen Grad der MdE die Folgen des Unfalls der Klägerin seit dem 1. Februar 1978 bedingen. Der Sachverständige hat in Übereinstimmung mit Dr. Z. sein Gutachten dahin erstattet, daß die MdE für die Unfallfolgen in dem Ausführungsbescheid zutreffend bis zum 31. Januar 1978 mit 20 % bewertet worden sei. Danach betrage sie weniger als 20 %. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 19. April 1978 verwiesen.
Zur Begründung der Berufung macht die Beklagte erneut geltend, daß der Unfall auf einem unversicherten, privaten Spaziergang erfolgt sei.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 10. November 1977 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Klägerin und die Beigeladene beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend. Die vor dem Senat persönlich angehörte Klägerin hat im übrigen angegeben, daß sie vor dem Unfall zur Erholung etwa dreimal auf einem nicht dem öffentlichen Verkehr dienenden Weg um das Sanatorium gegangen und dabei auf einer vereisten Stelle ausgerutscht sei. Sie habe sich in einem angegriffenen Gesundheitszustand befunden. Zu dem von dem Sachverständigen Dr. E. erstatteten Gutachten hat sie erklärt, diesem zuzustimmen und über den 31. Januar 1978 hinaus keine Verletztenrente zu begehren.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Unfall- und Streitakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und daher zulässig (§§ 151 Abs. 1, 143 ff. Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Sie ist jedoch unbegründet. Das auf die zulässige Klage ergangene sozialgerichtliche Urteil konnte nicht aufgehoben werden, da das SG die Beklagte zu Recht dem Grunde nach verurteilt hat, der Klägerin wegen des Ereignisses vom 19. Februar 1976 die gesetzliche Unfallentschädigung zu gewähren. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig, da die Klägerin einen Arbeitsunfall erlitten hat (§§ 539 Abs. 1 Nr. 17 a, 548, 550 RVO).
Zunächst ist festzustellen, daß der Klägerin durch die BfA eine stationäre Heilbehandlung in dem B. Sanatorium in O. für die Zeit vom 18. Februar bis 17. März 1976 bewilligt worden war. Sie gehörte daher mit dem Beginn der Anreise dort hin zu dem nach § 539 Abs. 1 Nr. 17 a RVO versicherten Personenkreis. Dieser Versicherungsschutz bestand auch, als die Klägerin am nächsten Tag in der Kuranstalt verunglückte (§§ 539 Abs. 1 Nr. 17 a, 559, 548 RVO). Hierzu sieht der Senat nach den Feststellungen der Beklagten im Verwaltungsverfahren und den glaubhaften Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat als erwiesen an, daß sich dieser Unfall in der Freizeit zwischen zwei Untersuchungsterminen auf einem Spaziergang gegen 9.00 h ereignete. Nachdem bei der Klägerin um 7.00 h eine Laboruntersuchung durchgeführt worden war, sollte der nächste Untersuchungstermin um 10.00 h stattfinden. Dazwischen frühstückte die Klägerin bis gegen 8.35 h. Anschließend ging sie auf einem um das Sanatoriumsgebäude führenden Weg spazieren, um sich zu erholen. Dieser Weg war nicht öffentlich, sondern lediglich für Sanatoriumszwecke angelegt. Die Klägerin fühlte sich nach der Anreise am Vortage und infolge einer im November 1975 überstandenen Totalunterleibsoperation sowie wegen einer chronischen Gastroduodenitis und Anämie seelisch und körperlich erschöpft und wollte die freie Zeit zwischen den Untersuchungsterminen zu einem erholenden Spaziergang nutzen, obwohl eine ärztliche Anordnung hierzu bisher nicht ergangen war. Diesen Sachverhalt, der von den Beteiligten auch nicht in Zweifel gezogen wird, sieht der Senat als festgestellt an. Einer zusätzlichen Beweiserhebung hierzu bedurfte es nicht, zumal auch von den Beteiligten keine weiteren Beweisanträge gestellt worden sind.
Daß die Klägerin auf einem nicht von einem Arzt verordneten Spaziergang verunglückte, steht der Annahme eines versicherten Arbeitsunfalls nicht entgegen. Die Bestimmung des § 539 Abs. 1 Nr. 17 a RVO ist durch § 21 Nr. 37 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 – Rehabilitations-Angleichungsgesetz – RehaAnglGes. – (BGBl. I 1974, 1881) in die RVO aufgenommen worden und am 1. Oktober 1974 in Kraft getreten (§ 45 Abs. 1 RehaAnglGes.). Da in ihr auf § 559 RVO Bezug genommen wird, legt sie der Senat dahin aus, daß nicht jede Tätigkeit, die mit einem Kuraufenthalt in örtlichem und zeitlichem Zusammenhang steht, versichert ist. Nach § 559 RVO i.d.F. des RehaAnglGes. wird die Heilbehandlung mit Unterkunft und Verpflegung in einem Krankenhaus oder einer Kur- oder Spezialeinrichtung (stationäre Behandlung) gewährt, soweit dies erforderlich ist. Hieraus ist zu folgern, daß nur solche Tätigkeiten versichert sind, die in einem wesentlichen inneren Zusammenhang mit der stationären Behandlung stehen. Dies sind jedenfalls die ärztlich angeordneten Tätigkeiten bzw. mit einer solchen Anordnung in Zusammenhang stehenden Verrichtungen und zurückgelegten Wege. Der UV-Schutz für Rehabilitanden wurde bereits mit der durch das UVNG vom 30. April 1963 (BGBl. 1963 I, 241) eingefügten Vorschrift des § 555 RVO geschaffen (vgl. Vollmar ZfS 1975, 336), so daß die zu dieser Bestimmung entwickelten Grundsätze auch hier anzuwenden sind. Das bedeutet, daß der UV-Schutz nicht etwa ohne jede Einschränkung mit dem Kurantritt beginnt und erst mit deren Ende entfällt und damit auch eigenwirtschaftliche Tätigkeiten in dieser Zeit erfaßt (vgl. Vollmar a.a.O., 338; Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 97 h Buchstabe d zu § 539 RVO, Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl., Kennzahl 300 S. 37; BSG, Urteil vom 22. Januar 1976 – 2 RU 109/74 –). Hierzu wird in Literatur und Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß zu solchen unversicherten Verrichtungen in der Freizeit – wie auch sonst im Privatleben – unternommene Spaziergänge gehören, sofern sie nicht ärztlich verordnet sind (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, Stand August 1977, S. 488 e unter Hinweis auf LSG Hamburg, Urteil vom 3. Oktober 1974 – L-3/UBf – 25/74 – in Rundschreiben des Hauptverbandes der Gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 26. Februar 1975 – VB 25/75 –; Lauterbach a.a.O., Anm. 5 a zu § 555 RVO; Podzun a.a.O.). Bei den angeführten Fällen handelte es sich jedoch regelmäßig um Unfälle bei Spaziergängen weit außerhalb des jeweiligen Sanatoriumsgeländes. Der vorliegende Fall unterscheidet sich davon grundlegend. Wie oben festgestellt, hielt sich die Klägerin im Unfallzeitpunkt und auch zuvor in unmittelbarer Nähe des Sanatoriums auf. Sie hatte es bereits etwa dreimal auf dem nächsten, nicht dem öffentlichen Verkehr dienenden Weg umwandert, als sie stürzte. Der Spaziergang war von ihr angetreten worden, weil sie angesichts ihres Gesundheitszustandes dringend der Erholung bedurfte. Zur Freizeitgestaltung bei Dienstreisen hat das BSG – wie auch der Senat – unter Hinweis auf Gitter (WzS 1964, 68, 70) ausgeführt, daß eine zum persönlichen Lebensbereich zählende Betätigung dann dem UV-Schutz unterliegt, wenn sie mit dem Aufenthalt an dem fremden Ort notwendigerweise verbunden ist. Hierbei ist der Kreis der Tätigkeiten in Bezug auf den Versicherungsschutz des Reisenden nicht zu eng und der Gesamtsituation angepaßt zu ziehen (vgl. BSG, Urteil vom 13. Februar 1975 – 8 RU 886/74 – in E 39, 180; Hess. LSG, Urteil vom 16. Januar 1974 – L-3/U – 541/73 –). Diese Grundsätze sind auch hier anzuwenden. Bei der Beurteilung der Frage, wo die Grenze des UV-Schutzes bei Tätigkeiten eines Rehabilitanden in einer Kuranstalt zu ziehen ist, darf nicht die Zielsetzung des RehaAnglGes. außer acht gelassen werden. Nach § 1 RehaAnglGes. ist es Aufgabe der Rehabilitation, durch allumfassende Maßnahmen Behinderte einzugliedern bzw. eine drohende Behinderung abzuwenden. Unter diesem Gesichtspunkt würde die Grenze des UV-Schutzes vorliegend zu eng gezogen, wollte man den Spaziergang der Klägerin zwischen zwei nicht weit auseinanderliegenden Untersuchungsterminen in unmittelbarer Nähe des Sanatoriums als unversichert ansehen. Ihr Verhalten war nämlich der Genesung förderlich, wie Dr. med. H. (B. Sanatorium) der Beklagten am 17. Januar 1977 mitgeteilt hat (Bl. 29 R Unfallakte), und was auch gerichtsbekannt ist. Daß keine entsprechende ärztliche Anordnung zum Spazierengehen bestand, lag erkennbar dann, daß sich die Klägerin vor dem Unfall dem Kurarzt noch nicht vorstellen konnte. Der vorliegende Fall unterscheidet sich damit wesentlich von einer anderen Freizeitgestaltung, z.B. in Form eines privaten Stadtganges, bei der es zumindest zweifelhaft ist, ob UV-Schutz besteht.
Zu Recht hat sich das SG auf den Erlaß eines Grundurteils beschränkt (§ 130 S. 1 SGG), weil der Anspruch der Klägerin auf Verletztenrente in einer Mindesthöhe gegeben ist (BSG E 13, 178). Nach dem während des Berufungsverfahrens von der Beklagten eingeholten Gutachten des Dr. med. Z. vom 29. Dezember 1977 betrug der unfallbedingte Grad der Erwerbsminderung nämlich bis zur Feststellung der Dauerrente 20 %. Soweit sie mit dem Ausführungsbescheid vom 2. März 1978 die Verletztenrente nur bis zum 31. Januar 1978 gewährt hat, enthält dieser über die bloße Ausführung des Grundurteils eine zusätzliche Regelung und gilt als mit der Klage angefochten (§ 96 SGG). Es bedurfte jedoch keiner weiteren Entscheidung des Senates, da die Klägerin nach der Erstattung des Gutachtens durch den Sachverständigen Dr. B. erklärt hat, die Begrenzung der Rentengewährung bis zum 31. Januar 1978 nicht angreifen zu wollen. Sie ist daher insoweit durch den Bescheid vom 2. März 1978 nicht beschwert. Dieser Bescheid ist auch nicht in Bezug auf den Leistungsbeginn (10. November 1977 – Tag der Verkündung des angefochtenen Urteils) abzuändern. Dieser ist nach § 154 Abs. 2 SGG zu Recht festgesetzt worden. Er entfällt, wenn das Urteil des SG rechtskräftig wird, was von der Beklagten in dem Bescheid vom 2. März 1978 im übrigen ausdrücklich festgestellt worden ist. Auch in Bezug auf den Leistungsbeginn ist die Klägerin daher durch diesen Bescheid nicht beschwert. Der Senat kann sich somit darauf beschränken, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 193, 160 SGG.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darum, ob ein Sturz der Klägerin während eines Kuraufenthaltes einen versicherten Arbeitsunfall darstellt.
Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte – BfA – bewilligte der im Jahre 1930 geborene Klägerin wegen einer chronischen Gastroduodenitis, Anämie und eines Zustandes nach Totalunterleibsoperation im November 1975 für die Zeit vom 18. Februar bis 17. März 1976 in dem B. Sanatorium in C. eine stationäre Heilbehandlung im Sinne von § 559 Reichsversicherungsordnung – RVO –. Nach der Anreise am 18. Februar 1976 begannen die Heilbehandlungsmaßnahmen am nächsten Tag um 7.00 Uhr mit Laboruntersuchungen. Anschließend frühstückte die Klägerin bis gegen 8.35 Uhr. Da sie bis zur nächsten Untersuchung um 10.00 Uhr noch freie Zeit hatte, ging sie, der förmlichen Unfallanzeige zufolge, im Sanatoriumsgelände spazieren, wobei sie gegen 9.00 Uhr ausrutschte und sich beim Sturz eine Radiusfraktur links zuzog. Mit formlosem Schreiben vom 10. Februar 1977 teilte die Beklagte der Klägerin mit, daß sie keine Leistungen gewähren könne, da der Unfall nicht bei der Befolgung bzw. Ausführung einer ärztlichen Anordnung geschehen sei. Das Spazierengehen sei vielmehr dem privaten und somit unversicherten Bereich zuzuordnen. Auf Verlangen der Klägerin erteilte sie dieser am 29. März 1977 einen förmlichen Bescheid mit gleichem Inhalt.
Gegen diesen an sie am gleichen Tage abgesandten Bescheid hat die Klägerin bei dem Sozialgericht Darmstadt – SG – am 18. April 1977 Klage erhoben. Das SG hat zunächst die Deutsche Angestellten Krankenkasse – DAK – beigeladen und die Auskunft des Dr. H.-B. Sanatorium – vom 22. Juli 1977 eingeholt. Hiernach habe es sich bei dem Unfall der Klägerin um keinen außergewöhnlichen Vorfall gehandelt. Der Spaziergang sei ärztlich nicht angeordnet gewesen; auch hätten sich auf dem Sanatoriumsgelände keine besonderen Hindernisse befunden. Sodann hat das SG am 10. November 1977 die Beklagte verurteilt, der Klägerin aus Anlaß des Unfallereignisses vom 19. Februar 1976 die gesetzliche Unfallentschädigung zu gewähren, weil das Spazierengehen auf dem Sanatoriumsgelände in der frischen Luft angesichts der Einweisungsdiagnose auch ohne besondere ärztliche Anordnung als vernünftige Bewegungstherapie anzusehen sei.
Gegen dieses ihr am 22. November 1977 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil hat die Beklagte bei dem Hessischen Landessozialgericht am 9. Dezember 1977 Berufung eingelegt. Sie hat während des Berufungsverfahrens das 1. Rentengutachten des Dr. Z. (Kreiskrankenhaus G.) vom 29. Dezember 1977 eingeholt, das dieser am 13. Januar 1978 ergänzte und als wesentliche Unfallfolgen einen "Zustand nach mit einer leichten Achsenfehlstellung und Defektbildung im Bereich der Gelenkfläche ausgeheilter Radiusfraktur links sowie Bewegungseinschränkung des linken Handgelenkes” beschrieb. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit – MdE – betrage nach Wegfall der Arbeitsunfähigkeit i.S. der Krankenversicherung ab 12. April 1976 bis zum Ablauf des zweiten Unfalljahres 20 v.H. und danach nur noch 10 v.H. Mit dem Bescheid vom 2. März 1978 hat die Beklagte in Ausführung des sozialgerichtlichen Urteils die Verletztenrente für die Zeit vom 10. November 1977 bis zum 31. Januar 1978 mit einer MdE um 20 v.H. festgestellt und zugleich entschieden, daß diese ab 1. Februar 1978 nicht mehr gewährt werden könne, da seitdem kein rentenberechtigender Grad der MdE mehr vorliege.
Es ist im Berufungsverfahren der Facharzt für Orthopädie Dr. med. W. B. (D.) als Sachverständiger zu der Frage gehört worden, ob und welchen Grad der MdE die Folgen des Unfalls der Klägerin seit dem 1. Februar 1978 bedingen. Der Sachverständige hat in Übereinstimmung mit Dr. Z. sein Gutachten dahin erstattet, daß die MdE für die Unfallfolgen in dem Ausführungsbescheid zutreffend bis zum 31. Januar 1978 mit 20 % bewertet worden sei. Danach betrage sie weniger als 20 %. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 19. April 1978 verwiesen.
Zur Begründung der Berufung macht die Beklagte erneut geltend, daß der Unfall auf einem unversicherten, privaten Spaziergang erfolgt sei.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 10. November 1977 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Klägerin und die Beigeladene beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend. Die vor dem Senat persönlich angehörte Klägerin hat im übrigen angegeben, daß sie vor dem Unfall zur Erholung etwa dreimal auf einem nicht dem öffentlichen Verkehr dienenden Weg um das Sanatorium gegangen und dabei auf einer vereisten Stelle ausgerutscht sei. Sie habe sich in einem angegriffenen Gesundheitszustand befunden. Zu dem von dem Sachverständigen Dr. E. erstatteten Gutachten hat sie erklärt, diesem zuzustimmen und über den 31. Januar 1978 hinaus keine Verletztenrente zu begehren.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Unfall- und Streitakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und daher zulässig (§§ 151 Abs. 1, 143 ff. Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Sie ist jedoch unbegründet. Das auf die zulässige Klage ergangene sozialgerichtliche Urteil konnte nicht aufgehoben werden, da das SG die Beklagte zu Recht dem Grunde nach verurteilt hat, der Klägerin wegen des Ereignisses vom 19. Februar 1976 die gesetzliche Unfallentschädigung zu gewähren. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig, da die Klägerin einen Arbeitsunfall erlitten hat (§§ 539 Abs. 1 Nr. 17 a, 548, 550 RVO).
Zunächst ist festzustellen, daß der Klägerin durch die BfA eine stationäre Heilbehandlung in dem B. Sanatorium in O. für die Zeit vom 18. Februar bis 17. März 1976 bewilligt worden war. Sie gehörte daher mit dem Beginn der Anreise dort hin zu dem nach § 539 Abs. 1 Nr. 17 a RVO versicherten Personenkreis. Dieser Versicherungsschutz bestand auch, als die Klägerin am nächsten Tag in der Kuranstalt verunglückte (§§ 539 Abs. 1 Nr. 17 a, 559, 548 RVO). Hierzu sieht der Senat nach den Feststellungen der Beklagten im Verwaltungsverfahren und den glaubhaften Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat als erwiesen an, daß sich dieser Unfall in der Freizeit zwischen zwei Untersuchungsterminen auf einem Spaziergang gegen 9.00 h ereignete. Nachdem bei der Klägerin um 7.00 h eine Laboruntersuchung durchgeführt worden war, sollte der nächste Untersuchungstermin um 10.00 h stattfinden. Dazwischen frühstückte die Klägerin bis gegen 8.35 h. Anschließend ging sie auf einem um das Sanatoriumsgebäude führenden Weg spazieren, um sich zu erholen. Dieser Weg war nicht öffentlich, sondern lediglich für Sanatoriumszwecke angelegt. Die Klägerin fühlte sich nach der Anreise am Vortage und infolge einer im November 1975 überstandenen Totalunterleibsoperation sowie wegen einer chronischen Gastroduodenitis und Anämie seelisch und körperlich erschöpft und wollte die freie Zeit zwischen den Untersuchungsterminen zu einem erholenden Spaziergang nutzen, obwohl eine ärztliche Anordnung hierzu bisher nicht ergangen war. Diesen Sachverhalt, der von den Beteiligten auch nicht in Zweifel gezogen wird, sieht der Senat als festgestellt an. Einer zusätzlichen Beweiserhebung hierzu bedurfte es nicht, zumal auch von den Beteiligten keine weiteren Beweisanträge gestellt worden sind.
Daß die Klägerin auf einem nicht von einem Arzt verordneten Spaziergang verunglückte, steht der Annahme eines versicherten Arbeitsunfalls nicht entgegen. Die Bestimmung des § 539 Abs. 1 Nr. 17 a RVO ist durch § 21 Nr. 37 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 – Rehabilitations-Angleichungsgesetz – RehaAnglGes. – (BGBl. I 1974, 1881) in die RVO aufgenommen worden und am 1. Oktober 1974 in Kraft getreten (§ 45 Abs. 1 RehaAnglGes.). Da in ihr auf § 559 RVO Bezug genommen wird, legt sie der Senat dahin aus, daß nicht jede Tätigkeit, die mit einem Kuraufenthalt in örtlichem und zeitlichem Zusammenhang steht, versichert ist. Nach § 559 RVO i.d.F. des RehaAnglGes. wird die Heilbehandlung mit Unterkunft und Verpflegung in einem Krankenhaus oder einer Kur- oder Spezialeinrichtung (stationäre Behandlung) gewährt, soweit dies erforderlich ist. Hieraus ist zu folgern, daß nur solche Tätigkeiten versichert sind, die in einem wesentlichen inneren Zusammenhang mit der stationären Behandlung stehen. Dies sind jedenfalls die ärztlich angeordneten Tätigkeiten bzw. mit einer solchen Anordnung in Zusammenhang stehenden Verrichtungen und zurückgelegten Wege. Der UV-Schutz für Rehabilitanden wurde bereits mit der durch das UVNG vom 30. April 1963 (BGBl. 1963 I, 241) eingefügten Vorschrift des § 555 RVO geschaffen (vgl. Vollmar ZfS 1975, 336), so daß die zu dieser Bestimmung entwickelten Grundsätze auch hier anzuwenden sind. Das bedeutet, daß der UV-Schutz nicht etwa ohne jede Einschränkung mit dem Kurantritt beginnt und erst mit deren Ende entfällt und damit auch eigenwirtschaftliche Tätigkeiten in dieser Zeit erfaßt (vgl. Vollmar a.a.O., 338; Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 97 h Buchstabe d zu § 539 RVO, Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl., Kennzahl 300 S. 37; BSG, Urteil vom 22. Januar 1976 – 2 RU 109/74 –). Hierzu wird in Literatur und Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß zu solchen unversicherten Verrichtungen in der Freizeit – wie auch sonst im Privatleben – unternommene Spaziergänge gehören, sofern sie nicht ärztlich verordnet sind (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, Stand August 1977, S. 488 e unter Hinweis auf LSG Hamburg, Urteil vom 3. Oktober 1974 – L-3/UBf – 25/74 – in Rundschreiben des Hauptverbandes der Gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 26. Februar 1975 – VB 25/75 –; Lauterbach a.a.O., Anm. 5 a zu § 555 RVO; Podzun a.a.O.). Bei den angeführten Fällen handelte es sich jedoch regelmäßig um Unfälle bei Spaziergängen weit außerhalb des jeweiligen Sanatoriumsgeländes. Der vorliegende Fall unterscheidet sich davon grundlegend. Wie oben festgestellt, hielt sich die Klägerin im Unfallzeitpunkt und auch zuvor in unmittelbarer Nähe des Sanatoriums auf. Sie hatte es bereits etwa dreimal auf dem nächsten, nicht dem öffentlichen Verkehr dienenden Weg umwandert, als sie stürzte. Der Spaziergang war von ihr angetreten worden, weil sie angesichts ihres Gesundheitszustandes dringend der Erholung bedurfte. Zur Freizeitgestaltung bei Dienstreisen hat das BSG – wie auch der Senat – unter Hinweis auf Gitter (WzS 1964, 68, 70) ausgeführt, daß eine zum persönlichen Lebensbereich zählende Betätigung dann dem UV-Schutz unterliegt, wenn sie mit dem Aufenthalt an dem fremden Ort notwendigerweise verbunden ist. Hierbei ist der Kreis der Tätigkeiten in Bezug auf den Versicherungsschutz des Reisenden nicht zu eng und der Gesamtsituation angepaßt zu ziehen (vgl. BSG, Urteil vom 13. Februar 1975 – 8 RU 886/74 – in E 39, 180; Hess. LSG, Urteil vom 16. Januar 1974 – L-3/U – 541/73 –). Diese Grundsätze sind auch hier anzuwenden. Bei der Beurteilung der Frage, wo die Grenze des UV-Schutzes bei Tätigkeiten eines Rehabilitanden in einer Kuranstalt zu ziehen ist, darf nicht die Zielsetzung des RehaAnglGes. außer acht gelassen werden. Nach § 1 RehaAnglGes. ist es Aufgabe der Rehabilitation, durch allumfassende Maßnahmen Behinderte einzugliedern bzw. eine drohende Behinderung abzuwenden. Unter diesem Gesichtspunkt würde die Grenze des UV-Schutzes vorliegend zu eng gezogen, wollte man den Spaziergang der Klägerin zwischen zwei nicht weit auseinanderliegenden Untersuchungsterminen in unmittelbarer Nähe des Sanatoriums als unversichert ansehen. Ihr Verhalten war nämlich der Genesung förderlich, wie Dr. med. H. (B. Sanatorium) der Beklagten am 17. Januar 1977 mitgeteilt hat (Bl. 29 R Unfallakte), und was auch gerichtsbekannt ist. Daß keine entsprechende ärztliche Anordnung zum Spazierengehen bestand, lag erkennbar dann, daß sich die Klägerin vor dem Unfall dem Kurarzt noch nicht vorstellen konnte. Der vorliegende Fall unterscheidet sich damit wesentlich von einer anderen Freizeitgestaltung, z.B. in Form eines privaten Stadtganges, bei der es zumindest zweifelhaft ist, ob UV-Schutz besteht.
Zu Recht hat sich das SG auf den Erlaß eines Grundurteils beschränkt (§ 130 S. 1 SGG), weil der Anspruch der Klägerin auf Verletztenrente in einer Mindesthöhe gegeben ist (BSG E 13, 178). Nach dem während des Berufungsverfahrens von der Beklagten eingeholten Gutachten des Dr. med. Z. vom 29. Dezember 1977 betrug der unfallbedingte Grad der Erwerbsminderung nämlich bis zur Feststellung der Dauerrente 20 %. Soweit sie mit dem Ausführungsbescheid vom 2. März 1978 die Verletztenrente nur bis zum 31. Januar 1978 gewährt hat, enthält dieser über die bloße Ausführung des Grundurteils eine zusätzliche Regelung und gilt als mit der Klage angefochten (§ 96 SGG). Es bedurfte jedoch keiner weiteren Entscheidung des Senates, da die Klägerin nach der Erstattung des Gutachtens durch den Sachverständigen Dr. B. erklärt hat, die Begrenzung der Rentengewährung bis zum 31. Januar 1978 nicht angreifen zu wollen. Sie ist daher insoweit durch den Bescheid vom 2. März 1978 nicht beschwert. Dieser Bescheid ist auch nicht in Bezug auf den Leistungsbeginn (10. November 1977 – Tag der Verkündung des angefochtenen Urteils) abzuändern. Dieser ist nach § 154 Abs. 2 SGG zu Recht festgesetzt worden. Er entfällt, wenn das Urteil des SG rechtskräftig wird, was von der Beklagten in dem Bescheid vom 2. März 1978 im übrigen ausdrücklich festgestellt worden ist. Auch in Bezug auf den Leistungsbeginn ist die Klägerin daher durch diesen Bescheid nicht beschwert. Der Senat kann sich somit darauf beschränken, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 193, 160 SGG.
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