Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 3 U 88/76
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 66/78
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Größe eines Umweges ergibt sich regelmäßig aus dem Abweichen von der kürzesten Wegstrecke, die umgangen wird. Nur wenn der Umweg weder beim Unternehmer noch beim Versicherten wirtschaftlich ins Gewicht fällt, muß zusätzlich der nächstgrößere Vergleichsmaßstab hinzugezogen werden.
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg/Lahn vom 13. Dezember 1977 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Hinterbliebenenleistungen nach dem am 17. Oktober 1975 verstorbenen W. G. (G.).
Die Kläger sind die Eltern des 1954 geborenen ledigen G., der noch in ihrer Wohnung in K. wohnte. Seit dem 16. Mai 1975 hatte G. Arbeitslosengeld bezogen. Am Freitag, dem 17. Oktober 1975, nahm er beider Firma R. GmbH (S.) in K., bei der er schon früher gearbeitet hatte, eine Beschäftigung als Aushilfe-Auslieferungsfahrer zum Stundenlohn von 6,00 DM netto auf. Er erhielt den Auftrag, an diesem Tag von K. aus mit einem VW-Lieferwagen Pkw-Reifen an Kunden auszuliefern. Zwischen 8.00 und 9.00 h trat er die Fahrt an und fuhr über M. nach H. Er lieferte dort bei der Firma M. Industrie AG gegen 10.000 h die letzten Reifen aus und verließ das Werksgelände nach 10 bis 15 Minuten. Von hier aus trat er mit dem nunmehr unbeladenen Fahrzeug die Rückfahrt an. Er hatte keinen Auftrag, noch weitere Kunden zu besuchen. Über W. H. und A. nahm er zunächst denselben Weg in Richtung K., den er auf der Hinfahrt gewählt hatte. Bei der Abzweigung der Bundesstraße (B) von der B. bei B. in Richtung K. über M. und C. fuhr er jedoch nicht diesen 37 km langen nach K. zum Betrieb seines Arbeitgebers oder zur Wohnung seiner Eltern, sondern folgte stattdessen der B. auf einer sehr kurvenreichen Gefällstrecke in Richtung B. Auf diesen Weg kann man von B. auf der B. über C. nach 55 km K. erreichen. Gegen 11.25 h stieß G. mit seinem Fahrzeug auf der B. in der Gemarkung B in Höhe des Kilometers 1,2 frontal mit einem Omnibus zusammen und erlitt umfangreiche Verletzungen, an denen er sofort verstarb.
Mit Bescheid vom 28. Mai 1976 lehnte die Beklagte die Gewährung von Hinterbliebenenentschädigung ab, weil der Unfall sich auf einem nicht unbedeutenden unversicherten Umweg ereignet habe, den er aus eigenwirtschaftlichen Gründen eingeschlagen habe. Den am 21. Juni 1976 eingelegten Widerspruch gegen diesen am 29. Mai 1976 zugestellten Bescheid wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. September 1976 zurück.
Gegen diesen am 27. September 1976 zur Post gegebenen Bescheid haben die Kläger am 27. Oktober 1976 Klage bei dem Sozialgericht Marburg/Lahn (SG) erhoben. Bei seiner persönlichen Anhörung vor dem SG hat der Kläger u.a. angegeben, G. habe seinen erwerbstätigen Freund M. B. in D. besuchen wollen. Beide hätten schon vorher einen Besuch des G. in D. für den 18. Oktober 1975 verabredet gehabt.
Mit Urteil vom 13. Dezember 1977 hat das SG die Klage abgewiesen, weil sich der Unfall nicht auf einem versicherten Weg ereignet habe und somit kein Arbeitsunfall vorliege.
Gegen dieses ihnen am 20. Dezember 1977 zugestellte Urteil haben die Kläger am 19. Januar 1978 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
In der mündlichen Verhandlung am 26. April 1978 ist der Kläger persönlich zur Sache gehört worden. Auf den Inhalt der Verhandlungsniederschrift wird Bezug genommen.
Die Kläger vertreten die Auffassung, G. habe einen Arbeitsunfall erlitten, weil er auf einem nur unbedeutenden Umweg verunglückt sei, auf dem der Versicherungsschutz noch nicht unterbrochen gewesen sei. Maßgebend sei im Gegensatz zur Ansicht des SG das Verhältnis des Umweges zur Gesamtlänge der Betriebsfahrt, also 18 km zu 148 km. Insofern sei der Umweg unbedeutend.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg/Lahn vom 13. Dezember 1977 sowie die Bescheide vom 28. Mai 1976 und 24. September 1976 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihnen Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist insgesamt statthaft. Auch soweit die Hinterbliebenenleistungen einmalige Leistungen (§ 589 Abs. 1 Nr. 1 und 2 RVO) und wiederkehrende Leistungen bis zu dreizehn Wochen (§ 591 RVO) betreffen, ist sie nicht nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 SGG ausgeschlossen, weil der ursächliche Zusammenhang des Todes mit einem Arbeitsunfall streitig ist (§ 150 Nr. 3 SGG). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist § 150 Nr. 3 SGG, im Gegensatz zu § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG a.F. erweiternd dahin auszulegen, daß die Berufung auch dann zulässig ist, wenn sich der ursächliche Zusammenhang zwischen einer versicherten Tätigkeit und einem (tödlichen) Unfallereignis im Streit befindet (vgl. Hess. LSG, Urteil vom 14. Juni 1972 – L 3/U – 407/70 – in Breithaupt 1973, 336, und Urteil vom 11. Februar 1976 – L 3/U – 598/75 – in RSpDienst 9000 § 150 SGG S. 9 ff.). Die somit zulässige Berufung ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Ablehnungsbescheide sind rechtmäßig. Ein Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung steht dem Klägern nicht zu, weil der tödliche Unfall des G. kein Arbeitsunfall gewesen ist (§ 3, 596, 548 RVO).
Zunächst ist festzustellen: die Kläger bestreiten ihren Lebensunterhalt aus einer Rente des Klägers wegen Erwerbsunfähigkeit von z. Zt. 815,70 DM monatlich. An Miete haben sie 148,60 DM im Monat zu zahlen. Weitere Unterhaltsleistungen erhalten sie nicht, auch nicht von ihrem verheirateten Sohn, der ein Nettoeinkommen von 1.200,– bis 1.300,– DM im Monat hat und eine freiwillige Miete von monatlich 50,– DM an seine Schwiegereltern zahlt. Dieser Sohn hat noch kein Kind. Ihr verunglückter Sohn G. war in ihren Haushalt aufgenommen und trug zuletzt mit 200,– DM im Monat zum gemeinsamen Unterhalt bei. Diese Feststellungen beruhen auf den Angaben des Klägers bei seinen persönlichen Anhörungen vor dem SG und dem Senat.
Am 17. Oktober 1975 unternahm G als Arbeitnehmer der Firma S. von K. aus eine Geschäftsfahrt mit einem Firmenlieferwagen nach M. und H., um Kunden mit Pkw-Reifen zu beliefern. Nachdem er die letzten Reifen in H. abgeladen hatte, war der Zweck der Betriebsfahrt erfüllt. Er hatte nur noch den ca. 72 km langen Rückweg nach K. zur Firma S. anzutreten und den Firmenwagen zurückzugeben. Bis zur Abzweigung der B. von der B. bei B. war der sofort angetretene Rückweg des G. mit dem Hinweg identisch. Die kürzeste und auch bequemste Straße nach K. führte von dort aus südostwärts über die B. B. und B. und ist 37 km lang. G. befuhr jedoch von B. die nach Südwesten verlaufende, kurvenreiche und gefällstarke B. in Richtung B. und verunglückte um 11.25 h tödlich im Bereich der Gemarkung B. bei Kilometer 1,2. Von der Unfallstelle aus muß man über B. und C. weitere 25 km zurücklegen, um bei G. die B. aus Richtung B. zu erreichen. Die Strecke von B. über B. nach K. ist 55 km lang. Aus welchen Gründen G. den Weg nach B. einschlug, läßt sich nicht mehr aufklären. Ein Freund von ihm wohnte in D. südlich von B. Diese Feststellungen beruhen auf dem von der Beklagten beigezogenen Straßenverkehrsplan (Bl. 4 der Unfallakten – UA), den Auskünften der Firma S. und dem Vermerk des Durchgangsarztes Dr. F., B., vom 17. Oktober 1975 (Bl. 5 UA).
Daraus ergibt sich, daß es für den Zeitpunkt des Unfalls am Nachweis einer gem. den §§ 548 Abs. 1, 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versicherten Tätigkeit fehlt, d.h. einer Betriebsfahrt, die dem Unternehmen der Firma S. dienlich war (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, Stand: August 1977, Seite 480 q). Zwar reicht zum Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Unfall und der versicherten Tätigkeit (haftungsbegründende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit im Gegensatz zur bloßen Möglichkeit aus (vgl. Brackmann, a.a.O., S. 480 o II), aber es ist auch nicht einmal wahrscheinlich, daß G. zum Unfallzeitpunkt eine dem Unternehmen der Firma S. dienliche Tätigkeit ausübte. Bei einer vernünftigen Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände überwiegen die dagegen gerichteten nämlich so stark, daß die dafür sprechenden, hauptsächlich der zeitliche Zusammenhang, billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben können (Wahrscheinlichkeitsbeurteilung, vgl. BSG in SozR Nr. 20 zu § 542 RVO a.F.).
Entscheidend ist, daß das Motiv des G. für die Fahrt auf der B. von B. ab nicht mehr aufklärbar ist. Es kann noch nicht einmal festgestellt werden, daß er an diesem Tage nach K., wenn auch auf einem Umweg, zurückfahren wollte. Die konkreten Anhaltspunkte weisen überwiegend auf eigenwirtschaftliche Zwecke bezüglich dieses Teils der Fahrt hin. Es steht fest, daß der Fahrt des G. von B. in Richtung B., auf der er verunglückte, kein Betriebszweck zugrunde lag. Sie war zur Zurücklegung des Weges von H. nach K. nicht notwendig, denn sie wich hinsichtlich der Richtung, der Dauer, der verkehrsmäßigen Schwierigkeiten und der zusätzlich zurückzulegenden Wegstrecke in einem nicht unbedeutenden Umfang von dem sich anbietenden kürzeren Rückweg ab. Es ist möglich, daß G. die Fahrt irgendwo, auch abseits der Strecke B.-B.-K., zu unterbrechen beabsichtigte, etwa um einen Freund zu besuchen, wie sein Arbeitgeber erfahren haben will. Die Kläger haben hierzu angegeben, G. habe seinen damals erwerbstätigen Freund B. in D. besuchen wollen. Sie hätten für ihn aber das Abendessen vorbereitet gehabt. Da sich der Unfall gegen 11.25 h ereignete, ist es möglich, daß G. beabsichtigte, die Rückkehr seines Freundes von der Arbeit abzuwarten und den Rückweg mehrere Stunden zu unterbrechen. Da die Kläger behauptet haben, G. habe seinen Freund auf jeden Fall am nächsten Tag zu dessen Geburtstag besuchen wollen, ist es weiterhin möglich, daß er auf dem Weg zu einer anderen eigenwirtschaftlichen Tätigkeit verunglückte.
Entgegen der Ansicht der Kläger liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, daß sich G. in B. lediglich verfahren hatte. Da er in K. wohnte, und daher die Straßenverhältnisse kannte, zumal er einen Pkw fuhr, ist das jedoch unwahrscheinlich. Sollte er aber etwa aus Unaufmerksamkeit irrtümlich in B. auf der B. weiter geradeaus gefahren sein, statt nach links auf die B. einzubiegen, so mußte er dies noch in B. festgestellt haben und konnte sogleich wenden. Jedenfalls war er hierzu verpflichtet, wenn der Unfallversicherungsschutz weiterbestehen sollte. Er hatte im übrigen auch vor dem Eintreffen in B. noch zwei Möglichkeiten, die B. zu erreichen und dadurch den Umweg kleiner zu halten, wie sich aus der Straßenkarte ergibt.
Sofern unterstellt wird, G. habe beabsichtigt, auf einem Umweg noch am Unfalltag nach K. zu fahren, wäre der Unfallversicherungsschutz unterbrochen gewesen. Zu Unrecht machen die Kläger geltend, die durch den Umweg zusätzlich zurückgelegten 18 km seien im Verhältnis zu dem Gesamtweg der Geschäftsfahrt von 148 km unbedeutend. Die Größe eines Umweges ergibt sich rein begrifflich aus dem Abweichen von der Wegstrecke, die umgangen wird, das ist in erster Linie die kürzeste wegstrecke (vgl. Hess. LSG, Urt. vom 20.6.1961, L 3/U – 163/60, in Breith. 1962, 784; BSG, Urt. v. 26.7.1963 – 2 RU 178/61 – in SozR Nr. 42 zu § 543 RVO a.F.; Brackmann, a.a.O., S. 486 m I mit weiteren Nachweisen). Danach ist hauptsächlich ein Vergleich dieser beiden Strecken geboten. Nur wenn der Umweg absolut genommen weder beim Unternehmer noch beim Versicherten wirtschaftlich ins Gewicht fällt, muß zusätzlich der nächstgrößere Vergleichsmaßstab hinzugezogen werden. Es ergibt sich aus dem einhaltlichen Sinn, den der jeweilige Tätigkeitsabschnitt für das Unternehmen hat. Danach läßt sich bei Auslieferungsfahrten, wie im vorliegenden Falle, zwischen Anfahrt zum Kunden, Ausfertigungstätigkeit und bloßem Rückweg nach Erledigung der Auslieferung unterscheiden. Die jeweiligen Abschnitte müssen also mit und ohne Umweg verglichen werden (vgl. auch BSG, Urt. v. 29.6.1971 – 2 RU 34/70 – in SozR Nr. 27 zu § 548 RVO). Dagegen würde es eine Verzerrung der wirtschaftlichen Gewichtung bedeuten, wollte man, wie die Kläger, die Bedeutung des Umweges an dem größtmöglichen individuellen Maßstab, nämlich an dem Gesamtumfang der Geschäftsfahrt, messen. Dadurch könnten selbst größere zusätzliche Wege bei entsprechendem Umfang der gesamten Geschäftsreise zur Bedeutungslosigkeit relativiert werden. Die Frage nach der Bedeutung des Umweges wäre dann sinnlos. Der Vergleich beider Wegstrecken von B. nach K., nämlich derjenigen von 37 km über M. auf bequemer Straße und der anderen von 55 km auf kurvenreicher Gefällstrecke über B. zeigt, daß der Umweg nach Länge, Schwierigkeit und Dauer bedeutend war. Auch im Verhältnis zum kürzesten Gesamtrückweg von H. nach K., ca. 72 km, fällt der Umweg über 18 km, das ist eine Verlängerung von 25 v.H., wirtschaftlich ins Gewicht. Selbst wenn G. also ohne Unterbrechung über B. nach K. fahren wollte, ereignete sich der Unfall auf einem unversicherten Umweg, dem keine betrieblichen Erfordernisse zugrunde lagen. Selbst wenn die Firma S. daran ein Interesse gehabt hätte, G. ihren Firmenwagen auch zu Privatzwecken zur Verfügung zu stellen, so gäbe die eigenwirtschaftliche Nutzung des Wagens durch G. den Ausschlag.
Es kann daher nicht festgestellt werden, daß der zurückgelegte Weg in einem inneren ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stand. Nach den Regeln der sog. objektiven Beweislast (Feststellungslast) haben die Kläger die nachteiligen Folgen dieser Unaufklärbarkeit zu tragen, weil sie ihre Ansprüche darauf stützen, G. sei bei einer versicherten Tätigkeit verunglückt.
Schließlich fehlt es aber auch an den weiteren Voraussetzungen für die Gewährung von Elternrente gem. § 596 RVO. G. hatte dadurch den monatlichen Zuschuß von 200,– DM für die gemeinsame Haushaltsführung mit den Klägern nur sich selbst und nicht zugleich diese wesentlich unterhalten. Auch hätten sie ohne den Unfall keinen Unterhaltsanspruch gemäß §§ 1601 ff. BGB gegen G. geltend machen können, weil sie nicht unterhaltungsbedürftig sind. Mit der ihnen zur Verfügung stehenden Rente von zur Zeit DM 815,70 bestreiten sie nämlich ihren einigermaßen auskömmlichen Lebensunterhalt. Andernfalls hätten sie ihren noch lebenden, kinderlos verheirateten Sohn schon längst zu ihrem Unterhalt heranziehen können. Es gibt auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, daß G. sich in Zukunft anders als sein Bruder verhalten hätte. Er hatte sich zwar einen Pkw angeschafft, die Kläger aber nicht unterstützt.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision aus § 160 Abs. 2 SGG.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Hinterbliebenenleistungen nach dem am 17. Oktober 1975 verstorbenen W. G. (G.).
Die Kläger sind die Eltern des 1954 geborenen ledigen G., der noch in ihrer Wohnung in K. wohnte. Seit dem 16. Mai 1975 hatte G. Arbeitslosengeld bezogen. Am Freitag, dem 17. Oktober 1975, nahm er beider Firma R. GmbH (S.) in K., bei der er schon früher gearbeitet hatte, eine Beschäftigung als Aushilfe-Auslieferungsfahrer zum Stundenlohn von 6,00 DM netto auf. Er erhielt den Auftrag, an diesem Tag von K. aus mit einem VW-Lieferwagen Pkw-Reifen an Kunden auszuliefern. Zwischen 8.00 und 9.00 h trat er die Fahrt an und fuhr über M. nach H. Er lieferte dort bei der Firma M. Industrie AG gegen 10.000 h die letzten Reifen aus und verließ das Werksgelände nach 10 bis 15 Minuten. Von hier aus trat er mit dem nunmehr unbeladenen Fahrzeug die Rückfahrt an. Er hatte keinen Auftrag, noch weitere Kunden zu besuchen. Über W. H. und A. nahm er zunächst denselben Weg in Richtung K., den er auf der Hinfahrt gewählt hatte. Bei der Abzweigung der Bundesstraße (B) von der B. bei B. in Richtung K. über M. und C. fuhr er jedoch nicht diesen 37 km langen nach K. zum Betrieb seines Arbeitgebers oder zur Wohnung seiner Eltern, sondern folgte stattdessen der B. auf einer sehr kurvenreichen Gefällstrecke in Richtung B. Auf diesen Weg kann man von B. auf der B. über C. nach 55 km K. erreichen. Gegen 11.25 h stieß G. mit seinem Fahrzeug auf der B. in der Gemarkung B in Höhe des Kilometers 1,2 frontal mit einem Omnibus zusammen und erlitt umfangreiche Verletzungen, an denen er sofort verstarb.
Mit Bescheid vom 28. Mai 1976 lehnte die Beklagte die Gewährung von Hinterbliebenenentschädigung ab, weil der Unfall sich auf einem nicht unbedeutenden unversicherten Umweg ereignet habe, den er aus eigenwirtschaftlichen Gründen eingeschlagen habe. Den am 21. Juni 1976 eingelegten Widerspruch gegen diesen am 29. Mai 1976 zugestellten Bescheid wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. September 1976 zurück.
Gegen diesen am 27. September 1976 zur Post gegebenen Bescheid haben die Kläger am 27. Oktober 1976 Klage bei dem Sozialgericht Marburg/Lahn (SG) erhoben. Bei seiner persönlichen Anhörung vor dem SG hat der Kläger u.a. angegeben, G. habe seinen erwerbstätigen Freund M. B. in D. besuchen wollen. Beide hätten schon vorher einen Besuch des G. in D. für den 18. Oktober 1975 verabredet gehabt.
Mit Urteil vom 13. Dezember 1977 hat das SG die Klage abgewiesen, weil sich der Unfall nicht auf einem versicherten Weg ereignet habe und somit kein Arbeitsunfall vorliege.
Gegen dieses ihnen am 20. Dezember 1977 zugestellte Urteil haben die Kläger am 19. Januar 1978 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
In der mündlichen Verhandlung am 26. April 1978 ist der Kläger persönlich zur Sache gehört worden. Auf den Inhalt der Verhandlungsniederschrift wird Bezug genommen.
Die Kläger vertreten die Auffassung, G. habe einen Arbeitsunfall erlitten, weil er auf einem nur unbedeutenden Umweg verunglückt sei, auf dem der Versicherungsschutz noch nicht unterbrochen gewesen sei. Maßgebend sei im Gegensatz zur Ansicht des SG das Verhältnis des Umweges zur Gesamtlänge der Betriebsfahrt, also 18 km zu 148 km. Insofern sei der Umweg unbedeutend.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg/Lahn vom 13. Dezember 1977 sowie die Bescheide vom 28. Mai 1976 und 24. September 1976 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihnen Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist insgesamt statthaft. Auch soweit die Hinterbliebenenleistungen einmalige Leistungen (§ 589 Abs. 1 Nr. 1 und 2 RVO) und wiederkehrende Leistungen bis zu dreizehn Wochen (§ 591 RVO) betreffen, ist sie nicht nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 SGG ausgeschlossen, weil der ursächliche Zusammenhang des Todes mit einem Arbeitsunfall streitig ist (§ 150 Nr. 3 SGG). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist § 150 Nr. 3 SGG, im Gegensatz zu § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG a.F. erweiternd dahin auszulegen, daß die Berufung auch dann zulässig ist, wenn sich der ursächliche Zusammenhang zwischen einer versicherten Tätigkeit und einem (tödlichen) Unfallereignis im Streit befindet (vgl. Hess. LSG, Urteil vom 14. Juni 1972 – L 3/U – 407/70 – in Breithaupt 1973, 336, und Urteil vom 11. Februar 1976 – L 3/U – 598/75 – in RSpDienst 9000 § 150 SGG S. 9 ff.). Die somit zulässige Berufung ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Ablehnungsbescheide sind rechtmäßig. Ein Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung steht dem Klägern nicht zu, weil der tödliche Unfall des G. kein Arbeitsunfall gewesen ist (§ 3, 596, 548 RVO).
Zunächst ist festzustellen: die Kläger bestreiten ihren Lebensunterhalt aus einer Rente des Klägers wegen Erwerbsunfähigkeit von z. Zt. 815,70 DM monatlich. An Miete haben sie 148,60 DM im Monat zu zahlen. Weitere Unterhaltsleistungen erhalten sie nicht, auch nicht von ihrem verheirateten Sohn, der ein Nettoeinkommen von 1.200,– bis 1.300,– DM im Monat hat und eine freiwillige Miete von monatlich 50,– DM an seine Schwiegereltern zahlt. Dieser Sohn hat noch kein Kind. Ihr verunglückter Sohn G. war in ihren Haushalt aufgenommen und trug zuletzt mit 200,– DM im Monat zum gemeinsamen Unterhalt bei. Diese Feststellungen beruhen auf den Angaben des Klägers bei seinen persönlichen Anhörungen vor dem SG und dem Senat.
Am 17. Oktober 1975 unternahm G als Arbeitnehmer der Firma S. von K. aus eine Geschäftsfahrt mit einem Firmenlieferwagen nach M. und H., um Kunden mit Pkw-Reifen zu beliefern. Nachdem er die letzten Reifen in H. abgeladen hatte, war der Zweck der Betriebsfahrt erfüllt. Er hatte nur noch den ca. 72 km langen Rückweg nach K. zur Firma S. anzutreten und den Firmenwagen zurückzugeben. Bis zur Abzweigung der B. von der B. bei B. war der sofort angetretene Rückweg des G. mit dem Hinweg identisch. Die kürzeste und auch bequemste Straße nach K. führte von dort aus südostwärts über die B. B. und B. und ist 37 km lang. G. befuhr jedoch von B. die nach Südwesten verlaufende, kurvenreiche und gefällstarke B. in Richtung B. und verunglückte um 11.25 h tödlich im Bereich der Gemarkung B. bei Kilometer 1,2. Von der Unfallstelle aus muß man über B. und C. weitere 25 km zurücklegen, um bei G. die B. aus Richtung B. zu erreichen. Die Strecke von B. über B. nach K. ist 55 km lang. Aus welchen Gründen G. den Weg nach B. einschlug, läßt sich nicht mehr aufklären. Ein Freund von ihm wohnte in D. südlich von B. Diese Feststellungen beruhen auf dem von der Beklagten beigezogenen Straßenverkehrsplan (Bl. 4 der Unfallakten – UA), den Auskünften der Firma S. und dem Vermerk des Durchgangsarztes Dr. F., B., vom 17. Oktober 1975 (Bl. 5 UA).
Daraus ergibt sich, daß es für den Zeitpunkt des Unfalls am Nachweis einer gem. den §§ 548 Abs. 1, 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versicherten Tätigkeit fehlt, d.h. einer Betriebsfahrt, die dem Unternehmen der Firma S. dienlich war (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, Stand: August 1977, Seite 480 q). Zwar reicht zum Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Unfall und der versicherten Tätigkeit (haftungsbegründende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit im Gegensatz zur bloßen Möglichkeit aus (vgl. Brackmann, a.a.O., S. 480 o II), aber es ist auch nicht einmal wahrscheinlich, daß G. zum Unfallzeitpunkt eine dem Unternehmen der Firma S. dienliche Tätigkeit ausübte. Bei einer vernünftigen Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände überwiegen die dagegen gerichteten nämlich so stark, daß die dafür sprechenden, hauptsächlich der zeitliche Zusammenhang, billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben können (Wahrscheinlichkeitsbeurteilung, vgl. BSG in SozR Nr. 20 zu § 542 RVO a.F.).
Entscheidend ist, daß das Motiv des G. für die Fahrt auf der B. von B. ab nicht mehr aufklärbar ist. Es kann noch nicht einmal festgestellt werden, daß er an diesem Tage nach K., wenn auch auf einem Umweg, zurückfahren wollte. Die konkreten Anhaltspunkte weisen überwiegend auf eigenwirtschaftliche Zwecke bezüglich dieses Teils der Fahrt hin. Es steht fest, daß der Fahrt des G. von B. in Richtung B., auf der er verunglückte, kein Betriebszweck zugrunde lag. Sie war zur Zurücklegung des Weges von H. nach K. nicht notwendig, denn sie wich hinsichtlich der Richtung, der Dauer, der verkehrsmäßigen Schwierigkeiten und der zusätzlich zurückzulegenden Wegstrecke in einem nicht unbedeutenden Umfang von dem sich anbietenden kürzeren Rückweg ab. Es ist möglich, daß G. die Fahrt irgendwo, auch abseits der Strecke B.-B.-K., zu unterbrechen beabsichtigte, etwa um einen Freund zu besuchen, wie sein Arbeitgeber erfahren haben will. Die Kläger haben hierzu angegeben, G. habe seinen damals erwerbstätigen Freund B. in D. besuchen wollen. Sie hätten für ihn aber das Abendessen vorbereitet gehabt. Da sich der Unfall gegen 11.25 h ereignete, ist es möglich, daß G. beabsichtigte, die Rückkehr seines Freundes von der Arbeit abzuwarten und den Rückweg mehrere Stunden zu unterbrechen. Da die Kläger behauptet haben, G. habe seinen Freund auf jeden Fall am nächsten Tag zu dessen Geburtstag besuchen wollen, ist es weiterhin möglich, daß er auf dem Weg zu einer anderen eigenwirtschaftlichen Tätigkeit verunglückte.
Entgegen der Ansicht der Kläger liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, daß sich G. in B. lediglich verfahren hatte. Da er in K. wohnte, und daher die Straßenverhältnisse kannte, zumal er einen Pkw fuhr, ist das jedoch unwahrscheinlich. Sollte er aber etwa aus Unaufmerksamkeit irrtümlich in B. auf der B. weiter geradeaus gefahren sein, statt nach links auf die B. einzubiegen, so mußte er dies noch in B. festgestellt haben und konnte sogleich wenden. Jedenfalls war er hierzu verpflichtet, wenn der Unfallversicherungsschutz weiterbestehen sollte. Er hatte im übrigen auch vor dem Eintreffen in B. noch zwei Möglichkeiten, die B. zu erreichen und dadurch den Umweg kleiner zu halten, wie sich aus der Straßenkarte ergibt.
Sofern unterstellt wird, G. habe beabsichtigt, auf einem Umweg noch am Unfalltag nach K. zu fahren, wäre der Unfallversicherungsschutz unterbrochen gewesen. Zu Unrecht machen die Kläger geltend, die durch den Umweg zusätzlich zurückgelegten 18 km seien im Verhältnis zu dem Gesamtweg der Geschäftsfahrt von 148 km unbedeutend. Die Größe eines Umweges ergibt sich rein begrifflich aus dem Abweichen von der Wegstrecke, die umgangen wird, das ist in erster Linie die kürzeste wegstrecke (vgl. Hess. LSG, Urt. vom 20.6.1961, L 3/U – 163/60, in Breith. 1962, 784; BSG, Urt. v. 26.7.1963 – 2 RU 178/61 – in SozR Nr. 42 zu § 543 RVO a.F.; Brackmann, a.a.O., S. 486 m I mit weiteren Nachweisen). Danach ist hauptsächlich ein Vergleich dieser beiden Strecken geboten. Nur wenn der Umweg absolut genommen weder beim Unternehmer noch beim Versicherten wirtschaftlich ins Gewicht fällt, muß zusätzlich der nächstgrößere Vergleichsmaßstab hinzugezogen werden. Es ergibt sich aus dem einhaltlichen Sinn, den der jeweilige Tätigkeitsabschnitt für das Unternehmen hat. Danach läßt sich bei Auslieferungsfahrten, wie im vorliegenden Falle, zwischen Anfahrt zum Kunden, Ausfertigungstätigkeit und bloßem Rückweg nach Erledigung der Auslieferung unterscheiden. Die jeweiligen Abschnitte müssen also mit und ohne Umweg verglichen werden (vgl. auch BSG, Urt. v. 29.6.1971 – 2 RU 34/70 – in SozR Nr. 27 zu § 548 RVO). Dagegen würde es eine Verzerrung der wirtschaftlichen Gewichtung bedeuten, wollte man, wie die Kläger, die Bedeutung des Umweges an dem größtmöglichen individuellen Maßstab, nämlich an dem Gesamtumfang der Geschäftsfahrt, messen. Dadurch könnten selbst größere zusätzliche Wege bei entsprechendem Umfang der gesamten Geschäftsreise zur Bedeutungslosigkeit relativiert werden. Die Frage nach der Bedeutung des Umweges wäre dann sinnlos. Der Vergleich beider Wegstrecken von B. nach K., nämlich derjenigen von 37 km über M. auf bequemer Straße und der anderen von 55 km auf kurvenreicher Gefällstrecke über B. zeigt, daß der Umweg nach Länge, Schwierigkeit und Dauer bedeutend war. Auch im Verhältnis zum kürzesten Gesamtrückweg von H. nach K., ca. 72 km, fällt der Umweg über 18 km, das ist eine Verlängerung von 25 v.H., wirtschaftlich ins Gewicht. Selbst wenn G. also ohne Unterbrechung über B. nach K. fahren wollte, ereignete sich der Unfall auf einem unversicherten Umweg, dem keine betrieblichen Erfordernisse zugrunde lagen. Selbst wenn die Firma S. daran ein Interesse gehabt hätte, G. ihren Firmenwagen auch zu Privatzwecken zur Verfügung zu stellen, so gäbe die eigenwirtschaftliche Nutzung des Wagens durch G. den Ausschlag.
Es kann daher nicht festgestellt werden, daß der zurückgelegte Weg in einem inneren ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stand. Nach den Regeln der sog. objektiven Beweislast (Feststellungslast) haben die Kläger die nachteiligen Folgen dieser Unaufklärbarkeit zu tragen, weil sie ihre Ansprüche darauf stützen, G. sei bei einer versicherten Tätigkeit verunglückt.
Schließlich fehlt es aber auch an den weiteren Voraussetzungen für die Gewährung von Elternrente gem. § 596 RVO. G. hatte dadurch den monatlichen Zuschuß von 200,– DM für die gemeinsame Haushaltsführung mit den Klägern nur sich selbst und nicht zugleich diese wesentlich unterhalten. Auch hätten sie ohne den Unfall keinen Unterhaltsanspruch gemäß §§ 1601 ff. BGB gegen G. geltend machen können, weil sie nicht unterhaltungsbedürftig sind. Mit der ihnen zur Verfügung stehenden Rente von zur Zeit DM 815,70 bestreiten sie nämlich ihren einigermaßen auskömmlichen Lebensunterhalt. Andernfalls hätten sie ihren noch lebenden, kinderlos verheirateten Sohn schon längst zu ihrem Unterhalt heranziehen können. Es gibt auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, daß G. sich in Zukunft anders als sein Bruder verhalten hätte. Er hatte sich zwar einen Pkw angeschafft, die Kläger aber nicht unterstützt.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision aus § 160 Abs. 2 SGG.
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