Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 3 UG 45/77
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 936/78
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Gerät ein Verletzter nach dem traumatisch bedingten Verlust beider Oberschenkel in eine reaktive Depression und steigert er zum Zwecke der Verdrängung dieses Zustandes und zur Beherrschung von Phantomschmerzen exzessiv den Alkoholgenuß sowie den Verbrauch von ärztlich verordneten Medikamenten (Psychopharmaka, Schlafmittel), so sind sowohl der Verlust beider Oberschenkel als auch eine anlagemäßige Bereitschaft zu erhöhtem Alkoholkonsum für den vorzeitigen Tod im Sinne einer Vergiftung die rechtlich annähernd gleichwertigen Ursachen.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 20. Juli 1978 wird zurückgewiesen.
II. Auf die Klage der Kläger wird der Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 1979 aufgehoben.
III. Die Beklagte hat den Klägern auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger sind die Witwe und die 1961, 1962 und 1963 sowie 1965 und 1968 geborenen ehelichen Kinder des am 22. Oktober 1976 verstorbenen G. G. (G.). Sie streiten mit der Beklagten um die Gewährung der Hinterbliebenenrenten.
Der im Jahre 1938 geborene G. bezog von der Beklagten seit dem 20. März 1968 wegen des Verlustes beider Beine in der unteren Hälfte des Oberschenkels eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit – MdE – um 100 v.H. Ihm waren bei einem Arbeitsunfall am 19. März 1968 auf dem Bahnhof Dortmund bei Rangierarbeiten beide Unterschenkel traumatisch abgequetscht worden. Nach verschiedenen Berichten aus der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik F. M. – BGUK – blieben wiederholte Gehschulungen mit Oberschenkelprothesen ohne nachhaltigen Erfolg, obwohl sich G. redlich bemühte. Er klagte über Stumpfbeschwerden und zeigte sich beim Erlernen des Umgangs mit Prothesen psychisch ungeduldig. Zunehmender Alkoholgenuß führte schließlich zum Abbruch der Gehschulungen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berichte der Dres. E. und L., K. und H. sowie K. und L. (sämtliche BGUK) vom 17. Juli, 20. August, 9. September und 1. Oktober 1968 verwiesen. In der Folgezeit klagte G. wiederholt über sogenannte Phantombeschwerden. Der Alkoholgenuß (Bier) nahm zu und es wurden Psychopharmaka (Haloperidol) sowie Schlafmittel (Mogadan) eingenommen. Waren im L.-M.-Krankenhaus in K. wurden abgebrochen.
Am 22. Oktober 1976 fand die Klägerin zu 1) ihren Ehemann G. morgens im Bett tot vor. Der Hausarzt Dr. J. (B.) attestierte als Todesursache am 2. November 1976 "Innere Verblutung”. Die Beklagte vermerkte dazu am 13. Dezember 1976, daß Dr. J. hierzu fernmündlich angegeben habe, bei G. seien die Adern der Speiseröhre geplatzt gewesen. Am gleichen Tag erließ sie den Bescheid über Unfallwitwenbeihilfe, die sie unter gleichzeitiger Ablehnung der Hinterbliebenenrente der Klägerin zu 1) mit insgesamt 11.478,30 DM gewährte. Der Tod des G. stehe nicht in ursächlichem Zusammenhang mit den Folgen des Arbeitsunfalles vom 19. März 1968.
Gegen diesen am gleichen Tage an sie abgesandten Bescheid legte ihr früherer Bevollmächtigter am 6. Januar 1977 Widerspruch ein, den die Beklagte jedoch zunächst nicht beschied.
Außerdem hat die Klägerin zu 1) bei dem Sozialgericht Fulda, das die Sache an das örtlich zuständige Sozialgericht Kassel – SG – verwies, am 12. Januar 1977 Klage erhoben und für sich und ihre fünf ehelichen Kinder die Hinterbliebenenrenten begehrt. Das SG hat zunächst verschiedene Befundberichte aus dem L-Krankenhaus sowie die Akten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kassel (30 Js 1142/76) mit dem Obduktionsbefund der Dres. R. und H., dem Blutalkoholgutachten des Prof. Dr. H. (sämtliche Universität M.), dem Bericht des Hausarztes Dr. J. und dem toxikologischen Gutachten des Dipl.-Chemikers K. (Universität M.) vom 25., 27. und 23. Oktober 1976 bzw. 2. Juni 1977 beigezogen und das neuropsychiatrische Zusammenhangsgutachten des Prof. Dr. E. (M.) vom 20. April 1978 eingeholt. In diesem vertritt Prof. Dr. E. die Auffassung, daß G. nach den Obduktionsbefunden an einer Vergiftung mit Mogadan und Haloperidol in Verbindung mit Alkohol verstorben sei. Die Diagnose des Hausarztes auf innere Verblutung infolge Oesophagusvarizen bei Leberschädigung nach chronischem Alkoholmißbrauch sei falsch. Der – auch vor dem Arbeitsunfall beobachtete – Alkoholkonsum könne mangels Leberumbaus nicht so groß gewesen sein, daß diesem die allein rechtlich wesentliche Ursache für den vorzeitigen Tod zukomme. G. sei vielmehr durch die Unfallfolgen in eine reaktiv depressive Verstimmungshaltung geraten und habe diese ebenso wie Stumpfbeschwerden mittels erhöhtem Alkoholkonsums im Zusammenwirken mit den ihm verordneten Schlafmitteln und Psychopharmaka bekämpft.
Nachdem die Beklagte dieser Beurteilung unter Vorlage einer Stellungnahme des Facharztes für Chirurgie und Urologie Dr. Sch. (F.M.) widersprochen hatte, hat das SG unter Berufung auf das Gutachten des Prof. Dr. E. die Beklagte am 20. Juli 1978 verurteilt, den Klägern die Hinterbliebenenrente zu gewähren.
Gegen dieses ihr am 1. August 1978 zugestellte Urteil hat die Beklagte bei dem Hessischen Landessozialgericht schriftlich am 21. August 1978 Berufung eingelegt.
Es ist im Berufungsverfahren der Sachverhalt weiter aufgeklärt worden. Dazu sind zunächst die Akten der Bundesknappschaft, die Krankenblätter des L.-Krankenhauses sowie des Kreiskrankenhauses R. an der F. beigezogen und die Auskünfte der Dres. S. (R.), J. und W. (K.) vom 2. und 12. Oktober 1978 sowie 7. November 1978 eingeholt worden. Auf deren Inhalt wird verwiesen. Sodann hat von Amts wegen Prof. Dr. G. (Universität M.) das psychiatrische Gutachten vom 17. Januar 1979 erstattet. In diesem wird die Auffassung vertreten, daß bei G. im Vordergrund die Bereitschaft zu einer süchtigen Fehlhaltung gestanden habe. Die Suchtkrankheit sei durch den gewandelten Lebensstil und nicht durch die Unfallfolgen wesentlich verstärkt worden; diesen komme vielmehr untergeordnete Bedeutung zu. Es handele sich um eine sogenannte Gelegenheitsursache. Dieser Beurteilung haben in dem nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG – erstatteten Gutachten vom 28. März 1979 Prof. Dr. F. und Dr. R. (M.) widersprochen. Sie schließen sich Prof. Dr. E. an und führen aus, daß der Alkoholgenuß des G. erst nach dem Arbeitsunfall infolge einer durch diesen chronifizierten Depression exzessiv geworden sei.
Die Beklagte hat im Berufungsverfahren noch den Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 1979 erlassen. Im übrigen bringt sie unter Vorlage einer Stellungnahme des Prof. Dr. G. vom 18. April 1979 zur Begründung der Berufung vor: Die Gutachten der Professoren E. und F. überzeugten nicht. Sie würdigten den häufigen Alkoholgenuß des G. bereits vor dem Arbeitsunfall nicht zutreffend. Es sei unrichtig, wenn sie annähmen, der Alkohol und die Medikamente seien zur Behandlung von Phantomschmerzen konsumiert worden. Schließlich sei auch die Feststellung dieser Gutachter falsch, daß es in der Fachwelt ausreichend bekannt sei, daß Alkohol zum Zwecke der "Selbstheilung einer Depression” eingenommen werde. Das Gegenteil sei vielmehr richtig. Die Medikamente seien im übrigen nicht zur Bekämpfung von Phantomschmerzen sondern der Alkoholsucht verabreicht worden, wie Prof. Dr. G. zutreffend ausführe. G. habe auch selbst niemals den erhöhten Alkoholgenuß mit "Behandlung von Phantomschmerzen” begründet. Dazu könnten erforderlichenfalls die Ärzte der BGUK gehört werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 20. Juli 1978 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen und den Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 1979 aufzuheben.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend und sehen sich durch das Gutachten des Prof. Dr. F. und des Dr. R. bestätigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Unfall- und Streitakten sowie die Rentenakten der Bundesknappschaft und der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kassel – 30 Js 1142/76 – verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und daher zulässig (§§ 143, 145, 151 SGG).
Sie ist im Gegensatz zu der Klage gegen den zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gewordenen Widerspruchsbescheid (§§ 153, 96 SGG) jedoch unbegründet. Das sozialgerichtliche Urteil konnte nach der Nachholung des Vorverfahrens nicht, wie von der Beklagten begehrt, aufgehoben werden, da es den angefochtenen Bescheid vom 13. Dezember 1976 zutreffend als rechtswidrig angesehen hat. Dies gilt auch für den Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 1979. Die Beklagte hat zu Unrecht den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Tod des G. und den Unfallfolgen verneint und deshalb auch unzutreffend lediglich eine einmalige Witwenbeihilfe (§ 600 Reichsversicherungsordnung – RVO –) gewährt. Die Kläger haben vielmehr nach ihrem am 22. Oktober 1976 verstorbenen Ehemann und Vater G. seit diesem Tag Anspruch auf die Witwen- und Waisenrente in gesetzlichem Umfange, da dessen Tod auf dem Arbeitsunfall vom 20. März 1968 wesentlich beruht (§§ 589 Abs. 1 Nr. 3, 590, 595 RVO).
Zunächst steht fest, daß G. wegen der unfallbedingten Amputation beider Oberschenkel gemäß dem Bescheid vom 18. März 1969 seit dem 20. März 1968 die Vollrente bezog. Ferner ist nach dem Obduktionsbefund der Dres. R. und H., dem Blutalkoholgutachten des Prof. Dr. H. und dem toxikologischen Gutachten des Dipl.-Chemikers K. erwiesen, daß sein Tod am 22. Oktober 1976 weder unmittelbar auf dem Arbeitsunfall beruht noch durch eine gewaltsame Fremdeinwirkung hervorgerufen wurde. Auch ergeben sich keine Anhaltspunkte für einen freiwilligen Suicid, der den ursächlichen Zusammenhang mit den Unfallfolgen infrage stellen könnte (§ 553 RVO). Das wird von der Beklagten auch nicht behauptet.
Es ist nach den oben genannten Gutachten vielmehr erwiesen, daß G. durch das Zusammenwirken von Alkohol (Bier) und Medikamentenverbrauch (Mogadan und Beloperidol) im Sinne einer Vergiftung verstorben ist. Die Klägerin zu 1) stellt es nicht in Abrede, daß ihr Ehemann G. nach dem Arbeitsunfall in verstärktem Maße Bier trank, wie dieser noch zu Lebzeiten verschiedentlich selbst berichtete. Auch die Verordnung von Mogadan und Haloperidol durch Dr. J. ist durch dessen wiederholte Auskünfte im hiesigen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren belegt. Es wurden Barbiturate gefunden, die in diesen Medikamenten vorkommen. Nach dem Blutalkoholgutachten muß für die Todeszeit von G. eine Blutalkoholkonzentration von 1,9 % bis 2,0 % angenommen werden. Die ohne Obduktion am Todestag gestellte Diagnose des Dr. J., daß der Tod auf innerer Verblutung nach Platzen von Adern der Speiseröhre beruhe, ist damit als unrichtig anzusehen. Auch diese Feststellungen ziehen die Beteiligten nicht in Zweifel, sie folgern nur unterschiedliche Schlüsse. Während die Beklagte meint, G. sei das Opfer einer konstitutionellen Suchtkrankheit geworden, vertreten die Kläger die Auffassung, daß diese durch die Unfallfolgen wesentlich hervorgerufen worden sei.
Die Beklagte wendet dabei die nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltende Lehre von dem Ursachenzusammenhang unrichtig an. Der ursächliche Zusammenhang kann auch mittelbar gegeben sein. Im Falle der kausalen Konkurrenz einer äußeren Einwirkung mit einer bereits vorhandenen Krankheitsanlage ist dies jedenfalls dann der Fall, wenn beide Umstände in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges annähernd gleichwertig sind (vgl. BSGE 13, 176; Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 8 zu § 548 RVO). Ist der Verletzte infolge einer durch den Unfall herbeigeführten Verschlechterung eines vorhandenen Leidens gestorben, so gilt der Tod als Unfallfolge, wenn die vermutliche Lebensdauer durch die Unfalleinwirkung um wenigstens ein Jahr verkürzt worden ist. Ist die Gesundheitsstörung aber nur bei Gelegenheit einer versicherten Tätigkeit hervorgetreten und wäre sie nach menschlichen Ermessen auch bei jedem anderen nicht zu vermeidenden Anlaß außerhalb dieser Tätigkeit oder ohne besonderen Anlaß im Ablauf des täglichen Lebens zum Ausbruch gekommen, so handelt es sich nur um eine Gelegenheitsursache, bei der es an dem notwendigen Ursachenzusammenhang fehlt. Dabei ist es rechtlich ohne Bedeutung, ob die äußere Einwirkung nur geringfügig oder erheblich war (vgl. BSG BG 1961, 222; Nr. 47 zu § 542 RVO a.F.; Lauterbach a.a.O., Anm. 10 zu § 548 RVO; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II S. 34 k II und 488 k ff.). Für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs muß eine Wahrscheinlichkeit bestehen, d.h., bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände müssen die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, daß die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht zu bleiben haben (vgl. BSG, SozR Nr. 20 zu § 542 RVO a.F.; Lauterbach a.a.O., Anm. 17 zu § 548 RVO).
Zunächst ist es unzutreffend, wie die Beklagte unter Berufung auf den Sachverständigen Prof. Dr. G. und den sie beratenden Arzt Dr. Sch. meint, daß G. bereits vor dem Arbeitsunfall ein Alkoholiker gewesen sei. Der frühere Hausarzt Dr. S. (R.) hat dies im Berufungsverfahren nicht bestätigt. Die Klägerin zu 1) räumt lediglich ein, daß ihr Ehemann G. 1963 einmal betrunken gewesen sei und dies ansonsten nicht vorgekommen sei. Gegenüber Dr. M. (L.-Krankenhaus) hatte 1974 G. erklärt, daß er erstmalig im Alter von 18 Jahren und seit dem 29. Lebensjahr, also seit 1967 täglich getrunken habe. Seit 1968 trinkt er krankhaft. Dies ergibt sich aus dem Bericht vom 29. April 1976. Das ist auch nach dem Obduktionsbefund glaubhaft. Obwohl erwiesen ist, daß G. nach dem Arbeitsunfall, wie Dr. M. berichtete, täglich bis zu 11 Flaschen Bier trank, fanden sich bei der pathologischen Untersuchung keine Hinweise für einen Leberumbau, wovon die Beklagte und Dr. Sch. noch im Juli 1978 irrig ausgingen.
Auch sonst hat die Obduktion keine Befunde ergeben, die für das jederzeitige Ableben infolge alkoholtoxischer Vergiftung sprechen. Dies haben anhand der Obduktions- und toxikologischen Befunde überzeugend die Professoren E. und F. dargetan. Demgegenüber kann sich die Beklagte nicht auf Dr. Sch. und Prof. Dr. G. berufen. Ersterer hat diese Befunde nicht ausgewertet und nur Vermutungen angestellt, letzterer diskutiert die ihm vorgelegten Befunde in seiner Beurteilung nicht.
Ferner meint Prof. Dr. G., daß eine Bereitschaft zur süchtigen Fehlhaltung bestanden habe, die sich, wie bei Alkoholikern üblich, unabhängig von äußeren Umständen bis zum Stadium des vorzeitigen Todes progredient entwickelt habe. Das ist unter den Besonderheiten des hiesigen Falls nicht schlüssig dargetan, worauf mit überzeugenden Gründen die Professoren E. und F. hingewiesen haben. Hierzu stellt der Senat weiter fest, daß G. nach dem Arbeitsunfall schon frühzeitig in eine depressive Phase geriet, weil er mit den Unfallfolgen nicht fertig zu werden vermochte. Das folgt aus den Berichten der Ärzte des BGDK aus dem Jahre 1968 und des Berufshelfers der Beklagten vom 9. Juli und 2. August 1968. Danach war G. zunächst bemüht, schnell bei der Gehschulung voranzukommen. Immer wieder aber entzündeten sich die Stümpfe, so daß die Gehversuche abgebrochen werden mußten. Ausdrücklich heißt es z.B. im Bericht der Dres. E. und L. vom 17. Juli 1968, daß G. psychisch etwas ungeduldig sei; er fühle sich durch zweimal kurz hintereinander aufgetretene Entzündungen der Stümpfe zurückgeworfen und sei deprimiert. Es kam zu wiederholtem Alkoholgenuß in der BGUK, um, wie er selbst sagte, über sein Schicksal besser hinwegzukommen. Dies ist ausdrücklich in dem Bericht des Berufshelfers der Beklagten vom 2. August 1968 festgehalten. Dort ist auch auf die starken Schmerzen beim Einlaufen mit den Prothesen hingewiesen. Hinzu kamen später deutliche Phantomschmerzen, die er gegenüber Dr. K. wiederholt beschrieb. Auch Prof. Dr. G. räumt in seiner von der Beklagten eingeholten Stellungnahme vom 18. April 1979 ein, daß es sich bei den angegebenen Beschwerden um typische Phantomschmerzen gehandelt habe. Das ist von den Professoren E. und F. ebenfalls überzeugend angenommen worden. Der Senat vermag daher Prof. Dr. G. nicht zu folgen, wenn er in seinen Gutachten demgegenüber ausführt, es handele sich um das Bild einer alkoholisch bedingten Polineuropathie. Er begründet dies damit, daß zur Verhinderung des Alkoholdelirs Haloperidol verordnet werde. Das mag zutreffen, ist aber nicht entscheidend. Prof. Dr. G. übersieht, daß G. Alkohol trank, um depressive Zustände und Schmerzen zu überwinden bzw. besser zu beherrschen. Das ist von ihm gegenüber seiner Ehefrau, aber auch gegenüber den Dres. M., J. und W. wiederholt erklärt worden, wie in ihren Berichten dokumentiert ist.
Dr. J. hat in seinem Bericht vom 12. Oktober 1978 außerdem mitgeteilt, daß diese Medikamente wegen dieser Beschwerden verordnet worden seien. Hiernach ist es erwiesen, daß erst nach dem Arbeitsunfall G. infolge des Verlustes beider Beine im Oberschenkel unter dem Zeichen einer reaktiv depressiven Verstimmung und unter Phantomschmerzen exzessiv zum Alkoholgenuß überging und außerdem zur Beherrschung bzw. Verdrängung dieses Zustandes das oben bezeichnete Schlafmittel und Psychopharmaka einnahm. Wenn Prof. Dr. G. unter dem 18. April 1979 ausführt, Prof. Dr. F. und Dr. R. hätten in ihrem Gutachten entgegen der allgemein anerkannten Grundsätze der ärztlichen Wissenschaft angenommen, daß Alkohol zum Zwecke der Selbstheilung einer Depression” eingenommen werde, so ist dies schlicht unrichtig. Prof. Dr. F. und Dr. R. haben lediglich die vermehrte Einnahme von Alkohol durch G. als einen – allerdings untauglichen – Versuch einer Selbstheilung seiner Depressionen betrachtet und nicht etwa als die Therapie der Wahl angesehen. Sie gaben damit eine bei G. bestehende Vorstellung wieder. Ob er sich in diesem Sinne bereits in dem BGUK gegenüber Ärzten geäußert hatte, ist nach den obigen Ausführungen rechtlich unbeachtlich. Es ist in dem Bericht des Berufshelfers der Beklagten vom 2. August 1968, wie bereits oben ausgeführt, jedenfalls dokumentiert, daß er Alkohol trank, um über sein Schicksal hinwegzukommen. Es war daher dazu kein weiterer Beweis zu erheben, insbesondere brauchten nicht die Ärzte der BGUK gehört zu werden. Vielmehr schließt sich der Senat nach alledem den ausführlichen und wohlbegründeten Gutachten der Professoren E. und F. an.
Die Beklagte wird, nachdem das Grundurteil des SG (§ 130 SGG) bezüglich der Hinterbliebenenrenten durch den Senat bestätigt worden ist, diese nach Höhe und Dauer im einzelnen festzustellen haben. Dabei wird sie, nachdem das Verwaltungsverfahren mit dem Erlaß des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 1979 nach dem 1. Januar 1978 beendet worden ist, die Ansprüche auf Geldleistungen seit dem 1. Januar 1978 mit 4 v.H. zu verzinsen haben (Art. I § 44, Art. II § 23 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – vom 11.12.1975 in BGBl. I S. 3015)
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 193, 160 SGG.
II. Auf die Klage der Kläger wird der Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 1979 aufgehoben.
III. Die Beklagte hat den Klägern auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger sind die Witwe und die 1961, 1962 und 1963 sowie 1965 und 1968 geborenen ehelichen Kinder des am 22. Oktober 1976 verstorbenen G. G. (G.). Sie streiten mit der Beklagten um die Gewährung der Hinterbliebenenrenten.
Der im Jahre 1938 geborene G. bezog von der Beklagten seit dem 20. März 1968 wegen des Verlustes beider Beine in der unteren Hälfte des Oberschenkels eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit – MdE – um 100 v.H. Ihm waren bei einem Arbeitsunfall am 19. März 1968 auf dem Bahnhof Dortmund bei Rangierarbeiten beide Unterschenkel traumatisch abgequetscht worden. Nach verschiedenen Berichten aus der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik F. M. – BGUK – blieben wiederholte Gehschulungen mit Oberschenkelprothesen ohne nachhaltigen Erfolg, obwohl sich G. redlich bemühte. Er klagte über Stumpfbeschwerden und zeigte sich beim Erlernen des Umgangs mit Prothesen psychisch ungeduldig. Zunehmender Alkoholgenuß führte schließlich zum Abbruch der Gehschulungen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berichte der Dres. E. und L., K. und H. sowie K. und L. (sämtliche BGUK) vom 17. Juli, 20. August, 9. September und 1. Oktober 1968 verwiesen. In der Folgezeit klagte G. wiederholt über sogenannte Phantombeschwerden. Der Alkoholgenuß (Bier) nahm zu und es wurden Psychopharmaka (Haloperidol) sowie Schlafmittel (Mogadan) eingenommen. Waren im L.-M.-Krankenhaus in K. wurden abgebrochen.
Am 22. Oktober 1976 fand die Klägerin zu 1) ihren Ehemann G. morgens im Bett tot vor. Der Hausarzt Dr. J. (B.) attestierte als Todesursache am 2. November 1976 "Innere Verblutung”. Die Beklagte vermerkte dazu am 13. Dezember 1976, daß Dr. J. hierzu fernmündlich angegeben habe, bei G. seien die Adern der Speiseröhre geplatzt gewesen. Am gleichen Tag erließ sie den Bescheid über Unfallwitwenbeihilfe, die sie unter gleichzeitiger Ablehnung der Hinterbliebenenrente der Klägerin zu 1) mit insgesamt 11.478,30 DM gewährte. Der Tod des G. stehe nicht in ursächlichem Zusammenhang mit den Folgen des Arbeitsunfalles vom 19. März 1968.
Gegen diesen am gleichen Tage an sie abgesandten Bescheid legte ihr früherer Bevollmächtigter am 6. Januar 1977 Widerspruch ein, den die Beklagte jedoch zunächst nicht beschied.
Außerdem hat die Klägerin zu 1) bei dem Sozialgericht Fulda, das die Sache an das örtlich zuständige Sozialgericht Kassel – SG – verwies, am 12. Januar 1977 Klage erhoben und für sich und ihre fünf ehelichen Kinder die Hinterbliebenenrenten begehrt. Das SG hat zunächst verschiedene Befundberichte aus dem L-Krankenhaus sowie die Akten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kassel (30 Js 1142/76) mit dem Obduktionsbefund der Dres. R. und H., dem Blutalkoholgutachten des Prof. Dr. H. (sämtliche Universität M.), dem Bericht des Hausarztes Dr. J. und dem toxikologischen Gutachten des Dipl.-Chemikers K. (Universität M.) vom 25., 27. und 23. Oktober 1976 bzw. 2. Juni 1977 beigezogen und das neuropsychiatrische Zusammenhangsgutachten des Prof. Dr. E. (M.) vom 20. April 1978 eingeholt. In diesem vertritt Prof. Dr. E. die Auffassung, daß G. nach den Obduktionsbefunden an einer Vergiftung mit Mogadan und Haloperidol in Verbindung mit Alkohol verstorben sei. Die Diagnose des Hausarztes auf innere Verblutung infolge Oesophagusvarizen bei Leberschädigung nach chronischem Alkoholmißbrauch sei falsch. Der – auch vor dem Arbeitsunfall beobachtete – Alkoholkonsum könne mangels Leberumbaus nicht so groß gewesen sein, daß diesem die allein rechtlich wesentliche Ursache für den vorzeitigen Tod zukomme. G. sei vielmehr durch die Unfallfolgen in eine reaktiv depressive Verstimmungshaltung geraten und habe diese ebenso wie Stumpfbeschwerden mittels erhöhtem Alkoholkonsums im Zusammenwirken mit den ihm verordneten Schlafmitteln und Psychopharmaka bekämpft.
Nachdem die Beklagte dieser Beurteilung unter Vorlage einer Stellungnahme des Facharztes für Chirurgie und Urologie Dr. Sch. (F.M.) widersprochen hatte, hat das SG unter Berufung auf das Gutachten des Prof. Dr. E. die Beklagte am 20. Juli 1978 verurteilt, den Klägern die Hinterbliebenenrente zu gewähren.
Gegen dieses ihr am 1. August 1978 zugestellte Urteil hat die Beklagte bei dem Hessischen Landessozialgericht schriftlich am 21. August 1978 Berufung eingelegt.
Es ist im Berufungsverfahren der Sachverhalt weiter aufgeklärt worden. Dazu sind zunächst die Akten der Bundesknappschaft, die Krankenblätter des L.-Krankenhauses sowie des Kreiskrankenhauses R. an der F. beigezogen und die Auskünfte der Dres. S. (R.), J. und W. (K.) vom 2. und 12. Oktober 1978 sowie 7. November 1978 eingeholt worden. Auf deren Inhalt wird verwiesen. Sodann hat von Amts wegen Prof. Dr. G. (Universität M.) das psychiatrische Gutachten vom 17. Januar 1979 erstattet. In diesem wird die Auffassung vertreten, daß bei G. im Vordergrund die Bereitschaft zu einer süchtigen Fehlhaltung gestanden habe. Die Suchtkrankheit sei durch den gewandelten Lebensstil und nicht durch die Unfallfolgen wesentlich verstärkt worden; diesen komme vielmehr untergeordnete Bedeutung zu. Es handele sich um eine sogenannte Gelegenheitsursache. Dieser Beurteilung haben in dem nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG – erstatteten Gutachten vom 28. März 1979 Prof. Dr. F. und Dr. R. (M.) widersprochen. Sie schließen sich Prof. Dr. E. an und führen aus, daß der Alkoholgenuß des G. erst nach dem Arbeitsunfall infolge einer durch diesen chronifizierten Depression exzessiv geworden sei.
Die Beklagte hat im Berufungsverfahren noch den Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 1979 erlassen. Im übrigen bringt sie unter Vorlage einer Stellungnahme des Prof. Dr. G. vom 18. April 1979 zur Begründung der Berufung vor: Die Gutachten der Professoren E. und F. überzeugten nicht. Sie würdigten den häufigen Alkoholgenuß des G. bereits vor dem Arbeitsunfall nicht zutreffend. Es sei unrichtig, wenn sie annähmen, der Alkohol und die Medikamente seien zur Behandlung von Phantomschmerzen konsumiert worden. Schließlich sei auch die Feststellung dieser Gutachter falsch, daß es in der Fachwelt ausreichend bekannt sei, daß Alkohol zum Zwecke der "Selbstheilung einer Depression” eingenommen werde. Das Gegenteil sei vielmehr richtig. Die Medikamente seien im übrigen nicht zur Bekämpfung von Phantomschmerzen sondern der Alkoholsucht verabreicht worden, wie Prof. Dr. G. zutreffend ausführe. G. habe auch selbst niemals den erhöhten Alkoholgenuß mit "Behandlung von Phantomschmerzen” begründet. Dazu könnten erforderlichenfalls die Ärzte der BGUK gehört werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 20. Juli 1978 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen und den Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 1979 aufzuheben.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend und sehen sich durch das Gutachten des Prof. Dr. F. und des Dr. R. bestätigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Unfall- und Streitakten sowie die Rentenakten der Bundesknappschaft und der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kassel – 30 Js 1142/76 – verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und daher zulässig (§§ 143, 145, 151 SGG).
Sie ist im Gegensatz zu der Klage gegen den zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gewordenen Widerspruchsbescheid (§§ 153, 96 SGG) jedoch unbegründet. Das sozialgerichtliche Urteil konnte nach der Nachholung des Vorverfahrens nicht, wie von der Beklagten begehrt, aufgehoben werden, da es den angefochtenen Bescheid vom 13. Dezember 1976 zutreffend als rechtswidrig angesehen hat. Dies gilt auch für den Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 1979. Die Beklagte hat zu Unrecht den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Tod des G. und den Unfallfolgen verneint und deshalb auch unzutreffend lediglich eine einmalige Witwenbeihilfe (§ 600 Reichsversicherungsordnung – RVO –) gewährt. Die Kläger haben vielmehr nach ihrem am 22. Oktober 1976 verstorbenen Ehemann und Vater G. seit diesem Tag Anspruch auf die Witwen- und Waisenrente in gesetzlichem Umfange, da dessen Tod auf dem Arbeitsunfall vom 20. März 1968 wesentlich beruht (§§ 589 Abs. 1 Nr. 3, 590, 595 RVO).
Zunächst steht fest, daß G. wegen der unfallbedingten Amputation beider Oberschenkel gemäß dem Bescheid vom 18. März 1969 seit dem 20. März 1968 die Vollrente bezog. Ferner ist nach dem Obduktionsbefund der Dres. R. und H., dem Blutalkoholgutachten des Prof. Dr. H. und dem toxikologischen Gutachten des Dipl.-Chemikers K. erwiesen, daß sein Tod am 22. Oktober 1976 weder unmittelbar auf dem Arbeitsunfall beruht noch durch eine gewaltsame Fremdeinwirkung hervorgerufen wurde. Auch ergeben sich keine Anhaltspunkte für einen freiwilligen Suicid, der den ursächlichen Zusammenhang mit den Unfallfolgen infrage stellen könnte (§ 553 RVO). Das wird von der Beklagten auch nicht behauptet.
Es ist nach den oben genannten Gutachten vielmehr erwiesen, daß G. durch das Zusammenwirken von Alkohol (Bier) und Medikamentenverbrauch (Mogadan und Beloperidol) im Sinne einer Vergiftung verstorben ist. Die Klägerin zu 1) stellt es nicht in Abrede, daß ihr Ehemann G. nach dem Arbeitsunfall in verstärktem Maße Bier trank, wie dieser noch zu Lebzeiten verschiedentlich selbst berichtete. Auch die Verordnung von Mogadan und Haloperidol durch Dr. J. ist durch dessen wiederholte Auskünfte im hiesigen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren belegt. Es wurden Barbiturate gefunden, die in diesen Medikamenten vorkommen. Nach dem Blutalkoholgutachten muß für die Todeszeit von G. eine Blutalkoholkonzentration von 1,9 % bis 2,0 % angenommen werden. Die ohne Obduktion am Todestag gestellte Diagnose des Dr. J., daß der Tod auf innerer Verblutung nach Platzen von Adern der Speiseröhre beruhe, ist damit als unrichtig anzusehen. Auch diese Feststellungen ziehen die Beteiligten nicht in Zweifel, sie folgern nur unterschiedliche Schlüsse. Während die Beklagte meint, G. sei das Opfer einer konstitutionellen Suchtkrankheit geworden, vertreten die Kläger die Auffassung, daß diese durch die Unfallfolgen wesentlich hervorgerufen worden sei.
Die Beklagte wendet dabei die nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltende Lehre von dem Ursachenzusammenhang unrichtig an. Der ursächliche Zusammenhang kann auch mittelbar gegeben sein. Im Falle der kausalen Konkurrenz einer äußeren Einwirkung mit einer bereits vorhandenen Krankheitsanlage ist dies jedenfalls dann der Fall, wenn beide Umstände in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges annähernd gleichwertig sind (vgl. BSGE 13, 176; Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 8 zu § 548 RVO). Ist der Verletzte infolge einer durch den Unfall herbeigeführten Verschlechterung eines vorhandenen Leidens gestorben, so gilt der Tod als Unfallfolge, wenn die vermutliche Lebensdauer durch die Unfalleinwirkung um wenigstens ein Jahr verkürzt worden ist. Ist die Gesundheitsstörung aber nur bei Gelegenheit einer versicherten Tätigkeit hervorgetreten und wäre sie nach menschlichen Ermessen auch bei jedem anderen nicht zu vermeidenden Anlaß außerhalb dieser Tätigkeit oder ohne besonderen Anlaß im Ablauf des täglichen Lebens zum Ausbruch gekommen, so handelt es sich nur um eine Gelegenheitsursache, bei der es an dem notwendigen Ursachenzusammenhang fehlt. Dabei ist es rechtlich ohne Bedeutung, ob die äußere Einwirkung nur geringfügig oder erheblich war (vgl. BSG BG 1961, 222; Nr. 47 zu § 542 RVO a.F.; Lauterbach a.a.O., Anm. 10 zu § 548 RVO; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II S. 34 k II und 488 k ff.). Für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs muß eine Wahrscheinlichkeit bestehen, d.h., bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände müssen die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, daß die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht zu bleiben haben (vgl. BSG, SozR Nr. 20 zu § 542 RVO a.F.; Lauterbach a.a.O., Anm. 17 zu § 548 RVO).
Zunächst ist es unzutreffend, wie die Beklagte unter Berufung auf den Sachverständigen Prof. Dr. G. und den sie beratenden Arzt Dr. Sch. meint, daß G. bereits vor dem Arbeitsunfall ein Alkoholiker gewesen sei. Der frühere Hausarzt Dr. S. (R.) hat dies im Berufungsverfahren nicht bestätigt. Die Klägerin zu 1) räumt lediglich ein, daß ihr Ehemann G. 1963 einmal betrunken gewesen sei und dies ansonsten nicht vorgekommen sei. Gegenüber Dr. M. (L.-Krankenhaus) hatte 1974 G. erklärt, daß er erstmalig im Alter von 18 Jahren und seit dem 29. Lebensjahr, also seit 1967 täglich getrunken habe. Seit 1968 trinkt er krankhaft. Dies ergibt sich aus dem Bericht vom 29. April 1976. Das ist auch nach dem Obduktionsbefund glaubhaft. Obwohl erwiesen ist, daß G. nach dem Arbeitsunfall, wie Dr. M. berichtete, täglich bis zu 11 Flaschen Bier trank, fanden sich bei der pathologischen Untersuchung keine Hinweise für einen Leberumbau, wovon die Beklagte und Dr. Sch. noch im Juli 1978 irrig ausgingen.
Auch sonst hat die Obduktion keine Befunde ergeben, die für das jederzeitige Ableben infolge alkoholtoxischer Vergiftung sprechen. Dies haben anhand der Obduktions- und toxikologischen Befunde überzeugend die Professoren E. und F. dargetan. Demgegenüber kann sich die Beklagte nicht auf Dr. Sch. und Prof. Dr. G. berufen. Ersterer hat diese Befunde nicht ausgewertet und nur Vermutungen angestellt, letzterer diskutiert die ihm vorgelegten Befunde in seiner Beurteilung nicht.
Ferner meint Prof. Dr. G., daß eine Bereitschaft zur süchtigen Fehlhaltung bestanden habe, die sich, wie bei Alkoholikern üblich, unabhängig von äußeren Umständen bis zum Stadium des vorzeitigen Todes progredient entwickelt habe. Das ist unter den Besonderheiten des hiesigen Falls nicht schlüssig dargetan, worauf mit überzeugenden Gründen die Professoren E. und F. hingewiesen haben. Hierzu stellt der Senat weiter fest, daß G. nach dem Arbeitsunfall schon frühzeitig in eine depressive Phase geriet, weil er mit den Unfallfolgen nicht fertig zu werden vermochte. Das folgt aus den Berichten der Ärzte des BGDK aus dem Jahre 1968 und des Berufshelfers der Beklagten vom 9. Juli und 2. August 1968. Danach war G. zunächst bemüht, schnell bei der Gehschulung voranzukommen. Immer wieder aber entzündeten sich die Stümpfe, so daß die Gehversuche abgebrochen werden mußten. Ausdrücklich heißt es z.B. im Bericht der Dres. E. und L. vom 17. Juli 1968, daß G. psychisch etwas ungeduldig sei; er fühle sich durch zweimal kurz hintereinander aufgetretene Entzündungen der Stümpfe zurückgeworfen und sei deprimiert. Es kam zu wiederholtem Alkoholgenuß in der BGUK, um, wie er selbst sagte, über sein Schicksal besser hinwegzukommen. Dies ist ausdrücklich in dem Bericht des Berufshelfers der Beklagten vom 2. August 1968 festgehalten. Dort ist auch auf die starken Schmerzen beim Einlaufen mit den Prothesen hingewiesen. Hinzu kamen später deutliche Phantomschmerzen, die er gegenüber Dr. K. wiederholt beschrieb. Auch Prof. Dr. G. räumt in seiner von der Beklagten eingeholten Stellungnahme vom 18. April 1979 ein, daß es sich bei den angegebenen Beschwerden um typische Phantomschmerzen gehandelt habe. Das ist von den Professoren E. und F. ebenfalls überzeugend angenommen worden. Der Senat vermag daher Prof. Dr. G. nicht zu folgen, wenn er in seinen Gutachten demgegenüber ausführt, es handele sich um das Bild einer alkoholisch bedingten Polineuropathie. Er begründet dies damit, daß zur Verhinderung des Alkoholdelirs Haloperidol verordnet werde. Das mag zutreffen, ist aber nicht entscheidend. Prof. Dr. G. übersieht, daß G. Alkohol trank, um depressive Zustände und Schmerzen zu überwinden bzw. besser zu beherrschen. Das ist von ihm gegenüber seiner Ehefrau, aber auch gegenüber den Dres. M., J. und W. wiederholt erklärt worden, wie in ihren Berichten dokumentiert ist.
Dr. J. hat in seinem Bericht vom 12. Oktober 1978 außerdem mitgeteilt, daß diese Medikamente wegen dieser Beschwerden verordnet worden seien. Hiernach ist es erwiesen, daß erst nach dem Arbeitsunfall G. infolge des Verlustes beider Beine im Oberschenkel unter dem Zeichen einer reaktiv depressiven Verstimmung und unter Phantomschmerzen exzessiv zum Alkoholgenuß überging und außerdem zur Beherrschung bzw. Verdrängung dieses Zustandes das oben bezeichnete Schlafmittel und Psychopharmaka einnahm. Wenn Prof. Dr. G. unter dem 18. April 1979 ausführt, Prof. Dr. F. und Dr. R. hätten in ihrem Gutachten entgegen der allgemein anerkannten Grundsätze der ärztlichen Wissenschaft angenommen, daß Alkohol zum Zwecke der Selbstheilung einer Depression” eingenommen werde, so ist dies schlicht unrichtig. Prof. Dr. F. und Dr. R. haben lediglich die vermehrte Einnahme von Alkohol durch G. als einen – allerdings untauglichen – Versuch einer Selbstheilung seiner Depressionen betrachtet und nicht etwa als die Therapie der Wahl angesehen. Sie gaben damit eine bei G. bestehende Vorstellung wieder. Ob er sich in diesem Sinne bereits in dem BGUK gegenüber Ärzten geäußert hatte, ist nach den obigen Ausführungen rechtlich unbeachtlich. Es ist in dem Bericht des Berufshelfers der Beklagten vom 2. August 1968, wie bereits oben ausgeführt, jedenfalls dokumentiert, daß er Alkohol trank, um über sein Schicksal hinwegzukommen. Es war daher dazu kein weiterer Beweis zu erheben, insbesondere brauchten nicht die Ärzte der BGUK gehört zu werden. Vielmehr schließt sich der Senat nach alledem den ausführlichen und wohlbegründeten Gutachten der Professoren E. und F. an.
Die Beklagte wird, nachdem das Grundurteil des SG (§ 130 SGG) bezüglich der Hinterbliebenenrenten durch den Senat bestätigt worden ist, diese nach Höhe und Dauer im einzelnen festzustellen haben. Dabei wird sie, nachdem das Verwaltungsverfahren mit dem Erlaß des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 1979 nach dem 1. Januar 1978 beendet worden ist, die Ansprüche auf Geldleistungen seit dem 1. Januar 1978 mit 4 v.H. zu verzinsen haben (Art. I § 44, Art. II § 23 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – vom 11.12.1975 in BGBl. I S. 3015)
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 193, 160 SGG.
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