Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 3a U 103/77
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 1044/78
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Auch gegen den bisherigen Unternehmer gemäß § 665 Satz 2 RVO hat der Träger der Unfallversicherung den Beitragsanspruch in der Form des § 746 RVO geltend zu machen.
2. Läßt sich nicht feststellen, daß ein Beitragsbescheid dem Adressaten jemals zugegangen oder durch einen Widerspruchsbescheid nachträglich seinem vollen Inhalt nach bekannt gemacht worden ist, dann ist der Beitragsbescheid nicht wirksam geworden.
2. Läßt sich nicht feststellen, daß ein Beitragsbescheid dem Adressaten jemals zugegangen oder durch einen Widerspruchsbescheid nachträglich seinem vollen Inhalt nach bekannt gemacht worden ist, dann ist der Beitragsbescheid nicht wirksam geworden.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 23. Mai 1978 abgeändert. Es wird festgestellt, daß der Bescheid der Beklagten vom 24. November 1976 nicht wirksam ist.
II. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 7. September 1978 wird aufgehoben.
IV. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung des Klägers, Beitragsrückstände aus der Unfallversicherung zu zahlen.
Der Kläger war seit 1967 zusammen mit W. B. (B.) Mitgesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft, die ein Sägewerk, eine Holzhandlung und eine Zimmerei betrieb. Seit Januar 1974 wurde das Unternehmen unter der Firma B. & B. oHG geführt. Als Mitglied der Beklagten teilte die Firma B. & B. der Beklagten am 18. Februar 1975 mit, der Kläger sei seit dem 30. Juni 1974 aus der Gesellschaft ausgeschieden. Dadurch erhielt die Beklagte erstmals Kenntnis von dieser Tatsache. Die Änderung war am 3. Oktober 1974 in das Handelsregister eingetragen worden. Die Beklagte änderte ihr Unternehmerverzeichnis entsprechend und löschte die Unternehmerversicherung des Klägers rückwirkend zum 30. Juni 1974. Als die Firma B. & B. ihr Unternehmen eingestellt hatte, löschte die Beklagte die Mitgliedschaft dieses Unternehmens zum 27. August 1976 (Bescheid vom 25. November 1976). Im Hinblick darauf, daß sie für das Jahr 1975 die von der Firma B. & B. zu zahlenden Beiträge mit formlos an diese Firma versandten Bescheiden vom 30. März 1976 auf 3.413,40 DM und vom 26. April 1976 auf 422,20 DM festgesetzt hatte, forderte die Beklagte von dem Kläger mit dem angefochtenen formlosen Bescheid vom 24. November 1976 ohne Rechtsbehelfsbelehrung unter Berufung auf § 665 Reichsversicherungsordnung – RVO – die von der Firma B. & B. noch nicht gezahlten Restbeiträge in Höhe von 2.489,50 DM nach Maßgabe einer gesonderten Aufstellung. Für den Weigerungsfall drohte sie Zwangsmaßnahmen an. Diesen Bescheid gab sie zum Zwecke der Zustellung an den Kläger am 13. Dezember 1976 mit eingeschriebenem Brief zur Post. Als der Kläger nicht reagierte, sandte ihm die Beklagte eine nur den Forderungsbetrag aufführende Mahnung vom 18. Januar 1977, gegen die sich der Kläger sofort mit Schreiben vom 22. Januar 1977 wandte. Er bestritt den Anspruch der Beklagten bereits dem Grunde nach. Die Beklagte erließ daraufhin an den Arbeitgeber des Klägers ein Zahlungsverbot vom 17. Februar 1977 gemäß § 845 Zivilprozeßordnung – ZPO –, Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse vom 2. März 1977 und 16. März 1977, leitete die Zwangsversteigerung über ein dem Kläger und B. gehörendes Grundstück ein und willigte schließlich in die einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens ein, nachdem der Kläger sich zu Ratenzahlungen von 50,– DM im Monat bereit erklärt hatte. Die Aufforderung des Klägers zu einer genauen Aufschlüsselung der umstrittenen Beitragsforderung beantwortete die Beklagte unter dem 27. Mai 1977 mit einem Bezug auf den angefochtenen Bescheid vom 24. November 1976.
Am 8. Juni 1977 hat der Kläger beim Sozialgericht Gießen (SG) Klage erhoben und vorgetragen, den angefochtenen Bescheid vom 24. November 1976 nicht erhalten zu haben. Mit Urteil vom 23. Mai 1978 hat das SG festgestellt, "daß eine Beitragsforderung gegen den Kläger aus dem Beitragsbescheid vom 30. März 1976 in Höhe von 2.489,50 DM mit Nebenkosten nicht besteht”; auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen. Gegen dieses ihr am 28. August 1978 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18. September 1978 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Zuvor hatte sie mit Widerspruchsbescheid vom 7. September 1978 unter Bezugnahme auf die Kontoaufstellung im angefochtenen Bescheid den Widerspruch des Klägers vom 10. Februar 1977 gegen diesen Bescheid zurückgewiesen.
Die Beklagte betritt die Ansicht, die geltend gemachte Beitragsforderung gegen den Kläger sei aus § 665 RVO begründet.
Wegen der Vernichtung aller diesbezüglichen Unterlagen bei der Deutschen Bundespost lasse es sich aber nicht mehr beweisen, daß der Kläger den angefochtenen Bescheid vom 24. November 1976 erhalten habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 23. Mai 1978 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen und den Widerspruchsbescheid vom 7. September 1978 aufzuheben.
Er vertritt die Ansicht, der Anspruch der Beklagten aus § 665 RVO sei unbegründet und behauptet, er habe den angefochtenen Bescheid niemals erhalten.
Wegen der Einzelheiten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung entscheiden, da dieser in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung darauf hingewiesen worden ist (vgl. Peters-Sautter-Wolff, Komm. zur SGb, Stand 30. Nachtrag z. 4. Aufl. 1979, Anm. 3 zu § 110 SGG).
Die statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und somit zulässig. Sie ist jedoch nur zu einem Teil begründet. Zu Unrecht hat das SG eine Feststellung über das materiell-rechtliche Nichtbestehen einer Beitragsforderung gegen den Kläger aus dem an die Firma B. & B. gerichteten Beitragsbescheid vom 30. März 1976 getroffen. Der Kläger hat aber in entsprechender Anwendung des § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG im Hinblick auf die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen der Beklagten ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung, daß der angefochtene Bescheid vom 24. November 1976 überhaupt nicht wirksam ist.
Wie die Beklagte zu Recht hervorgehoben hat, ist Gegenstand des Rechtsstreits ihr Bescheid vom 24. November 1976, mit dem sie den Kläger gem. § 665 RVO in Haftung genommen hat, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 1978, der entsprechend § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens vor dem Senat geworden ist und hier als mit der Klage angefochten gilt. Zu Unrecht hat das SG trotzdem in seiner Entscheidungsformel den angefochtenen Bescheid nicht erwähnt und stattdessen eine Feststellung über das materiell-rechtliche Nichtbestehen einer Beitragsforderung der Beklagten gegen den Kläger "aus dem Beitragsbescheid vom 30. März 1976 in Höhe von 2.489,50 DM mit Nebenkosten” getroffen.
Abgesehen davon, daß die Inanspruchnahme des Klägers von der Wirksamkeit des angefochtenen Bescheides abhängig ist, stellt sich die Begründung dieser Feststellung des SG darüber hinaus als rechtsirrig dar. Nach § 665 S. 2 RVO haftet auch der Kläger als bisheriger Unternehmer der Firma B. & B. gesamtschuldnerisch für die von dieser Firma der Beklagten zu zahlenden, also fälligen Beiträge für das Jahr 1975, wobei sich die Fälligkeit nach § 746 RVO richtet, der eine Zustellung des Beitragsbescheides vorschreibt.
Hierzu stellt der Senat fest, daß der Kläger Mitunternehmer der Firma B. & B. war, am 30. Juni 1974 aus dem Unternehmen ausschied und diese Tatsache im Handelsregister eintragen ließ. Das Ausscheiden des Klägers aus dem Unternehmen wurde der Beklagten erstmals am 18. Februar 1975 durch die Firma B. & B. mitgeteilt. Diese Feststellungen ergeben sich aus dem Inhalt der Beklagtenakten.
Daraus folgt, daß der Kläger ein bisheriger Unternehmer ist, der gemäß § 665 S. 2 RVO für die von der Firma B. & B. bis zum Ablauf des Jahres 1975 zu erbringenden, fälligen Beiträge als Gesamtschuldner haftet.
Dieser "Haftungsanspruch” der Beklagten umfaßt jedoch seinem Inhalt nach ausschließlich Beiträge gemäß den §§ 745 ff. RVO und ist deshalb unter entsprechender Anwendung des § 746 RVO in der dort geforderten Form geltend zu machen. Es handelt sich um wesentliche Formvorschriften, die zum Schutz der materiellen Interessen der Beitragsschuldner erlassen worden sind, zu denen nach dem oben Dargelegten gemäß § 665 RVO auch der Kläger als bisheriger Unternehmer gehört. Dazu ist weiterhin festzustellen, daß die Beklagte den zum Zwecke der Inanspruchnahme gemäß § 665 S. 2 RVO erlassenen angefochtenen Bescheid zwar am 13. Dezember 1976 mit eingeschriebenen Brief zur Post gegeben hat, es sich aber gerade im Hinblick auf das ernsthafte Bestreiten des Klägers nicht feststellen läßt, daß er diesen Bescheid überhaupt erhalten hat. Die späteren Nachforschungen der Beklagten bei der Deutschen Bundespost blieben ergebnislos. Auch mit dem nachgeholten Widerspruchsbescheid vom 7. September 1978 ist der umstrittene Beitragsbescheid oder wenigstens sein vollständiger Inhalt nicht dem Kläger nachträglich mitgeteilt worden. Die Beklagte hat dem Kläger auch damit nicht den vollen Inhalt des Bescheides vom 24. November 1976 zugestellt, sondern stattdessen insbesondere hinsichtlich der Angaben, nach denen die Beitragsberechnung geprüft werden kann, auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides und den der Beitragsbescheide vom 30. März 1976 und 26. April 1976 an die Firma B & B hingewiesen. Diese Feststellungen beruhen auf dem Inhalt der Beklagtenakten.
Daraus ergibt sich, daß dem angefochtenen Bescheid bereits die Grundvoraussetzungen eines wirksamen Verwaltungsaktes fehlen (vgl. §§ 41 Abs. 1 und 43 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 25. Mai 1976 – BGBl. I S. 1253 – VwVfG – und §§ 39 Abs. 1 und 37 Abs. 1 des Entwurfes eines X. Buches des Sozialgesetzbuches – SGB – BT-Drucks. 8/2034). Der angefochtene Bescheid ist nicht nur nicht zugestellt worden (vgl. § 1 des Hess. Verwaltungszustellungsgesetzes vom 14. Februar 1957 – GVBl. S. 9 – in Verbindung mit §§ 4 Abs. 1, 9 Abs. 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes des Bundes vom 3. Juli 1952 – BGBl. I S. 379 –), sondern es kann noch nicht einmal festgestellt werden, daß der Bescheid dem Kläger als Betroffenem und ausdrücklichen Adressaten bekanntgemacht worden ist, auch nicht nachträglich durch den Widerspruchsbescheid, was grundsätzlich ausgereicht hätte. Eine Bekanntgabe und demzufolge ein wirksamer Zugang des Verwaltungsaktes liegt nur vor, wenn der Verwaltungsakt seinem vollen Inhalt nach dem Empfänger kraft des Willens der Behörde (Versicherungsträger) eröffnet worden ist (vgl. Erichsen-Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 1977, S. 288, unter Bezugnahme auf BVerwGE 22, 14 und 29, 231). Die rechtlichen Nachteile dieser Unaufklärbarkeit hat die Beklagte nach den Regeln der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu tragen. Ein nicht wirksam gewordener Verwaltungsakt vermag ebensowenig wie ein nichtiger Verwaltungsakt Rechtswirkungen zu erzeugen (vgl. BGHZ 4, 10 ff., 20; Peters-Sautter-Wolff, Sozialgerichtsbarkeit, 30. Nachtrag zur 4. Aufl. 1979, Anm. 19 Anhang nach § 54; Eyermann-Fröhlich, Verwaltungsgerichtsordnung, 7. Aufl. 1977, Anm. 8 Anhang zu § 42). Das bedeutet, daß vor allem die Beitragsforderung der Beklagten gegenüber dem Kläger noch nicht fällig geworden ist (vgl. § 746 Abs. 1 und 2 RVO, § 28 Abs. 1 der Satzung der Beklagten in der ab 25. März 1969 gültig gewesenen Fassung; § 23 Abs. 3 SGB 4) und daß außerdem alle auf den angefochtenen Bescheid bezogenen und auf ihn gestützten weiteren Verwaltungsakte der Beklagten, insbesondere ihre Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, rechtswidrig waren und keine zusätzlichen Verpflichtungen des Klägers begründen konnten.
Da die Durchschrift des angefochtenen Bescheides in den Verwaltungsakten der Beklagten sowie die rechtswidrigen Mahnungen und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen der Beklagten den Rechtsschein eines wirksamen Verwaltungsaktes begründet haben, war die Feststellung der Unwirksamkeit des angefochtenen Bescheides entsprechend § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG begründet. Der im vorliegenden Fall den Bekanntmachungsmangel nicht heilende Widerspruchsbescheid vom 7. September 1978 war infolgedessen aufzuheben.
Die Beklagte wird nunmehr die Berechtigung ihres Anspruchs einschließlich der Vorschriftsmäßigkeit der Beitragsbescheide vom 30. März und 26. April 1976 im Sinne von § 746 RVO einerseits sowie mögliche Gegenansprüche des Klägers wegen rechtswidriger Schadenszufügung andererseits zu prüfen und gegebenenfalls dementsprechend einen neuen Bescheid unter Beachtung der Voraussetzungen des § 746 RVO gegenüber dem Kläger zu erlassen haben.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision aus § 160 Abs. 2 SGG.
II. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 7. September 1978 wird aufgehoben.
IV. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung des Klägers, Beitragsrückstände aus der Unfallversicherung zu zahlen.
Der Kläger war seit 1967 zusammen mit W. B. (B.) Mitgesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft, die ein Sägewerk, eine Holzhandlung und eine Zimmerei betrieb. Seit Januar 1974 wurde das Unternehmen unter der Firma B. & B. oHG geführt. Als Mitglied der Beklagten teilte die Firma B. & B. der Beklagten am 18. Februar 1975 mit, der Kläger sei seit dem 30. Juni 1974 aus der Gesellschaft ausgeschieden. Dadurch erhielt die Beklagte erstmals Kenntnis von dieser Tatsache. Die Änderung war am 3. Oktober 1974 in das Handelsregister eingetragen worden. Die Beklagte änderte ihr Unternehmerverzeichnis entsprechend und löschte die Unternehmerversicherung des Klägers rückwirkend zum 30. Juni 1974. Als die Firma B. & B. ihr Unternehmen eingestellt hatte, löschte die Beklagte die Mitgliedschaft dieses Unternehmens zum 27. August 1976 (Bescheid vom 25. November 1976). Im Hinblick darauf, daß sie für das Jahr 1975 die von der Firma B. & B. zu zahlenden Beiträge mit formlos an diese Firma versandten Bescheiden vom 30. März 1976 auf 3.413,40 DM und vom 26. April 1976 auf 422,20 DM festgesetzt hatte, forderte die Beklagte von dem Kläger mit dem angefochtenen formlosen Bescheid vom 24. November 1976 ohne Rechtsbehelfsbelehrung unter Berufung auf § 665 Reichsversicherungsordnung – RVO – die von der Firma B. & B. noch nicht gezahlten Restbeiträge in Höhe von 2.489,50 DM nach Maßgabe einer gesonderten Aufstellung. Für den Weigerungsfall drohte sie Zwangsmaßnahmen an. Diesen Bescheid gab sie zum Zwecke der Zustellung an den Kläger am 13. Dezember 1976 mit eingeschriebenem Brief zur Post. Als der Kläger nicht reagierte, sandte ihm die Beklagte eine nur den Forderungsbetrag aufführende Mahnung vom 18. Januar 1977, gegen die sich der Kläger sofort mit Schreiben vom 22. Januar 1977 wandte. Er bestritt den Anspruch der Beklagten bereits dem Grunde nach. Die Beklagte erließ daraufhin an den Arbeitgeber des Klägers ein Zahlungsverbot vom 17. Februar 1977 gemäß § 845 Zivilprozeßordnung – ZPO –, Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse vom 2. März 1977 und 16. März 1977, leitete die Zwangsversteigerung über ein dem Kläger und B. gehörendes Grundstück ein und willigte schließlich in die einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens ein, nachdem der Kläger sich zu Ratenzahlungen von 50,– DM im Monat bereit erklärt hatte. Die Aufforderung des Klägers zu einer genauen Aufschlüsselung der umstrittenen Beitragsforderung beantwortete die Beklagte unter dem 27. Mai 1977 mit einem Bezug auf den angefochtenen Bescheid vom 24. November 1976.
Am 8. Juni 1977 hat der Kläger beim Sozialgericht Gießen (SG) Klage erhoben und vorgetragen, den angefochtenen Bescheid vom 24. November 1976 nicht erhalten zu haben. Mit Urteil vom 23. Mai 1978 hat das SG festgestellt, "daß eine Beitragsforderung gegen den Kläger aus dem Beitragsbescheid vom 30. März 1976 in Höhe von 2.489,50 DM mit Nebenkosten nicht besteht”; auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen. Gegen dieses ihr am 28. August 1978 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18. September 1978 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Zuvor hatte sie mit Widerspruchsbescheid vom 7. September 1978 unter Bezugnahme auf die Kontoaufstellung im angefochtenen Bescheid den Widerspruch des Klägers vom 10. Februar 1977 gegen diesen Bescheid zurückgewiesen.
Die Beklagte betritt die Ansicht, die geltend gemachte Beitragsforderung gegen den Kläger sei aus § 665 RVO begründet.
Wegen der Vernichtung aller diesbezüglichen Unterlagen bei der Deutschen Bundespost lasse es sich aber nicht mehr beweisen, daß der Kläger den angefochtenen Bescheid vom 24. November 1976 erhalten habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 23. Mai 1978 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen und den Widerspruchsbescheid vom 7. September 1978 aufzuheben.
Er vertritt die Ansicht, der Anspruch der Beklagten aus § 665 RVO sei unbegründet und behauptet, er habe den angefochtenen Bescheid niemals erhalten.
Wegen der Einzelheiten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung entscheiden, da dieser in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung darauf hingewiesen worden ist (vgl. Peters-Sautter-Wolff, Komm. zur SGb, Stand 30. Nachtrag z. 4. Aufl. 1979, Anm. 3 zu § 110 SGG).
Die statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und somit zulässig. Sie ist jedoch nur zu einem Teil begründet. Zu Unrecht hat das SG eine Feststellung über das materiell-rechtliche Nichtbestehen einer Beitragsforderung gegen den Kläger aus dem an die Firma B. & B. gerichteten Beitragsbescheid vom 30. März 1976 getroffen. Der Kläger hat aber in entsprechender Anwendung des § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG im Hinblick auf die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen der Beklagten ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung, daß der angefochtene Bescheid vom 24. November 1976 überhaupt nicht wirksam ist.
Wie die Beklagte zu Recht hervorgehoben hat, ist Gegenstand des Rechtsstreits ihr Bescheid vom 24. November 1976, mit dem sie den Kläger gem. § 665 RVO in Haftung genommen hat, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 1978, der entsprechend § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens vor dem Senat geworden ist und hier als mit der Klage angefochten gilt. Zu Unrecht hat das SG trotzdem in seiner Entscheidungsformel den angefochtenen Bescheid nicht erwähnt und stattdessen eine Feststellung über das materiell-rechtliche Nichtbestehen einer Beitragsforderung der Beklagten gegen den Kläger "aus dem Beitragsbescheid vom 30. März 1976 in Höhe von 2.489,50 DM mit Nebenkosten” getroffen.
Abgesehen davon, daß die Inanspruchnahme des Klägers von der Wirksamkeit des angefochtenen Bescheides abhängig ist, stellt sich die Begründung dieser Feststellung des SG darüber hinaus als rechtsirrig dar. Nach § 665 S. 2 RVO haftet auch der Kläger als bisheriger Unternehmer der Firma B. & B. gesamtschuldnerisch für die von dieser Firma der Beklagten zu zahlenden, also fälligen Beiträge für das Jahr 1975, wobei sich die Fälligkeit nach § 746 RVO richtet, der eine Zustellung des Beitragsbescheides vorschreibt.
Hierzu stellt der Senat fest, daß der Kläger Mitunternehmer der Firma B. & B. war, am 30. Juni 1974 aus dem Unternehmen ausschied und diese Tatsache im Handelsregister eintragen ließ. Das Ausscheiden des Klägers aus dem Unternehmen wurde der Beklagten erstmals am 18. Februar 1975 durch die Firma B. & B. mitgeteilt. Diese Feststellungen ergeben sich aus dem Inhalt der Beklagtenakten.
Daraus folgt, daß der Kläger ein bisheriger Unternehmer ist, der gemäß § 665 S. 2 RVO für die von der Firma B. & B. bis zum Ablauf des Jahres 1975 zu erbringenden, fälligen Beiträge als Gesamtschuldner haftet.
Dieser "Haftungsanspruch” der Beklagten umfaßt jedoch seinem Inhalt nach ausschließlich Beiträge gemäß den §§ 745 ff. RVO und ist deshalb unter entsprechender Anwendung des § 746 RVO in der dort geforderten Form geltend zu machen. Es handelt sich um wesentliche Formvorschriften, die zum Schutz der materiellen Interessen der Beitragsschuldner erlassen worden sind, zu denen nach dem oben Dargelegten gemäß § 665 RVO auch der Kläger als bisheriger Unternehmer gehört. Dazu ist weiterhin festzustellen, daß die Beklagte den zum Zwecke der Inanspruchnahme gemäß § 665 S. 2 RVO erlassenen angefochtenen Bescheid zwar am 13. Dezember 1976 mit eingeschriebenen Brief zur Post gegeben hat, es sich aber gerade im Hinblick auf das ernsthafte Bestreiten des Klägers nicht feststellen läßt, daß er diesen Bescheid überhaupt erhalten hat. Die späteren Nachforschungen der Beklagten bei der Deutschen Bundespost blieben ergebnislos. Auch mit dem nachgeholten Widerspruchsbescheid vom 7. September 1978 ist der umstrittene Beitragsbescheid oder wenigstens sein vollständiger Inhalt nicht dem Kläger nachträglich mitgeteilt worden. Die Beklagte hat dem Kläger auch damit nicht den vollen Inhalt des Bescheides vom 24. November 1976 zugestellt, sondern stattdessen insbesondere hinsichtlich der Angaben, nach denen die Beitragsberechnung geprüft werden kann, auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides und den der Beitragsbescheide vom 30. März 1976 und 26. April 1976 an die Firma B & B hingewiesen. Diese Feststellungen beruhen auf dem Inhalt der Beklagtenakten.
Daraus ergibt sich, daß dem angefochtenen Bescheid bereits die Grundvoraussetzungen eines wirksamen Verwaltungsaktes fehlen (vgl. §§ 41 Abs. 1 und 43 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 25. Mai 1976 – BGBl. I S. 1253 – VwVfG – und §§ 39 Abs. 1 und 37 Abs. 1 des Entwurfes eines X. Buches des Sozialgesetzbuches – SGB – BT-Drucks. 8/2034). Der angefochtene Bescheid ist nicht nur nicht zugestellt worden (vgl. § 1 des Hess. Verwaltungszustellungsgesetzes vom 14. Februar 1957 – GVBl. S. 9 – in Verbindung mit §§ 4 Abs. 1, 9 Abs. 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes des Bundes vom 3. Juli 1952 – BGBl. I S. 379 –), sondern es kann noch nicht einmal festgestellt werden, daß der Bescheid dem Kläger als Betroffenem und ausdrücklichen Adressaten bekanntgemacht worden ist, auch nicht nachträglich durch den Widerspruchsbescheid, was grundsätzlich ausgereicht hätte. Eine Bekanntgabe und demzufolge ein wirksamer Zugang des Verwaltungsaktes liegt nur vor, wenn der Verwaltungsakt seinem vollen Inhalt nach dem Empfänger kraft des Willens der Behörde (Versicherungsträger) eröffnet worden ist (vgl. Erichsen-Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 1977, S. 288, unter Bezugnahme auf BVerwGE 22, 14 und 29, 231). Die rechtlichen Nachteile dieser Unaufklärbarkeit hat die Beklagte nach den Regeln der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu tragen. Ein nicht wirksam gewordener Verwaltungsakt vermag ebensowenig wie ein nichtiger Verwaltungsakt Rechtswirkungen zu erzeugen (vgl. BGHZ 4, 10 ff., 20; Peters-Sautter-Wolff, Sozialgerichtsbarkeit, 30. Nachtrag zur 4. Aufl. 1979, Anm. 19 Anhang nach § 54; Eyermann-Fröhlich, Verwaltungsgerichtsordnung, 7. Aufl. 1977, Anm. 8 Anhang zu § 42). Das bedeutet, daß vor allem die Beitragsforderung der Beklagten gegenüber dem Kläger noch nicht fällig geworden ist (vgl. § 746 Abs. 1 und 2 RVO, § 28 Abs. 1 der Satzung der Beklagten in der ab 25. März 1969 gültig gewesenen Fassung; § 23 Abs. 3 SGB 4) und daß außerdem alle auf den angefochtenen Bescheid bezogenen und auf ihn gestützten weiteren Verwaltungsakte der Beklagten, insbesondere ihre Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, rechtswidrig waren und keine zusätzlichen Verpflichtungen des Klägers begründen konnten.
Da die Durchschrift des angefochtenen Bescheides in den Verwaltungsakten der Beklagten sowie die rechtswidrigen Mahnungen und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen der Beklagten den Rechtsschein eines wirksamen Verwaltungsaktes begründet haben, war die Feststellung der Unwirksamkeit des angefochtenen Bescheides entsprechend § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG begründet. Der im vorliegenden Fall den Bekanntmachungsmangel nicht heilende Widerspruchsbescheid vom 7. September 1978 war infolgedessen aufzuheben.
Die Beklagte wird nunmehr die Berechtigung ihres Anspruchs einschließlich der Vorschriftsmäßigkeit der Beitragsbescheide vom 30. März und 26. April 1976 im Sinne von § 746 RVO einerseits sowie mögliche Gegenansprüche des Klägers wegen rechtswidriger Schadenszufügung andererseits zu prüfen und gegebenenfalls dementsprechend einen neuen Bescheid unter Beachtung der Voraussetzungen des § 746 RVO gegenüber dem Kläger zu erlassen haben.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision aus § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
HES
Saved