Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 4 U 251/74
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 164/78
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 7. Dezember 1977 aufgehoben.
II. Die Klagen gegen die Bescheide vom 25. Juni 1974 und 10. Januar 1979 werden abgewiesen.
III. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Entschädigung einer Virushepatitis als Berufskrankheit – BK –.
Unter dem 29. Dezember 1970 zeigte die D. L. AG – DLH an, daß der bei ihr seit April 1967 als Flugbegleiter tätige Klägerin unter einer Lebererkrankung leide; erste Beschwerden seien auf eine Fernostflug am 15. Juli 1970 in Bangkok aufgetreten. In der ärztlichen Anzeige über eine BK vom 27. Januar 1971 teilte der Internist Dr. med. W. (F.) mit, daß Arbeitsunfähigkeit seit dem 30. November 1970 bestehe. In einer weiteren Anzeige vom 27. Februar 1971 vertraten Prof. Dr. M. und Dr. B. (Tropeninstitut H.) die Auffassung, es handele sich um eine Tropenkrankheit im Sinne der Nr. 44 der Anlage 1 der 7. Berufskrankheiten-Verordnung – BKVO – vom 20. Juni 1968. Die Beklagte holte hierauf verschiedene gutachtliche Stellungnahmen von Prof. Dr. M. den Dres. J. und S. (Allgemeines Krankenhaus H.) und des Dr. R. (Tropenheim P.-Krankenhaus T.) vom 14. Dezember 1970, 4. März, 4. August, 7. September, 11. Oktober und 9. November 1971 ein, auf die verwiesen wird. Zuletzt äußerte Dr. R. die Auffassung, daß es völlig ungewiß sei, wann sich der Kläger seine Hepatitis-Erkrankung zugezogen habe. Mit Bescheid vom 27. März 1972 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung ab, da weder eine Infektionskrankheit im Sinne der Nr. 37 der Anlage 1 der 7. BKVO noch eine Tropenkrankheit nach Nr. 44 a.a.O. vorliege. Es sei auch kein Arbeitsunfall gegeben. In dem sich hieran anschließenden Rechtsstreit bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main (S-4/U – 148/72) erklärte der Kläger am 8. Mai 1974, daß der Entschädigungsanspruch ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der sogenannten "fakultativen Tropenkrankheit” verfolgt werde. Nachdem die Beklagte sich bereit erklärt hatte, insoweit in eine erneute sachliche Überprüfung einzutreten, nahm der Kläger die Klage gegen den Bescheid vom 27. März 1972 zurück.
Hierauf lehnte die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 25. Juni 1974 erneut die Gewährung einer Entschädigung ab, da keine Tropenkrankheit vorliege. Der Begriff der Tropenkrankheit gelte als medizinisch-wissenschaftlich geklärt. Darunter fiele nicht die Hepatitis. Auch nach § 551 Abs. 2 der Reichversicherungsordnung – RVO – könne unter dem Gesichtspunkt der fakultativen Tropenkrankheit keine Entschädigung gewährt werden, da über Tropenkrankheiten sowie die Hepatitis-Erkrankungen und ihre Epidemiologie seit dem Inkrafttreten der 7. BKVO keine neuen medizinischen Erkenntnisse bestünden.
Gegen diesen an ihn mit Einschreiben am 26. Juni 1974 abgesandten Bescheid hat der Kläger bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main – SG – am 18. Juli 1974 Klage erhoben. Nach dem von ihm vorgelegten Bericht des Prof. Dr. G. und des Dr. A. (St. M. F.) vom 24. Juni 1977, der von diesem unter dem 30. November 1977 bestätigt wurde, sei es wahrscheinlich, daß der Kläger früher eine akute Virushepatitis-B durchgemacht habe. Sodann verurteilte das SG die Beklagte am 7. Dezember 1977, dem Kläger die Hepatitis als BK nach den gesetzlichen Bestimmungen zu entschädigen. Zwar sei weder ein Arbeitsunfall nachweisbar noch gehöre der Kläger zum nach Nr. 37 der Anlage 1 der 7. BKVO geschützten Personenkreis. Die Beklagte sei aber in Anwendung der von dem 8. Senat des Bundessozialgerichts – BSG – im Urteil vom 22. Oktober 1975 (8 RU 54/75) aufgestellten Grundsätze zur Entschädigung verpflichtet; es handele sich um eine sogenannte fakultative Tropenkrankheit.
Gegen dieses ihr am 17. Januar 1978 zugestellte Urteil hat die Beklagte schriftlich bei dem Hessischen Landessozialgericht am 13. Februar 1978 Berufung eingelegt und zur Frage, ob die Virushepatitis-B wie eine BK entschädigt werden könne, den Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 1979 erteilt.
Es ist im Berufungsverfahren der Sachverhalt weiter aufgeklärt worden durch Beiziehung der Auskünfte der DLH vom 11. Januar 1979 und 7. Juni 1979 aus dem Parallelrechtsstreit D. gegen die Beklagte (L-3/U-1008/78) sowie die Einholung des tropenfachärztlichen und internistischen Gutachtens der Dres. K. und S. (Tropenheim P.-Krankenhaus T.) vom 30. Januar 1980. In diesem Gutachten vertreten die Sachverständigen die Auffassung, daß die bei dem Kläger vorliegende Virushepatitis-B weder eine BK nach Nr. 37 noch nach Nr. 44 der Anlage 1 der 7. BKVO (= Nrn. 3101 und 3104 der Anlage 1 der BKVO vom 8. Dezember 1976) darstelle. Die Virushepatitis-B (auch Serumhepatitis genannt) unterscheide sich von der Virushepatitis-A (auch Hepatitis infectiosa genannt) sowohl nach den Übertragungsmechanismen als auch nach dem gefährdeten Personenkreis. Sie werde in allen Ländern angetroffen und nicht durch die Aufnahme von verseuchten Wassers, von Lebensmitteln und die Verschmutzung mit Urin und Stuhl übertragen. Auch ergäben sich keine Anhaltspunkte für einen Arbeitsunfall. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die erteilten Auskünfte der DLH und das Gutachten der Dres. K. und S. mit dem beigefügten Befundbericht des Oberarztes Dr. med. D. (Allgemeines Krankenhaus H.) vom 16. Januar 1979 verwiesen.
Die Beklagte sieht sich durch das Gutachten der Sachverständigen Dres. K. und S. bestätigt und beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 7. Dezember 1977 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und auf die Klage den Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 1979 aufzuheben.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten sowie die Streitakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG–).
Die statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und daher zulässig (§§ 151, 143, 145 SGG).
Sie ist auch begründet. Das auf die zulässige Klage ergangene sozialgerichtliche Urteil mußte aufgehoben werden, da diese ebenso wie diejenige gegen den gemäß § 96 SGG zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gewordenen Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 1979 unbegründet ist. Die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Entschädigung, da die bei ihm festgestellte Virushepatitis keine sogenannte "fakultative” Tropenkrankheit (§ 551 Abs. 1 RVO i.V.m. Nr. 44 der Anlage 1 zur 7. BKVO) ist und auch nicht nach § 551 Abs. 2 RVO wie eine BK entschädigt werden kann.
Der Senat hatte nicht mehr zu überprüfen, ob die Erkrankung des Klägers auf einem Arbeitsunfall oder einer Infektionskrankheit nach Nr. 37 der Anlage 1 zur 7. BKVO beruht und deswegen entschädigungsfähig ist. Einen solchen ursächlichen Zusammenhang hatte die Beklagte bereits früher mit dem Bescheid vom 27. März 1972 abgelehnt. Dieser ist insoweit nach der am 8. Mai 1974 vor dem SG (S-4/U-148/72) erklärten Klagerücknahme für die Beteiligten bindend geworden (§ 77 SGG), was das SG übersehen hat.
Dagegen durfte das SG in eine erneute sachliche Überprüfung unter dem von ihm gewählten Begriff der sogenannten "fakultativen” Tropenkrankheit eintreten. Es hat dazu zutreffend die am 1. Juli 1968 in Kraft getretene 7. BKVO herangezogen, da der Beginn der Erkrankung des Klägers an einer Virushepatitis nach diesem Zeitpunkt festzustellen ist (§ 551 Abs. 3 Satz 2 RVO), nämlich frühestens für das Jahr 1970, wie sich aus den ärztlichen Anzeigen über eine BK des Dr. W. und des Prof. Dr. M. sowie der Unternehmeranzeige ergibt.
Ferner ist erwiesen, daß der Kläger unter einer Virushepatitis-B leidet. Das haben mit überzeugenden Erwägungen die Sachverständigen Dres. K. und S. in dem im Berufungsverfahren erstatteten Gutachten unter Auswertung der erhobenen Vorbefunde, insbesondere unter Berücksichtigung der Antigenbestimmung in der Universitäts-Hautklinik und Poliklinik H., dem Allgemeinen Krankenhaus H. und dem St. M. F. dargelegt. Der Senat schließt sich dem nach eigener Überprüfung des Gutachtens der Dres. K. und S. an. Danach unterscheidet sich die Virushepatitis-B grundsätzlich von der Virushepatitis-A, bei der es sich um eine völlig andere Krankheit handelt, auch wenn bei beiden die Leber das erkrankte Organ ist. Während die Virushepatitis-A vorwiegend durch infizierte Lebensmittel und Trinkwasser sowie verschmutzten Stuhl und Urin übertragen wird, erfolgt die Übertragung bei der Virushepatitis-B durch direkte perkutane Inokulation von infektiösem Blut und Blutprodukten bei Transfusionen, Infusionen, Injektionen, durch Akupunktur, durch Tätowierungen, kleinen Hautverletzungen und bei zahnärztlicher Behandlung, durch die Aufnahme von Speichel, Sperma, Vaginalsekret, Menstrualblut bei intimem oder sexuellem Kontakt sowie durch den Kontakt mit infizierten Rasiermessern, Instrumenten für Maniküre und ärztliche Geräte. Die Übertragung durch blutsaugende Insekten ist bisher nicht bewiesen. Ohne jede Bedeutung für die Infektion mit Virushepatitis-B-Erregern sind Lebensmittel, Trinkwasser sowie die Verschmutzung mit Urin und Stuhl. Bereits aus diesen Übertragungsmechanismen heraus ist es nicht wahrscheinlich, d.h., überwiegende medizinische Gründe sprechen nicht dafür (BSG, SozR Nr. 20 zu § 542 RVO a.F.; Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 17 zu § 548 RVO mit weiteren zahlreichen Nachweisen), daß die Virushepatitis-B infolge der beruflichen Tätigkeit als Flugbegleiter erworben worden ist. Entgegen der Auffassung des SG handelt es sich bei dieser Erkrankung nicht um eine sogenannte – auch nur "fakultative” – Tropenkrankheit im Sinne von Nr. 44 der Anlage 1 zur 7. BKVO.
Tropenkrankheiten sind vorwiegend den Tropen und Subtropen eigentümliche Erkrankungen, die infolge der besonderen klimatischen und anderen Verhältnisse dort bevorzugt auftreten. Insoweit haben die Sachverständigen und als Tropenmediziner besonders kompetenten Dres. K. und Sch. nachgewiesen, daß es sich bei der Virushepatitis-B nicht um eine solche, besonders in den Tropen gehäuft auftretende Erkrankung handelt. Zu Unrecht hat insoweit das SG auf die Entscheidung des BSG vom 22. Oktober 1975 – 8 RU 54/75 – (in SozR 5676, Nr. 2 zur Nr. 44 der Anlage 1 der 7. BKVO) hingewiesen. In diesem Urteil hatte der 8. Senat des BSG darüber zu entscheiden, ob eine Virushepatitis-A (Hepatitis infectiosa) eine Tropenkrankheit sei oder nicht. Dagegen ist von dem BSG nicht entschieden worden, daß es sich bei der Virushepatitis-B um eine Tropenkrankheit handelt.
Es kann die Virushepatitis-B des Klägers aber auch nicht nach § 551 Abs. 2 RVO wie eine BK entschädigt werden. Nach dieser Bestimmung sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit wie eine BK entschädigen, auch wenn sie nicht in der aufgrund des § 551 Abs. 1 RVO erlassenen BKVO enthalten ist oder weil, was hier nicht in Betracht kommt, die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen. Es müssen nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die übrigen Voraussetzungen von Abs. 1 des § 551 RVO erfüllt sein (§ 551 Abs. 2 letzter Halbsatz RVO). Danach muß auch diese Krankheit durch besondere Einwirkungen verursacht sein, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat wiederholt angeschlossen hat (vgl. Hess. LSG, Urteil vom 25.01.1978 – L-3/U – 1023 und 1171/77; 10.10.1979 – L-3/U – 1397/78 –; 25.02.1980 – L-3/U – 1104/78), stellt § 551 Abs. 2 RVO nicht, wie etwa § 85 Bundesversorgungsgesetz (BVG) eine Härteklausel dar, nach der nur deshalb zu entschädigen wäre, weil die Nichtentschädigung für den Betroffenen eine individuelle Härte bedeutete. Lehnt der Verordnungsgeber nach, der erkennbaren Prüfung der medizinischwissenschaftlichen Erkenntnisse über eine Krankheit ihre Aufnahme in die BKVO ab, weil die Erkenntnisse noch nicht ausreichen, so sind diese nicht mehr neu im Sinne von § 551 Abs. 2 RVO (vgl. BSG, Urteil vom 20.03.1973 – 8/7 RU 11/70 – E 35, 267; 23.06.1977 – 2 RU 53/76 – und 2 RU 59/76; 29.09.1964 – 2 RU 30/64 – in E 21, 296; 22.11.1979 – 8a RU 66/79 –). Das ist hier der Fall. Auch nach dem Erlaß der BKVO vom 8. Dezember 1976 (BGBl. I S. 3329) ergibt sich, daß die Virushepatitis-B zu den Infektionskrankheiten und nicht zu den Tropenkrankheiten zählt. Dem tragen auch die vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Merkblätter zu den Nrn. 3101 und 3104 der BKVO vom 8. Dezember 1976 (= Nr. 37 und 44 der 7. BKVO) Rechnung. Die Virushepatitis ist darinnen nicht als Tropenkrankheit aufgeführt. Damit ist erwiesen, daß insoweit keine neuen medizinischwissenschaftlichen Erkenntnisse bestehen. Das steht in Einklang mit den Ausführungen der Sachverständigen Dres. K. und S., denen sich der Senat anschließt.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 193, 160 SGG.
II. Die Klagen gegen die Bescheide vom 25. Juni 1974 und 10. Januar 1979 werden abgewiesen.
III. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Entschädigung einer Virushepatitis als Berufskrankheit – BK –.
Unter dem 29. Dezember 1970 zeigte die D. L. AG – DLH an, daß der bei ihr seit April 1967 als Flugbegleiter tätige Klägerin unter einer Lebererkrankung leide; erste Beschwerden seien auf eine Fernostflug am 15. Juli 1970 in Bangkok aufgetreten. In der ärztlichen Anzeige über eine BK vom 27. Januar 1971 teilte der Internist Dr. med. W. (F.) mit, daß Arbeitsunfähigkeit seit dem 30. November 1970 bestehe. In einer weiteren Anzeige vom 27. Februar 1971 vertraten Prof. Dr. M. und Dr. B. (Tropeninstitut H.) die Auffassung, es handele sich um eine Tropenkrankheit im Sinne der Nr. 44 der Anlage 1 der 7. Berufskrankheiten-Verordnung – BKVO – vom 20. Juni 1968. Die Beklagte holte hierauf verschiedene gutachtliche Stellungnahmen von Prof. Dr. M. den Dres. J. und S. (Allgemeines Krankenhaus H.) und des Dr. R. (Tropenheim P.-Krankenhaus T.) vom 14. Dezember 1970, 4. März, 4. August, 7. September, 11. Oktober und 9. November 1971 ein, auf die verwiesen wird. Zuletzt äußerte Dr. R. die Auffassung, daß es völlig ungewiß sei, wann sich der Kläger seine Hepatitis-Erkrankung zugezogen habe. Mit Bescheid vom 27. März 1972 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung ab, da weder eine Infektionskrankheit im Sinne der Nr. 37 der Anlage 1 der 7. BKVO noch eine Tropenkrankheit nach Nr. 44 a.a.O. vorliege. Es sei auch kein Arbeitsunfall gegeben. In dem sich hieran anschließenden Rechtsstreit bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main (S-4/U – 148/72) erklärte der Kläger am 8. Mai 1974, daß der Entschädigungsanspruch ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der sogenannten "fakultativen Tropenkrankheit” verfolgt werde. Nachdem die Beklagte sich bereit erklärt hatte, insoweit in eine erneute sachliche Überprüfung einzutreten, nahm der Kläger die Klage gegen den Bescheid vom 27. März 1972 zurück.
Hierauf lehnte die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 25. Juni 1974 erneut die Gewährung einer Entschädigung ab, da keine Tropenkrankheit vorliege. Der Begriff der Tropenkrankheit gelte als medizinisch-wissenschaftlich geklärt. Darunter fiele nicht die Hepatitis. Auch nach § 551 Abs. 2 der Reichversicherungsordnung – RVO – könne unter dem Gesichtspunkt der fakultativen Tropenkrankheit keine Entschädigung gewährt werden, da über Tropenkrankheiten sowie die Hepatitis-Erkrankungen und ihre Epidemiologie seit dem Inkrafttreten der 7. BKVO keine neuen medizinischen Erkenntnisse bestünden.
Gegen diesen an ihn mit Einschreiben am 26. Juni 1974 abgesandten Bescheid hat der Kläger bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main – SG – am 18. Juli 1974 Klage erhoben. Nach dem von ihm vorgelegten Bericht des Prof. Dr. G. und des Dr. A. (St. M. F.) vom 24. Juni 1977, der von diesem unter dem 30. November 1977 bestätigt wurde, sei es wahrscheinlich, daß der Kläger früher eine akute Virushepatitis-B durchgemacht habe. Sodann verurteilte das SG die Beklagte am 7. Dezember 1977, dem Kläger die Hepatitis als BK nach den gesetzlichen Bestimmungen zu entschädigen. Zwar sei weder ein Arbeitsunfall nachweisbar noch gehöre der Kläger zum nach Nr. 37 der Anlage 1 der 7. BKVO geschützten Personenkreis. Die Beklagte sei aber in Anwendung der von dem 8. Senat des Bundessozialgerichts – BSG – im Urteil vom 22. Oktober 1975 (8 RU 54/75) aufgestellten Grundsätze zur Entschädigung verpflichtet; es handele sich um eine sogenannte fakultative Tropenkrankheit.
Gegen dieses ihr am 17. Januar 1978 zugestellte Urteil hat die Beklagte schriftlich bei dem Hessischen Landessozialgericht am 13. Februar 1978 Berufung eingelegt und zur Frage, ob die Virushepatitis-B wie eine BK entschädigt werden könne, den Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 1979 erteilt.
Es ist im Berufungsverfahren der Sachverhalt weiter aufgeklärt worden durch Beiziehung der Auskünfte der DLH vom 11. Januar 1979 und 7. Juni 1979 aus dem Parallelrechtsstreit D. gegen die Beklagte (L-3/U-1008/78) sowie die Einholung des tropenfachärztlichen und internistischen Gutachtens der Dres. K. und S. (Tropenheim P.-Krankenhaus T.) vom 30. Januar 1980. In diesem Gutachten vertreten die Sachverständigen die Auffassung, daß die bei dem Kläger vorliegende Virushepatitis-B weder eine BK nach Nr. 37 noch nach Nr. 44 der Anlage 1 der 7. BKVO (= Nrn. 3101 und 3104 der Anlage 1 der BKVO vom 8. Dezember 1976) darstelle. Die Virushepatitis-B (auch Serumhepatitis genannt) unterscheide sich von der Virushepatitis-A (auch Hepatitis infectiosa genannt) sowohl nach den Übertragungsmechanismen als auch nach dem gefährdeten Personenkreis. Sie werde in allen Ländern angetroffen und nicht durch die Aufnahme von verseuchten Wassers, von Lebensmitteln und die Verschmutzung mit Urin und Stuhl übertragen. Auch ergäben sich keine Anhaltspunkte für einen Arbeitsunfall. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die erteilten Auskünfte der DLH und das Gutachten der Dres. K. und S. mit dem beigefügten Befundbericht des Oberarztes Dr. med. D. (Allgemeines Krankenhaus H.) vom 16. Januar 1979 verwiesen.
Die Beklagte sieht sich durch das Gutachten der Sachverständigen Dres. K. und S. bestätigt und beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 7. Dezember 1977 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und auf die Klage den Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 1979 aufzuheben.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten sowie die Streitakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG–).
Die statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und daher zulässig (§§ 151, 143, 145 SGG).
Sie ist auch begründet. Das auf die zulässige Klage ergangene sozialgerichtliche Urteil mußte aufgehoben werden, da diese ebenso wie diejenige gegen den gemäß § 96 SGG zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gewordenen Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 1979 unbegründet ist. Die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Entschädigung, da die bei ihm festgestellte Virushepatitis keine sogenannte "fakultative” Tropenkrankheit (§ 551 Abs. 1 RVO i.V.m. Nr. 44 der Anlage 1 zur 7. BKVO) ist und auch nicht nach § 551 Abs. 2 RVO wie eine BK entschädigt werden kann.
Der Senat hatte nicht mehr zu überprüfen, ob die Erkrankung des Klägers auf einem Arbeitsunfall oder einer Infektionskrankheit nach Nr. 37 der Anlage 1 zur 7. BKVO beruht und deswegen entschädigungsfähig ist. Einen solchen ursächlichen Zusammenhang hatte die Beklagte bereits früher mit dem Bescheid vom 27. März 1972 abgelehnt. Dieser ist insoweit nach der am 8. Mai 1974 vor dem SG (S-4/U-148/72) erklärten Klagerücknahme für die Beteiligten bindend geworden (§ 77 SGG), was das SG übersehen hat.
Dagegen durfte das SG in eine erneute sachliche Überprüfung unter dem von ihm gewählten Begriff der sogenannten "fakultativen” Tropenkrankheit eintreten. Es hat dazu zutreffend die am 1. Juli 1968 in Kraft getretene 7. BKVO herangezogen, da der Beginn der Erkrankung des Klägers an einer Virushepatitis nach diesem Zeitpunkt festzustellen ist (§ 551 Abs. 3 Satz 2 RVO), nämlich frühestens für das Jahr 1970, wie sich aus den ärztlichen Anzeigen über eine BK des Dr. W. und des Prof. Dr. M. sowie der Unternehmeranzeige ergibt.
Ferner ist erwiesen, daß der Kläger unter einer Virushepatitis-B leidet. Das haben mit überzeugenden Erwägungen die Sachverständigen Dres. K. und S. in dem im Berufungsverfahren erstatteten Gutachten unter Auswertung der erhobenen Vorbefunde, insbesondere unter Berücksichtigung der Antigenbestimmung in der Universitäts-Hautklinik und Poliklinik H., dem Allgemeinen Krankenhaus H. und dem St. M. F. dargelegt. Der Senat schließt sich dem nach eigener Überprüfung des Gutachtens der Dres. K. und S. an. Danach unterscheidet sich die Virushepatitis-B grundsätzlich von der Virushepatitis-A, bei der es sich um eine völlig andere Krankheit handelt, auch wenn bei beiden die Leber das erkrankte Organ ist. Während die Virushepatitis-A vorwiegend durch infizierte Lebensmittel und Trinkwasser sowie verschmutzten Stuhl und Urin übertragen wird, erfolgt die Übertragung bei der Virushepatitis-B durch direkte perkutane Inokulation von infektiösem Blut und Blutprodukten bei Transfusionen, Infusionen, Injektionen, durch Akupunktur, durch Tätowierungen, kleinen Hautverletzungen und bei zahnärztlicher Behandlung, durch die Aufnahme von Speichel, Sperma, Vaginalsekret, Menstrualblut bei intimem oder sexuellem Kontakt sowie durch den Kontakt mit infizierten Rasiermessern, Instrumenten für Maniküre und ärztliche Geräte. Die Übertragung durch blutsaugende Insekten ist bisher nicht bewiesen. Ohne jede Bedeutung für die Infektion mit Virushepatitis-B-Erregern sind Lebensmittel, Trinkwasser sowie die Verschmutzung mit Urin und Stuhl. Bereits aus diesen Übertragungsmechanismen heraus ist es nicht wahrscheinlich, d.h., überwiegende medizinische Gründe sprechen nicht dafür (BSG, SozR Nr. 20 zu § 542 RVO a.F.; Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 17 zu § 548 RVO mit weiteren zahlreichen Nachweisen), daß die Virushepatitis-B infolge der beruflichen Tätigkeit als Flugbegleiter erworben worden ist. Entgegen der Auffassung des SG handelt es sich bei dieser Erkrankung nicht um eine sogenannte – auch nur "fakultative” – Tropenkrankheit im Sinne von Nr. 44 der Anlage 1 zur 7. BKVO.
Tropenkrankheiten sind vorwiegend den Tropen und Subtropen eigentümliche Erkrankungen, die infolge der besonderen klimatischen und anderen Verhältnisse dort bevorzugt auftreten. Insoweit haben die Sachverständigen und als Tropenmediziner besonders kompetenten Dres. K. und Sch. nachgewiesen, daß es sich bei der Virushepatitis-B nicht um eine solche, besonders in den Tropen gehäuft auftretende Erkrankung handelt. Zu Unrecht hat insoweit das SG auf die Entscheidung des BSG vom 22. Oktober 1975 – 8 RU 54/75 – (in SozR 5676, Nr. 2 zur Nr. 44 der Anlage 1 der 7. BKVO) hingewiesen. In diesem Urteil hatte der 8. Senat des BSG darüber zu entscheiden, ob eine Virushepatitis-A (Hepatitis infectiosa) eine Tropenkrankheit sei oder nicht. Dagegen ist von dem BSG nicht entschieden worden, daß es sich bei der Virushepatitis-B um eine Tropenkrankheit handelt.
Es kann die Virushepatitis-B des Klägers aber auch nicht nach § 551 Abs. 2 RVO wie eine BK entschädigt werden. Nach dieser Bestimmung sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit wie eine BK entschädigen, auch wenn sie nicht in der aufgrund des § 551 Abs. 1 RVO erlassenen BKVO enthalten ist oder weil, was hier nicht in Betracht kommt, die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen. Es müssen nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die übrigen Voraussetzungen von Abs. 1 des § 551 RVO erfüllt sein (§ 551 Abs. 2 letzter Halbsatz RVO). Danach muß auch diese Krankheit durch besondere Einwirkungen verursacht sein, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat wiederholt angeschlossen hat (vgl. Hess. LSG, Urteil vom 25.01.1978 – L-3/U – 1023 und 1171/77; 10.10.1979 – L-3/U – 1397/78 –; 25.02.1980 – L-3/U – 1104/78), stellt § 551 Abs. 2 RVO nicht, wie etwa § 85 Bundesversorgungsgesetz (BVG) eine Härteklausel dar, nach der nur deshalb zu entschädigen wäre, weil die Nichtentschädigung für den Betroffenen eine individuelle Härte bedeutete. Lehnt der Verordnungsgeber nach, der erkennbaren Prüfung der medizinischwissenschaftlichen Erkenntnisse über eine Krankheit ihre Aufnahme in die BKVO ab, weil die Erkenntnisse noch nicht ausreichen, so sind diese nicht mehr neu im Sinne von § 551 Abs. 2 RVO (vgl. BSG, Urteil vom 20.03.1973 – 8/7 RU 11/70 – E 35, 267; 23.06.1977 – 2 RU 53/76 – und 2 RU 59/76; 29.09.1964 – 2 RU 30/64 – in E 21, 296; 22.11.1979 – 8a RU 66/79 –). Das ist hier der Fall. Auch nach dem Erlaß der BKVO vom 8. Dezember 1976 (BGBl. I S. 3329) ergibt sich, daß die Virushepatitis-B zu den Infektionskrankheiten und nicht zu den Tropenkrankheiten zählt. Dem tragen auch die vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Merkblätter zu den Nrn. 3101 und 3104 der BKVO vom 8. Dezember 1976 (= Nr. 37 und 44 der 7. BKVO) Rechnung. Die Virushepatitis ist darinnen nicht als Tropenkrankheit aufgeführt. Damit ist erwiesen, daß insoweit keine neuen medizinischwissenschaftlichen Erkenntnisse bestehen. Das steht in Einklang mit den Ausführungen der Sachverständigen Dres. K. und S., denen sich der Senat anschließt.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 193, 160 SGG.
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