L 7 AL 1160/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AL 1883/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AL 1160/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Fiktives Arbeitsentgelt; Qualifikationsgruppe
Die für die Einstufung in die Qualifikationsgruppen des § 132 Abs. 2 SGB III maßgeblichen Beschäftigungen, auf die sich die Vermittlungsbemühungen ""in erster Linie"" zu erstrecken haben, sind solche, mit denen der Arbeitslose bestmöglich wieder in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden kann. Vorrangig maßgeblich sind die aus § 35 Abs. 2 Satz 2 SGB III zu entnehmenden persönlichen Vermittlungskriterien Eignung und Leistungsfähigkeit des Arbeitsuchenden sowie die Anforderungen der angebotenen Stellen. Die hierbei von der Arbeitsverwaltung zu treffende Prognoseentscheidung ist im gerichtlichen Verfahren voll überprüfbar.
Die Tatsache, dass jemand mehrere Jahre nicht in der Branche tätig war, für die seine Qualifikation besteht, führt nicht automatisch zu einer Entqualifizierung.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 25. Januar 2007 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 27. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Mai 2006 verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld ab 15. Mai 2006 unter Zugrundelegung eines Bemessungsentgelts nach der Qualifikationsgruppe 1 zu gewähren.

Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt höheres Arbeitslosengeld (Alg) unter Einstufung in Qualifikationsgruppe 1.

Der 1959 geborene Kläger ist Diplom-Agraringenieur und Wirtschaftsingenieur. Von April bis September 1985 war er abhängig beschäftigt im Projektmanagement, ab Dezember 1986 durchlief er eine dreizehnmonatige Qualifikation beim C.D.I. Stuttgart als EDV-Fachmann. Von Mai 1988 bis März 1993 war der Kläger als Projektingenieur abhängig beschäftigt, ab September 1995 führte er eine Nebenerwerbslandwirtschaft, welche im Jahr 2004 auf seine Frau überschrieben wurde. Von Juni 1996 bis März 1999 war der Kläger zudem 14 Stunden im Monat als Umweltberater bei der A. -Umweltberatung tätig, von 1996 bis 2000 arbeitete er selbstständig als Software-Entwickler (freier Mitarbeiter bei der A. SEL AG ). Diese Tätigkeit gab er wegen Auftragsmangel auf. Von Januar bis Mai 2001 bezog der Kläger Alg und widmete sich anschließend der Erziehung seiner am 9. April 2000 und 23. Februar 2003 geborenen Kinder.

Am 13. Februar 2006 meldete sich der Kläger mit Wirkung zum 15. Mai 2006 arbeitslos. Mit Bescheid vom 27. Februar 2006 bewilligte die Beklagte dem Kläger vorläufig Alg ab 15. Mai 2006 für eine Anspruchsdauer von 360 Kalendertagen in Höhe von 30,87 EUR täglich (Bemessungsentgelt 58,63 EUR, Arbeitsentgelt 81,67 EUR). Ergänzend führte die Beklagte aus, das Bemessungsentgelt vermindere sich entsprechend dem Verhältnis der wöchentlichen Arbeitsstunden, die der Kläger tatsächlich leisten könne (28 Stunden) zu den Arbeitsstunden, die dem im Bemessungszeitraum erzielten Entgelt durchschnittlich zugrunde gelegen hätten (39 Stunden). Mit Änderungsbescheid vom 10. März 2006 setzte die Beklagte die Bewilligung in gleicher Höhe endgültig fest.

Am 8. März 2006 erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend, die Beklagte habe ihn offensichtlich einer falschen Berufsklasse zugeordnet, das tägliche Arbeitsentgelt von 81,67 EUR entspreche dem fiktiven Entgelt der Qualifikationsgruppe 2. Er habe zwei erfolgreich abgeschlossene Hochschulausbildungen, seine bisherigen Beschäftigungen hätten immer eine Hochschulausbildung erfordert, auch für die Zusatzausbildungen sei für die Teilnahme seitens des Bildungsträgers ein Hochschulstudium vorausgesetzt worden. Er suche auch jetzt eine Beschäftigung, die einen Hochschulabschluss erfordere. Außerdem habe die Beklagte als wöchentliche Arbeitszeit nur 28 Stunden anerkannt, er habe jedoch erklärt, eingeschränkt durch die Kinderbetreuung 33 Stunden arbeiten zu können.

Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte eine dienstliche Stellungnahme der zuständigen Arbeitsvermittlerin ein. In ihrer Stellungnahme führte diese zusammenfassend aus, die Vermittlungsbemühungen richteten sich auf eine Tätigkeit als Software-Entwickler/EDV-Fachmann. Wegen der familiär bedingten Verteilung der Arbeitszeit/Einschränkung auf Teilzeit und der Ortsgebundenheit kämen für den Kläger nur Arbeitsangebote im Tagespendelbereich in Frage. Eine Vermittlung als Software-Entwickler auf Diplom-Ingenieur-Niveau sei nicht realistisch, da eine Tätigkeit auf dieser Ebene eine bundesweite Mobilität erfordere, ferner seien die Fachkenntnisse nach einer fünfjährigen Elternzeit nicht mehr aktuell. Die Vermittlungsbemühungen richteten sich nach der Qualifikationsstufe G (Kräfte mit Fachschulniveau), was der Qualifikationsgruppe 2 entspreche. Mit Abhilfebescheid vom 8. Mai 2006 änderte die Beklagte den angefochtenen Bescheid insoweit ab, als der Bemessung des Alg eine wöchentliche Arbeitsbereitschaft von 33 Stunden zugrunde gelegt wurde. Im Übrigen wies die den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2006 zurück und führte aus, dass sich die Vermittlungsbemühungen in erster Linie nur auf eine Tätigkeit im Tagespendelbereich und nur auf Tätigkeiten mit Fachschulniveau erstreckten, wofür § 132 SGB III die Qualifikationsgruppe 2 vorsehe.

Hiergegen richtet sich die am 19. Mai 2006 zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhobene Klage. Zur Begründung verweist der Kläger erneut darauf, dass sowohl für die in der Vergangenheit ausgeübten abhängigen Beschäftigungen als auch für die selbstständige Tätigkeit ein Hochschulabschluss erforderlich gewesen sei. Trotz der bestehenden Einschränkungen in räumlicher und zeitlicher Hinsicht komme er weiterhin für Tätigkeiten, die eine Hochschulausbildung voraussetzten, in Betracht. Im Mai 2006 sei eine Eingliederungsvereinbarung geschlossen worden mit der Zielsetzung: Arbeitsstelle als Wirtschaftsingenieur mit Schwerpunkt Software-Entwicklung, damit Qualifikationsgruppe 1.

Mit Urteil vom 25. Januar 2007 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die von der Beklagten vorgenommene Zuordnung in Qualifikationsgruppe 2 sei unter Berücksichtigung des beruflichen Werdegangs de Klägers und der von ihm bei Arbeitslosmeldung angegebenen Einschränkungen der möglichen Arbeitszeit (33 Stunden wöchentlich, zwei Tage Vollzeit und drei Tage Teilzeit) nicht zu beanstanden. Allein der Umstand, dass der Kläger im Jahr 1984 einen Hochschulabschluss als Dipl.-Agraringenieur und im Jahr 1992 einen Hochschulabschluss als Wirtschaftsingenieur erlangt habe, führe nicht dazu, dass die Beklagte bei der Arbeitslosmeldung im Jahr 2006 ihre Vermittlungsbemühungen auf diese berufliche Qualifikation richten müsse. Die Qualifikation auf Hochschulniveau habe zum Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung im Jahr 2006 bereits mehr als zehn Jahre zurückgelegen. Die letzte abhängige Beschäftigung des Klägers in Vollzeit basierend auf einer Hochschulausbildung habe im März 1993 geendet. Anschließend sei der Kläger zum Teil arbeitslos und selbstständiger Nebenerwerbslandwirt bzw. zuletzt bis 31. Dezember 2000 selbstständig als Software-Entwickler und EDV-Fachmann tätig gewesen, die selbstständige Tätigkeit habe er wegen Erfolglosigkeit aufgeben müssen. Eine wesentliche berufliche Weiterqualifizierung habe der Kläger insbesondere in dem sich schnell entwickelnden Softwarebereich bis zum Zeitpunkt seiner Arbeitslosmeldung im Jahr 2006 nicht erzielt. Da auch nur Angebote im Tagespendelbereich in Frage kämen, sei die Einschätzung der Beklagten nicht zu beanstanden, dass eine Vermittlung als Software-Entwickler auf Ingenieurniveau nicht realistisch sei, da diese eine bundesweite Mobilität erfordere.

Gegen das ihm am 15. Februar 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5. März 2007 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Er beruft sich nochmals darauf, dass er bis 31. Dezember 2000 bei der A. SEL AG in Stuttgart als freiberuflicher Ingenieur in der Softwareentwicklung gearbeitet habe. Sein vereinbartes Jahresnettohonorar im Jahr 2000 habe 148.800,00 DM betragen. Obwohl er auch von April 1993 bis Oktober 1996 dreieinhalb Jahre lang nicht in der Softwareentwicklung tätig gewesen sei, sei er von Beginn seiner Tätigkeit für die A. SEL AG so leistungsfähig gewesen wie die übrigen in der Abteilung beschäftigten diplomierten und promovierten Akademiker, andernfalls wären ihm bis Ende 2000 nicht mehrere Folgeaufträge angeboten worden. Auf Drängen der Beklagten habe er ursprünglich an einer in Heilbronn stattfindenden Maßnahme zum Microsoft Certified Application Developer (MCAD) teilnehmen sollen; da diese Zertifizierung unter seinem Niveau gelegen habe, habe er der Beklagten stattdessen eine Zertifizierung zum Microsoft Certified Solution Developer (MCSD) in Heidelberg vorgeschlagen. Die Beklagte habe eine Zertifizierung zum MCAD bewilligt, die Zertifizierung zum MCSD aber abgelehnt. Aufgrund seiner aktuellen Fachkenntnisse habe der Kläger in fast der gleichen Zeit die auf der MCAD-Zertifizierung aufbauende MCSD-Zertifizierung abgeschlossen. Außer dem vorzeigbaren Zertifikat habe er aus der Maßnahme hinsichtlich seines Wissens keinen zusätzlichen Nutzen ziehen können. Die am 1. Juni 2006 bei der G. T. GmbH in Heidelberg abgelegte Eingangsprüfung habe er trotz mehrjähriger Elternzeit mit sehr gutem Erfolg bestanden, ebenso die Zertifizierung zum MCSD, welche laut Microsoft die Premium-Zertifizierung für leitende Software-Ingenieure sei, in deutlich weniger als der veranschlagten Regelzeit mit hervorragendem Ergebnis (95% der Maximalpunktzahl) abgeschlossen. Dies widerlege die von der Beklagten angeführte Vermutung, die Fachkenntnisse seien zum Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung nicht mehr aktuell gewesen. Die Beklagte habe bis zum Ende der Arbeitslosigkeit am 22. April 2007 keinen einzigen Vermittlungsvorschlag als Softwareentwickler auf Fachschulniveau unterbreiten können. Dies sei nicht weiter verwunderlich, da es solche Stellen praktisch nicht gebe. Für Softwareentwickler werde, wie ein Blick auf einschlägige Stellenangebote beweise, in der Regel ein Hochschul- oder Fachhochschulstudium vorausgesetzt. Eine Einschränkung, die die Qualifikationsgruppe 1 bei zeitlicher oder räumlicher Beschränkung ausschließe, finde sich weder in § 132 SGB III noch an anderer Stelle im Gesetz. Es könne nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, Personen mit Hochschul- oder Fachhochschulausbildung, die nicht bundesweit mobil seien und keine Vollzeitstelle anstrebten, von der Qualifikationsgruppe 1 auszuschließen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 25. Januar 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 27. Februar 2006, abgeändert durch Bescheide vom 10. März 2006 und 8. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Mai 2006 zu verurteilen, dem Kläger Arbeitslosengeld ab 15. Mai 2006 unter Zugrundelegung eines Bemessungsentgelts nach der Qualifikationsgruppe 1 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus, dass sich nach § 132 Abs. 1 SGB III das Arbeitsentgelt, das bei der Bemessung zugrunde zu legen sei, nicht unbedingt nach dem Beruf, den der Arbeitslose bisher ausgeübt habe, richte, sondern nach der beruflichen Qualifikation, die für die Beschäftigung erforderlich sei und auf die die Agentur für Arbeit ihre Vermittlungsbemühungen in erster Linie zu erstrecken habe. Hierbei sei festzustellen, für welche Beschäftigung der Arbeitslose nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit unter angemessener Berücksichtigung seines Berufs und seiner Ausbildung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarkts in Betracht komme. Hier sei zutreffend festgestellt worden, dass der Kläger, der bei Anspruchsentstehung bereits seit fünf Jahren aus dem Berufsleben in dem schnelllebigen Bereich der Softwareentwicklung ausgeschieden gewesen sei, nicht mehr über aktuelle Fachkenntnisse verfügt habe. Dass er später eine von der Beklagten getragene Eingangsprüfung im Juni 2006 mit guten Noten abgeschlossen habe, helfe nicht darüber hinweg, dass er mit dem Wissen anderer in der Software-Entwicklung Beschäftigter nach fünfjähriger Abstinenz aus dem Berufsleben nicht mehr konkurrieren könne. Dass er das nötige Know-how erlernen musste, habe sich daran gezeigt, dass er an einer von der Beklagten finanzierten Fortbildungsmaßnahme teilgenommen habe. Ebenso sei bei der Zuordnung zu berücksichtigen, ob der Arbeitslose bundesweit vermittelbar sei. Bei unbeschränkter Ausgleichsfähigkeit seien alle Beschäftigungen berücksichtigungsfähig, die ein nicht ortsgebundener Arbeitsloser auf dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt ausüben könne. Dies sei bei dem Kläger nicht der Fall. Auch die Tatsache, dass die Einteilung der Arbeitszeit des Klägers aus familiären Gründen auf Teilzeit beschränkt sei, was in der Software-Branche durchaus nicht marktüblich sei, sei in diesem Zusammenhang bei der Zuordnung zur Qualifikationsstufe zu berücksichtigen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Leistungsakte der Beklagten, die Klageakten des SG und die Berufungsakten des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat Erfolg.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist unter Beachtung des § 151 Abs. 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil der Wert des Beschwerdegegenstands mehr als 500,00 EUR beträgt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die Berufung des Klägers ist auch begründet, er hat Anspruch auf Gewährung von Alg unter Zugrundelegung eines Bemessungsentgelts nach der Qualifikationsgruppe 1.

Der Kläger hat gemäß § 118 Abs. 1 SGB III unstreitig Anspruch auf Alg, denn er ist arbeitslos i.S.v. § 119 SGB III, hat sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet (§ 122 SGB III) und erfüllt die Anwartschaftszeit (§ 123 Satz 1 i.V.m. § 26 Abs. 2a SGB III).

Das Alg beträgt nach § 129 SGB III für Arbeitslose, die mindestens ein Kind haben, 67 Prozent des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Der Bemessungszeitraum umfasst nach § 130 Abs. 1 SGB III (in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 71 des Gesetzes vom 23. Dezember 2003, BGBl. I S. 2848) die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigung im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr, er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses (§ 120 Abs. 1 Satz 2 SGB III). Nach § 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III wird der Bemessungsrahmen auf zwei Jahre erweitert, wenn der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt erhält. Kann ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden, ist als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen (§ 132 Abs. 1 SGB III).

Maßgebendes Versicherungspflichtverhältnis gemäß § 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III ist unter Heranziehung der Begriffsbestimmung in § 24 Abs. 1 SGB III die Zeit der Erziehung eines Kindes, das das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Denn nach dieser Vorschrift stehen in einem Versicherungspflichtverhältnis nicht nur Personen, die versicherungspflichtig beschäftigt i.S.v. § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III sind, sondern auch Personen, die aus sonstigen Gründen gemäß § 26 SGB III, hier Abs. 2a, versicherungspflichtig sind (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. September 2006 - L 8 AL 3082/06 - (juris)). Der Endzeitpunkt für die Rückrechnung des einjährigen Bemessungsrahmens ist daher der 22. Februar 2006, da nach diesem Zeitpunkt das jüngste Kind des Klägers das dritte Lebensjahr vollendet hatte und damit die Versicherungspflicht endete. Weder im Bemessungsrahmen vom 23. Februar 2005 bis 22. Februar 2006 noch im erweiterten Bemessungsrahmen gemäß § 130 Abs. 3 Nr. 1 SGB III sind Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt vorhanden, so dass nach § 132 Abs. 1 SGB III als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen ist.

Für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts ist der Arbeitslose der Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen Qualifikation entspricht, die für die Beschäftigung erforderlich ist, auf die die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat. Dabei ist zugrunde zu legen für Beschäftigungen, die eine Hochschul- oder Fachhochschulausbildung erfordern (Qualifikationsgruppe 1) ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Dreihundertstel der Bezugsgröße und für Beschäftigungen, die einen Fachschulabschluss, den Nachweis über eine abgeschlossene Qualifikation als Meister oder einen Abschluss in einer vergleichbaren Einrichtung erfordern (Qualifikationsgruppe 2) ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Dreihundertsechzigstel der Bezugsgröße (§ 132 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 und 2 SGB III). Bei einer Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens reduziert sich das Bemessungsentgelt nach § 132 SGB III ausgehend von der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit, die bei Entstehung des Anspruchs für Angestellte im öffentlichen Dienst des Bundes gilt (§ 131 Abs. 5 Satz 3 SGB III). Die von der Beklagten insoweit vorgenommene Anpassung des Bemessungsentgelts auf eine Arbeitsbereitschaft von 33 Stunden im Verhältnis zu 39 Stunden ist daher nicht zu beanstanden und wird vom Kläger auch nicht angegriffen.

Unzutreffend ist jedoch die Einstufung des Klägers in Qualifikationsgruppe 2. Bei der Frage, auf welche Beschäftigung die Beklagte ihre Vermittlungsbemühungen in erster Linie zu erstrecken hat, ist zu berücksichtigen, dass § 132 SGB III im Gegensatz zu der Vorgängerregelung in § 112 Abs. 7 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) keine Vermittlungskriterien benennt, welche bei der Vermittlung zwingend zu berücksichtigen wären (Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III, Stand Juni 2007, § 132 Rdnr. 31). Die maßgeblichen Gesichtspunkte sind daher in erster Linie den gesetzlichen Regelungen zur Arbeitsvermittlung in den §§ 35 ff. SGB III und den Gesetzesmaterialien zu entnehmen und nicht nach den Kriterien des § 112 Abs. 7 AFG (Lebensalter, Leistungsfähigkeit, billige Berücksichtigung des Berufs und der Ausbildung, Lage und Entwicklung des Arbeitsmarkts) zu bestimmen (Behrend, a.a.O., § 132 Rdnr. 31). Der Gesetzgeber hat die Suche nach der maßgeblichen Beschäftigung für die fiktive Bemessung auf die Tätigkeiten eingeschränkt, auf die sich die Vermittlungsbemühungen "in erster Linie" zu erstrecken haben, so dass nicht die Gesamtbreite der dem Arbeitslosen möglichen Beschäftigungen heranzuziehen ist, sondern die Tätigkeiten relevant sind, mit denen der Arbeitslose bestmöglich wieder in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden kann (BSG, Urteil vom 6. September 2006 – B 7a AL 66/05 R - (juris)). Kommen mehrere Beschäftigungen in Betracht, richtet sich die fiktive Bemessung nach derjenigen, welche die höchste berufliche Qualifikation erfordert und daher mit der für den Arbeitslosen günstigsten Qualifikationsgruppe verbunden ist (zum Günstigkeitsprinzip bei den Vorgängerregelungen § 200 Abs. 2 Satz 1 SGB III a.F. und § 112 Abs. 7 AFG vgl. BSG, Urteil vom 23. November 1988 – 7 RAr 6/87SozR 4100 § 112 Nr. 42 S. 200; Urteil vom 21. Oktober 2003 – B 7 AL 4/03 RSozR 4-4300 § 200 Nr. 1 S. 5). Die aus § 35 Abs. 2 Satz 2 SGB III zu entnehmenden personenbezogenen Vermittlungskriterien sind Neigung, Eignung und Leistungsfähigkeit des Arbeitsuchenden sowie die Anforderungen der angebotenen Stellen (BSG, Urteil vom 5. September 2006, a.a.O.). Nach der Gesetzesbegründung soll auch das in Betracht kommende Arbeitsangebot berücksichtigt werden (Behrend, a.a.O., § 132 Rdnr. 9). Die Gesetzesmaterialien zur ähnlichen Vorgängerregelung in § 133 Abs. 4 SGB III a.F. enthalten den Hinweis, dass sich das Bemessungsentgelt nach dem Arbeitsentgelt richtet, welches der Arbeitslose bei erfolgreicher Vermittlung voraussichtlich erzielen könnte (BT-Drucks. 13/4941 S. 178). Die möglichen Beschäftigungen müssen in nennenswertem Umfang auf dem Arbeitsmarkt vorhanden, wenn auch nicht offen sein, so dass eine Vermittlung grundsätzlich möglich erscheint (vgl. BSG, Urteil vom 5. August 1999 – B 7 AL 6/99 RSozR 3-4100 § 136 Nr. 9 S. 46; Behrend, a.a.O., § 132 Rdnr. 35). Es handelt sich insoweit um eine Prognoseentscheidung der Arbeitsverwaltung (BSG, Urteil vom 9. November 1989 – 11/7 RAr 63/87 - (juris)), welche im gerichtlichen Verfahren als Feststellung einer hypothetischen Tatsache voll überprüfbar ist (BSG, Urteil vom 7. April 1987 – 11b RAr 7/86SozR 4100 § 44 Nr. 47).

Angesichts der Qualifikation des Klägers und seiner zuletzt selbstständig ausgeübten Tätigkeit als Software-Entwickler/EDV-Fachmann sind die Vermittlungsbemühungen der Beklagten in erster Linie auf eine Tätigkeit als Wirtschaftsingenieur mit Schwerpunkt Software-Entwicklung zu erstrecken. Dies entspricht der Einschätzung der Beklagten, wie sich aus der mit dem Kläger am 16. Mai 2006 geschlossenen Eingliederungsvereinbarung ergibt. Dort wird als Zielsetzung genannt: Arbeitsstelle im Bereich Wirtschaftsingenieur mit Schwerpunkt Software-Entwicklung. Bei dieser Tätigkeit handelt es sich um eine solche, die regelmäßig einen Hochschulabschluss voraussetzt. Die Tatsache, dass der Kläger wegen Erziehung seiner Kinder zuletzt im Dezember 2000 in diesem Bereich gearbeitet hat, somit zum Zeitpunkt der erneuten Arbeitslosigkeit ungefähr fünfeinhalb Jahre nicht in der Branche tätig war, führt zu keiner anderen Beurteilung. Zum einen führt eine längere Abwesenheit vom Beruf nicht automatisch zu einer Entqualifizierung; Grundqualifikationen wie Zuverlässigkeit, Kreativität oder Organisationstalent werden durch Kindererziehungszeiten nicht gemindert, sondern zusätzlich trainiert (Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, Stand Mai 2007, § 132 Rdnr. 10). Gerade im Rahmen einer Hochschulausbildung steht zudem nicht die Vermittlung konkreten – ggf. relativ schnell überholten - Fachwissens im Vordergrund, sondern das Erarbeiten von Strukturen und Fähigkeiten, in der entsprechenden Materie selbstständig zu arbeiten. Hinzu kommt, dass für den Senat nicht ersichtlich ist, dass es im Softwarebereich in den letzten fünf bis sechs Jahren zu einer derart rasanten Entwicklung im Sinne einer technischen Revolution gekommen wäre, die so neuartige Entwicklungen gebracht hätte, dass ein Arbeiten mit einem davor liegenden Kenntnisstand tatsächlich nicht mehr möglich wäre. Die Beklagte hat hierzu substantiiert auch nichts vorgetragen. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat weiter ausgeführt hat, hat er sich während seiner Elternzeit über Fachzeitschriften auf dem Laufenden gehalten; er habe in dieser Zeit ca. 1.400,00 EUR für Fachliteratur ausgegeben, ein Seminar in Stuttgart und eine kürzere Fortbildung besucht. Der Senat sieht daher nach alledem keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger aufgrund seiner persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr in der Lage gewesen wäre, die auch zuvor ausgeübte Tätigkeit weiterhin auf dem Niveau einer Hochschulausbildung auszuüben. Vermittlungshindernisse wie etwa eine längere Unterbrechung der Berufstätigkeit, die keine Minderung des Entgelts nach § 131 Abs. 5 SGB III rechtfertigen, sind nur für die Frage der Verfügbarkeit zu berücksichtigen. Ist – wie hier – die Marktüblichkeit einer Beschäftigung gemäß § 119 SGB III bejaht worden, haben derartige Umstände auf die Leistungshöhe keinen Einfluss (Valgolio a.a.O., § 132 Rdnr. 10).

Schließlich ergibt sich auch keine relevante Einschränkung für eine Vermittlung in Tätigkeiten der Qualifikationsgruppe 1 dadurch, dass der Kläger nur bereit ist, Tätigkeiten im Tagespendelbereich aufzunehmen. Nach § 121 Abs. 4 SGB III ist einem Arbeitslosen eine Beschäftigung aus personenbezogenen Gründen nicht zumutbar, wenn die täglichen Pendelzeiten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte im Verhältnis zur Arbeitszeit unverhältnismäßig lang sind; bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden liegt die Grenze bei Pendelzeiten mit einer Dauer von insgesamt mehr als zweieinhalb Stunden (Satz 2). Dies bedeutet, dass zu Beginn der Arbeitslosigkeit und damit dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Feststellung des nach § 132 Abs. 2 SGB III zu ermittelnden fiktiven Entgelts (vgl. BSG, Urteil vom 23. November 1988, a.a.O., S. 198) von dem Arbeitslosen nicht verlangt werden kann, bundesweit Stellen anzunehmen; ganz abgesehen davon, dass dem Kläger wegen seiner familiären Bindungen auch ab dem vierten Monat der Arbeitslosigkeit ein Umzug zur Aufnahme einer Beschäftigung außerhalb des Pendelbereichs nicht zumutbar war (§ 121 Abs. 4 Sätze 4 bis 7 SGB III). Bezogen auf die Ermittlung des fiktiven Bemessungsentgelts wird daher im Wege einer generalisierenden Betrachtung teilweise die Auffassung vertreten, dass Tätigkeiten des gesamten bundesdeutschen Arbeitsmarkts zu berücksichtigen seien (Behrend, a.a.O., § 132 Rdnr. 34 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 23. November 1988, a.a.O.). Ob dieser Auffassung zu folgen ist, kann hier offen bleiben, denn selbst wenn auf die konkrete regionale Situation des Klägers abzustellen wäre, spräche nichts dafür, dass es in diesem Bereich keine Stellen für Software-Entwickler auf Hochschul- bzw. Fachhochschulebene gäbe. Der Wohnort des Klägers H. liegt 27 km von Heilbronn entfernt, 67 km von Stuttgart, 87 km von Heidelberg und 99 km von Mannheim; alle diese Städte sind mit dem Auto in weniger als 1:15 Stunden erreichbar (Angaben laut Routenplaner) und liegen somit innerhalb des Pendelbereichs. Damit stehen dem Kläger die Regionen Stuttgart und Rhein-Neckar offen. Nach Informationen des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg gehört dieses Bundesland neben Nordrhein-Westfalen und Bayern zu den führenden Informationstechnologie-Standorten in Deutschland, wobei in Baden-Württemberg die Dienstleistungssparte (Software und Datenverarbeitung) überdurchschnittlich stark ist, während bei den anderen beiden Bundesländern der Schwerpunkt in der Medienwirtschaft liegt. Innerhalb Baden-Württembergs zeigt sich eine starke Konzentration des Informationssektors in der Region Stuttgart (40% des Gesamtumsatzes der Branche), weitere bedeutende Standorte sind die Regionen Rhein-Neckar, Mittlerer und Südlicher Oberrhein (Pressemitteilung Statistisches Landesamt Baden-Württemberg vom 14. Februar 2007 - Nr. 052). Angesichts dessen ist nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht substantiiert dargelegt, aus welchem Grund eine Vermittlung in eine hochqualifizierte Stelle im Bereich der Software-Entwicklung konkret nur im Falle einer bundesweiten Vermittlung realistisch sein sollte.

Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass die Einschränkung der Vermittlung auf eine Teilzeitbeschäftigung nur dazu führt, dass das Bemessungsentgelt nach § 131 Abs. 5 SGB III entsprechend gemindert wird. Durch diese konkrete gesetzliche Regelung der Rechtsfolgen einer zeitlichen Einschränkung der Arbeitsbereitschaft verbietet es sich, weitergehende Kürzungen vorzunehmen. Insbesondere sieht das Gesetz nicht vor, wegen Teilzeitbeschäftigung eine niedrigere Qualifikationsgruppe heranzuziehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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