L 9 R 2157/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 1374/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 2157/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. März 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Witwenrente.

Die 1959 geborene Klägerin heiratete am 17. Juni 1998 den 1959 geborenen Versicherten der Beklagten J. B. (im Folgenden: Versicherter). Durch Urteil des Familiengerichts Böblingen (15 F 776/02) vom 17. Oktober 2002, rechtskräftig ab 26. November 2002, wurde die Ehe geschieden.

Am 24. Januar 2003 wurde bei dem Versicherten erstmals die Diagnose eines malignen extragonadalen Keimzelltumors (Hodenkarzinoms) gestellt. Die CT-Untersuchung im März 2003 ergab den Befund eines mediastinalen (d.h. im Gebiet des Brustraumes befindlichen) Tumors. Nach Durchführung von drei Zyklen Chemotherapie und Stammzelltransplantation wurde bei unbefriedigendem Ansprechen der Chemotherapien in den Dr. -H.-S.-Kliniken GmbH, W., am 13.06.2003 im Rahmen einer explorativen Thorakotomie ein Keil des rechten Lungenoberlappens sowie eine Probeexzision der Pleura parietalis rechtsseitig entnommen. Intraoperativ zeigte sich die Infiltration der Luftröhre mit deutlicher Tumorummauerung und Invasion sowie eine tumoröse Infiltration der großen Gefäße des Mediastinums. Aufgrund dieses Befundes konnte die geplante komplette Tumorresektion nicht erfolgen. Postoperativ wurde das fortgeschrittene Tumorwachstum mediastinal mit dem Versicherten besprochen und dargestellt, dass der Tumor zum damaligen Zeitpunkt nicht kurativ entfernt werden könne (Bericht des PD Dr. S., des Ltd. OA. Trainer und des Assistensarztes D.). Am 13.08.2003 ergab eine erneute CT-Untersuchung des Thorax eine ausgeprägte Progredienz der mediastinalen Raumforderung, eine deutliche Kompression der rechtsseitigen venösen Strukturen und eine Verlagerung der Trachea (Luftröhre) und des Ösophagus (Speiseröhre) nach links mit deutlich zunehmenden Impressionen der Trachealwand von dorsal sowie deutlicher Einengung des rechtsseitigen Hauptbronchus mit zusätzlich ausgeprägten Kompressionen der sich nur noch schlitzförmig darstellenden Vena cava superior. Bei drohender oberer Einfluss-Stauung wurde palliativ/prophylaktisch die Indikation zur Bestrahlung gesehen und diese auch durchgeführt (Bericht vom 09.10.2003 der OÄ W. und der Assistenzärztin Dr. Dr. M., Klinik für Radioonkologie des Universitätsklinikums T.).

Im sozialmedizinischen Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Baden-Württemberg vom 22.08.2003 (OMR Dr. S.) wird ausgeführt, hausärztlicherseits werde über weitere palliative Chemotherapie, gegebenenfalls Radiatio, bei derzeitiger Inoperabilität berichtet. Vermerkt wurden bisher fehlendes Ansprechen auf die Tumortherapie und eine schlechte Prognose.

Von Oktober 2003 bis Februar 2004 erfolgte im Universitätsklinikum T. eine palliative Chemotherapie. Die CT-Untersuchung im Februar 2004 erbrachte den Befund einer neu aufgetretenen Filialisierung pulmonal, hepatisch und renal sowie mediastinal eine Stabilisierung der Erkrankung bei bekannter ossärer Metastasierung. Die erneuten CT-Untersuchungen vom März 2004 zeigten einen deutlichen Progress der Erkrankung (massiv hepatisch, Nebennieren, Nieren). Als neuer Befund wurde eine Kleinhirnmetastase festgestellt. Diese neu aufgetretene Situation wurde dem Versicherten von den behandelnden Ärzten des Universitätsklinikums T. am 25.03.2004 erläutert. Ferner wurde ihm eine palliative Chemotherapie empfohlen, die dann am 26.03.2004 begonnen wurde. Paralell dazu war die Einleitung einer palliativen Ganzhirnbestrahlung geplant und wurde bis zu deren Beginn eine medikamentöse Therapie zur Behandlung des Hirnödems empfohlen (Bericht vom 26.03.2004 des Prof. Dr. K., Prof. Dr. B. und des Dr. R.).

Am 20.04.2004 beantragte der Versicherte die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung seines Rentenantrages gab er an, er halte sich seit 24.01.2003 wegen eines Tumors - Krebs - für erwerbsgemindert und könne keine Arbeiten mehr verrichten.

Der Versicherte und die Klägerin heirateten am 29.04.2004 erneut.

Nachdem der Versicherte am 11.06.2004 bei zunehmender Dysphagie (Schluckstörung) und deutlicher Verschlechterung des Allgemeinzustandes wieder stationär im Universitätsklinikum T. aufgenommen worden war (- wo wegen einer aufgetretenen ösophagotrachealen Fistel ein Stent angelegt wurde -), kam es in der Folge rapid zu einer weiteren Verschlechterung des Allgemeinzustandes. Der Versicherte verstarb am 15.06.2004.

Am 24.06.2004 beantragte die Klägerin, die ihren Angaben zufolge als Arzthelferin bei dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. N. in H. beschäftigt war, bei der Beklagten die Gewährung von Hinterbliebenenrente. Im Antragsformular gab sie (durch Ankreuzen der entsprechenden Frage) an, es würden keine Umstände geltend gemacht werden, die gegen die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe sprächen.

Hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 09.09.2006 den Antrag der Klägerin auf große Witwenrente ab, da die am 29.04.2004 mit dem Versicherten geschlossene Ehe zum Zeitpunkt des Todes weniger als ein Jahr gedauert habe und keine Gründe dargelegt worden seien, die gegen das Vorliegen einer Versorgungsehe sprächen.

Ihren dagegen erhobenen Widerspruch vom 23.09.2004 begründete die Klägerin damit, es habe sich bei der erneuten mit dem Versicherten geschlossenen Ehe nicht um eine Scheinehe gehandelt. Sie sei vor der nur 3 Monate andauernden Trennung mit dem Versicherten 11 Jahre zusammen und 4 Jahre verheiratet gewesen. Sie habe wegen eines "ehelichen Fehltritts" des Versicherten aus heutiger Sicht vorschnell den Entschluss zur Scheidung gefasst. Jedoch selbst in der Zeit der Trennung habe sie immer Kontakt zu dem Versicherten gehabt und sei auch nach der Scheidung öfters bei ihm gewesen, da sie sich wieder sehr gut verstanden hätten. Als dann die Krankheit diagnostiziert worden sei, habe sie sich erst recht um den Versicherten, den sie immer geliebt habe, gekümmert. Der Professor aus T. habe ihnen damals gesagt, die Krankheit sei zu 70% heilbar. Die Klägerin legte ferner das ärztliche Attest des Dr. N. vom 23.09.2004 vor, welcher ausführte, der Versicherte sei an einer akuten Komplikation des vorbestehenden Tumors (Infekt bei ösophagotrachealer Fistel) verstorben. Zum Zeitpunkt der erneuten Eheschließung des Versicherten am 29.04.2004 sei diese Komplikation weder vorhanden noch absehbar gewesen. Bei dem erhofften Ansprechen der durchgeführten Chemotherapien wäre zu diesem Zeitpunkt seines Erachtens eine Lebenserwartung von einem Jahr durchaus zu erwarten gewesen. Ergänzend zu ihrem Rentenantrag erklärte die Klägerin auf dem ihr von der Beklagten übersandten Formular mit Datum vom 22.11.2004, die Heirat sei in erster Linie aus Liebe erfolgt. Es sei selbstverständlich, dass sie ihren Mann pflege.

Die Beklagte holte zunächst einen Befundbericht von dem behandelnden Arztes der Versicherten Dr. N. (vom 24.12.2004) ein, der auch die ihm vorliegenden ärztlichen Unterlagen übersandte und ließ sie beratungsärztlich auswerten (Stellungnahme der Beratungsärztin Dr. H. vom 14.01.2005). Danach wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2005 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Versicherte sei am 25.03.2004 über den Stand seiner Krankheit informiert worden. Seit März 2004 seien nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen jederzeit lebensbeendende Komplikationen des ausgedehnten Tumorleidens zu erwarten gewesen. Damit sei von einer Versorgungsehe auszugehen.

Hiergegen erhob die Klägerin am 11.03.2005 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart. Zur Begründung trug sie vor, nach den vorliegenden Umständen sei die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe widerlegt. Sie habe sich stets selbst ausreichend und nicht unerheblich versorgen können, da sie aus ihrer Beschäftigung als Arzthelferin monatlich ca. 1.050,00 EUR, derzeit sogar 1.250,00 EUR, erziele, keine Schulden habe und über Vermögen verfüge in Form einer Lebensversicherung, die sich auf ca. 130.000,00 EUR belaufe, eines Zuwachssparbuchs über 20.000,00 EUR, einer Fondsanlage in Höhe von 20.000,00 EUR und eines Sparbuchs mit einem Guthaben von 11.000,00 EUR.

In der mündlichen Verhandlung vom 15.03.2006 hörte das SG die Klägerin an. Mit Urteil vom 15.03.2006 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten habe nur wenige Wochen und damit deutlich weniger als ein Jahr gedauert. Die deshalb zur Anwendung kommende gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe sei nicht durch besondere Umstände des Einzelfalls widerlegt worden. Allein das Bestehen einer Liebesbeziehung schließe die Eingehung einer Versorgungsehe nicht aus, da eine Liebesbeziehung nicht zwangsläufig in eine Ehe münden müsse. Vielmehr unterstreiche der Zeitpunkt der Eheschließung die Rechtsvermutung, dass es alleiniger und überwiegender Zweck der ungefähr 6 Wochen vor dem Ableben des Versicherten geschlossenen Ehe gewesen sei, der Klägerin als späterer Witwe eine Versorgung zu verschaffen. Nach der fehlgeschlagenen Operation im Juni 2003 und dem Auftreten von Metastasen einschließlich Kleinhirnmetastase sei spätestens im März 2004 klar gewesen, dass für den Versicherten keine Heilungschance mehr bestanden habe. Auch wenn der Versicherte für die Klägerin im Juni 2004 schließlich überraschend verstorben sei, nachdem er nur wenige Tage zuvor noch zu einem Ausflug in der Lage gewesen sei, spiele dies angesichts der spätestens seit März 2004 feststehenden begrenzten Lebenserwartung des Versicherten keine Rolle. Indiz für eine Versorgungsabsicht der Klägerin sei ferner, dass diese über den gesamten Zeitraum ihre eigene Wohnung beibehalten habe. Angesichts des Einkommens der Klägerin wäre eine Witwenrente zudem durchaus wirtschaftlich attraktiv gewesen. Schließlich liege auch keine sogenannte "Pflegeehe" vor (unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 03.09.1986, in SozR 3100 § 38 Nr. 5), denn die Klägerin habe zwar Hilfe bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen geleistet, der Versicherte sei jedoch bis zur Einlieferung ins Krankhaus im Juni 2004 in der Lage gewesen, sich selbst zu versorgen.

Gegen das am 7.4.2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 26.04.2006 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt, mit der sie ihr Begehren auf Witwenrente weiterverfolgt. Zur Begründung verweist sie auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren und trägt ergänzend vor, sie sei erst als sie nach dem Tode des Versicherten wegen dessen noch nicht beschiedenem Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung beim Rathaus der Gemeinde N. vorstellig geworden sei, darüber informiert worden, dass ihr Witwenrente zustünde. Der Versicherte und auch letztlich sie (die Klägerin) hätten die Scheidung überhaupt nicht gewollt. Der zweite Eheschluss habe der Dokumentation des Verzeihens durch sie und ihrer Versöhnung mit dem Versicherten gedient, indem nach außen dokumentiert worden sei, dass der eheliche Fehltritt des Versicherten verziehen sei. Versorgungsaspekte hätten dabei keinerlei Rolle gespielt. Mehrere Personen könnten die Motivation des Versicherten und der Klägerin für den zweiten Eheschluss bestätigen:

- S. S., H. H. ("Familienfreunde" des Versicherten und der Klägerin), dass beide letztlich die Scheidung nicht gewollt hätten, dass der Versicherte sie vor und nach der Scheidung "vergöttert" habe, der Versicherte bereits im Mai oder Juni 2003 sie wieder habe heiraten wollen und dass sie ab Januar 2003 auf Außenstehende den Eindruck eines "alten Ehepaars" gemacht hätten, jeden Tag zusammen gewesen seien, - Frau F. (Sachbearbeiterin im Standesamt N.), dass sie vor der zweiten Heirat geäußert habe, "den Fehler (die Scheidung) rückgängig" machen zu wollen, - Herr B. (zuständiger Standesbeamter vor der Heirat), dass sie und der Versicherte geäußert hätten, dass sie "weitermachen, wo sie aufgehört hätten". Des weiteren habe der Versicherte noch im Februar 2004 ein Auto gekauft und auch auf sich zugelassen sowie einen Möbelkauf und den Kauf eines DVD-Geräts mit Lautsprechern getätigt. Im Sommer 2004 hätten der Versicherte und sie noch vorgehabt, zusammen einen Urlaub in der Türkei zu verbringen; die befragten Ärzte hätten hiergegen keine Einwände gehabt. Am 01.05.2004 hätten sie und der Versicherte eine gemeinsame Wohnung in N. bezogen. All dies belege, dass die beiden Ehegatten davon ausgegangen seien, dass der Versicherte nicht alsbald versterben werde. Die eigene Wohnung habe sie zunächst beigehalten, weil es in der bisherigen gemeinsamen Wohnung zu dem ehelichen Fehltritt des Versicherten gekommen sei und sie die gemeinsame Wohnung zunächst nicht mehr ohne Beklemmungen habe betreten können. Vor den an den Fehltritt hochkommenden Erinnerungen sei sie hin und wieder in ihre "eigene" Wohnung geflüchtet. Zudem sollte diese Wohnung für die Eltern des Versicherten bei Eintreten der Pflegebedürftigkeit des Versicherten als Wohnmöglichkeit beigehalten werden. Auch der am 30.05.2004 getätigte gemeinsame Ausflug an den Bodensee sowie die Ausführungen im Urteil des Sozialgerichts, der Versicherte habe sich bis zur Einlieferung in das Krankenhaus im Juli 2004 selbst versorgen können, sprechen für die Fitness des Versicherten und belegten, dass mit einem so raschen Tod des Versicherten keiner gerechnet habe.

Die Klägerin hat folgende Unterlagen vorgelegt: - Formularmäßige "Verbindliche Bestellung" eines gebrauchten Kraftfahrzeuges des Versicherten vom 09.02.2004, - Fahrzeugbrief über die Zulassung eines Fahrzeugs am 11.02.2004 auf den Versicherten (am 30.06.2004 auf die Klägerin eingetragen) - 3 Quittungen - Anmeldebestätigung der Gemeinde N: vom 22.04.2004 über die Anmeldung der Klägerin in N. (mit Einzug am 01.05.2004) bei angegebener weiterer Wohnung der Klägerin in H.-A ...

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. März 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 09.September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.Februar 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr große Witwenrente aus der Versicherung des verstorbenen Ehemannes Joachim Beck zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend. Zum Zeitpunkt der Eheschließung habe festgestanden, dass der Versicherte nur eine sehr begrenzte Lebenserwartung gehabt habe. Der späte Zeitpunkt der Heirat sowie die Beibehaltung der zweiten Wohnung durch die Klägerin spreche für das Vorliegen einer Versorgungsehe.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten, des Sozialgerichts sowie derjenigen des Senats ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet, da das angefochtene Urteil des Sozialgerichts vom 15.03.2006 rechtmäßig ist. Die Beklagte hat mit den angefochtenen Bescheiden die Gewährung einer Witwenrente aus der Versicherung des verstorbenen Ehemannes der Klägerin zu Recht abgelehnt.

Auch zur Überzeugung des Senats ist die gesetzliche Vermutung des Vorliegens einer Versorgungsehe nicht widerlegt. Daher steht der Klägerin die begehrte Witwenrente nicht zu.

Nach § 46 Abs. 1 und 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf eine kleine oder große Witwenrente.

Der Anspruch ist nach § 46 Abs. 2a SGB VI, welcher durch Art. 1 Nr. 6 Buchstabe b des AVmEG vom 21.03.2001 (BGBl. I S.403) bzw. durch Bekanntmachung vom 19.02.2002 (BGBl. I S. 754) mit Wirkung vom 1.01.2002 in das SGB VI eingefügt wurde, ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens 1 Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Allein an diese zeitliche Vorgabe hat der Gesetzgeber die widerlegbare Vermutung geknüpft, es handele sich bei allen seit Inkrafttreten der Vorschrift am 1.01.2002 geschlossenen Ehen bei Tod des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung um eine sogenannte Versorgungsehe. Weiterer Anhaltspunkte für die Annahme einer Versorgungsehe bedarf es insofern nicht. Die Regelung ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch nicht verfassungswidrig (vgl. Kreikebohm, SGB VI, 2. Aufl. § 46, Rdnr. 20, unter Hinweis auf BSGE 35, 272, Beschluss des BSG vom 23.09.1997 - 2 BU 167/97).

Diese Vermutung ist allerdings nach dem Wortlaut der Vorschrift ("es sei denn") widerlegbar. Sie ist widerlegt, wenn besondere Umstände (insbesondere Unfalltod des Versicherten, vgl. BT-Drucks. 14/4595, S. 44) vorliegen, aufgrund deren trotz kurzer Ehedauer die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Dabei unterliegt der unbestimmte Rechtsbegriff "besondere Umstände" der vollen richterlichen Kontrolle. Als besondere Umstände im Sinn des § 46 Abs. 2a SGB VI sind solche anzunehmen, die über die gesetzliche Vermutung hinaus einen Schluss auf den Zweck der Heirat zulassen und bei typisierender Betrachtung auf eine nicht auf Versorgungsabsicht geprägte Motivlage hindeuten (vgl. Beschluss des Hess. LSG vom 13.12.2006, - L 2 R 220/06, Juris-Dok.).

Nach § 202 SGG i.V.m. § 192 Zivilprozessordnung (ZPO) erfordert die Widerlegung einer Rechtsvermutung den vollen Beweis des Gegenteils. Der Vollbeweis erfordert zumindest einen der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit. Die nur denkbare Möglichkeit reicht nicht aus. Eine Tatsache ist dann bewiesen, wenn alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon oder einen so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit zu begründen, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (vgl. BSG SozR 3-3900, § 15 Nr. 3).

Unter Berücksichtigung der dargestellten Kriterien reichen die vorliegenden Umstände nicht aus, um die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs.2a SGB VI zu widerlegen. Ein Anspruch der Klägerin auf Witwenrente hätte, weil die Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten weniger als ein Jahr gedauert hat (nämlich nur vom 29.04.2004 bis zum 15.06.2004), nur dann begründet sein können, wenn zur vollen Überzeugung des Senats bzw. mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen würde, dass die Eheschließung zwischen der Klägerin und dem Versicherten nicht allein oder überwiegend der Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung gedient hätte. Hiervon konnte sich der Senat jedoch nicht überzeugen.

Der Senat stellt dabei die mehrfache Einlassung der Klägerin, es habe sich um eine Liebesheirat gehandelt, nicht in Frage. Das SG hat hierzu aber zutreffend dargelegt, dass allein das Bestehen einer Liebesbeziehung die Eingehung einer Versorgungsehe nicht ausschließt. Hierbei ist es allerdings grundsätzlich nicht die Aufgabe der Beklagten oder des Gerichts Ermittlungen im privaten Bereich zur Erforschung der Motive und persönlichen Gedanken anzustellen, sondern der Versicherungsträger und das Gericht müssen sich auf die nach außen tretenden Tatsachen beschränken und diese bewerten (vgl. Beschluss des Hessischen LSG vom 13.12.2006, L 2 R 220/06 unter Hinweis auf die " Versorgungsehe" nach § 46 Abs. 2a SGB VI, in Informationen der DRV in Bayern, 6, 2006 S. 257, 259; BSG SozR 3100 § 38 Nr. 5). Die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe folgt einer Typisierung und verfolgt den Zweck, den Leistungsträger der Ausforschung im Bereich der Intimsphäre zu entheben. Die Darlegung allgemeiner, bei einer Heirat regelmäßig mitentscheidender Gesichtspunkte wie die Absicht, eine Lebensgemeinschaft auf Dauer zu begründen, kann die Annahme besonderer Umstände nicht rechtfertigen (vgl. Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 17.05.2006, L 17 R 2024/05, Juris-Dok. unter Hinweis auf das Urteil des Bayer. LSG vom 25.01.1972, L 8 V 202/71, Juris-Dok.) Besondere Umstände in diesem Sinne sind vielmehr nur solche, die eine Versorgungsabsicht eindeutig ausschließen, z.B. weil die Folgen des Versicherungsfalls im Zeitpunkt der Eheschließung nicht vorausgesehen werden konnten (vgl. Beschl. des Bayer. LSG vom 05.02.2007, L 19 B 863/06 R, Juris-Dok.).

Allein daraus, dass ein Ehepartner zum Zeitpunkt der Eheschließung an einer Erkrankung leidet, die in absehbarer Zeit zum Tode führt, und diese Prognose beiden Ehepartnern oder einem von ihnen bekannt ist, folgt andererseits nicht zwingend, dass der maßgebliche überwiegende Zweck der Heirat ist, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Tritt der Tod des Versicherten dann jedoch innerhalb eines Jahres nach Eheschließung ein, müssen sich in einem solchen Fall aus den Gesamtumständen objektivierbare Hinweise darauf ergeben, dass die Heirat nicht maßgeblich aus Versorgungsüberlegungen erfolgte.

Derartige objektivierbare Umstände zur Widerlegung einer Versorgungsehe kann der Senat im vorliegenden Fall nicht feststellen. Zum Zeitpunkt der Eheschließung konnten weder der Versicherte noch die Klägerin davon ausgehen, dass der Versicherte seine Krebserkrankung lange überleben würde. Bereits im MDK-Gutachten vom 22.08.2003 wird über eine hausärztlicherseits geschilderte palliative (dh. nicht heilende sondern krankheitsmildernde, der Linderung oder Prophylaxe tumorbedingter Symptome dienende) Chemotherapie und eine schlechte Prognose berichtet. Die CT-Untersuchung vom Februar 2004 und diejenige vom März 2004 erbrachten ein weiteres deutliches Fortschreiten der Grunderkrankung mit Metastasen in mehreren Organen, in den Knochen und - neu im März 2004 festgestellt- auch im Kleinhirn. Nach dem Arztbrief der behandelnden Ärzte des Universitätsklinikums T. vom 26.03.2004 wurde dem Kläger am 25.03.2004 in einem ausführlichen Gespräch diese Situation erläutert und eine weitere - ebenfalls palliative - Chemotherapie empfohlen.

Somit erscheint es als lebensfern, dass sich der Versicherte und die Klägerin nicht über die grundsätzliche Lebensbedrohlichkeit des Zustandes des Versicherten im Klaren gewesen sind, als sie am 29.04.2004 heirateten.

Die Klägerin räumt im übrigen auch ein, sie habe eine Zeit der Aufarbeitung der partnerschaftlichen Probleme nach dem zur Scheidung der ersten Ehe führenden Anlass benötigt. Erst als diese Phase abgeschlossen gewesen sei, sei die Heirat erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt bestand nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen keine Aussicht auf Heilung mehr, vielmehr musste, auch wenn offensichtlich der Zustand des Versicherten noch gelegentliche Ausflüge erlaubte, angesichts der bereits weit fortgeschrittenen Erkrankung mit einem Ableben des Versicherten in absehbarer Zeit gerechnet werden. Der Tod trat dann auch nicht infolge eines unvorhergesehenen Umstandes - wie bei einem Arbeitsunfall - ein. Vielmehr waren, wie sich aus den vorliegenden Arztberichten ergibt, bereits zuvor mehrfach lebensbedrohliche Umstände aufgetreten, die eine Indikation zur Operation, Chemotherapie oder Bestrahlung ergaben, die jedoch in den letzten Monaten vor allem den Zweck verfolgten, den Zustand des Versicherten zu stabilisieren und ihm Linderung zu verschaffen. Eine begründete Aussicht auf Heilung bestand jedenfalls ab Februar 2004 bei dem schwer und lebensbedrohlich erkrankten Versicherten nicht mehr.

An diesem Ergebnis ändern auch die von der Klägerin angegebenen, in den letzten Monaten vor dem Tode des Versicherten getätigten Einkäufe (Gebrauchtwagen etc.) nichts. Dasselbe gilt hinsichtlich des von der Klägerin geschilderten gemeinsamen Ausflugs zum Bodensee wenige Tage vor dem Tod des Versicherten und der Pläne für einen gemeinsamen Sommerurlaub.

Auch dass die Klägerin ihren Angaben zufolge bei ihrer Vorsprache auf dem Rathaus der Gemeinde N. - wegen des noch nicht beschiedenen Antrags des zwischenzeitlich verstorbenen Versicherten auf Rente wegen Erwerbsminderung - über einen möglicherweise bestehenden Anspruch auf Witwenrente, insbesondere über die tatbestandlichen Voraussetzungen einer großen Witwenrente, informiert wurde, ändert nichts daran, dass zur Überzeugung des Senats objektivierbare Umstände zur Widerlegung einer Versorgungsehe nicht festgestellt werden können. Auch die Äußerungen der Klägerin und des Versicherten gegenüber den Familienfreunden, der Sachbearbeiterin beim Standesamt und gegenüber dem Standesbeamten, die der Senat als wahr unterstellt, widerlegen eine Versorgungsehe zum Zeitpunkt der Heirat nicht.

Angesichts des Erkrankungszustands des Versicherten im Zeitpunkt der zweiten Eheschließung kommt es auch nicht darauf an, dass ein dringender Versorgungsbedarf der Klägerin nicht bestanden haben mag, weil sie Einkünfte aus Erwerbstätigkeit bezieht und daher eigene Rentenanwartschaften erwirbt und auch über Vermögen - wie vorgetragen - in Form einer Lebensversicherung, eines Zuwachssparbuchs, einer Fondsanlage und eines Sparbuchs verfügt.

Wie das Sozialgericht des weiteren zutreffend dargelegt hat, liegt auch keine sogenannte "Pflegeehe" vor, da der Versicherte bis zur Einlieferung ins Krankenhaus im Juni 2004 in der Lage war, sich selbst zu versorgen. Im Übrigen ist eine Motivation zur Heirat, um die notwendige Pflege des Versicherten sicher zu stellen, nur dann als Widerlegungstatbestand der besonderen Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2a SGB VI zu werten, wenn mit dem Ableben des Versicherten bei Eheschließung auf absehbare Zeit nicht gerechnet werden musste (Urteil des BSG vom 03.09.1986, 9a RVO 8/84). Wie bereits ausgeführt wurde, war dies jedoch vorliegend angesichts der medizinischen Sachlage der Fall.

Die Gesamtschau aller Umstände führt dazu, dass der Gedanke der Versorgungsheirat bei der Klägerin nicht als widerlegt angesehen werden kann. Der Senat kann sich nicht davon überzeugen, dass der Vollbeweis des Gegenteils der gesetzlichen Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI erbracht worden ist. Die sich hieraus ergebenden Nachteile hat die Klägerin zu tragen. Nach der auch im Rentenversicherungsrecht geltenden Regel der objektiven Beweislast fallen nämlich die Folgen der Nichtfeststellbarkeit einer Tatsache demjenigen zur Last, der aus dieser Tatsache ein Recht herleiten will - dh. hier der Klägerin.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved