L 10 R 2813/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 2720/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 2813/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 25. April 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die Weitergewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Die am 1958 geborene Klägerin hat keine Berufsausbildung abgeschlossen und war zuletzt als ungelernte Arbeiterin in der Metallverarbeitung (Akkordarbeit) tätig. Nach Erkrankung an einem metastasierenden Schilddrüsen-Karzinom mit operativer Behandlung gewährte die LVA Baden, Rechtsvorgängerin der Beklagten, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. Oktober 1989, diese mehrfach verlängert, zuletzt bis 28. Februar 2005. Grundlage hierfür waren u. a. Gutachten von Dr. S. vom 9. November 1989 (Leistungsvermögen unter zweistündig) und vom 27. Oktober 1993 (Leistungsvermögen: bis unter halbschichtig) sowie das in der Klinischen Beobachtungsstation der LVA Baden in K. erstattete fachübergreifende Gutachten vom 10. März 1995 (leichte körperliche Tätigkeiten vier bis sechs Stunden möglich) und weitere Gutachten von Dr. S. (Leistungsvermögen: unter vollschichtig).

Mit Bescheid vom 2. Februar 2005 und Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2005 lehnte die Beklagte eine Weitergewährung der Rente über den 28. Februar 2005 sowie die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit, weiterhin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem ab 1. Januar 2001 geltenden Recht ab. Grundlage hierfür waren eine Stellungnahme nach Aktenlage des Internisten H.-L. vom 30. Dezember 2004 (Leistungsvermögen nach dem 28. Februar 2005 nun vollschichtig für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten unter Berücksichtigung von qualitativen Einschränkungen nicht ungewöhnlicher Art) und das auf der Klinischen Beobachtungsstation der Beklagten in K. erstattete Gutachten des Internisten Dr. M. (mit weiteren Gutachten des Orthopäden Dr. S. und des Nervenarztes Dr. S. ; Leistungseinschätzung des Dr. M.: leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig möglich, ohne Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, längere Steh- und Gehbelastungen, häufiges Treppensteigen und besonderen geistig-psychischen Stress, Einschränkung der Wegstrecke auf 1500 m).

Der Klägerin hat hiergegen am 18. Juli 2005 Klage bei dem Sozialgericht Karlsruhe erhoben und vorgetragen, schon auf Grund der Länge der Befristung der Zeitrente habe sie Anspruch auf eine Dauerrente. Sie leide insbesondere an Depressionen, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit, innerer Unausgeglichenheit, allgemeiner Erschöpfbarkeit und Kraftlosigkeit. Sie habe erhebliche Probleme seitens der Kniegelenke und der Wirbelsäule.

Das Sozialgericht hat sachverständige Zeugenaussagen des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. W. (kein vollschichtiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt) und des Orthopäden Dr. St. (keine Arbeitsunfähigkeit von Seiten des orthopädischen Fachgebiets) eingeholt. Weiterhin sind ein algesiologisches Gutachten bei Prof. Dr. U. (schon nach Aktendurchsicht offensichtlich nur geringfügige schmerzbedingte Einschränkungen), ein nervenärztlich-algologisches Gutachten bei Dr. W. mit Ergänzung (Diagnosen: Dysthymia, chronisches Cervicocephalsyndrom, chronisches Cervicobrachialsyndrom; leichte körperliche Arbeiten sechs bis acht Stunden täglich möglich, in temperierten Räumen mit Heben und Tragen von Lasten bis zu etwa 10 kg, ohne Überkopfarbeiten, Tätigkeiten mit andauerndem Stehen oder in stereotyper Fehlhaltung, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, erhöhter Stress-Anfälligkeit, hoher geistiger oder nervlicher Beanspruchung; bei anhaltenden Tätigkeiten, wie der zuletzt ausgeübten, sind Pausen von jeweils 10 Minuten pro Stunde notwendig, nicht jedoch bei allen Erwerbstätigkeiten, etwa nicht bei Aufsichtstätigkeiten). Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) haben Dr. S. ein chirurgisch-orthopädisches Gutachten (Diagnosen: Zustand nach vollständiger Entfernung der Schilddrüse mit reizlosen Narbenverhältnissen, medial betonte Verschleißzeichen beider Kniegelenke mit mäßigen Funktionseinschränkungen, Halswirbelsäulen- [HWS-] und Rumpfwirbelsäulensyndrom ohne Nachweis von Verschleißzeichen; leichte körperliche Tätigkeiten acht Stunden täglich möglich, ohne erhöhte Leistungsbeanspruchung der Beine, nicht ausschließlich im Stehen, Gehen oder auf unebenen Untergrund, bei Vermeidung des Besteigens von Leitern, Treppen und Gerüsten, ohne Heben und Tragen schwerer bis mittelschwerer Lasten, unter Vermeidung gleichförmiger Körperhaltungen) und Dr. W. ein nervenärztlich-psychosomatisches Gutachten (Diagnosen: Ängste und depressive Verstimmungen, somatoforme Beschwerden, ängstlich-unsichere Persönlichkeit, degenerative Veränderungen im Bereich der HWS und beider Kniegelenke, Adipositas permagna; Leistungseinschätzung: leichte körperliche Tätigkeiten vier bis unter sechs Stunden möglich) erstattet. Die Beklagte hat eine kritische Stellungnahme von Dr. G. zum Gutachten von Dr. W. vorgelegt.

Mit Urteil vom Mittwoch 25. April 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Weitergewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (§ 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI] in der Fassung bis zum 31. Dezember 2000 [a. F.] in Verbindung mit § 302b Abs. 1 Satz 2 SGB VI) bestehe nicht, da die Klägerin nicht erwerbsunfähig sei. Das Schilddrüsen-Karzinom sei operativ behandelt, die Folgeerkrankungen seien medikamentös kompensiert. Die Kniegelenksarthrose und das chronische Cervikal-/Cerviko¬brachial¬syndrom führten zu keinen qualitativen Einschränkungen. Auf nervenärztlichem Fachgebiet liege nach dem Gutachten von Dr. W. eine Dysthymia, also eine depressive Verstimmung, jedoch keine Depression vor. Das sei nach dem von der Klägerin angegebenen Tagesablauf, der keinen sozialen Rückzug erkennen lasse, auch schlüssig. Deswegen sei die Annahme einer Angsterkrankung durch Dr. W. nicht überzeugend. Dr. W. lasse auch nicht erkennen, warum sich die von ihm als Grund für die ängstlich-depressive Verstimmung angeführten Vorfälle (Totgeburt des ersten Kindes, Erkrankung im Jahre 1975) erst Jahrzehnte später auswirken sollten. Gegen einen erheblichen Leidensdruck spreche auch, dass sich die Klägerin bislang nicht in fachpsychotherapeutischer Behandlung befinde. Betriebsunübliche Pausen seien nach der ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme von Dr. W. nicht notwendig. Ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit (§ 43 SGB VI a. F. in Verbindung mit § 302b Abs. 1 Satz 2 SGB VI) liege nicht vor, da die Klägerin - mangels Berufschutz - nicht berufsunfähig sei. Da die Klägerin keinen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente nach dem bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Recht habe, komme auch ein Rentenanspruch nach den höheren Anforderungen des ab 1. Januar 2001 geltenden Rentenrechts (§§ 43, 240 SGB VI) nicht in Betracht.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 24. Mai 2007 zugestellte Urteil am 4. Juni 2007 Berufung eingelegt. Ergänzend trägt sie vor, die Ausführungen zum Tagesablauf seien nicht ganz zutreffend. Sie unternehme keinen Stadtbummel, fahre aber ab und zu in die Stadt, wenn sie dringend etwas zu erledigen habe, und komme danach sofort wieder nach Hause. In der Regel halte sie sich zu Hause auf. Den Haushalt könne sie nicht allein bewältigen. Wegen "Ganzkörperschmerzen" lege sie sich immer wieder hin.

Der Klägerin beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 25. April 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 2. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juli 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr über den 28. Februar 2005 hinaus Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren, hilfsweise nach § 109 SGG ein schmerztherapeutisches Gutachten bei Dr. M. einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des SGG zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier von der Klägerin beanspruchte Rente dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin die Voraussetzungen für eine solche Rente nicht erfüllt, weil sie ab 1. März 2005 zumindest leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen vollschichtig ausüben kann und auch keinen besonderen Berufsschutz genießt. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich auch aus den ergänzenden Angaben der Klägerin im Berufungsverfahren kein sozialer Rückzug ergibt, der auf eine Angsterkrankung schließen ließe. Wesentlich Neues hat die Klägerin insoweit auch nicht vorgetragen, nachdem sie schon bei Dr. W. angegeben hat, sie gehe nachmittags ein bisschen einkaufen und ein bisschen raus, und bei Dr. W. angegeben hat, sie gehe am Nachmittag aus dem Haus, manchmal in die Stadt, einkaufen, um nach einer Stunde nach Hause zurückzukehren. Für die angegebenen "Ganzkörperschmerzen" findet sich in keinem der eingeholten Gutachten eine Stütze.

Ergänzend ist weiterhin darauf hinzuweisen, dass der Klägerin eine Weitergewährung der Zeitrente als Dauerrente nicht schon auf Grund der bisherigen Dauer der Rentengewährung zusteht. Eine Befristung der Gesamtdauer der Zeitrente auf sechs Jahre sah § 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung vor, dies aber auch nur für den Fall der begründeten Aussicht einer Behebung der Erwerbsminderung in absehbarer Zeit. In den danach geltenden Fassungen ist die Dauer auf neun Jahre verlängert worden. Die Zeitrente der Klägerin ist jedoch ab 1. März 1995 wiederholt nicht mehr wegen einer Besserungsmöglichkeit, sondern nur noch wegen der jeweiligen Arbeitsmarktlage gewährt worden, da das Leistungsvermögen ab dem Zeitpunkt auf unter vollschichtig bzw. auf vier bis sechs Stunden täglich begrenzt war. Eine Zeitrente wegen der Möglichkeit einer alsbaldigen Besserung von sechs Jahren oder mehr wurde der Klägerin also nicht gewährt.

Den Antrag der Klägerin auf Einholung eines schmerztherapeutisches Gutachtens nach § 109 SGG bei Dr. M. lehnt der Senat ab. Nach dieser Vorschrift muss auf Antrag des Versicherten, des Behinderten, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Nach § 109 SGG sind hier bereits ein chirurgisch-orthopädisches Gutachten durch Dr. S. und ein nervenärztlich-psychosomatisches Gutachten durch Dr. W. erstattet worden. Einer wiederholten Antragstellung nach § 109 SGG muss nur bei Vorliegen besonderer Umstände gefolgt werden (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Kel¬ler/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 109 Rdnr. 10b). Diese sind in der Benennung von Dr. M. , der Internist ist, im Hinblick auf die Bewertung der Schmerzzustände nicht erkennbar. Denn die Beurteilung von Schmerzzuständen kann nicht vorrangig einer besonderen fachärztlichen Ausrichtung zugewiesen werden. Für die Qualifikation eines Gutachters hierfür kommt es nicht darauf an, ob er von Haus aus als Internist, Rheumatologe, Orthopäde, Neurologe oder Psychiater tätig ist (vgl. BSG, Beschluss vom 9. April.2003, B 5 RJ 80/02 B). Weitere besondere Umstände hat die Klägerin aber auch auf Anfrage des Senats nicht darlegen können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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