L 12 AS 4013/07 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 5945/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 4013/07 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden des Antragstellers und des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 9.8.2007 werden zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der 1952 geborene, verheiratete, aber getrenntlebende Antragsteller (Ast) lebte bis 30.6.2007 mit seiner Ehefrau in A. und bezog von der dortigen ARGE Leistungen nach dem SGB II, zuletzt wegen des Getrenntlebens innerhalb der gemeinsamen Wohnung als eigene Bedarfsgemeinschaft. Der Ast war zunächst Eigentümer der Eigentumswohnung in A., im April 2005 übertrug der Ast seiner Ehefrau das Eigentum an der Wohnung, eingeräumt war jedoch ein dauerndes Nießbrauchsrecht des Ast und vereinbart war eine Verpflichtung zur Rückübereignung der Wohnung für den Fall der Ehescheidung oder des dauernden Getrenntlebens.

Am 19.5.2007 schloss der Ast einen Mietvertrag über die derzeit von ihm bewohnte Wohnung, eine Einzimmerwohnung mit einer Wohnfläche von 27 Quadratmetern und einem Mietzins von monatlich 340 EUR zuzüglich 20 EUR Betriebskostenvorauszahlung. Am 9.6.2007 beantragte der Ast bei dem Antragsgegner (Ag) Leistungen nach dem SGB II. Der Ag lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 4.7.2007 mit der Begründung ab, der Ast verfüge über Vermögen in Form des Rückübertragungsanspruchs an der Eigentumswohnung, es sei ihm zuzumuten, sich das Eigentum zurückübertragen zu lassen. Über den am 1.8.2007 erhobenen Widerspruch des Ast ist noch nicht entschieden.

Am 2.8.2007 beantragte der Ast beim Sozialgericht S. (SG) die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Er stehe völlig ohne Mittel da, könne seine Miete nicht bezahlen, ihm drohe Obdachlosigkeit. Der Ag hat dagegen eingewandt, der Ast könne auf sein vertraglich eingeräumtes lebenslanges Nießbrauchsrecht an der A. Wohnung bzw. dessen Verwertung und auf den Rückübertragungsanspruch des Eigentums an der Wohnung verwiesen werden. Der Ag hat den Bedarf des Ast beziffert mit 347 EUR Regelleistung, zuzüglich einer Kaltmiete von 301,50 EUR (Mietobergrenze), eine Kaltmiete von 340 EUR sei unangemessen, eine vorherige Zusicherung liege nicht vor. Weiterhin wären 41 EUR Heizungskosten abzüglich Warmwasserpauschale von 6,53 EUR sowie Nebenkosten in Höhe von 20 EUR zu berücksichtigen, mithin ergäbe sich ein Bedarf von 702,97 EUR.

Das SG hat durch Beschluss vom 9.8.2007 den Ag im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, dem Ast darlehensweise Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab 2.8.2007 in Höhe von 562,38 EUR monatlich zu gewähren. Diese einstweilige Anordnung hat es -unter Vorbehalt des Weiterbestehens der Hilfebedürftigkeit- zeitlich begrenzt bis längstens 30.11.2007.

In den Gründen der Entscheidung, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird, hat das SG unter ausführlicher Darstellung der hier anzuwendenden Rechtsnormen, insbesondere § 86b SGG und §§ 7, 9, 12 SGB II sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund als glaubhaft gemacht angesehen.

Ein glaubhaft gemachter Anordnungsanspruch bestehe insoweit, dass der Ast Anspruch auf darlehensweise Leistungsgewährung nach dem SGB II bis längstens 30.11.2007 habe. Bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit sei zwar als Vermögenswert der Anspruch des Ast auf Rückübertragung des Eigentums an der Eigentumswohnung in A. zu berücksichtigen. Bei einem Ansatz des Verkehrswertes der Wohnung mit 120.000 EUR und unter Berücksichtigung eines Freibetrages von 11.750 EUR verbleibe ein zu berücksichtigendes Vermögen. Die Verwertung des Vermögens sei auch nicht ersichtlich offensichtlich unwirtschaftlich oder unbillig hart.

Hilfebedürftig sei jedoch auch derjenige, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich sei oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde; in diesem Falle seien die Leistungen als Darlehen zu erbringen. Hier sei der Ast derzeit nicht Eigentümer der Eigentumswohnung, ihm stehe vielmehr nur ein Rückübertragungsanspruch zu. Deswegen sei es überwiegend wahrscheinlich, dass der Ast (derzeit) die Eigentumswohnung nicht verwerten könne, hierfür sei zunächst eine Zeit für die Rückübertragung erforderlich. Auch eine Vermietung, also die Verwertung des Nießbrauchsrechts, sei nicht ohne weiteres binnen eines zeitlich überschaubaren Rahmens möglich. Deshalb liege (glaubhaft gemacht) Hilfebedürftigkeit vor, der Ast habe Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Dies entsprechend der vom Ag vorgelegten Bedarfsberechnung in Höhe von monatlich 702,97 EUR. Ein höherer Bedarf sei insbesondere auch unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft nicht anzusetzen, da diese die Grenzen der Angemessenheit überstiegen. Demgegenüber sei ein fiktives Einkommen aus der Vermietung der Eigentumswohnung in A. nicht zu berücksichtigen. Insoweit könnten nur bereite Mittel berücksichtigt werden, dies sei bei den (fiktiven) Mietkosten nicht der Fall, da diese nicht ohne weiteres realisiert werden könnten. Dem Ast könne auch nicht angesonnen werden, seinen Hilfebedarf dadurch zu reduzieren, dass er nach A. zurückziehe und in der vorhandenen Eigentumswohnung wieder einziehe. Insoweit genieße er Freizügigkeit, er sei frei, seinen Wohnort dort zu nehmen, wo es ihm beliebe. Dieses Recht könne nicht im Hinblick auf eine verminderte bzw. gänzlich entfallende Leistungsverpflichtung des Ag eingeschränkt werden.

Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens sei es jedoch zulässig und geboten, dass lediglich eine prozentual begrenzte Bedarfsdeckung zum Gegenstand der einstweiligen Anordnung gemacht werde. Hiervon mache die Kammer dergestalt Gebrauch, dass vom Bedarf des Ast von 702,97 EUR nur 80 Prozent, d. h. 562,38 EUR als Anordnungsanspruch berücksichtigt würden.

Es sei auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Der Sachstand biete keine Anhaltspunkte dafür, welche liquide Mittel der Ast in Anspruch nehmen könne, um seinen Lebensunterhalt bis zur Veräußerung bzw. Beleihung des Grundstücks zu sichern. Ein Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache könne mithin nicht zugemutet werden, der Erlass einer einstweiligen Anordnung sei daher zur Abwendung wesentlicher Nachteile geboten.

Die Verpflichtung des Ag zur Gewährung von Leistungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes sei frühestens ab dem Zeitpunkt des Rechtsschutzantrages bei Gericht möglich. Für die Zeit davor liege eine besondere Eilbedürftigkeit im Hinblick auf Nachzahlungen nicht vor. Vorbehaltlich des Fortbestehens der Hilfebedürftigkeit sei der Leistungsausspruch zeitlich bis zum 30.11.2007 zu begrenzen, bis dahin sollte der Ast jedenfalls in der Lage sein, seinen Bedarf durch die Erzielung von Mieteinnahmen zu minimieren. Im übrigen sei der Ast darauf hinzuweisen, dass er gehalten sei, sein vertraglich eingeräumtes Recht auf Rückübereignung tatsächlich auszuüben.

Gegen diesen Beschluss haben der Ag am 17.8.2007 beim LSG und der Ast am 24.8.2007 beim SG jeweils Beschwerde eingelegt. Das SG hat beiden Beschwerden nicht abgeholfen.

Der Ag begründet seine Beschwerde damit, dass es dem Ast zumutbar sei, seine Hilfebedürftigkeit dadurch zu mindern, dass er von seinem Nießbrauch dergestalt Gebrauch mache, dass er in die Wohnung nach Augsburg zurückziehe. Das Grundrecht auf Freizügigkeit unterliege insoweit einer Einschränkung, als eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden sei und dadurch der Allgemeinheit besondere Lasten entstünden. Eine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts im Rahmen des Bezuges von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sei zum Beispiel für Spätaussiedler vom BVerfG bestätigt worden. Eine Versagung von Leistungen wegen vorhandenen Vermögens sei auch deshalb gerechtfertigt, weil dem Ast eine sofortige Verwertung der Wohnung in A. möglich sei. Diese werde derzeit von seiner Ehefrau bewohnt. Es sei dem Ast unbenommen, seine Hilfebedürftigkeit dadurch zu beseitigen, zumindest zu mindern, dass er auf Grund des Nießbrauchs einen angemessenen Mietzins für die Nutzung der Wohnung verlange. Dafür sei kein zeitlich unüberschaubarer Rahmen einzuräumen, dies sei ohne zeitliche Verzögerung möglich, da kein Mieter gefunden werden müsse, weil ein solcher die Wohnung bereits bewohne.

Der Ast begründet seine Beschwerde damit, dass er mit den vom SG zugesprochenen Beträgen seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten könne. Er könne insbesondere seine Mietrückstände nicht begleichen, deswegen habe ihm der Vermieter auf Ende September die fristlose Kündigung angedroht. Der Ast weist darauf hin, er habe weder ein Rückübereignungsrecht noch ein Nießbrauchsrecht an der Eigentumswohnung. Er habe zu seiner Ehefrau keinen Kontakt mehr, die Eigentumswohnung sei von seiner Frau verkauft worden, der Wohnsitz seiner Frau sei unbekannt. Es gebe also keine Eigentumswohnung, auf die er in irgendeiner Weise zugreifen könne.

II.

Beide Beschwerden sind zulässig, jedoch in der Sache unbegründet. Beide Beschwerden werden aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesen (§ 142 Abs. 2 Satz 2 SGG). Der Senat nimmt auf die ausführlichen und zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug und verzichtet insoweit auf eine eigene Begründung.

Zum Beschwerdevorbringen des Ag ist anzumerken, dass es nicht geeignet ist, eine aktuelle Hilfebedürftigkeit des Ast zu verneinen. Angesichts des neuen Vorbringens des Ast, er habe keinen Kontakt zu seiner Ehefrau, deren Aufenthalt ihm unbekannt sei, kann der Ast nicht darauf verwiesen werden, er könne im Rahmen eines Nießbrauchsrechts seine Ehefrau zur Mietzahlung zeitnah heranziehen. Es bedarf im Rahmen des noch anhängigen Widerspruchsverfahrens weiterer Ermittlungen über die derzeitigen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse um die A. Eigentumswohnung. An diesen Ermittlungen hat der Ast allerdings mitzuwirken.

Ob es das Grundrecht auf Freizügigkeit hier zulässt, den Ast darauf zu verweisen, er könne zur Vermeidung oder Verminderung von Hilfebedürftigkeit in seine A. Wohnung zurückziehen, kann hier offen bleiben, weil nicht aktuell geklärt ist, ob dies tatsächlich oder rechtlich überhaupt möglich ist. Diese Ermittlungen sind nicht im Beschwerdeverfahren wegen der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes anzustellen, sondern im noch anhängigen Widerspruchsverfahren.

Zum Beschwerdevorbringen des Ast ist anzumerken, dass es nicht möglich ist, höhere als die vom SG zugesprochenen Leistungen zu gewähren. Das SG hat rechtlich zutreffend von dem Gesamtbedarf einen "Risikoabschlag" von 20 Prozent vorgenommen und lediglich eine Leistungsgewährung als Darlehen angeordnet. Insbesondere kann eine höhere Kaltmiete nicht zugrundegelegt werden, denn die vom Ast vereinbarte Miete von 340 EUR ist unangemessen. Mehr als die angemessene Miete kann nicht verlangt werden, schon gar nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Wenn der Ast in dieser Situation die von ihm (ohne Kostenzusage) angemietete Wohnung nicht halten kann, so kann dies dem Ag nicht angelastet werden. Auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ist insoweit keine höhere Leistungsgewährung möglich. Es ist Sache des Ast, durch Vereinbarung mit dem Vermieter, etwa über eine Verminderung des Mietzinses oder über eine Stundung, eine Fortsetzung des Mietverhältnisses zu erreichen. Dafür, dass der Ast, ohne eine Zusage hierfür zu haben, ein unangemessenes Mietverhältnis eingegangen ist, hat der Ag nicht einzustehen.

Beide Beschwerden sind damit als unbegründet zurückzuweisen. Es verbleibt inhaltlich bei der einstweiligen Regelung im angefochtenen Beschluss des SG.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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