Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 4 V 2291/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 V 6155/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17.10.2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin ist die Witwe des 1924 geborenen und am 03.06.1996 verstorbenen R. R. (R.R.), der zuletzt wegen seiner Kriegsbeschädigung vom Beklagten eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 90 vom Hundert (v.H.) erhielt. Ausgangspunkt des vorliegenden Verfahrens ist das Begehren der Klägerin auf Anerkennung einer MdE um 100 v.H. gemäß § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X), mit dem sie die Erfüllung der Voraussetzungen für einen Anspruch auf Witwenbeihilfe nach § 48 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) herbeiführen möchte.
R.R. erlitt im September 1943 als Angehöriger der deutschen Wehrmacht Granatsplitterverletzungen im Kopf- und Halsbereich. Die aus diesem Grunde vom Beklagten gewährte Rente wurde im Laufe der Jahre mehrfach erhöht. Als Schädigungsfolgen wurden anerkannt: "Lähmung der rechtsseitigen unteren Hirnnerven und des Gesichtsnerven rechts nach Verletzung des verlängernden Markes mit psychischen Begleiterscheinungen, an Taubheit grenzende Innenohrschwerhörigkeit rechts, einhergehend mit Ohrensausen, Stecksplitter im Bereich der linken Flügel-Gaumengrube, Weichteilstecksplitter hinter dem rechten Ohr" (Bescheid vom 04.12.1990). Seit 01.06.1962 betrug die MdE 60 v.H., wobei erstmals eine "berufliche Behinderung" in die Bemessung der MdE einbezogen wurde (Bescheid vom 04.02.1963). Mit Bescheid vom 28.02.1977 erhöhte das Versorgungsamt Heidelberg die MdE auf 70 v.H., mit Bescheid vom 04.12.1990 erhöhte das Versorgungsamt Karlsruhe (VA) diese auf 80 v.H. Der Bescheid erging nach Einholung des HNO-ärztlichen Gutachtens von Dr. P. vom 06.11.1990 und der versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme von Dr. R ... Dieser berücksichtigte auf neurologischem Fachgebiet entsprechend der bisherigen Beurteilung eine MdE um 60 v.H. sowie auf HNO-ärztlichem Fachgebiet nach dem Gutachten von Dr. P. nunmehr eine MdE um 20 v.H.
Mit Schreiben vom 08.02.1995 beantragte R.R. eine erneute Erhöhung der Rente mit der Begründung, die Schädigungsfolgen hätten sich verschlimmert. Er leide insbesondere verstärkt unter Schluckbeschwerden, Sprachstörungen, Verkrampfungen der rechten Hand und Störungen des Gehörs. Das VA holte das HNO-ärztliche Gutachten von Dr. K. vom 28.08.1995 ein. Dieser führte aus, bei R.R. bestehe aufgrund der schädigungsbedingten Läsion der kaudalen Hirnnervengruppe rechts eine erhebliche dauernde Stimmstörung mit deutlicher Ermüdbarkeit der Stimme, eine erhebliche, im Alter jetzt sich verschlechternde Schluckstörung, eine leichte Sprachstörung infolge der Zungenlähmung rechts, ein deutlicher Speichelfluss aus dem rechten Mundwinkel, eine zentrale Gleichgewichtsstörung sowie eine praktische Taubheit rechts und eine geringgradige Innenohrschwerhörigkeit links. Ferner bestehe eine deutliche Funktionsbehinderung der rechten Schulter durch Ausfall des Nervus accessorius. Insbesondere die Verschlechterung der Schluckstörung sei objektivierbar. Diese sei auch 1962 zu gering eingeschätzt worden. Diese Störungen führten seitens des HNO-ärztlichen Fachgebietes zu einer MdE um 60 bis 70 v.H. Zusätzlich sei dann noch die Accessoriuslähmung rechts zu beurteilen sowie die psychische Veränderung von R.R. Dr. R. kam in seiner vä Stellungnahme hierzu vom 21.11.95 zu der Beurteilung, dass eine Erhöhung der MdE um 10 v.H. aus HNO-ärztlicher Sicht vertretbar erscheine. Unter Berücksichtigung der bereits anerkannten Lähmung des Nervus Accessorius und der psychischen Beeinträchtigungen ergebe sich eine MdE um 80 v.H. bzw. unter Berücksichtigung der besonderen beruflichen Betroffenheit um 90 v.H. gemäß § 30 Abs. 1 und 2 BVG. Mit Neufeststellungsbescheid vom 06.12.1995 gewährte das VA R.R. ab 01.02.1995 die Rente nach einer MdE um 90 v.H. gemäß § 30 Abs. 1 und 2 BVG. Die Schädigungsfolgen wurden insoweit neu gefasst, als eine retrolabyrinthäre (zentrale) Gleichgewichtsstörung zusätzlich anerkannt wurde.
R.R. verstarb am 03.06.1996 im Städtischen Klinikum K. im Anschluss an eine am 23.05.1996 durchgeführte Bypass-Operation. Am 23.07.1996 beantragte die Klägerin die Gewährung von Witwenrente nach § 38 BVG und teilte dem VA ausdrücklich mit, ein Antrag auf Witwenbeihilfe nach § 48 BVG werde nicht gestellt. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 14.10.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.1997 mit der Begründung abgelehnt, R.R. sei nicht an den Folgen der Schädigung, sondern an einer koronaren Herzkrankheit gestorben. Diese sei der Grund für die stationäre Aufnahme gewesen, in deren Verlauf er im Rahmen eines Infektes und einer Magenblutung verstorben sei. Die hiergegen zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) unter dem Aktenzeichen S 4 V 1421/97 erhobene Klage nahm die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zurück, nachdem Prof. Dr. M., Direktor der II. Medizinischen Klinik des Städtischen Klinikums K., in seinem auf Antrag der Klägerin nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingeholten Gutachten vom 12.06.1998 zu dem Ergebnis gekommen war, R.R. sei im Rahmen eines Herz-Kreislaufversagens bei infektionsbedingtem beginnenden Multiorganversagen als Folge einer postoperativen Bronchopneumonie und diffuser Magenblutung verstorben.
Der Antrag der Klägerin vom 21.06.2000 auf Erteilung eines Rücknahmebescheides gemäß § 44 SGB X und Gewährung von Witwenrente nach § 38 BVG wurde mit Bescheid vom 08.02.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.08.2001 zurückgewiesen. Klage und Berufung hiergegen blieben erfolglos (Gerichtsbescheid des SG vom 08.11.2004 - S 4 V 3281/01 und Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg [LSG] vom 18.03.2005 - L 8 V 5636/04).
Am 08.08.2005 beantragte die Klägerin anlässlich einer persönlichen Vorsprache beim Landratsamt Karlsruhe die Erteilung eines Zugunstenbescheides gemäß § 44 SGB X in Bezug auf die Höhe der MdE von R.R. sowie die Gewährung einer vollen Witwenbeihilfe nach § 48 BVG. Sie gab an, eine Beeinträchtigung ihrer Hinterbliebenenversorgung liege nicht vor, da R.R. Pensionsansprüche nach A13 bezogen habe und zwar im Höchstsatz von 75 v.H. Zur Begründung ihres Begehrens führte sie aus, sie habe jetzt von ihrem Rechtsanwalt das HNO-ärztliche Gutachten von Dr. K. erhalten und festgestellt, dass dieser die Schädigungsfolgen allein auf dem HNO-ärztlichen Fachgebiet mit 65 v.H. bewertet habe. Er habe darauf hingewiesen, dass bei der Bildung der Gesamt-MdE noch die Accessoriuslähmung rechts sowie die psychischen Veränderungen des R.R. Berücksichtigung finden müssten. Vor diesem Hintergrund hätte die MdE insgesamt mit 100 v.H. bewertet werden müssen.
Mit Bescheid vom 20.02.2006 lehnte das Landratsamt Karlsruhe den Antrag auf Erteilung eines Rücknahmebescheides nach § 44 SGB X ab. Dabei berücksichtigte es die vä Stellungnahme von Dr. C. vom 22.08.2005, wonach die MdE seinerzeit richtig bewertet worden sei.
Mit Bescheid vom 17.02.2006 lehnte das Landratsamt Karlsruhe die Gewährung von Witwenbeihilfe nach § 48 BVG mit der Begründung ab, die Grundvoraussetzungen für die Gewährung einer Witwenbeihilfe in pauschalierter Form seien nicht erfüllt, da R.R. im Zeitpunkt seines Todes weder Anspruch auf die Rente eines Erwerbsunfähigen (MdE 100 v.H.) noch auf Pflegezulage oder mindestens fünf Jahre Anspruch auf Berufsschadensausgleich gehabt habe.
Am 02.03.2006 legte die Klägerin gegen beide Bescheide Widerspruch ein. Zur Begründung gab sie an, nach ihrem Dafürhalten habe man die MdE "über den Daumen gepeilt". Um das Gesamtausmaß der schädigungsbedingten Auswirkungen auf neurologischem Fachgebiet dokumentieren zu können, hätte man damals ein Elektroenzephalogramm erstellen müssen. Sie fügte Arztbriefe der Neurologischen Universitätsklinik W. vom 06.06.1962 und 12.07.1962 zur Dokumentation der neurologischen Beeinträchtigungen bei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.04.2006 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.02.2006 gestützt auf die vä Stellungnahme vom 08.03.2006 mit der Begründung zurück, die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Rentenbescheides für R.R. vom 06.12.1995 nach § 44 SGB X lägen nicht vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 27.04.2006 wies der Beklagte auch den Widerspruch gegen den Bescheid vom 17.02.2006 zurück, da die Voraussetzungen für die Gewährung von Witwenbeihilfe nicht vorlägen. Insbesondere habe R.R. keinen Anspruch auf die Beschädigtenrente eines Erwerbsunfähigen gehabt, wie bereits mit Widerspruchsbescheid vom 26.04.2006 mitgeteilt worden sei.
Am 18.05.2006 erhob die Klägerin Klage gegen den Bescheid vom 20.02.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2006 zum SG und nahm auf die Begründung ihres Widerspruches Bezug. Zur weiteren Begründung der Klage führte sie aus, R.R. habe nach Abschluss der Volksschule beim Regierungspräsidium im Bereich Wasserwirtschaft gearbeitet und anschließend ein Fachhochschulstudium absolviert. Nach dem Krieg habe er 1948 sein Staatsexamen mit der Gesamtnote "Gut" gemacht und sei beim Wasserwirtschaftsamt A. als Bauingenieur (Tiefbau) eingestellt worden. Er habe somit sein gewünschtes Berufsziel mit viel Fleiß und Energie erreicht, wenn auch mit einer schweren Kriegsverletzung. Die Tätigkeit habe er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1987 ausgeübt.
Im weiteren Verlauf des gerichtlichen Verfahrens machte sie auch geltend, der Tod ihres Ehemannes sei insofern als Folge der Schädigung anzusehen, als R.R. ohne die Schädigungsfolgen mindestens ein Jahr länger gelebt hätte.
Mit Urteil vom 17.10.2006 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, die Klage auf Rücknahme des dem R.R. erteilten Bescheides vom 06.12.1995 und Feststellung einer MdE um 100 v.H. sei zulässig. Wegen des bei einer rückwirkenden Feststellung der MdE des Beschädigten mit 100 v.H. möglicherweise gegebenen Anspruchs auf Witwenbeihilfe nach § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 5 BVG werde das Rechtsschutzbedürfnis für die vorliegende Klage bejaht. Die Klage sei jedoch unbegründet, wobei sich die Kammer auf die überzeugende versorgungsärztliche Stellungnahme der Dr. C. vom 22.08.2005, das HNO-fachärztliche Gutachten des Dr. K. vom 28.08.1995 und die Stellungnahme des Dr. R. vom 21.11.1995 stütze. Das Urteil wurde der Klägerin am 31.10.2006 zugestellt.
Mit Schreiben vom 27.11.2006, das am 04.12.2006 beim SG einging, hat die Klägerin gegen das Urteil Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie ergänzend angegeben, sie benötige die Rente für ein Pflegeheim. In Bezug auf die Stellung von Anträgen habe sie sich auf die Beamten verlassen, da sie als Hausfrau nicht im Verwaltungswesen befähigt sei. Sie sei laufend "auf ein falsches Gleis gefahren" worden. Die Beamten hätten dem Chirurgen geglaubt, dass der Tod ihres Mannes nicht mit dem Kriegsleiden in Zusammenhang gestanden habe. Tatsächlich hätte ihr Mann ohne die kriegsbedingten Schäden der Hirnnerven die Bypass-Operation überstanden.
Weiterhin macht sie geltend, ihr Ehemann habe am 08.02.1995 noch selbst den Antrag auf Erhöhung der Rente gestellt. Den Bescheid vom 06.12.1995 mit der Bewertung von 90 v.H. habe er sehr gerecht gefunden. Er sei jedoch der Meinung gewesen, dass das Verfahren damit noch nicht abgeschlossen gewesen sei, da er von Dr. K. gewusst habe, dass noch eine neurologische Untersuchung erfolgen müsse. Hätte Dr. R. ihren Ehemann zu einer Untersuchung einbestellt, so wäre er zu dem Ergebnis gekommen, die MdE betrage 100 v.H.
Auf Anfrage des Senats teilte die Klägerin mit, sie habe das Berufungsschreiben vom 27.11.2006 aus Krankheitsgründen ihrem Sohn zur Weitergabe übergeben. Dieser habe es am 30.11.2006 in den Briefkasten des SG eingeworfen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17.10.2006 sowie den Bescheid vom 20.02.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2006 aufzuheben und festzustellen, dass die MdE ihres Ehemannes R. R. zuletzt vor seinem Tod 100 v.H. betragen hat.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er vertritt die Auffassung, die MdE des R.R. sei mit 90 v. H. richtig eingeschätzt worden. Die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Witwenrente bzw. Witwenbeihilfe lägen bei der Klägerin nicht vor.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen, die beigezogenen Gerichtsakten des SG (S 4 V 1421/97 und S 4 V 3281/01) sowie die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist gemäß §§ 143, 144 SGG statthaft. Sie ist auch zulässig, obwohl die Berufungsfrist versäumt ist. Die Berufungsschrift ging erst am 04.12.2006 und damit nach Ablauf der Monatsfrist des § 151 Abs. 2 SGG am 30.11.2006 bei dem SG ein. Der Klägerin ist jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da sie ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Sie hat glaubhaft angegeben, sie habe wegen ihrer eigenen Gebrechlichkeit das Schreiben vom 27.11.2006 ihrem Sohn zur Einreichung beim SG übergeben. Dieser hat es, wie sich eindeutig aus dem Eingangsstempel des SG ergibt, erst am 04.12.2006 dort eingeworfen. Dies ist der Klägerin jedoch nicht zuzurechnen, da ihr Sohn nicht die Stellung eines Bevollmächtigten, sondern lediglich die eines Boten hatte (vgl. Meyer-Ladewig/Keller, SGG, 8. Aufl., § 67 SGG Rdnr. 3 f).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung einer MdE um 100 v.H. und Rücknahme des Bescheides vom 06.12.1995.
In Übereinstimmung mit dem SG hält der Senat das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis im Hinblick auf die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage für gegeben. Dieses Rechtsschutzbedürfnis ist bei der Anfechtungsklage regelmäßig zu bejahen (Meyer-Ladewig, a.a.O, vor § 51 Rdnr. 16a). Allerdings kann die Klägerin mit ihrem Antrag auf rückwirkende Anerkennung einer höheren MdE durch Korrektur des Bescheides vom 06.12.2995 gem. § 44 SGB X nicht mehr erreichen, dass Rentenbeträge für R.R. nachgezahlt werden, da eine rückwirkende Leistungsgewährung nach § 44 Abs. 4 SGB X längstens für einen Zeitraum von vier Jahren vor dem Antrag auf Rücknahme des ursprünglichen Bescheides in Betracht kommt. Das rechtliche Interesse der Klägerin an der Rücknahme dieses Bescheides und der Feststellung der höheren MdE ergibt sich jedoch daraus, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Witwenbeihilfe als erfüllt gelten, wenn der verstorbene Beschädigte im Zeitpunkt des Todes Anspruch auf die Beschädigtenrente eines Erwerbsunfähigen hatte (§ 48 Abs. 1 Satz 5 BVG). Zwar ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ein erst nach dem Tode des Beschädigten gestellter Antrag gemäß § 44 SGB X grundsätzlich ungeeignet, den Vermutungstatbestand für die Voraussetzung der Witwenbeihilfe zu erfüllen (BSG SozR 3-3100 § 48 Nr. 6, Urteil vom 10.02.1993 und Nr. 7, Urteil vom 23.06.1993). Dies gilt jedoch nicht, wenn ohne weitere Sachaufklärung bereits nach dem Inhalt der Versorgungsakten die Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind. Insoweit ist es nicht ausgeschlossen, dass das begehrte Urteil die rechtliche und wirtschaftliche Stellung der Klägerin verbessern würde.
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, ist der Verwaltungsakt zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 und 2 SGB X). Nach dem Inhalt der Versorgungsakten - insbesondere unter Berücksichtigung des Gutachtens von Dr. K. und der vä Stellungnahme von Dr. R. - ist die Bemessung der MdE des R.R. mit 90 v. H. nicht zu beanstanden. Die MdE ist nach § 30 Abs. 1 BVG nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen. Dabei sind die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, Ausgabe 1983 (AHP), die zum Zeitpunkt des Todes des R.R. gültig waren, heranzuziehen. Hierbei handelt es sich zwar nicht um Rechtsnormen, jedoch um ein einleuchtendes, abgewogenes und geschlossenes Beurteilungsgefüge zur Bestimmung der MdE, das im Interesse der Gleichbehandlung der Versorgungsberechtigten von den Gerichten als antizipierte Sachverständigengutachten zu berücksichtigen ist und normähnliche Auswirkungen hat (BSG Urteil vom 01.01.1999 - B 9 V 25/98).
Die Schädigungsfolgen bei R.R. lagen auf neurologisch-psychiatrischem und HNO-ärztlichem Fachgebiet. Er litt auf Grund der Nervenschäden im Bereich der rechten Gesichtshälfte an Schluckbeschwerden, Sprachschwierigkeiten, einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit rechts, einer Gleichgewichtsstörung und einer Funktionsbehinderung der rechten Schulter durch Ausfall des Nervus accessorius. Die Schädigung führte auch zu psychischen Begleiterscheinungen (Erschöpfungszustände, leichte Erregbarkeit). Der Verlauf der schädigungsbedingten Funktionsbeeinträchtigungen lässt sich an Hand der Akten des Beklagten gut nachvollziehen, vor allem, da R.R. regelmäßig anlässlich der Gewährung von Badekuren nervenärztlich begutachtet wurde. Trotz der erheblichen Befunde hat R.R. bis zum Alter von 63 Jahren den Beruf des Bauamtmannes ausgeübt, was ihm nur unter Schwierigkeiten möglich war und weshalb der Beklagte eine besondere berufliche Betroffenheit bei der Bemessung der MdE berücksichtigt hat. Bei den aktenkundigen Befunden erscheint auch dem Senat eine MdE für die Beeinträchtigungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet um 60 v.H., wie sie Dr. R. in seiner vä Stellungnahme vom 21.11.1995 unter Bezugnahme auf das nervenärztliche Gutachten von Dr. R. vom 02.04.1976 annimmt, angemessen. Dabei sind auch die psychischen Begleiterscheinungen ersichtlich mit berücksichtigt. Auf HNO-ärztlichem Fachgebiet beschreibt Dr. K. in dem Gutachten vom 28.08.1995, auf das die Klägerin vor allem Bezug nimmt, unverändert eine praktische Taubheit rechts, die sich jedoch wegen einer geringgradigen altersbedingten Hochtonschwerhörigkeit links stärker auswirke, sowie die bekannte zentrale Gleichgewichtsstörung. Die übrigen von Dr. K. beschriebenen Störungen - die Schluck- und die Sprachstörung - sind Folgen der auf neurologischem Fachgebiet bereits berücksichtigten Stimmband- und Zungenlähmung. Daraus ergibt sich, dass Dr. K. bei seiner Einschätzung der MdE auf 60 -70 v.H. einen wesentlichen Teil der Störungen auf neurologischem Fachgebiet bereits in seine Beurteilung einbezogen hat. Lediglich die psychischen Beeinträchtigungen und die Funktionsstörung des Schultergelenkes wegen der Schädigung des Nervus accessorius waren nach dem Gutachten von Dr. K. noch zusätzlich zu berücksichtigen. Insoweit hatte R.R. in seinem Antrag vom 08.02.1995 eine Verschlechterung geltend gemacht. Er führte insbesondere Verkrampfungen der rechten Hand und eine Kraftminderung des rechten Armes auf diese Verletzung zurück. Gegenüber Dr. K. hatte er auch eine vermehrte Reizbarkeit und eine rasche Ermüdbarkeit beklagt. Dr. R., der selbst Neurologe ist, hat gleichwohl die Einholung eines neurologischen Gutachtens für entbehrlich gehalten und eine Erhöhung der MdE um 10 v. H. für angemessen erachtet. Diese Erhöhung war nach Überzeugung des Senats auf Grund der aktenkundigen Befunde ausreichend. Aus dem Abschlussbericht über die Badekur in der Kurklinik T. vom 03.06.1994 ergibt sich, dass die Beschwerden im Bereich der rechten Schulter vollständig zurückgegangen waren. Dr. K. vertritt in seinem Gutachten die Auffassung, eine wesentliche Verschlechterung des neurologischen Befundes im Bereich der Schulter liege nicht vor. Die entsprechenden Klagen seien eher Ausdruck der psychischen Veränderung. Somit lässt sich an Hand der Akten allenfalls eine leichte Verschlechterung der anerkannten Schädigungsfolgen im Bereich der Schulter und der Psyche nachweisen. Dieser Verschlechterung hat der Beklagte mit der Erhöhung der MdE um 10 v. H. Rechnung getragen. Dabei war zu berücksichtigen, dass eine Überschneidung der Schädigungsfolgen auf neurologischem und HNO-ärztlichem Fachgebiet vorlag.
Es ist somit nicht ersichtlich, dass das VA bei Erlass der Bescheides vom 06.12.1995 das Recht unrichtig angewandt hat. Im Gegensatz zu dem Vorbringen der Klägerin ist auch keinesfalls davon auszugehen, dass über den Antrag des R.R. vom 05.08.1995 auf Erhöhung der Rente mit diesem Bescheid nicht abschließend entschieden wurde. Dies ergibt sich eindeutig aus Form und Inhalt des Bescheides, insbesondere der erteilten Rechtsbehelfsbelehrung. Es kommt nach alledem nicht darauf an, ob R.R. damit gerechnet hat, noch zu einer neurologischen Untersuchung einbestellt zu werden.
Da der Bescheid vom 06.12.1995 rechtlich nicht zu beanstanden ist, besteht kein Anspruch auf Feststellung einer MdE von 100 v.H.
Die Berufung war aus den genannten Gründen zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für die Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin ist die Witwe des 1924 geborenen und am 03.06.1996 verstorbenen R. R. (R.R.), der zuletzt wegen seiner Kriegsbeschädigung vom Beklagten eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 90 vom Hundert (v.H.) erhielt. Ausgangspunkt des vorliegenden Verfahrens ist das Begehren der Klägerin auf Anerkennung einer MdE um 100 v.H. gemäß § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X), mit dem sie die Erfüllung der Voraussetzungen für einen Anspruch auf Witwenbeihilfe nach § 48 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) herbeiführen möchte.
R.R. erlitt im September 1943 als Angehöriger der deutschen Wehrmacht Granatsplitterverletzungen im Kopf- und Halsbereich. Die aus diesem Grunde vom Beklagten gewährte Rente wurde im Laufe der Jahre mehrfach erhöht. Als Schädigungsfolgen wurden anerkannt: "Lähmung der rechtsseitigen unteren Hirnnerven und des Gesichtsnerven rechts nach Verletzung des verlängernden Markes mit psychischen Begleiterscheinungen, an Taubheit grenzende Innenohrschwerhörigkeit rechts, einhergehend mit Ohrensausen, Stecksplitter im Bereich der linken Flügel-Gaumengrube, Weichteilstecksplitter hinter dem rechten Ohr" (Bescheid vom 04.12.1990). Seit 01.06.1962 betrug die MdE 60 v.H., wobei erstmals eine "berufliche Behinderung" in die Bemessung der MdE einbezogen wurde (Bescheid vom 04.02.1963). Mit Bescheid vom 28.02.1977 erhöhte das Versorgungsamt Heidelberg die MdE auf 70 v.H., mit Bescheid vom 04.12.1990 erhöhte das Versorgungsamt Karlsruhe (VA) diese auf 80 v.H. Der Bescheid erging nach Einholung des HNO-ärztlichen Gutachtens von Dr. P. vom 06.11.1990 und der versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme von Dr. R ... Dieser berücksichtigte auf neurologischem Fachgebiet entsprechend der bisherigen Beurteilung eine MdE um 60 v.H. sowie auf HNO-ärztlichem Fachgebiet nach dem Gutachten von Dr. P. nunmehr eine MdE um 20 v.H.
Mit Schreiben vom 08.02.1995 beantragte R.R. eine erneute Erhöhung der Rente mit der Begründung, die Schädigungsfolgen hätten sich verschlimmert. Er leide insbesondere verstärkt unter Schluckbeschwerden, Sprachstörungen, Verkrampfungen der rechten Hand und Störungen des Gehörs. Das VA holte das HNO-ärztliche Gutachten von Dr. K. vom 28.08.1995 ein. Dieser führte aus, bei R.R. bestehe aufgrund der schädigungsbedingten Läsion der kaudalen Hirnnervengruppe rechts eine erhebliche dauernde Stimmstörung mit deutlicher Ermüdbarkeit der Stimme, eine erhebliche, im Alter jetzt sich verschlechternde Schluckstörung, eine leichte Sprachstörung infolge der Zungenlähmung rechts, ein deutlicher Speichelfluss aus dem rechten Mundwinkel, eine zentrale Gleichgewichtsstörung sowie eine praktische Taubheit rechts und eine geringgradige Innenohrschwerhörigkeit links. Ferner bestehe eine deutliche Funktionsbehinderung der rechten Schulter durch Ausfall des Nervus accessorius. Insbesondere die Verschlechterung der Schluckstörung sei objektivierbar. Diese sei auch 1962 zu gering eingeschätzt worden. Diese Störungen führten seitens des HNO-ärztlichen Fachgebietes zu einer MdE um 60 bis 70 v.H. Zusätzlich sei dann noch die Accessoriuslähmung rechts zu beurteilen sowie die psychische Veränderung von R.R. Dr. R. kam in seiner vä Stellungnahme hierzu vom 21.11.95 zu der Beurteilung, dass eine Erhöhung der MdE um 10 v.H. aus HNO-ärztlicher Sicht vertretbar erscheine. Unter Berücksichtigung der bereits anerkannten Lähmung des Nervus Accessorius und der psychischen Beeinträchtigungen ergebe sich eine MdE um 80 v.H. bzw. unter Berücksichtigung der besonderen beruflichen Betroffenheit um 90 v.H. gemäß § 30 Abs. 1 und 2 BVG. Mit Neufeststellungsbescheid vom 06.12.1995 gewährte das VA R.R. ab 01.02.1995 die Rente nach einer MdE um 90 v.H. gemäß § 30 Abs. 1 und 2 BVG. Die Schädigungsfolgen wurden insoweit neu gefasst, als eine retrolabyrinthäre (zentrale) Gleichgewichtsstörung zusätzlich anerkannt wurde.
R.R. verstarb am 03.06.1996 im Städtischen Klinikum K. im Anschluss an eine am 23.05.1996 durchgeführte Bypass-Operation. Am 23.07.1996 beantragte die Klägerin die Gewährung von Witwenrente nach § 38 BVG und teilte dem VA ausdrücklich mit, ein Antrag auf Witwenbeihilfe nach § 48 BVG werde nicht gestellt. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 14.10.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.1997 mit der Begründung abgelehnt, R.R. sei nicht an den Folgen der Schädigung, sondern an einer koronaren Herzkrankheit gestorben. Diese sei der Grund für die stationäre Aufnahme gewesen, in deren Verlauf er im Rahmen eines Infektes und einer Magenblutung verstorben sei. Die hiergegen zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) unter dem Aktenzeichen S 4 V 1421/97 erhobene Klage nahm die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zurück, nachdem Prof. Dr. M., Direktor der II. Medizinischen Klinik des Städtischen Klinikums K., in seinem auf Antrag der Klägerin nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingeholten Gutachten vom 12.06.1998 zu dem Ergebnis gekommen war, R.R. sei im Rahmen eines Herz-Kreislaufversagens bei infektionsbedingtem beginnenden Multiorganversagen als Folge einer postoperativen Bronchopneumonie und diffuser Magenblutung verstorben.
Der Antrag der Klägerin vom 21.06.2000 auf Erteilung eines Rücknahmebescheides gemäß § 44 SGB X und Gewährung von Witwenrente nach § 38 BVG wurde mit Bescheid vom 08.02.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.08.2001 zurückgewiesen. Klage und Berufung hiergegen blieben erfolglos (Gerichtsbescheid des SG vom 08.11.2004 - S 4 V 3281/01 und Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg [LSG] vom 18.03.2005 - L 8 V 5636/04).
Am 08.08.2005 beantragte die Klägerin anlässlich einer persönlichen Vorsprache beim Landratsamt Karlsruhe die Erteilung eines Zugunstenbescheides gemäß § 44 SGB X in Bezug auf die Höhe der MdE von R.R. sowie die Gewährung einer vollen Witwenbeihilfe nach § 48 BVG. Sie gab an, eine Beeinträchtigung ihrer Hinterbliebenenversorgung liege nicht vor, da R.R. Pensionsansprüche nach A13 bezogen habe und zwar im Höchstsatz von 75 v.H. Zur Begründung ihres Begehrens führte sie aus, sie habe jetzt von ihrem Rechtsanwalt das HNO-ärztliche Gutachten von Dr. K. erhalten und festgestellt, dass dieser die Schädigungsfolgen allein auf dem HNO-ärztlichen Fachgebiet mit 65 v.H. bewertet habe. Er habe darauf hingewiesen, dass bei der Bildung der Gesamt-MdE noch die Accessoriuslähmung rechts sowie die psychischen Veränderungen des R.R. Berücksichtigung finden müssten. Vor diesem Hintergrund hätte die MdE insgesamt mit 100 v.H. bewertet werden müssen.
Mit Bescheid vom 20.02.2006 lehnte das Landratsamt Karlsruhe den Antrag auf Erteilung eines Rücknahmebescheides nach § 44 SGB X ab. Dabei berücksichtigte es die vä Stellungnahme von Dr. C. vom 22.08.2005, wonach die MdE seinerzeit richtig bewertet worden sei.
Mit Bescheid vom 17.02.2006 lehnte das Landratsamt Karlsruhe die Gewährung von Witwenbeihilfe nach § 48 BVG mit der Begründung ab, die Grundvoraussetzungen für die Gewährung einer Witwenbeihilfe in pauschalierter Form seien nicht erfüllt, da R.R. im Zeitpunkt seines Todes weder Anspruch auf die Rente eines Erwerbsunfähigen (MdE 100 v.H.) noch auf Pflegezulage oder mindestens fünf Jahre Anspruch auf Berufsschadensausgleich gehabt habe.
Am 02.03.2006 legte die Klägerin gegen beide Bescheide Widerspruch ein. Zur Begründung gab sie an, nach ihrem Dafürhalten habe man die MdE "über den Daumen gepeilt". Um das Gesamtausmaß der schädigungsbedingten Auswirkungen auf neurologischem Fachgebiet dokumentieren zu können, hätte man damals ein Elektroenzephalogramm erstellen müssen. Sie fügte Arztbriefe der Neurologischen Universitätsklinik W. vom 06.06.1962 und 12.07.1962 zur Dokumentation der neurologischen Beeinträchtigungen bei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.04.2006 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.02.2006 gestützt auf die vä Stellungnahme vom 08.03.2006 mit der Begründung zurück, die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Rentenbescheides für R.R. vom 06.12.1995 nach § 44 SGB X lägen nicht vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 27.04.2006 wies der Beklagte auch den Widerspruch gegen den Bescheid vom 17.02.2006 zurück, da die Voraussetzungen für die Gewährung von Witwenbeihilfe nicht vorlägen. Insbesondere habe R.R. keinen Anspruch auf die Beschädigtenrente eines Erwerbsunfähigen gehabt, wie bereits mit Widerspruchsbescheid vom 26.04.2006 mitgeteilt worden sei.
Am 18.05.2006 erhob die Klägerin Klage gegen den Bescheid vom 20.02.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2006 zum SG und nahm auf die Begründung ihres Widerspruches Bezug. Zur weiteren Begründung der Klage führte sie aus, R.R. habe nach Abschluss der Volksschule beim Regierungspräsidium im Bereich Wasserwirtschaft gearbeitet und anschließend ein Fachhochschulstudium absolviert. Nach dem Krieg habe er 1948 sein Staatsexamen mit der Gesamtnote "Gut" gemacht und sei beim Wasserwirtschaftsamt A. als Bauingenieur (Tiefbau) eingestellt worden. Er habe somit sein gewünschtes Berufsziel mit viel Fleiß und Energie erreicht, wenn auch mit einer schweren Kriegsverletzung. Die Tätigkeit habe er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1987 ausgeübt.
Im weiteren Verlauf des gerichtlichen Verfahrens machte sie auch geltend, der Tod ihres Ehemannes sei insofern als Folge der Schädigung anzusehen, als R.R. ohne die Schädigungsfolgen mindestens ein Jahr länger gelebt hätte.
Mit Urteil vom 17.10.2006 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, die Klage auf Rücknahme des dem R.R. erteilten Bescheides vom 06.12.1995 und Feststellung einer MdE um 100 v.H. sei zulässig. Wegen des bei einer rückwirkenden Feststellung der MdE des Beschädigten mit 100 v.H. möglicherweise gegebenen Anspruchs auf Witwenbeihilfe nach § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 5 BVG werde das Rechtsschutzbedürfnis für die vorliegende Klage bejaht. Die Klage sei jedoch unbegründet, wobei sich die Kammer auf die überzeugende versorgungsärztliche Stellungnahme der Dr. C. vom 22.08.2005, das HNO-fachärztliche Gutachten des Dr. K. vom 28.08.1995 und die Stellungnahme des Dr. R. vom 21.11.1995 stütze. Das Urteil wurde der Klägerin am 31.10.2006 zugestellt.
Mit Schreiben vom 27.11.2006, das am 04.12.2006 beim SG einging, hat die Klägerin gegen das Urteil Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie ergänzend angegeben, sie benötige die Rente für ein Pflegeheim. In Bezug auf die Stellung von Anträgen habe sie sich auf die Beamten verlassen, da sie als Hausfrau nicht im Verwaltungswesen befähigt sei. Sie sei laufend "auf ein falsches Gleis gefahren" worden. Die Beamten hätten dem Chirurgen geglaubt, dass der Tod ihres Mannes nicht mit dem Kriegsleiden in Zusammenhang gestanden habe. Tatsächlich hätte ihr Mann ohne die kriegsbedingten Schäden der Hirnnerven die Bypass-Operation überstanden.
Weiterhin macht sie geltend, ihr Ehemann habe am 08.02.1995 noch selbst den Antrag auf Erhöhung der Rente gestellt. Den Bescheid vom 06.12.1995 mit der Bewertung von 90 v.H. habe er sehr gerecht gefunden. Er sei jedoch der Meinung gewesen, dass das Verfahren damit noch nicht abgeschlossen gewesen sei, da er von Dr. K. gewusst habe, dass noch eine neurologische Untersuchung erfolgen müsse. Hätte Dr. R. ihren Ehemann zu einer Untersuchung einbestellt, so wäre er zu dem Ergebnis gekommen, die MdE betrage 100 v.H.
Auf Anfrage des Senats teilte die Klägerin mit, sie habe das Berufungsschreiben vom 27.11.2006 aus Krankheitsgründen ihrem Sohn zur Weitergabe übergeben. Dieser habe es am 30.11.2006 in den Briefkasten des SG eingeworfen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17.10.2006 sowie den Bescheid vom 20.02.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2006 aufzuheben und festzustellen, dass die MdE ihres Ehemannes R. R. zuletzt vor seinem Tod 100 v.H. betragen hat.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er vertritt die Auffassung, die MdE des R.R. sei mit 90 v. H. richtig eingeschätzt worden. Die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Witwenrente bzw. Witwenbeihilfe lägen bei der Klägerin nicht vor.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen, die beigezogenen Gerichtsakten des SG (S 4 V 1421/97 und S 4 V 3281/01) sowie die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist gemäß §§ 143, 144 SGG statthaft. Sie ist auch zulässig, obwohl die Berufungsfrist versäumt ist. Die Berufungsschrift ging erst am 04.12.2006 und damit nach Ablauf der Monatsfrist des § 151 Abs. 2 SGG am 30.11.2006 bei dem SG ein. Der Klägerin ist jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da sie ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Sie hat glaubhaft angegeben, sie habe wegen ihrer eigenen Gebrechlichkeit das Schreiben vom 27.11.2006 ihrem Sohn zur Einreichung beim SG übergeben. Dieser hat es, wie sich eindeutig aus dem Eingangsstempel des SG ergibt, erst am 04.12.2006 dort eingeworfen. Dies ist der Klägerin jedoch nicht zuzurechnen, da ihr Sohn nicht die Stellung eines Bevollmächtigten, sondern lediglich die eines Boten hatte (vgl. Meyer-Ladewig/Keller, SGG, 8. Aufl., § 67 SGG Rdnr. 3 f).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung einer MdE um 100 v.H. und Rücknahme des Bescheides vom 06.12.1995.
In Übereinstimmung mit dem SG hält der Senat das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis im Hinblick auf die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage für gegeben. Dieses Rechtsschutzbedürfnis ist bei der Anfechtungsklage regelmäßig zu bejahen (Meyer-Ladewig, a.a.O, vor § 51 Rdnr. 16a). Allerdings kann die Klägerin mit ihrem Antrag auf rückwirkende Anerkennung einer höheren MdE durch Korrektur des Bescheides vom 06.12.2995 gem. § 44 SGB X nicht mehr erreichen, dass Rentenbeträge für R.R. nachgezahlt werden, da eine rückwirkende Leistungsgewährung nach § 44 Abs. 4 SGB X längstens für einen Zeitraum von vier Jahren vor dem Antrag auf Rücknahme des ursprünglichen Bescheides in Betracht kommt. Das rechtliche Interesse der Klägerin an der Rücknahme dieses Bescheides und der Feststellung der höheren MdE ergibt sich jedoch daraus, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Witwenbeihilfe als erfüllt gelten, wenn der verstorbene Beschädigte im Zeitpunkt des Todes Anspruch auf die Beschädigtenrente eines Erwerbsunfähigen hatte (§ 48 Abs. 1 Satz 5 BVG). Zwar ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ein erst nach dem Tode des Beschädigten gestellter Antrag gemäß § 44 SGB X grundsätzlich ungeeignet, den Vermutungstatbestand für die Voraussetzung der Witwenbeihilfe zu erfüllen (BSG SozR 3-3100 § 48 Nr. 6, Urteil vom 10.02.1993 und Nr. 7, Urteil vom 23.06.1993). Dies gilt jedoch nicht, wenn ohne weitere Sachaufklärung bereits nach dem Inhalt der Versorgungsakten die Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind. Insoweit ist es nicht ausgeschlossen, dass das begehrte Urteil die rechtliche und wirtschaftliche Stellung der Klägerin verbessern würde.
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, ist der Verwaltungsakt zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 und 2 SGB X). Nach dem Inhalt der Versorgungsakten - insbesondere unter Berücksichtigung des Gutachtens von Dr. K. und der vä Stellungnahme von Dr. R. - ist die Bemessung der MdE des R.R. mit 90 v. H. nicht zu beanstanden. Die MdE ist nach § 30 Abs. 1 BVG nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen. Dabei sind die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, Ausgabe 1983 (AHP), die zum Zeitpunkt des Todes des R.R. gültig waren, heranzuziehen. Hierbei handelt es sich zwar nicht um Rechtsnormen, jedoch um ein einleuchtendes, abgewogenes und geschlossenes Beurteilungsgefüge zur Bestimmung der MdE, das im Interesse der Gleichbehandlung der Versorgungsberechtigten von den Gerichten als antizipierte Sachverständigengutachten zu berücksichtigen ist und normähnliche Auswirkungen hat (BSG Urteil vom 01.01.1999 - B 9 V 25/98).
Die Schädigungsfolgen bei R.R. lagen auf neurologisch-psychiatrischem und HNO-ärztlichem Fachgebiet. Er litt auf Grund der Nervenschäden im Bereich der rechten Gesichtshälfte an Schluckbeschwerden, Sprachschwierigkeiten, einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit rechts, einer Gleichgewichtsstörung und einer Funktionsbehinderung der rechten Schulter durch Ausfall des Nervus accessorius. Die Schädigung führte auch zu psychischen Begleiterscheinungen (Erschöpfungszustände, leichte Erregbarkeit). Der Verlauf der schädigungsbedingten Funktionsbeeinträchtigungen lässt sich an Hand der Akten des Beklagten gut nachvollziehen, vor allem, da R.R. regelmäßig anlässlich der Gewährung von Badekuren nervenärztlich begutachtet wurde. Trotz der erheblichen Befunde hat R.R. bis zum Alter von 63 Jahren den Beruf des Bauamtmannes ausgeübt, was ihm nur unter Schwierigkeiten möglich war und weshalb der Beklagte eine besondere berufliche Betroffenheit bei der Bemessung der MdE berücksichtigt hat. Bei den aktenkundigen Befunden erscheint auch dem Senat eine MdE für die Beeinträchtigungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet um 60 v.H., wie sie Dr. R. in seiner vä Stellungnahme vom 21.11.1995 unter Bezugnahme auf das nervenärztliche Gutachten von Dr. R. vom 02.04.1976 annimmt, angemessen. Dabei sind auch die psychischen Begleiterscheinungen ersichtlich mit berücksichtigt. Auf HNO-ärztlichem Fachgebiet beschreibt Dr. K. in dem Gutachten vom 28.08.1995, auf das die Klägerin vor allem Bezug nimmt, unverändert eine praktische Taubheit rechts, die sich jedoch wegen einer geringgradigen altersbedingten Hochtonschwerhörigkeit links stärker auswirke, sowie die bekannte zentrale Gleichgewichtsstörung. Die übrigen von Dr. K. beschriebenen Störungen - die Schluck- und die Sprachstörung - sind Folgen der auf neurologischem Fachgebiet bereits berücksichtigten Stimmband- und Zungenlähmung. Daraus ergibt sich, dass Dr. K. bei seiner Einschätzung der MdE auf 60 -70 v.H. einen wesentlichen Teil der Störungen auf neurologischem Fachgebiet bereits in seine Beurteilung einbezogen hat. Lediglich die psychischen Beeinträchtigungen und die Funktionsstörung des Schultergelenkes wegen der Schädigung des Nervus accessorius waren nach dem Gutachten von Dr. K. noch zusätzlich zu berücksichtigen. Insoweit hatte R.R. in seinem Antrag vom 08.02.1995 eine Verschlechterung geltend gemacht. Er führte insbesondere Verkrampfungen der rechten Hand und eine Kraftminderung des rechten Armes auf diese Verletzung zurück. Gegenüber Dr. K. hatte er auch eine vermehrte Reizbarkeit und eine rasche Ermüdbarkeit beklagt. Dr. R., der selbst Neurologe ist, hat gleichwohl die Einholung eines neurologischen Gutachtens für entbehrlich gehalten und eine Erhöhung der MdE um 10 v. H. für angemessen erachtet. Diese Erhöhung war nach Überzeugung des Senats auf Grund der aktenkundigen Befunde ausreichend. Aus dem Abschlussbericht über die Badekur in der Kurklinik T. vom 03.06.1994 ergibt sich, dass die Beschwerden im Bereich der rechten Schulter vollständig zurückgegangen waren. Dr. K. vertritt in seinem Gutachten die Auffassung, eine wesentliche Verschlechterung des neurologischen Befundes im Bereich der Schulter liege nicht vor. Die entsprechenden Klagen seien eher Ausdruck der psychischen Veränderung. Somit lässt sich an Hand der Akten allenfalls eine leichte Verschlechterung der anerkannten Schädigungsfolgen im Bereich der Schulter und der Psyche nachweisen. Dieser Verschlechterung hat der Beklagte mit der Erhöhung der MdE um 10 v. H. Rechnung getragen. Dabei war zu berücksichtigen, dass eine Überschneidung der Schädigungsfolgen auf neurologischem und HNO-ärztlichem Fachgebiet vorlag.
Es ist somit nicht ersichtlich, dass das VA bei Erlass der Bescheides vom 06.12.1995 das Recht unrichtig angewandt hat. Im Gegensatz zu dem Vorbringen der Klägerin ist auch keinesfalls davon auszugehen, dass über den Antrag des R.R. vom 05.08.1995 auf Erhöhung der Rente mit diesem Bescheid nicht abschließend entschieden wurde. Dies ergibt sich eindeutig aus Form und Inhalt des Bescheides, insbesondere der erteilten Rechtsbehelfsbelehrung. Es kommt nach alledem nicht darauf an, ob R.R. damit gerechnet hat, noch zu einer neurologischen Untersuchung einbestellt zu werden.
Da der Bescheid vom 06.12.1995 rechtlich nicht zu beanstanden ist, besteht kein Anspruch auf Feststellung einer MdE von 100 v.H.
Die Berufung war aus den genannten Gründen zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für die Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved