L 5 AS 1012/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 65 AS 3306/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 AS 1012/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufungen der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Februar 2007 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Berlin zurückverwiesen. Im Übrigen werden die Berufungen zurückgewiesen. Die Kostenentscheidung bleibt dem Sozialgericht vorbehalten. Die Revision wird nicht zugelassen. -

Tatbestand:

Die Kläger begehren im Berufungsverfahren noch die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) für die Zeit vom 01. Januar bis zum 31. März 2005, für Mai 2005 sowie vom 01. Juli bis zum 31. Oktober 2005.

Der 1959 geborene Kläger zu 1), der bis zum 11. Februar 2004 Arbeitslosengeld I in Höhe eines wöchentlichen Zahlbetrages von 200,83 EUR und ab dem Folgetag Arbeitslosenhilfe bezogen hatte, beantragte am 20. Oktober 2004 die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Bei dieser Gelegenheit gab er an, mit der 1969 geborenen B L – der Klägerin zu 2) - in eheähnlicher Gemeinschaft zu leben. Diese beziehe aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung ein monatliches Gehalt. Sie bewohnten mit dem 1995 geborenen Sohn D – dem Kläger zu 3) - eine 76,15 m² große 3-Zimmer-Wohnung. Die monatliche Kaltmiete betrage 346,04 EUR, die Vorauszahlung für die Betriebkosten beliefe sich auf 97,15 EUR. Sie bezögen Fernwärme und würden sechsmal jährlich, im Jahre 2005 wieder am 28. Februar, Vorauszahlungen in Höhe von 113,00 EUR an die B zahlen. Für eine Kfz-Haftpflichtversicherung habe er jährlich 229,20 EUR aufzuwenden.

Mit nach Bekunden des Klägers zu 1) ihm am 24. November 2004 zugegangenem Bescheid vom 22. November 2004 lehnte der Beklagte die Gewährung der beantragten Leistung mangels Hilfebedürftigkeit des Klägers zu 1) ab. Den hiergegen gerichteten, am 29. Dezember 2004 (Mittwoch) eingegangenen Widerspruch des Klägers zu 1), mit dem dieser insbesondere geltend machte, dass das ihm bis zum 11. Februar 2004 zustehende Arbeitslosengeld zu Unrecht nicht berücksichtigt worden sei, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 2005 als unbegründet zurück. Der Kläger sei nicht hilfebedürftig. Die Regelleistung in Höhe von 345,00 EUR verringere sich bei mindestens 18-jährigen Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft auf jeweils 311,00 EUR. Weiter seien Kosten für Miete und Unterkunft anzusetzen, dabei jedoch die geltend gemachten Heizkosten in Anwendung von § 2 Abs. 2 der Regelsatzverordnung zu § 28 des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches um einen Pauschalbetrag für Warmwasser in Höhe von 30,50 EUR zu kürzen. Dem sich auf 1.298,19 EUR belaufenden Gesamtbedarf stehe ein anrechenbares Einkommen in Höhe von 1.401,64 EUR gegenüber. Dieser Betrag errechne sich aus dem Nettoeinkommen der Klägerin zu 2), das um eine Pauschale für angemessene Versicherungen in Höhe von 30,00 EUR, Fahrkosten in Höhe von 22,80 EUR, Kosten für eine Kfz-Versicherung von 19,10 EUR, einen Freibetrag von 15,33 EUR sowie einen weiteren Freibetrag nach § 30 SGB II bereinigt worden sei, zzgl. des Kindergeldes in Höhe von 154,00 EUR.

Hiergegen hat der Kläger zu 1) am 11. Mai 2005 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben. Ein Leistungsanspruch nach § 19 SGB II ergebe sich schon daraus, dass ihm ein Zuschlag nach § 24 SGB II wegen Bezuges von Arbeitslosengeld bis zum 11. Februar 2004 gewährt werden müsse. In die Bedarfsberechnung sei nach § 19 SGB II der Zuschlag nach § 24 SGB II einzubeziehen, sodass das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft nicht ausreiche, deren Bedarf zu decken. Weiter sei er seit dem 01. Januar 2005 nicht mehr pflichtversichert; eine Familienversicherung sei nicht möglich. Es seien daher wenigstens die fiktiven Beiträge gemäß § 246 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) in Höhe von 140,00 EUR zu berücksichtigen und bei dem anzurechnenden Einkommen seiner Partnerin abzuziehen. Ferner seien das anrechenbare Einkommen und die Heizkosten unzutreffend ermittelt. Von den nachgewiesenen Heizkosten in Höhe von 56,50 EUR hätte nicht ein Strom- und Warmwasserkosten-Anteil von 54 % abgezogen werden dürfen. Allein der Abzug eines Anteils für die Warmwasserbereitung von 16 % sei vorzunehmen, sodass sich die Kosten der Heizung auf 47,46 EUR beliefen. Bei der Ermittlung des anrechenbaren Einkommens sei die Pauschale für private Versicherungen in Höhe von 30,00 EUR zweimal, nämlich für jeden volljährigen Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft anzusetzen. Ferner seien die Kosten für das obligatorische Firmenticket der Klägerin zu 2) nicht berücksichtigt worden. Im Übrigen bestünden erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Heranziehung von Partnern nichtehelicher Lebensgemeinschaften bei gleichzeitiger Schonung gleichgeschlechtlicher Partner im Rahmen des SGB II.

Im Laufe des Verfahrens hat der Beklagte den Klägern mit an den Kläger zu 1) gerichtetem Bescheid vom 24. August 2005 für Februar 2005 Leistungen in Höhe von 290,62 EUR gewährt. Mit Bescheid vom 05. Dezember 2005 hat der Beklagte die Leistungshöhe für den genannten Monat unter Berücksichtigung der Betriebskostenabrechnung auf 297,66 EUR erhöht.

Das Sozialgericht Berlin hat die Lebensgefährtin des Klägers zu 1) und den gemeinsamen Sohn als Kläger zu 2) und 3) in das Verfahren einbezogen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung haben die Kläger noch beantragt, den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 22. November 2004 und 24. August 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2005 zu verurteilen, der Bedarfsgemeinschaft für den Zeitraum vom 01. Januar bis zum 31. Mai 2005 sowie vom 01. Juli bis zum 31. Oktober 2005 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Das Sozialgericht hat den Beklagten unter Klageabweisung im Übrigen und unter Abänderung der vorgenannten Bescheide sowie des Bescheides vom 05. Dezember 2005 verurteilt, der Bedarfsgemeinschaft der Kläger für Februar 2005 weitere Leistungen in Höhe von 43,44 EUR zu gewähren. Zur Begründung, auf deren Einzelheiten Bezug genommen wird, hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klage bereits unzulässig sei, soweit sie sich auf den Zeitraum nach Zustellung des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2005 beziehe. Für den sich bis dahin erstreckenden Zeitraum ab dem 01. Januar 2005 sei die Klage zwar zulässig, jedoch nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Es sei von einem monatlichen Bedarf der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 1.355,24 EUR auszugehen (Bezugnahme auf den Beschluss des Senats vom 06. Februar 2006 im vorangegangenen einstweiligen Rechtsschutzverfahren L 5 B 1091/05 AS ER). Der Zuschlag nach § 24 SGB II sei bei der Berechnung hingegen nicht dem Bedarf zuzuschlagen. Dem genannten Bedarf sei das gemäß dem vorgenannten Beschluss zu bereinigende Einkommen der Klägerin zu 2) sowie das Kindergeld gegenüberzustellen. Danach ergebe sich nur für Februar 2005 ein Hilfebedarf. Ein Anspruch, die fiktiven Beiträge gemäß § 246 SGB V bei der Ermittlung des anzurechnenden Einkommens zu berücksichtigen, bestehe nicht.

Gegen dieses den Klägern am 09. März 2007 zugestellte Urteil richten sich deren am 04. April 2007 eingelegte Berufungen, mit denen sie noch die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen für den Zeitraum vom 01. Januar bis zum 31. März 2005, für Mai 2005 sowie vom 01. Juli bis zum 31. Oktober 2005 in gesetzlicher Höhe begehren. Zur Begründung haben sie im Wesentlichen geltend gemacht, dass das Sozialgericht die Klage zu Unrecht in weiten Teilen als unzulässig behandelt habe. Unrichtig sei es auch davon ausgegangen, dass der Zuschlag nach § 24 SGB II nicht dem Bedarf hinzuzurechnen sei. Schließlich sei bei der Ermittlung des Bedarfs auch der Grundanspruch des Klägers zu 1) auf Krankenversicherung zu berücksichtigen. Die Argumentation, dass ein ungedeckter Krankenversicherungsbedarf nicht bestehe, da der Kläger zu 1) nicht krankenversichert gewesen sei und eine Nachversicherung nicht möglich wäre, sei unzutreffend.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Februar 2007 sowie den Bescheid des Beklagten vom 22. November 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2005, dieser in der Fassung der Bescheide vom 24. August und 05. Dezember 2005 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihnen für Januar, März, Mai sowie Juli bis Oktober 2005 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe sowie für Februar 2005 weitergehende Leistungen nach dem SGB II zu gewähren,

hilfsweise

die Sachen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Berlin zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

Er hält das angegriffene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegen¬stand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen sind zulässig, jedoch nur im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht Berlin zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet.

Nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Diese Voraussetzung liegt hier vor. Das Sozialgericht Berlin hat die Klage zu Unrecht in weiten Teilen als unzulässig abgewiesen.

Das Sozialgericht ist in seiner angefochtenen Entscheidung unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Bundessozialhilfegesetz davon ausgegangen, dass sich der gerichtliche Prüfungsumfang nur auf die Zeit bis zur Zustellung des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2005 erstrecke, und hat entsprechend für die Folgezeit die Klage als unzulässig abgewiesen. Diese Rechtsauffassung entspricht jedoch nicht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der der Senat sich anschließt. Das Bundessozialgericht hat in seinem – am 29. Januar 2007 und damit etwa vier Wochen vor Verkündung der angefochtenen Entscheidung im Intranet des Sozialgerichts Berlin veröffentlichten – Urteil vom 07. No¬vember 2006 (B 7b AS 14/06 R, zitiert nach juris, Rn. 30) ausgeführt, dass Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens in den Fällen, in denen sich ein Kläger gegen einen Bescheid wehrt, mit dem die Leistung ohne zeitliche Begrenzung abgelehnt worden ist, - je nach Klageantrag - die gesamte bis zur Entscheidung verstrichene Zeit ist (vgl. auch BSG, Urteil vom 16.05.2007 – B 11b AS 37/06 R – Rn. 14). Vorliegend hatte der Beklagte die Gewährung von Leistungen zunächst abgelehnt, ohne dies auf einen bestimmten Zeitraum zu befristen. Da die Kläger hingegen ihren Antrag auf Leistungsgewährung bis zum 31. Okto¬ber 2005 begrenzt haben, hatte das Sozialgericht auch bis zu diesem Zeitpunkt über ihre Ansprüche zu entscheiden. Aufgrund der fehlerhaften Behandlung der Sache durch das Sozialgericht fehlt es mithin hinsichtlich eines erheblichen Teils des streitgegenständlichen Zeitraums an einer Sachentscheidung. Diese war jedoch erforderlich, da die Klage auch nicht aus sonstigen Gründen unzulässig war. Zwar dürfte der Widerspruch des Klägers zu 1) gegen den Ablehnungsbescheid vom 22. November 2004, der ihm nach eigenem Bekunden zwei Tage später zugegangen ist, verspätet gewesen sein. Der Beklagte hat sich hierauf in seinem Widerspruchsbescheid jedoch nicht berufen, sondern in der Sache entschieden. Dies steht ihm frei mit der Folge, dass die Zulässigkeit des Widerspruchs nicht mehr zu prüfen ist und die Klage nicht mangels ordnungsgemäßen Vorverfahrens als unzulässig abgewiesen werden kann (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leithe¬rer, SGG, 8. Aufl., § 84 Rn. 7 m.w.N.).

Da es mithin bzgl. eines erheblichen Teils des streitgegenständlichen Zeitraums an einer Sachentscheidung fehlt, erachtet der Senat es für erforderlich, die Sache insgesamt an das Sozialgericht Berlin zurückzuverweisen. Den Klägern ist es auch unter Berücksichtigung der Prozessökonomie angesichts des hier noch in weiten Teilen nicht aufgeklärten Sachverhalts sowie unter Berücksichtigung der zahlreichen, bisher kontrovers diskutierten Rechtsfragen nicht zuzumuten, durch eine Sachentscheidung sogleich des Landessozialgerichts einer Instanz verlustig zu gehen. Der Senat hat daher von der in seinem Ermessen stehenden Möglichkeit, das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Sache an das Sozialgericht zurückzuverweisen, Gebrauch gemacht. Dabei hielt er es für unzweckmäßig, die Sachen nur wegen des Zeitraumes nach Zustellung des Widerspruchsbescheides zurückzuverweisen. Das Sozialgericht bekommt dadurch Gelegenheit, die noch erforderlichen Feststellungen selbst zu treffen, die dann gegebenenfalls einer zweitinstanzlichen Nachprüfung unterzogen werden können.

Das Sozialgericht wird vor einer erneuten Entscheidung im Einzelnen zu ermitteln haben, wie hoch der Bedarf der Kläger im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum war. Dabei wird es insbesondere zu berücksichtigen haben, dass sich zum einen die Grundmiete und die Betriebkostenvorauszahlungen ab April 2005 und zum anderen die Kosten für die Wärmeversorgung geändert haben. Weiter wird es insoweit zu erläutern haben, ob und ggf. in welchem Umfang es einen Abzug für Warmwasseraufbereitung für rechtmäßig hält. Bzgl. der Einkommensseite wird das Gericht für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum zu ermitteln haben, wie hoch das Brutto- und das daraus resultierende Nettoeinkommen der Klägerin zu 2) war.

Schließlich weist der Senat darauf hin, dass von den Klägern erwartet werden kann, dass sie ihre Ansprüche präzisieren und sich nicht auf die Forderung nach Leistungen in gesetzlicher Höhe beschränken. Umgekehrt wird das Sozialgericht zu beachten haben, dass es sich bei den Ansprüchen nach dem SGB II um Einzelansprüche der einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft handelt, es hingegen – anders als es das Sozialgericht in seinem Tenor angenommen hat – nicht den Anspruch der Bedarfsgemeinschaft gibt. Das Gericht wird daher im Einzelnen auszuurteilen haben, in welcher Höhe welchem der Kläger Leistungen zustehen. Dabei wird es dann auch die Vorschrift des § 41 Abs. 2 SGB II zu beachten haben.

Schließlich wird das Sozialgericht bei seiner Kostenentscheidung auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu berücksichtigen haben.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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