L 7 AS 423/07 ER

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 27 AS 462/07 ER
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 423/07 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 22. März 2007 insoweit aufgehoben, als dem Antragsteller für den Monat Januar 2007 mehr als 81,00 EUR und für die Monate Februar bis Juni 2007 mehr als 345,00 EUR monatlich gewährt werden.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung (beginnend ab dem 25. Januar 2007) Leistungen nach dem SGB II. Die Antragsgegnerin wendet sich mit der Beschwerde gegen ein Obsiegen des Antragstellers für Januar 2007 im Umfang von mehr als 81,00 EUR sowie für die Monate Februar bis Juni 2007 im Umfang von mehr als 345,00 EUR monatlich.

Der Antragsteller befindet sich seit Sommer 2006 in einer Ausbildung zum präparationstechnischen Assistenten an der Höheren Berufsfachschule Walter-Gropius-Berufskolleg der Stadt B.

Eine Eingliederungsvereinbarung vom 26. April 2006, die für die Zeit bis zum 26. Oktober 2006 geschlossen wurde, wurde unter dem 23. Mai 2006 dahin geändert, dass die Antragsgegnerin ihre Zustimmung zur Ausbildung an dem zuvor genannten Berufskolleg erteilte. Der Antragsteller verpflichtete sich zur Teilnahme an der Ausbildung.

Die Antragsgegnerin bewilligte dem Antragsteller zuletzt für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis zum 31. Dezember 2006 Leistungen nach dem SGB II in monatlicher Höhe von 756,60 EUR (Bescheid vom 5. Juli 2006).

Den Fortzahlungsantrag vom 29. Dezember 2006 lehnte die Antragsgegnerin ab, weil die vom Antragsteller begonnene Ausbildung im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig sei, sodass eine Gewährung von Leistungen nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II ausgeschlossen sei (Bescheid vom 9. Januar 2007).

Der Antragsteller hat am 20. Januar 2007 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er habe letztlich seine zweijährige Ausbildung in Abstimmung mit der Antragsgegnerin aufgenommen und nicht zuletzt wegen der räumlichen Entfernung der Ausbildungsstätte erhebliche persönliche und finanzielle Belastungen hingenommen. Die Zustimmung der Antragsgegnerin in der Eingliederungsvereinbarung hätte von ihm nur so verstanden werden können, dass die Antragsgegnerin die Ausbildung während der gesamten Dauer fördere, indem sie weiterhin für den gesamten Zeitraum die Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II erbringe. Die Antragsgegnerin habe insoweit mit dem Antragsteller einen öffentlichrechtlichen Vertrag geschlossen, an dessen Inhalt sie weiterhin gebunden sei. Die Eingliederungsvereinbarung sei auch bislang nicht gekündigt worden. So wie der Antragsteller die Vereinbarung durch die Fortsetzung der Ausbildung einhalte, habe auch die Antragsgegnerin die einmal übernommene Verpflichtung zur Förderung der Ausbildung einzuhalten.

Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende für die Zeit vom 25. Januar 2007 bis zum 31. Januar 2007 in Höhe von 177,00 EUR und für die Zeit vom 1. Februar 2007 bis zum 30. Juni 2007 in Höhe von monatlich 757,00 EUR zu gewähren. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt. Die Antragsgegnerin könne sich nicht auf § 7 Abs. 5 SGB II berufen, weil dies dem Grundsatz des Vertrauensschutzes widersprechen würde. Die Antragsgegnerin habe mit der Eingliederungsvereinbarung beim Antragsteller Vertrauen darauf begründet, die von ihm begonnene Ausbildung stehe einer Leistungsgewährung nach dem SGB II nicht entgegen. Ohne die vom Leistungsbetreuer erklärte Zustimmung hätte der Antragsteller aller Wahrscheinlichkeit nach die Ausbildung nicht begonnen. Hieran ändere sich auch nichts dadurch, dass die erteilte Zustimmung rechtswidrig gewesen sei, weil auch rechtswidriges Verhalten einer Behörde grundsätzlich wirksam sei. Inwieweit das Vertrauen des Antragstellers schutzwürdig sei, müsse in entsprechender Anwendung von § 45 SGB X ermittelt werden. Hier sei das Vertrauen schutzwürdig, weil der Antragsteller Vermögensdispositionen getroffen habe, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen könne. Er habe, nachdem er die Zustimmung der Antragsgegnerin erhalten habe, eine Wohnung in B. angemietet und aller Wahrscheinlichkeit nach auch im Übrigen schon entsprechende Lernmittel angeschafft (Beschluss vom 22. März 2007).

Die Antragsgegnerin hat hiergegen 20. April 2007 Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat. Der Beschluss sei aufzuheben, soweit für Januar 2007 mehr als 81,00 EUR sowie für die Monate Februar bis Juni 2007 mehr als 345,00 EUR monatlich gewährt werden sollen. Nach Vorlage von Studienunterlagen habe sie am 23. Mai 2006 der Ausbildung des Antragstellers unter der Bedingung zugestimmt, dass er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in J. behalte. Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen. Die den Antragsteller betreffende Verwaltungsakte der Antragsgegnerin lag vor und ist Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Die Beschwerde ist begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall von § 86 b Abs. 1 SGG - wie hier - nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Nach § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG gelten die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Das Gericht entscheidet durch Beschluss (§ 86 b Abs. 4 SGG).

Ein Anordnungsantrag ist begründet, wenn das Gericht auf Grund einer hinreichenden Tatsachenbasis durch Glaubhaftmachung (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO) und bzw. oder im Wege der Amtsermittlung (§ 103 SGG) einen Anordnungsanspruch bejahen kann. Ein solcher Anordnungsanspruch liegt vor, wenn das im Hauptsacheverfahren fragliche materielle Recht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegeben ist (vgl. Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2005, Rdnr. 292). Darüber hinaus muss in Abwägung der für die Verwirklichung des Rechts bestehenden Gefahr einerseits und der Notwendigkeit einer Regelung eines vorläufigen Zustandes andererseits ein Anordnungsgrund zu bejahen sein (vgl. Schoch in Schoch/Schmidt - Aßmann/Pietzner, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 1996, § 123 Rdnr. 62). Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller des Eilverfahrens dürfen dabei aus Gründen des Grundrechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG), insbesondere in Eilverfahren auf Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, nicht überspannt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat im Falle eines Eilantrages auf Gewährung von Grundsicherung für Arbeitsuchende festgestellt, dass auch in diesem Bereich Entscheidungen grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung wie auf eine Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden dürfen (vgl. BVerfG 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05NVwZ 2005, 927-929).

Der Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht worden.

Nach § 7 Abs. 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen (Berechtigte), die (1.) das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, (2.) erwerbsfähig sind, (3.) hilfebedürftig sind und (4.) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfsbedürftige).

Hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht (1.) durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, (2.) aus dem zu berücksichtigen Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern andere Sozialleistungen erhält.

Diese Voraussetzungen liegen zwar vor; insbesondere kann der Antragsteller seinen vollständigen Lebensunterhalt nicht allein durch sein Erwerbseinkommen sichern. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.

Ein Leistungsanspruch ist gleichwohl nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II ausgeschlossen. Danach haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 60 bis 62 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.

So ist es hier.

Eine Ausbildung ist nach dem BAföG dem Grunde nach förderungsfähig, wenn sie (in ihrer konkreten Ausgestaltung) abstrakt, also unabhängig von individuellen, in der Person des Studierenden liegenden Versagungsgründen (Überschreitung der Förderungshöchstdauer oder der Altersgrenze, unbegründeter Fachrichtungswechsel, mangelnde Eignung), gefördert werden kann (Peters in Estelmann, SGB II, Kommentar, Stand Oktober 2006, § 7 Rdnr. 95; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, Kommentar, 2005, § 7 Rdnr. 43). Entscheidend ist dabei, ob die Voraussetzungen des § 2 BAföG, der - wie sich schon aus der amtlichen Überschrift "Förderungsfähige Ausbildung" des Abschnitts I des BAföG ergibt - die Grundvoraussetzungen für die Förderung einer Ausbildung regelt (vgl. etwa zu § 2 Abs. 1 BAföG BVerwG Buchholz 436.0 § 26 BSHG Nr. 14), vorliegen.

Der Antragsteller hat eine Ausbildung an einer Berufsfachschule, dem Walter-Gropius-Kolleg in B., aufgenommen. Das Walter-Gropius-Kolleg, bei dem es sich um eine Höhere Berufsfachschule handelt, unterfällt § 2 Abs. 1 Nr. 1 BAföG, nach dem Ausbildungsförderung für den Besuch von Berufsfachschulen geleistet wird.

Der Antragsteller kann sein Begehren nicht auf die Ergänzung zur Eingliederungsvereinbarung vom 23. Mai 2006 stützen. Denn die Eingliederungsvereinbarung ist ausdrücklich nur bis zum 26. Oktober 2006 befristet, sodass bereits aus diesem Grunde Ansprüche für die Zeit ab dem 1. Januar 2007 durch diese nicht begründet werden können. Das Begehren des Antragstellers lässt sich auch nicht auf § 34 SGB X stützen, nach dem eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen (Zusicherung), zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form bedarf (§ 34 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Denn an einer entsprechenden schriftlichen Zusicherung fehlt es.

Schließlich kann der Antragsteller - anders als das Sozialgericht wohl meint - sein Leistungsbegehren nicht auf die in § 45 SGB X normierten Grundsätze des Vertrauensschutzes stützen. Denn die in dieser Regelung niedergelegten Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes bezüglich der Rücknahme einer anfänglich rechtswidrigen Bewilligung lassen eine analoge Anwendung auf ein Leistungsbegehren, also beispielsweise auf die Zahlung von Leistungen nach dem SGB II, wie hier, nicht zu. Dies stünde nämlich im Widerspruch zur Regelung des § 31 SGB I, nach der Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuches, also auch des SGB II, nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden dürfen, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt, woran es - für das Leistungsbegehren des Antragstellers - aber gerade fehlt.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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