L 5 KR 364/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 KR 181/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 364/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 8. November 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist eine Ermäßigung des Beitrags in der Kranken- und Pflegeversicherung.

Der 1940 geborene Kläger bezieht eine Altersrente (ausschließlich) von einem Träger der Deutschen Rentenversicherung und ist seit dem 01.05.2003 pflichtversichertes Mitglied der Beklagten. Seit dem 01.02.2004 hat er seinen Wohnsitz in Österreich. Mit Bescheid vom 07.09.2004 lehnten die Beklagten den vom Kläger beantragten Austritt aus der Kranken- und Pflegeversicherung ab. Widerspruch, Klage und Berufung sind erfolglos geblieben, das Bundessozialgericht hat es abgelehnt, ihm Prozesskostenhilfe zu gewähren, die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung angenommen worden.

Sein Antrag vom 01.02.2006 auf Beitragsreduzierung in der Kranken- und Pflegeversicherung auf österreichisches Niveau wurde von der Beklagten zu 1) am 20.03.2006 abgelehnt. Die Widersprüche hiergegen wiesen die Beklagten mit Bescheiden vom 05.05.2006 und 02.08.2006 zurück.

Dagegen hat der Kläger Klage mit dem Ziel erhoben, dass er als Pflichtversicherter nicht mehr an Pflichtbeiträgen zur Krankenund Pflegekasse zu zahlen habe als in dem Land gefordert werde, wo er dauerhaft lebe. Das Sozialgericht hat die Klage am 08.11.2006 mit der Begründung abgewiesen, das Sozialgericht sei kein Teil der Legislative und ein Verstoß gegen Verfassungs- und Europarecht sei nicht erkennbar. Der Kläger erhalte mit dem Sachleistungsanspruch in Österreich und ggf. in Deutschland eine angemessene Gegenleistung.

Mit seiner Berufung hat der Kläger einen Verstoß gegen Europa- und Verfassungsrecht geltend gemacht, da die Sachleistungen der österreichischen Krankenversicherung geringer seien als die in Deutschland. In Österreich habe er höhere Selbstbehalte zu tragen als in Deutschland. Hiergegen wende er sich nicht, im Gegenzug dazu erstrebe er aber auch eine Beitragsbelastung wie sie in Österreich üblich sei, nämlich in Höhe von 3,75 %. Die Inanspruchnahme von Leistungen in Deutschland sei zu teuer.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 08.11.2006 aufzuheben und die Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 20.03.2006 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 05.05.2006 und 02.08.2006 zu verurteilen, den Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung auf österreichisches Niveau zu reduzieren, hilfsweise, die Rechtsfrage dem Bundesverfassungsgericht bzw. dem EuGH vorzulegen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der erledigten Prozessakte L 5 KR 31/06, der Akten des Sozialgerichts Augsburg S 12 KR 181/06, S 10 P 65/06 sowie der Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 08.11.2006 ist ebensowenig zu beanstanden wie der Bescheid der Beklagten zu 1) vom 20.03.2006 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 05.05.2006 und 02.08.2006. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Reduzierung seiner Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung.

Unstreitig ist der Kläger als Rentenbezieher Mitglied der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) und der Pflegeversicherung (§ 5 Abs.1 Nr.11 SGB V und § 20 Abs.1 Satz 1 Nr.11 SGB XI). Dass er keinen Anspruch auf eine Befreiung oder einen Austritt aus der Kranken- und Pflegeversicherung hat, hat der Senat bereits mit Beschluss vom 30. Mai 2006 rechtskräftig festgestellt. Durch die Verlegung seines Wohnsitzes nach Österreich hat sich an seinem Versicherungsverhältnis nichts verändert (in gleichem Sinn BSG, Urteil vom 05.07.2005 in SozR 4-2400 § 3 Nr.2). Daran anknüpfend bestimmt sich die Beitragsbemessung nach den §§ 241 ff. SGB V bzw. § 55 SGB XI. Beitragsermäßigungen für Rentner, die im europäischen Vertragsstaat wohnen, sind darin nicht vorgesehen. Zwar lässt § 243 Abs.1 SGB V eine Ermäßigung des Beitragssatzes zu, wenn kein Anspruch auf Krankengeld besteht oder die Krankenkasse aufgrund von Vorschriften des SGB V für einzelne Mitgliedergruppen den Umfang der Leistungen - auch für das Inland - beschränkt. Eine unmittelbare oder entsprechende Anwendung dieser Vorschrift ist beim Kläger schon deswegen ausgeschlossen, weil der Beitragssatz auf die Rente in § 247 SGBV gesetzlich, bundeseinheitlich und ohne die Zulässigkeit einer Ermäßigung vorgeschrieben ist, was auch für den Beitragssatz für die Pflegeversicherung gilt.

Die uneingeschränkte Beitragsverpflichtung nach nationalem deutschem Recht entspricht dem Europarecht. Dem Kläger wird nach dem Gemeinschaftsrecht ausdrücklich nur dann Versicherungsschutz gewährleistet, wenn er auch Anspruch auf Leistungen hätte, wenn er in Deutschland wohnte (vgl. Art.28 Abs.1 Satz 1 EWG-VO 1408/71 - Wohnsitzfiktion). Die Aufgabe des Wohnsitzes im Inland bewirkt nämlich grundsätzlich, dass die Mitgliedschaft in der KVDR endet (§ 3 Nr.2 SGB IV). Infolge der Wohnsitzfiktion trifft das finanzielle Risiko des Versicherungsverhältnisses mit dem Kläger im Wesentlichen die Beklagte sowohl hinsichtlich der Geld- als auch der Sachleistungen. Da die Beklagte für Ausgaben aufkommen muss, dürfen ihr auch Krankenversicherungsbeiträge zugewiesen werden (vgl. Art.33 EWG-VO 1408/71). Der EuGH hat mit Urteil in der Rechtssache Rundgren (RsC-389/99, SozR 3-6050 Art.28a Nr.1) der Verordnung und insbesondere Art.33 den Grundsatz entnommen, dass einem Rentenberechtigten keine Pflichtbeiträge nach den Rechtsvorschriften des Wohnsitzstaates zur Deckung von Leistungen abverlangt werden dürfen, die zu Lasten eines Trägers eines anderen Mitgliedstaates gehen. Bleibt die Versicherungslast aufgrund der Wohnsitzfiktion im Leistungsrecht (Art.28 Abs.1 Satz 1 EWG-VO 1408/71) und der darauf beruhenden Erstattungsregelung des Art.95 der EWG-VO 574/72 im Heimatstaat (= Rentenbezugstaat), darf sich auch das Beitragsrecht durch die Wohnsitzverlegung nicht ändern (BSG, Urteil vom 05.07.2005 in SozR 4-2400 § 3 Nr.2).

Die vom Kläger beanstandete Regelung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Es mag sein, dass er für seine Beiträge in Österreich nicht dieselben Leistungen erhält, wie sie ihm beim Aufenthalt in Deutschland zustünden. Die gesetzliche Krankenversicherung stellt jedoch jedem Versicherten Leistungen im Inland und nach Maßgabe über- und zwischenstaatlichen Rechts bei Aufenthalten im Vertrags-Ausland zur Verfügung. Der Versicherte kann sie hier jederzeit in Anspruch nehmen. Er ist nicht gezwungen, den Leistungsraum zu verlassen und er kann jederzeit zurückkehren. Ansprüche seiner Angehörigen aus der Familienversicherung bleiben bestehen, wenn die Angehörigen im Inland bleiben. Zutreffend weist das Sozialgericht daher darauf hin, dass der Kläger für seine Beiträge zur deutschen Krankenversicherung eine angemessene Gegenleistung erhält.

Bei der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die gesetzliche Krankenversicherung eine dauerhafte Solidargemeinschaft bildet. Die Beitragshöhe bemisst sich nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Versicherten bis zur Beitragsbemessungsgrenze und grundsätzlich nicht nach seinem individuellen Risiko (BSG SozR 3-2500 § 243 Nr.2). In welchem Umfang der Versicherte also Leistungen in Anspruch nimmt, ist für die Beitragsbemessung nicht relevant. So hat das Bundessozialgericht bereits am 23.06.1994 entschieden (SozR 3-2500 § 16 Nr.3), dass ein krankenversicherungspflichtiger Rentner den vollen Beitrag auch dann zu entrichten hat, wenn er sich mehrere Monate im Ausland aufhält und während dieser Zeit der Anspruch auf Leistungen ruht. Der gesetzlichen Krankenversicherung ist es daher nicht systemfremd, dass der Beitragspflicht nicht immer der volle Leistungsanspruch gegenüber steht. Entscheidend ist, dass die für die KVdR geltenden europarechtlichen Kollisionsnormen aufgrund der Anknüpfung an die materiell-rechtliche Leistungsberechtigung dem konkreten Ziel der europaweiten Erhaltung einer Absicherung verpflichtet sind. Weitergehende Rechte können insbesondere nicht dem Vertrag zur Gründung der EG entnommen werden, da dieser auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit bezogen ist. Rentenbeziehern wird und wurde es durch die Richtlinien 90/365/EWG vom 28.06.1990 über das Aufenthaltsrecht der aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Arbeitnehmer und selbständigen Erwerbstätigen bzw. der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten vom 29.04.2004 ermöglicht, nach ihrer beruflichen Tätigkeit in einen anderen Mitgliedstaat zu übersiedeln. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass sie über ausreichende Existenzmittel verfügen, die sie unabhängig vom Bezug der Sozialhilfe des Aufnahmemitgliedstaats machen, wozu gehört, dass der Rentner über einen Krankenversicherungsschutz verfügt, der im Aufenthaltsstaat alle Risiken abdeckt. Der vom Kläger beklagte umfassende Krankenversicherungsschutz ist also Voraussetzung dafür, dass er als Rentner vom Recht der Freizügigkeit Gebrauch machen kann. Dessen Kosten können daher nicht im Hinblick auf die Freizügigkeit minimiert werden.

Aus diesen Gründen war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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