Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Altenburg (FST)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 8 BL 1045/06
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 5 BL 100/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Umstritten ist die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, mit dem die Bewilligung von Blindengeld nach dem Thüringer Blindengeldgesetz (ThürBliGG) aufgehoben und die Zahlung des Blindengeldes mit Wirkung ab 01.01.2006 eingestellt wurde.
Der Kläger bezog Blindengeld nach dem ThürBliGG. Die Leistung wurde zuletzt durch Bescheid vom 21.03.2005 in Höhe von 400,00 EUR monatlich bewilligt. Am 23.12.2005 beschloss der Thüringer Landtag das Haushaltsbegleitgesetz 2006/2007, mit dessen Artikel 14 das ThürBliGG geändert wurde. Das Änderungsgesetz wurde am 30.12.2005 im Gesetz- und Verordnungsblatt des Freistaates Thüringen veröffentlicht. Nach der ab 01.01.2006 geltenden Neuregelung erhält nur noch derjenige Blindengeld, der das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Mit Informationsschreiben vom 27.12.2005 informierte der Beklagte den Kläger über die geänderte Gesetzeslage. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass alle Blinden dem Grunde nach Anspruch auf Blindenhilfe nach § 72 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) hätten, die Gewährung der Blindenhilfe jedoch im Gegensatz zum Landesblindengeld einkommens- und vermögensabhängig erfolge. Mit Bescheid vom 31.12.2005 hob der Beklagte den Bescheid vom 21.03.2005 nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) auf und stellte die Zahlung des Blindengeldes ab 01.01.2006 ein. Er nahm Bezug auf das übersandte Informationsschreiben und die ausführliche Berichterstattung in der Presse über die beabsichtigten Gesetzesänderungen. Der Kläger habe deshalb gewusst, dass der zuerkannte Anspruch auf Blindengeld ab dem 01.01.2006 nicht mehr gegeben sei. Er habe weder auf den Fortbestand der alten Rechtslage noch auf die Bestandskraft des Ausgangsbescheides vertrauen können. Eine Anhörung sei gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 4 SGB X nicht erforderlich.
In seinem Widerspruch trug der Kläger vor, die Einstellung des Blindengeldes verstoße gegen die Thüringer Verfassung und das Grundgesetz (GG) sowie gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Das Blindengeld werde benötigt, um den erheblichen blindheitsbedingten Mehraufwand wenigstens einigermaßen zu decken. Im Vertrauen darauf, dass das Blindengeld auch weiterhin einkommens- und vermögensunabhängig gewährt werde, habe der Kläger Vermögensdispositionen hinsichtlich seiner Altersversorgung getroffen. Mit dem Wegfall des einkommens- und vermögensunabhängigen Blindengeldes werde er künftig daran gehindert, gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Der Wegfall stelle außerdem eine erhebliche Verletzung der Menschenwürde dar. Die Aufhebung des Bescheides über die Gewährung von Blindengeld ab dem 01.01.2006 sei auch deshalb nicht zulässig, weil der Aufhebungsbescheid erst am 02.01.2006 zugegangen sei. Die noch im Jahre 2005 zugesandte Information über die bevorstehende Änderung könne den Bescheid nicht ersetzen. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.03.2006 bestätigte der Beklagte seine Ausgangsentscheidung.
Am 11.04.2006 hat der Kläger Klage erhoben. Über seinen Bevollmächtigten trägt er vor, der Kläger habe mit Bescheid des FDGB-Kreisvorstandes G. vom 05.02.1988 Blindengeld bewilligt bekommen. Im Einigungsvertrag zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland sei von einer Eigentumsgarantie ausgegangen worden. Es sei daher nicht nachvollziehbar, dass der Kläger nun durch eine landesrechtliche Regelung ab 01.01.2006 gar keine Leistungen mehr erhalten solle.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 31.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21./24.03.2006 aufzuheben und dem Kläger Blindengeld über den 31.12.2005 hinaus in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide und ist der Ansicht, bei der Zahlung des Landesblindengeldes handele es sich um eine freiwillige Leistung des Freistaates Thüringen, die aufgrund der Haushaltslage nicht mehr gewährt werden könne. Ein Bestandsschutz für die Zahlung eines bestimmten Geldbetrages aus der Zeit der DDR sei im Einigungsvertrag nicht festgeschrieben worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Zu Recht hat der Beklagte den Bescheid vom 21.03.2005 mit Wirkung ab 01.01.2006 aufgehoben und die Zahlung des Blindengeldes auf der Grundlage des ThürBliGG eingestellt.
Nach § 1 Satz 1 ThürBliGG in der ab 01.01.2006 geltenden Fassung erhält grundsätzlich nur noch derjenige Blindengeld, der das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Neuregelung hat der Kläger ab 01.01.2006 keinen Anspruch mehr auf Blindengeld. Der Beklagte war deshalb berechtigt, den bewilligenden Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben. Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten des Klägers kann sich der Kläger nicht auf die Bestandskraft eines in der ehemaligen DDR erlassenen Bescheides über die Gewährung von Blindengeld berufen. Selbst wenn die landesrechtliche Blindengeldregelung als übergeleitetes Recht der DDR anzusehen wäre, ist die Anwendbarkeit der Aufhebungsvorschriften des SGB X nicht ausgeschlossen. Nach Art. 19 Satz 1 des Einigungsvertrages bleiben vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangene Verwaltungsakte der DDR grundsätzlich wirksam. Diese können nach Satz 2 dieser Vorschrift nur aufgehoben werden, wenn sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den Regelungen des Einigungsvertrages unvereinbar sind; unberührt bleiben daneben nach Satz 3 auch die Vorschriften über die Bestandskraft von Verwaltungsakten. Als Rechtsgrundlage für die Durchbrechung der grundsätzlichen Bestandskraft von Verwaltungsakten der früheren DDR und damit als Rechtsgrundlage des Aufhebungsbescheides des Beklagten kommen somit die §§ 45 und 48 SGB X in Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 18.03.1997 – 2 RU 19/96; Urteil vom 11.05.1995 – 2 RU 24/94; Urteil vom 11.09.2001 – B 2 U 32/00 R – JURIS). Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebene Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X). Die genannten Voraussetzungen liegen vor, weil durch die Gesetzesänderung eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse war zulässig, weil der Kläger wusste oder hätte wissen müssen, dass der gesetzliche Anspruch ab 01.01.2006 weggefallen war. Die Kenntnis des Klägers ergibt sich aus dem Informationsschreiben vom 27.12.2005, in dem ausführlich über die neue Rechtslage informiert wurde. Aus dem Widerspruchsschreiben des Klägers ergibt sich, dass er dieses Informationsschreiben erhalten hat. Der Beklagte durfte die Bewilligungsentscheidung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufheben, ohne dass er Ermessen auszuüben hatte. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines atypischen Falles liegen nicht vor. Es ist nicht erkennbar, dass die Umstände des Falles im Hinblick auf die mit der rückwirkenden Aufhebung verbundenen Nachteile von den Normalfällen der Tatbestände der Nrn. 1 – 4 des § 48 Abs. 1 SGB X so signifikant abweichen, dass der Kläger in besondere Bedrängnis geraten würde (vgl. BSGE 59, 116) oder dass eine Erstattungspflicht eine besondere Härte bedeutete, die den Betroffenen in untypischer Weise stärker belastet als im Normalfall (vgl. BSG SozR 5870, § 2 Nr. 30). Eine Erstattungspflicht besteht nicht. Besondere Härten werden darüber hinaus durch die bedürftigkeitsabhängig gewährte Blindenhilfe nach § 72 SGB XII vermieden.
Ob im Hinblick auf die nach § 24 SGB X erforderliche Anhörung die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 Nr. 4 SGB X erfüllt sind, kann dahinstehen, weil dem Kläger die entscheidungserheblichen Tatsachen in dem Ausgangsbescheid mitgeteilt wurden und somit jedenfalls eine wirksame Nachholung der Anhörung erfolgte (§ 41 Abs. 2 SGB X).
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Einstellung des Blindengeldes nach dem ThürBliGG sind nicht ersichtlich.
Die Einstellung des Blindengeldes verletzt nicht die Menschwürde, Art. 1 GG. Der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Klägers, den Art. 1 GG schützt, wird bereits deshalb nicht verletzt, weil trotz der Einstellung des Landesblindengeldes Blindenhilfe nach § 72 SGB XII beansprucht werden kann. Die Menschenwürde des Klägers ist auch nicht dadurch betroffen, dass diese Leistung von seiner Bedürftigkeit abhängig ist.
Die Weitergewährung des Landesblindengeldes lässt sich nicht auf Art. 20 Abs. 1 GG stützen. Das sozialstaatliche Gebot der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins ist nicht verletzt. Nach der Rechtsprechung des BVerfG enthält der Sozialstaatsgrundsatz zwar den Auftrag der Fürsorge für Hilfebedürftige. Der Staat hat allerdings nur die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger zu schaffen. Darüber hinaus liegt es grundsätzlich in der Entscheidungsbefugnis des Gesetzgebers, auf welche Weise er seiner Verpflichtung nachkommt und in welchem Umfang er unter Berücksichtigung der anderen Staatsaufgaben und der vorhandenen finanziellen Mittel soziale Hilfeleistungen gewährleistet (BVerfGE 40, 121, 133; 82, 60 ff.). Unter Berücksichtigung des Anspruchs auf Blindenhilfe nach § 72 SGB XII bei vorhandener Bedürftigkeit sind die durch Art. 20 Abs. 1 GG vorgegebenen Mindestanforderungen für ein menschenwürdiges Dasein für blinde Menschen gewahrt. Ebenso wenig ist Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt. Denn Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG begründet keinen Anspruch auf eine bestimmte Versorgung durch den Staat, die über das allgemeine Maß öffentlicher Fürsorge hinausgeht.
Art. 3 GG ist nicht betroffen. § 1 Satz 1 ThürBliGG in der ab 01.01.2006 geltenden Fassung verstößt nicht dadurch gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, dass Blinde nach Vollendung des 27. Lebensjahres anders behandelt werden als noch nicht 27-jährige Blinde. Der allgemeine Gleichheitssatz ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt wird, obgleich zwischen beiden keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten (BVerfG NJW 1983, 617). Eine Ungleichbehandlung von blinden Menschen, die das 27. Lebensjahr bereits vollendet haben und jüngeren Blinden durch den Landesgesetzgeber ist wegen der bestehenden Unterschiede zulässig. Das Blindengeld soll die durch die Blindheit entstehenden Mehraufwendungen ausgleichen. Mit Blindengeld und Blindenhilfe soll nicht so sehr ein wirtschaftlicher Bedarf gesteuert werden, sondern das Blindengeld dient vornehmlich als Mittel zur Befriedigung laufender blindheitsspezifischer, auch immaterieller Bedürfnisse des Blinden. Mit der Zahlung des Blindengeldes beabsichtigt der Gesetzgeber, dem Blinden die Möglichkeit zu eröffnen, sich trotz Blindheit mit seiner Umgebung vertraut zu machen, mit eigenen Mitteln Kontakt zur Umwelt zu pflegen und am kulturellen Leben, aber auch am Arbeitsleben teilzunehmen (vgl. BVerwGE 32, 89, 91 f.). Im Hinblick auf die Teilnahme am Arbeitsleben stellt die schulische und berufliche Ausbildung eine wesentliche Grundvoraussetzung dar. Im Falle von Blinden und anderen behinderten Menschen kommt einer erfolgreichen Schul- und Berufsausbildung eine besonders wichtige Bedeutung zu. Schulische und berufliche Grundausbildung sind in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle im Alter von etwa 27 Jahren abgeschlossen. Weil davon auszugehen ist, dass blindheitsbedingte Mehraufwendungen in der Phase der schulischen Ausbildung und der beruflichen Erstausbildung in besonderem Maße entstehen und die Ausbildungskosten gegenüber den Aufwendungen für die Teilnahme am kulturellen und sozialen Leben ein höheres Gewicht haben, sind Blinde bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres überdurchschnittlich belastet. Dieser Unterschied zwischen beiden Vergleichsgruppen stellt einen berücksichtigungsfähigen Grund für eine Ungleichbehandlung dar.
Eine Verletzung des Gleichheitssatzes besteht auch nicht darin, dass blinde Menschen in anderen Bundesländern möglicherweise günstiger behandelt werden. Der Gesetzgeber des Freistaates Thüringen hat das Blindengeld im Rahmen seines grundgesetzlichen Kompetenzbereiches geregelt. Die getroffenen Regelungen gelten für alle Normadressaten in gleicher Weise. Falls die Blindengeldvorschriften in anderen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland günstiger sein sollten, konnten diese Bundesländer im Rahmen ihres Kompetenzbereichs eine andere Regelung ohne Verletzung des Gleichheitssatzes finden, denn insoweit würde es sich um andere Normadressaten (nämlich der jeweiligen Länder) handeln (vgl. Thüringer LSG vom 26.09.2002, L 5 BL 356/00 – JURIS).
Ebenso scheidet eine Verletzung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (Verbot der Benachteiligung Behinderter) aus. Es ist nicht erkennbar, dass die Einstellung des Landesblindengeldes eine Benachteiligung wegen einer Behinderung darstellt.
Dem Kläger steht kein auf Art. 14 GG gestützter Eigentumsanspruch auf Zahlung von Landesblindengeld zu. Es kann dahinstehen, ob die Bewilligung von Landesblindengeld dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG unterliegt. Selbst wenn dies der Fall wäre, hätte der Gesetzgeber mit der Einstellung der Blindengeldzahlung seine Befugnis zur Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) nicht überschritten. Der Gesetzgeber hat die Befugnis, in das Leistungsgefüge des Sozialrechts ordnend einzugreifen (vgl. BVerfG vom 14.03.1998, 1 BvL 6/92 – JURIS). Eine Verletzung des Eigentumsrechts des Leistungsempfängers liegt nicht vor, wenn der Eingriff durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitgrundsatzes gerechtfertigt ist. Der Wegfall des Landesblindengeldes für Personen ab 27 Jahre soll zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte beitragen. Das Haushaltsbegleitgesetz 2006/2007, mit dem die Leistungseinschränkung beschlossen wurde, ist geeignet und erforderlich, die Zielsetzung des Gesetzgebers zu erreichen. Das Ziel der Sanierung der Staatsfinanzen durch Einsparungen auf der Ausgabenseite ist eine übergreifende legitime Aufgabe des Gesetzgebers zu Gunsten des Staatsganzen (vgl. BVerfG, Urteil vom 30.09.1987, 2 BvR 933/82 – JURIS). Der Wegfall des Landesblindengeldes stellt unter Berücksichtigung der verfolgten Gemeinwohlinteressen keine unverhältnismäßige Belastung des Klägers dar. Die Belange des Klägers haben weniger Gewicht, weil seine Rechtsposition nicht auf Eigenleistungen beruht (vgl. BVerfG vom 14.03.2001, 1 BvR 2402/97 – JURIS). Der Landesgesetzgeber konnte im Rahmen seines Gestaltungsspielraumes auch deshalb dem Interesse an einer Sanierung der öffentlichen Haushalte den Vorzug einräumen, weil der Kläger die durch seine Blindheit bedingten Mehraufwendungen durch eigene Einnahmen bzw. Vermögen oder – im Falle der Bedürftigkeit – durch Blindenhilfe nach § 72 SGB XII abdecken kann (vgl. BVerfG a.a.O.).
Auch unter Berücksichtigung des Art. 2 Abs. 1 GG ggf. in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip liegt keine Verletzung der Verfassung vor, weil eine im öffentlichen Interesse liegende gesetzliche Regelung, die dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gerecht wird, Teil der verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne der Schranken dieses Gesetzes ist (vgl. BVerfG vom 14.03.2001, 1 BvR 2402/97 – JURIS).
Der Grundsatz des Vertrauensschutzes ist nicht verletzt. Das gilt unabhängig davon, ob das allgemeine Rechtsstaatsprinzip als Grundlage schützenswerten Vertrauens herangezogen wird oder ob der Vertrauensschutzgedanke aus Artikel 14 Abs. 1 GG abgeleitet wird, sofern dieser Prüfungsmaßstab zur Anwendung käme. Die angegriffene Regelung wirkt für die Zukunft auf eine bereits bezogene gesetzliche Leistung ein und verkürzt die Dauer ihrer Gewährung. Solche Eingriffe mit unechter Rückwirkung sind verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig (BVerfG vom 14.03.2001, 1 BvR 2402/97 – JURIS). Die durch den Gesetzgeber getroffene Abwägung zwischen den öffentlichen Belangen und den schützwürdigen Interessen des betroffenen Personenkreises ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar ist das Vertrauen der Leistungsempfänger auf den unveränderten Fortbestand einer über viele Jahre gewährten Rechtsposition grundsätzlich hoch einzuschätzen (BVerfG vom 24.03.1998, 1 BvL 6/92 – JURIS). Die Schutzwürdigkeit einer solcher Vertrauensposition endet jedoch regelmäßig dann, wenn der Gesetzgeber eine Änderung beschlossen hat (a.a.O.). Darüber hinaus ist gerade in einer langfristig bestehenden Rechtsposition von vornherein die Möglichkeit der Anpassung an geänderte Verhältnisse angelegt (BVerfG vom 14.03.2001, 1 BvR 2407/97 – JURIS). Mit der Anpassung der Sozialausgaben an die geänderte Haushaltslage verfolgt der Gesetzgeber wichtige Gemeinwohlinteressen. Ihm stand dabei eine weite Gestaltungsfreiheit auch im Hinblick darauf zu, wie er die Auswirkungen der immer noch nicht vollständig bewältigten Folgen der Wiedervereinigung und der seit Jahren schlechten Arbeitsmarktlage bewältigen musste (vgl. BVerfG a.a.O.). Bei der zu treffenden Abwägung konnte er zur Vermeidung der Erhöhung der Neuverschuldung auch in langfristig gewährte Rechtspositionen eingreifen.
Durch die Streichung des Blindengeldes für Personen ab dem 27. Lebensjahr ohne zeitliche Übergangsregelung hat der Landesgesetzgeber die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen nicht überschritten. Auch hinsichtlich der Frage, ob der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet ist, eine schonende Übergangsregelung vorzusehen, bedarf es grundsätzlich der Abwägung zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens des Einzelnen und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit (BVerfG vom 04.06.1985, 1 BvL 12/83 – JURIS). Im Rahmen dieser Abwägung steht dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zur Verfügung. Dieser kann von der sofortigen übergangslosen Inkraftsetzung des neuen Rechts bis zum ungeschmälerten Fortbestand bisher begründeter, subjektiver Rechtspositionen reichen. Einer Nachprüfung durch die Gerichte unterliegt insoweit nur, ob der Gesetzgeber bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe unter Berücksichtigung aller Umstände die Grenze des Zumutbaren überschritten hat (BVerfGE 43, 242, 288). Im Rahmen dieser Abwägung durfte zu Lasten der Blindengeldempfänger berücksichtigt werden, dass das Landesblindengeld aus Steuermitteln finanziert wird. Die Eigenleistungsquote spielt bei der Intensität des Grundrechtsschutzes eine wesentliche Rolle. Je geringer der Eigenleistungsanteil, desto weniger ist der Anspruch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung geschützt und desto eher sind entgegenstehende öffentliche Interessen vorrangig (vgl. Stober, SGb 1989, 53; vgl. auch BVerfGE 69, 272, 301). Der Gesetzgeber hat sich auch deshalb innerhalb des ihm zustehenden Abwägungsspielraums gehalten, weil mit der Blindenhilfe nach § 72 SGB XII eine Leistung zur Verfügung steht, die im Falle der Bedürftigkeit den Zweck des Landesblindengeldes erfüllt. Auch mit dem Härtefonds (§ 11 ThürBliGG i. V. m. der Verordnung vom 14.03.2006) können Härten, die durch eine übergangslose Inkraftsetzung der Neuregelung entstehen, abgemildert werden.
Aus der Verfassung des Freistaats Thüringen ergibt sich gegenüber dem Grundgesetz kein weitergehender Schutz. Das gilt auch für Art. 2 Abs. 4 Satz 1 der Verfassung des Freistaats Thüringen, wonach Menschen mit Behinderungen unter dem besonderen Schutz des Freistaats stehen. Dieses Verfassungsgebot ist keine Grundlage für eine Weitergewährung des Landesblindengeldes, weil durch § 72 SGB XII die Anforderungen der Art. 2 Abs. 4 Satz 1 der Landesverfassung erfüllt werden.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Umstritten ist die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, mit dem die Bewilligung von Blindengeld nach dem Thüringer Blindengeldgesetz (ThürBliGG) aufgehoben und die Zahlung des Blindengeldes mit Wirkung ab 01.01.2006 eingestellt wurde.
Der Kläger bezog Blindengeld nach dem ThürBliGG. Die Leistung wurde zuletzt durch Bescheid vom 21.03.2005 in Höhe von 400,00 EUR monatlich bewilligt. Am 23.12.2005 beschloss der Thüringer Landtag das Haushaltsbegleitgesetz 2006/2007, mit dessen Artikel 14 das ThürBliGG geändert wurde. Das Änderungsgesetz wurde am 30.12.2005 im Gesetz- und Verordnungsblatt des Freistaates Thüringen veröffentlicht. Nach der ab 01.01.2006 geltenden Neuregelung erhält nur noch derjenige Blindengeld, der das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Mit Informationsschreiben vom 27.12.2005 informierte der Beklagte den Kläger über die geänderte Gesetzeslage. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass alle Blinden dem Grunde nach Anspruch auf Blindenhilfe nach § 72 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) hätten, die Gewährung der Blindenhilfe jedoch im Gegensatz zum Landesblindengeld einkommens- und vermögensabhängig erfolge. Mit Bescheid vom 31.12.2005 hob der Beklagte den Bescheid vom 21.03.2005 nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) auf und stellte die Zahlung des Blindengeldes ab 01.01.2006 ein. Er nahm Bezug auf das übersandte Informationsschreiben und die ausführliche Berichterstattung in der Presse über die beabsichtigten Gesetzesänderungen. Der Kläger habe deshalb gewusst, dass der zuerkannte Anspruch auf Blindengeld ab dem 01.01.2006 nicht mehr gegeben sei. Er habe weder auf den Fortbestand der alten Rechtslage noch auf die Bestandskraft des Ausgangsbescheides vertrauen können. Eine Anhörung sei gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 4 SGB X nicht erforderlich.
In seinem Widerspruch trug der Kläger vor, die Einstellung des Blindengeldes verstoße gegen die Thüringer Verfassung und das Grundgesetz (GG) sowie gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Das Blindengeld werde benötigt, um den erheblichen blindheitsbedingten Mehraufwand wenigstens einigermaßen zu decken. Im Vertrauen darauf, dass das Blindengeld auch weiterhin einkommens- und vermögensunabhängig gewährt werde, habe der Kläger Vermögensdispositionen hinsichtlich seiner Altersversorgung getroffen. Mit dem Wegfall des einkommens- und vermögensunabhängigen Blindengeldes werde er künftig daran gehindert, gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Der Wegfall stelle außerdem eine erhebliche Verletzung der Menschenwürde dar. Die Aufhebung des Bescheides über die Gewährung von Blindengeld ab dem 01.01.2006 sei auch deshalb nicht zulässig, weil der Aufhebungsbescheid erst am 02.01.2006 zugegangen sei. Die noch im Jahre 2005 zugesandte Information über die bevorstehende Änderung könne den Bescheid nicht ersetzen. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.03.2006 bestätigte der Beklagte seine Ausgangsentscheidung.
Am 11.04.2006 hat der Kläger Klage erhoben. Über seinen Bevollmächtigten trägt er vor, der Kläger habe mit Bescheid des FDGB-Kreisvorstandes G. vom 05.02.1988 Blindengeld bewilligt bekommen. Im Einigungsvertrag zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland sei von einer Eigentumsgarantie ausgegangen worden. Es sei daher nicht nachvollziehbar, dass der Kläger nun durch eine landesrechtliche Regelung ab 01.01.2006 gar keine Leistungen mehr erhalten solle.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 31.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21./24.03.2006 aufzuheben und dem Kläger Blindengeld über den 31.12.2005 hinaus in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide und ist der Ansicht, bei der Zahlung des Landesblindengeldes handele es sich um eine freiwillige Leistung des Freistaates Thüringen, die aufgrund der Haushaltslage nicht mehr gewährt werden könne. Ein Bestandsschutz für die Zahlung eines bestimmten Geldbetrages aus der Zeit der DDR sei im Einigungsvertrag nicht festgeschrieben worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Zu Recht hat der Beklagte den Bescheid vom 21.03.2005 mit Wirkung ab 01.01.2006 aufgehoben und die Zahlung des Blindengeldes auf der Grundlage des ThürBliGG eingestellt.
Nach § 1 Satz 1 ThürBliGG in der ab 01.01.2006 geltenden Fassung erhält grundsätzlich nur noch derjenige Blindengeld, der das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Neuregelung hat der Kläger ab 01.01.2006 keinen Anspruch mehr auf Blindengeld. Der Beklagte war deshalb berechtigt, den bewilligenden Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben. Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten des Klägers kann sich der Kläger nicht auf die Bestandskraft eines in der ehemaligen DDR erlassenen Bescheides über die Gewährung von Blindengeld berufen. Selbst wenn die landesrechtliche Blindengeldregelung als übergeleitetes Recht der DDR anzusehen wäre, ist die Anwendbarkeit der Aufhebungsvorschriften des SGB X nicht ausgeschlossen. Nach Art. 19 Satz 1 des Einigungsvertrages bleiben vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangene Verwaltungsakte der DDR grundsätzlich wirksam. Diese können nach Satz 2 dieser Vorschrift nur aufgehoben werden, wenn sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den Regelungen des Einigungsvertrages unvereinbar sind; unberührt bleiben daneben nach Satz 3 auch die Vorschriften über die Bestandskraft von Verwaltungsakten. Als Rechtsgrundlage für die Durchbrechung der grundsätzlichen Bestandskraft von Verwaltungsakten der früheren DDR und damit als Rechtsgrundlage des Aufhebungsbescheides des Beklagten kommen somit die §§ 45 und 48 SGB X in Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 18.03.1997 – 2 RU 19/96; Urteil vom 11.05.1995 – 2 RU 24/94; Urteil vom 11.09.2001 – B 2 U 32/00 R – JURIS). Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebene Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X). Die genannten Voraussetzungen liegen vor, weil durch die Gesetzesänderung eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse war zulässig, weil der Kläger wusste oder hätte wissen müssen, dass der gesetzliche Anspruch ab 01.01.2006 weggefallen war. Die Kenntnis des Klägers ergibt sich aus dem Informationsschreiben vom 27.12.2005, in dem ausführlich über die neue Rechtslage informiert wurde. Aus dem Widerspruchsschreiben des Klägers ergibt sich, dass er dieses Informationsschreiben erhalten hat. Der Beklagte durfte die Bewilligungsentscheidung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufheben, ohne dass er Ermessen auszuüben hatte. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines atypischen Falles liegen nicht vor. Es ist nicht erkennbar, dass die Umstände des Falles im Hinblick auf die mit der rückwirkenden Aufhebung verbundenen Nachteile von den Normalfällen der Tatbestände der Nrn. 1 – 4 des § 48 Abs. 1 SGB X so signifikant abweichen, dass der Kläger in besondere Bedrängnis geraten würde (vgl. BSGE 59, 116) oder dass eine Erstattungspflicht eine besondere Härte bedeutete, die den Betroffenen in untypischer Weise stärker belastet als im Normalfall (vgl. BSG SozR 5870, § 2 Nr. 30). Eine Erstattungspflicht besteht nicht. Besondere Härten werden darüber hinaus durch die bedürftigkeitsabhängig gewährte Blindenhilfe nach § 72 SGB XII vermieden.
Ob im Hinblick auf die nach § 24 SGB X erforderliche Anhörung die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 Nr. 4 SGB X erfüllt sind, kann dahinstehen, weil dem Kläger die entscheidungserheblichen Tatsachen in dem Ausgangsbescheid mitgeteilt wurden und somit jedenfalls eine wirksame Nachholung der Anhörung erfolgte (§ 41 Abs. 2 SGB X).
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Einstellung des Blindengeldes nach dem ThürBliGG sind nicht ersichtlich.
Die Einstellung des Blindengeldes verletzt nicht die Menschwürde, Art. 1 GG. Der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Klägers, den Art. 1 GG schützt, wird bereits deshalb nicht verletzt, weil trotz der Einstellung des Landesblindengeldes Blindenhilfe nach § 72 SGB XII beansprucht werden kann. Die Menschenwürde des Klägers ist auch nicht dadurch betroffen, dass diese Leistung von seiner Bedürftigkeit abhängig ist.
Die Weitergewährung des Landesblindengeldes lässt sich nicht auf Art. 20 Abs. 1 GG stützen. Das sozialstaatliche Gebot der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins ist nicht verletzt. Nach der Rechtsprechung des BVerfG enthält der Sozialstaatsgrundsatz zwar den Auftrag der Fürsorge für Hilfebedürftige. Der Staat hat allerdings nur die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger zu schaffen. Darüber hinaus liegt es grundsätzlich in der Entscheidungsbefugnis des Gesetzgebers, auf welche Weise er seiner Verpflichtung nachkommt und in welchem Umfang er unter Berücksichtigung der anderen Staatsaufgaben und der vorhandenen finanziellen Mittel soziale Hilfeleistungen gewährleistet (BVerfGE 40, 121, 133; 82, 60 ff.). Unter Berücksichtigung des Anspruchs auf Blindenhilfe nach § 72 SGB XII bei vorhandener Bedürftigkeit sind die durch Art. 20 Abs. 1 GG vorgegebenen Mindestanforderungen für ein menschenwürdiges Dasein für blinde Menschen gewahrt. Ebenso wenig ist Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt. Denn Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG begründet keinen Anspruch auf eine bestimmte Versorgung durch den Staat, die über das allgemeine Maß öffentlicher Fürsorge hinausgeht.
Art. 3 GG ist nicht betroffen. § 1 Satz 1 ThürBliGG in der ab 01.01.2006 geltenden Fassung verstößt nicht dadurch gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, dass Blinde nach Vollendung des 27. Lebensjahres anders behandelt werden als noch nicht 27-jährige Blinde. Der allgemeine Gleichheitssatz ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt wird, obgleich zwischen beiden keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten (BVerfG NJW 1983, 617). Eine Ungleichbehandlung von blinden Menschen, die das 27. Lebensjahr bereits vollendet haben und jüngeren Blinden durch den Landesgesetzgeber ist wegen der bestehenden Unterschiede zulässig. Das Blindengeld soll die durch die Blindheit entstehenden Mehraufwendungen ausgleichen. Mit Blindengeld und Blindenhilfe soll nicht so sehr ein wirtschaftlicher Bedarf gesteuert werden, sondern das Blindengeld dient vornehmlich als Mittel zur Befriedigung laufender blindheitsspezifischer, auch immaterieller Bedürfnisse des Blinden. Mit der Zahlung des Blindengeldes beabsichtigt der Gesetzgeber, dem Blinden die Möglichkeit zu eröffnen, sich trotz Blindheit mit seiner Umgebung vertraut zu machen, mit eigenen Mitteln Kontakt zur Umwelt zu pflegen und am kulturellen Leben, aber auch am Arbeitsleben teilzunehmen (vgl. BVerwGE 32, 89, 91 f.). Im Hinblick auf die Teilnahme am Arbeitsleben stellt die schulische und berufliche Ausbildung eine wesentliche Grundvoraussetzung dar. Im Falle von Blinden und anderen behinderten Menschen kommt einer erfolgreichen Schul- und Berufsausbildung eine besonders wichtige Bedeutung zu. Schulische und berufliche Grundausbildung sind in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle im Alter von etwa 27 Jahren abgeschlossen. Weil davon auszugehen ist, dass blindheitsbedingte Mehraufwendungen in der Phase der schulischen Ausbildung und der beruflichen Erstausbildung in besonderem Maße entstehen und die Ausbildungskosten gegenüber den Aufwendungen für die Teilnahme am kulturellen und sozialen Leben ein höheres Gewicht haben, sind Blinde bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres überdurchschnittlich belastet. Dieser Unterschied zwischen beiden Vergleichsgruppen stellt einen berücksichtigungsfähigen Grund für eine Ungleichbehandlung dar.
Eine Verletzung des Gleichheitssatzes besteht auch nicht darin, dass blinde Menschen in anderen Bundesländern möglicherweise günstiger behandelt werden. Der Gesetzgeber des Freistaates Thüringen hat das Blindengeld im Rahmen seines grundgesetzlichen Kompetenzbereiches geregelt. Die getroffenen Regelungen gelten für alle Normadressaten in gleicher Weise. Falls die Blindengeldvorschriften in anderen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland günstiger sein sollten, konnten diese Bundesländer im Rahmen ihres Kompetenzbereichs eine andere Regelung ohne Verletzung des Gleichheitssatzes finden, denn insoweit würde es sich um andere Normadressaten (nämlich der jeweiligen Länder) handeln (vgl. Thüringer LSG vom 26.09.2002, L 5 BL 356/00 – JURIS).
Ebenso scheidet eine Verletzung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (Verbot der Benachteiligung Behinderter) aus. Es ist nicht erkennbar, dass die Einstellung des Landesblindengeldes eine Benachteiligung wegen einer Behinderung darstellt.
Dem Kläger steht kein auf Art. 14 GG gestützter Eigentumsanspruch auf Zahlung von Landesblindengeld zu. Es kann dahinstehen, ob die Bewilligung von Landesblindengeld dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG unterliegt. Selbst wenn dies der Fall wäre, hätte der Gesetzgeber mit der Einstellung der Blindengeldzahlung seine Befugnis zur Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) nicht überschritten. Der Gesetzgeber hat die Befugnis, in das Leistungsgefüge des Sozialrechts ordnend einzugreifen (vgl. BVerfG vom 14.03.1998, 1 BvL 6/92 – JURIS). Eine Verletzung des Eigentumsrechts des Leistungsempfängers liegt nicht vor, wenn der Eingriff durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitgrundsatzes gerechtfertigt ist. Der Wegfall des Landesblindengeldes für Personen ab 27 Jahre soll zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte beitragen. Das Haushaltsbegleitgesetz 2006/2007, mit dem die Leistungseinschränkung beschlossen wurde, ist geeignet und erforderlich, die Zielsetzung des Gesetzgebers zu erreichen. Das Ziel der Sanierung der Staatsfinanzen durch Einsparungen auf der Ausgabenseite ist eine übergreifende legitime Aufgabe des Gesetzgebers zu Gunsten des Staatsganzen (vgl. BVerfG, Urteil vom 30.09.1987, 2 BvR 933/82 – JURIS). Der Wegfall des Landesblindengeldes stellt unter Berücksichtigung der verfolgten Gemeinwohlinteressen keine unverhältnismäßige Belastung des Klägers dar. Die Belange des Klägers haben weniger Gewicht, weil seine Rechtsposition nicht auf Eigenleistungen beruht (vgl. BVerfG vom 14.03.2001, 1 BvR 2402/97 – JURIS). Der Landesgesetzgeber konnte im Rahmen seines Gestaltungsspielraumes auch deshalb dem Interesse an einer Sanierung der öffentlichen Haushalte den Vorzug einräumen, weil der Kläger die durch seine Blindheit bedingten Mehraufwendungen durch eigene Einnahmen bzw. Vermögen oder – im Falle der Bedürftigkeit – durch Blindenhilfe nach § 72 SGB XII abdecken kann (vgl. BVerfG a.a.O.).
Auch unter Berücksichtigung des Art. 2 Abs. 1 GG ggf. in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip liegt keine Verletzung der Verfassung vor, weil eine im öffentlichen Interesse liegende gesetzliche Regelung, die dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gerecht wird, Teil der verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne der Schranken dieses Gesetzes ist (vgl. BVerfG vom 14.03.2001, 1 BvR 2402/97 – JURIS).
Der Grundsatz des Vertrauensschutzes ist nicht verletzt. Das gilt unabhängig davon, ob das allgemeine Rechtsstaatsprinzip als Grundlage schützenswerten Vertrauens herangezogen wird oder ob der Vertrauensschutzgedanke aus Artikel 14 Abs. 1 GG abgeleitet wird, sofern dieser Prüfungsmaßstab zur Anwendung käme. Die angegriffene Regelung wirkt für die Zukunft auf eine bereits bezogene gesetzliche Leistung ein und verkürzt die Dauer ihrer Gewährung. Solche Eingriffe mit unechter Rückwirkung sind verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig (BVerfG vom 14.03.2001, 1 BvR 2402/97 – JURIS). Die durch den Gesetzgeber getroffene Abwägung zwischen den öffentlichen Belangen und den schützwürdigen Interessen des betroffenen Personenkreises ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar ist das Vertrauen der Leistungsempfänger auf den unveränderten Fortbestand einer über viele Jahre gewährten Rechtsposition grundsätzlich hoch einzuschätzen (BVerfG vom 24.03.1998, 1 BvL 6/92 – JURIS). Die Schutzwürdigkeit einer solcher Vertrauensposition endet jedoch regelmäßig dann, wenn der Gesetzgeber eine Änderung beschlossen hat (a.a.O.). Darüber hinaus ist gerade in einer langfristig bestehenden Rechtsposition von vornherein die Möglichkeit der Anpassung an geänderte Verhältnisse angelegt (BVerfG vom 14.03.2001, 1 BvR 2407/97 – JURIS). Mit der Anpassung der Sozialausgaben an die geänderte Haushaltslage verfolgt der Gesetzgeber wichtige Gemeinwohlinteressen. Ihm stand dabei eine weite Gestaltungsfreiheit auch im Hinblick darauf zu, wie er die Auswirkungen der immer noch nicht vollständig bewältigten Folgen der Wiedervereinigung und der seit Jahren schlechten Arbeitsmarktlage bewältigen musste (vgl. BVerfG a.a.O.). Bei der zu treffenden Abwägung konnte er zur Vermeidung der Erhöhung der Neuverschuldung auch in langfristig gewährte Rechtspositionen eingreifen.
Durch die Streichung des Blindengeldes für Personen ab dem 27. Lebensjahr ohne zeitliche Übergangsregelung hat der Landesgesetzgeber die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen nicht überschritten. Auch hinsichtlich der Frage, ob der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet ist, eine schonende Übergangsregelung vorzusehen, bedarf es grundsätzlich der Abwägung zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens des Einzelnen und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit (BVerfG vom 04.06.1985, 1 BvL 12/83 – JURIS). Im Rahmen dieser Abwägung steht dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zur Verfügung. Dieser kann von der sofortigen übergangslosen Inkraftsetzung des neuen Rechts bis zum ungeschmälerten Fortbestand bisher begründeter, subjektiver Rechtspositionen reichen. Einer Nachprüfung durch die Gerichte unterliegt insoweit nur, ob der Gesetzgeber bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe unter Berücksichtigung aller Umstände die Grenze des Zumutbaren überschritten hat (BVerfGE 43, 242, 288). Im Rahmen dieser Abwägung durfte zu Lasten der Blindengeldempfänger berücksichtigt werden, dass das Landesblindengeld aus Steuermitteln finanziert wird. Die Eigenleistungsquote spielt bei der Intensität des Grundrechtsschutzes eine wesentliche Rolle. Je geringer der Eigenleistungsanteil, desto weniger ist der Anspruch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung geschützt und desto eher sind entgegenstehende öffentliche Interessen vorrangig (vgl. Stober, SGb 1989, 53; vgl. auch BVerfGE 69, 272, 301). Der Gesetzgeber hat sich auch deshalb innerhalb des ihm zustehenden Abwägungsspielraums gehalten, weil mit der Blindenhilfe nach § 72 SGB XII eine Leistung zur Verfügung steht, die im Falle der Bedürftigkeit den Zweck des Landesblindengeldes erfüllt. Auch mit dem Härtefonds (§ 11 ThürBliGG i. V. m. der Verordnung vom 14.03.2006) können Härten, die durch eine übergangslose Inkraftsetzung der Neuregelung entstehen, abgemildert werden.
Aus der Verfassung des Freistaats Thüringen ergibt sich gegenüber dem Grundgesetz kein weitergehender Schutz. Das gilt auch für Art. 2 Abs. 4 Satz 1 der Verfassung des Freistaats Thüringen, wonach Menschen mit Behinderungen unter dem besonderen Schutz des Freistaats stehen. Dieses Verfassungsgebot ist keine Grundlage für eine Weitergewährung des Landesblindengeldes, weil durch § 72 SGB XII die Anforderungen der Art. 2 Abs. 4 Satz 1 der Landesverfassung erfüllt werden.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
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